Um die Begriffe Stress, Belastung und Wohlbefinden einordnen und in sinnvollen Bezug zueinander stellen zu können, soll zunächst ein Blick auf die Begriffsentstehung von Stress geworfen werden, die dann eine Überleitung zum Begriff des subjektiven Wohlbefindens erlaubt.

Die theoretische Betrachtung und Erklärung von Stress, zunächst unter allgemeinen Gesichtspunkten, brachte unterschiedliche Erklärungsansätze hervor. Beispielsweise das Konzept kritischer Lebensereignisse, ein stimulusorientierter Stressansatz (Knoll et al. 2011), der sich mit dem Zusammenhang des Auftretens kritischer Lebensereignisse und der Entstehung von Krankheiten befasst (Rahe und Arthur 1978; Rahe et al. 1964; Scheuch und Schröder 1990). Oder auch die Theorie der Ressourcenerhaltung, mit der Grundannahme, dass ein befürchteter bzw. tatsächlicher Verlust von Ressourcen Stress erzeugt (Hobfoll 2002; Hobfoll et al. 1990; Knoll et al. 2011). Zu einem der einflussreichsten und umfassendsten allgemeinen Modelle zählt die kognitiv-transaktionale Stresstheorie (Knoll et al. 2011), da sie die Engführungen anderer allgemeiner Stresskonzepte überwindet, indem sie Stress zugleich auch an Kognitionen und Bewertungen des Individuums knüpft und nicht nur an äußere Ereignisse (Faltermaier 2005). Dieses allgemeine Stressmodell hat sich als grundlegendes Erklärungsmodell herauskristallisiert, dessen Grundannahmen sich in den Modellen zu Stress und Belastung, spezifisch bezogen auf die Familie und im Kontext von Elternschaft, zu großen Teilen wiederfinden. Im folgenden Abschnitt soll daher die kognitiv-transaktionale Stresstheorie skizziert werden.

2.1 Das transaktionale Stressverständnis

Im transaktionalen Modell ist Stress ein spezifisches Verhältnis zwischen Person und Umwelt, das sich in einem Ungleichgewicht zwischen äußeren Anforderungen und den individuellen zur Verfügung stehenden Ressourcen äußert, wobei die äußeren Anforderungen die Ressourcen bzw. die Anpassungsleistung des Individuums übersteigen (Lazarus 1990, 1976; Lazarus und Folkman 1984). Stress entsteht dabei in einem Bewertungsprozess des Individuums, also im Austausch zwischen Person und Umwelt (Lazarus 1990). Ob Stress entsteht und erlebt wird, hängt somit von der subjektiven Bewertung (Appraisal) der Person ab und nicht allein von den objektiven Bedingungen oder Anforderungen. Ein Schlüsselelement im Stresskonzept ist daher die Bewertung eines Stressors oder Stressereignisses, im Hinblick auf die persönliche Relevanz für das Individuum (Lazarus 1993).

Das Appraisal-Konzept, die subjektive Bewertung eines Stressors, stellt dabei einen kognitiven Mediator zwischen Umwelt und Stressreaktion dar. Dahinter steht die Idee, dass Lebewesen (Menschen und Tiere), die Bedeutung und Auswirkungen von äußeren Ereignissen, in Bezug auf ihr persönliches Wohlbefinden in einem stetigen Bewertungsprozess evaluieren (Lazarus 1993). Die Bewertungen enthalten bewusste oder unbewusste Urteile zum Verhältnis von Umweltanforderungen versus Restriktionen sowie bestehender Ressourcen und Bewältigungsmöglichkeiten (Lazarus et al. 1980). Psychologischer Stress stellt dann eine Reaktion auf Ereignisse oder Bedingungen dar, die in irgendeiner Weise im Verhältnis von der Person zur Umwelt als schädlich, gefährlich oder herausfordernd eingestuft wurden (Lazarus 1993). Transaktional, als Kerngedanke des Ansatzes, bedeutet, dass Stress weder automatisch im externen Input (Stressor), noch von vornherein in der Person selbst begründet ist. Stress entsteht erst in der Relation bzw. Verbindung zwischen der Person, ihren je spezifischen Motiven, Vorstellungen, Werten und Zielen und den gegebenen Umweltbedingungen, die sie in Abhängigkeit ihres kognitiven Denkapparats als belastend, schädlich oder herausfordernd bewertet (Lazarus 1990). Erst die spezifische Gesamtkonstellation und das Zusammenspiel aller Elemente, also die Wechselwirkung von Persönlichkeitseigenschaften, umweltbedingten, situativen, motivationalen und kognitions-psychologischen Aspekten, führt zu Stress (Lazarus 1976).

Weitere allgemeine Stressmodelle teilen den Kerngedanken, dass Stress das Resultat eines evaluativen Prozesses zwischen äußeren Anforderungen und individuellen Voraussetzungen sowie zur Verfügung stehenden Ressourcen ist (z. B. Cohen et al. 1997; Pearlin et al. 1981). Zugleich umfassen allgemeine Rahmenmodelle von Stress ähnliche Grundbausteine. Sie beinhalten externe oder interne Auslöser für Stress (Stressoren), unterschiedliche Faktoren, die den Stress beeinflussen (z. B. Ressourcen im Stressprozess) und die Manifestation von Stress an sich bzw. eine Reihe unterschiedlicher komplexer physischer und emotionaler Reaktionen des Individuums, in denen Stress zum Ausdruck kommt (siehe z. B. Pearlin et al. 1981; Pearlin 2010; Lazarus 1993; Cohen et al. 1997).

Die Verknüpfung des allgemeinen Stressprozesses mit dem Konzept des subjektiven Wohlbefindens

Die Verknüpfung des Wohlbefindens mit der Stressforschung steht in engem Zusammenhang mit der Frage, auf welchen Ebenen Stress zum Ausdruck kommt und welche Indikatoren für die Betrachtung geeignet sind. Insbesondere die ursprünglichen Operationalisierungen von Stress wiesen bestimmte Unzulänglichkeiten auf. Im Folgenden soll daher der, den ursprünglichen Operationalisierungen von Stress, zugrundliegende Kerngedanke dargestellt werden. Abschließend soll ausgehend von diesen theoretischen Überlegungen aufgezeigt werden, dass sich die zentralen physischen und psychischen Dimensionen, auf denen sich, den Annahmen des allgemeinen Stressmodells folgend, Stress oder Belastung äußern, dem übergeordneten Konstrukt des subjektiven Wohlbefindens zuordnen lassen und sich so unterschiedliche Inhaltsdimensionen des Wohlbefindens als Gradmesser von Stress erweisen.

Ausgehend von der Annahme, dass Stress ein Postappraisal State (Lazarus 1990) istFootnote 1, umfasst die Vorgehensweise zur Erfassung von Stress häufig eine spezifische Evaluation einer Situation oder die Bewertung von Ereignissen als schwierig, belastend oder stressreich. Lazarus (1984) schlug vor diesem Hintergrund mit der Hassles and Uplifts Scale (siehe DeLongis et al. 1988 für einen Überblick über die Inhalte der Skala) ein Instrument vor, das versucht, diesen so verstandenen psychologischen Stress konkret, im Rahmen von alltäglichen Schwierigkeiten und Irritationen, zu messen. Stress stellt in dieser spezifischen Erhebungsform täglich wiederkehrende Irritationen und Frustrationen des alltäglichen Lebens dar (Daily Hassles), die als gefährdend oder bedrohlich für das eigene Wohlbefinden eingeschätzt werden (Kanner et al. 1981; Lazarus 1984). Die Stressmessung stellt eine Auflistung von insgesamt 117 im Alltagsleben auftauchenden Irritationen und Scherereien dar, die sich entlang der Bereiche Arbeitsstelle, Familie, Gesundheit, Freunde und Umweltbedingungen gruppieren (Kanner et al. 1981). Das Ausmaß von erlebtem Alltagsstress ergibt sich dann aus der Bewertung des Schweregrades dieser unterschiedlichen aufgezählten Hassles. An diesem Vorgehen orientierten sich auch Crnic und Greenberg (1990), die elterlichen Stress als Alltagsbelastung konzeptualisierten, hervorgerufen durch Daily Hassles. Das sind wiederkehrende Irritationen, Frustrationen und als stressreich empfundene Anforderungen im Alltag von Eltern mit Kindern, die besonders aufgrund ihres kumulierten Auftretens zu einem Stresserleben führen (Crnic und Greenberg 1990; Deater-Deckard 2004). Stress wird hier über die Evaluation der einzelnen Stressereignisse gemessen. Die Einschätzung der Stressoren (auch kritischer Lebensereignisse) an sich, als Indikatoren für das Stressausmaß, weist jedoch gewisse Einschränkungen auf, da es schwierig ist, alle relevanten Stressoren zu identifizieren und gleichzeitig zu erfassen (Cohen et al. 1983). Darüber hinaus entsteht ein Referenzproblem. Wenn die Stressoren bereits die Stressmessung bzw. die Manifestation von Stress darstellen, können diese zwei Elemente im Stressprozess nicht auf analytischer Ebene in ihrem Zusammenhang untersucht werden. Zudem unterstellt die Vorgehensweise, dass äußere Anforderungen automatisch zu Belastungen führen (Cohen et al. 1983).

Aus diesem Grund wurden andere Indikatoren bzw. Gradmesser für Stress vorgeschlagen, wie Einschränkungen auf Aspekten des subjektiven Wohlbefindens. Ursprünglich wurde subjektives Wohlbefinden von Diener (1984) als subjektives Erleben beschrieben, das in der Person entsteht und die Erfassung positiver Aspekte von Wohlbefinden enthält. Damit identifizierte er Wohlbefinden als Vorhandensein einer positiven Einschätzung des eigenen Lebens, nicht als ledigliche Abwesenheit negativer Faktoren. Später weitete sich dieses Begriffsverständnis, indem das subjektive Wohlbefinden als mehrdimensionales Konstrukt begriffen wurde, das positive als auch negative Dimensionen umfasst (Diener et al. 1999). In einer Auflistung der Inhaltsdimensionen ordnen Diener et al. (1999) Stress dabei der Komponente des Unpleasant Affect zu, zu der auch Aspekte wie Depressivitäts- und Angstsymptome zählen. Positive Einschätzungen sind wiederum z. B. die generelle Lebenszufriedenheit und die Zufriedenheit in verschiedenen Lebensbereichen (Diener et al. 1999).

In den Studien zu elterlichem Wohlbefinden spiegelt sich dieses breitgefasste Verständnis subjektiven Wohlbefindens wider. Hier werden sowohl positive Aspekte wie die allgemeine Lebenszufriedenheit und das allgemeine Lebensglück, zugleich aber auch negative Aspekte wie generelle Angstsymptome, Depressivität, Belastung in der Elternrolle und allgemeiner Stress als Indikatoren subjektiven Wohlbefindens betrachtet (Nelson et al. 2014b). Das Verbindungsstück zum Stressprozess stellt damit das subjektive Wohlbefinden selbst dar, da dem Stressprozess die Annahme unterliegt, dass unterschiedliche Inhaltsdimensionen subjektiven Wohlbefindens, als direkte oder langfristige StressfolgeFootnote 2, eingeschränkt sein können. Das äußert sich z. B. durch direkt als Antwort auf die Stressexposition auftretende Symptome, während andere Einschränkungen des Wohlbefindens über einen deutlich längeren Zeitraum entstehen (Pearlin 2010). Eine Stressexposition kann beispielsweise Aspekte der physischen und psychischen Gesundheit einschränken, das umfasst eine mögliche Entwicklung von Substanzmittel- oder Alkoholmissbrauch (Thoits 2010), oder äußert sich im Auftreten von depressiven oder affektive Störungen bzw. psychologischen Symptomen (Lazarus und Folkman 1987). Pearlin et al. (1981) sehen deshalb in der Betrachtung depressiver Symptome, als einem Aspekt psychischen Wohlbefindens, einen geeigneten globalen Indikator für die Manifestation von Stress. Aber auch die globale Erfassung von erlebtem Stress mittels der Perceived Stress Scale (z. B. Schiffrin und Nelson 2010; Pettit und DeBarr 2011), wird als Outcome-Variable verwendet (Cohen et al. 1983). Eine Stressexposition kann daneben langfristig zu Einschränkungen unterschiedlicher Aspekte der sozialen Funktionsfähigkeit führen, zum Beispiel zu Schwierigkeiten im Paar- und Familiensystem. Einige Studien haben sich vor diesem Hintergrund schwerpunktmäßig mit Stressauswirkungen bzw. belastenden Lebensereignissen auf unterschiedliche Aspekte der Partnerschaft, besonders mit Auswirkungen auf die Partnerschaftszufriedenheit und -qualität sowie Sexualbeziehung, auseinandergesetzt (z. B. Bodenmann 1995b; Bodenmann et al. 2007b; Randall und Bodenmann 2008; Bodenmann et al. 2006; Breitenstein et al. 2018; Backes et al. 2017; Bodenmann und Cina 2005).

Unter diesen Forschungszugang lässt sich die, vor allem soziologisch geprägte, Life-Satisfaction-Forschung im Rahmen von Elternschaft einordnen. Vorranging, da hier Aspekte des subjektiven Wohlbefindens, wie depressive Symptome oder die (gesundheitsbezogene) Lebenszufriedenheit von Eltern erfasst und unter unterschiedlichen Fragestellungen untersucht werden (z. B. Simon und Caputo 2019; Musick et al. 2016; Mckenzie und Carter 2013). Einige Studien zum Wohlbefinden von Eltern betrachten zumeist nur einen ausgewählten Aspekt dieses mehrdimensionalen Konstrukts, wie die allgemeine Lebenszufriedenheit (Pollmann-Schult 2014; Burton und Phipps 2011; Pollmann-Schult 2018a), das allgemeine Lebensglück (Happiness) (Glass et al. 2016; Benin und Nienstedt 1985; Baranowska und Matysiak 2011)Footnote 3 oder Depressivität (Kalmijn und Graaf 2012). Während andere Studien mehrere Globaldimensionen des psychischen und emotionalen Wohlbefindens gleichzeitig beleuchten (siehe z. B. Musick et al. 2016; Giesselmann et al. 2018; Simon und Caputo 2019; Bedin und Sarriera 2015; Hoffenaar et al. 2010) und einander gegenüberstellen.

Die unterschiedlichen, ausgewählten Dimensionen des Wohlbefindens rücken dann, im theoretischen sowie empirischen Modell, an die Stelle der Outcome-Variablen, die im Stressprozess in Verbindung mit unterschiedlichen Prädiktoren, Mediatoren und Moderatoren untersucht werden. Studien, die unterschiedliche Dimensionen des subjektiven Wohlbefindens von Eltern in den Blick nehmen, müssen vor diesem Hintergrund auch mit der Stressforschung und den Ideen des allgemeinen Stressprozesses verknüpft werden, denn Aspekte des subjektiven Wohlbefindens können als Gradmesser für die Manifestation von Stress oder Belastung aufgefasst werden. Der vorliegenden Studie liegt damit ein breitgefasster Wohlbefindensbegriff zugrunde, der den Stressbegriff ablöst. Ausgangspunkt ist, dass sich belastende Lebensumstände oder tiefgreifende Transitionen im Lebensverlauf, auf Dimensionen des subjektiven Wohlbefindens niederschlagen und zu Einschränkungen desselben führen können. Für die Aufarbeitung des Forschungsstandes und der theoretischen Rahmung zum Wohlbefinden im Rahmen von Familie und Elternschaft werden daher unterschiedliche, auch interdisziplinäre Studien herangezogen, die sich dem Themenkomplex unter verschiedenen Forschungsperspektiven nähern und sich nicht nur unter dem Schlagwort Stress subsumieren, sondern am Begriff des subjektiven Wohlbefindens orientiert sind.

Dafür soll zunächst ein allgemeines theoretisches Verständnis geschaffen werden, wann Wohlbefinden vorliegt und wann Einschränkungen desselben entstehen. In den darauffolgenden Abschnitten dreht es sich um zentrale theoretische Konzepte zur Erklärung von Stress- und Belastungsprozessen in der Familie, auf Paarebene und im Rahmen von Elternschaft. Dabei ermöglicht insbesondere das Verlaufsschema der Familienentwicklung zentrale, von der Forschung und Entwicklungspsychologie identifizierte Belastungspotenziale und anforderungsreichere Übergänge im Rahmen von Elternschaft, herauszuarbeiten.

2.2 Subjektives Wohlbefinden

Wann sprechen wir von Wohlbefinden, wie entsteht es und wann entstehen Einschränkungen desselben? Deci und Ryans (2000) Selbstbestimmungstheorie liefert dazu einen übergeordneten Bezugsrahmen, um das Verständnis des (subjektiven) Wohlbefindens zu verorten. Diesem Ansatz folgend hängen die drei zentralen, universellen Grundbedürfnisse des Menschen nach Autonomie (Autonomy), Kompetenz (Competence) und sozialer Eingebundenheit (Social Relatedness) direkt mit dem Wohlbefinden zusammen (ebd.). Autonomie beschreibt dabei das Gefühl, Urheber seines eigenen freien Handelns zu sein, Kompetenz ein Selbstwirksamkeitserleben und soziale Eingebundenheit das Bedürfnis, von anderen verstanden und respektiert zu werden (Ng et al. 2012). Mit Wohlbefinden beschreiben die Autoren ein tiefgreifendes Gefühl des Wohlbefindens, der Vitalität, der psychischen Gesundheit und Lebenszufriedenheit. Kommt es zu einem Ungleichgewicht in einem oder mehreren Bereichen der Bedürfnisbefriedigung, hat das einschränkende Auswirkungen auf das Wohlbefinden (Deci und Ryan 2000), während die Befriedigung dieser zentralen Grundbedürfnisse in unterschiedlichen kulturellen Kontexten psychologisches Wohlbefinden prädiziert (Deci und Ryan 2008). Diesen Zusammenhang konnten einige Studien bestätigen. Eine Metaanalyse im Gesundheitsbereich zeigt beispielsweise, dass ein autonomieförderndes Klima im Umgang mit Patienten und Patientinnen die Bedürfnisbefriedigung im Bereich der Autonomie, aber auch der Kompetenz und sozialen Eingebundenheit erhöht. In diesen Analysen trug ein autonomieförderndes Klima wiederum zu einem höheren Wohlbefinden der Patienten und Patientinnen bei (Ng et al. 2012). Die Annahmen der Selbstbestimmungstheorie wurden zudem auf den Forschungsbereich des kindlichen Wohlbefindens angewandt. Ausgangspunkt ist, dass elterliches Erziehungsverhalten, das diese Grundbedürfnisse des Kindes berücksichtigt und fördert, wichtig für die soziale Funktionsfähigkeit, Entwicklung und das Wohlbefinden des Kindes ist. Insbesondere die Autonomieförderung befördert dabei kindliches Wohlbefinden (z. B. Joussemet et al. 2008; Soenens und Vansteenkiste 2010). Implizit weisen die Forschungsbefunde daraufhin, dass Bedürfnisbefriedigung, als zentrale Voraussetzung für subjektives Wohlbefinden, kein ausschließlich selbstreferenzieller Prozess ist. Befriedigung grundlegender Bedürfnisse findet nicht nur auf Individualebene statt, sondern ist etwas Relationales und auf soziale Beziehungen angewiesen. Ob Bedürfnisse in sozialen Beziehungen jedoch befriedigt werden und damit zum Wohlbefinden beitragen, hängt wiederum von den sozialen Interaktionen selbst und deren Qualität ab.

