Bisher unbeleuchtet blieb das Verhältnis zwischen System- und Sozialintegration. Mit Blick auf die Frage, welchen Beitrag ein kommunales Bildungsmanagement zur System- und Sozialintegration im Rahmen des Programms Lernen vor Ort leistet, bedarf es einer Klärung dieses Verhältnisses. Diese Klärung erfolgt nun mit dem Konzept der Vermittlung aus pädagogischer Sicht. In einem ersten Schritt zeigt die systemtheoretische Perspektive auf, dass es mit der Ausdifferenzierung des pädagogischen Systems zu einer doppelten Steigerung der Autonomie mit einer Selbstreferenz des pädagogischen und des biographischen Systems kommt. Beide Systeme sind dadurch systematisch unerreichbar füreinander. Vermittlungsbemühungen haben es mit der Überbrückung zwischen pädagogischen Programmen und der individuellen Rezeption der darin eingelagerten Absichten zu tun. Dies trifft im Kern das Anliegen von Lernen vor Ort, das »Lernen für den Erwerb und den Ausbau personaler, sozialer und fachlicher Kompetenz im gesamten Lebenslauf« durch »ein ganzheitliches kohärentes Management« (BMBF, 2008a, S. 4) zu unterstützen. Aus systemtheoretischer Sicht geht es um die Gestaltung der Schnittstelle zwischen System und Umwelt. Dabei verweist die codegesteuerte Beliebigkeit des Pädagogischen darauf, dass pädagogische Akteure keine exklusive Zuständigkeit für die Beobachtung der Adressaten als Umwelt des pädagogischen Systems beanspruchen können. In einem zweiten Schritt zeigt die operative Pädagogik mit dem Konzept des Zeigens auf, dass gerade das pädagogische Handeln geeignet ist, die pädagogische Differenz als systematische Differenz zwischen Erziehen und Lernen zu überbrücken. Diese scheinbaren Widersprüche werde ich bei der theoretischen Interpretation der Analyse-Ergebnisse dahingehend integrieren, dass der Zugriff der Politik auf das Konzept der Erziehung die Verbindung von System- und Sozialintegration ermöglicht (vgl. Abschnitt 13.3).

1 Pädagogische Systembildung

Von modernen, funktional ausdifferenzierten Gesellschaften ausgehend, schlägt Kade (1997) den Systembegriff nutzende Ordnungskonzepte für die Beschreibung des Pädagogischen vor. Er setzt sich von einem schulorientierten Systembegriff ab, der Professionen und Organisationen ins Zentrum der Systembildung rückt, sowie vom Entgrenzungsdiskurs, der theoretische Kritik am schulorientierten Begriff des Erziehungswesens übt und »für einen weiten Begriff des Pädagogischen« (Kade, 1997, S. 31) plädiert. Er stellt sich die Frage, wie sich »nach dem Brüchigwerden traditioneller pädagogischer Denk- und Handlungsmuster« neue Strukturen herausbilden und wie die »gewachsene Komplexität des Pädagogischen theoretisch wieder unter Kontrolle gebracht werden kann« (Kade, 1997, S. 32).

Als Ordnungsmuster des pädagogischen Systems bestimmt er die Vermittlung, welche die für funktional differenzierte Gesellschaften kennzeichnende institutionell-organisatorische Verselbstständigung des Pädagogischen gegenüber der Kultur bearbeitet. Die Pointe des Codes ›vermittelbar/nicht-vermittelbar‹ liegt darin, dass pädagogische Systembildung nicht auf der Adressatenseite pädagogischer Praxis verläuft (Kade, 1997, S. 32), sondern als Spezialisierung auf den Modus der Wissensvermittlung. Die Unterscheidung zwischen Code und Programm begründet die Unabhängigkeit zwischen Systembildung und Vermittlungsoperationen. Sie dynamisiert die Autonomie sowohl aufseiten des pädagogischen als auch des biographischen Systems. Diese doppelte Steigerung der Autonomie führt zu einem Hiatus zwischen Vermittlung und Aneignung. Die Indifferenz der Wissensvermittlung gegenüber der Wissensaneignung verlagert die Verantwortung auf die Aneignungsseite und bewirkt eine Selbstorganisationszumutung für Individuen. Profession, Organisation und Öffentlichkeit stellen institutionelle Lösungen der Probleme dar, die aus der Systembildung des Pädagogischen erwachsen. Für Fragen der gesellschaftlichen Integration kommt ihnen deshalb eine Bedeutung zu, weil sie nicht nur innerhalb, sondern an der Schnittstelle des pädagogischen Systems zur Umwelt operieren und somit beobachten können, was das System selbst nicht sieht.

1.1 Ordnungsmuster des pädagogischen Systems

Kade beschreibt die Ausdifferenzierung des Bildungssystems als Verselbstständigung des Pädagogischen gegenüber der Kultur (1997, S. 33). Unter Bildung versteht er »eine die Pädagogik übergreifende – allen pädagogischen Eingemeindungsversuchen zum Trotz – allgemeine kulturelle Praxis, nämlich die subjektive Aneignung von Kultur« (Kade, 1997, S. 34). Die Kultur gewinnt in der Moderne eine eigenständige »Quelle öffentlicher Welt- und Daseinsdeutung« (Kade, 1997, S. 33), insofern sich die Menschen nicht mehr an gesicherten Ordnungen oder eindeutigen Lehren orientieren können, sondern in permanenter Kulturarbeit und im Austausch miteinander ihre Kulturinhalte selbst erzeugen. Damit wird Vermittlung »zur grundlegenden gesellschaftlichen Funktion der Kultur« (Kade, 1997, S. 34).

Vermittlung kann als Mechanismus für gesellschaftliche Integration gelesen werden. Mit der »Vermittlung der in der Moderne sich ausdifferenzierenden Handlungs- und Lebenssphäre« ist Systemintegration angesprochen, mit der »Vermittlung der individuellen Subjekte mit dieser Welt« (Kade, 1997, S. 34) Sozialintegration. Die Pädagogik tritt als »Vermittlungsinstitution zwischen kulturelle Objekte und kulturelle Subjekte« (Kade, 1997, S. 34) auf den Plan und verselbstständigt sich zu einer gesellschaftlichen Praxis für Vermittlungsleistungen. Vermittlung beinhaltet eine doppelte Aufgabenstellung, eine indirekte, insofern Pädagogik Desintegrationstendenzen moderner, funktional differenzierter Gesellschaften über »die Vermittlung von Wissen (und Werten) an ihre Adressaten« bearbeitet und eine direkte, insofern Pädagogik »selber zu einem eigenständigen Ort gesellschaftlicher Vermittlung« (Kade, 1997, S. 35) wird: »Das Pädagogische ist die Praxis des Vermittelns von Wissen an die als Subjekte verstandenen Individuen, und es ist ein Ort, an dem das Vermitteln unterschiedlicher Welten als soziale Praxis unmittelbar geschehen soll« (Kade, 1997, S. 35–36).

Pädagogik ist nicht nur die Antwort auf Probleme, die aus der funktional differenzierten Gesellschaft erwachsen, sondern stellt selbst ein soziales System dar, welches dem Muster funktionaler Differenzierung folgt (Kade, 1997, S. 36). Das pädagogische System entwickelt sich durch systeminterne Operationen und strukturell, indem es sich am Code ›vermittelbar/nicht-vermittelbar‹ orientiert und damit eine Grenze zu anderen Teilsystemen markiert. Es bezieht sich auf Wissen als gesellschaftliches Vermittlungsmedium und führt mit dem Vermitteln von Wissen eine grundlegende Unterscheidung ein, welche die Spezifik des pädagogischen Systems begründet (Kade, 1997, S. 38). Die gesellschaftliche Aufgabe der Vermittlung differenziert sich zu einem eigenen Thema aus und der Code ›vermittelbar/nicht-vermittelbar‹ ermöglicht die Unabhängigkeit von kulturellen Inhalten, ja nachgerade eine »inhaltliche Beliebigkeit des Pädagogischen« (Kade, 1997, S. 41). Die Autonomisierung des Pädagogischen führt nicht nur zu einer »Öffnung für beliebige Inhalte« und »Fremdbestimmung«, sondern hält mit dem Positivwert ›vermittelbar‹ »die beständige Modernisierung der Vermittlungsmethoden ebenso wie die grenzenlose Expansion des Pädagogischen« (Kade, 1997, S. 41) in Gang.

Indem das pädagogische System »das Wissen von der Welt« (Kade, 1997, S. 42) mithilfe der Differenz ›vermittelbar/nicht-vermittelbar‹ thematisiert, begründet es seine eigene Ordnung. Es spezialisiert sich auf die Beobachtung der Welt »unter dem Aspekt der Vermittlungsnotwendigkeit« (Kade, 1997, S. 42). Es bearbeitet die gesellschaftlich vorausgesetzte Aufgabe der Vermittlung im Modus von Wissensvermittlung und reproduziert sich dadurch, dass es die ihm gesellschaftlich vorausgesetzte Aufgabe der Vermittlung gerade nicht löst (Kade, 1997, S. 42). Die Reproduktion der Form ›Lösung/Nicht-Lösung‹ des gesellschaftlichen Vermittlungsproblems ist ein Paradox, welches das pädagogische System mit der Unterscheidung zwischen Code und Programm auflöst (Kade, 1997, S. 43). Während der negative Codewert ›nicht-vermittelbar‹ die Systemreproduktion in Gang hält, verweist der positive Codewert ›vermittelbar‹ auf die Programmebene und auf die »Aneignung als erfolgreich vollzogene Vermittlung« (Kade, 1997, S. 43). Das pädagogische System kann die Zielerreichung operativ nicht steuern, weil die Adressaten und die Gesellschaft außerhalb des Systems liegen (Kade, 1997, S. 43).

