Lernen vor Ort zielt darauf, Kommunen bei der Entwicklung eines ganzheitlichen Bildungswesens zu unterstützen, »in dessen Mittelpunkt die Menschen und deren Bildungsbiographien stehen« (BMBF, 2008a, S. 4). Die Abstimmung und Verzahnung unterschiedlicher Bildungsbereiche innerhalb und zwischen kreisangehörigen Städten sowie innerhalb einer kreisfreien Stadt hat »unter besonderer Berücksichtigung einer ganzheitlichen Betrachtung individueller Bildungsbiographien« (BMBF, 2008a, S. 5) zu erfolgen. In dieser Formulierung sind Prozesse der Systemintegration mit Blick auf Sozialintegration angesprochen. Den Modus der Vermittlung greife ich hier mit dem von Kade nicht weiter entfalteten Brückenprinzip Profession auf. Zunächst bestimme ich die Dimensionen von Professionalisierung, danach gehe ich auf das Verhältnis von Professionellen und Klienten ein. Den Beitrag von professionstheoretischen Konzepten für gesellschaftliche Integration werde ich bei der theoretischen Interpretation der Analyse-Ergebnisse aufgreifen. Zum einen werde ich die Tätigkeit der kommunalen Koordinatorinnen und Koordinatoren in Bezug auf einen Beruf im Werden diskutieren, zum anderen dessen Anforderungsprofil mithilfe von Paradoxienfigurationen im Strukturierungsprozess grenzüberschreitender Professionalität beleuchten (vgl. Abschnitt 13.4).

1 Dimensionen von Professionalisierung

Eine Begriffsbestimmung nehme ich mit der Unterscheidung zwischen den Konzepten Profession, Professionalisierung, Professionalität und Professionsentwicklung vor. Die dabei zugrunde gelegten institutionellen und individuellen Aspekte vertiefe ich am Konzept der Professionalisierung. Mit professionstheoretischen Ansätzen der angloamerikanischen und kontinentaleuropäischen Theorietradition spanne ich das Spektrum der professionssoziologischen Diskussion auf. Vor dem Hintergrund dieser Theorietraditionen skizziere ich Herausforderungen für Professionen.

1.1 Begriffsbestimmung

Mit dem Konzept der Professionsentwicklung beschreibt Dick einen »methodisch eigenständigen, interdisziplinären Ansatz«, der sich von Profession als klassischem Begriff der Soziologie durch die »Verschränkung gesellschaftlicher und individueller Entwicklungsprozesse« (2016, S. 19) auszeichnet. Die Ausdifferenzierung eines Gemeinwesens leitet er historisch aus der freien Tätigkeit eines freien Bürgertums ab, die sich von jener der mühsamen Existenzsicherung durch politische, ideelle und ästhetische Werte unterscheidet (Dick, 2016, S. 10). Daraus ist die »Vorstellung einer dem Gemeinwohl verpflichteten unabhängigen gesellschaftlichen Instanz« erwachsen, die neben Wirtschaft und Staat das primäre Leistungssystem begründet (Dick, 2016, S. 10). Professionen versteht Dick als Akteure dieses primären Leistungssystems, die »einen unersetzlichen Beitrag zur gesellschaftlichen Entwicklung« (2016, S. 10) leisten. An der Vorstellung eines eigenständigen, gesellschaftlichen Funktionsprinzips neben Markt und Hierarchie hält er damit fest. Für sinnvoller als die analytische Beschreibung von Professionen und Berufen auf der Grundlage von (Status-)Merkmalen hält er die Untersuchung einer Tätigkeit (Dick, 2016, S. 19–20). Die Legitimation einer Profession, so sein Resümee zum Stand der Forschung, hänge davon ab, wie es gelinge, »eine gesellschaftlich relevante, weil häufig auftretende und bedrohliche Problemlage auf einen engen wissenschaftlichen Gegenstandsbereich zu reduzieren, der von der Profession exklusiv gehandhabt« (Dick, 2016, S. 20) werde.

Die Exklusivität von Professionen greift auch Mieg (2016) auf. Die Attraktivität des Professionsbegriffs erklärt er mit der besonderen Qualität, Auszeichnung und Statuserhöhung, die damit verbunden wird. Die Einheit von Beruf und Wissen begründet die Zuständigkeit für einen gesellschaftlichen Problem- und Wissensbereich: »Professionen und Professionelle werden damit zu zentralen Akteuren der modernen Wissensgesellschaft« (Mieg, 2016, S. 28). Mieg konstatiert, dass eine Definition von Professionen über Merkmalsbeschreibungen nicht weiterführe (2016, S. 28). Sein Vorschlag zur Systematisierung der Begrifflichkeiten greift die Verlagerung der Professionsforschung von Profession und Professionalisierung hin zu Professionalität auf (Mieg, 2016, S. 29). Er unterscheidet eine individuelle und institutionelle Dimension und integriert neben klassischen Charakterisierungen der Professionssoziologie das Konzept der Professionsentwicklung. Mit einer Übersicht lassen sich wesentliche Differenzen beschreiben und Forschungsgegenstände verorten (vgl. Tabelle 4.1).

Tabelle 4.1 Begriffsbestimmung. (Eigene Darstellung nach Dick, 2016 und Mieg, 2006; 2016)

Zur institutionellen Dimension des Konzepts Profession gehören nach Mieg spezifische Rahmenbedingungen. Professionen orientieren sich an einem gesellschaftlich relevanten Problembereich und am entsprechenden Handlungs- und Erklärungswissen, sie beziehen sich mehr oder weniger stark auf einen gesellschaftlichen Zentralwert, sie sind an eine akademisierte Ausbildung geknüpft und in Berufsverbänden organisiert (Mieg, 2016, S. 29). Die Eigenschaft der Abstraktheit bezeichnet die Wissensdimension im Sinn einer Macht des formalen, abstrakten und akademisierten Wissens, auf das Professionelle zurückgreifen (Mieg, 2016, S. 29). Diese suchen als »Wissensarbeiter und Vertreter [der] modernen Wissensgesellschaften« die »Gunst der Klienten« und schaffen dadurch eine »interprofessionelle Konkurrenz« (Mieg, 2016, S. 29). Prominente Konzepte stellen darüber hinaus der Altruismus-Aspekt mit der Gemeinwohlorientierung und die gesellschaftliche Autorität dar, durch die sich Professionen auszeichnen (Mieg, 2016, S. 29). Mieg überträgt diese Charakterisierung auf die individuelle Betrachtungsebene und umreißt Orientierungen von Professionellen an Autonomie, Abstraktheit, Altruismus und Autorität, was ein Selbstverständnis als selbstbestimmt, kompetent, gemeinwohlorientiert und zuständig begründet (2016, S. 29).

In einem engen Verständnis und auf institutioneller Ebene befasst sich Professionalisierung mit der Entwicklung einer Berufsgruppe in Richtung einer privilegierten Profession, die sich durch spezifische Merkmale auszeichnet. Versuche, Professionen mithilfe der beiden Leitprofessionen der Ärzte und Juristen von anderen, nicht professionalisierten Berufsgruppen abzugrenzen, hält Mieg für fruchtlos (2006, S. 342). Der weite Begriff von Professionalisierung bezeichnet den »Übergang von Tätigkeiten zu bezahlter Arbeit, die gewissen einklagbaren Qualitätsstandards unterliegt« (Mieg, 2006, S. 342). Der individuelle Aspekt von Professionalisierung beinhaltet dementsprechend die Berufsentwicklung einer einzelnen Person und deren Orientierung an bereichsspezifischen Leistungsstandards (Mieg, 2016, S. 30). Profession und Professionalisierung sind in der aktuellen Professionsforschung dem Konzept der Professionalität gewichen (Mieg, 2016, S. 30). Die institutionelle Dimension sieht Mieg mit Freidson (2001) vertreten, der mit seinem Werk »Professionalism« neben die Logik des Marktes und die Logik der hierarchischen Verwaltung eine dritte Logik der Organisation von beruflicher Arbeit stellt (Mieg, 2016, S. 29). Mit der Frage der Selbstorganisation und -regulation von Professionen durch Experten rückt das Merkmal der Autonomie von Professionen ins Zentrum, insofern bestimmte Berufsgruppen ein Zuständigkeitsmonopol für einen in Selbstorganisation verwalteten Bereich erhalten (Mieg, 2016, S. 29). Historisch lässt sich Professionalisierung als Strategie einer Berufsgruppe lesen, die Kontrolle über die Arbeitsbedingungen durch den Ausbau der Autonomie zu sichern (Mieg, 2006, S. 343). Diese von Freidson als Occupational Control of Work bezeichnete Kennzeichnung umfasst die Definitionsmacht für die Berufsausbildung, die Kontrolle über den Marktzugang sowie die Macht über die Leistungsbewertung (Mieg, 2006, S. 343). Ein Indikator für einen hohen Autonomiegrad und eine Professionalisierung im Sinn eines Status-Ausbaus ist die Entkopplung zwischen Leistungsvergütung und Leistungsbewertung. Die Selbstkontrolle über Leistungsbewertungen ist dann gegeben, wenn es gelingt, Leistungsbewertungen durch eigene Standards zu einer inneren Angelegenheit der Profession zu machen (Mieg, 2006, S. 343). Auf individueller Ebene bezeichnet Professionalität das professionelle Handeln (Mieg, 2006, S. 343). Die Wissenssoziologie betrachtet auf institutioneller Ebene die Ausdifferenzierung des wissenschaftsgestützten Wissenssystems und auf individueller Ebene das professionelle Handeln »im Sinne einer Suche für Darstellung und Anwendung der professionellen Kompetenz« (Mieg, 2016, S. 343).

Von Professionalisierung als individuelle und kollektive Prozesse der Verberuflichung unterscheidet Dick den Begriff der Professionsentwicklung mit drei Kriterien (2016, S. 17–19). Erstens bezeichnet Professionsentwicklung einen von Personen bewusst intendierten Prozess, um die Leistungsfähigkeit eines Berufsstands zu erhalten und damit die gesellschaftliche Primärfunktion zu gewährleisten (Dick, 2016, S. 17). Dem Anspruch der Professionsentwicklung, »die individuelle Leistung direkt mit der gesellschaftlichen Entwicklung zu verschränken« (Dick, 2016, S. 17), steht Professionalisierung als gewissermaßen selbstläufiger Wandlungsprozess über die Zeit gegenüber. Zweitens hält Professionsentwicklung die Vorstellung der Exklusivität von »Professionen als Vertreter des primären gesellschaftlichen Leistungssystems« (Dick, 2016, S. 17) aufrecht. Eine nicht ersetzbare Überbrückungskompetenz kennzeichnet die Tätigkeit der Professionellen (Dick, 2016, S. 18). Dick bezieht sich hier auf Abbotts (1988) Konzept der Inferenz, welches das brüchige Verhältnis zwischen Wissenschaft und Praxis bearbeitet. Professionelle wenden verfügbares Wissen bewusst an, rekonstruieren individuelle Fälle methodisch kontrolliert und erstellen eine begründete Prognose des weiteren Fallverlaufs (Dick, 2016, S. 18). Der Ansatz der Professionsentwicklung vollzieht sich auf drei zeitlich unterschiedlichen Ebenen: gegenwärtig als »Entscheidung unter Ungewissheit im praktischen Handlungsvollzug», rückblickend als »Reflexion in der retrospektiven Analyse und Begründung« sowie prospektiv als »Entwicklung neuen Wissens« (Dick, 2016, S. 18). Ein vollständiger, professioneller Arbeitsbogen umfasst im Ansatz der Professionsentwicklung die reflexive Bearbeitung »unverstandener Fallkonstellationen, blinder Flecken oder Antinomien« sowie von »Abweichungen zwischen Planung und Praxis bzw. zwischen Prognose und Verlauf« (Dick, 2016, S. 18).

Die Neuschöpfung von Professionswissen durch die Verknüpfung von empirischem Modellwissen mit lebensweltlichem Wissen begründet schließlich das dritte Unterscheidungskriterium: »Als Inferenz zwischen Wissenschaft und Praxis […] erzeugt sie ihre eigenen Wissensgrundlagen, anstatt sich an äußerliche Standards anzupassen und die Trennung zwischen beiden zu zementieren« (Dick, 2016, S. 18).

Während individuelle und kollektive Prozesse im Konzept der Professionalisierung jede beliebige Tätigkeit umfassen können, ohne spezifische Merkmale einer privilegierten Berufsgruppe geltend zu machen, beansprucht Professionsentwicklung »die Autonomie der Profession in ihrer Tätigkeit« (Dick, 2016, S. 18). Reflexiv erbrachte gesellschaftliche Leistungen wie »die Weiterentwicklung von Wissensbeständen, Regelwerken, Standards und Verfahren der Qualitätssicherung« versteht sie als Teil der professionellen Aufgabe. Fragen der Integrität, Autonomie und gesellschaftlichen Leistung einer Profession sind in diesem Selbstverständnis »nicht von außen« (Dick, 2016, S. 18) strukturierbar, sondern folgen eigenen Relevanzsetzungen.