In welchem Ausmaß die drei Grundbedürfnisse in engen sozialen Beziehungen, wie in Partnerschaften, beachtet, gefördert oder unterdrückt werden, hat Auswirkungen auf die persönliche Funktionsebene und die Funktionsfähigkeit des Individuums in diesem spezifischen sozialen Kontext (La Guardia und Patrick 2008). Während für Kinder die relationale Bedürfnisbefriedigung primär in der Beziehung zu den Eltern liegt, wie sich aus den Forschungsbefunden ableiten lässt, konstatieren La Guardia und Patrick (2008), dass Bedürfnisbefriedigung im Erwachsenenalter in engen Freundschaften und romantischen Beziehungen stattfindet. Für das individuelle Wohlbefinden ist die Ausgestaltung dieser Beziehungen daher ein wichtiger Baustein. Je höher die Bedürfniswahrnehmung durch den Partner oder die Partnerin und die Bedürfnisbefriedigung in der Partnerschaft sind, desto besser fallen zum Beispiel die Partnerschaftszufriedenheit, aber auch das individuelle Wohlbefinden aus, wie eine Studie von Patrick et al. (2007) demonstriert. Die gegenseitige Befriedigung und die Förderung der Bedürfnisse nach Autonomie, Kompetenz und sozialer Eingebundenheit in einer Partnerschaft befördern daneben weitere positive Austauschprozesse in der Beziehung, wie eine sichere Bindung, Intimität und Nähe (La Guardia und Patrick 2008). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass individuelles Wohlbefinden, unter dieser theoretischen Linse, einerseits davon abhängt, inwiefern die drei zentralen Grundbedürfnisse von der Person selbst erfüllt werden können. Andererseits ist aber auch klar, dass sich Menschen innerhalb sozialer Beziehungen und niemals kontextfrei bewegen, so dass ein großer Teil der Bedürfnisbefriedigung in engen zwischenmenschlichen Beziehungen liegt und auf diese angewiesen ist. Das wiederum macht die Ausgestaltung dieser Beziehungen zu einem integralen Bestandteil des eigenen Wohlbefindens. Entsteht ein Ungleichgewicht der Bedürfnisbefriedigung auf individueller Ebene oder im Rahmen enger Beziehungen, beispielsweise in der Partnerschaft, kann das zu einer Schieflage des eigenen Wohlbefindens führen. Im spezifischen Kontext der Partnerschaft kann das weitere negative Prozesse anstoßen, wie emotionalen Rückzug und Verlust von Intimität.

Auf einer Metaebene ist ersichtlich, dass hier letztlich Prozesse erklärt werden, die die Entstehung, aber auch die Einschränkung subjektiven Wohlbefindens und sozialer Funktionsfähigkeit begünstigen. Bei der Wahl des Zugangs über den allgemeinen Stressbegriff stehen zwar primär spezifische Belastungssituationen, kritische Lebensereignisse und Stressauslöser als zentrale Dreh- und Angelpunkte des Wohlbefindens (nicht die Bedürfnisbefriedigung) im Visier theoretischer Überlegungen. Schlussendlich ranken sich die Überlegungen zu Stress, genauso wie beim Wohlbefinden, dennoch auf strukturell ähnliche Weise um die Fragestellung, welche Prozesse das subjektive Wohlbefinden beeinträchtigen können.

Familien-, Paar- und Elternstressmodelle integrieren schließlich die Idee der sozialen Eingebundenheit, die sich in den Überlegungen zum Wohlbefinden findet, auf doppelte Weise. Einerseits betreffen Belastungen nicht nur die Einzelperson, sondern können sich auf unterschiedliche soziale Beziehungen übertragen, z. B. auf die Partnerschaft oder die gesamte Familie, wie spätere Ausführung noch zeigen werden. Andererseits können Einschränkungen des Wohlbefindens auch im Rahmen der Ausgestaltung dieser Beziehungsgefüge entstehen. Eine konfliktbehaftete Paarbeziehung kann beispielsweise Aspekte des individuellen Wohlbefindens unterminieren (z. B. Kouros und Cummings 2011; Choi und Marks 2008). Doch was genau passiert, unter so einem Verständnis, in Familien oder Partnerschaften unter Stress?

Einige Modelle, die Annahmen darüber liefern wie sich Stress und Belastung den Weg in Familien bahnen und zu Einschränkungen des Wohlbefindens führen, stellen ausgewählte inhaltliche Belastungen für die Familie in den Vordergrund der Betrachtung. Crnic und Greenberg (1990) betonen in ihrer Daily Hassles (DH) Theory (siehe für einen Überblick auch Deater-Deckard 2004) den Alltagsbezug des Stresses von Eltern und sehen weniger kritische Lebensereignisse als Stressauslöser, als vielmehr die alltäglichen Scherereien und Widrigkeiten im Erziehungs- und Betreuungsalltag der Eltern mit ihren Kindern (Crnic und Greenberg 1990; Crnic et al. 2005; Crnic und Low 2002; Chen 2020). Das Family Stress Model (FMS) (Conger et al. 2010) hingegen betrachtet die Wirkungsweise finanzieller und ökonomischer Belastung auf die Familie. So führen unterschiedliche Dimensionen finanzieller und ökonomischer Not (Economic Hardship) wie die Höhe der Schulden, ein unsicheres Arbeitsverhältnis oder ein niedriges Familieneinkommen, zu finanzieller Belastung. Psychischer Stress aufgrund einer schwierigen finanziellen Lage wiederum schlägt sich, vermittelt über Einschränkungen auf der Verhaltens-, Paar- und Funktionsebene der Eltern, auf das Zusammenleben in der Familie und die kindliche Entwicklung nieder (Conger et al. 1992; Conger und Donnellan 2007; Garner und Toney 2020; Landers-Potts et al. 2015).

Neben diesen Konzepten, die inhaltliche Stressoren in den Blick nehmen, etablierten sich weitere theoretische Modelle, die nicht primär spezifische familiäre Belastungslagen betrachten, sondern versuchen, allgemeine Prozessmodelle zu Stress in der Familie und zur Belastung von Eltern bereitzustellen. Auf diese Entwicklungslinie gehen die nachfolgenden Abschnitte detaillierter ein.

2.3 Familienentwicklungstheorie, Familienstresstheorien und kritische Transitionen im Leben von Familien

Modellvorschläge, die sich spezifisch dem Überbegriff der Familienstresstheorien zuordnen lassen, betrachten den Stressprozess auf einer höheren Abstraktionsebene und beruhen auf systemtheoretischen Annahmen. Sie beschreiben die komplexe Beziehung zwischen familieninternen und -externen Stressoren und Prozessen, die im Familiensystem durch Stress ausgelöst werden. Ihren Ursprung finden sie grundsätzlich in Stufenmodellen der Familienentwicklung (Bodenmann 2002), die besonders Familienverlaufsprozesse in den Blick nehmen (Schneewind 1999).

2.3.1 Familienentwicklung und Ableitung der zentralen Forschungslücken

Die Familienentwicklungstheorie liefert, als größerer Verständnishorizont für die Familienstressperspektive, die Idee von im Laufe der Zeit auftretenden Entwicklungsaufgaben wie Einschnitten oder Ereignissen, die Adaptions- und Anpassungsanforderungen an die Familie stellen. Drei zentrale Ereignisse bzw. Systemveränderungen bedeuten dabei tiefgreifende Anpassungsprozesse im Familiensystem, die Belastung auslösen können: Veränderungen in der Zahl der Familienmitglieder (wie die Geburt des ersten Kindes oder das Verlassen der Kinder aus dem Elternhaus), der Beginn eines neuen Lebensabschnitts des ersten Kindes (z. B. der Übergang in die institutionelle Betreuung) sowie das Ausscheiden aus dem Arbeitsleben (Lohaus und Vierhaus 2019). Die Idee von Entwicklungsaufgaben und Entwicklung als Bewältigung einer Reihe von im Zeitverlauf auftretenden Krisen, findet ihre Ursprünge in den Arbeiten von Havighurst (1981) (siehe für eine Einordnung auch Lohaus und Vierhaus 2019; Braun 2008). Entwicklungsaufgaben verlaufen diesem Konzept nach auf einem zeitlichen Kontinuum und können entweder punktuell, wie eine Alltagsherausforderung, über einen begrenzten Zeitraum (z. B. eine Schwangerschaft) oder über die gesamte Lebensspanne eine Bewältigungsanforderung an das Individuum stellen (Lohaus und Vierhaus 2019). Die Aufgaben stellen sich dem Einzelnen dabei durch die biologische Entwicklung bzw. physische Reifung (zum Beispiel durch den Eintritt in die Pubertät stellt sich die Aufgabe, den eigenen Körper zu akzeptieren), äußere und selbstgesteckte Erwartungen, aber auch durch vorhersehbare und nicht vorhersehbare kritische Lebensereignisse (Greve und Thomsen 2019; Seel und Hanke 2015; Havighurst 1956). Gelingt die Bewältigung dieser Anforderungen nicht, führt das zu Unzufriedenheit bzw. zu einem Belastungserleben des Einzelnen (Havighurst 1956). Entwicklung wird hier somit begriffen als fortlaufende Konfrontation mit Anforderungen und Entwicklungsaufgaben, die der Einzelne bewältigen muss.

Diese Idee greift die Familienentwicklungstheorie auf, geht allerdings im Gegensatz dazu von einem systemtheoretischen Verständnis aus. Das hat zur Folge, dass die individuumzentrierte Auffassung von Entwicklung abgelöst wird durch den Fokus auf den Entwicklungsprozess des Gesamtsystems Familie (Lohaus und Vierhaus 2019). Entwicklungsaufgaben werden damit in den Kontext der Familie gerückt und nicht als Einzelaufgaben, sondern als Bewältigungsforderungen des gesamten Systems verstanden. Deshalb erkennt die systemische Familientherapie, die mit Entwicklungsprozessen verbundenen Veränderungs- und Anpassungsaufgaben im Familienverlauf als relevante Problembereiche an (Bodenmann 2002). Obwohl diese Veränderungen in den meisten Familien gut gemeistert werden, verlangen sie dennoch ein hohes Maß an Veränderung und Anpassung in den Rollen- und Familienbeziehungen und können daher zu Problemen erwachsen (Weakland et al. 1974). Trotz unterschiedlicher Dauer und unterschiedlichem Zeitpunkt des Auftretens erleben Familien im Zeitverlauf somit, durch das Herauslösen einzelner Familienmitglieder aus dem Familiensystem und der daraus resultierenden Neuformierung und erforderlichen Anpassungsleistung, kritische Übergänge und Krisen, die sie bewältigen müssen (Hughes et al. 1978). Dieser Betrachtungsweise liegt die Idee zugrunde, dass Familie als Entwicklungsprozess zu begreifen ist, der sich über die gesamte Lebensspanne erstreckt und in unterschiedliche Phasen und Übergänge untergliedert (Schneewind 2002). Diese Phasen beinhalten jeweils spezifische Entwicklungsaufgaben, Funktionen, Anforderungen als auch die unausweichliche Auseinandersetzung mit Schwierigkeiten (Textor 1991). In Zusammenhang mit der Familie versteht Duvall (1988) Entwicklungsaufgaben als normative Grundanforderungen, die jede Familie zu bewerkstelligen hat, wie die Allokation von Ressourcen, Zuweisung bestimmter Aufgaben und Rollenerwartungen, Herstellung von Interaktionsmustern und Umgangsformen sowie die Definition von Grenzen des Familiensystems, die zugleich die Herauslösung aber auch Integration von Familienmitgliedern bedeutet. Gleichzeitig können krisenhafte Ereignisse (kritische Lebensereignisse) oder kritische Übergänge die Familie aus ihren gewohnten Bahnen werfen und Herausforderungen neben den normativen (zu erwartenden) Anforderungen darstellen (Duvall 1988).

Entwicklungsaufgaben sind damit grundsätzlich Herausforderungen, die sich Individuen über die gesamte Lebensspanne stellen und in spezifische Phasen und Übergänge eingelagert sind (Greve und Thomsen 2019). Vor diesen Annahmen ist es einleuchtend, dass sich durch den Prozess des Aufwachsens von Kindern und durch entwicklungsspezifische kindliche Bedürfnisse für Eltern, je nach Phase, unterschiedliche Erziehungs- und Betreuungsaufgaben sowie Anpassungsleistungen in der Eltern-Kind-Beziehung ergeben (Schneewind 1999).

Phasen der Familienentwicklung

Eine gängige, in einschlägigen Lehrbüchern vorgeschlagene Einteilung besteht in der basalen Differenzierung des Familienzyklus in sechs idealtypische, zeitlich aufeinanderfolgende Phasen, vorranging differenziert nach dem Alter der Kinder und der Zusammensetzung der Familienmitglieder (Jungbauer 2009; Schneewind 1999; Wold Health Organization 1978; Schneewind 2002). Grundsätzlich muss vorab angemerkt werden, dass es sich hierbei um eine idealtypische Einteilung des Familienzyklus handelt. Diese Einteilung folgt einer normativen Vorstellung des Lebensverlaufs eines Ehepaares ohne Brüche. Nicht-normative Familienmodelle wie Patchworkfamilien, alleinerziehende Eltern, Regenbogenfamilien oder Pflegefamilien müssen allerdings ebenfalls unterschieden werden, da sie teilweise mit ähnlichen aber auch durch die spezifische Familienkonstellation andersgelagerten Entwicklungsaufgaben konfrontiert sind (Jungbauer 2009). Zwar wird hier auf eine Ausdifferenzierung verzichtet, da dies den Rahmen der Arbeit sprengen würde, dennoch wird anerkannt, dass der Familienzyklus deutlich komplexer ist als es das idealtypische Modell vorschlägt.

Die erste Familienphase umfasst alleinstehende junge Erwachsene, nach dem Verlassen des Elternhauses, gefolgt von der Phase der Verbindung der Familien der Paare durch Heirat. Zentral für diesen Abschnitt ist die Eheschließung und Verknüpfung der Herkunftsfamilien und Freundeskreise (Jungbauer 2009; Schneewind 2002). Im idealtypischen Fall gründen (Ehe-)Paare nach den ersten (Ehe-)Jahren eine Familie. Dieser Übergang markiert mit der Familiengründung eine Transformation zur Familie mit jungen Kindern, und später zur Familie mit Jugendlichen. Je nach Forschungsverständnis oder -interesse erfolgt für die Phase mit Kindern oftmals eine stärkere Ausdifferenzierung, vorranging nach dem Alter der Kinder (siehe z. B. Spanier et al. 1979; Murphy und Staples 1979; Nock 1979; Burr 1970). Die Unterscheidung der Phasen nach dem Alter der Kinder erleichtert die Identifikation der Familienentwicklungsaufgaben während des Aufwachsens der Kinder und Jugendlichen in den Familien. Das ist vor allem für eine pädagogisch-psychologische Forschung von Interesse (Nave-Herz 2005). Eine größere Differenziertheit der Phasenabschnitte nach Alters- und Entwicklungsstand der Kinder, trägt dem Verständnis Rechnung, dass Familien je nach Entwicklungsabschnitt unterschiedliche finanzielle oder materielle Belastungen aber auch Anforderungen im Betreuungs- und Erziehungsalltag sowie der Vereinbarkeitsfrage erleben (Stutzer 1999). Die aktive Familienphase (Stutzer 1999), in der abhängige Kinder im Haushalt leben, mündet schließlich in der Entlassung bzw. dem Auszug der Kinder aus dem Elternhaus und damit in der nachelterlichen Phase. Die sechste Etappe bildet anschließend die Familie im letzten Lebensabschnitt, in der ein zentrales Thema die Auseinandersetzung mit dem eigenen Tod aber auch dem von Familienangehörigen darstellt (Jungbauer 2009; Schneewind 2002). Der Familienzyklus unterteilt sich damit insgesamt in drei dazu querverlaufende Hauptphasen: die vorfamiliale Phase, die aktive Familienphase und letztlich die nachfamiliale Phase (Stutzer 1999). In Abbildung 2.1 ist detailliert aufgelistet, mit welchen typischen Entwicklungsaufgaben sich Familien in den aktiven Familienphasen auseinandersetzen müssen. Die Entwicklungsaufgaben wurden dabei aus unterschiedlichen Fachbüchern zusammengetragen. Schneewind und Wunderer (2013) gehen stärker auf Herausforderungen im Rahmen der Paarentwicklung ein, Oerter und Montada (2002) beziehen ihre Auflistung wiederum auf den Gesamtkontext der Familie. Insgesamt überschneiden sich jedoch viele der in den verschiedenen Fachbüchern beschriebenen Entwicklungsaufgaben, so dass hier eine Synopse dargestellt wird. Zudem wird deutlich, dass die abschnittstypischen Aufgaben eng mit der Entwicklung des Kindes und dessen Bedürfnissen verknüpft sind.

Die Überlegungen haben ein Verständnis dafür geschaffen, Familie als Entwicklungsprozess zu begreifen, der im Zeitverlauf unterschiedliche Anforderungen und Veränderungsleistungen an das System stellt. Diese Entwicklungsaufgaben können dabei phasenspezifisch sein oder unvorhergesehen auftreten. Gemeinsam ist ihnen, dass sie ein Belastungspotenzial in sich bergen können und eng mit der Entwicklung und den Bedürfnissen des Kindes bzw. der Kinder verbunden sind.

Die schematische Einteilung von familiären Entwicklungsphasen ermöglichte es in der Folge, Familien in unterschiedlichen Lebensabschnitten hinsichtlich verschiedenster Themen miteinander zu vergleichen (siehe z. B. Schafer und Keith 1981; McAuley und Nutty 1982; Grzywacz et al. 2002; Dathe 1999; Waite 1980; Rexroat und Shehan 1987; Benin und Nienstedt 1985). Frühere Studien verglichen etwa die Ehe- und Partnerschaftszufriedenheit sowie die Partnerschaftsqualität von Personen, in unterschiedlichen Stadien der Familienentwicklung (Rollins und Feldman 1970; Burr 1970; Weinman Schram 1979; Rollins und Cannon 1974; Anderson et al. 1983). Dabei kann die Kombination von Anforderungen einer bestimmten Entwicklungsphase mit weiteren auftretenden Stressoren, wie das Ausmaß finanzieller und zeitlicher Ressourcen der Eltern (Pollmann-Schult 2014), das Alter (Simon und Caputo 2019) oder der Erwerbsstatus (Benin und Nienstedt 1985), ein erhöhtes Belastungspotenzial in sich bergen.