1.2 Vermittlung durch pädagogische Programme

Anders als die traditionelle Pädagogik begründet sich die Autonomie des Pädagogischen aus der Perspektive selbstreferenzieller geschlossener Systeme nicht mit einer normativen Integrationsperspektive, die von einer Einheit zwischen pädagogischem Handeln und Bildung ausgeht, sondern mit der »Unabhängigkeit der Systembildung von den Vermittlungsoperationen« (Kade, 1997, S. 44). Die Reproduktion des pädagogischen Systems hängt somit nicht von erfolgreichen Vermittlungsoperationen und Aneignungsprozessen ab, sondern nur davon, dass Vermittlungsoperationen stattfinden: »Es ist gerade diese Unterscheidung zwischen ›vermittelbar‹ als positivem, die Anschlussfähigkeit der Operationen sichernden Code-Wert und ›nicht-vermittelbar‹ als Reflexionswert des Codes, die die Autonomie des pädagogischen Systems steigert« (Kade, 1997, S. 45).

Der binäre Code verleiht dem Pädagogischen Autonomie und Stabilität (Kade, 1997, S. 46). Er ist formal, hebt auf Vermittlung ab und macht »Methode zum Konstituens von Pädagogik« (Kade, 1997, S. 47). Pädagogische Programme greifen die Offenheit in Bezug auf die Frage, ob und wie Vermittlung realisiert wird, flexibel auf: »Sie steuern die Operationen des pädagogischen Systems, indem sie angeben, was als vermittelbar und nicht-vermittelbar zu gelten hat, so dass pädagogische Akteure und Adressaten sich daran ausrichten können« (Kade, 1997, S. 47). Sie steuern die Umsetzung des Codes in Vermittlungsprozesse mithilfe abstrakter »Einheits- und Kontingenzformeln wie Bildung und Erziehung« einerseits und »einer Pluralität freier, unverbundener, unvermittelter, für sich genommen jeweils positiv eindeutiger, inhaltlicher Bildungs- und didaktisch-methodischer Theorien« (Kade, 1997, S. 47) andererseits.

1.3 Doppelte Steigerung der Autonomie

Adressaten pädagogischer Programme bilden die Umwelt des pädagogischen Systems (Kade, 1997, S. 49). Sie stellen eigene autopoietische psychische Systeme dar, die durch Vermittlungsoperationen des pädagogischen Systems nicht erreichbar sind (Kade, 1997, S. 49). Stellt das Vermitteln die systemspezifische Operation des pädagogischen Systems dar, bezeichnet das Aneignen die komplementäre Operation der psychischen Systeme, »ohne dass aber die Systemreproduktion von den Aneignungsoperationen der Adressaten abhinge« (Kade, 1997, S. 50). Die Unterscheidung von Vermitteln und Aneignen markiert die Differenz von pädagogischem und biographischem System (Kade, 1997, S. 50). Die autonom operierende Selbstreferenz des pädagogischen Systems und die autonom operierende Selbstreferenz des biographischen Systems begründen eine doppelte Steigerung der Autonomie: »Mit der Systembildung des Pädagogischen steigert sich nicht nur dessen Autonomie, sondern auch die Autonomie seiner Adressaten (ihm gegenüber)« (Kade, 1997, S. 50).

Vermittlungs- und Aneignungsprozesse gehören zu unterschiedlichen Referenzsystemen. Sie sind füreinander unerreichbar und daher kontingent (Kade, 1997, S. 51). Das pädagogische System konstruiert nun die theoretische Figur des Teilnehmers, um den Wiedereintritt des ausgeschlossenen psychischen Systems und zugleich »die Unmöglichkeit, ihn zu vollziehen« (Kade, 1997, S. 51), zu beschreiben. Die Differenz zwischen beiden Referenzsystemen kennzeichnet den Adressaten immer auch als Nicht-Teilnehmer, insofern die Figur des Teilnehmers einen Systemwechsel zwar ermöglicht, das pädagogische System den Adressaten als biographisch gesteuertes, selbstreferenzielles psychisches System aber nicht beobachten kann (Kade, 1997, S. 52): »Das pädagogische System kann sich nur für bestimmte, nach Maßgabe der eigenen Autopoiesis relevante Irritationen aus der ihm verschlossen bleibenden Welt seiner Adressaten sensibilisieren« (Kade, 1997, S. 53). Beobachtbar sind Irritationen als Folge der strukturellen Kopplung von pädagogischem und psychischem System, die über die Figur des Teilnehmers »beide Systeme für ihre jeweiligen Operationen resonanzbereit« (Kade, 1997, S. 53) macht: »Diese Irritationen können Störungen sein, aber auch Bildungsprozesse der Adressaten ermöglichen oder zu Innovationen im pädagogischen System führen« (Kade, 1997, S. 53).

Da pädagogische Vermittlungs- und biographische Aneignungsoperationen unterschiedlichen Referenzsystemen angehören und einer eigenen Rationalität folgen, ist eine Kluft zwischen Vermittlung und Aneignung konstitutiv für das Verhältnis von Erziehung und Bildung (Kade, 1997, S. 54). Kade verweist auf das traditionelle Verständnis dieses Verhältnisses, welches von einer Einheit zwischen Lehren und Lernen ausging und die Differenz zwischen Wissensvermittlung und Aneignungsprozessen vor dem Hintergrund eines geteilten sozio-kulturellen Milieus und sozialer Exklusion nicht eigens thematisierte (1997, S. 54–55). Die kulturelle »Entzauberung einheitsstiftender Weltbilder«, die »Pluralisierung von Lebenslagen«, die »Individualisierung von Biographien« sowie die »umfassende soziale Inklusion« habe indes zu »Selbstverständlichkeitsverlusten« (Kade, 1997, S. 55) und zu einem breiten pädagogischen Spektrum geführt. Dieses spanne sich um zwei Pole auf. Traditionellen Konzepten der Erziehung, die von einem Einklang zwischen Aneignung und Wissensvermittlung ausgehen, stehe die Vorstellung der Bereitstellung von Angeboten gegenüber, um ›Möglichkeitsräume‹ für Aneignung zu schaffen (Kade, 1997, S. 56).

Der »Hiatus zwischen Vermittlung und Aneignung« (Kade, 1997, S. 54) ist Voraussetzung und Folge der Systembildung des Pädagogischen. Mit der Verselbstständigung der Aneignung gegenüber der Vermittlung bezieht sich das pädagogische System nur noch auf sich selbst und reproduziert sich als Vermittlungssystem: »Die Vermittlung von Wissen im pädagogischen System wird indifferent gegenüber dessen Aneignung« (Kade, 1997, S. 57). Systemoperationen des Vermittelns befreien sich vom Anspruch, »die Aneignungsoperationen der Adressaten bestimmen zu wollen« (Kade, 1997, S. 57) und vertrauen darauf, dass Operationen des Aneignens aufseiten der Adressaten stattfinden. Zwischen Codierung und operativer Vermittlung eröffnet sich dadurch »ein Raum für praktisch folgenloses, unverbindliches Reden, ja, Schwadronieren über die Notwendigkeit von Bildung, über Qualifizierungsoffensiven, über lebenslanges Lernen, d. h. für eine allseitige öffentliche Inanspruchnahmen der Pädagogik und für folgenlose pädagogische Versprechen zur Lösung sozialer Probleme« (Kade, 1997, S. 57).

Nicht nur das pädagogische System stabilisiert sich durch Indifferenz, sondern auch das biographische (Kade, 1997, S. 58). Weil sich das pädagogische System reproduziert, indem es immer wieder Teilnehmer findet, aber nur die äußere Seite der Adressaten beobachten kann, fällt das, was Letztere aus der Teilnahme machen, »was sie lernen, was sie sich aneignen, wie sie das pädagogische System nutzen« (Kade, 1997, S. 59), in ihren Verantwortungsbereich. Die mit der Systembildung des Pädagogischen verbundene »Verlagerung der Verantwortung von der Anbieter- zur Aneignungsseite« (Kade, 1997, S. 59) mutet den Individuen zu, »die Anschlussfähigkeit des vermittelten Wissens an ihre Biographie außerhalb der Interaktionen selber zu organisieren, damit die pädagogische Interaktion für sie nicht bloße Episode bleibt« (Kade, 1997, S. 59). Die im Zuge pädagogischer Systembildung evozierte doppelte Steigerung der Autonomie seitens des pädagogischen und biographischen Systems führt eine Selbstorganisationszumutung für Individuen und damit die gesellschaftliche Zumutung mit, »sich unter diesen Bedingungen zu reproduzieren« (Kade, 1997, S. 60).

1.4 Institutionelle Lösungen für die Bearbeitung von Nebenfolgen der Systembildung des Pädagogischen

Kade offeriert eine »nicht professions- und institutionszentrierte Perspektive zur Analyse der sich in der Moderne entwickelnden Pädagogik« und geht »von der Differenz von pädagogischem System einerseits, pädagogischer Profession und pädagogischen Organisationen andererseits aus« (Kade, 1997, S. 62–63). Er kehrt deren Verhältnis um, indem er das pädagogische System voraussetzt und Profession und Organisation als »Formen der Lösung von Systemproblemen« (Kade, 1997, S. 64) betrachtet, die Folgen der doppelten Steigerung von Autonomie bearbeiten. Professionen und Organisationen stellen demnach nicht den »Inbegriff pädagogischer Praxis« für die Steuerung gesellschaftlicher Gesamtzusammenhänge dar, sondern »Formen der Gestaltung der Beziehung des pädagogischen Systems zu seiner Umwelt« (Kade, 1997, S. 63–64). Sie »agieren an der Schnittstelle des Systems nach ›draußen‹ und sehen das, was das System nicht sieht« (Kade, 1997, S. 64). Professionen fungieren als Brückenprinzip für Sozialintegration, indem sie zwischen dem pädagogischen System und seinen Adressaten vermitteln und Organisationen als Brückenprinzip für Systemintegration, indem sie Funktionssysteme in Beziehung bringen (Kade, 1997, S. 64).