1.2 Individuelle und institutionelle Dimension von Professionalisierung

Professionalisierung auf individueller Ebene setzt Mieg mit Kompetenzentwicklung gleich (2016, S. 35–36). Die Entwicklung einer Expertise durch Spezialisierung und Vertiefung eines bereichsspezifischen Wissens vollzieht sich unter institutionellen Bedingungen, die durch Anforderungen der Tätigkeit und der Berufsgruppe bestimmt werden. Zur Bestimmung der professionellen Tätigkeit zieht Mieg Abbotts (1988) drei Komponenten der professionellen Tätigkeit heran. Diese setzt sich aus der Diagnose, der Inferenz und den Maßnahmen zusammen (Mieg, 2006, S. 347). Die Inferenz stellt die Ableitung von Maßnahmen dar, die auf einer Problemanalyse beruhen und aufgrund der Wahl geeigneter Methoden dann konkret umgesetzt werden. Sie bildet den Raum für autonomes Entscheiden und ist daher die wesentliche Komponente professioneller Tätigkeit (Mieg, 2006, S. 347). Individuelle Professionalisierung stellt Mieg mit einem Drei-Ebenen-Modell dar (2006, S. 348). Fragen der Qualifikation betreffen das Verhältnis des Individuums zum eigenverantwortlichen Handlungsspielraum der Tätigkeit. Professionelle Zusatz-Kompetenzen liegen in den Bereichen höher, für die noch keine professionellen Standards entwickelt wurden (Mieg, 2016, S. 36). Fragen der beruflichen Identität betreffen das Verhältnis zur Berufsgruppe. Professionelle aus etablierten Professionen verfügen über ein großes professionelles Selbstbewusstsein und werden auch in neuen Feldern tätig. Mitglieder von etablierten Berufsgruppen ohne Professionsstatus schätzen demgegenüber ihre »durch Ausbildung erworbene Berufskompetenz vergleichsweise gering ein« (Mieg, 2016, S. 36). Das Verhältnis zwischen der beruflichen Tätigkeit und dem Berufsverband betrifft Fragen der Intergruppenkonflikte um Zuständigkeit. Damit ist der weiter oben dargestellte machttheoretischen Aspekte der Abstraktion angesprochen.

Als Beispiel für die institutionelle Dimension von Professionalisierung benennt Mieg (2016, S. 35) das Phasenmodell von Wilensky (1972). Es beschreibt den »typischen Prozess, in dem sich die heute etablierten Professionen entwickelt haben« (Wilensky, 1972, S. 205), mit sieben Phasen: (1) Berufsfunktionen werden in einem ersten Schritt zu einem Haupt- und Ganztagsberuf zusammengefasst, der einen spezifischen Arbeitsbereich absteckt (Wilensky, 1972, S. 205). (2) Erste Berufsangehörige, das Klientenpublikum oder Berufsorganisationen drängen auf die Einrichtung von Ausbildungsstätten (Wilensky, 1972, S. 202). Eine herausragende Rolle bei der Erweiterung der Wissensbasis kommt den Universitäten zu (Wilensky, 1972, S. 202). Mehr noch als von Berufsverbänden gehen von ihnen innovative Strategien aus, um einen Beruf auf eine ausreichende Wissensbasis zu stellen, um diese mit der Praxis zu verbinden und um die professionelle Autonomie auf eine rationale Grundlage zu stellen (Wilensky, 1972, S. 203). (3) Mit der Entwicklung von Ausbildungsprogrammen geht die Intensivierung der Forschung, die Spezialisierung des Lehrpersonals, die Erhöhung des Ausbildungsniveaus, der Ausbildungsdauer und der -kosten einher (Wilensky, 1972, S. 202). Eine standardisierte Ausbildung wird zur Vorbedingung für die Aufnahme eines Berufs (Wilensky, 1972, S. 202). (4) Ausbildungsschulen bilden »die Grundlage für die Organisation effektiver Berufsverbände« (Wilensky, 1972, S. 203). Zu klären sind dabei Fragen der Aufgaben und des Status einer Profession, was häufig durch eine Änderung der Berufsbezeichnung markiert wird (Wilensky, 1972, S. 203). Konflikte bei der Definition des Tätigkeitsfelds eines Berufs ranken sich um Fragen der internen Moral, der Definitionsmacht zwischen ›Alten und Neulingen‹ und der Abgrenzung zu Nachbarberufen (Wilensky, 1972, S. 203). Im Zuge dieser Aushandlungen kommt es auch dazu, dass »weniger wichtige Aufgaben an andere Berufe delegiert« (Wilensky, 1972, S. 203) werden. (5) Auf die Einrichtung lokaler Berufsverbände folgen Neugründungen nationaler Berufsverbände (Wilensky, 1972, S. 205). (6) Die staatliche Lizensierung erfolgt aus zwei Richtungen. Entweder streben sich etablierende Professionen die Aufbesserung des eigenen Prestiges an oder der Gesetzgeber sucht »die Laien vor inkompetenten Quacksalbern zu schützen« (Wilensky, 1972, S. 204). (7) Eine Berufsethik fasst als letzter Schritt der Professionalisierung die Berufsregeln zusammen. Diese dienen dazu, unqualifizierte Praktiker aus der Profession zu eliminieren, den internen Wettbewerb zu reduzieren und Klienten sowie das Dienstideal zu schützen (Wilensky, 1972, S. 205). Mieg weist darauf hin, dass diese Phasen in unterschiedlicher Reihenfolgen ablaufen können und Professionalisierung ein Muster mit vielen Varianten darstellt (2016, S. 35). Die institutionelle Perspektive auf Professionalisierung betont den offenen Ausgang von Prozessen der Professionalisierung, die ohne historische Kenntnisse nicht auskommt und auch Deprofessionalisierung – verstanden als Verlust der Selbstbestimmung – bedeuten kann (Mieg, 2016, S. 35).

1.3 Theorietraditionen und Bestimmungsmerkmale

Zwei historisch gewachsene Formen von Professionalisierungsprozessen begründen ein angloamerikanisches und ein kontinentaleuropäisches Muster (Mieg, 2006, S. 342). In England und den USA entwickelten sich die typischen Professionen »aus sich selbst heraus« und erlangten als »Subjekt und Träger des Prozesses […] eine starke gesellschaftliche Stellung« (Mieg, 2006, S. 342). Eine Professionalität ›von oben‹ vollzog sich in Deutschland und Frankreich, insofern Berufsgruppen durch staatlich regulierte Ausbildungsgänge und Berufsverordnungen »Objekt staatlicher Regulation« (Mieg, 2006, S. 342) waren. Prominente theoretische Ansätze der angloamerikanischen Professionssoziologie stellen der funktionalistische, der interaktionistische, der machttheoretische sowie der phasen- und prozessorientierte Ansatz dar. Der systemtheoretische, der krisentheoretische sowie der inszenierungstheoretische Ansatz als Spielform des interaktionistischen Ansatzes prägen die Diskussion der deutschen Professionssoziologie.

1.3.1 Der strukturfunktionalistische Ansatz

Der strukturfunktionalistische Ansatz geht auf Parsons zurück, der Professionen als dominanten, systemübergreifenden Komplex moderner Gesellschaften versteht (Schützeichel, 2007, S. 554). Wenzel (2005, S. 49) sieht die Pionierleistung von Parsons in dessen bis in die Gegenwart diskussionswürdigen Definition von Profession und professionellem Handeln. Professionen sind demnach einerseits »typisches Entwicklungsresultat der Rationalisierung der modernen Gesellschaft« und andererseits weitgehend entkoppelt »vom Motor dieser Rationalisierung, dem kapitalistischen Eigenerwerb« (Wenzel, 2005, S. 49). Dallinger rekonstruiert die Parsons’schen Konzepte zur Erklärung von Kooperation und Solidarität entlang der Entwicklungsphasen seines Werks (2009, S. 75–141). In der ersten Theorieversion, der voluntaristischen Handlungstheorie, bildet die Kritik an utilitaristischen Theorien rationalen Handelns und rationaler Ordnung sowie am Idealismus mit dem ungeklärten Wirksamwerden von Ideen den Ausgangpunkt für die Entwicklung einer Perspektive, die gemeinsame Werte ins Zentrum rückt (Dallinger, 2009, S. 76). Der Prämisse der Nutzenorientierung und der Engführung auf nur eine Dimension des Handelns steht mit dem Werteelement ein Konzept gegenüber, das sowohl das Problem der Deutungsnotwendigkeit einer komplexen Umwelt als auch den Bedarf von Erwartungssicherheit im sozialen Austausch löst (Dallinger, 2009, S. 77). Der Wertefaktor erfährt in der strukturfunktionalen Phase mit evaluativen Werten als entscheidende Instanz der Handlungsselektion sowie den Konzepten der doppelten Kontingenz und der Pattern Variables eine Erweiterung (Dallinger, 2009, S. 77). In der systemtheoretischen Phase ist die Verwirklichung von Werten schließlich in eine gesellschaftstheoretische Sicht eingebettet. Das AGIL-Schema erklärt das Zusammenspiel differenzierter Funktionssysteme, die mit unterschiedlichen Beiträgen und Funktionslogiken durch Austauschprozesse verbunden sind (Dallinger, 2009, S. 78). Zwar relativeren die symbolischen Kommunikationsmedien Macht, Geld und Einfluss die Wert-Commitments in Austauschprozessen, gleichwohl »bleiben die kulturellen Werte ausschlaggebend für die Abstimmung der Systembeiträge und tragen somit Integration« (Dallinger, 2009, S. 110).

Die in der strukturfunktionalen Phase entwickelte allgemeine Handlungstheorie (Parsons, 1951; Parsons & Shils, 1951) erklärt, wie Werte und Normen als Selektionsstandards wirken und »die Interaktion unter mehreren koordinieren« (Dallinger, 2009, S. 94). Nicht individueller Nutzen steuert die Wahl in Situationen mit mehreren Alternativen, sondern Orientierungen, die durch Werte als Elemente eines geteilten Symbolsystems getragen und als »soziale Referenz des Handelns« die »kulturelle Tradition direkt mit dem Handlungssystem« (Dallinger, 2009, S. 95) verbinden. Wertorientierungen auf der Ebene selektiver Standards und als Motivationsorientierung auf der Ebene der subjektiven Perspektive der Akteure stellen neben der individuellen Nutzenmaximierung weitere Optionen dar, die das spezifische Ordnungsproblem »der Kognition, der Expression und der Bewertung von Optionen nach Maßgabe der Angemessenheit« (Dallinger, 2009, S. 96) lösen. Der moralischen Dimension und den darauf basierenden evaluativen Orientierungen misst das Modell die »größte Bedeutung bei der Steuerung des Handelns« (Dallinger, 2009, S. 96) bei. Sie bildet »die letzte Instanz bei der Lösung ›integrativer Probleme‹« (Dallinger, 2009, S. 97) und regelt die »Mit-Betroffenheit anderer von eigenen Handlungen« (Dallinger, 2009, S. 98).

Das Konzept der doppelten Kontingenz beschreibt die mit der Interdependenz der Akteure verbundene Unsicherheit wechselseitiger Erwartungen (Dallinger, 2009, S. 101). Wertbindungen an ein geteiltes symbolisches System selegieren die subjektive Handlungswahl und koordinieren das Handeln mehrerer Akteure (Dallinger, 2009, S. 101). Werte sind in Rollen institutionalisiert, die kulturelle Symbole konkretisieren und damit für eine optimale soziale Integration sorgen (Dallinger, 2009, S. 102). Rollen vermitteln nicht nur zwischen Alter und Ego in Interaktionen, sondern auch zwischen Persönlichkeits- und Sozialsystem (Dallinger, 2009, S. 102). Obwohl die allgemeine Handlungstheorie davon ausgeht, dass die Abstimmung zwischen Person und Sozialsystem auch misslingen kann, »dominiert in der strukturfunktionalen Phase die Annahme der Wertintegration« (Dallinger, 2009, S. 102). Das Konzept der Mustervariablen bearbeitet das zentrale Problem der doppelten Kontingenz mit einem Set von Entscheidungsalternativen. Institutionalisierte Rollen kennzeichnen sich demnach durch spezifische Ausprägungen von fünf Dimensionen: Affektivität versus affektive Neutralität, Selbst- versus Kollektivorientierung, Universalismus versus Partikularismus, zugeschriebene Eigenschaften versus Leistungen und Spezifität versus Diffusheit (Dallinger, 2009, S. 104).