Abbildung 2.1
figure 1

Zwei Phasen der Familienentwicklung mit Kindern und den zugehörigen zentralen Entwicklungsaufgaben

Forschungslücke I : Der Vergleich des Wohlbefindens von Eltern und kinderlosen Personen und die Rolle des Kindes

Unter dieser vergleichenden Perspektive rückte, insbesondere in den vergangenen Jahren, ein Thema in den Fokus der Forschung, das auch populärwissenschaftlich und medienwirksam diskutiert wurde. So machen sich soziologische Studien der Wellbeing- bzw. Life-Satisfaction-Forschung die Idee der Unterscheidung von Eltern bzw. Familien in unterschiedlichen Entwicklungsstadien, als konzeptuelles Schema für den Vergleich zu kinderlosen Personen zu Nutze. Als Differenzkriterium für die Elterngruppen dient dabei das Alter vorhandener Kinder. Beispielsweise ziehen Studien einen Vergleich zwischen kinderlosen Personen und Eltern mit abhängigen Kindern unterschiedlicher Altersspannen im Haushalt oder auch Empty-Nest-Eltern (Evenson und Simon 2005; Umberson und Gove 1989; Simon und Caputo 2019; Negraia und Augustine 2019; Pollmann-Schult 2014; Huss und Pollmann-Schult 2020; Negraia und Augustine 2020). Damit weisen sie einen deutlich höheren Differenzierungsgrad auf als manche Studien dieser Forschungslinie, die den Elternschaftsstatus lediglich nach dem Vorhandensein von abhängigen Kindern im Haushalt unterscheiden (Pollmann-Schult 2018a; Glass et al. 2016; Herbst und Ifcher 2012; Herbst und Ifcher 2016). Idee dahinter ist es zu prüfen, inwiefern Elternschaft einen Einfluss auf das Wohlbefinden von Eltern nimmt, operationalisiert über das Vorhandensein von Kindern oder das Alter der Kinder. Das Verlaufsschema der Familienentwicklung hat somit die Grundlage für einen differenzierteren Vergleich von nicht-Eltern im Gegensatz zu Eltern in unterschiedlichen Entwicklungsphasen geliefert (z. B.Simon und Caputo 2019; Evenson und Simon 2005). Doch inwiefern betrachten die Forschungsarbeiten die Rolle des Kindes im Vergleich des Wohlbefindens von Eltern und kinderlosen Personen? Um diese Frage beantworten zu können, soll zunächst die Vorgehensweise und Interpretationslogik des Forschungsstrangs skizziert werden.

Die soziologisch geprägte Forschung zum Wellbeing und zur Lebenszufriedenheit von Eltern (Life-Satisfaction-Forschung) kommt in einigen Studien zu dem Schluss, dass Eltern weniger zufrieden und glücklich sind, als kinderlose Personen (z. B. Glass et al. 2016; Umberson et al. 2010; Evenson und Simon 2005; Nelson et al. 2014b; Simon und Caputo 2019), auch häufig bezeichnet als Parenthood Gap in Happiness (Glass et al. 2016). Elternschaft wird demnach mit größerem Stress, höherer Depressivität und einer geringeren Lebenszufriedenheit assoziiert. Viele Studien haben sich infolgedessen auf Ursachenforschung begeben, um herauszufinden, welche Faktoren Einschränkungen im Wohlbefinden von Eltern verursachen. Insbesondere vor der sozial normierten Annahme, dass Elternschaft eine erstrebenswerte soziale Rolle ist, die Erfüllung und Lebenssinn bringen sollte (Hansen 2012). Antworten wurden in unterschiedlichen Erklärungen gefunden, die zu großen Teilen dem Narrativ folgen, dass Elternschaft mit unterschiedlichen strukturellen, individuellen sowie kontextuellen Kosten, Stressoren und Anforderungen einhergeht (Costs of Parenthood), die das Wohlbefinden unterminieren und so die positiven Seiten (Rewards) von Elternschaft überschatten (z. B. Glass et al. 2016; Nomaguchi 2012; McLanahan und Adams 1987; Nelson et al. 2014b; Nomaguchi und Milkie 2020; Umberson und Gove 1989). Nomaguchi und Milkie (2020) sprechen hier auch von der Demands-Rewards-Perspektive. In einem Überblicksartikel fasst Hansen (2012) die unterschiedlichen negativen Begleiterscheinungen von Elternschaft zusammen, die das Wohlbefinden einschränken können und, die zumeist dokumentierten erhöhten Angst-, Stress-, oder Depressionssymptome bei Eltern erklären. Demnach verursachen Kinder Psychological Costs (Schlafmangel, Autonomieeinschränkungen, Sorgen, persönlichen Verzicht), Marital Costs (Belastungen in der Paarbeziehung und Unzufriedenheit), Financial Costs (Finanzielle Mehrkosten, einen geringeren finanziellen Spielraum) und schließlich Opportunity Costs (Einschnitte in Karriere-, Gehalts- und Weiterbildungschancen) (ebd.). Ausgehend von dieser Erklärung fokussierten sich Studien dieses Forschungsstrangs schwerpunktmäßig auf unterschiedliche Rahmenbedingungen, wie finanzielle/zeitliche Ressourcenveränderungen aber auch veränderte soziale Normen hinsichtlich Mutter- und Vaterschaft, die ein geringeres Wohlbefinden von Eltern verursachen können. In einem ersten Schritt prüfen die Studien zumeist den Elternschaftseffekt an sich auf das elterliche Wohlbefinden. Dabei wird geschaut, welchen Einfluss die Anzahl der Kinder oder die Beziehung zum Kind (biologisch oder sozial) auf Aspekte subjektiven Wohlbefindens haben. Der Elternschaftseffekt wird hier somit über bestimmte Indikatoren operationalisiert, die anzeigen, inwiefern Personen Kinder haben. Im zweiten Schritt schauen die Analysen dann, welche weiteren Einflussfaktoren den Elternschaftseffekt mitsteuern (z. B. Bures et al. 2009; Meier et al. 2018; Pollmann-Schult 2014; Simon und Caputo 2019; Stanca 2012; Negraia und Augustine 2020; Evenson und Simon 2005; Preisner et al. 2018)Footnote 4. Daneben stellt der Übergang zur Elternschaft einen Zugang dar, um den Elternschaftseffekt auf das Wohlbefinden an sich zu prüfen, da hier die Transition vom Status der Kinderlosigkeit hin zur Elternschaft eingefangen wird und ein direkter Vorher-Nachher-Vergleich möglich ist. Dieser direkte Vorher-Nachher-Vergleich von Elternschaft wird in manchen Studien zudem mit einer Vergleichsgruppe kontrastiert, die über den Studienzeitraum kinderlos verbleibt (Nomaguchi und Milkie 2003). Preisner et al. (2020) etwa zeigen mit Paneldaten, dass der Effekt von Mutterschaft, ohne Kontrolle weiterer Hintergrundvariablen, die subjektive Lebenszufriedenheit substanziell erhöht, im Kontrast zur kinderlosen Vergleichsgruppe. Unter Berücksichtigung der zentralen Herausforderungen bzw. Veränderungen, die diesen Übergang rahmen (Veränderungen in der Erwerbstätigkeit oder der Partnerschaft) reduzierte sich der positive Elternschaftseffekt jedoch deutlich. Unter diesem Forschungszugang werden somit unterschiedliche Rahmenbedingungen betrachtet, die den Elternschaftseffekt moderieren (z. B. Ruppanner et al. 2019; Mikucka und Rizzi 2020; Mikucka 2016; Rizzi und Mikucka 2014; Baranowska und Matysiak 2011; Aassve et al. 2016; Galatzer-Levy et al. 2011). Im Fall des Vergleichs zwischen Eltern und kinderlosen Personen findet sich also die Tendenz, vorrangig strukturelle Rahmenbedingungen oder Kontextfaktoren als Haupterklärungen für Wohlbefindensunterschiede heranzuziehen. Margolis und Myrskylä (2011) zeigen beispielsweise, dass die Happiness-Gap zwischen Eltern und kinderlosen Personen in den Altersgruppen von 15–19 und 20–39 Jährigen dann stärker zum Nachteil der Eltern ausfällt, wenn Elternschaft zugleich mit geringen finanziellen Ressourcen einhergeht. Andere Studien führen Unterschiede des Wohlbefindens dieser zwei Vergleichsgruppen auf wohlfahrtsstaatliche Rahmenbedingungen zurück. Hauptannahme ist, dass die Happiness-Gap vom familien(un)freundlichen Klima bestimmter Wohlfahrtsstaaten abhängt und dann geringer ausfällt, wenn sozialpolitische oder finanzielle Maßnahme Familien in höherem Ausmaß unterstützen (z. B. Margolis und Myrskylä 2011; Aassve et al. 2015; Aassve et al. 2005; Pollmann-Schult 2018b, 2018a). Darüber hinaus können weitere Bedingungen von Elternschaft, Unterschiede des Wohlbefindens dieser Vergleichsgruppen rahmen und je nach Ausprägung intensivieren oder verringern, wie finanzielle und zeitliche Einschränkungen (Financial und Time Costs) (Pollmann-Schult 2014), die Verfügbarkeit von Angeboten öffentlicher Kinderbetreuung, Arbeitszeitflexibilität und Work-to-Familiy-Conflict (Pollmann-Schult 2018a), der Alleinerziehendenstatus (Pollmann-Schult 2018b), der sozioökonomische Status (Negraia und Augustine 2019), sowie das Einkommen, das Geschlecht, der Familienstand und das Alter der Eltern (z. B. Angeles 2010; Nelson et al. 2013; Nomaguchi und Milkie 2003). Pollmann-Schult (2014) veranschaulicht mit seinen Analysen etwa, dass der positive Effekt Kinder zu haben erst zum Vorschein tritt, wenn zentrale Kosten (finanzielle und zeitliche Aufwendungen), die mit Elternschaft entstehen, berücksichtigt werden.

Die Life-Satisfaction- bzw. Wellbeing-Forschung, insbesondere im Kontext des Vergleichs von Eltern und kinderlosen Personen, stellt das elterliche Wohlbefinden vorrangig in den Kontext materieller, zeitlicher oder struktureller Bedingungen und klammert Elternschaftserfahrungen und die Rolle des Kindes für das Wohlbefinden der Eltern teilweise aus. Lediglich die Anzahl und das Alter der Kinder sowie die Beziehung zum Kind, die als Indikatoren für die Operationalisierung des Elternschaftseffekts verwendet werden, finden Berücksichtigung. Unter einem psychologisch-pädagogischen Verständnis können diese Merkmale als erhöhte Anforderungen von Elternschaft verstanden werden (z. B. bei Wilhelm 2015). Trotz der Berücksichtigung dieser Anforderungen von Elternschaft, handelt es sich lediglich um einen kleinen Ausschnitt möglicher Elternschaftserfahrungen. Somit kann sich in diesem Forschungsstrang nicht abschließend darauf berufen werden, dass Wohlbefindensunterschiede zwischen den Vergleichsgruppen tatsächlich vorrangig auf äußere Bedingungen oder Begleitumstände von Elternschaft zurückzuführen sind (Costs of Parenthood). Offen bleibt, ob sich Unterschiede im Kontext dieses Vergleichs auf Faktoren zurückführen lassen, die in direktem Zusammenhang mit dem Kind oder der Elternrolle stehen (z. B. kindlichen Verhaltenscharakteristika, subjektives Erleben der Elternrolle). Diese Forschungslücke wird in der ersten Teilstudie der Arbeit inhaltlich aufgegriffen.

Kritische Übergänge im Familienzyklus als Ansatzpunkt für Familienstresstheorien

Das Ansinnen dieser konzeptionellen Bestrebungen bestand jedoch nicht nur darin, ein in Stein gemeißeltes Kategorienschema vorzuschlagen, das es ermöglicht Familien unter vergleichender Perspektive zu betrachten. Ein weiteres Ziel war es, den Blick auf jene kritischen Übergänge und Phasen im Leben von Familien zu richten, an denen Veränderungen von Rollenerwartungen und Systemstrukturen entstehen. Das Forschungsinteresse sollte damit auf die kritischen Übergänge und deren Zeitpunkt des Auftretens an sich gelenkt werden (Klein et al. 1979; Elder 1998), auf Phasen im Laufe der Familienentwicklung, die potenziell größere Belastungen in sich bergen als andere. Die dahinterliegende Leitidee war es, schwierige Familienphasen und deren Mechanismen aufzudecken, um insbesondere im Rahmen der Familientherapie oder Familienberatung gezielte Hilfestellung leisten zu können.

Unter dieser Zielstellung hat die Idee des Familienzyklus die Betrachtung einzelner Übergänge und kritischer Phasen anschlussfähig für die Forschung unterschiedlicher Disziplinen gemacht. So wurden Strukturveränderungen im Familiensystem, durch Übergänge von einer Familienform zur nächsten, betrachtet. Insbesondere Partnerschaftsformierungsprozesse wie Eheschließung, Scheidung oder Wiederheirat und deren Auswirkungen auf unterschiedliche Ebenen des Familiensystems standen im Interesse (z. B. Nock 1981; Teachman 2010; Hetherington 1989; Langenkamp und Frisco 2008; Booth et al. 2008; Lee und McLanahan 2015; Brown 2006; Magnuson und Berger 2009; Schneider 2016; Graefe Roempke und Lichter 1999; Fomby und Cherlin 2007; Kaufman und Uhlenberg 1998; O’Flaherty et al. 2016). Die Beendigung einer Partnerschaft bzw. Veränderungen im Partnerschaftsstatus stehen zum Beispiel, insbesondere für Mütter, in Zusammenhang mit einem höheren elterlichen Stresserleben (z. B. Beck et al. 2010; Osborne et al. 2010; Cooper et al. 2009).

Der Übergang zur Elternschaft als einschneidendes Lebensereignis

Zugleich wurde dem Übergang zur Elternschaft bedeutende Aufmerksamkeit geschenkt. Er markiert eine kritische Zeitspanne, die tiefgreifende Veränderungen auf unterschiedlichen Ebenen der Partnerschaft und eine Umstellung der gesamten Lebenssituation mit sich bringt (Fthenakis et al. 2002). Deshalb wurden Veränderungen in der Arbeitsteilung und im Tagesablauf frischgebackener Eltern betrachtet (z. B. Buba und Vaskovics 1994; Dechant und Schulz 2014; Baxter et al. 2008; Goldenberg et al. 1985; Kluwer et al. 2002; Singley und Hynes 2005; Sanchez und Thomson 1997). Darüber hinaus haben sich zahlreiche Studien mit Veränderungen in der Partnerschaftszufriedenheit bzw. -qualität oder dem Wohlbefinden vor und nach der Geburt des ersten Kindes auseinandergesetzt (siehe z. B. Keizer et al. 2010; Hoffenaar et al. 2010; Humpert 2015; Roeters et al. 2016; Pollmann-Schult 2010; Baetschmann et al. 2019; Parfitt und Ayers 2014; Gottman und Notarius 2000; Bradbury et al. 2000).

Dieses Lebensereignis erfordert somit hohe Anpassungsleistungen in unterschiedlichen Bereichen. Es verwundert nicht, dass viele Mütter und Väter in den ersten Wochen und Monaten Anpassungsreaktionen aufweisen, die in Form von Schlafmangel, erhöhter Depressivität und Erschöpfung zum Ausdruck kommen können (Fthenakis et al. 2002). Dabei stellt nicht nur die Geburt an sich eine Zäsur dar, sondern gleichermaßen die in den Folgemonaten auftretenden noch unbekannten Anforderungen durch die Bedürfnisse des Babys. Der Tagesablauf, die eigenen Bedürfnisse und der Schlafrhythmus, insbesondere der Mütter, müssen sich plötzlich am Säugling orientieren. Zugleich kann auch das oftmals schlecht kalkulierbare kindliche Verhalten, wie das Schreien des Babys, eine Belastungsquelle darstellen und zu Erschöpfung, Überforderung oder Gereiztheit führen (Fthenakis et al. 2002). Insgesamt zeichnet sich die kindliche Entwicklung phasenweise durch Fort- als auch Rückschritt, positive, negative, zufriedenstellende aber auch frustrierende Momente aus und selbst für sehr kompetente Eltern kann das bedeuten, sich manchmal überfordert zu fühlen (Largo und Benz-Castellano 2008). Benz und Scholtes (2015) beschreiben das auch als normale Entwicklungskrisen und die Bewältigung dieser Entwicklungsaufgaben als einen integralen Bestandteil des Alltags von Eltern und Kindern. Beispielsweise können physiologische Anpassungsprozesse des Säuglings in den ersten Lebensmonaten zu vermehrtem Schreien führen (Benz und Scholtes 2015). Das kann für Eltern belastend sein, vor allem, wenn sich das sonst gesunde und normal entwickelnde Kind durch nichts beruhigen lässt (Scott-Jupp 2018). Daneben gibt es weitere alters- und entwicklungstypische Schwierigkeiten, die in bestimmten Entwicklungsphasen auftreten können. Neben dem exzessiven Schreien in den ersten Monaten beispielsweise Fütterprobleme oder Probleme bei der Pflege des Kindes, nächtliches Aufwachen oder dann, im späteren Kleinkindalter mit etwa zwei- bis drei Jahren, Wut- oder Trotzanfälle (Largo und Benz-Castellano 2008). In dieser ersten Zeit stellt das Kind sowohl eine wichtige Quelle der Freude als auch der Belastung dar. An diesem speziellen Übergang ist daher davon auszugehen, dass das Kind einen wichtigen Anhaltspunkt für das elterliche Wohlbefinden, besonders im ersten Jahr nach der Geburt, darstellt. Inwiefern untersuchen Studien die Rolle des Kindes am Übergang zur Elternschaft, als Erklärung für unterschiedliche Veränderungen des elterlichen Wohlbefindens?

Aufgrund ihres soziologischen Zugangs gehen Studien der Life-Satisfaction- und Wellbeing-Forschung am Übergang zur Elternschaft nicht auf Anforderungen des Kindes ein. Das liegt daran, dass das Kind primär als Indikator verwendet wird, um den Vorher-Nachher-Effekt von der Kinderlosigkeit hin zur Elternschaft und damit den Elternschaftseffekt an sich, hinsichtlich des Wohlbefindens, zu modellieren. Hauptanliegen ist es, analog zum Vergleich des Wohlbefindens von Eltern und kinderlosen Personen, herauszufinden, inwiefern sich Elternschaft auf das Wohlbefinden auswirkt (Psychological Effects of Parenthood) (z. B. Galatzer-Levy et al. 2011). Es geht vor allem um den Effekt von abhängigen Kindern im Haushalt auf das elterliche Wohlbefinden beziehungsweise um den Zusammenhang zwischen Fertilität (operationalisiert am Übergang zur Elternschaft als die Geburt des ersten Kindes und weiterer Kinder) und elterlichem Wohlbefinden (z. B. Kohler und Mencarini 2016; Radó 2020; Myrskylä und Margolis 2014; Kohler et al. 2005; Baranowska und Matysiak 2011; Margolis und Myrskylä 2011; Knoester und Eggebeen 2006). Forschungsleitende Fragestellungen sind in diesem Feld, warum Individuen Kinder haben, warum Fertilitätsraten sinken und welchen Effekt abhängige Kinder im Haushalt auf das elterliche Wohlbefinden haben. Insbesondere vor variierenden Fertilitätsraten im Ländervergleich, kann der Zusammenhang zwischen Elternschaft und dem subjektivem Wohlbefinden einen möglichen Verständnishorizont liefern (Margolis und Myrskylä 2011).