Die pädagogische Profession sieht sich in Anbetracht pädagogischer Systembildung einer wachsenden Kontingenz der Aneignung, dem Strukturmoment der Ungewissheit sowie Unsicherheits- und Risikoerfahrungen gegenüber, ohne dafür eine Sprache zu haben (Kade, 1997, S. 64). Individuelle Lebensführung strukturiert sie im Modus des Risikos, mehr noch, durch die Ambivalenz und Uneindeutigkeit der Aneignung produziert sie neue Risiken und Unsicherheiten, »deren Bewältigung den Adressaten als individuell zu erbringende Leistung zugemutet wird« (Kade, 1997, S. 65). Die Systembildung des pädagogischen Systems schafft mit der doppelten Autonomie Probleme, »die nicht mit den Mitteln des pädagogischen Systems gelöst werden können, sondern eine Reflexion des pädagogischen Systems auf sich als System in Differenz zur Umwelt verlangen« (Kade, 1997, S. 67). Aufgabe der pädagogischen Profession ist es, die Adressaten als Umwelt des Systems daraufhin zu beobachten, »ob und welcher Unterstützung sie bei der autonomen Aneignung von Welt bedürfen« (Kade, 1997, S. 67).

Als Folge pädagogischer Systembildung entstehen institutionelle Handlungszusammenhänge und soziale Praktiken, die dem pädagogischen System weder eindeutig zuzuordnen noch von ihm abzugrenzen sind und die Kade als pädagogische ›Hybriden‹ bezeichnet (Kade, 1997, S. 68). Es handelt sich um »vielfältige, in unterschiedliche institutionelle, massenmediale oder lebensweltliche Zusammenhänge eingelassene organisatorische Vernetzungen und pädagogische Mischungsverhältnisse, diffuse Mischungen von pädagogischen Denkfiguren und Handlungsmustern mit solchen anderer, vor allem politischer, ökonomischer, unterhaltsamer, alltäglicher Provenienz« (Kade, 1997, S. 67–68). Pädagogische ›Hybriden‹ stellen eine Antwort auf Probleme dar, die durch die Systembildung des Pädagogischen entstehen: »Sie nehmen die Systembildung nicht zurück, sondern sind Mischungen unter den Bedingungen eines ausdifferenzierten pädagogischen Systems: also z. B. Mischungen von Ansprüchen auf Ganzheitlichkeit und professionelle Betreuung, von Authentizität und pädagogischer Vermittlung, von Bildung und Ökonomie« (Kade, 1997, S. 69).

Mit dem durch die Autonomisierung des pädagogischen Systems erzeugten »Machtverlust pädagogischer Handlungssubjekte« geht ein »Machtverlust der Pädagogen innerhalb des pädagogischen Systems« (Kade, 1997, S. 69) einher. Dieser wird durch »eine Aufwertung öffentlicher Diskurse über Bildungsfragen kompensiert […], an denen auch pädagogische Akteure teilnehmen können, für die sie aber keine exklusive Zuständigkeit haben bzw. beanspruchen können« (Kade, 1997, S. 69–70). Die codegesteuerte inhaltliche Beliebigkeit des Pädagogischen verlagert die Erörterung der Inhaltsfragen in die massenmediale Öffentlichkeit: »Das ursprünglich genuine Thema der Pädagogik, nämlich die Frage der Auswahl gesellschaftlich bedeutsamer Inhalte, scheint unter dem Einfluss der Orientierung am formalen Code ›vermittelbar/nicht-vermittelbar‹ aus dem pädagogischen System in den öffentlichen Raum zu wandern« (Kade, 1997, S. 70).

2 Operative Pädagogik

Von einem generellen Machtverlust der Pädagogen und pädagogischer Handlungssubjekte will die operative Pädagogik nichts wissen. Sie bestimmt das Pädagogische als eigene Disziplin. Allerdings – und darin liegt die Vermittlungsleistung – ist dieses Pädagogische nicht als ein abgeschlossenes System zu verstehen, sondern steht als Modus der Vermittlung den Akteuren aller Teilsysteme zur Verfügung. Mehr noch vermag das Konzept Leistungs- und Publikumsrollen ins Gespräch zu bringen, ohne freilich eine pädagogische Absicht durchregieren zu können. Daraus erwächst – wie zu zeigen sein wird – eine bescheidene und zugleich verheißungsvolle Macht, die sich auch das politische System zunutze macht.

Die »Pointe der Operativen Pädagogik« sieht Prange darin, dass sie sich »auf das Fundament der Beschreibung und Erklärung der Erziehung« bezieht, »und zwar in der Weise, dass diese selbst vorzeichnet, wie sie begrifflich zu erfassen, sozial zu organisieren und in ihren gelungenen und missratenen Formen zu beurteilen ist« (2012b, S. 75). Mit dem Rückzug auf »die einheimischen, die Erziehung fundierenden Operationen« (Prange, 2012a, S. 23) findet eine dezidierte Profilierung und zugleich Unterscheidung spezifisch pädagogischer gegenüber anderen sozialen Praktiken statt. Orientierungsleitend ist die Frage, »worin die Eigenart des pädagogischen Verhaltens und Handelns besteht« (Prange, 2012a, S. 22). Ausgehend vom Zeigen als Grundform pädagogischen Handelns entfalten Prange und Strobel-Eisele (2015) elementare, komplexe und Großformen pädagogischen Handelns. Die Gebärde des Zeigens ist dabei nicht ohne das Lernen zu denken: »Wir handeln ausdrücklich pädagogisch, indem wir einem anderen etwas so zeigen, dass er oder sie es wieder zeigen kann, und auch bewegt wird, eben dies zu tun« (Prange, 2012b, S. 84, Hervorhebung weggelassen). Zentral ist daher die Frage nach dem Zusammen- und Gegenspiel von Erziehen als Zeigen und Lernen als Rezeption, »so dass beides zusammen erst das ausmacht, was wir Erziehung nennen« (Prange, 2012a, S. 28). Erziehung kommt nicht nur durch Spiel-, sondern auch durch Fehlformen des Zeigens zustande. Daher hat die Zeigestruktur immer auch eine moralische Komponente, aus der Prange eine ästhetische Formkausalität ableitet.

2.1 Zeigen als Grundform pädagogischen Handelns

Nach Prange setzt sich Erziehung aus zwei unterschiedlichen Operationen zusammen, dem Lernen und dem Erziehen (2012b, S. 26). Die Differenz zwischen Erziehen und Lernen bezeichnet er als pädagogische Differenz und Erziehung als Suche nach der Einheit dieser Differenz: »In der Erziehung geht es darum, beides aufeinander zu beziehen, zusammenzuführen und zu kombinieren« (Prange, 2012b, S. 26). Lernen stellt zwar »die notwendige Voraussetzung für erzieherische Akte« (Prange, 2012b, S. 69) dar. Es ist aber nicht immer Erziehung im Spiel, wenn gelernt wird. Daraus ergeben sich drei zentrale Prämissen für die Koordination von Erziehen und Lernen: Erstens ist Handeln immer dann pädagogisch beziehungsweise erzieherisch, wenn es in einem gemeinsamen Medium der lernenden und erziehenden Seite sich auf Lernen bezieht und auf dieses einzuwirken versucht (Prange & Strobel-Eisele, 2015, S. 13). Zweitens besteht Erziehung darin, »über Kommunikation die Zustände von Personen zu erreichen und zu ändern« (Prange & Strobel-Eisele, 2015, S. 17). Drittens ist Kommunikation »thematisch orientiert, und zwar so, dass sowohl die Bedürfnisse der Lernenden wie die Ansprüche der Erziehenden zur Geltung kommen« (Prange & Strobel-Eisele, 2015, S. 17). Erziehung vollzieht sich in einer Triangulation, bei der Lernen und Erziehen über Themen in Beziehung gebracht werden. Das didaktische Dreieck der Kommunikation (vgl. Abbildung 3.1) bringt diese Dreiecksbeziehung zum Ausdruck, insofern dem »Lernen Themen angeboten, aber auch aufgedrungen werden, um über Zeit die Zustände von Personen zu treffen« (Prange & Strobel-Eisele, 2015, S. 17).

Abbildung 3.1
figure 1

(Eigene Darstellung nach Prange, 2012a, S. 55)

Didaktisches Dreieck der Kommunikation.

Die Frage »Wie sag ich’s meinem Kinde?« orientiert die Darstellung der Ordnungsstruktur der Erziehung (Prange, 2012a, S. 31). Das Subjekt des Sagens (Causa Efficiens), der Inhalt des Sagens (Causa Finalis) und das Objekt des Sagens (Causa Materialis) bilden drei Komponenten der formalen Struktur, die durch die Form des Sagens (Causa Formalis) Erziehung zustande bringen (Prange, 2012a, S. 36–38). Das Subjekt beschreibt die ethische Seite des Erziehens mit der Frage, womit Erziehende Adressaten vertraut machen und was sie dem Lernen vorgeben (Prange, 2012a, S. 41). Damit verbunden sind Wozu- und Zielfragen der thematischen Komponente des Erziehens. Adressaten als Objekt des Erziehens stellen das Material dar, das in der Erziehung bearbeitet wird und das sich durch den »Tatbestand des Lernens« (Prange, 2012a, S. 44–45) kennzeichnet. Sie bilden ein »Appelldatum« (Prange, 2012a, S. 46), auf das sich Maßnahmen der Pflege und Fürsorge richten.

Die drei Elemente verweisen auf das Erfordernis ethischen (Causa Efficiens), thematischen (Causa Finalis) und anthropologischen (Causa Materialis) Wissens. Diese Wissensarten werden durch das »didaktische Können als Antwort auf die Wie- und Formfrage« (Prange, 2012a, S. 47) in Beziehung gebracht. Erst dieser Formfrage (Causa Formalis) kommt die erzieherische Valenz zu. Die Form im Zentrum des Schemas bringt zum Ausdruck, dass Erziehung weder aus »Zielnormen noch aus anthropologischen Gegebenheiten und aus der Tatsache des Lernens, geschweige denn aus den thematisierten Inhalten für das Lernen« hervorgeht, sondern aus der »Kombination und Organisation unter den eigenen Mustern, Verfahrensweisen und Formen des Erziehens selber« (Prange, 2012a, S. 50). Die Form beinhaltet »Regeln und Verfahren, die geeignet sich, erwünschtes Verhalten wahrscheinlicher und unerwünschtes unwahrscheinlicher werden zu lassen« (Prange, 2012a, S. 52). Der Umstand, dass sich Adressaten verweigern und weghören können, begründet die Unsicherheit der Bemühungen, Erziehung als ›weiche Technologie‹ und die Formkausalität der Erziehung: »Sie bezieht sich auf die Komponenten, die sie vorfindet und die sie je nach Umständen, Absichten und ›Lage der Dinge‹ so interpretiert, dass die bestimmte Operation ausgeführt werden kann« (Prange, 2012a, S. 54).