Mit dem Instrument der Mustervariablen untersuchte Parsons intensiv die Herausbildung akademischer Berufe als professionellen Komplex, der seine einmalige Stellung der Wertorientierung der Kollektivverpflichtung verdankt (Wenzel, 2005, S. 50). Das Variablen-Paar der Selbst- und Kollektivorientierung will er aber nicht als dichotome Unterscheidung zwischen ›egoistischen‹ Motiven von Handelnden der Geschäftswelt gegenüber ›altruistischen‹ Motiven von Handelnden akademischer Berufe verstanden wissen (Parsons, 1973, S. 162–163). Vielmehr rückt er die Definition der Situation (Parsons, 1973, S. 173) sowie die Gemeinsamkeiten und wechselseitige Durchdringung des wirtschaftlichen und beruflichen Komplexes in den Blick: »Sowohl kapitalistisches Unternehmertum wie moderne Professionen sind leistungs- bzw. erfolgsorientiert, beide streben diesen Erfolg auf rationalem Wege an« (Wenzel, 2005, S. 49). Einen Unterschied sieht er »in der Verschiedenartigkeit der Wege zu gleichartigen Zielen, die ihrerseits durch die Unterschiede in den jeweiligen Berufssituationen bedingt« (Parsons, 1973, S. 173) ist.

Den gesamten beruflichen Bereich der modernen Gesellschaft kennzeichnet Parsons mit drei Elementen. (1) Wissenschaftliche Rationalität orientiert sich am normativen Maßstab ›objektiver Wahrheit‹ und macht sich unabhängig von traditionellen Urteilen (Parsons, 1973, S. 163–164). Sie bestimmt nicht nur »den Bereich der reinen oder angewandten Wissenschaft« (Parsons, 1973, S. 164), sondern durchzieht die gesamte Berufswelt: »Tatsache ist, dass wir einem dauernden und kaum merklichen sozialen Druck ausgesetzt sind, uns rational kritisch zu verhalten, insbesondere was Mittel und Wege angeht« (Parsons, 1973, S. 165). (2) Der professionelle Komplex übt in der modernen Gesellschaft Autorität aus (Parsons, 1973, S. 165). Die soziale Struktur dieser Autorität beruht auf einer »überlegenen ›fachlichen Kompetenz‹« (Parsons, 1973, S. 165), und diese fachliche Kompetenz gründet in der »Spezifität der Funktion« (Parsons, 1973, S. 166). Die analytische Unterscheidung zwischen einer funktional-spezifischen und einer funktional-diffusen Beziehung arbeitet Parsons am Beispiel von Vertrags- und Verwandtschaftsbeziehungen heraus (1973, S. 167). Die »›Amtsstellung‹ im Bereich der Verwaltung« (Parsons, 1973, S. 167) zählt er zum funktional-spezifischen Muster, das sich »aus den funktional diffuseren Typen sozialer Beziehungen« (Parsons, 1973, S. 168) herausdifferenziert hat und die Arbeitsteilung begründet. (3) Das dritte Element betrifft schließlich ein weiteres analytisches Variablen-Paar: »Für den Arzt oder Anwalt ist der andere ein ›Fall‹ oder ein ›Klient‹ für den Geschäftsmann ein ›Kunde‹, für den leitenden Angestellten ein ›Untergebener‹« (Parsons, 1973, S. 169). Berufliche Sozialbeziehungen unterscheiden sich von Verwandtschaftsbeziehungen nun durch ein Prinzip, welches es ermöglicht, »von der Person abzusehen« (Parsons, 1973, S. 169): »Maßstäbe und Kriterien, die nicht an eine besondere soziale Beziehung zu einer bestimmten Person gebunden sind, können als universalistisch, solche, die eben kraft einer derartigen Beziehung gelten, als partikular bezeichnet werden« (Parsons, 1973, S. 170).

Die Rationalität der Profession erfüllt die integrative gesellschaftliche Funktion der Werteverwirklichung. Das bedeutet nun aber nicht, dass dieser Typus »automatisch durch den Glauben an die Bedeutung dieser Funktionen gewährleistet« wird, »sondern ein komplexes Gleichgewicht verschiedener sozialer Kräfte zur Voraussetzung« (Parsons, 1973, S. 179) hat. Die Berufsstruktur steht nicht isoliert, sondern hängt »durch komplexe Wechselbeziehungen struktureller wie auch funktionaler Art mit anderen Teilen dieses sozialen Systems zusammen« (Parsons, 1973, S. 176). Die »Erhaltung des herrschenden Musters im beruflichen Bereich« bringt »zahlreiche harte Spannungen mit sich« (Parsons, 1973, S. 177). Parsons beschreibt Wertekonflikte am Beispiel des institutionellen Musters der Verwaltungshierarchien (1973, S. 177). Dass Individuen zugleich an funktional-spezifischen und funktional-diffusen Strukturen partizipieren, setzt sie antagonistischen Tendenzen und das berufliche Muster einem »unsicheren Gleichgewicht sozialer Kräfte« (Parsons, 1973, S. 179) aus. Das analytische Set an Mustervariablen beschreibt empirische Situationen nie ganz, kann aber »ein Licht auf wichtige Spannungen und Unbeständigkeiten des grösseren sozialen Systems werfen und damit Ansatzpunkte eines möglichen dynamischen Wandels aufzeigen« (Parsons, 1973, S. 179). Damit zeichnet sich der Übergang zur dritten Theorieversion, der systemtheoretische Perspektive, ab, die Professionen im AGIL-Schema als Treuhänder kognitiver Rationalität verortet.

1.3.2 Der interaktionistische Ansatz

Die interaktionistische Lesart rückt »die interaktionale Arbeitsbeziehung zwischen Professionsvertretern und Klienten wie auch die Analyse des professionellen Handelns mit seinen Unbestimmtheitsmomenten und Paradoxien« (Schützeichel, 2007, S. 559) in den Mittelpunkt. Das Augenmerk liegt auf der Arbeit an individuellen Personen, was die professionelle Arbeit als eine Form des People-Processing begründet (Mieg, 2006, S. 344). Der Begriff des People-Processing bezeichnet das ›Verändern‹ von Personen im Sinn einer Förderung und Unterstützung (Kurtz, 2005, S. 40). Das handlungstheoretische Konzept hat sich im Umfeld des symbolischen Interaktionismus und der Chicagoer Schule entwickelt (Kurtz, 2005, S. 40). Mit der Vorstellung, dass es innerhalb einer Profession »bedeutende Differenzen unter den professionellen Rolleninhabern gibt« (Kurtz, 2005, S. 40), setzt sich dieses Konzept von der strukturfunktionalistischen Lesart eines professionellen Komplexes ab. Die interaktionistisch orientierte Forschungsperspektive widmet sich mit zahlreichen Einzelfallstudien den Wandlungsprozessen »im Gefüge von Professionen« (Kurtz, 2005, S. 40) und erklärt diese aus dem (Aus-)Handeln der beteiligten Personen.

Für die analytische Beschreibung von Professionen als »keine starren Formationen, sondern wandelbare, gesellschaftlich produzierte Phänomene », greift Nittel (2000, S. 27) das Konzept License and Mandate von Hughes (1984, S. 287–292), einem Protagonisten der Chicagoer Schule, auf. Die Lizenz bezeichnet die gesellschaftliche Erlaubnis, das Mandat den gesellschaftlichen Auftrag von Berufen (Nittel, 2000, S. 29), wobei diese Kennzeichnungen nicht als »feste Größen«, sondern als »sich ständig veränderbare kulturelle Konstrukte« (Nittel, 2000, S. 29) verstanden werden wollen. Die Gesellschaft entscheidet als »letzte Instanz« darüber, »ob ein gesellschaftliches Problem einen Zentralwertbezug« hat und daher »in die Hände einer Profession« (Nittel, 2000, S. 29) übergeht. Die Gesellschaft ist dabei weder mit der Entscheidungsbefugnis staatlicher Instanzen noch mit der öffentlichen Meinung gleichzusetzen (Nittel, 2000, S. 29).

Kurtz benennt Abbott, der in der Tradition von Hughes die »Zuständigkeit (Jurisdiction) der einzelnen Professionen für bestimmte Aufgabengebiete« (2005, S. 41) auch auf die Bereiche Öffentlichkeit und Recht ausweitet. Sein »System of Professions« (1988) kann erklären, »warum viele Interaktionsbeziehungen über die Jahre hinweg stabil« (Kurtz, 2005, S. 41) bleiben. Eine zentralwertbezogene Funktion in der modernen Gesellschaft erhalten Professionen im Konzept von Abbott dadurch, dass ihnen von der Gesellschaft das Mandat übertragen wird, »über einen Eingriff in die Privatsphäre ihrer Mitglieder (Krankheit, Lernschwierigkeiten etc.) für die Öffentlichkeit obligatorische Deutungen bereitzustellen« (Kurtz, 2005, S. 41). Daraus erwachsene »Vorrechte und Kontrollchancen der Professionen« sowie »herrschaftslegitimierende Funktionen« (Kurtz, 2005, S. 42) nehmen machttheoretische Ansätze ins Visier.

1.3.3 Der machttheoretische Ansatz

Konflikt- und machttheoretische Perspektiven lenken den Blick auf die »Verfolgung rationaler Eigeninteressen« (Schützeichel, 2007, S. 558). Professionen sind aus dieser Sicht »wirtschaftlich-gesellschaftliche Machtträger«, die »bestimmte Berufsfelder kontrollieren« (Mieg, 2006, S. 344). Ursache von Professionalisierungsprozessen ist in dieser Lesart die Verfolgung monopolistischer Ziele (Kurtz, 2005, S. 43) und partikularer Interessen, dementsprechend stellen Professionen »ein fragiles Resultat von Interessenauseinandersetzungen und Interessenkollisionen« (Schützeichel, 2007, S. 558) oder das erfolgreiche Ergebnis »eines kollektiven Aufstiegs-Projekts von Mitgliedern der Mittelschicht« (Mieg, 2006, S. 344) dar. Professionalisierung als erfolgreicher »Weg zum Erwerb von sozialem Status« verweist auf mit »neuen, expertokratischen Klassen« (Schützeichel, 2007, S. 558) verbundene soziale Schließungsprozesse und thematisiert Fragen der Ungleichheit (Kurtz, 2005, S. 43–44). Mit der Institutionalisierung von Professionen etablieren sich eigene, wertgeladene Wissensordnungen, die eine Definitionsmacht über die zu bewältigenden Probleme ausüben: »Sie definieren sich weniger darüber, dass sie Probleme lösen können, sondern dass sie eine Kontrolle über die Problemdefinition verfügen« (Schützeichel, 2007, S. 558–559).

Machttheoretisch kann auch der bereits angesprochene Ansatz von Abbott gelesen werden, der die Konkurrenz »um die Zuständigkeit für gesellschaftlich relevante Aufgaben« (Mieg, 2006, S. 348) ins Feld führt. Medium im Wettbewerb der Professionen stellt das Expertenwissen dar und die Strategie zum Ausbau der Definitionsmacht die Definition von Standards (Mieg, 2006, S. 348). Dieser von Abbot als Abstraktion bezeichnete Vorgang tritt in zwei Formen auf: Die Reduktion bezeichnet die »inhaltliche Ausdünnung der Wissensbasis«, die Formalisierung die »Verwissenschaftlichung des betreffenden Bearbeitungswissens« (Mieg, 2006, S. 348). Die Herausbildung von Expertenrollen durch Abstraktion erschwert anderen Professionen den Zugriff auf eine Aufgabe (Mieg, 2006, S. 348). Mieg sieht reduktive Abstraktion bei Tätigkeitsdefinitionen im interprofessionellen Wettbewerb um Zuständigkeit am Werk, während Formalisierung für die Konkurrenz innerhalb der Berufsgruppen zum Tragen kommt (2006, S. 348). Er benennt drei Konsequenzen, die aus diesen Domänen- und Hegemoniespielen hervorgehen. Erstens lässt sich Professionalisierung in einem engen Sinn, verstanden als Entwicklung einer Berufsgruppe in Richtung einer privilegierten Profession, am Grad der sozialen Schließung mit der Frage erkennen: »Hat es eine Berufsgruppe geschafft, für diesen Bereich den interprofessionellen Wettbewerb durch Binnenwettbewerb innerhalb der Berufsgruppe zu ersetzen?« (Mieg, 2006, S. 348). Zweitens entsteht damit eine kognitive Professionssoziologie, die nicht nur die Konkurrenz von Tätigkeitsfeldern, sondern zugleich die Konkurrenz von Wissenssystemen untersucht (Mieg, 2006, S. 348). Drittens bedeutet Professionalisierung im weiten Sinn, verstanden als Übergang von Tätigkeiten zu bezahlter Arbeit mit spezifischen Qualitätsstandards, eine Kombination von Managementfertigkeiten und Fachwissen, die sich je nach Tätigkeitsfeld anders darstellt (Mieg, 2006, S. 348).