Die Familienentwicklungs- und -stressperspektive legt ein ganz anderes Forschungsverständnis hinsichtlich des Übergangs zur Elternschaft zugrunde. Erkenntnisinteresse liegt hier in den Fragen, was genau an diesem Übergang passiert, was sich in den Folgemonaten verändert und welche Mechanismen die Belastungsprozesse charakterisieren. Diese Befunde sollen letztlich für pädagogische, sozialpädiatrische, familientherapeutische oder beraterische Handlungsfelder anschlussfähig sein. Unter diesem Forschungszugang lassen sich zwei Hauptforschungslinien identifizieren: 1) Veränderungen in der Paarbeziehung. Analyseeinheit bilden Aspekte des Wohlbefindens, die sich auf die Partnerschaft beziehen, wie die Partnerschaftszufriedenheit oder -qualität. Diese Forschungsperspektive eint der Blick auf Veränderungsprozesse, die im Referenzsystem der Partner zueinander geschehen. Der Ausgangspunkt für die Einschätzung dieser Wohlbefindensdimension ist daher eng mit der Ausgestaltung dieser sozialen Beziehungsform verknüpft. 2) Unter dem Stichwort der Postpartum Period wurden individuelle Veränderungen des Wohlbefindens von Müttern und Vätern untersucht. Primärer Fokus sind Prozesse, die durch die Geburt des ersten Kindes auf intraindividueller Ebene ausgelöst werden, wie beispielsweise eine postpartale Depression, Stress- oder Angstsymptome oder generell Veränderungen in der individuellen Befindlichkeit von Müttern und Vätern. Eine Unterscheidung in unterschiedliche Aspekte des elterlichen Wohlbefindens (partnerschaftsrelevante und individuelle Wohlbefindensdimensionen) ist nicht zuletzt auch deshalb sinnvoll, da sich Eltern eben nicht nur über die Betreuungs-, Pflege-, und Fürsorgerolle (Caregiver) definieren, sondern auch anderen Lebensbereichen Priorität zugemessen werden muss, z. B. der Partnerschaft, aber auch der eigenen Befindlichkeit. Das Wohlbefinden von Eltern sollte daher in einen breiten Bezugsrahmen gesetzt werden, wie Ketner et al. (2018) argumentieren.

Forschungslücke II: Partnerschaftsrelevantes Wohlbefinden am Übergang zur Elternschaft und die Rolle des Kindes

Annahme ist, dass diese Transitionsphase mit tiefgreifenden Veränderungen auf unterschiedlichen Dimensionen, in besonderer Weise aber auf der Paarbeziehung einhergeht, und damit als krisenhaft erlebt werden kann (Wicki 1999; Schneewind und Sierwald 1999; Reichle und Montada 1999; Reichle und Werneck 1999). Dabei stellen vor allem die Anpassung an die neue Elternrolle, an die Bedürfnisse und neuen Anforderungen wie das Schreien oder Füttern des Babys und ein oftmals gestörter Schlafrhythmus Herausforderungen dar, mit denen Paare in dieser Zeit zurechtkommen müssen. Dadurch verschiebt sich der Fokus weg von der Paarbeziehung hin zum Baby und es bleibt weniger Zeit für die Partnerschaft, wenn Paare Zeit miteinander verbringen, dann zumeist mit dem Kind (Kluwer 2010). Daher äußert sich diese Transition bei vielen Paaren in einer Abnahme der Partnerschaftszufriedenheit, -qualität oder Zufriedenheit mit der Sexualbeziehung (z. B. Rosen et al. 2020a; Twenge et al. 2003; Mitnick et al. 2009; Lawrence et al. 2008; Doss et al. 2009).

Obwohl das Kind hier einen Bezugspunkt für Veränderungen der Partnerschaft darstellt, wurde eine Haupterklärung für diesen negativen Effekt der Elternschaft auf die Paarbeziehung vor allem in sich verändernden Merkmalen der Partnerschaft selbst gefunden. Annahme ist, dass sich während dieser anstrengenden Phase bestimmte Kommunikations- und Verhaltensweisen der Paare im Umgang miteinander verschlechtern, die einen negativen Einfluss auf die Partnerschaftsqualität haben (Rauch-Anderegg et al. 2020; Kluwer 2010). Beziehungsweise führt Kluwer (2010) in diesem Zusammenhang in einem Überblicksartikel an, dass diese stressreiche Phase schon vorher bestehende Probleme und dysfunktionale Merkmale innerhalb der Partnerschaft intensiviert. Damit bildet nicht erst die Geburt des Kindes den Ausgangspunkt für eine Verschlechterung der Partnerschaft, sondern dynamisiert bereits bestehende Schwierigkeiten. Im Umkehrschluss argumentiert die Autorin, dass es Paaren mit bestimmten Ressourcen, wie einer hohen Zufriedenheit mit der Partnerschaft vor der Geburt oder positiven Kommunikationsmustern leichter fällt, den Übergang zu meistern (Kluwer 2010).

Diese Annahmen stehen insgesamt im Zeichen der allgemeinen Paarstressforschung, die davon ausgeht, dass es Paaren unter Stress nicht gelingt, wichtige Kompetenzen aufrecht zu erhalten. So führt Stress etwa zu einer Abnahme der Partnerschaftsqualität, weil Paare weniger gemeinsame Zeit miteinander verbringen, was das Wir-Gefühl unterminiert, oder weil sich eine Verschlechterung der Kommunikation des Paares einstellt. Zugleich deckt eine stressreiche Phase negative Eigenschaften der Partner auf, so dass es zu Enttäuschungen oder Frustrationen kommt (Bodenmann 2013). Davon ausgehend wurde am Übergang zur Elternschaft, mit Blick auf die Paarbeziehung, ein besonderes Augenmerk auf das Interaktions- und Kommunikationsverhalten der Paare gelegt. Es wurde beispielsweise bestätigt, dass veränderte Verhaltensweisen auf Paarebene, aufgrund der tiefgreifenden Anpassungsprozesse nach der Geburt des ersten Kindes, wie häufigere und stärkere Konflikte (Huss und Pollmann-Schult 2020; Kluwer und Johnson 2007) oder Gefühle der Unsicherheit und des Zweifels in der Partnerschaft (Theiss et al. 2013) die Abnahme der Partnerschaftszufriedenheit verstärken. Merkmale, die innerhalb der Partnerschaft liegen, stehen ebenso in engem Zusammenhang mit der Sexualbeziehung (z. B. Vannier et al. 2018; Tavares et al. 2019; Muise et al. 2017). So führt eine größere Diskrepanz des sexuellen Verlangens zwischen den Partnern nach dem Übergang zur Elternschaft zu einer größeren Unzufriedenheit mit der Sexualbeziehung (Rosen et al. 2018). Gleichzeitig kann die Aufrechterhaltung wichtiger Kompetenzen protektive Effekte für die Paarbeziehung haben. Rosen et al. (2020b) konnten veranschaulichen, dass eine höher empfundene Sensibilität des Partners in Bezug auf sexuelle Aktivitäten (z. B. sich während des Geschlechtsverkehrs vom Partner verstanden zu fühlen; das Gefühl zu haben, dass der Partner die eigenen Bedürfnisse berücksichtigt) eine protektive Wirkung für die Zufriedenheit mit der Sexualbeziehung und für die Partnerschaftszufriedenheit untersuchter Mütter hatte. Ein ähnlicher Mechanismus zeigte sich auch zwischen dem Aspekt der Dyadic Empathy (z. B. sich in den anderen hineinversetzen zu können oder Mitgefühl für den anderen zu empfinden, wenn dieser sich in einer schwierigen Lage befindet) und der Zufriedenheit mit der Sexualbeziehung (Rosen et al. 2017).

Insgesamt veranschaulichen die Befunde dieses Forschungszugangs, dass das Kind als Auslöser verstanden wird, durch den sich während dieser turbulenten Phase bestimmte Merkmale der Paarbeziehung verschlechtern oder intensivieren. Allerdings wird das Kind nicht konsequent in die Überlegungen miteinbezogen. Daher finden sich keine systematischen Befunde, die einen Einblick liefern, inwiefern Anforderungen des Kindes, aber auch die Verschiebung der Aufmerksamkeit auf Bedürfnisse und Sorgen des Kindes, Merkmale innerhalb der Paarbeziehung intensivieren oder zumindest anstoßen und inwiefern diese Wechselwirkungsprozesse dann einen Einfluss auf die Partnerschaftsqualität nehmen. Diese Forschungslücke wird in der zweiten Teilstudie der Arbeit inhaltlich aufgegriffen.

Forschungslücke III: Individuelles elterliches Wohlbefinden am Übergang zur Elternschaft und die Rolle des Kindes

Im Rahmen von Untersuchungen zu Veränderungen des individuellen Wohlbefindens in der Postpartum Period und auch schon vor und während der Schwangerschaft, wurde das Kind stärker mit in die Analysen einbezogen. Vorranging jedoch, um die Auswirkungen unterschiedlicher Stimmungsschwankungen oder psychischer Auffälligkeiten nach der Geburt (hauptsächlich von Müttern, in selteneren Fällen auch von Vätern) oder im ersten Lebensjahr des Kindes, in Bezug auf die kindliche Entwicklung zu untersuchen (z. B. Schmid et al. 2011; Della Vedova 2014; Paulson et al. 2009; Britton 2011; Grace et al. 2003; Murray und Cooper 1996). Betrachtet wurden überdies vorgelagerte Effekte von pränatal (vor oder während der Schwangerschaft) bestehenden Beeinträchtigungen des elterlichen Wohlbefindens (Depressivität, Stress, Angst) als Entwicklungsrisiken (exzessives Schreien, schwieriges kindliches Temperament, Schlaf- und Fütterstörungen) des Babys, aber auch des späteren Kleinkindalters (z. B. Bergman et al. 2007; Huizink et al. 2002; Wurmser et al. 2006; Petzoldt et al. 2014; Petzoldt et al. 2016; Erickson et al. 2017; Zhu et al. 2014; Davis et al. 2004; Austin et al. 2005; Hentges et al. 2020; Leis et al. 2014; Field et al. 2006). Erhöhte depressive Symptome von Vätern, schon während der Schwangerschaft, erwiesen sich in einer Studie von van den Berg et al. (2009) als relevanter Prädiktor für exzessives Schreien des Babys im Alter von zwei Monaten. Die unterschiedlichen Studien können auf übergeordneter Ebene bestätigen, dass Beeinträchtigungen des Wohlbefindens von Eltern, die bereits vor der Geburt bestehen, ein relevantes Entwicklungsrisiko für das Kind darstellen.

Im Erkenntnisinteresse dieses Forschungsstrangs stehen darüber hinaus unterschiedliche Variablen, die Stress-, Angst- oder Depressionssymptome oder andere individuelle Anpassungsprozesse an diesem Übergang auslösen, moderieren oder verstärken. Es wurden viele unterschiedliche Faktoren untersucht, wie soziodemographische Merkmale (Alter, Bildung, Familienstand) oder psychosoziale Variablen (Psychopathologie vor der Geburt oder Schwangerschaft, soziale Unterstützung, Partnerschaftsqualität) (z. B. Don et al. 2014; Grant et al. 2008; Matthey et al. 2000; Fisher et al. 2019; Silverman et al. 2017; Da Costa et al. 2017). Kingsbury et al. (2015) identifizierten beispielsweise, neben anderen geburts- und schwangerschaftsbezogenen sowie psychosozialen Faktoren, Konflikte in der Partnerschaft als primären Prädiktor für hohe, auch über die Geburt und den Zeitraum danach, anhaltende mütterliche Depressionswerte. Pinto et al. (2020) fanden wiederum heraus, dass Väter mit erhöhten Depressionswerten während des zweiten Schwangerschaftstrimesters, stärkere Anpassungsreaktionen in der nachgeburtlichen Phase (sechs Monate nach der Geburt) aufwiesen und sich beispielsweise schwieriger an die neue Situation anpassen konnten, als Väter, die keine auffälligen Depressionswerte aufwiesen. Dieser Befund stützt sich auf Studien, die davon ausgehen, dass Veränderungen der Befindlichkeit nach dem Übergang zur Elternschaft (vor allem eine Postpartale Depression) nicht nur ausschließlich auf die Geburt des Kindes zurückzuführen sind, sondern dieses Ereignis oft bereits bestehende Symptome, schon vor oder während der Schwangerschaft bestehende psychische Einschränkungen, verstärkt oder fortsetzt (Swendsen und Mazure 2000). Eine schon während der Schwangerschaft bestehende Depression oder eine depressive bzw. psychopathologische Vorgeschichte erwiesen sich in einigen Studien (neben anderen Faktoren) etwa als zentrales Risiko für eine Depression im Zeitraum nach der Geburt (z. B. Field 2011; O’Hara und Swain 1996; Robertson et al. 2004; Beck 2001; Guintivano et al. 2018; Milgrom et al. 2008). Zudem wurde der Blick vermehrt auf kognitions-psychologische Variablen gelenkt, wie Selbstwirksamkeitserfahrungen beim Stillen und Emotionsregulationsstrategien in dieser Phase tiefgreifender Veränderungen (Haga et al. 2012) sowie der Einfluss von vor der Geburt erwarteten und nach der Geburt erlebten Selbstwirksamkeitserwartungen in der Elternrolle (Gross und Marcussen 2017). Im Zusammenhang mit dem Wohlbefinden trat in einer Studie auf, dass höhere Kontrollüberzeugungen, also die Attribution der Situation als händel- und bewältigbar, niedrigere Angst- und Depressionssymptome im Zeitraum der ersten sechs Monate nach der Geburt des ersten Kindes prädizierten (Keeton et al. 2008). Aber auch Anforderungen des Kindes können das Wohlbefinden der Eltern beeinflussen. Das belegen vor allem Studien zum Schlafverhalten von Eltern, die kindliche Aspekte als Bedingungsfaktoren mit in den Blick nehmen. Das mütterliche Schlafverhalten ist beispielsweise im Zeitraum nach der Geburt durch kindliche Verhaltensanforderungen, wie die durchschnittliche Schlafdauer, gestört, was zu Müdigkeit und Schlafmangel führen kann (Loutzenhiser et al. 2015; Hunter et al. 2009).

Dem Kind kommt in diesem Forschungszugang, im Gegensatz zu Studien zu Veränderungsprozessen innerhalb der Paarbeziehung am Übergang zur Elternschaft, ein stärkerer Fokus zu. Zugleich untersuchen die Studien unterschiedliche Teilelemente wie vorgelagerte Effekte des elterlichen Wohlbefindens, kindliche Anforderungen sowie das Erleben dieser Phase. Insgesamt fehlt es jedoch an Befunden, die diese unterschiedlichen Elemente in einem Modell zusammensetzen und gemeinsam untersuchen. Dies ermöglicht es herauszufinden, ob bestimmte Zusammenhangsannahmen weiterhin Bestand haben, wenn alle anderen in dieser Zeitspanne als relevant identifizierten Variablen berücksichtigt werden. Die Forschungslücke wird in Teilstudie II bearbeitet.

Überleitung zu Familienstresstheorien

Die Familienentwicklungstheorie lieferte wichtige Anstöße für die Wohlbefindensforschung von Eltern, unter vergleichender Perspektive, aber auch unter einer phasenspezifischen Betrachtungsweise, die unterstellt, dass bestimmte Abschnitte mit höheren Anpassungsanforderungen an Familien einhergehen. In der Verschiebung des Forschungsinteresses auf familiäre Anpassungsprozesse, im Kontext von Übergängen und kritischen Transitionen, liegt gleichzeitig eine gemeinsame Schnittmenge zwischen Familienentwicklungs- und Familienstressperspektive. Strukturveränderungen im Familiensystem, wie Partnerschaftsformierungsprozesse aber auch die Ankunft eines Babys, können über direkte und indirekte Wege zu Stress oder Einschränkungen im Wohlbefinden führen. Dies verdeutlicht, dass die Studien der Familienentwicklungsperspektive stets im Zeichen der Familienstressforschung stehen und hier ein fließender Übergang besteht. Mit einem Gang durch den bestehenden Theorie- und Forschungsstand zu Familien- und Paarstress soll noch einmal ein tieferes Verständnis dafür gewonnen werden, was in einer Belastungssituation auf verschiedenen Systemebenen der Familie passiert, mit besonderem Fokus auf die Paarbeziehung. Die Aufarbeitung des Theorie- und Forschungsstandes von Belastungsprozessen innerhalb von Partnerschaften soll dabei die Grundlage für Zusammenhangsannahmen am Übergang zur Elternschaft bieten. Belastungsprozesse auf individueller Ebene werden im Anschluss im Rahmen der Darstellung von Elternstress herausgearbeitet.

2.3.2 Familienstresstheorien: Was passiert in Familien in belastungsreichen Phasen?

Der Fokus auf kritische Übergänge und unerwartete, krisenhafte Ereignisse eröffnet, wie die Ausführungen verdeutlicht haben, den Bezugspunkt für die Stressforschung und stellt die Nähe zur Familienentwicklungstheorie her (Aldous 1990; Aldous und Klein 1988). Trotz gegebener Differenzmerkmale beider Forschungslinien, besteht die gemeinsame Schnittmenge in der Beschreibung von Veränderungsprozessen, ausgelöst durch externe Stressoren, wie kritischen Übergängen oder Lebensereignissen, die besondere Anpassungsanforderungen an das Familiensystem stellen (Olson et al. 1988).

Bodenmann (2002) führt in diesem Zusammenhang an, dass insbesondere Carter und McGoldrick (1989) der Brückenschlag zwischen Familienentwicklungstheorie und Stresspsychologie gelungen ist. Sie gehen davon aus, dass Familienstress häufig an den kritischen Phasenübergängen am größten ist und Hilfe- und Therapiebedarf bei der Reorganisation und Bewältigung eben dieser Transitionen nötig werden kann (Carter und McGoldrick 1989). Damit führen sie den Stressbegriff indirekt in ihr Rahmenmodell des Familienzyklus ein. Sie unterscheiden zwischen vertikalen und horizontalen Stressoren. Vertikale Stressoren umfassen intergenerational übertragene Belastungen, Tabus, Verhaltensmuster und Funktionsweisen, beschreibbar als das Gepäck, das Individuen durch das Aufwachsen in einem bestimmten (erweiterten) Familiensystem mit Rollenerwartungen, erlebten Ereignissen, Traumata sowie Verhaltensmustern übernehmen. Horizontale Stressoren hingegen stellen normative Stressquellen und Anforderungen dar, die im Laufe der Zeit und im Zuge des Familienzyklus auftreten, als auch jene unvorhersehbaren Krisen bzw. kritischen Lebensereignisse, wie die Geburt eines behinderten Kindes oder ein unvorhergesehener Todesfall. Der Logik folgend kann sowohl eine Kumulation externer Anforderungen, also Stress auf der horizontalen Achse, eine Familie unter Stress versetzen, als auch ein vergleichsweise weniger einschneidendes Ereignis, das auf eine komplizierte Familienhistorie und somit auf kumulierten Stress auf der vertikalen Ebene trifft. Aus dem Blick darf zugleich auch nicht der erweiterte soziale, kulturelle und politische Kontext, in dem Menschen und insbesondere Familien leben, als Stressquelle geraten, da zwischen Familien beträchtliche ökonomische als auch soziale Unterschiede bestehen können, die wiederum ihr Anforderungspotenzial an Familien stellen (Carter und McGoldrick 1989).