Mit dem Terminus der pädagogischen Differenz unterscheidet Prange das Erziehen vom Lernen sowie das Erziehen von der Erziehung. Das Lernen beschreibt er als für die Pädagogik selbstverständliche Vorgegebenheit, als einen »elementaren, nicht negierbaren Sachverhalt« (Prange, 2012a, S. 58) mit einer unerschöpflichen Fülle an Themen. Als »nicht hintergehbares Phänomen« ist es vom Erziehen scharf auseinanderzuhalten: »Es gibt das Lernen anders als das Erziehen. Das erste von Natur und sozusagen unausweichlich, das Zweite als ein Tun und Verhalten, das man auch lassen kann« (Prange, 2012a, S. 59). Erst aus dem Zusammen- und Gegenspiel von Erziehen und Lernen geht Erziehung hervor (Prange, 2012a, S. 58). Gegenstand der Pädagogik ist diese wechselseitige Bezugnahme, während der alleinige Blick auf das Lernen auch andere DisziplinenFootnote 1 betrifft: »Das Erziehen ist insgesamt und in seinen einzelnen Ausprägungen auf das Lernen bezogen und von daher zu inszenieren, so wie umgekehrt das Lernen in pädagogischer Sicht […] von den Erziehungsakten und der Hauptoperation her, dem Zeigen, zu verstehen ist« (Prange, 2012a, S. 63).

Das Zeigen stellt damit gleichsam die »einheimische Operation« (Prange, 2012a, S. 50) und der ausgestreckte oder erhobene ZeigefingerFootnote 2 die »Grundgebärde des Erziehens« (Prange, 2012a, S. 59) dar. Eine erzieherische Bedeutung erhält das Zeigen allerdings allein durch den Bezug auf das Lernen, also dadurch, »dass den Adressaten des Zeigens ein Können, ein Wissen oder eine Haltung angesonnen oder ermöglicht wird« (Prange, 2012a, S. 69). Die Zeigegebärde enthält dabei eine doppelte Bewegung, jene »in Richtung auf Sachverhalte« (Prange, 2012a, S. 68) und jene in Bezug auf das mit dem Zeigen Gemeinte.

Der Hand schreibt Prange eine besondere Bedeutung zu. Sie verkörpere die Zeigegebärde schlechthin und markiere »eine der Schnittstellen von Natur und Kultur […] von Geist und Natur, von Sinnlichkeit und Vernunft, Anschauung und Begriff« (Prange, 2012b, S. 28–29). Für das Verhältnis von Lernen und Erziehen komme ihr deshalb eine zentrale Bedeutung zu, weil sie der geistigen Kultur und dem Aufbau kognitiver Strukturen das Fundament der gelebten, operativ vermittelten Anschauung zur Verfügung stelle (Prange, 2012b, S. 29–30). Um ins »Herz der Pädagogik als didaktischer Technologie« vorzudringen und das Lernen »in die Mache zu nehmen« (Prange, 2012b, S. 30), bedürfe es der Hand. Die Orientierung an Fertigkeiten betont – anders als der Primat des Sehens einer wissensorientierten Pädagogik – die Hand als »Werkzeug der Weltbemächtigung« (Prange, 2012b, S. 31). Die technologische Quelle des Wissens ist das Können und der Gebrauch der Dinge. Die Hand ist auch als sprachliche Geste latent vorhanden, »wenn es darum geht, das, was über Zeichen und über sprachliche Ausdrücke vermittelt ist, anderen so zu präsentieren, dass sie es sich zuverlässig zu eigen machen können« (Prange, 2012b, S. 21). Die Zeigekunst ist das originäre Thema der Didaktik im Sinn der »Kombination von Wort und Sachverhalt, von Begriff und Anschauung« (Prange, 2012b, S. 22). Erziehung in einem pragmatisch-operativen Verständnis ist das »Handwerk des Zeigens«, ein Gestalten, »in dem sich das gegebene Material und die künstlerische Hand treffen« (Prange, 2012b, S. 24). Das Material sind die Adressaten der Erziehung, auf das sich die formende AbsichtFootnote 3 bezieht (Prange, 2012b, S. 23).

Mehr aber als die Absicht der Erziehenden, »die wollen, dass dies und jenes gelernt werden soll« (Prange, 2012a, S. 70), macht die Rezeption dessen, was und wie etwas gezeigt wurde, das Zeigen zur Erziehung. Aus der Autonomie des Lernens folgt für Prange nun aber nicht, dass das Erziehen und die dem Erziehen eigentümliche Operation des Zeigens als »unsinnig, überflüssig oder von vornherein vergeblich« oder als »unstatthafte Bevormundung denunziert« (2012a, S. 71) werden dürfe. Das »maßgebende pädagogische Können« sieht er in der »Zeigekompetenz« und eine Abhebung von Belehrung oder Stoffvermittlung von einem eigentlichen Pädagogischen »als ob es noch etwas besonders Wertvolles und Menschlich-Höheres darstellte« (Prange, 2012a, S. 78), als vollkommen verfehlt. Bei der Inszenierung des Zeigens gehe es immer darum, »Themen und Personen über Zeit in ein Verhältnis zu setzen« (Prange, 2012a, S. 74). Dieses Ins-Verhältnis-Setzen stellt neben der inhaltlichen und sozialen die zeitliche Dimension des Zeigens dar, die mit dem Begriff der Artikulation, verstanden als »Verzeitigung des Zeigens«, (Prange, 2012a, S. 73) gefasst wird. Artikulation bezieht sich dabei keineswegs nur auf schulischen Unterricht, sondern darauf, dass pädagogisches Handeln zeitlich verfasst ist und daher auch »ausdrücklich organisiert, inszeniert und auf die Reihe gebracht werden kann« (Prange & Strobel-Eisele, 2015, S. 43). Die Logik des pädagogischen Handelns liegt daher im Dreischritt, eine soziale Beziehung zu schaffen, in dieser etwas zu zeigen und sich schließlich zu vergewissern, was davon gelernt wurde (Prange & Strobel-Eisele, 2015, S. 44).

Das Lernen bedarf einer gesonderten Betrachtung, weil es dem Zeigen nicht nur vorausgesetzt, sondern das Zeigen ihm nachgerade ausgesetzt ist (Prange, 2012a, S. 94). Es erscheint als günstige Disposition, um benutzt und ausgebeutet zu werden und zugleich als Gefahr und Versuchung für Bildungsbeschränkung (Prange, 2012a, S. 81). Als unbestimmte und bedingt bestimmbare Größe ist es nicht nur in der Erziehung präsent, »sondern auch daneben und oft genug gegenläufig« (Prange, 2012a, S. 82). Es ist schwer zu erfassen, da es sich verbirgt und erst in Erscheinung tritt, wenn es misslingt (Prange, 2012a, S. 85–86). Zum Zeigen steht es in einem Verhältnis, das sich nicht durch ein »Geben und Nehmen, Verkaufen und Kaufen, Veräußern und Erwerben« kennzeichnen lässt: »Wer erzieht, indem er etwas zeigt und lehrt, üben lässt oder zu einem Verhalten auffordert, gibt nichts weg, und der Lernende bekommt nichts, was der Erzieher verliert« (Prange, 2012a, S. 86). Es ist »in einer grundlegenden Weise unthematisch und intransparent« (Prange, 2012a, S. 87).

Diesen Befund liest Prange als »positive Auskunft« (2012a, S. 87), die er mit drei fundamentalen Einsichten begründet, dass 1) Lernen der Erziehung und Erziehungswissenschaft vorgegeben, 2) unvertretbar und 3) wesentlich unsichtbar ist (2012a, S. 87–88):

  1. 1.

    Die Vorgegebenheit des Lernens bezeichnet die »Betriebsprämisse« (Prange, 2012a, S. 88) für pädagogisches Handeln. Es stellt einen Tatbestand dar, »eine anthropologische Konstante« und »Mitgift unserer Natur« (Prange, 2012a, S. 88). Diese naturgegebene »Bildsamkeit« ist »unableitbar gegeben« und geht dem Überbau der Kultur als »Freiheit auf dem Grunde unserer Ausstattung« (Prange, 2012a, S. 88–89) voraus.

  2. 2.

    Die Unvertretbarkeit des Lernens beschreibt, dass man nicht lernen lassen kann (Prange, 2012a, S. 89). Wie das Sterben und Essen ist das Lernen leibgebunden. Lernen ist individuell verfasst: »Wir sind da in erster Linie nicht handelnd, sondern wir erleben, erleiden und empfangen etwas; wir sind, wenn wir lernen, primär rezeptiv, nicht aktiv, oder nur sekundär aktiv, indem wir das Essen auswählen oder verweigern, es gut oder übellaunig aufnehmen« (Prange, 2012a, S. 90). Demgegenüber ist das Zeigen ein sozialer Prozess zwischen Personen.

  3. 3.

    Die Unsichtbarkeit des Lernens bezieht sich darauf, dass das Lerngeschehen selbst nicht sicht- und beobachtbar ist: »Wir sehen nur die Bemühung und das Resultat, an dem wir hinterher ablesen, ob etwas gelernt worden ist oder nicht« (Prange, 2012a, S. 91).