1.3.4 Der systemtheoretische Ansatz

Eine historische Betrachtung nimmt Stichweh (2013) als Vertreter der deutschen Professionssoziologie vor. Er diskutiert die Vorstellung von Professionen als besondere Art von Berufen im Zusammenhang mit der europäischen Gesellschafts- und Wissenschaftsgeschichte

(Stichweh, 2013, S. 317). Er positioniert sich zu Parsons Vorstellung eines ›professionellen Komplexes‹ oder zu Abbotts These eines ›Systems der Professionen‹ als Strukturmerkmale der modernen Gesellschaft (Stichweh, 1996, S. 49). Es ist für ihn »nicht leicht einzusehen« (Stichweh, 1996, S. 50), wie in einer funktional differenzierten Gesellschaft die autopoietischen, extrem heterogenen Teilsysteme durch ein Brückenprinzip Professionalität zusammengehalten werden. Dass »Organisationen in ihrem internen Prozessieren die Grenzen zwischen Professionen« auflösten, spreche eher für ein Brückenprinzip Organisation und erhärte den »Verdacht eines Bedeutungsverlusts der Professionen« (Stichweh, 1996, S. 50). Anders als Parsons, der den ›professionellen Komplex‹ als Schwellenproblem in der Entwicklung der Gesellschaft des 20. Jahrhunderts markiert, versteht Stichweh Professionen als »ein Phänomen des Übergangs von der ständischen Gesellschaft des alten Europa zur funktional differenzierten Gesellschaft der Moderne« (1996, S. 50, Hervorhebung weggelassen). Er weist ihnen eine gesellschaftsgeschichtliche Bedeutung zu (Stichweh, 1996, S. 50).

Frühmoderne Professionen waren akademische Berufe und identisch mit den höheren Fakultäten Theologie, Recht und Medizin der spätmittelterlichen und frühmodernen Universität (Stichweh, 2013, S. 317). Sie charakterisieren sich durch eine gewisse Autonomie gegenüber dem Staat, eine die Person verpflichtende Sachbindung an einen spezifischen Wissenskorpus. Sie sind zuständig dafür, ›sachfremde‹ Personen an die jeweilige Sachthematik heranzuführen und für eine Beteiligung an ihr zu berechtigen. Sie sind korporativ organisiert und wahren das Privileg der internen Kontrolle über Fragen der Berufsausübung (Stichweh, 2013, S. 317–318). Die Auszeichnung dieser Professionen als besondere Berufe begründet sich mit der herausgehobenen gesellschaftlichen Bedeutung der Sachthematiken wie dem Verhältnis des Menschen zu Gott (Theologie), zu anderen Menschen (Recht) und zum eigenen Körper (Medizin) (Stichweh, 2013, S. 318). In der vormodernen Gesellschaft bildeten Stände die Bezugssysteme der Professionen und damit zum Konzept der Ehre, so dass Professionen sich Legitimität durch standesanaloge Ehre wie einem tugendhaften Verhalten und sachthematische Kompetenz verschaffen mussten (Stichweh, 2013, S. 318).

Ausgehend von diesen besonderen Merkmalen bestimmter Berufe beschreibt Stichweh fundamentale Wandlungen im Übergang zur modernen Gesellschaft im 18. und 19. Jahrhundert. Funktionssysteme bilden nun die Umwelt von Professionen. Das moderne Wissenschaftssystem differenziert sich mit der Entstehung von Disziplinen und professionellen Handlungssystemen aus (Stichweh, 2013, S. 310–322). In der Folge bilden sich eine strukturfunktionale und eine interaktionistische Analyseperspektive als zwei divergente Traditionen soziologischen Denkens über Professionen heraus (Stichweh, 2013, S. 322). Vor dem Hintergrund ausdifferenzierter Funktionssysteme kommen Professionen in ihrer Beziehung zur gesellschaftlichen Umwelt in den Blick und – die Abgrenzung einer Professions- von einer Berufssoziologie wahrend – auch eine bestimmte Typik beruflichen Handelns (Stichweh, 2013, S. 323). Professionelle Handlungssysteme charakterisiert Stichweh als Inklusions-Variante, in der Verhältnisse zwischen Professionellen und Klienten mit dem Mechanismus der Vermittlung prozessiert werden. Er fragt erstens nach jenen Anteilen »im Handlungs- und Kommunikationsgeschehen eines Funktionssystems«, die durch professionelles Handeln abgedeckt werden. Zweitens untersucht er die »spezifischen Eigenschaften und Problemtypiken jener Funktionssysteme, in denen es sich für eine Profession als möglich erweist, eine Zentralstellung für bestimmte Handlungsvollzüge zu erlangen« (Stichweh, 2013, S. 323).

Mit dem Vergleich von Disziplinen und Professionen streicht Stichweh die »Begrenztheit von Professionalisierung als Lösungsmuster für spezifische Probleme in modernen Gesellschaften heraus« (2013, S. 245, Hervorhebung im Original). Die historische Skizze der Geschichte der Universität zeigt die Karriere der wissenschaftlichen Disziplin als Sozialsystem wissenschaftlicher Forschung und Kommunikation (Stichweh, 2013, S. 246). Deren »nahezu vollständige personale und wissensmäßige Herauslösung aus dem Verband vormoderner Professionen« (2013, S. 247) versteht Stichweh, anders als die Soziologie der Professionen, als Deprofessionalisierung der Wissenschaft. Im Werk Parsons sieht er eine interessante Version »dieser denkgeschichtlichen Fehllenkung«, insofern es kaum Ansätze zu einer »Analyse der Besonderheit des Sozialsystems der Wissenschaft« (Stichweh, 2013, S. 247) enthalte. Die Definition von Professionen als die auf Vertrauen beruhende Verantwortung für die kulturelle Tradition einer Gesellschaft beschreibe zwar »perfekt die integrierte Gelehrtenkultur des 18. Jahrhunderts«, berücksichtige aber nicht die Differenzierung wissenschaftlicher Disziplinen und professioneller Handlungssysteme (Stichweh, 2013, S. 247).

Als ursächlich für die Genese der modernen Gesellschaft erklärt Stichweh den Prozess der Destratifikation, in dem sich eine horizontale Ordnung von Funktionssystemen ausdifferenziert (2013, S. 256). Das Sozialsystem der Wissenschaft erreicht eine singuläre Autonomie im Gesellschaftssystem dadurch, dass es die hierarchisch strukturierte Diversität der Professionen im Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert auflöst (Stichweh, 2013, S. 257). An die Stelle von Professionen als gelehrte Korporationen in einer ständisch differenzierten Umwelt (Stichweh, 2013, S. 319) tritt eine Differenzbestimmung von Disziplinen und Professionen. Mit der Umstellung von Ständen auf Funktionssysteme wird erstens die funktionale Differenzierung auf Sachthemen zum wichtigsten Strukturbildungsprinzip der modernen Gesellschaft (Stichweh, 2013, S. 320). Professionen beziehen ihre normativen Leitbilder nicht mehr aus der ständischen Umwelt, sondern aus Funktionssystemen (Stichweh, 2013, S. 320). Die Generalzuständigkeit vormoderner Professionen für die Bearbeitung diffuser Probleme wandelt sich zu einer Redefinition derselben unter Gesichtspunkten professioneller Wissensbestände (Stichweh, 2013, S. 320). Professionen des 20. Jahrhunderts entwickeln damit analog zu Funktionssystemen Reduktionen auf eine Professional Purity (Abbott, 1981), die auch den inner- und interprofessionellen Status begründet (Stichweh, 2013, S. 320). Die Ausdifferenzierung des modernen Wissenschaftssystems führt zweitens dazu, dass Professionen ihre Zentralstellung im System der Gelehrsamkeit verlieren (Stichweh, 2013, S. 321). Ihr Verhältnis zum Wissen bestimmt sich nicht mehr durch die Vermittlung von Wissen im Modell der Lehrtätigkeit, sondern durch die Anwendung von Wissen unter Handlungszwang (Stichweh, 2013, S. 322). Aus dem Zusammenhang zwischen der Ausdifferenzierung von Funktionssystemen und dem damit einhergehenden Wandel, dass Professionelle mit der Applikation von Wissen befasst sind, bestimmt Stichweh Professionen als Berufsgruppen, die in ihrem beruflichen Handeln a) die Anwendungsprobleme der für ein Funktionssystem konstitutiven Wissensbestände verwalten und b) dies in monopolistischer oder dominanter Weise tun (2013, S. 322–323).

Von wissenschaftlichen Disziplinen unterscheiden sich Professionen durch ihren handlungsorientierten Klientenbezug (Stichweh, 2013, S. 258). Formen der Arbeitsteilung handhaben sie durch die Wahrung einer professionellen Kernrolle und durch die Herausbildung neuer Berufsgruppen (Stichweh, 2013, S. 258). Mit dem Aufstieg der Berufsidee verschiebt sich die Zuschreibung eines sozialen Status zu einer Zuschreibung eines Berufs, die als innere Berufung in der Selbstbeobachtung entdeckt wird (Stichweh, 1996, S. 51). Professionen sind insofern Berufe eines besonderen Typs, als sie »die Berufsidee reflexiv handhaben, also das Wissen und das Ethos eines Berufs bewusst kultivieren, kodifizieren, vertexten und damit in die Form einer akademischen Lehrbarkeit überführen« (Stichweh, 1996, S. 51). Professionszugehörigkeit entwickelt sich im Übergang von Ständen zu Berufsständen zum funktionalen Äquivalent von Stand und Eigentum (Stichweh, 1996, S. 51–52). Professionen begründen eine neue Form gesellschaftlicher Differenzierung dadurch, dass sie neben Handel und Grundbesitz treten und eine Sonderstellung durch eine Sachbindung an einen Wissenskorpus behaupten (Stichweh, 1996, S. 53). Die Professionssoziologie als entstehende wissenschaftliche Disziplin bestimmt diese Sonderstellung mit, indem sie dem Selbstinteresse der Geschäftswelt die Interesselosigkeit der Professionen gegenüberstellt (Stichweh, 1996, S. 55).

1.3.5 Der krisentheoretische Ansatz

In seiner »revidierten Theorie professionellen Handelns« stellt Oevermann Professionen als »eine besondere Kategorie« (1996, S. 70) dar. Er radikalisiert den von der klassischen Professionstheorie vertretenen Anspruch einer relativen Autonomie der Professionen und widersetzt sich damit ideologiekritischen Deutungen.Footnote 1 Der strukturtheoretische Ansatz bezieht die Legitimation für die Autonomie professionalisierten Handelns aus drei gesellschaftlichen Erfordernissen. Erstens hat sich professionalisiertes Handeln zur Vermittlung von Theorie und Praxis auf der Basis der wissenschaftlichen Rationalität als eigenständiger Ort ausdifferenziert (Oevermann, 1996, S. 80). Zweitens bearbeitet professionalisiertes Handeln die systematische Erzeugung des Neuen durch Krisenbewältigung (Oevermann, 1996, S. 82). Drittens unterscheidet sich die ausdrücklich methodisch geleitete Bearbeitung von Geltungsfragen von unternehmerischen, politischen und intellektuellen Praktiken.Footnote 2 Gegenüber diesen »charismatisierungsbedürftigen« (1996, S. 82) Innovationsorten kennzeichnet Oevermann professionalisiertes Handeln durch »die Nüchternheit des unvoreingenommenen Blickes« und die »unverzichtbare Wert-Ungebundenheit« (1996, S. 85).

Die Autonomie der Lebenspraxis bildet den Kern der revidierten Professionalisierungstheorie. Sie gründet auf der strukturalistischen Position der objektiven Hermeneutik, die davon ausgeht, dass der subjektiven Handlungsrationalität objektive Handlungsregeln zugrunde liegen (Oevermann, 1996, S. 72). Die konkrete Lebenspraxis bestimmt sich durch das Zusammenspiel von gesellschaftlichen Strukturgesetzlichkeiten und den faktischen Auswahlen aus Optionen, die durch objektive Handlungsregeln eröffnet werden (Oevermann, 1996, S. 72). Die Vorstellung der Fallstrukturgesetzlichkeit räumt der subjektiven Handlungsrationalität einen »kleinen Anteil« (Oevermann, 1996, S. 72) ein. Während aus lebenspraktischer Perspektive die Krise den Grenzfall und die entlastende Routine den Normalfall bilden, verhält es sich aus analytischer Sicht genau umgekehrt. Für den »strukturalistischen und pragmatistischen Analytiker der Lebenspraxis« (Oevermann, 1996, S. 75) ist die Krise der Normalfall, während Routinen als sich bewährende Lösungen aus Krisen hervorgehen (Oevermann, 1996, S. 75). Die Professionalisierungsbedürftigkeit von Tätigkeiten resultiert aus der »Notwendigkeit der Bewältigung von Krisen« und Professionen sind »explizit auf Krisen eingestellt« (Oevermann, 1997, S. 14).