Ausgehend von diesen ersten Anfängen der theoretischen Modellierung von Stressentstehung und Stressverläufen in der Familie, gewann die Stressforschung zunehmend an Relevanz. Insbesondere mit dem ABCX Model of Family Stress and Adaption (siehe dazu McCubbin und Patterson 1983a) gelang die Entwicklung eines der ersten umfassenden Stressmodelle, das damals auch bisher bestehende Überlegungen amerikanischer und englischer Ansätze integrierte (Bodenmann 2002). Grundidee des Modells ist, dass ein Stressereignis (A) mit den der Familie zur Verfügung stehenden Ressourcen zur Bewältigung der Krise (B) und der Bewertung bzw. Zuschreibung der Bedeutung des Ereignisses für die Familie (C), interagiert und dieses Zusammenspiel unterschiedlicher familiärer und äußerer Merkmale darüber entscheidet, inwiefern eine Belastung oder eine Krise (X) entsteht (McCubbin und Patterson 1983a; Schneewind 1999).

Das doppelte ABCX-Model von McCubbin und Patterson (1983a) wiederum berücksichtigt, als Erweiterung des ursprünglichen ABCX-Modells, noch stärker die prozesshafte und rekursive Funktionsweise von Krisen in Familien und differenziert einige Elemente weiter aus (Bodenmann 2002). Analog zum ABCX-Model legen die Autoren zugrunde, dass Stress nicht im Ereignis oder Auslöser selbst liegt, sondern erst als Resultat entsteht, wenn die Belastung oder Spannung nicht adäquat durch die Familie aufgelöst werden kann (McCubbin et al. 1980). Sie gehen jedoch nicht von einem zentralen Stressor aus, der das Familiensystem unter Spannung versetzt, sondern von einem Pile-Up-Effekt (aA-Faktor) (McCubbin und Patterson 1983a). Da die Auseinandersetzung der Familie mit Stressoren, jenen Ereignissen oder Gegebenheiten, die eine Veränderung an das Familiensystem stellen (McCubbin et al. 1980; McCubbin und Patterson 1983b), in der Regel über einen längeren Zeitraum erfolgt, tritt der ursprüngliche Stressor mit den zusätzlich entstehenden Anforderungen (Hardships) in Kumulation mit weiteren Schwierigkeiten auf, wie normativen Übergängen, die der Familienentwicklung inhärent sind. Aber auch Konsequenzen der eingesetzten Bewältigungsmechanismen können zusätzliche Spannungen erzeugen, wenn z. B. ein bestimmtes Copingverhalten einer Person von anderen Familienmitglieder abgelehnt wird (Olson et al. 1988; McCubbin und Patterson 1983a, 1983b). Neben der Ausdifferenzierung der Arten von Stressoren, identifizieren sie zugleich unterschiedliche Ressourcenformen (bB-Faktor) und stellen den rekursiven Charakter der Umdeutung (cC-Faktor) bestimmter krisenhafter Ereignisse hervor. Demnach ist nicht nur die individuelle Bedeutungszuschreibung einer Situation zentral für den Copingprozess, sondern auch die Möglichkeit der Umdeutung dieser Situation im Verlauf des Stressprozesses durch die Familie, beispielsweise als Möglichkeit des Wachstums oder als Herausforderung, die im Verlauf als bewältigbar umgedeutet wird (McCubbin und Patterson 1983a). Vor allem das Zusammenspiel aus der jeweiligen Bedeutungszuschreibung, bestehenden Ressourcen und den eingesetzten Strategien zur Belastungsbewältigung geben Aufschluss darüber, wie Familien eine Krise meistern (McCubbin und Patterson 1983a).

Trotz unterschiedlicher Modellvorschläge zu Stress in Familien erwiesen sich vorrangig das ABCX-Model und seine konzeptionellen Überarbeitungen oder Ergänzungen (z. B. Walker 1985; Patterson und Garwick 1994; Patterson 2002; McCubbin 1979; Lavee 1997; Peters und Massey 1983) als direkt anschlussfähig für die empirische Forschung. Gleichzeitig wird deutlich, dass auch hier kognitiven Prozessen und der Bedeutungszuschreibung (Wahrnehmung) der belastenden Umstände eine wichtige Rolle zukommen. Damit wird der zentrale Gedanke des transaktionalen Stressprozesses aufgegriffen, der in diesem Kontext unterstellt, dass Familien mit stressreichen Phasen unter anderem in Abhängigkeit von der jeweiligen Bewertung oder Wahrnehmung der Situation (z. B. als belastend, bewältigbar oder herausfordernd) umgehen. Wu und Xu (2020) übertragen die zentralen Ideen des ABCX-Models auf die besonders belastungsreiche Situation während der Coronapandemie, in der Familien mit vielfältigen Herausforderungen zu kämpfen hatten. In diesem Kontext stellen sie die wichtige Rolle der Situationswahrnehmung heraus. Wu und Xu (2020) postulieren, dass eine positive Bewertung der Ausnahmesituation (entschleunigend, mehr Zeit für die Familie) den vielen Einschränkungen des öffentlichen und privaten Lebens zum Trotz, in Kombination mit einer stabilen Lebenssituation, hilfreich ist, um die Pandemie als Eltern und Familie besser zu überstehen (ebd.).

2.3.2.1 Das integrative Systemmodell der Familienentwicklung

Im deutschsprachigen Raum sind ebenfalls, in Anschluss an diesen übergeordneten Kontext der Familienentwicklungs- und Familienstresstheorie, wichtige Modelle entstanden. Das integrative Systemmodell der Familienentwicklung (Schneewind 1999; 2002) beispielsweise verbindet systemtheoretische Annahmen mit den Perspektiven der Familienentwicklungs- und Familienstresstheorie zu dem Kerngedanken, „ […] den Familienentwicklungsprozeß [sic] als eine Sequenz von entwicklungsbezogenen Stressoren und Ressourcen […]“ (Schneewind 1999, S. 109) zu verstehen. Ausgehend vom konzeptuellen Gerüst der Familienentwicklung gehören zum Familien- und Paarverlauf unausweichliche normative oder nicht-normative Belastungen und Entwicklungsaufgaben, somit horizontale Stressoren (Carter und McGoldrick 1989). Genauso bedeutsam sind dabei auch horizontale Ressourcen, also im Zeitverlauf Ausgleich schaffende Ereignisse und Erfahrungen, wie das gemeinsame Durchleben einer Krise oder erlebte soziale Unterstützung, die diese Übergänge erleichtern. Der Umgang mit diesen, im natürlichen Zeitverlauf eingelagerten Schwierigkeiten, wird dabei maßgeblich bestimmt von den, bis zu diesem Zeitpunkt entstandenen vertikalen Stressoren und Ressourcen. Jenen entweder positiven und unterstützenden Erfahrungen, die helfen eine Belastungssituation zu bewältigen. Oder solchen Erfahrungen, Vulnerabilitäten und erlernten Denkmustern, die zur Ausbildung dysfunktionaler oder nicht ausreichender Bewältigungsstrukturen führen. Während des natürlich fortlaufenden Zeitgeschehens werden die horizontalen Stressoren und Ressourcen in die vertikale Ebene integriert und können so die Ausgangsbasis für den Stressumgang verändern. Dabei sind die persönliche Entstehungs- und Lebensgeschichte sowie der sich stets in der Gegenwart weiter vollziehende Paar- und Familienverlauf eingebunden in vier Systemebenen. Das Individuum selbst stellt eine Einheit dar und lässt sich somit als individuelles System begreifen, das eingebunden ist in das aktuelle Paar- und Familiensystem, aber auch in das Mehrgenerationensystem der jeweiligen Herkunftsfamilie und unterschiedliche extrafamiliäre Systeme (wie das berufliche Umfeld, den Freundeskreis und die gegenwärtige soziale, politische und ökonomische Situation). Vertikalen Stressoren und Ressourcen können aus unterschiedlichen Kontexten und Beziehungserfahrungen stammen. Horizontale Stressoren können diesen unterschiedlichen Systemebenen ebenfalls entspringen (Schneewind 1999). Familie wird unter diesem systemtheoretischen Verständnis als offenes, zielorientiertes, unterschiedlichen Entwicklungsprozessen unterlegenes, selbstregulatives System verstanden (Schneewind 1999). Dahinter verbirgt sich eine systemische Blickrichtung auf familiäre Prozesse, die gekennzeichnet ist von der Idee der Ganzheitlichkeit (Schneewind 2019). Familie ist demnach als interpersonales Beziehungsgefüge in seiner Ganzheitlichkeit in den Blick zu nehmen, ohne Scheinwerfer auf einzelne Symptomträger zu werfen. Weiteres Kennzeichen besteht im Verständnis der Zielorientierung, sowie der Unterstellung von Regelhaftigkeit familieninterner Beziehungs- und Verhaltensmuster als auch der Annahme der Grenzziehung. Familien definieren, wo die Systemgrenzen liegen, wer zum Familiensystem gehört und wer nicht. Zugleich unterliegt das Familiensystem zirkulärer Kausalität, also der sich stets wechselseitigen Beeinflussung der Mitglieder, bestehend aus Interaktionsverläufen, die durch positive und negative Rückkoppelung gekennzeichnet sind. Weitere Charakteristika der systemtheoretisch geprägten Sicht auf Familien ist das der Selbstorganisation, der Homöo- vs. Heterostase, des Wandels erster und zweiter Ordnung sowie die Idee familienspezifischer interner Erfahrungsmodelle (Schneewind 2019, 1999).

Verbindungslinien zwischen Familienstress- und Paarstress

Implizit ist den Überlegungen, dass nicht nur ausschließlich die Familie als Analyseeinheit im Mittelpunkt von Stressprozessen steht, sondern auch andere familiäre Teilsysteme. Insbesondere die Paarbeziehung findet sich in den Überlegungen wieder und kann zur Zielscheibe von Stress werden. Ausgehend davon schlagen Schneewind und Wunderer (2013) die Synthese unterschiedlicher theoretischer Modelle in Form eines integrativen Rahmenmodells zur Paarentwicklung vor. Dieses ähnelt in seinen Grundzügen dem integrativen Systemmodell der Familienentwicklung, jedoch betreffen die Kernannahmen im Spezifischen die Paarbeziehung. Das Modell setzt die Ausgestaltung der Paarbeziehung in ein Geflecht unterschiedlicher Bezugseinheiten, denen dabei zugleich, analog zum Modell der Familienentwicklung, eine zeitliche Dimension inhärent ist. Das aktuelle Beziehungsgeschehen ist, neben dem gegenwärtigen sozialen und materiellen Kontext, individuellen Merkmalen der Partner, wie Persönlichkeitseigenschaften, Werthaltungen, Vorstellungen und dem Lebensstil, abhängig von Ereignissen der Vergangenheit. Das umfasst etwa die bis zu diesem Zeitpunkt gemeinsam erlebte Beziehungsgeschichte. Zugleich aber auch individuelle Beziehungserfahrungen, die ihre Ursprünge in der Herkunftsfamilie und der Ausgestaltung der Partnerschaft bzw. dem Ehemodell der eigenen Eltern finden. Neben dem Blick in die Vergangenheit ist eine Ausrichtung auf die Zukunft für die Ausgestaltung der gegenwärtigen Beziehung bedeutsam (z. B. gemeinsame Zukunftspläne). Als zentrales Kernelement für die Ausgestaltung der Paarbeziehung muss jedoch die Paarkommunikation gesehen werden, in der sich unterschiedliche proximale und distale Einflussmechanismen bündeln und zum Tragen kommen. Inwiefern Paare miteinander kommunizieren, interagieren und miteinander umgehen, hängt von den unterschiedlichen Einflussebenen ab und steht damit in Zusammenhang mit der Partnerschafts- bzw. Ehequalität (Schneewind und Wunderer 2013).

2.3.2.2 Paarstress

Im Zeichen dieser theoretischen Entwicklungslinie, jedoch unter einer stärkeren Bezugnahme auf das transaktionale Stressverständnis nach Lazarus und Folkman (1984), wurde im deutschen Stress- und Copingdiskurs der theoretische und empirische Fokus vermehrt auf die Bedeutung alltäglicher Widrigkeiten (Daily Hassles) und Mikrostressoren gelegt, vorranging um nun dyadische (partnerschaftliche) Stress- und Copingprozesse auf einer Mikroebene verstehen zu können (siehe hierzu z. B. Perrez 1992; Bodenmann 2000; Bodenmann und Perrez 1993; Bodenmann 2002; Bodenmann und Cina 2000; Bodenmann et al. 2007a). Damit rückten insbesondere die Paardyade unter einer systemischen Perspektive, und der gemeinsame Umgang sowie die Bewältigung externer und interner Stressoren auf Paarebene, in den Vordergrund des Erkenntnisinteresses (Bodenmann und Perrez 1991). Einen entscheidenden Beitrag dazu lieferte der Ansatz des dyadischen Copings von Bodenmann (1995a, 2000). Anliegen dieser Arbeiten ist es, den Copingprozess ins Licht von Paardynamiken zu rücken, da diese zentrale zwischenmenschliche Beziehungsform vielfältigen äußeren Stressoren ausgeliefert ist (Bodenmann 2000). Die Logik des Ansatzes kann ebenso auf das gesamte Familiensystem oder andere soziale Gruppen übertragen werden und gilt nicht nur für die Paarbeziehung. Ausgehend von einem systemisch-transaktionalen Verständnis, werden Stress und Belastung nicht unter einer individuumszentrierten Perspektive, sondern als etwas Relationales zwischen Akteuren betrachtet. Stress in Partnerschaften kann ein dyadisches Phänomen sein, das beide Partner gleichermaßen betrifft (Bodenmann und Perrez 1991; Bodenmann 1995a) und damit eine gemeinsame Bewältigungsaufgabe des Paarsystems darstellt (Milek und Bodenmann 2009). Eine Stressexposition eines Partners kann somit, insofern sie für den anderen spürbar ist, zu einer Belastung und damit zu Veränderungs- und Anpassungsanforderungen des Gesamtsystems führen (Bodenmann und Perrez 1991). Mögliche Stressoren liegen dabei innerhalb oder außerhalb der Dyade. Das können Konflikte, Unstimmigkeiten und Spannungen innerhalb der Partnerschaft sein. Äußere Stresseinwirkungen, wie Makro- oder Mikrostressoren, können beide Partner zeitgleich, zeitlich versetzt oder sequenziell betreffen (Bodenmann 2000).

Maßgeblich für Wirkung und Intensität der belastenden äußeren Einflüsse auf das Paarsystem ist deren Timing bzw. Zeitpunkt des Auftretens. Wie die Familienentwicklungsperspektive bereits veranschaulicht hat, kann ein Stressor in bestimmten Phasen des Paar- und Familienzyklus unterschiedliche Auswirkungen haben. Im Sinne des Pile-up-Effekts (McCubbin und Patterson 1983b) stellt ein Stressor, der mit einem kritischen Phasenübergang und entsprechenden Entwicklungsaufgaben zusammenfällt, deutlich höhere Anpassungsanforderungen an das Paarsystem, als in einer Phase größerer Stabilität (Bodenmann 1995a). Gleichzeitig steuern, in Anlehnung an die Idee der horizontalen Stressoren und Ressourcen (Carter und McGoldrick 1989; Schneewind 1999), individuelle Erfahrungen, Denkschemata, früher gemachte Partnerschaftserfahrungen aber auch die Erfahrungen und die Beziehungsqualität der aktuellen Partnerschaft den Verlauf des aktuellen Paargeschehens und des Stress- und Copingprozesses (Bodenmann 1995a; Bodenmann und Perrez 1991).

Der zentralste Beitrag dieses Forschungsstrangs, der besondere Relevanz für die vorliegende Arbeit besitzt, sind Befunde zur (langfristigen) Wirkung von Stress auf die Partnerschaftsqualität. Ergebnisse dazu stammen aus Analysen zum Zusammenspiel von Stress, individuellen sowie auf Paarebene angesiedelten Variablen und deren Wirkung auf unterschiedliche Aspekte der Partnerschaft, wie der Partnerschaftszufriedenheit bzw. -qualität. Vor diesem Hintergrund ist grundsätzlich von einem negativen Zusammenhang zwischen Stress und verschiedenen Aspekten des Paarsystems auszugehen (Bodenmann 2001, 2000). Kernannahme ist, dass es Paaren unter Stress nicht gelingt, wichtige Kompetenzen für das Gelingen der Partnerschaft aufrechtzuerhalten. Vier Stellgrößen sind dabei von besonderer Wichtigkeit, die, wenn sie nicht aufrechterhalten werden können bzw. sich in dysfunktionale Mechanismen verwandeln, die Partnerschaftsqualität beeinträchtigen. Das ist das Ausmaß der gemeinsam verbrachten Zeit, eine Verschlechterung der Kommunikation, gesundheitliche Beeinträchtigungen durch Stress, die auf die Paarebene rückwirken und letztlich auch eine Freisetzung nachteiliger Persönlichkeitseigenschaften (Bodenmann 2013). Stress entfaltet so seine destruktive Wirkung, indem er unterschiedliche Ebenen des Paarsystems vulnerabilisiert und für die betroffenen Paare als Sog in die Negativität wirkt (Bodenmann 2000, 1995b). Im Folgenden sollen beispielhaft zwei Stressszenarien skizziert werden.

Eine Reaktion auf eine Belastungssituation kann darin bestehen, sich zurück zu ziehen, sich gegenseitig zu verschließen oder kann in erhöhter Reizbarkeit und negativer verbaler und paraverbaler Kommunikation (z. B. Sticheleien, Vorwürfen, Abwertungen, Kritik) resultieren (Bodenmann 2000). Die Kommunikationsqualität nimmt unter Stress ab, es fällt schwer den anderen zu verstehen, auf ihn einzugehen und ihm Wertschätzung entgegen zu bringen, was eine emotionale Distanzierung bewirkt (Bodenmann 2013). Ein Schlüsselfaktor, der ebenfalls zu einer Abnahme der Partnerschaftsqualität in Belastungssituationen führt, ist ein Mangel an gemeinsam verbrachter Zeit (Milek und Bodenmann 2017). Dadurch fehlen dem Paar wertvolle Momente der Intimität, Regeneration, der emotionalen Kommunikation sowie Möglichkeiten der sexuellen Begegnung. Das Wir-Gefühl kommt schleichend abhanden, so dass Intimität und Nähe des Paares abflachen (Bodenmann 2013). Insbesondere Paare mit kleinen Kindern stellen eine Risikogruppe für solche Belastungsprozesse dar. In dieser Lebensphase ist die Zeit für Zweisamkeit und Intimität eng bemessen, durch die ständige Anwesenheit der Kinder und gleichzeitige Bewerkstelligung des Alltags (Milek und Bodenmann 2017).