Die Differenz zwischen dem sichtbaren, sozialen Akt des Erziehens und der unsichtbaren, individuellen Rezeption konstituiert die pädagogische Differenz von Zeigen und Lernen (Prange, 2012a, S. 92). Da das Lernen gegeben ist, ist es elementarer als das Erziehen: »Das erste ist an sich gegeben, das zweite können wir versuchen oder lassen, gut oder schlecht machen, geschehen lassen oder planmäßig organisieren, um dadurch auch das Lernen, das der anderen und das eigene Lernen, gewissermaßen in die Mache zu nehmen« (Prange, 2012a, S. 93). Lernen und Erziehen stellen zwei unterschiedliche Operationen dar und Erziehung ist der Versuch, »diese beiden Operationen zu koordinieren, wörtlich: zwei Ordnungen in eine Ordnung zu überführen, sie aufeinander abzustimmen und zu synchronisieren« (Prange, 2012a, S. 93, Hervorhebung im Original).

Die Struktur des Verhältnisses von Lernen und Erziehen fundiert Prange mit dem Konzept der poetischen Rezeptivität. Dieses gründet in der Annahme, dass Lernen auf Wahrnehmen beruht und in dieses Wahrnehmen zugleich »Bewertungen und Einschätzungen eingehen, gewissermaßen implizite Urteile darüber und Bilder davon, warum etwas so ist, wie es sich zeigt und erlebt wird« (Prange, 2012a, S. 97). Die ›reflexe Verfasstheit‹ (Prange, 2012a, S. 97) der poetischen Rezeptivität geht davon aus, dass das Wahrgenommene nicht erst »nachträglich eine Gestalt durch die Zutat der Reflexion« (Prange, 2012a, S. 96) annimmt, sondern »zugleich als Botschaft und als Zeichen für etwas« (Prange, 2012a, S. 97) gelesen wird. Dieses verstehende Lernen kennt drei Grundformen. Seinen Anfang hat es durch die »einverleibende Mitbewegung« (Prange, 2012a, S. 101) in der frühkindlichen Form des Übens, auf welches das zweite Lernen in Gestalt des Kennenlernens zum Erwerb von Kenntnissen folgt (Prange, 2012a, S. 100). Das dritte Lernen handhabt diese zwei Bewegungen in moralischer Hinsicht, indem es Einstellungen und Haltungen erprobt (Prange, 2012a, S. 101). Erzieherische Maßnahmen unterstellen Lernen und bewegen sich in einem »praktisch-operativen Zirkel von Erwartung und Erfüllung, der zwar im Einzelfall immer enttäuscht, aber deshalb nicht aufgegeben wird« (Prange, 2012a, S. 104).

2.2 Formen pädagogischen Handelns

Zu den elementaren Formen pädagogischen Handelns zählen Prange und Strobel-Eisele das ostensive, das repräsentative, das direktive und das reaktive Zeigen. Das Üben begründet die erste Form pädagogischen Handelns (Prange, 2012a, S. 121). Das ostensive Zeigen schmiegt sich an die vorfindliche Übungsbereitschaft an (Prange & Strobel-Eisele, 2015, S. 54): »Es ist diese feste Koppelung von Ausübung (auf Seiten der Lernenden) und Einübung (auf der Seite des Erziehens), die dieses Üben auszeichnet« (Prange & Strobel-Eisele, 2015, S. 49). Das Wiederholen gleicher oder ähnlicher Aktivitäten zählt zu den Merkmalen dieses erfahrungsbasierten, frühen und ursprünglichen Lernens, welches auf Zuwendungen aus der Umwelt als erzieherische Hilfe angewiesen ist und darauf, dass »das Lernthema sozusagen direkt vor Augen liegt« (Prange & Strobel-Eisele, 2015, S. 50). Bei dieser Zeigeform besteht die größte Nähe zwischen Erziehenden und Lernenden. Sie zielt darauf, Lernende »vollständig zu ergreifen und mit Beschlag zu belegen, sich ihrer durch die Aufforderung zum Mitmachen zu bemächtigen und sie in den Bann von Aktionen, Ideen und Einstellungen zu ziehen« (Prange & Strobel-Eisele, 2015, S. 50). Mitlaufende Erfolgskontrollen in Gestalt von Rückmeldungen sowie die Mitbewegung bilden weitere Merkmale des ostensiven Zeigens. Lernende erhalten Gelegenheit, durch Teilnahme, Zusehen und Mitmachen ein Können zu erwerben und ein erzieherisches Angebot wird so lange wiederholt, »bis die Koppelung fest verankert ist« (Prange & Strobel-Eisele, 2015, S. 53) und das Verhalten reproduziert werden kann. Das durch Gelegenheit und Anregung gestützte übende Lernen hat einen Gegenwarts- und Zukunftsbezug, insofern Fertigkeiten und Kompetenzen (vor-)geübt werden, die später wichtig sind und »die weitere Formung der gesamten Person betreffen« (Prange & Strobel-Eisele, 2015, S. 54).

Das repräsentative Zeigen zielt anders als das ostensive Zeigen nicht auf ein leibnahes, gegenwärtiges und unmittelbares Lernen, sondern darauf, »dem Lernenden etwas unmittelbar nicht Gegebenes vor Augen zu führen« (Prange & Strobel-Eisele, 2015, S. 61). Das Darstellen bezieht sich auf das Einsehen und Lesen des Unsichtbaren und bedient sich abstrakter Zeichen und Symbole. Elementare Formen der Welt-Darstellung in Wort und Bild sind das Erzählen, Berichten, Beschreiben, Erklären, Begründen und Beweisen (Prange & Strobel-Eisele, 2015, S. 68). Dient das ostensive Vormachen dem Aufbau von Fertigkeiten durch Üben, zielt das repräsentative Darstellen dem Erwerb von Kenntnissen durch das Sehenlassen von Sachverhalten im Zusammenhang, »so dass sie als Allgemeines lehrbar und lernbar werden« (Prange & Strobel-Eisele, 2015, S. 68).

Das direktive Zeigen kennzeichnet sich dadurch, dass es zugleich die anspruchsvollste und die schwächste Form pädagogischen Handelns ist (Prange & Strobel-Eisele, 2015, S. 77). Anspruchsvoller als das ostensive und repräsentative Zeigen ist sie deshalb, weil sie in einer Kombination von Selbst- und Fremdbestimmung das Wollen der Adressaten zu erreichen versucht. Das direktive Zeigen richtet sich an das Gesamtverhalten, den Charakter und die Haltungen von Lernenden. Die Unvertretbarkeit des Lernens hebt auf die Selbstbestimmung ab, die Illusion einer vollständigen Verfügbarkeit über die eigene Lebensführung mit der Notwendigkeit, fremde Leistungen in Anspruch nehmen zu müssen, auf die Fremdbestimmung (Prange & Strobel-Eisele, 2015, S. 74). Schwach ist das direktive Zeigen deshalb, weil ihm eine Nichtplanbarkeit und damit Unsicherheit innewohnt. Lernende beziehen sich eigenwillig auf sich selbst, können willig und einsichtig den Erwartungen folgen, diese aber auch widerspenstig, uneinsichtig und harthörig verwerfen (Prange & Strobel-Eisele, 2015, S. 76). Das Anweisen, Anregen, Ermuntern, Ermahnen, Erinnern, Bitten und Appellieren stellen graduell unterschiedliche Varianten von Aufforderungsformen dar, um auf das Gemüt einzuwirken. Direktives Zeigen als »Ermahnung und Antreiberei, moralische Erinnerungen und die Imperative einer einwandfreien Lebensführung« (Prange & Strobel-Eisele, 2015, S. 78) erfolgen immer im Zusammenhang mit anderen Formen des Erziehens. Das ostensive Zeigen hat einen Gegenwarts-, das repräsentative Zeigen einen Vergangenheits- und das direktive Zeigen einen Zukunftsbezug. Letzterer begründet die Ungewissheit pädagogischen Handelns: »Wir können nicht nur nicht bewirken, was die Kinder und Schüler, die Lehrlinge und Studierenden mit dem anfangen, was wir ihnen zeigen, wir können es ebenso wenig wie die Lernenden selber nicht wissen« (Prange & Strobel-Eisele, 2015, S. 77).

Das Beraten diskutieren Prange und Strobel-Eisele als Sonderform des direktiven Zeigens, bei der das pädagogische Verhältnis umgekehrt wird, insofern Ratsuchende die Initiative ergreifen: »Die Erziehung sucht nicht das Lernen auf, sondern das Lernen wendet sich an das pädagogische Handeln« (2015, S. 82). Mit Blick auf den Bezug zum Lernen, der die pädagogische Dimension des Beratens ausmacht, halten Prange und Strobel-Eisele an der Grundgebärde des Zeigens fest und verweisen auf eine pädagogisch-ethische Haltung, die Wege freistellt, damit sich Ratsuchende frei entscheiden können. Einen direktiven Aufforderungscharakter erfahre das Beraten dadurch, dass es an Lernende appelliere, »sich selber Aufgaben zu stellen und sich zu riskieren« (Prange & Strobel-Eisele, 2015, S. 84). Es stelle sich die Frage, ob Beratung durch eine »Erziehung durch Nicht-Erziehung« (Prange & Strobel-Eisele, 2015, S. 84) das pädagogische Handeln nicht überfordere. Es handle sich womöglich mehr um eine »gedankliche Konstruktion und Wunschvorstellung« (Prange & Strobel-Eisele, 2015, S. 84) in Anbetracht »einer Gesellschaft von potenziell Mündigen unter den sozialen Bedingungen unentrinnbarer Abhängigkeiten« (Prange & Strobel-Eisele, 2015, S. 81).