Den Klientenbezug professionalisierter Tätigkeiten als Bestimmungsmerkmal der klassischen Professionstheorie ersetzt die strukturtheoretische Position durch je spezifische Praxisformen in drei Komplexen (Oevermann, 1997, S. 12). Zwei Problembereiche können in eine gesellschaftlich folgenreiche Geltungskrise gelangen und bedürfen daher einer Bearbeitung durch professionalisiertes Handeln: die Aufrechterhaltung und GewährleistungFootnote 3 des praktischen Konsenses über Recht und Gerechtigkeit sowie die Aufrechterhaltung und Gewährleistung von leiblicher und psychosozialer Integrität des einzelnen (Oevermann, 1996, S. 88). Beide Fokusse, die Wiederherstellung des geltenden Normensystems und die Wiederherstellung einer beschädigten Integrität, sind universell und gelten damit für jede denkbare Gesellschaft (Oevermann, 1996, S. 92). Im Zuge gesellschaftlicher Differenzierung und Rationalisierung differenziert sich die Leitidee der Wahrheit als dritter Fokus professionalisierten Handelns heraus und damit verbunden die methodisch geleitete Überprüfung von Geltungsfragen (Oevermann, 1996, S. 92). Oevermann spricht von der Ausbildung einer »eigenlogischen Sphäre der Macht des Geistes« (1996, S. 92), die in die Institutionalisierung des erfahrungswissenschaftlich Forschens und schließlich in die professionalisierte Ausbildung des wissenschaftlichen Handelns mündet (Oevermann, 1996, S. 93). Wissenschaftliches Handeln versteht er als Begründungsbasis für die Vorläufer der klassischen Professionen des Rechts, der Theologie und der Medizin (Oevermann, 1996, S. 94). Mit den Universitäten erhält der wissenschaftliche Diskurs schließlich einen institutionellen »Strukturort der Erkenntniskritik« (Oevermann, 1996, S. 94).

In jeder professionalisierten Praxis treffen alle drei Problembereiche zusammen, jedoch ist dabei einer der drei Fokusse dominant (Oevermann, 1996, S. 95). Im Mittelpunkt steht immer »die von Staat und Wirtschaft jeweils relativ unabhängige, auf Autonomie angewiesene, zugleich utopische wie praktisch-konkrete methodisch begründete Sicherung der Bedingung der Möglichkeit lebenspraktischer Autonomie« (Oevermann, 1997, S. 11). Professionalisierte Tätigkeiten operieren in einer paradoxalen Struktur, die sich nicht aufheben lässt. Das Grundtheorem kennzeichnet Oevermann als »widersprüchliche Einheit von spezifischen, rollenförmigen und diffusen, den ganzen Menschen umfassende Beziehungsformen« (1997, S. 15).Footnote 4 Professionsvertreterinnen und -vertreter vermitteln dabei in der widersprüchlichen Einheit von Theorie und Praxis. Theorie bezeichnet die »methodische Begründung und rollenförmige Kanonisierung« von Wissensbeständen und Praxis die krisenbezogene »Beteiligung des ganzen Menschen« (Oevermann, 1997, S. 15).

Auch Gemeinschaft und Gesellschaft stehen in einem dialektischen Verhältnis und bilden eine widersprüchliche Einheit. Mit der grundlegenden Unterscheidung zwischen diffusen und spezifischen Sozialbeziehungen versteht Oevermann Gemeinschaft als Kollektiv von ganzen Personen und Gesellschaft als Kollektiv von Rollenträgern und Vertragspartnern (2002, S. 40). Damit stehen Gemeinschaft und Gesellschaft nicht gleichranging nebeneinander: »Nicht Gemeinschaft ist eine Abstraktion oder ein Nebenprodukt von Gesellschaft, sondern Gesellschaft ist eine Abstraktion von Gemeinschaft« (Oevermann, 2002, S. 41).Footnote 5 Oevermann sieht in der Gemeinwohlbindung das Ergebnis der Vergemeinschaftung, die sich ihrerseits durch einen minimalen Konsens konstituiert. Ein gemeinschaftlich gelebter Ordnungsentwurf stellt Solidarität her, indem er die partikularen Interessen des einzelnen respektiert. Erst auf diesem Fundament »kann es dann zu jenen zuverlässig eingehaltenen Verträgen und zu jenem Vertragshandeln kommen, die im Kern die bürgerliche Gesellschaft ausmachen« (Oevermann, 1996, S. 88–90). Beziehungen »zwischen ganzen Menschen« erklärt Oevermann »zur fundierenden Grundlage von Gesellschaftlichkeit« (1996, S. 111–112). Er versteht darunter die »elementare, rollenfreie Sozialität« (Oevermann, 1996, S. 112) von der sich die rollenförmigen Handlungssysteme ableiten. Das Handeln einer ganzen Person findet entsprechend auf zwei verschiedenen Strukturebenen statt: »zum einen innerhalb des sozialisatorischen Interaktionssystems, also in der Regel in der Familie, zum anderen in der Vergemeinschaftung, die das für ihn verbindliche Rechtssystem konstituiert, also in der Regel im Staat als Staatsbürger« (Oevermann, 1996, S. 112).

1.4 Herausforderungen für Professionen

Mieg sieht Professionen im Kontext der Wissensgesellschaft einem Bedeutungszuwachs, aber auch Herausforderungen gegenüber. Er benennt eine wirtschaftliche und politische Dimension. Eine wissensbasierte Wirtschaft bezieht ihre Wertschöpfung aus der Produktion, Kommunikation und Reproduktion von Wissen (Mieg, 2016, S. 37). Die Lissabon-Strategie gibt aus politischer Sicht die Richtung einer modernen Informationsgesellschaft mit Investitionen in die Ausbildung und die Antidiskriminierungspolitik vor (Mieg, 2016, S. 37). Professionen bilden neben Wirtschaft und Staat eine dritte Organisationslogik. Mieg will sie im Zusammenhang mit gesellschaftlichen Problemen und Problemdefinitionen verstanden wissen (2016). Im Feld verschiedener Berufe ringen sie um Problembearbeitungszuständigkeiten und Definitionsmonopole (Mieg, 2016). Veränderte Bedingungen der Professionalisierung in der Wissensgesellschaft benennt er mit Bezug auf zentrale Merkmale von Professionen. Die professionelle Identität erlangt gerade unter den Bedingungen einer zunehmenden Liberalisierung und Flexibilisierung der Arbeitsverhältnisse sowie der Globalisierung des Wissens ein neues Gewicht. Der professionellen Autonomie steht eine Demokratisierung der Leistungsbewertung nach Kundengesichtspunkten gegenüber (Mieg, 2016, S. 38). Als gesellschaftlich relevanten Problembereich bestimmt Mieg die Spannungslage zwischen einem Spezialisierungsdruck und einem Druck zur integrativen Nutzung von Wissen (2016, S. 38). Gesellschaftliche Zentralwerte einer Wissensgesellschaft sind Innovation und Bildung. Diese verschaffen auch abstrakten Wertsetzungen wie der Nachhaltigkeit gesellschaftliche Geltung (Mieg, 2016, S. 38). In einer Wissensgesellschaft kommt es zu einer Ausweitung an akademisierter Bildung (Mieg, 2016, S. 38). Die Konkurrenz unter Professionen erfordert neben der Einrichtung akademischer Ausbildungsgänge aber zusätzlich einen »Minimalbestand an spezifischer, hochschulgestützter Forschung« (Mieg, 2016, S. 38), die Zuarbeit für Professionen leistet. Relevant bleibt auch die Organisierbarkeit von Professionellen, die erst als Berufsverband wirtschaftsregulierend auftreten können (Mieg, 2016, S. 38). Die europäische Harmonisierung führt zu einer Aufwertung organisierter Berufsverbände als Ansprechpartner der EU-Kommission, aber auch zu einer Zunahme der Regelungsdichte (Mieg, 2016, S. 38).

2 Professionelle und Klienten

Mit Blick auf die mit Lernen vor Ort formulierte Anforderung der Vermittlung von System- und Sozialintegration, gehe ich nun auf das Verhältnis von Profession, Professionalisierung und Professionalität zur Biographie ein. Nittel und Seltrecht verbinden die drei Leitkategorien mit unterschiedlichen »Aggregatebenen des Sozialen« (2016, S. 139). Profession verstehen sie als Strukturkategorie, welche die makrostrukturelle Ebene der gesellschaftlichen Arbeitsteilung betrifft. Ins Zentrum rückt damit das Verhältnis von Leistungs- und Komplementärrollen in einem Interaktionskontext. Professionalisierung stellt eine Prozesskategorie dar. Die Inszenierung von Gemeinwohlorientierung lese ich als Variante eines kollektiven oder individuellen Prozesses der Verberuflichung. Professionalität als Handlungskategorie verweist auf konkrete handlungsspezifische Bedingungen der Fallbearbeitung. Struktur- und handlungstheoretische Ansätze rekonstruieren »die innere Logik professionellen (pädagogischen) Handelns« (Schmidt, 2008, S. 838, Hervorhebung weggelassen).

2.1 Professionalisierung als Struktur-, Prozess- und Handlungskategorie

Professionen verwalten ein klar umrissenes Wissenssystem und geben als Gefüge akademischer Berufe Auskunft über die funktionale und moralische Arbeitsteilung einer Gesellschaft (Nittel & Seltrecht, 2016, S. 139–140). Sie wenden die Berufsidee reflexiv und zielen auf den Strukturaufbau, die Strukturerhaltung und Strukturveränderung von Identitäten (Nittel & Seltrecht, 2016, S. 140). Mit der gesellschaftlichen Zuschreibung von Exklusivität und Alleinstellung von Professionen korrespondiert die Erwartung einer moralisch konnotierten Berufswahl. In modernen Dienstleistung- und Wissensgesellschaften zieht diese »Erwartungsstruktur der biographischen Situiertheit der Berufswahlentscheidung« (Nittel & Seltrecht, 2016, S. 140) Rechtfertigungsmuster nach sich. Nittel und Seltrecht lesen den Begründungszwang für andere Motivlagen als Beleg für die unangefochtene Unterstellung einer wertorientierten Motivstruktur (2016, S. 140).

Professionalisierung bezieht sich auf Prozesse der Identitäts-Veränderung in der Zeit, in der sich Akteure berufliche Rollen und Habitusmuster aneignen (Nittel & Seltrecht, 2016, S. 140). Die gesellschaftliche Lizenz für die Erlangung eines Berufs geht mit einer langwierigen wissenschaftsorientierten Ausbildung einher, die einen »bedeutenden Anteil Lebenszeit absorbiert« (Nittel & Seltrecht, 2016, S. 140). In diesem Verlauf verschmelzen individuelle Motivlagen mit externen Erwartungen (Nittel & Seltrecht, 2016, S. 140). Das Commitment und die Wertorientierung von Professionellen gehen mit einem hohen Maß an Eigeninitiative und Selbstverantwortung einher (Nittel & Seltrecht, 2016, S. 140). Die Orientierung an individuellen und kollektiven Fällen begründet das beruflich lebenslange Lernen auf der Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse (Nittel & Seltrecht, 2016, S. 142).

Professionalität bezieht sich wie Professionalisierung unabhängig von der sozialen Form Profession auf »die besondere Qualität und Ausprägung einer personenbezogenen Dienstleistung« (Nittel & Seltrecht, 2016, S. 142). Professionalität ist ein flüchtiger Zustand, der interaktiv hergestellt und aufrechterhalten werden muss (Nittel & Seltrecht, 2016, S. 142). Zentral für diese Perspektive sind die bereits angesprochene widersprüchliche Einheit von spezifischen und diffusen Handlungsanteilen und damit verbundene widersprüchliche Phänomene. Für die Bearbeitung von Folgeproblemen, die aus der interaktiven Erzeugung von Professionalität erwachsen, haben sich »Orte der beruflichen Selbstreflexion und Selbstkontrolle« (Nittel & Seltrecht, 2016, S. 143) etabliert. Die Aufdeckung lebensgeschichtlich begründeter Fehlerquellen in erkenntnisgenerierenden Verfahren der Supervision zielen auf eine gesteigerte Reflexivität (Nittel & Seltrecht, 2016, S. 143).