Befunde zum Einfluss von Stress und Merkmalen der Beziehung auf die Partnerschaft

Die direkten Auswirkungen von Stress auf die Partnerschaft können zwei Studien bestätigen. Ein Befund belegt, dass Stress zum Beispiel, unter Kontrolle psychischer und somatischer Symptome sowie der Partnerschaftsqualität, einen direkten Effekt auf sexuelle Probleme in der Paarbeziehung hat (Ledermann et al. 2010) bzw. ein hohes subjektives Stresserleben zur Reduzierung sexueller Aktivität führt (Bodenmann et al. 2010). Daneben belegen Studienbefunde die Annahme, dass bestimmte in der Paarbeziehung selbst liegende Merkmale, wie unterschiedliche Kommunikations- und Interaktionsformen (Relationship Behaviors) (Rauch-Anderegg et al. 2020), eng mit der Partnerschaftszufriedenheit zusammenhängen und diese prädizieren. Zunächst auch unabhängig davon, ob sich Paare in einer besonderen Belastungssituation befinden. Das heißt, auch ohne den diese Wirkmechanismen verstärkenden Stresskontext, hängt die Partnerschaftsqualität eng mit Merkmalen des gegenseitigen Umgangs, Verständnisses, der Nähe, Intimität sowie dem Kommunikations- und Interaktionsverhalten zusammen (z. B. Braithwaite et al. 2011; Hiew et al. 2016; Yoo et al. 2014; Young und Curran 2016; van Lankveld et al. 2018; Moore et al. 2001; Gordon und Chen 2016; Leuchtmann et al. 2019). Meeks et al. (1998) nennen diese Beziehungsmerkmale Relational Constructs und identifizieren, dass das empfundene Verständnis durch den jeweiligen Partner oder die Partnerin und dessen Vermögen sich in die Gefühle des anderen hineinzuversetzen, ein wichtiges Element für eine gelingende Paarbeziehung ist. MacNeil und Byers (2005) wiederum zeigen: hohe sexuelle und nicht-sexuelle Selbstoffenbarung und Kommunikation führen, insbesondere bei Frauen, zu einer größeren emotionalen Nähe dem Partner gegenüber, was zu einer höheren Zufriedenheit mit dem Sexualleben beiträgt. Die wichtige Rolle der sexuellen Selbstoffenbarung beziehungsweise der offenen Kommunikation über sexuelle Bedürfnisse für die Zufriedenheit mit dem Sexualleben konnte in anderen Studien bestätigt werden (Rehman et al. 2011; Montesi et al. 2010).

Im speziellen Kontext von Paarstress untermauern Studienbefunde ebenfalls den engen Zusammenhang von Merkmalen der Paarbeziehung bzw. Relationship Behaviors und der Partnerschaftsqualität. Externer Stress überträgt sich auf die Partnerschaft und löst Belastungen in der Paarbeziehung aus bzw. verstärkt negative Mechanismen (in diesen Studien zusammengefasst unter dem Begriff Relationship Stress) (Falconier et al. 2015; Ledermann et al. 2010). Relationship Stress meint in diesem Zusammenhang unterschiedliche, sich unter Belastung dynamisierende negative Verhaltensweisen innerhalb der Paarbeziehung, wie zum Beispiel zunehmende Konflikte, Streitigkeiten, sich vernachlässigt zu fühlen, reduzierte Intimität und Nähe. Die Zunahme dieser Partnerschaftsprobleme führt schließlich zu einer Abnahme von Partnerschaftsqualität (Falconier et al. 2015; Ledermann et al. 2010). Bodenmann et al. (2007b) stellen diese Zusammenhänge überdies für die Funktionsfähigkeit der Sexualbeziehung fest. Eine hohe externe Stressexposition führt zu Spannungen innerhalb der Paarbeziehung, was letztlich nicht nur zu einer niedrigeren Partnerschafts- und Sexualzufriedenheit führt, sondern ebenso zu reduzierter sexueller Aktivität und höherer Dysfunktionalität in der Sexualbeziehung. Unter finanziellen Belastungen lassen sich ähnliche Wirkmechanismen erkennen. Finanzielle Belastung kann in diesem Fall als besondere Belastungssituation für eine Paarbeziehung verstanden werden und entfaltet ihre Wege über eine höhere gegenseitige Aggressivität und hat insbesondere für Frauen einen negativen Effekt auf die Partnerschaftszufriedenheit (Falconier und Epstein 2010). Dagegen ist es für Paare, die in einer konfliktreichen Situation ein höheres Maß an Achtsamkeit und Aufmerksamkeit für die Bedürfnisse des jeweils anderen (Mindfulness) aufweisen, leichter, positive Gefühle gegenüber dem Partner oder der Partnerin aufrechtzuerhalten. Sie erleben zugleich weniger negative Emotionen (Barnes et al. 2007).

Zusammenfassend belegen die verschiedenen Befunde zunächst grundsätzlich, dass Merkmale des Interaktions- und Kommunikationsverhaltens von Paaren Einfluss auf die Partnerschaftsqualität nehmen. Im spezifischen Kontext der Stressforschung hat sich zudem abgezeichnet, dass Belastungen dysfunktionale Mechanismen verstärken bzw. die Aufrechterhaltung positiver Umgangsformen und positiven Beziehungsverhaltens unter Stress oft nicht gelingt und die Partnerschaftsqualität einschränkt. Diese zentrale Annahme, dass Stress einen vulnerabilisierenden Kontext schafft und damit den Nährboden für Partnerschaftskonflikte sowie dysfunktionale Interaktions- und Verhaltensformen innerhalb der Paarbeziehung bereitet und letztlich das Wohlbefinden hinsichtlich der Partnerschaft unterminiert, hat Bodenmann (2002) in einer stressorientierten Perspektive auf das Familiensystem übertragen und spannt damit den Bogen zurück zu den Familienstresstheorien.

2.3.2.3 Familienstress

Diesem theoretischen Zugang zufolge bewegt sich Familie in einem komplexen Spannungsfeld unterschiedlicher Anforderungen, wie strukturellen Bedingungen (z. B. sozialpolitischen Unterstützungsmaßnahmen für Familien), objektiven physikalischen Belastungen (knapper Wohnraum, Lärmbelästigung) aber auch alltäglichen Stressoren (Vereinbarkeit von Beruf und Familie, drohende Arbeitslosigkeit), die Familien stetig formen und verändern (ebd.). Dabei ist insbesondere die aktive Familienphase mit einem erhöhten Belastungsausmaß für Eltern assoziiert, ähnlich zu den Annahmen der Rushhour des Familienzyklus (Panova et al. 2017). Diese mittlere Lebenshälfte ist nicht nur gekennzeichnet durch die Familiengründung und Anforderungen in der Betreuung und Erziehung der Kinder, sondern fällt zugleich auch mit erhöhten Anforderungen im Berufsleben zusammen, wie der Etablierung der Karriere sowie beruflichen Verpflichtungen bei der gleichzeitig zu lösenden Vereinbarkeitsfrage von Familie und Beruf. In dieser Lebensphase sind Eltern somit unterschiedlichen Stressquellen ausgesetzt. Vor allem familienexterne Stressoren spielen eine zentrale Rolle für Belastungsprozesse in Familien (Bodenmann 2002). Zu den familienexternen Stressoren zählen beruflicher Stress, finanzielle Belastungen sowie mangelnde externe Kinderbetreuung. Analog zu den Erkenntnissen der Forschung zu Paarstress und dyadischem Coping besteht hier die Annahme, dass familienexterne Stressoren primär auf die Eltern- bzw. Paarebene einwirken und bestimmte Kompetenzen unterminieren, beziehungsweise negative Merkmale der Beziehung verstärken (ebd.). Unter Stress gelingt es den Paaren schlechter, positive Interaktions- und Umgangsformen aufrechtzuerhalten oder Zeit miteinander zu verbringen, was nicht zuletzt zu einem erhöhten Konfliktpotenzial in der Partnerschaft führt. Die Entfremdung und die Unstimmigkeiten in der Paarbeziehung der Eltern begünstigen schließlich eine Negativdynamik im gesamten Familiensystem (Bodenmann 2002). Je mehr äußerer Stress auf die Familien einwirkt, umso weniger Bewältigungskapazitäten stehen zur Verfügung, alltägliche Widrigkeiten, aber auch phasentypische Entwicklungsaufgaben bzw. familieninterne Anforderungen zu meistern. Familienrelevanter externer Stress stellt damit den Nährboden für Belastungsverläufe innerhalb der Familie dar. Der Stress bahnt sich den Weg in die Familie, in dem sich die Spannungen bzw. die Stressbelastung des Elternsystems primär auf das Familienklima übertragen. Ein angespanntes Familienklima wiederum ist ein ungünstiger Ausgangspunkt für die kindliche Entwicklung, da Eltern weniger emotional verfügbar sein können, weniger Zeit für ihre Kinder haben oder Paarkonflikte offen vor den Kindern ausgetragen werden (Bodenmann 2002). Damit verwebt dieser Ansatz noch einmal spezifischer die unter Stress stattfindenden Prozesse innerhalb der Paarbeziehung mit Wirkmechanismen, die in der gesamten Familie freigesetzt werden und bettet die Annahmen zu Paarstress in den Gesamtkontext des Familienstresses ein.

2.3.2.4 Paar- und Familienstress als Entwicklungsrisiko für die kindliche Entwicklung

Ausgehend von den geschilderten Befunden der Paar- und Familienstressforschung, haben sich unterschiedliche Studien mit dadurch entstehenden Entwicklungsrisiken für Kinder beschäftigt. Als besonders ungünstig für die kindliche Entwicklung haben sich elterliche Spannungen (Interparental Conflicts) und ein inadäquates Erziehungsverhalten der Eltern herausgestellt (z. B. Bodenmann 2002; Zemp et al. 2016a; McIntosh 2003). Ein zentrales Erkenntnisinteresse der Forschung liegt, vor diesem Hintergrund, vor allem auf der Wirkungsweise elterlicher Konflikte bzw. Verstörungen auf Paarebene auf die kindliche Entwicklung (z. B. Davies et al. 2019; Davies et al. 2006; Rhoades 2008; Zemp et al. 2019, 2018; Zemp et al. 2016c; Zemp 2014; Schoppe-Sullivan et al. 2007; Papp et al. 2004; Camisasca et al. 2016; Zimet und Jacob 2001; Katz und Gottman 1993; Camisasca et al. 2019; Fishman und Meyers 2000). Primär vor dem Erkenntnisstand, dass destruktive, offen vor dem Kind ausgetragene Paarkonflikte maßgebliche Kurz- und Langzeitfolgen für die kindliche Entwicklung haben (Zemp und Bodenmann 2015). Einige Befunde deuten sogar darauf hin, dass die Paarbeziehung der Eltern nicht nur unmittelbare Effekte auf die Ebene des Kindes hat, sondern vorgelagerte Einflüsse der Partnerschaft einen Nährboden für die spätere Entwicklung des Kindes bilden (Schoppe-Sullivan et al. 2007; El-Sheikh et al. 2015; Howes und Markman 1989). In einer Studie von Mannering et al. (2011) prädizieren Ehekonflikte beispielsweise prospektiv Schlafprobleme des Kleinkindes im Folgejahr. Insgesamt untermauern die Studien den negativen Effekt von Unstimmigkeiten auf der Paarebene für das Kind.

Parallel dazu befassen sich Studien allgemeiner mit Wirkmechanismen, die in familiären Belastungssituationen aktiv sind und einen ungünstigen Ausgangspunkt für die kindliche Entwicklung schaffen. In ihrem integrativen Modell zum Zusammenhang zwischen Stress der Eltern und kindlichem Problemverhalten nehmen Cina und Bodenmann (2009) an, dass Elternstress direkt, zugleich aber auch indirekt, vermittelt über weitere Risikofaktoren, kindliches Problemverhalten begünstig. Dementsprechend zeigt die Studie, dass elterlicher Stress einen deutlichen Teil der Varianz kindlichen Problemverhaltens aufklärt, zugleich aber auch über weitere, in der Familie liegende Risikofaktoren, wie das Erziehungsverhalten, eine negative Paarkommunikation und schlechteres elterliches Befinden vermittelt wird (ebd.). Andere Studien bestätigen die negative Übertragung von elterlichem Belastungserleben oder Paarstress, teilweise vermittelt über weitere in der Familie liegende Negativdynamiken, wie das elterliche Erziehungsverhalten, das Familienklima oder elterliche Kognitionen (Selbstwirksamkeitserwartungen in der Elternrolle, negative Attributionen des kindlichen Verhaltens oder erlebte elterliche Belastung) auf die kindliche Entwicklung (z. B. Soltis et al. 2015; Tang et al. 2016; Assel et al. 2002; Lefmann und Combs-Orme 2014; Crnic et al. 2005; Calzada et al. 2019; Vahedi et al. 2019; Tichovolsky et al. 2013; Kaczynski et al. 2006; Gerdes et al. 2007; Ahun und Côté 2019; Teti und Crosby 2012; Burt et al. 2005; McCarty und McMahon 2003; Beckerman et al. 2018; Vries et al. 2011; Feldkötter et al. 2019; Ulrich und Petermann 2017; Kötter et al. 2010; Kliem et al. 2014; Grant et al. 2003). Dabei darf nicht in Vergessenheit geraten, dass der gemeinsame Stressumgang der Eltern in einer Belastungssituation auch eine wichtige protektive Wirkung für das Kind entfalten kann (Zemp et al. 2016b; Gabriel und Bodenmann 2006a). Insgesamt bestätigen diese Befunde, dass unterschiedliche familiäre und elterliche Variablen und das spezifische Zusammenwirken derselben einen wichtigen Ausgangspunkt für kindliche Anpassungsschwierigkeiten und das kindliche Wohlbefinden bilden.

Die Risikoforschung, primär im Kontext der Frühen Hilfen, beschäftigt sich ebenfalls mit der Frage, welche familiären belastenden Lebensumstände und Risiken langfristig die Entwicklung von Kindern beeinträchtigen können und welche Konstellation von Faktoren und schwierigen Bedingungen dabei ein besonders hohes Entwicklungsrisiko für Kinder bedeutet (Heilig 2014). Dieser Forschungsstrang steht jedoch im Zeichen der Früherkennung von Kinderschutzverläufen und ist damit präventiv orientiert, um Risikokonstellationen in belasteten Familien rechtzeitig erkennen und Kindeswohlgefährdungen abwenden zu können (Buschhorn 2018). Die Forschung zu Familien- und Paarstress versucht, in Abgrenzung dazu, Negativdynamiken in der Familie aufzudecken, die eine Belastungssituation oder Stress auslösen können, aber nicht zwangsläufig in den Gefährdungsbereich fallen. Ansatzpunkt der Risikoforschung ist ein Risiko- und Schutzfaktorenkonzept, das einerseits von auf unterschiedlichen Ebenen des Umwelt-, Eltern- und Familiensystems eingelagerten Risikofaktoren bzw. Stressoren ausgeht, die die kindliche Entwicklung negativ beeinflussen können. Gleichzeitig bestehen aber auch umwelt-, familien- und kindbezogene Schutzfaktoren, die vor dem Hintergrund belastender Lebensumstände eine risikomildernde oder protektive Funktion entfalten können (Wustmann 2004). Das komplexe Zusammenspiel der belastenden und protektiven Bedingungen, also zugrundeliegende Wirk- bzw. Schutzmechanismen, liefert dann einen Erklärungshorizont für kindliche Entwicklungsverläufe in belasteten Lebenslagen. In diesem Verständnis wird Schutzfaktoren eine stärkere Schlüsselfunktion zugewiesen, als im Modell des Familienstresses, der Annahme folgend, dass risikoabmildernde bzw. protektive Bedingungen die Bewältigung belastender Lebensumstände für das Kind erleichtern und dann ein geringeres Risiko für das Kind besteht, eine Störung zu entwickeln (Wustmann 2004). Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch, weshalb manche Kinder trotz belastender Lebensumstände keine psychischen Beeinträchtigungen oder Schwierigkeiten in der Verhaltensanpassung entwickeln, also eine hohe psychische Widerstandsfähigkeit aufweisen (Wustmann 2004). Diese Anpassungsfähigkeit von Individuen im Spannungsfeld zwischen widrigen Lebensbedingungen und protektiven Faktoren (Fegert und Resch 2012) wird in der Fachliteratur unter dem Begriff der Resilienz aufgeführt (z. B. Mergenthaler 2012; Bucher 2011; Wustmann 2004; Heilig 2014; Holtmann und Schmidt 2004; Petermann und Petermann 2005). Analog zu den Wirkprozessen, die die Paar- und Familienstressforschung vorschlagen, muss auch hier davon ausgegangen werden, dass nicht die reine Addition von Risiko- und Schutzfaktoren entscheidend ist für kindliche Entwicklungsprozesse. Vielmehr wirken Risikofaktoren bzw. Stressoren oftmals über komplexe Schutz- und Risikomechanismen. Das können verschiedene vermittelnde Variablen sein, wie unterschiedliche elterliche Verhaltensweisen (z. B. die mütterliche Responsivität) (Wustmann 2004; Heilig 2014; Holtmann und Schmidt 2004).

2.3.2.5 Kindeffekte auf die Paarbeziehung

Primär wurde somit von einer Stresswirkung der Eltern auf die kindliche Entwicklung ausgegangen. Dabei wurde das Zusammenspiel elterlicher bzw. familiärer Faktoren betrachtet, die einen negativen Ausgangspunkt für kindliche Entwicklungsprozesse bilden können. Die frühkindliche Risikoforschung legt beispielsweise den Schwerpunkt auf kontext- und elternbezogene Belastungspotenziale wie Armut, Substanzmittelabhängigkeit, frühe Elternschaft oder psychische ErkrankungenFootnote 5 als Risikofaktoren kindlicher Entwicklung. Unter diesem Forschungsverständnis wird allerdings zugleich davon ausgegangen, dass kindliche Merkmale einen entscheidenden Belastungsfaktor für Eltern darstellen können (Kries und Haack 2016). Das kann ein schwieriges kindliches Temperament sein, aber auch Probleme des Kindes bei der Bewältigung altersspezifischer Entwicklungsaufgaben, die sich z. B. im ersten Lebensjahr in Form von Schlaf- oder Fütterproblemen sowie exzessivem Schreien äußern können (Kindler und Künster 2013; Kries und Haack 2016). Andere Studien bestätigen, dass in Belastungs- und Stressprozessen ebenso ein Zusammenhang vom Kind auf die Eltern oder die Paarbeziehung besteht (Zemp et al. 2016d; Deater-Deckard 1998). Eine ADHS-Symptomatik des Kindes kann beispielsweise auf die Paarebene zurückwirken und Paarstörungen begünstigen (Zemp 2018).