Ähnlich wie das direktive Zeigen richtet sich auch das reaktive Zeigen auf das Verhalten von Adressaten, allerdings nicht proaktiv, sondern mit Blick darauf, wie diese auf das Gezeigte reagieren, »sei es in der Form von Einübung, der Darstellung oder der Aufforderung« (Prange & Strobel-Eisele, 2015, S. 86). Die Vergewisserung über das Gelernte gestaltet sich als »Zusammen- und Gegenspiel wechselseitiger Betroffenheiten«, insofern eine »affektive Verstrickung« (Prange & Strobel-Eisele, 2015, S. 86) die pädagogische Beziehung zugleich trägt und erschwert. Das »Mitgehen, Mitfühlen und Interessennehmen« (Prange & Strobel-Eisele, 2015, S. 86) als Ausdruck eines grundständigen Wohlwollens wendet sich zurück auf das vergangene Lernen: »Es geht beim reaktiven Zeigen um die Thematisierung des vergangenen Lernens, im Gegensatz zu Aufforderungsformen, die sich auf zukünftiges Lernen beziehen« (Prange & Strobel-Eisele, 2015, S. 87). Das Rückmelden hat durch das Moment der Anerkennung oder das Ausbleiben von Anerkennung immer einen Doppelbezug auf Person und Sache und ist daher eine Quelle von Schwierigkeiten (Prange & Strobel-Eisele, 2015, S. 87–88). Lob und Tadel als Hauptformen der pädagogischen Nachsorge begleiten das Üben, Darstellen und Auffordern mit Blick auf den Erwerb einer Fertigkeit sowie von Kenntnissen und Bemühungen, einer Aufforderung zu entsprechen (Prange & Strobel-Eisele, 2015, S. 88).

Nur am Rande des pädagogischen Handelns, im Kontext öffentlicher Erziehung aber dennoch prominent, nimmt die Prüfung eine Sonderstellung ein. Sie stellt eine Spezifikation des reaktiven Zeigens dar und hat die Funktion, Wissen und Können zu erfassen und die »Platzierung der Lernenden im differenzierten Schulsystem einer Gesellschaft« (Prange & Strobel-Eisele, 2015, S. 96) zu legitimieren. Ex-Post-Bewertungen von mündlichen und schriftlichen Prüfungen dienen dazu, Leistungen aufzuzeigen (Prange & Strobel-Eisele, 2015, S. 98). Maßstäbe des Bewertens können unter einer sachlichen Bezugsnorm eine absolute, unter einer sozialen Bezugsnorm eine relative und unter einer individuellen Bezugsnorm eine individuelle Dimension haben (Prange & Strobel-Eisele, 2015, S. 98–100). Prange und Strobel-Eisele plädieren bei Prüfungen für die sachliche Bezugsnorm und dafür, allein das Ergebnis, »gewissermaßen ohne Ansehen der Person« (Prange & Strobel-Eisele, 2015, S. 98), zu berücksichtigen. Damit verbinden sie die Forderung, sich auf den Nachweis der Befähigung zu begrenzen und das Prüfen von »ermutigenden oder sonstwie‚ ›pädagogischen Absichten‹ nach Möglichkeit« (Prange & Strobel-Eisele, 2015, S. 98) freizuhalten. Diese Bescheidung markieren sie als Charakteristikum des Prüfens im Unterschied zu anderen Formen des reaktiven Zeigens.

Von diesen elementaren Formen pädagogischen Handelns unterscheiden sich komplexe Formen, die »Variationen und Kombinationen der einfachen Formen unter je besonderen Umständen« (Prange & Strobel-Eisele, 2015, S. 106) darstellen. Komplexe Formen greifen Gelegenheiten auf, »die zunächst ganz ohne die Absicht, pädagogisch zu handeln, gegeben sind« (Prange & Strobel-Eisele, 2015, S. 107–108), um sie mit Blick auf das Lernen in Regie zu nehmen. Empirisch sind schier unendlich viele Situationen denkbar, die pädagogisch ausgebeutet werden können. Eine prägnante Form stellt das Arrangieren dar. Es handelt sich dabei um eine gestaltete »Situation zum Zwecke des Lernens« (Prange & Strobel-Eisele, 2015, S. 108), die Schaffung von »Bedingungen der Möglichkeit für eine Lerngelegenheit« oder die Nutzung eines schon bestehenden »Standardarrangements« (Prange & Strobel-Eisele, 2015, S. 109). Im Unterschied zu den Grundformen des Zeigens verbirgt sich das Erziehen in pädagogischen Arrangements (Prange & Strobel-Eisele, 2015, S. 110): »Statt Lernprozesse instruktiv anzuleiten und direkt zu steuern, werden Situationen arrangiert, mit der Annahme, dass sie einen ausreichenden Aufforderungscharakter haben, um die Subjekte zu selbstorganisiertem Lernen zu bewegen« (Prange & Strobel-Eisele, 2015, S. 111). Lernende erhalten einen weiten Gestaltungs- und Nutzungsrahmen, der die Grundformen pädagogischen Handelns integriert. Das Arrangieren versteht sich als »Angebot oder Offerte einer lernanregenden Umgebung, von der man annehmen oder hoffen darf, dass sie tatsächlich Lernbemühungen auslöst« (Prange & Strobel-Eisele, 2015, S. 114).

Großformen pädagogischen Handelns kennzeichnen sich schließlich dadurch, dass »der Staat als rechtlich verfasste Gemeinschaft« sowie »wirtschaftliche Interessenvertretungen und politische Verbände« (Prange & Strobel-Eisele, 2015, S. 200) unmittelbar als Träger des pädagogischen Handelns auftreten. Sie traktieren Zielgruppen pädagogisch, »versuchen sie zu belehren und womöglich zu begeistern, sie bewegen sie zu kollektiven Aktivitäten und stellen sie auf neue Gegebenheiten und Verhaltensziele um« (Prange & Strobel-Eisele, 2015, S. 201). Das pädagogische Handeln ist dabei nicht nur auf Macht angewiesen, sondern sichert die politische Herrschaft, indem es »ein gewisses Maß an innerer Zustimmung und ideologischer Gemeinsamkeit« (Prange & Strobel-Eisele, 2015, S. 202) zu stiften sucht. Die Kombination von Herrschaft und Erziehung findet sich in der »Volks- und Massenerziehung« (Prange & Strobel-Eisele, 2015, S. 203–212), die mittels Direktiven, Erziehungskampagnen und Strafnormen operiert. »Techniken der Unterrichtung und Provokation« kommen aber auch in Versuchen ›von unten‹ zum Einsatz, um »neue Verhaltensweisen und Mentalitäten zur Geltung zu bringen« (Prange & Strobel-Eisele, 2015, S. 210).

2.3 Die Artikulation von Zeigen und Lernen

Die pädagogische Differenz verortet Prange im Zwischenraum von Operationen des Zeigens und Operationen des Lernens. Hier kommen Lernen und Zeigen zusammen, »so dass das Lernen durch das Zeigen zur Erscheinung gebracht wird« (Prange, 2012a, S. 107). Dieses Dazwischen kennzeichnet er als Artikulation, die er als »Brücke zwischen Zeigen und Lernen« versteht, »gleichsam als Scharnier, von dessen Eigenschaften es abhängt, wie Lernen und Erziehen zusammenkommen« (Prange, 2012a, S. 109). Zentral für das Artikulieren ist der zeitliche Aspekt mit zwei grundlegend verschiedenen Modi, die miteinander in Beziehung treten: Operationen des Zeigens sind datenzeitlich, Operationen des Lernens modalzeitlich verfasst. Die Koordination von Zeigen und Lernen entfaltet sich dann ausdrücklich pädagogisch, wenn einem Adressaten »mit Rücksicht auf seine Lage und Fassungskraft« etwas so gezeigt wird, dass er von dem Gezeigten »auch wirklich getroffen wird« (Prange, 2012a, S. 117). Das Zeigen gleicht dabei einem Vorstoß, einer Bewegung, die sich Schritt für Schritt vollzieht und in das Lernen eingreift (Prange, 2012a, S. 119). Dieses datenzeitliche Zeitigen ist vergänglich, unwiederholbar und unwiderruflich: »Das Zeigen geht vor, trifft den Lernenden und greift auf dessen Möglichkeiten zurück. […] Es besteht […] darin, etwas vorgreifend zu vergegenwärtigen und dann rückläufig sammelnd zu klären« (Prange, 2012a, S. 118). Demgegenüber ist das Lernen »dem Vorstoß ausgesetzt, wird auf sich zurückgeworfen, dann sammelt und ordnet es sich und geht dann seinerseits vor. Zeigen ist vorlaufender Rückgriff, Lernen rücklaufender Vorgriff« (Prange, 2012a, S. 118). Dieses modalzeitliche Zeitigen gleicht einer Gegenwart, die unvergänglich ist, da sie Lernende »als rückgreifende Erinnerung und vorgreifende Erwartung« (Prange, 2012a, S. 120) begleitet. Die Modalzeit des Lernens, verstanden als Erfasst- und Getroffenwerden, bewegt sich nicht. Sie umfasst das, was sich Lernenden zeigt und zur Erscheinung kommt, »entweder im Modus des Möglichen oder des aktuell Wirklichen oder des immer und unveränderbar Gegebenen« (Prange, 2012a, S. 121).

Das zeiträumlich verfasste Artikulieren als »Hauptgeschäft der Erziehung« bringt nun »Zeiträume der Artikulation« (Prange, 2012a, S. 124) hervor (vgl. Abbildung 3.2): »Zeigen braucht die Zeit als Nacheinander von Terminen, um in Situationen platziert zu werden, und Lernen braucht die Modalzeit des Zeitigens, um das Gezeigte in die eigenen Ordnungen hier und jetzt einzufügen« (Prange, 2012a, S. 124). Diese Zeiträume sind nicht als »Dinge« oder »Kästen« zu verstehen, sondern als »Verhältnis von Hier, Ich (wir) und Jetzt« (Prange, 2012a, S. 126). In dem Maß, wie sich Verhältnisse zwischen Operationen des Zeigens und Operationen des Lernens »stabilisieren und wiederholen, bilden sich im Verkehr miteinander Institutionen aus, in denen ein Modus der Zeitigung sich gleichsam auf Dauer stellt« (Prange, 2012a, S. 126). Charakteristische Zeiträume der Artikulation bestimmt Prange als Gelegenheitserziehung, Erziehung durch Lehre und Erziehung als Evokation. Er versteht sie als »Gelenkstück zu eben jenen Kommunikationen, in denen wir sozial existieren und miteinander zu tun haben« (Prange, 2012a, S. 130). Erziehung erstreckt sich in dieser operativen Lesart von Pädagogik – wiewohl die Grundoperationen auch und insbesondere im Kontext frühkindlicher Erziehung und schulischen Unterrichts deutlich werden – über das ganze Leben (Prange, 2012a, S. 130).