2.2 Professionalisierung als Verhältnis von Leistungs- und Komplementärrollen

Um das Verhältnis zwischen der Strukturkategorie Profession und Biographie zu beleuchten, ziehe ich die systemtheoretische Perspektive heran. Sie unterscheidet Leistungs- und Publikumsrollen. Eine Zentralstellung entwickeln Professionen nur in jenen Funktionssystemen, die eine spezifische Problemtypik, nämlich eine Nähe zu Problemen von Personen, entfalten (Stichweh, 2013, S. 325). Diesen Zusammenhang erklärt Stichweh mit den Konzepten der Rollendifferenzierung und der Inklusion. Mit der Ausdifferenzierung von Funktionssystemen entstehen spezialisierte Berufsrollen, die in einer strategischen Stellung die Tätigkeit anderer Berufe im System kontrollierenFootnote 6 und darüber hinaus einen Wissenskorpus verwalten (Stichweh, 1996, S. 61). Parallel dazu entwickeln sich Komplementärrollen, die allen Gesellschaftsmitgliedern die Teilhabe an Leistungen der Funktionsrollen ermöglichen. Diese als Inklusion bezeichnete Partizipation am Systemprozess sichert die gesellschaftsweite Relevanz spezialisierter Rollen (Stichweh, 2013, S. 324). Professionalisierung bedeutet in differenzierungstheoretischer Lesart »ein bestimmtes Verhältnis der Funktionsrollen zu den für komplementäre Partizipation vorgesehenen Rollen« (Stichweh, 2013, S. 324). Professionalisierung stellt somit eine Inklusions-Variante neben vielen dar und ist in jenen Funktionssystemen gegeben, die die Komplementärrolle in einen Klienten- beziehungsweise Laienstatus transformieren (Stichweh, 2013, S. 324). Inklusion vollzieht sich durch Interaktion zwischen Funktions- und Komplementärrollen und meint damit »Interaktion unter Anwesenden« (Stichweh, 2013, S. 325). Interaktionsabhängigkeit begründet sich mit der Problemtypik von Funktionssystemen, insofern diese mit Problemen von Personen befasst sind (Stichweh, 2013, S. 325). Die Problemtypik im Sinn von Problemen der personalen Umwelt des Gesellschaftssystems treibt ihrerseits die Differenzierung von Professionellen-Klienten-Beziehungen voran (Stichweh, 2013, S. 325). Interaktion vermittelt zwischen Wissenszusammenhängen von Funktionssystemen und »Problemen der Strukturänderung, des Strukturaufbaus und der Identitätserhaltung von Personen« (Stichweh, 2013, S. 326, Hervorhebung weggelassen). Die handlungsorientierte und interpretative Vermittlung über Formen eines technischen Vollzugs hinaus ist zentral für die Aufgabe der Personveränderung (Stichweh, 2013, S. 326). Das Konzept der Vermittlung bezieht sich auf die Dreistelligkeit der Professionellen-Klienten-Beziehung, in der die intermediäre Position des Professionellen das Verhältnis zwischen einer Sachthematik und dem Klienten und damit die »Repräsentation einer autonomen Sinnperspektive« (Stichweh, 2013, S. 327) markiert. Wissensvermittlung versteht sich als Applikation von Wissen (Stichweh, 1996, S. 61–62) und impliziert, dass »das Wissenssystem in irgendeinem Sinn dogmatisiert ist, da anders eine hinreichende Stabilität des Wissens als Handlungsgrundlage nicht erreichbar ist« (Stichweh, 1996, S. 62, Hervorhebung weggelassen).

2.3 Inszenierung von Gemeinwohlorientierung

Um das Verhältnis zwischen der Prozesskategorie Professionalisierung und Biographie zu beleuchten, ziehe ich die inszenierungstheoretische Perspektive heran. Sie lenkt die Aufmerksamkeit auf die diskursive »Konstruktion von Professionalität und professionalen Beziehungen« (Schützeichel, 2007, S. 559). Professionalisierung ist die Kompetenz, Probleme so zu definieren, dass sie zu einer Lösung passen, die Professionelle ohnehin bereithalten (Pfadenhauer, 2016, S. 40). Dieses Verständnis wendet Pfadenhauer auch auf das für gesellschaftliche Integration zentrale Konzept der Gemeinwohlorientierung an. Die professionelle Leistung besteht in der individuellen oder kollektiven Definitionsleistung für die Gemeinwohlidee (Pfadenhauer, 2016, S. 41). Das Gemeinwohl stellt nicht nur für Professionen eine unverzichtbare Legitimationsressource dar, sondern bildet den Bezugspunkt in Aushandlungsprozessen zwischen Wirtschaftsverbänden, Arbeitgeberorganisationen und Gewerkschaften (Pfadenhauer, 2016, S. 41). Professionelle Standesvertretungen weist Pfadenhauer aber eine »dramaturgische Schlüsselrolle in Bezug auf das Management von Eindrucks- und Imagebildung« (2016, S. 41) zu. Als Träger »zeremonieller Rollen« (Pfadenhauer, 2016, S. 42) betreiben sie aktives Agenda-Setting und kümmern sich so um den Eindruck einer Profession in der Öffentlichkeit.

Die Facetten der Gemeinwohlorientierung arbeitet Pfadenhauer unter Rückgriff auf prominente professionstheoretische Ansätze heraus. Aus strukturfunktionalistischer Sicht liegt Uneigennützigkeit im Interesse von Professionen. Sie bildet den Nexus im Professionellen-Klienten-Verhältnis, indem sie das Vertrauen des Laien ermöglicht. Ein Vertrauensverhältnis ist unabdingbar, um den Klienten zur Rollen- und Aufgabenerfüllung zu befähigen und darüber hinaus die Bindung an gesellschaftliche Wertvorstellungen wiederherzustellen: »Der Professionelle handelt also mit Zustimmung und Unterstützung des Klienten im Interesse der Allgemeinheit. In diesem Sinne ist professionelles Handeln am Gemeinwohl orientiert« (Pfadenhauer, 2016, S. 42–43). Machtkritische Ansätze stellen die professionelle Gemeinwohlorientierung dezidiert in Abrede. Professionalisierung wird im Zuge eines Aufstiegsprojekts der Mittelschicht als Konkurrenz um das Deutungsmonopol diskutiert. Die Gemeinwohlorientierung Professioneller erscheint als Strategie der Außendarstellung, um jegliche Form der Fremdkontrolle abzuwehren, und als eine »kollektive ideologische Selbstüberhöhung« (Pfadenhauer, 2016, S. 45–46). Das revidierte strukturtheoretische Professionsmodell geht von einer »unhintergehbaren ›Strukturlogik professionalisierten Handelns‹« aus (Pfadenhauer, 2016, S. 43). Gesundheit, Gerechtigkeit und Wahrheit bilden universelle, dem Subjekt vorgelagerte Werte, die den therapeutischen, rechtspflegerischen sowie den wissenschaftlichen und künstlerischen Komplex begründen (Pfadenhauer, 2016, S. 44). Die Gemeinwohlorientierung professionalisierten Handelns besteht nun darin, dass es diese zentralen Werte wahrt und fördert, wenn sie in die Krise geraten sind (Pfadenhauer, 2016, S. 44). Die Pattern Variables beschreiben die paradoxale Struktur professionalisierten Handelns, welches divergente Handlungsanforderungen auszutarieren hat (Pfadenhauer, 2016, S. 45). Professionsvertreter müssen die Beherrschung dieser paradoxalen Struktur in ihrer beruflichen Sozialisation einüben und zur Habitusformation stabilisieren (Pfadenhauer, 2016, S. 45). Unabhängig davon, ob Professionelle in ihrem Selbstverständnis auf das Gemeinwohl rekurrieren oder nicht, ist es von der Strukturebene her und als materiales Gebot der Sache dem Handeln aufgezwungen: »Gemeinwohlorientierung gilt als konstitutiv für professionalisiertes Handeln« (Pfadenhauer, 2016, S. 46).

Vor dem Hintergrund dieser widersprüchlichen Positionen zur Gemeinwohlorientierung weist Pfadenhauer nun auf das Erkenntnisproblem hin, dass diese Deutungen »weniger aus divergenten empirischen Daten als aus den jeweiligen theoretischen Vorannahmen bei der Interpretation der Daten« (2016, S. 47) erwachsen. Das Gemeinsame dieser Selbstbilder der Professionsforschung auf den Gegenstand der Gemeinwohlorientierung sieht sie darin, dass alle Konzeptionen für ihr Handeln eine Gemeinwohlorientierung reklamieren. Diesen Anspruch kennzeichnet sie als Inszenierung von Gemeinwohlorientierung. Methodologisch folgert sie daraus, dass »empirische Daten aller Art nicht als Rekonstruktion von tatsächlichen Sachverhalten, sondern eben als tatsächliche Rekonstruktion von Sachverhalten zu interpretieren sind: als Daten also, die einen Sachverhalt situativ darstellen, und nicht als Daten über den Sachverhalt selber« (Pfadenhauer, 2016, S. 47).

2.4 Antinomien und Paradoxien im professionellen Handeln

Um das Verhältnis zwischen der Handlungskategorie Professionalität und Biographie zu beleuchten, skizziere ich zunächst generelle Spannungsverhältnisse entlang der professionstheoretischen Ansätze und vertiefe anschließend jene der pädagogischen Professionalität aus interaktionistischer und strukturtheoretischer Sicht. Professionelles Handeln bestimmt sich durch eine besondere Handlungslogik, weil es spezifischen Anforderungsbedingungen unterworfen ist (Schmidt, 2008, S. 843). Alle professionstheoretischen Zugänge thematisieren die Handlungskategorie der Professionalität mit grundlegenden Spannungen.

Der strukturfunktionalistische Ansatz von Parsons bietet mit den Mustervariablen ein Schema allgemeiner Handlungsorientierungen an (Schmidt, 2008, S. 844). Professionalität grenzt sich demgemäß von marktförmig-wirtschaftlichen, administrativ-bürokratischen und alltäglich-lebensweltlichen Handlungsformen durch eine höherstufig-universelle Solidarität ab (Schmidt, 2008, S. 845). Schmidt veranschaulicht den Professionstyp entlang der Variablen-Paare mit einer spezifischen Handlungsorientierung sowie mit Beispielen zum Handlungstypus und zur Interaktionsform. Professionelles Handeln vermittelt zwischen Diffusität und Spezifität. Es integriert damit eine die ganze Person betreffende mit einer rollenförmigen, aspekthaften Handlungsorientierung. Die Vermittlung zwischen Partikularismus und Universalismus erfordert eine Balance zwischen Anforderungsstrukturen, die sich aus gruppenspezifischen und gesamtgesellschaftlichen Normen ergeben. Die Dimensionen der Kollektiv- und Selbstorientierung gebieten die Berücksichtigung allgemeiner und individueller Interessen. Zwischen den Polen der Affektivität und affektiver Neutralität liegt der Raum zur Vermittlung zwischen emotionaler Involviertheit und Distanziertheit mit versachlichten Beziehungsformen. Eine Orientierung an Zuschreibung und Leistung vermittelt zwischen askriptiven und erworbenen Statusmerkmalen (Schmidt, 2008, S. 844–845). Machttheoretische Ansätze richten laut Helsper das Augenmerk auf »gesellschaftliche Macht-, Herrschafts- und Kontrollzusammenhänge« und weniger auf die »innere Strukturlogik oder die mikrosoziale interaktive Ausgestaltung professionellen Handelns« (2016, S. 53). Ambivalenzen vermutet er dennoch gerade mit Blick auf die inszenierungstheoretische Perspektive von Pfadenhauer. Aus der Vorstellung, dass Professionelle strategisch den Fall unter ihre Lösung subsumieren, folgert er »ständige Verknotungen, Verstrickungen und Irritationen in den Professionellen-Klient-Interaktionen« (Helsper, 2016, S. 53).

Die systemtheoretische Perspektive nimmt Paradoxien auf zwei Ebenen in den Blick. Die Ebene des professionellen Operierens ist durch die Intransparenz des Verstehens gekennzeichnet (Helsper, 2016, S. 52). Die wechselseitige Indifferenz zwischen der am Code ›nicht-vermittelbar‹ orientierten pädagogischen Systembildung und der am Code ›vermittelbar‹ orientierten Aneignung (vgl. Abschnitt 3.1) begründet die Ungewissheit als Strukturelement professionellen Handelns (Helsper, 2016, S. 52). Daraus resultieren »grundlegende Paradoxien« (Helsper, 2016, S. 52). Paradoxien können auch auf der Ebene der Beobachtung professioneller Operationen in Interaktionen in den Blick kommen, als »Beobachtung der innersystemischen Wiederkehr des Ausgeschlossenen« (Helsper, 2016, S. 53).