Das stresstheoretische Modell der Familienentwicklung identifiziert Kinder ebenfalls als einen familieninternen Stressfaktor mit hoher Wichtigkeit, insbesondere für die Paarbeziehung der Eltern (Bodenmann 2002). Forschungen der letzten Jahre konnten belegen, dass Kinder oder Anforderungen und Belastungen durch das Kind, Stress für die Paarbeziehung bedeuten und die Partnerschaftsqualität negativ beeinflussen können (z. B. Glenn und McLanahan 1982; Umberson et al. 2005; Belsky et al. 1991; Heaton 1990; Waite und Lillard 1992; Ahlborg et al. 2009). Ähnlich wie am Übergang zur Elternschaft, befassen sich diese allgemeinen Studien jedoch weniger systematisch mit dem Zusammenspiel des Kindes als Stressfaktor und den zwischengeschalteten Merkmalen der Beziehung, die sich unter Stress oftmals verstärken und schließlich einen Einfluss auf die Qualität der Partnerschaft haben. Als eine der wenigen Studien bauen Zemp et al. (2017) in diesem Zusammenhang direkt auf der zentralen Annahme der Paar- und Familienstressforschung auf. Sie gehen davon aus, dass das Kind einen relevanten Belastungsfaktor für die Paarbeziehung darstellt. Effekte kindbezogenen Stresses wirken sich jedoch nicht nur direkt auf die Partnerschaftszufriedenheit aus, sondern werden durch Relationship Behaviors mediiert. Im allgemeinen Modell des Paarstresses wurde insbesondere das Kommunikationsverhalten, als ein Merkmal innerhalb der Paarbeziehung identifiziert, welches sich unter Belastung verschlechtert und schließlich die Partnerschaftsqualität unterminiert. Deshalb nehmen die Autoren und Autorinnen an, dass kindbezogener Stress die Kommunikationsqualität auf Paarebene stört und dies zu einer Abnahme der Partnerschaftszufriedenheit führt. Die Ergebnisse der Studie bestätigen letztlich, dass kindbezogener Stress (Child Related Stress) einen direkten negativen Effekt auf die Partnerschaftszufriedenheit hat und diese reduziert. Zugleich wird dieser Zusammenhang teilweise über ein verschlechtertes Kommunikationsverhalten auf Paarebene vermittelt (Zemp et al. 2017). Cui und Donnellan (2009) untermauern mit ihren Befunden die Annahme, dass Belastungssituationen, die in direktem Zusammenhang mit dem Kind stehen, Kompetenzen in der Partnerschaft unterbinden können und einen negativen Einfluss auf die Partnerschaftszufriedenheit haben. Sie gehen davon aus, dass die Erziehung von Jugendlichen, durch dahinterliegende Ablösungsprozesse, eine besonders schwierige Phase für Eltern und entsprechend für die elterliche Paarbeziehung darstellt. Letztlich belegen die Ergebnisse, dass dieser Stresskontext Konflikte über die Erziehung der Heranwachsenden zwischen den Paaren verstärkt, was zu einer Abnahme der Partnerschaftszufriedenheit führt (Cui und Donnellan 2009). Das Kind als Anhaltspunkt für elterliches Wohlbefinden zu verstehen, erkennen auch Prime et al. (2020) in ihrem theoretischen Familienmodell an. Dieses setzt sich auf übergeordneter Ebene mit der Frage auseinander, was in Familien in besonderen Belastungsphasen geschieht. Ausgangspunkt stellt dabei der spezifische Belastungskontext der Coronapandemie dar, da die Pandemie viele Fragen und Risiken aufwirft, die in Bezug auf das Wohlbefinden von Kindern und Eltern reflektiert werden müssen. Sie stellen allerdings etwas stärker die gegenseitige Bezüglichkeit der Kind- und Eltern-Ebene heraus, da sie davon ausgehen, dass sich die durch den pandemiebedingten Belastungskontext entstehenden Negativdynamiken zwischen Eltern und Kind gegenseitig verstärken (Prime et al. 2020).

Als zentrale Erkenntnis lässt sich abschließend zusammenfassen: Äußere Anforderungen (externer Stress) führen häufig zu einer Verstörung des Paar- und Familiensystems. Einzelne Mitglieder des Familiensystems sind gereizter, dies wirkt sich auf Teilsysteme der Familie aus (z. B. Paarbeziehung) und befördert Konflikte zwischen den Partnern. Paare haben weniger Zeit füreinander, weniger Verständnis, streiten mehr und fühlen sich zunehmend unzufriedener in der Beziehung. Das färbt wiederum auf das Klima der Familie ab. Weiterhin wird der Umgang mit dem Kind als schwieriger wahrgenommen, das Erziehungsverhalten verändert sich und diese unterschiedlichen familieninternen Gegenspieler bereiten eine ungünstige Ausgangslage für die kindliche Entwicklung. Eltern geraten letztlich in einen Negativstrudel, der seine Kreise in das gesamte Familiensystem zieht (Bodenmann 2002).

Obwohl sich in den letzten Textpassagen bereits andeutete, dass Kinder Belastungsquellen für Eltern bedeuten können, soll im Folgenden noch einmal detaillierter auf Modelle und empirische Befunde eingegangen werden, die das Kind (kindliche Merkmale, Verhaltensaspekte) stärker als Ausgangspunkt und weniger als Ergebnis von familiären Belastungsprozessen betrachten. In diesen Modellen und empirischen Befunden verlagert sich der Fokus vor allem auf individuelle Belastungsprozesse. Das heißt, es wird primär ausgeleuchtet, inwiefern Anforderungen durch das Kind Einfluss auf das individuelle Wohlbefinden von Müttern und Vätern nehmen und welche mütterlichen und väterlichen Merkmale (z. B. Kognitionen) dabei zentrale Schrittmacher für das Belastungslevel darstellen. Variablen, die in den Analysen betrachtet werden, sind beispielsweise das elterliche Stressniveau, die Depressivität oder Angstsymptome. Partnerschaftsrelevante (Partnerschaftszufriedenheit) oder auf Systemebene angesiedelte Wohlbefindensaspekte (Familienklima) stehen nicht im zentralen Erkenntnisinteresse. Damit bewegt sich diese Forschungslinie weg von den systemischen Annahmen der Paar- und Familienstressforschung und betrachtet vorranging intraindividuelle Belastungsmechanismen. Die im folgenden Abschnitt gewonnenen Erkenntnisse sollen später in Teilstudie zwei aufgegriffen und als Ausgangspunkt für Annahmen zu Anpassungsleistungen individuellen Wohlbefindens am Übergang zur Elternschaft genommen werden.

2.4 Das Eltern-Belastungs-Modell

Modelle zu Stress bzw. zur Belastung spezifisch in der Elternrolle stellen, im Gegensatz zu den bisher skizzierten Ausführungen, die gegenseitige Bezüglichkeit elterlicher Belastung und kindlicher Merkmale stärker heraus. Mash und Johnston (1990) beispielsweise betrachten Elternstress als Parent-Child Interactive Stress und gehen davon aus, dass insbesondere in Familien mit Kindern mit ADHS die dysfunktionalen und auffälligen Verhaltensweisen des Kindes Hauptauslöser für elterliche Belastung bzw. für Parent-Child Interactive Stress darstellen (Mash und Johnston 1990). Gleichzeitig erachten sie elterliche Kognitionen, wie Selbstwirksamkeitserwartungen, eigene Kindheitserfahrungen oder die Attribution des kindlichen Verhaltens als wichtige Mediatoren zwischen den Anforderungen des Kindes und dem Stress, der im Rahmen der Eltern-Kind-Interaktion entstehen kann. Attribuieren Eltern dem Verhalten ihres Kindes zum Beispiel negative Absichten, kann sich das in einer stärker belasteten Eltern-Kind-Beziehung äußern (Mash und Johnston 1990) oder in strikterem Erziehungsverhalten dem Kind gegenüber äußern (Petrenko et al. 2016).

Das Parenting Stress Model, bzw. das theoretische Modell zur elterlichen Belastung (siehe Abbildung 2.2, am Ende des Kapitels) betrachtet kindliche Merkmale ebenfalls als einen möglichen Auslöser für Elternstress und greift das, bei Mash und Johnston (1990) formulierte, zentrale Element der elterlichen Kognitionen, als vermittelnde Größe zwischen den äußeren Anforderungen und dem eigentlichen Belastungserleben bzw. dem elterlichen Verhalten, auf (Abidin 1990). Das Modell knüpft daneben an den transaktionalen Stressansatz an und überträgt die generellen Stressannahmen auf die spezifische Form des Elternstresses (Abidin 1992). Zudem fußt die theoretische Modellierung zu Elternstress auf dem Modell von Belsky (1984) – dieses beschäftigt sich mit Einschränkungen der elterlichen Erziehungsfähigkeit – und auf Webster-Strattons (1990) Prozessmodell, das Stressoren formuliert, die das Erziehungsverhalten einschränken können. Die Modelle beschreiben damit kindliche, soziale, individuelle und kontextbedingte Determinanten zur Erklärung der Entstehung eines eingeschränkten elterlichen Erziehungsverhalten. Insgesamt baut die Theorielinie zu Annahmen über Faktoren, die das elterliche Erziehungsverhalten (Parenting) beeinflussen, stets auf dem Grundgedanken auf, dass die Eltern-Kind-Beziehung zwar in unterschiedliche proximale und distale Kontexte eingebettet ist, aber vor allem kindliche Merkmale oder Verhaltensweisen einen wichtigen proximalen Ausgangspunkt für elterliches Verhalten darstellen (z. B. Kotchick und Forehand 2002; Lerner et al. 2002; Dix 1991; Putnam et al. 2002). Das Eltern-Belastungsmodell geht analog dazu von einem komplexen Zusammenspiel aus sozialen, elterlichen, kindlichen, motivationalen und kognitiven Faktoren aus, die zu Parenting Stress (Eltern- bzw. Erziehungsstress) führen, und legt für das Belastungserleben der Eltern einen wichtigen Fokus auf kindliche Charakteristika (Abidin 1992). Stress, den Eltern erleben, setzt sich damit aus verschiedenen Bausteinen zusammen, einerseits aus elterlichen Merkmalen (Psychosomatik) und andererseits kindlichen Charakteristika (Anforderungen des Kindes, Temperament, Anpassungsfähigkeit). In Wechselwirkung mit externen Merkmalen der Lebenssituation (ökonomische Situation, Bildungsniveau) können sich ungünstige elterliche und kindliche Dynamiken verstärken und letztlich zu einem eingeschränkten Erziehungsverhalten führen (Morgan et al. 2005). Das Erziehungsverhalten stellt in diesem Zusammenspiel weiterführend einen zentralen Faktor für die Entwicklung des Kindes dar, wie Studien belegen (Cina und Bodenmann 2009; Guthermuth-Anthony et al. 2005). Mulsow et al. (2002) bestätigen den prädiktiven Charakter elterlicher, kindlicher und kontextueller Merkmale auf das elterliche Stresserleben in einer prospektiven Längsschnittstudie vom ersten bis zum dritten Jahr des Kindes.

Der Ansatz zu Parenting Stress führt das Stresskonstrukt jedoch, im Gegensatz zu den beschriebenen Vorarbeiten, als eigenständiges Element ein: als Auslöser für ein eingeschränktes Erziehungsverhalten. Stress stellt in dieser theoretischen Modellierung eine messbare Größe dar, nämlich ein subjektives Belastungserleben, in dem sich die Evaluation unterschiedlicher Stressoren in einem, von den Stressauslösern an sich zu unterscheidenden, Belastungs- oder Stressempfinden bündeln. Im Sinne einer psychologischen Variable, die sich mit einem Erhebungsinstrument messen lässt. Analog zum transaktionalen Stressmodell stellen Kognitionen, hier jedoch spezifisch die elterlichen Kognitionen und Überzeugungen über die Elternrolle (Parental Cognitions), ein Schlüsselelement des Stressprozesses dar (Abidin 1992). Stress entsteht als Evaluation oder Bewertung (Appraisal) externer Stressoren vor dem Selbstverständnis der Elternrolle (Parenting Role). Damit ist ein internales Arbeitsmodell als Mutter oder Vater (Internal Working Model) gemeint, das bestehende Ansichten, Kognitionen, Werthaltungen über sich selbst als Mutter oder Vater (Parental Cognitions and Beliefs) enthält, also das Erleben des Selbst in der Elternrolle umfasst (Abidin 1992). Diese Werthaltungen, Kognitionen und Ansichten stellen im Modell, neben dem Stress, eine eigene Variable dar, die Parenting Role-Variable. Dieses Selbstverständnis als Mutter oder Vater bzw. das spezifische Erleben der Situation als Mutter oder Vater (Self-as-Parent) fungiert als Mediator oder vermittelnde Variable zwischen den externen Belastungsquellen und der eigentlichen Stressreaktion (Abidin 1992). Ausgehend von diesen theoretischen Annahmen legten Studien einen Analysefokus auf unterschiedliche kindliche Verhaltensanforderungen und -auffälligkeiten, die Parenting Stress, häufig aber auch Depressivität, verursachen. Andere Studien beschäftigten sich mit den vermittelnden, intraindividuellen Variablen auf Elternebene, die das Ausmaß des Stresses oder der Belastung mitsteuern.

Abbildung 2.2
figure 2

Modell zur Entstehung elterlicher Belastung

2.4.1 Kindliche Verhaltensanforderungen als Belastungsquelle für Eltern

Eine große Anzahl an Studien betrachtet die direkten Auswirkungen kindlicher Verhaltensanforderungen und -auffälligkeiten als zentrale Belastungskontexte, die das Wohlbefinden von Eltern einschränken. Einerseits, da kindliche Verhaltensweisen in der theoretischen Modellierung einen Dreh- und Angelpunkt für elterliche Belastung darstellen. Andererseits, da die spezifische Konstruktion des Erhebungsinstruments zu Parenting Stress, die zentrale Stellung kindlicher Charakteristika für elterliche Belastung verstärkt. Im Kontext des Parenting Stress greifen Studien in der Regel, zur Messung der individuellen elterlichen Belastung, auf ein von Abidin (1992) entworfenes diagnostisches Instrument zurück, den Parenting Stress Index (PSI) bzw. in der deutschen Version, das Eltern-Belastungs-Inventar (EBI) (Loyd und Abadin 1985; Tröster 1995). Das Instrument misst, ähnlich zu Lazarus Operationalisierung von Stress, mittels der Daily Hassles and Uplifts Scale die subjektive Evaluation spezifischer Anforderungen oder Stressoren. Grundsätzlich werden kind-, eltern- und kontextbezogene Belastungsquellen zwei zentralen Dimensionen zugeordnet, dem Kindbereich (Child Domain) und dem Elternbereich (Parent Domain) (Tröster 1995). Der Gesamtindex zeigt dann das Ausmaß der empfundenen Belastung an, als Resultat der Evaluation der Belastung in den einzelnen Dimensionen. Im Kindbereich bilden sechs Subskalen, Ablenkbarkeit/Hyperaktivität, Anpassungsfähigkeit, Anforderung und Stimmung, mit jeweils vier Items, schwerpunktmäßig Charakteristika des Kindes auf Verhaltensebene als zentrale Stressauslöser ab (Tröster 1995).

Verhaltensauffälligkeiten, chronische Krankheiten und besondere Einschränkungen des Kindes als Prädiktoren elterlicher Belastung

Aus der spezifischen Konzeption des Erhebungsinstruments und der darin liegenden impliziten Annahme, dass über die Erfassung kindlicher (verhaltensbedingter) Merkmale bzw. Auffälligkeiten eine Belastung der Eltern erfasst werden kann, hat sich ein besonderer Forschungsschwerpunkt im Kontext von Elternstress bei Children with Special Needs (Nomaguchi und Milkie 2020) etabliert. Annahme ist, dass elterliche Belastung dann höher ist, wenn Anforderungen in der Betreuung, Erziehung und Fürsorge erhöht sind, durch gesundheitliche Anforderungen, verhaltensbedingte Schwierigkeiten oder physische oder geistige Einschränkungen des Kindes (Nomaguchi und Milkie 2020). Im Zentrum dieses Forschungszugangs stehen kindliche Merkmale als Auslöser für Stress oder Einschränkungen des elterlichen Wohlbefindens, vorrangig jedoch unter einer klinischen Perspektive. Daher finden sich viele Studien zu Parenting Stress in Zusammenhang mit klinischen Problemen des Kindes, wie Verhaltensstörungen bzw. -auffälligkeiten, besonderen Beeinträchtigungen oder Behinderungen der Kinder (Deater-Deckard 1998). Diesem Forschungszugang haben sich viele Arbeiten angeschlossen, die Aspekte verschiedener kindlicher Störungsbilder in Bezug auf unterschiedliche Indikatoren des Wohlbefindens von Eltern untersuchen. Es gibt einen umfangreichen Forschungsbestand zu elterlichem Stress und Kindern mit ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom). Studien dieser Art gehen der Frage nach, ob Eltern mit Kindern mit ADHS stärker belastet sind als Eltern mit sich unauffällig entwickelnden Kindern und inwiefern unterschiedliche Aspekte der Verhaltenssymptomatik des Kindes, in Verbindung mit weiteren Risikofaktoren, die elterliche Belastung erhöhen (z. B. Anastopoulos et al. 1992; Harrison und Sofronoff 2002; Fischer 1990; Theule et al. 2012; Theule et al. 2011; Graziano et al. 2011; Wiener et al. 2016; Baker 1994). Die Forschung kann hier durchgängig belegen, dass eine kindliche ADHS-Symptomatik große Anforderungen an die gesamte Familie stellt und zumeist mit Störungen im Familiensystem und einem erhöhten Belastungsniveau der Eltern einhergeht (Deault 2010; Johnston und Mash 2001).

Auf ähnliche Weise wurde die Befindlichkeit und Belastung von Eltern mit autistischen Kindern untersucht (z. B. Estes et al. 2009; Dunn et al. 2001; Rodrigue et al. 1990; Ornstein Davis und Carter 2008; Hayes und Watson 2013; Miranda et al. 2015). Über diese Störungsbilder hinaus stehen, analog zu der geschilderten Betrachtungsweise, weitere chronische Krankheiten, Behinderungen, Beeinträchtigungen, Verhaltensauffälligkeiten oder Entwicklungsverzögerungen des Kindes im Fokus der Analysen (siehe folgende Studien Glenn et al. 2008; Lederberg und Golbach 2002; Pipp-Sigel et al. 2002; Butcher et al. 2008; Goldberg et al. 1990; Williford et al. 2007; Baker et al. 2002; Baker und Neece 2008; Bennett et al. 2013; Gupta 2007; Dirks et al. 2016; Gabriel und Bodenmann 2006b). Synthese dieser unterschiedlichen Studien ist, dass Verhaltensauffälligkeiten oder Entwicklungsverzögerungen des Kindes, die mit dem jeweiligen Symptombild einhergehenden, prädiktiv für die Belastung der Eltern sind. Dabei erhöhen vor allem externalisierende Verhaltensstörungen des Kindes, die im Kontext unterschiedlicher Störungsbilder auftreten (wie ADHS oder einer Autismus-Spektrum-Störung) das Belastungsausmaß der Eltern stärker, als internalisierenden Verhaltensweisen (Barroso et al. 2018). Der Forschungsschwerpunkt auf Stress bei Eltern mit Children with Special Needs hat sich darüber hinaus teilweise in der direkten Anwendung des ABCX-Models etabliert. Im Mittelpunkt stehen chronische, kognitive oder sozial-emotionale Beeinträchtigungen des Kindes (beispielsweise eine Autismus-Spektrum-Störung), als Hauptauslöser des Stresserlebens der Eltern (z. B. Shin und Crittenden 2003; Manning et al. 2011; Paynter et al. 2013; Krakovich et al. 2016; McStay et al. 2014; Bohadana et al. 2019; Bristol 1987; McCubbin 1988; Jones und Passey 2005; Saloviita et al. 2003; Xu 2007; Pakenham et al. 2005; Mulsow et al. 2002; Pozo et al. 2014).