Abbildung 3.2
figure 2

(Eigene Darstellung nach Prange, 2012a, S. 121)

Koordination von Zeigen und Lernen in Zeiträumen der Artikulation.

Gelegenheitserziehung vereint Lernen und Zeigen in einer unaufhebbaren »Gegenwart als Zusammen von Ich-Hier-Jetzt« (Prange, 2012a, S. 131). Dieser Zeitraum konstituiert sich durch das Üben, und zwar als »Mitmachen und Nachmachen, Nachsprechen und Folgen, Mithören und Mitsehen« (Prange, 2012a, S. 131–132) dessen, was andere zeigen. Geübt wird dabei die Form, »wie etwas vorgetan worden ist, oder wie man sich vergegenwärtigt, was andere vormachen« (Prange, 2012a, S. 132). In arrangierten Gelegenheiten zum Üben kann der Zeigegestus schwach ausgeprägt und versteckt sein (Prange, 2012a, S. 132). Dieser Zeitraum kennzeichnet sich durch die Kopplung der Ausbildung von Fertigkeiten, Kenntnissen und Haltungen. Das Arrangement zeigt sich in einer gewissen »Anmutsqualität« und als »Appelldatum«, um eine »reifere oder veränderte Haltung im Verhalten« (Prange, 2012a, S. 133) anzuregen. Erziehung durch Lehre bedient sich des darstellenden Zeigens und Formen des Belehrens, Unterweisens und Unterrichtens, um zu repräsentieren, »was nicht unmittelbar präsent ist« (Prange, 2012a, S. 134). Dieser Zeitraum kennzeichnet sich durch die Vermittlung von Sachverhalten durch Zeichen. Er »artikuliert, was gewusst wird und als Wissen formulierbar ist, und ist auf das angewiesen, was immer schon als Wissen erarbeitet ist oder als ein solches Wissen angesehen wird« (Prange, 2012a, S. 134). Erziehung als Evokation konstituiert sich durch direktives Zeigen, das sich »appellierend, fordernd oder eben nur anratend« (Prange, 2012a, S. 133) auf Lernende bezieht. Dieser Zeitraum spricht Lernende mit Aufforderungen, aber auch mit Drohungen und Warnungen an, um sie auf ihre Möglichkeiten und Grenzen aufmerksam zu machen. Artikuliert wird das Selbstverhältnis (Prange, 2012a, S. 134).

Die drei Zeiträume der Artikulation basieren auf modalzeitlich verfassten Zeitstufen, das heißt, auf dem, »was jetzt für mich ist, was für jedermann war und was für mich kommt« (Prange, 2012a, S. 134). Jeder Zeitraum hebt auf eine spezifische, datenzeitlich verfasste Zeigeform ab:

  • Das repräsentative Zeigen richtet sich an das, was zu wissen ist und damit an die Einsicht und das kognitive Lernen.

  • Das direktiv-appellierende Zeigen richtet sich an das, was zu wollen ist und damit an das vorgreifende Lernen im Selbstbezug.

  • Das ostensive Zeigen richtet sich an das, was zu wissen und zu wollen ist mittels arrangierter Gelegenheiten zum Üben (Prange, 2012a, S. 134–135).

Zeiträume der Erziehung artikulieren Übergänge. Pädagogisch Handelnde sind »Lotsen für Übergänge«, von Übergängen »vom Nicht-Können zum Können, vom Nicht-Wissen zum Wissen und vom Nicht-Wollen zum verantwortlichen Wollen« (Prange, 2012a, S. 169). Lernende wiederum bringen zum Ausdruck, ob und wie sie das Gezeigte verstanden haben, indem sie es selber wieder zeigen (Prange, 2012b, S. 116). Da das Lernen selbst unsichtbar ist, muss es sich in der Wiederholung ausdrücken: »Nicht anders verhält es sich bei einfachen Übungen oder neuen Gewohnheiten, bei theoretischen Lehrsätzen welcher Art auch immer, bei Normen oder schlichten Gebrauchsanweisungen. Das Gezeigte wieder zeigen können: darauf ist das Erziehen angelegt« (Prange, 2012b, S. 116). Die Differenz von Zeigen und Lernen begründet die Pädagogik als technologische Disziplin und die didaktische Aufgabe, »das Unsichtbare sichtbar zu machen« (Prange, 2012b, S. 118). Das Darstellen im Sinn »des repräsentativ-sinnfälligen Zeigens von etwas, das sich unmittelbar nicht zeigt und jetzt in Zeichen zur Erscheinung gebracht wird« (Prange, 2012b, S. 119), bildet die Brücke zum Verstehen. Erziehen gibt es daher nicht gesondert vom Unterrichten, da ohne propositionalen Gehalt »nicht ermahnt und gefördert, nicht gefordert oder auch nur angesonnen werden kann« (Prange, 2012b, S. 120). Der Tatbestand, dass sich Lernen »gegenüber den Aufgaben und Provokationen des Erziehens als relativ selbstständig erweist« (Prange, 2012b, S. 182), ist nicht nur Quelle von Erfolg und Misserfolg des Erziehens, sondern auch Triebkraft für das Hauptgeschäft der Pädagogik, dieses Lernen zu provozieren.

2.4 Ästhetische Formkausalität

Aus der Doppelstruktur der Erziehung als Koordination von Zeigen und Lernen erwächst das Phänomen, dass »pädagogische Inszenierungen immer auch machtbestimmt sind« (Prange, 2012b, S. 77). Zur Normalität der Erziehung gehören, wie oben dargestellt, die Koordination von Zeigen und Lernen sowie das Zeigen als Grundoperation. Die Macht der Erziehenden besteht nicht nur in der Intention zu bestimmen, »wie viel und was sie zeigen und sehen lassen und was nicht« (Prange, 2012b, S. 88), sondern auch in der Form des Darstellens. Pädagogische Kommunikation lässt allerdings keine direkten Eingriffe in das Lernen zu: »Ein gewisses Maß an Zustimmung und Lernbereitschaft muss von der Seite der Machtunterworfenen hinzutreten« (Prange, 2012b, S. 87). Diese Gegenmacht der Lernenden stellt eine Randbedingung der Erziehung dar. Auch das Verdecken der Erziehungsabsicht in pädagogischen Arrangements verweist auf diesen Machtaspekt. Die erzieherische Valenz ergeht aus dem »Appellcharakter von Situationen« (Prange, 2012b, S. 90). Bei Lernenden eine Resonanz zu erwirken, geht immer auch mit »Mitteln der Regierung« (Prange, 2012b, S. 92) einher: »So gesehen ist Macht nichthintergehbar mit pädagogischen Effekten verbunden. Sie ist der Erziehung nicht äußerlich, sie gehört dazu« (Prange, 2012b, S. 92). Die elementaren Formen pädagogischen Handelns gehen daher nicht nur mit spezifischen Spiel-, sondern auch mit Fehlformen einher.

Ins »Zwielicht der Abrichtung und blanken Dressur« geraten Zeiträume der Gelegenheitserziehung, wenn Praktiken des ostensiven Zeigens auf Drill und Exerzieren und damit auf »Techniken der Menschenbeherrschung« (Prange & Strobel-Eisele, 2015, S. 58) angelegt sind. Die »Pointe solcher Übungswege« besteht darin, dass sie mittels direktem Mitvollzug auf eine »unbefragte und ausdrücklich nicht problematisierte Identifikation mit einer Lebens- und Glaubenspraxis« (Prange & Strobel-Eisele, 2015, S. 59) setzen. Die Fehlform der ›Anverleibung‹ beschränkt die Form des Übens auf das Können, indem sie nicht erst ein Wissen vermittelt und zu Disputationen und Stellungnahmen einlädt: »Der Übungsleiter sagt, wie der Adept sich zu verhalten hat, und rechnet darauf, dass sich daraus für ihn, den Exerzianten, eine anders auch gar nicht mitteilbare Erfahrung ergibt« (Prange & Strobel-Eisele, 2015, S. 59). Zeiträume der Erziehung durch Lehre sind der Gefahr von Engführungen, Einseitigkeiten und willkürlichen Beschränkungen ausgesetzt (Prange & Strobel-Eisele, 2015, S. 72). Die Fehlform der Indoktrination ergibt sich aus »dogmatischen Fixierungen und Grenzsetzungen«, die mit Verboten und Stoppregeln den Kreis von Begründung, Beweis und Widerlegung unterdrücken (Prange & Strobel-Eisele, 2015, S. 72). Erziehung als Evokation führt die Fehlform der Verführung mit, die sich darauf stützt, dass Lernende in den »Bann einer Person und ihrer Anschauungen« (Prange & Strobel-Eisele, 2015, S. 80) geraten. Das in allen Zeiträumen auf die Person und Sache gerichtete reaktive Zeigen riskiert, das Vertrauen im Arbeitsbündnis zu untergraben. Lob und Tadel verwirken ihre positiven Möglichkeiten für das Lernen durch »inflationären Gebrauch« (Prange & Strobel-Eisele, 2015, S. 92). Die Fehlform der Kränkung erfährt mit dem Versuch, durch immer feinere Bewertungskategorien die Komplexität von Leistungen zu bearbeiten, eine Steigerung, da sie mittels »schematischer Rechenkünste« Personen »mit der Aura objektiver Wertbestimmungen« (Prange & Strobel-Eisele, 2015, S. 104) versieht. Der schmale Grat zwischen Spiel- und Fehlformen des Erziehens gebietet eine »Moral des Zeigens« (Prange, 2012a, S. 137–163), die das Maß für das erzieherische Verhalten einerseits und Moralität als Zielsetzung andererseits betrifft (Prange, 2012a, S. 137). Prange wählt »das Zeigen selber in seinen verschiedenen Modi zum Stützpunkt für die Moral des Zeigens« (2012a, S. 145), um eine pädagogische Ethik an die Didaktik zu koppeln. Dadurch wahrt er den Gesichtspunkt der Erziehung, mit besonderen Verfahrensweisen auf den Tatbestand des Lernens zu reagieren (Prange, 2012a, S. 143). Für die Frage, was zu beachten ist, »um einigermaßen zuverlässig etwas so zu zeigen, damit es gut gelernt werden kann, auch ohne Gewissheit, dass es tatsächlich gelernt wird« (Prange, 2012a, S. 145), hält er drei Maßgaben bereit: »Das Zeigen muss erstens verständlich, zweitens zumutbar und drittens anschlussfähig sein« (Prange, 2012a, S. 145):

  • Das Gebot der Rationalität orientiert sich an Verständlichkeit und daran, etwas so zu zeigen, »dass es sachlich richtig, einsichtig und nachvollziehbar ist« (Prange, 2012a, S. 146). Die Indoktrination verstößt gegen das Wahrheitsgebot.