Der krisentheoretische Ansatz von Oevermann knüpft an die Mustervariablen an. Der Vermittlungscharakter kommt mit der Bezeichnung der widersprüchlichen Einheiten zum Ausdruck. Die systematische Erzeugung des Neuen durch Krisenlösung bringt die widersprüchliche Einheit zwischen ganzer Person und Rollenförmigkeit und damit zwischen diffuser und spezifischer Sozialbeziehung hervor (Oevermann, 1996, S. 71–87). Die drei funktionalen Fokusse professionalisierten Handelns beziehen sich auf die widersprüchliche Einheit von Individuum und Gesellschaft beziehungsweise von Gemeinschaft und Gesellschaft (Oevermann, 1996, S. 88–95). Für jeden Fokus differenziert Oevermann weitere widersprüchliche Einheiten heraus.

2.4.1 Pädagogische Professionalität aus interaktionistischer Sicht

Interaktionistische Ansätze heben »die fragile und störanfällige Situierung des professionellen Handelns und seine grundsätzliche Anfälligkeit für paradoxe Verstrickungen« (Helsper, 2016, S. 51) hervor. Schütze beschreibt »unaufhebbare paradoxe Problembündelungen«, die auf »divergierenden Orientierungstendenzen bei der Bewältigung von Klientenproblemen beruhen« (2000, S. 49). Paradoxien professionellen Handelns erwachsen aus »unaufhebbaren Kernproblemen« (Schütze, 2000, S. 50), die Potenziale für »schwerwiegende Orientierungsdilemmata« bergen. Diese Orientierungsdilemmata sind grundsätzlich nicht zu vermeiden und »eine ständige Quelle des normalen, beherrschbaren professionellen Chaos« (Schütze, 2000, S. 51). Wenn diese »unaufhebbaren Sinnwiderstreitigkeiten« nicht bewusst ausgehalten, sondern einseitig aufgelöst werden, entstehen daraus »systematische Fehlertendenzen« (Schütze, 2000, S. 51). Während Paradoxien grundsätzlich nicht vermeidbar sind, lassen sich systematische Fehler durch professionelle Umsicht bearbeiten (Schütze, 2000, S. 52). Im Vollzug des professionellen Handelns gibt es jedoch »eine ganze Serie von hartnäckig-unaufhebbaren Dauerproblemen« (Schütze, 2000, S. 57) zu bearbeiten. »Selbstverständliche Ärgernisse« sind die »unvermeidlichen Kosten des professionellen Handelns« (Schütze, 2000, S. 57). Sie gehen auf drei Problemkontexte zurück.

Erstens kennzeichnet sich das Professionellen-Klienten-Verhältnis durch spezifische Handlungsschemas. Diese werden insbesondere dann enaktiert, wenn Schwierigkeiten im Arbeitsvollzug auftreten. Widerstreitende Impulse gehen von konstitutiven Arbeitsaufgaben im Arbeitsbogen aus. Professionelle und Klienten müssen sich mit Fragen der Informationsbeschaffung, der Planungsarbeit, der Kontrollevaluationen, der Arbeitsteilung, der sequenziellen Anordnung der einzelnen Arbeitsschritte, der Beziehungsarbeit und den biographischen Veränderungen des Klienten befassen. All diese Arbeitstypen konstituieren paradoxale Impulspaare. Zu vermitteln gilt es zwischen einer fokussierten und einer weitschweifenden und zwischen einer vorkategorisierend und interpretativ einzigartigen Informationsbeschaffung. Die Planungsarbeit erfordert die Balance zwischen einem vorfantasierend-imaginierenden und einem gegenwärtig-iterativen Vorgehen. Zu entscheiden ist, ob fortlaufend Kontrollevaluationen vorzunehmen sind oder ob es kontrollfreie Entfaltungsphasen geben soll. Die Arbeitsteilung spannt ein Feld für Entscheidungen zwischen einem monologisch-steuernden und einem interaktiv-aushandelnden sowie zwischen einem detaillierten und einem flexiblen Vorgehen auf. Die einzelnen Arbeitsschritte vollziehen sich zwischen einer vorab-determinierenden oder zukunftsorientiert-offenen Anordnung. Bei der Beziehungsarbeit sind Abwägungen zu treffen, die zwischen Orientierungen an Authentizität und Harmonie vermitteln. Veränderungen des Klienten sind zwischen den Polen einer normierenden und einer offenen Herangehensweise bearbeitbar (Schütze, 2000, S. 58–60).

Zweitens hat sich professionelles Handeln an unabdingbaren Ordnungsstrukturen abzuarbeiten. Diese Ordnungsstrukturen bezeichnet Schütze als konstitutive soziale Rahmen, die soziale Prozesse in der Professionellen-Klienten-Beziehung orientieren. Die Akteure tragen je eigene Sinnschöpfungen in die Interaktionssituation hinein, aus denen tiefgreifende Unvereinbarkeiten und systematische Irritationen resultieren. Alltagsweltliche Orientierungen der Klienten treffen mit wissenschaftsorientierten Sinnwelten der Professionellen zusammen, die Schütze als höhersymbolisch bezeichnet. Um Sinnübereinstimmung herzustellen, müssen sich die Beteiligten wechselseitig eine verlässliche Vertrauensbasis unterstellen. Professionelle haben es mit Fallproblematiken zu tun, deren Ursachen verdeckt sind. Sie greifen daher auf Kategorien und Analyseverfahren der höhersymbolischen Sinnwelt zurück, die den Klienten nicht aufzeigbar sind. Professionelles Handeln hat schließlich Anforderungsunvereinbarkeiten auszuhalten und muss zwischen abstrakt-schematisierten und fallspezifisch-flexiblen Bearbeitungsverfahren vermitteln (Schütze, 2000, S. 60–62).

Drittens benennt Schütze eine Diskrepanz zwischen der »professionellen Handlungslogik und der Logik von ProzessstrukturenFootnote 7« (Schütze, 2000, S. 65). Professionelles Handeln hat die Funktion, »Problemkonstellationen und Gestaltungsaufgaben zu bearbeiten« (Schütze, 2000, S. 62). Diese betreffen Projekte oder Fallentfaltungen, die einer je eigenen »Steuerungslinie von Veränderungen und Aktivitäten« (Schütze, 2000, S. 63) folgen. Professionelle müssen nun ihre eigenen Steuerungsmuster mit »Prozessstrukturen der Projekt- bzw. Fallentfaltung in der Lebenssphäre der Klienten« (Schütze, 2000, S. 63) abgleichen. Paradoxien entstehen aus »hartnäckig konkurrierenden Inkompatibilitäten« (Schütze, 2000, S. 65).

Diese Kernprobleme sind unaufhebbar und generieren »dilemmatische Anforderungen, die nicht grundsätzlich gelöst, sondern nur projekt-, fall-, situations- und biographiespezifisch umsichtig im Sinne von Gratwanderungen bearbeitet werden können« (Schütze, 2000, S. 65). Die Kernprobleme und die damit verbundenen systematischen Fehler sind »als tiefsitzende Handlungserschwernisse wirksam« (Schütze, 2000, S. 66). Werden sie in ihrem unauflösbaren paradoxalen Charakter nicht erkannt, generieren sie »fehlerhafte Umgehungs- und Verschleierungsstrategien« mit »Fallencharakter« (Schütze, 2000, S. 67). Kernprobleme greifen ineinander und bilden gestalthafte thematische Bündelungen heraus. Eine zentrale Bündelung stellt die Paradoxienfiguration des pädagogischen Grunddilemmas dar. Schütze bezeichnet damit das Grunddilemma des exemplarischen Vormachens, so dass die »Handlungs- und Bearbeitungskompetenzen« (2000, S. 71) von Klienten erhalten bleiben. Der Ermutigung dazu, Problembearbeitungen »selber in die Hand zu nehmen« (Schütze, 2000, S. 76), steht die Tendenz gegenüber, »Lern- und Wandlungschancen und -impulse der Klienten zu übersehen, zu missachten, zu desavouieren und zu untergraben« (Schütze, 2000, S. 75).

Vier Phasen kennzeichnen einen Strukturierungsprozess, der im Zuge der Bearbeitung komplexer Aufgabenstellungen eine »eigene komplexe Prozessgestalt« (Schütze, 2000, S. 85) ausbildet. Dieser Prozessgestalt weist Schütze ein »virtuelles Potential« zu, welches erst dann voll realisiert wird, »wenn das professionelle Handeln auf hartnäckige und langfristige Schwierigkeiten in der Klientensphäre stößt und in seinen komplexen Aktivitätsvollzügen explizit ausgearbeitet wird« (2000, S. 86). Die Prozessgestalt bezeichnet Schütze als retrograd, weil sich das professionelle Handeln in der Verstrickung mit der Klientensphäre »auf sich selber in mehreren, sich partiell zyklisch wiederholenden Steuerungsschleifen zurückwendet« (Schütze, 2000, S. 87). Innerhalb dieser Phasen kommen Paradoxienfigurationen zum Tragen. Die erste Phase der Problem- und Zielorientierung des professionellen Handelns ist mit der Analyse des Problembestands und der Prognose über die Fall- und Projektentfaltung befasst. Hier ist zwischen geduldigem Zuwarten und sofortigen Interventionen abzuwägen. Eine Vertrauensgrundlage ist auf der Basis eines Wissensgefälles zu schaffen. In Widerstreit geraten lebensweltliche und höhersymbolische Sinnorientierungen. Auch steht der interaktiven Vertrauensbasis die Eingrenzung der Entscheidungsfreiheit der Klienten gegenüber (Schütze, 2000, S. 78). Die zweite Phase des Aufbaus einer komplexen Arbeitsbogenstruktur beinhaltet die umsichtige Berücksichtigung der lebensgeschichtlichen Komplexität der Klientensphäre vor dem Hintergrund, dass nun auch »komplexe Mittel der Organisation, der gewohnheitsmäßig-musterhaften Routineverfahren der Problembearbeitung, sowie der Arbeitsaufteilung und -artikulation genutzt werden« (Schütze, 2000, S. 81). Hier greift das pädagogische Grunddilemma. Die dritte Phase der gesellschaftlichen Einbettung des professionellen Handelns hat sich der »Übermacht des Verlaufskurvenpotenzials« und zugleich den »hohen gesellschaftlichen Kosten« (Schütze, 2000, S. 79) bei geringen Erfolgsaussichten zu stellen: »Organisation als erleichterndes Instrument der professionellen Arbeit« (Schütze, 2000, S. 79) ist gegen eine einseitige Ausrichtung an Effektivitätskriterien abzuwägen. Die Entscheidungsfreiheit der Klienten gerät durch eine zunehmende Arbeitsteilung und Expertenspezialisierung unter Druck. Die Kehrseite von Routineverfahren ist die »Einschränkung der professionellen Handlungsaufmerksamkeit« (Schütze, 2000, S. 79). Entfaltungsmöglichkeiten der Klienten können durch »hoheitsstaatliche Gemeinschaftsaufgaben« (Schütze, 2000, S. 79) in den Hintergrund treten. Hinzu tritt das Adressatendilemma, in dem Professionelle den Fokus auf einzelne Klienten und zugleich auf das gesamte Beziehungsgeflecht richten müssen. Die vierte Phase des Bewusstmachens des eigenen Anteils der Professionellen am Strukturierungsprozess bedarf einer gesteigerten Bezugnahme auf höhersymbolisches Wissen. Im Fokus steht die Gefahr der Ausblendung der eigenen Gestaltungsanteile. In Einklang zu bringen ist das Erfordernis der Mitleidensfähigkeit mit der notwendigen Handlungsunbefangenheit.

2.4.2 Pädagogische Professionalität aus strukturtheoretischer Sicht

Im Anschluss an Oevermanns widersprüchliche Einheiten zeigt Helsper die antinomische Struktur professionellen Handelns und konstitutive Antinomien auf. Er benennt zwei Gründe für grundlegende Spannungen. Erstens versteht er das professionelle pädagogische Handeln als gesteigerte Praxisform, »weil sie eine stellvertretende, verantwortliche Lebenspraxis für eine andere Lebenspraxis ist, die entweder noch nicht zur umfassenden lebenspraktischen Autonomie gelangt, in Teilbereichen noch nicht entfaltet oder aber vorübergehend darin beeinträchtigt ist« (Helsper, 2016, S. 53). Der Hiatus zwischen Krise und Routine begründet die widersprüchliche Einheit von Entscheidungszwang und Begründungsverpflichtung. Professionelles Handeln ist der strukturelle Ort der Vermittlung der »widerstreitenden Logiken von reflexiver, handlungsentlasteter Theorie und unter Handlungsdruck stehender Praxis« (Helsper, 2016, S. 54). Zweitens muss die professionelle Handlungspraxis universalistische und spezifisch-rollenförmige Beziehungsmuster vereinen. Daraus erwächst die Spannung, diffus-emotionale Beziehungen zuzulassen und zugleich »Grenzziehungen vorzunehmen, Distanz zu wahren und nicht selbst entgrenzend gegenüber Klienten zu handeln« (Helsper, 2016, S. 54). Mit Bezug auf diese zwei Begründungen für die antinomische Struktur pädagogischen Handelns bestimmt Helsper insgesamt elf konstitutive Antinomien.