  • Das Gebot der Achtung berücksichtigt die Zumutbarkeit und damit das, »was die Kinder oder Schüler oder die Teilnehmer eines Kurses schon können und was nicht, ob es sich um eine körperliche Fähigkeit oder eine Fertigkeit, eine Übung oder gedankliche Leistung handelt« (Prange, 2012a, S. 146). Die Sozialkonditionierung verkennt das Gebot der Achtung.

  • Das Gebot der Freiheit setzt auf Anschlussfähigkeit und darauf, dass ein Lernthema »eine Bedeutung für die Zukunft der Lernenden« gewinnt, so dass diese mit Lernaufgaben »auch etwas anfangen können, um es selbstständig fortzusetzen und anzuwenden, sei es für weiteres Lernen, sei es direkt für lebenspraktische Zwecke« (Prange, 2012a, S. 147). Die Manipulation missachtet das Gebot der Anschlussfähigkeit.

Die pädagogische Differenz zwischen Zeigen und Lernen beschreibt den Sachverhalt, dass es »keine direkte Linie von der erzieherischen Absicht zu ihren erwünschten Wirkungen« (Prange, 2012a, S. 151–152) gibt. Die »poetische Selbstständigkeit« (Prange, 2012a, S. 152) der Rezeption verunmöglicht eine mechanische Kausalität. Zwar muss das Zeigen datenzeitlich und unter den »Bedingungen des Wenn-Dann-Verfahrens« organisiert werden, die modalzeitlich verfasste Rezeption aber entscheidet darüber, »was auf welche Weise ankommt und was nicht« (Prange, 2012a, S. 153). Dieses ›reflexe Lernen‹ kennzeichnet sich durch das »Moment der Freiheit, die sich nicht vorschreiben lässt, wie das verwendet wird, was inhaltlich aufgenommen und übend einverleibt worden ist« (Prange, 2012a, S. 154). Erziehung bedient sich daher einer eigenen Kausalität, der ästhetischen Formkausalität (vgl. Tabelle 3.1): »Sie besteht in dem zwanglosen Zwang der guten, gelungenen Form und äußert sich in der Zustimmung der Lernenden zu dem, was sich ihnen darbietet, so dass sie nicht anders können, wenn sie sich nicht verleugnen wollen« (Prange, 2012a, S. 162).

Tabelle 3.1 Ästhetische Formkausalität als Moral des Zeigens. (Eigene Darstellung nach Prange, 2012a, S. 137–163 und Prange & Strobel-Eisele, 2015, S. 37–104)

Die Moral des Erziehens besteht daher darin, »den Operationen des Zeigens eine gute Form zu geben« sowie »die Maßgaben der Verständlichkeit, Zumutbarkeit und Anschlussfähigkeit so zu optimieren, dass ihre Qualität nicht die mechanische Ursache, wohl aber der mögliche Anlass und Anhalt dafür ist, dass die Adressaten sich selber bemühen, dem zu entsprechen, wie sie angesprochen werden« (Prange, 2012a, S. 163).

3 Zwischenfazit: Gesellschaftliche Integration aus pädagogischer Sicht

Die Ausdifferenzierung von Vermittlung als Mechanismus für gesellschaftliche Integration geht mit einer doppelten Aufgabenstellung einher. Eine indirekte bezieht sich auf die Vermittlung der individuellen Subjekte mit der Welt durch die Vermittlung von Wissen und Werten. Diese Bearbeitung von Desintegrationstendenzen bildet die Praxis des Vermittelns von Wissen. Die Ausdifferenzierung des Vermittelns als soziale Praxis steht für die direkte Aufgabenstellung gesellschaftlicher Integration. Sie bezieht sich auf Pädagogik als eigenständigem Ort gesellschaftlicher Vermittlung. Die Spezialisierung auf den Modus der Vermittlung orientiert sich am negativen Codewert ›nicht-vermittelbar‹, was die Systemreproduktion in Gang hält. Aneignung als erfolgreich vollzogene Vermittlung orientiert sich am positiven Codewert ›vermittelbar‹ und liegt außerhalb des pädagogischen Systems, weshalb sie durch dieses operativ nicht gesteuert werden kann. Die operative Pädagogik geht von einer pädagogischen Differenz aus, jener von Erziehen und Lernen, sucht aber nach der Einheit dieser Differenz. Gerade weil Lernen als anthropologische Betriebsprämisse vorgegeben, durch individuelle Leibgebundenheit unvertretbar und unsichtbar ist, kann es für erzieherische Akte in die Mache genommen werden. Das didaktische Dreieck der Kommunikation schematisiert das Ansinnen, dass dem Lernen mit spezifischen Formen Themen angeboten werden, um Zustände von Personen zu treffen. Die systemtheoretische Perspektive erklärt die Autonomisierung und grenzenlose Expansion des Pädagogischen einerseits und die Öffnung für eine Beliebigkeit des Pädagogischen als Folge daraus andererseits. Die operative Pädagogik stellt dieser Beliebigkeit eine dezidierte Profilierung und Unterscheidung spezifisch pädagogischer sozialer Praktiken gegenüber.

Das pädagogische System reproduziert sich dadurch, dass vermittelt wird und ist gegenüber der Frage, wie vermittelt wird, gleichgültig. Diese Unabhängigkeit begründet eine Offenheit in Bezug auf pädagogische Programme und eine Pluralität inhaltlicher Bildungs- und didaktisch-methodischer Theorien. Deren Beliebigkeit stellen Formen pädagogischen Handelns, verstanden als Operationen des Zeigens zum Zwecke des Lernens, ein elaboriertes theoretisches Konzept gegenüber. Aus systemtheoretischer Sicht begründet die Selbstreferenz des pädagogischen und biographischen Systems eine doppelte Steigerung der Autonomie und damit eine Verselbstständigung der Aneignung gegenüber der Vermittlung. Aus dieser Kluft erwächst eine Verlagerung der Verantwortung von der Anbieter- zur Aneignungsseite und eine Selbstorganisationszumutung. Demgegenüber rückt die operative Pädagogik mit dem Konzept der Artikulation das Verbindende ins Zentrum. In Zeiträumen der Erziehung treffen sich datenzeitlich verfasste Operationen des Zeigens und modalzeitlich verfasste Operationen des Lernens. Stellen Professionen, Organisationen und pädagogische ›Hybriden‹ institutionelle Lösungen für die Bearbeitung von Nebenfolgen der Systembildung des Pädagogischen bereit, stellt die ästhetische Formkausalität der operativen Pädagogik das Brückenprinzip für gesellschaftliche Integration dar. Lernen folgt dementsprechend nicht einer mechanischen Kausalität, sondern dergestalt, dass die Zustimmung der Lernenden durch eine gute Form der Zeige-Operationen gewonnen werden kann. Die Gebote der Rationalität, der Achtung und Freiheit begründen eine Moral der Erziehung, welche die Anschlussfähigkeit der Adressaten an Formen des Erziehens nicht erzwingen, nichtsdestotrotz aber trotzdem niemals aufgeben kann.

Ein Vergleich von Denkwerkzeugen der pädagogischen Systembildung und der operativen Pädagogik schärft den Gewinn für deren Beitrag zur gesellschaftlichen Integration (vgl. Tabelle 3.2).

Tabelle 3.2 Gesellschaftliche Integration aus pädagogischer Sicht. (Eigene Darstellung nach Kade, 1997; Prange 2012a; 2012b; Prange & Strobel-Eisele, 2015)

Kades theoretische Konzepte sensibilisieren für den Hiatus, der aus der binären Codierung ›vermittelbar/nicht-vermittelbar‹ erwächst. Der Autonomisierung des pädagogischen Systems steht jene des biographischen Systems gegenüber. Die Vermittlung zwischen Individuum und Gesellschaft verlagert sich in die Selbstorganisation. Sozialintegration ist in dieser Lesart hoch kontingent. Zur Abfederung potenziell desintegrativer Tendenzen sind Brückenfunktionen gefordert, die eine Reflexion des pädagogischen Systems auf sich selbst in Differenz zur Umwelt ermöglichen sowie Unterstützungsnotwendigkeiten der Individuen bei der Aneignung von Welt. Pädagogischen Akteuren kommt indes keine exklusive Zuständigkeit bei der Gestaltung dieser Aufgaben zu. Professionen, Organisationen und die Öffentlichkeit skizziert Kade als mögliche Formen der Lösung von Systemproblemen. Konzepte der operativen Pädagogik sehen in der pädagogischen Differenz die Triebkraft für Sozialintegration. Das Lernen in Zeiträumen der Artikulation auch treffen zu können, steht unter konstitutiver Ungewissheit. Formen pädagogischen Handelns sensibilisieren dafür, dass Erziehen keine dem pädagogischen System vorbehaltene Strategie ist, sondern auch und gerade eine der politischen Herrschaftssicherung.