Sechs Antinomien betreffen die stellvertretende Krisendeutung. Die Begründungsantinomie bezeichnet die Spannung zwischen einem Handlungszwang und einer Begründungsverpflichtung. Professionelle müssen häufig auch dann entscheiden, wenn keine ausreichende oder legitime Wissensbasis vorhanden ist (Helsper, 2016, S. 54). Die Spannung zwischen einem hoch belasteten und verantwortlichen praktischen Handeln und einem möglichst weitreichend vom Handlungsdruck befreiten theoretisch-reflexiven Handeln begründet die Praxisantinomie. Das praktisch-reflexive Wissen im Umgang mit Unvereinbarkeiten ist anschlussfähig an Schützes Unterscheidung zwischen alltagsweltlichen und höhersymbolischen Sinnwelten. Unter der Subsumptionsantinomie versteht Helsper die Spannung zwischen dem rekonstruktiv-verstehenden Nachvollzug des Einzelfalls und der »abkürzungshaften Unterordnung des Einzelfalles unter einen Typus oder eine verallgemeinernde Kategorie« (Helsper, 2016, S. 55). Die Spannung zwischen dem Erfolgsversprechen professionellen Handelns und der strukturellen Ungewissheit in Bezug auf den Ausgang von Interventionen begründet die Ungewissheitsantinomie. Die Mitwirkung des Adressaten ist in Rechnung zu stellen, was weiter oben mit der doppelten Autonomie im Zuge der pädagogischen Systembildung angesprochen wurde. Die Symmetrieantinomie ergibt sich aus der Machtkonstellation pädagogischer Beziehungen. Gerade die asymmetrische Beziehung legt nahe, die Zustimmung der Klienten zu gewinnen (Helsper, 2016, S. 55). Die Vertrauensantinomie bezeichnet das Problem, dass »tendenziell Fremde und noch Unvertraute für die Herstellung einer interaktiven Gegenseitigkeit Vertrauen unterstellen und zuschreiben müssen« (Helsper, 2016, S. 55), ein Vertrauensverhältnis aufgrund der machtförmig-asymmetrischen Beziehung aber fragil ist.

Fünf Antinomien spezifizieren das spezifisch-rollenförmige Beziehungsmuster. Die Näheantinomie beschreibt die Spannung zwischen der Einlassung auf diffus-emotionale Beziehungsanteile und der gebotenen reflexiven Distanz und Rollenbewusstheit bei der Gestaltung des Professionellen-Klienten-Verhältnisses (Helsper, 2016, S. 56). Die Sachantinomie betrifft die Frage der Vermittlung einer Sache, bei der die Orientierung an einer abstrakt-wissenschaftlichen und kodifizierten Form eines Gegenstands und zugleich die Berücksichtigung der biographischen und lebensweltlichen Hintergründe der Person gefordert ist (Helsper, 2016, S. 56). In der Pluralisierungs- und Differenzierungsantinomie scheint die bereits angesprochene Gemeinwohlorientierung durch sowie die widersprüchliche Einheit von Gesellschaft und Gemeinschaft. Professionelle müssen eine universalistische und eine partikulare Haltung zusammenbringen. Dies beinhaltet eine Orientierung an Homogenität und Heterogenität. Gleiche Teilhabemöglichkeiten erfordern gerade eine ungleiche Behandlung des Einzelfalls (Helsper, 2016, S. 56). Die Organisationsantinomie findet sich auch bei Schützes Paradoxienfiguration, bei der die Sicherheitswerte von Routineverfahren mit der damit verbundenen Einschränkung der professionellen Handlungsaufmerksamkeit vermittelt werden muss. Die Autonomieantinomie bezeichnet die Spannung von Autonomie und Heteronomie. Sie stellt bei Schütze des pädagogische Grunddilemma dar. Professionelle Interventionen führen immer die Möglichkeit mit, »dass dadurch auch Abhängigkeit gestärkt, noch oder schon vorhandene Autonomie negiert und damit Heteronomie erzeugt wird« (Helsper, 2016, S. 57).

Wie Schütze bringt auch Helsper diese Antinomien in eine Ordnungsstruktur, allerdings entwickelt er keinen Strukturierungsprozess, sondern ein Schema der Antinomien pädagogischen Handelns in der Moderne. Im Zentrum seines Modells steht das pädagogische Handeln als »interaktiv-asymmetrisches Vermittlungsverhältnis in der Spannung von Fallverstehen und subsumtivem Regelwissen« (Helsper, 2010, S. 31). Ausgangspunkt bilden damit die Subsumtions-, Ungewissheits- und Symmetrieantinomie.

Diese Grundfiguration steht in Verbindung mit vier Modernisierungsparadoxien. Das Individualisierungsparadox beinhaltet gesteigerte Möglichkeiten für eine eigenverantwortete, autonome Lebensführung bei zugleich anwachsenden Belastungen und Risiken, die aus dieser Eigenverantwortlichkeit resultieren (Helsper, 2010, S. 30). Dieses Paradox steht in Verbindung mit der Autonomieantinomie. Professionelles Handeln hat zwischen Freiheit und Zwang zu vermitteln. Das Rationalisierungsparadox erwächst aus der Spannung zwischen Organisation und Interaktion. Zu vermitteln sind organisatorische Zwänge mit den »kommunikativen Erfordernissen und der Besonderheit der Handelnden« (Helsper, 2010, S. 30). Das Pluralisierungsparadox beschreibt die Spannung zwischen der Vervielfältigung partikularer Lebensformen und übergreifenden kulturellen Generalisierungen (Helsper, 2010, S. 30). Dies erfordert die Vermittlung zwischen Differenz und Einheit. Mit dem Zivilisationsparadox bezeichnet Helsper »die widerspruchsvolle Gleichzeitigkeit einer umfassenden Freisetzung sinnlich-affektiver Ansprüche bei einer distanziert-rationalisierten Zurichtung sozialer Verkehrsformen« (Helsper, 2010, S. 30). Geboten ist die Vermittlung von Nähe und Distanz. Vier weitere Spannungsfelder beschreiben das Verhältnis zwischen Person, Gesellschaft, Kultur und Natur. Orientiert sich pädagogische Vermittlung an der Einführung in die kulturelle Ordnung, liegt der Schwerpunkt auf Disziplinierung, Sozialisierung und Erziehung der ganzen Person (Helsper, 2010, S. 32). Dem steht eine Orientierung an der freien Entfaltung der Natur durch Reifung und Wachsenlassen gegenüber sowie der möglichst ungestörten Entwicklung. Die Vermittlung von Fähigkeiten, Inhalten und Qualifikationen betont Unterricht und Ausbildung mit Blick auf Anforderungen der Gesellschaft. Dem steht eine Orientierung am einzigartigen, autonomen Subjekt gegenüber, was die Vermittlung einer allgemeinen, gleichen Menschenbildung sowie die Anregung selbsttätiger Bildung nach sich zieht (Helsper, 2010, S. 32).

3 Zwischenfazit: Gesellschaftliche Integration aus Sicht von Profession

Die pädagogischen Perspektiven (vgl. Kapitel 3) verweisen auf das Brückenprinzip Profession. Das in der neueren Professionsforschung etablierte Konzept der Professionsentwicklung ist anschlussfähig an den mit Lernen vor Ort intendierten, politischen Gestaltungsprozess zur Verschränkung gesellschaftlicher Entwicklung mit individueller Leistung. Professionelle wahren als Vertreter der gesellschaftlichen Primärfunktion eine nicht ersetzbare Überbrückungskompetenz. Die Vorstellung einer exklusiven Zuständigkeit für die Gestaltung vollständiger Arbeitsbögen steht aber in merkwürdigem Kontrast zu einer ganzheitlichen Initiative, die »durch eine Abstimmung vor Ort die Kräfte […] bündeln« (BMBF, 2008a, S. 4) soll. Die Unterscheidung zwischen einer institutionellen und individuellen Dimension von Profession, Professionalisierung, Professionalität und Professionsentwicklung vermag das Potenzial dieses Brückenprinzips für gesellschaftliche Integration aufzuzeigen. Der Aufbau eines kommunalen Bildungsmanagements (KBM) steht für den institutionellen Aspekt des Brückenprinzips Profession. Ein KBM als privilegierte Berufsgruppe (Profession) erscheint abwegig, da diese Berufsform ja gerade erst im Werden ist. Dennoch können die zentralen Merkmale der Autonomie, Abstraktheit, Gemeinwohlorientierung und Autorität als Referenzkonzepte zur Schärfung der Besonderheit eines KBM dienen. Die Transformation eines Tätigkeitsfelds zu einer Berufsgruppe KBM (Professionalisierung) ist vor dem Hintergrund, dass innovative Konzepte für ein kohärentes Bildungswesen über den Zeitraum des Programms hinaus verstetigt werden sollen, vorstellbar. Dass ein KBM bei der Organisation von Wissensarbeit nicht nur besonderen Anforderungslogiken ausgesetzt ist, sondern auch eine bestimmte Qualität erreicht (Professionalität), kann nicht von der Hand gewiesen werden. Vorstellbar wird nun auch, dass die Berufsform KBM ein Selbstverständnis entwickelt, gesellschaftliche Integration bewusst zu gestalten, dabei empirisches Modellwissen mit lebensweltlichem Wissen zu verschränken und gesellschaftliche Problemlagen auf der Basis eigener Wissensgrundlagen reflexiv zu bearbeiten (Professionsentwicklung).

Die Berufsform der kommunalen Koordinatorinnen und Koordinatoren steht für den individuellen Aspekt des Brückenprinzips Profession. Angehörige der Profession KBM können ein selbstbestimmtes, kompetentes, gemeinwohlorientiertes und zuständiges professionelles Selbstverständnis entwickeln (Profession). Diese Wertorientierungen verlieren ihre Bedeutung für gesellschaftliche Integration auch dann nicht, wenn sie nicht vorliegen. Die individuelle Entwicklung zur kommunalen Koordinatorin und zum kommunalen Koordinator wird sich an bereichsspezifischen Leistungsstandards orientieren müssen (Professionalisierung). Die professionelle Kompetenz entwickelt sich im Verhältnis zwischen den Professionellen, den Angehörigen der Berufsgruppe und der Tätigkeit auf den Ebenen der Qualifikation, der beruflichen Identität und der Intergruppenkonflikte um Zuständigkeit (Professionalität).

Die dargestellten Theorietraditionen und deren Bestimmungsmerkmale schärfen die Dimensionen von und die Herausforderungen für Profession als Brückenprinzip aus. Kommunale Koordinatorinnen und Koordinatoren gestalten zwar nicht unmittelbar Professionellen-Klienten-Verhältnisse, sie bearbeiten aber Konstellationen, in denen sich das People-Processing und damit die sozialintegrative Vermittlung zwischen Individuum und Gesellschaft vollzieht. Für ein umfassendes Verständnis dieser intermediären Vermittlung trägt eine Kombination unterschiedlicher Ansätze bei. Die Strukturkategorie geht auf das Verhältnis zwischen Profession und Biographie ein. Hier greifen der strukturfunktionalistische und der systemtheoretische Ansatz. Die Prozesskategorie beleuchtet das Verhältnis zwischen Professionalisierung und Biographie. Die Inszenierung von Gemeinwohlorientierung beleuchtet eine allen professionstheoretischen Ansätzen gemeinsame Legitimationsressource und damit auch konflikt- und machttheoretische Aspekte. Die Handlungskategorie nimmt das Verhältnis zwischen Professionalität und Biographie in den Blick. Hierzu beschreiben insbesondere der interaktionistische und der strukturtheoretische Ansatz Antinomien und Paradoxien des professionellen Handelns. Für kommunale Koordinatorinnen und Koordinatoren ist das Wissen um die Unabweisbarkeit konstitutiver Spannungslagen wichtig, da sie Problemkontexte des Professionellen-Klienten-Verhältnisses als Ursachen für dilemmatische Anforderungen des People-Processing mitgestalten. Sie sind damit nicht nur Teil individueller Projekt- und Fallentfaltungen, sondern auch in ein Gefüge unhintergehbarer Modernisierungsparadoxien verwickelt. Die Integration dieser Perspektivenvielfalt erscheint für eine Governance grenzüberschreitender Professionalisierung und gesellschaftlicher Integration geboten.

Für die Gestaltung einer multiprofessionellen Zusammenarbeit beim Aufbau eines kohärenten Bildungswesens sensibilisiert das Brückenprinzip Organisation. Es legt den Schwerpunkt auf die Beziehungen zwischen der in der Moderne sich ausdifferenzierenden Wertsphären. Die Darstellung von Perspektiven der Organisation und damit von Systeminnovationen sind Gegenstand des folgenden Kapitels.