Schwieriges kindliches Temperament als Belastungsfaktor für Eltern

Die Temperamentsforschung hat ebenfalls einen entscheidenden Beitrag dazu geliefert, die Rolle kindlicher Merkmale für das elterliche Belastungserleben zu erhellen. Die Forschung weist daraufhin, dass ein schwieriges kindliches Temperament, analog zur Annahme der Risikoforschung, eine Belastungsquelle für Eltern darstellen kann. Das Temperament ist grundsätzlich definiert als stabile verhaltensbezogene (behaviorale) und emotionale Verhaltensreaktionen, die Individuen zeigen. Der Begriff des Temperaments zielt darauf ab, intraindividuelle Unterschiede im Verhalten zu beschreiben, die sich schon im Säuglingsalter manifestieren und die Grundlage der späteren Persönlichkeit bilden (Lohaus und Vierhaus 2019; Möhler und Resch 2014). Obwohl es eine relativ zeitstabile Komponente des Verhaltens darstellt, ist es in seinen Strukturen und damit auf behavioraler Ebene durch Umwelteinflüsse, wie elterliche Erziehungspraktiken beeinflussbar (Möhler und Resch 2014). Im Kontext dieses Wissenschaftsverständnisses bestätigt sich zugleich die Annahme der reziproken Beeinflussung elterlicher und kindlicher Merkmale, denn Lohaus und Vierhaus (2019) führen im Zusammenhang der Definition an, dass „elterliches Verhalten ebenso Ursache wie Folge kindlichen Verhaltens sein [kann]“ (S. 177), so dass davon auszugehen ist, dass sich elterliche Merkmale und kindliche Temperamentseigenschaften gegenseitig bedingen und verstärken können (Kiff et al. 2011). Insbesondere ein schwieriges Temperament des Kindes gilt als Faktor, der das elterliche Verhalten beeinflussen und Elternschaft erschweren kann, vor allem im Säuglingsalter (Asisi 2015). Schwierigkeiten, die durch Temperamentseigenschaften des Kindes erlebt werden, wie exzessives Schreien in den ersten Lebensmonaten und später Unruhe und Problemverhalten, können die Erziehungskompetenz einschränken (Liebenwein 2008). Ein Kind mit schwierigem Temperament ist gekennzeichnet durch die Tendenz, in unbekannten Situationen mit Rückzug zu reagieren. Zugleich fällt es ihm nicht leicht, sich an Veränderungen anzupassen, neigt zu starker Reaktivität und häufiger negativer Stimmung (Asisi 2015) und weist zum Beispiel ein grundlegend hohes Niveau motorischer Aktivität während des Spielens, Schlafens oder Fütterns auf, ist leicht ablenkbar und verfügt über eine niedrige Anpassungsfähigkeit gegenüber Veränderungen oder neuen Gegebenheiten (Lohaus und Vierhaus 2019). Stellt ein Kind diese erhöhten verhaltensbedingten Anforderungen an seine Eltern, kann das wiederum Einschränkungen in deren Wohlbefinden verursachen. Anhand mehrerer Studienbefunde führt Deater-Deckard (2004) in einem Überblickskapitel an, dass Eltern eine höhere elterliche Belastung aufweisen, wenn ihre Kinder häufiger mit Ärger oder Wut reagieren, Schwierigkeiten haben, sich selbst zu regulieren oder zu beruhigen. Auch andere Studien kommen zu dem Schluss, dass ein direkter Zusammenhang zwischen einem anfordernden kindlichen Temperament und erhöhtem elterlichem Stress besteht (z. B. Molfese et al. 2010; McBride et al. 2002; Sheeber und Johnson 1992). Einschränkungen im Wohlbefinden der Eltern können aber auch den Effekt der kindlichen Verhaltensanforderungen auf das elterliche Erziehungsverhalten mediieren, indem das als schwierig erlebte kindliche Verhalten das Wohlbefinden verringert oder Stress erhöht und letztlich zu einem weniger positiven Erziehungsverhalten führt (Laukkanen et al. 2014; Fernandes et al. 2020).

2.4.2 Belastungsprozesse auf individueller Ebene – vermittelnde Mechanismen zwischen Anforderungen des Kindes und elterlichem Wohlbefinden

Ein zentrales Element dieser Theorielinie sind elterliche Kognitionen, die zwischen den Stressoren, also vorrangig kindlichen Anforderungen, und der Entstehung der eigentlichen Stress- bzw. Anpassungsreaktion liegen. Das spiegelt die Grundidee des transaktionalen Stressverständnisses wieder, die besagt, dass Stress erst in einer spezifischen Person-Umwelt-Relation entsteht und nicht automatisch im äußeren Stressor begründet liegt (Lazarus und Folkman 1984). Im Kontext der allgemeinen Stressforschung bestätigen einzelne Studien diese Annahme und belegen, dass nicht nur die äußeren Anforderungen (objektiver Stress) das Wohlbefinden beeinflussen, sondern ebenso die subjektive Wahrnehmung der Situation z. B. als schwierig, stressreich oder belastend (z. B. Gaab et al. 2005; Skinner und Brewer 2002). Bestätigt wurde überdies, dass äußere Anforderungen teilweise oder ganz über diese Evaluationen vermittelt werden (z. B. Lawton et al. 1991; Harvey et al. 2010; King 2005; Rapp und Chao 2000; Tsai und Pai 2016). Im Bereich der Pflege demonstrierten Haley et al. (1987) etwa, dass nicht die objektiven Krankheitssymptome eines Patienten oder einer Patientin mit Demenz Depressionswerte bei den untersuchten Pflegekräften erhöhten, sondern vielmehr die subjektiv erlebte Belastung durch diese Symptome. Obwohl Kognitionen ein zentrales Theorieelement in den Überlegungen zu elterlichem Stress darstellen, wurde diesem Wirkmechanismus insgesamt wenig konsequent nachgespürt. Eine Studie in diesem Kontext verweist darauf, dass beispielsweise nicht nur die Schwere einer kindlichen ADHS-Symptomatik elterliche Belastung und Depression verursacht, sondern auch das Ausmaß, in dem sich Eltern durch das Verhalten des Kindes belastet fühlen und inwiefern sie die Situation als kontrollierbar oder bewältigbar erleben (Harrison und Sofronoff 2002). Das trifft auch bei einer Autismus-Spektrum-Störung zu. In einer Studie führte nicht die Diagnose an sich zu Einschränkungen des elterlichen Wohlbefindens, sondern vielmehr die Wahrnehmung des kindlichen Problemverhaltens. Während die Fähigkeit die Situation umzudeuten und das Verhalten des Kindes in ein weniger negatives Licht zu rücken, die Aufrechterhaltung des Wohlbefindens begünstigte (Costa et al. 2017). Weitere Studien untersuchten die Zusammenhangsannahme zwischen kindlichem Problemverhalten, elterlichen Kognitionen und elterlichem Wohlbefinden genauer und veranschaulichen, dass äußere Anforderungen, im Rahmen der Studien zu Elternstress, in der Regel die kindliche Verhaltenssymptomatik bzw. typische Verhaltensmerkmale des jeweiligen Störungsbildes (zumindest teilweise) über elterliche Kognitionen vermittelt werden. Je nach Schweregrad einer kindlichen Symptomatik, kann es einerseits direkt zu Einschränkungen des elterlichen Wohlbefindens kommen. Andererseits kann es sein, dass das kindliche Verhalten zu einem Überforderungserleben in der Elternrolle führt oder das elterliche Selbstwirksamkeitserleben (Parental Self-Efficacy) minimiert. Das resultiert letztlich in Einschränkungen des Wohlbefindens (z. B. in einer depressiven Symptomatik) (siehe dazu z. B. Rezendes und Scarpa 2011; Hastings und Brown 2002; Ostrander und Herman 2006; Olsson und Hwang 2002) oder befördert ein ungünstiges elterliches Erziehungsverhalten (Miragoli et al. 2018; Wilhelm 2015). Gleichzeit können positive Kognitionen, wie Achtsamkeit (Mindfulness) der Eltern, den Effekt der kindlichen Verhaltensproblematik abschwächen und die Aufrechterhaltung des Wohlbefindens unterstützen (Chan und Lam 2017). Die Befunde deuten insgesamt darauf hin, dass kindliche (Verhaltens-)Anforderungen das elterliche Wohlbefinden nicht automatisch einschränken, sondern zumindest teilweise über das tatsächlich empfundene Anforderungsniveau vermittelt werden. Letztlich fehlt es jedoch an Befunden, die diesen Wirkmechanismus unter anderen Umständen bestärken können. Zum Beispiel, ob dieser Wirkmechanismus auch am Übergang zur Elternschaft, im Kontext von individuellen Anpassungsprozessen, zum Tragen kommt.

Obwohl die Elternstress-Forschung durch den Blick geprägt wurde, kindliche Charakteristika als Ausgangspunkt für elterliche Belastungsprozesse zu betrachten und hier oftmals auch eine depressive Symptomatik der Eltern als Outcome-Variable betrachtet wurde, ist an dieser Stelle wichtig zu erwähnen, dass es im Rahmen individueller Belastungsprozesse von Eltern eine ebenso große Anzahl an Studien gibt, die vor allem Depressivität bei Müttern und Vätern als Entwicklungshorizont für Kinder betrachten. Diese Studien kommen insgesamt zu dem Schluss, dass eine depressive Symptomatik der Eltern (sowohl der Mütter als auch der Väter) ein besonders hohes Entwicklungsrisiko für heranwachsende Kinder darstellt (z. B. Goodman et al. 2011; Cheung und Theule 2019; Weitzman et al. 2011; Connell und Goodman 2002; Elgar et al. 2004; Downey und Coyne 1990). Die depressive Symptomatik der Eltern überträgt sich dabei über unterschiedliche Prozesse auf das Kind. So verändert sich das Verhalten der Eltern stark (geringere emotionale Verfügbarkeit, veränderte Mimik, verzögerte Bewegungen) und beeinflusst so das Kind direkt negativ, oder indirekt über eine veränderte Eltern-Kind-Interaktion (ungünstiges Bindungsverhalten) (z. B. Cummings und Davies 1994; Gelfand und Teti 1990; Burke 2003). Ebenso kann eine Depression das Erziehungsverhalten (Parenting Behavior) einschränken (Lovejoy et al. 2000; Elgar et al. 2007) oder die Paarbeziehung belasten (Marital Functioning), was sich wiederum auf die Kindebene auswirkt (Cummings et al. 2005). Goodman und Gotlib (1999) fassen diese zentralen Mechanismen zusammen. Sie argumentieren auf Basis einschlägiger Studienbefunde, dass die Beziehung zwischen dem depressiven Elternteil und dem Kind durch die elterliche Psychopathologie gestört ist. Eine Depression verändert Kognitionen, Verhaltensweisen und die Affektivität. Das erschwert es dem betroffenen Elternteil, die kindlichen emotionalen und sozialen Bedürfnisse zu erfüllen. Dieses ungünstige Erziehungsverhalten unterminiert so die altersgemäße Entwicklung des Kindes. Zugleich tragen zusätzliche Stressoren (finanzielle oder berufliche Schwierigkeiten oder schwierige soziale Beziehungen), die oftmals mit der elterlichen Depression einhergehen, zu einem ungünstigen Entwicklungshintergrund bei (Goodman und Gotlib 1999; Goodman 2007). Campbell et al. (2007) untermauern die Annahme, dass eine anhaltende depressive Symptomatik eines Elternteils oftmals mit unterschiedlichen sozialen und ökonomischen Risiken zusammenfällt. Die Gruppe jener Mütter, die über einen Studienzeitraum von 4,5 Jahren durchweg hohe Depressionswerte aufwies, verfügte in der Studie über deutlich weniger soziale und ökonomische Ressourcen. Zusätzlich lebten diese Mütter mit höherer Wahrscheinlichkeit nicht in einer stabilen Partnerschaft, waren niedriger gebildet und wiesen finanzielle Belastungen auf. Während Mütter, die das niedrigste Depressionslevel aufwiesen, im Schnitt höher gebildet, in einer stabilen Partnerschaft lebten, sowie über einen höheren finanziellen Spielraum verfügten (Campbell et al. 2007).

Theoretisch betrachtet kommt dem Kind in dieser Entwicklungslinie, als Ausgangspunkt für elterliche Belastungsreaktionen, ein höherer Stellenwert zu. Der Fokus liegt dabei auf Wirkprozessen die intraindividuell auf Ebene der Eltern vor sich gehen und weniger im gesamten Familien- oder Paarsystem verankert liegen. Damit lässt sich hier eine individuumzentrierte Perspektive auf das Wohlbefinden der Eltern erkennen.

2.4.3 Bidirektionale Einflüsse zwischen Eltern und Kind

In den Ausführungen standen sich auf den ersten Blick zwei gegenläufige empirische Vorgehensweisen gegenüber, das Kind zu betrachten: entweder am Ende oder am Anfang von elterlichen Belastungsprozessen. Forscher und Forscherinnen müssen sich jedoch in vielen Fällen entscheiden, an welcher Stelle des Stressprozesses sie das Kind platzieren, um Zusammenhänge überhaupt analysieren zu können. Etwa aus forschungspraktischen Gründen, weil nur Querschnittsdaten zur Verfügung stehen und deshalb keine gegenseitige Beeinflussung zwischen Eltern und Kind über die Zeit betrachtet werden kann. Grundsätzlich unterliegt den Arbeiten meist jedoch die Annahme reziproker Beeinflussung kindlicher und elterlicher Merkmale, wie die zugrundeliegenden theoretischen Annahmen in aller Regel bestätigen. Auch Forschungsbefunde unterstützen die Annahme, dass sich kindliche Merkmale (Verhaltensdispositionen oder -schwierigkeiten, erhöhte Anforderungen) und elterliche Merkmale (elterliche Belastung, Depressivität, Erziehungsverhalten) grundsätzlich reziprok und somit gegenseitig (negativ) beeinflussen können (z. B. Creasey und Jarvis 1994; Mackler et al. 2015; Reitz et al. 2006; Philbrook und Teti 2016; Elgar et al. 2004; Meunier et al. 2010; Zaidman-Zait et al. 2012; Deater-Deckard 2004; Gross et al. 2009; Gross et al. 2008). Dieses Verständnis liegt der vorliegenden Arbeit ebenfalls zugrunde.

2.5 Unterschiede und Gemeinsamkeiten der theoretischen und empirischen Befunde zu Stress, Belastung und Wohlbefinden in der Familie und im Kontext von Elternschaft

Stress und Belastung im Kontext von Familie und Elternschaft haben eine facettenreiche Landschaft unterschiedlicher theoretischer Konzepte hervorgebracht. Die Familienstressperspektive legt ihren Stressmodellen ein hohes Abstraktionsniveau zugrunde. Das liefert eine umfassende Beschreibung des Stressprozesses, verzichtet aber auf eine zu enge inhaltliche Definition von Stressoren oder stressauslösenden Variablen. Die Konzepte im Rahmen von Elternstress sind hingegen spezifischer auf verhaltensbedingte Anforderungen des Kindes bezogen und rücken das Kind, als Ausgangspunkt für Einschränkungen elterlichen Wohlbefindens, in den Fokus.

Mit der zentralen Frage, welche Faktoren das Erziehungsverhalten und die elterliche Funktionsfähigkeit einschränken können, steht das Belastungs- und Stresserleben vorrangig im Kontext erziehungswissenschaftlicher und pädagogischer Reflexion. Kerngegenstand der Erziehungswissenschaft ist die Beschreibung von Erziehungsbedingungen, Erziehungsprozessen und der Erziehungswirklichkeit (siehe für eine Einführung z. B. Raithel et al. 2009; Vogel 2019; Seel und Hanke 2015; Gudjons 2008). Zu dieser zählen unumstößlich Eltern und Kinder sowie die Identifikation von Faktoren und Prozessen, die die Erziehungsfähigkeit der Eltern einschränken können. Dadurch werden die Erkenntnisse des Forschungsstrangs zu Elternstress anschlussfähig für die pädagogische Praxis. Für Praktiker und Praktikerinnen erhellen die Erkenntnisse, welche verschiedenen Konstellationen und Bedingungen, Einschränkungen in der elterlichen Funktionsfähigkeit und damit Risiken für die kindliche Entwicklung bedeuten können. Das ermöglicht die Unterfütterung pädagogischer Handlungspraxis mit wissenschaftlichen Erkenntnissen und sichert pädagogisches Handeln ab. Die Überlegungen zu Elternstress lassen sich vor diesem Hintergrund in einen allgemein-pädagogischen Diskurs betten.

Für die Familienentwicklungs- und -stressperspektive ist zu erkennen, dass sie systemtheoretisch und familientherapeutisch geprägt ist. Diese Erkenntnisse sind ebenfalls anschlussfähig für pädagogisches Denken und Handeln, jedoch liegt ihr Ursprung vorrangig in der Erhellung familientherapeutischer Prozesse. Insbesondere im integrativen Systemmodell der Familienentwicklung (Schneewind 1999; 2002) kommt dies durch das spezifische Verständnis von Familie als ganzheitliches System zum Ausdruck. Dort stehen die komplexen Adaptions- und Anpassungsprozesse aller Systemmitglieder in ihrer Bezüglichkeit zueinander, unter Stresseinwirkung, im Fokus. Die Ideen zum Elternstress gehen, im direkten Vergleich dazu, von der Einzelperson (z. B. der Mutter oder dem Vater) aus und beschreiben, welche Kontextbedingungen und Einflussfaktoren zu einem Belastungserleben auf Individualebene führen und letztlich die Kindebene beeinträchtigen. Die hier getroffenen Prozessannahmen sind damit nicht weniger komplex dafür aber linearer als die zirkulären Wechselwirkungsprozesse der Familienstresstheorien. Die Rahmenmodelle zeichnen sich letztlich durch Vielfältigkeit aus und ihnen liegen teilweise verschiedene, aber auch ähnliche Annahmen zugrunde. Davon ausgehend lassen sich die Ideen zu einem Netzwerk an zentralen Kernannahmen über Wirkprozesse verdichten, die das Wohlbefinden von Eltern beeinflussen oder einschränken können und dabei die Rolle des Kindes erhellen.

Entstehung von Einschränkungen elterlichen Wohlbefindens

Einschränkungen des elterlichen Wohlbefindens, als lang- oder kurzfristige Folge äußerer Anforderungen, sind etwas Relationales. Das bedeutet, Stressoren führen nicht automatisch zu einer psychischen Reaktion, sondern sind das Resultat einer spezifischen Person-Umwelt-Relation. Damit rückt einerseits die Funktion vermittelnder Prozesse, wie kognitiver Mediatoren, ins Blickfeld. Andererseits kommt dem näheren und weiteren Kontext ein hoher Stellenwert zu, denn die Lebensumstände und kontextuellen Rahmenbedingungen tragen ebenso dazu bei, wie Personen mit Anforderungen umgehen. Damit umfassen diese theoretischen Überlegungen eine ökosystemische Dimension, die vor allem Bronfenbrenner geprägt hat (Phyllis 2006; Ditton 2006). Die Modelle spiegeln ein Prozessverständnis wider, das Eltern und Kinder und so auch den Stressprozess an sich, in ein komplexes System von Beziehungen und Kontexten unterschiedlicher Ebenen und Entfernungen einbettet (Berk 2004; Bronfenbrenner 1981; Schneewind 2002). Individuen leben, handeln und interagieren nicht kontextfrei, sondern sind stets eingebunden in historische, organisatorische, individuelle, politische und sozial-strukturelle Bedingungen. Selbst wenn das Individuum dabei nicht aktiver Teilnehmer der erweiterten Kontexte ist, haben Veränderungen und Ereignisse in diesen Sphären einen Einfluss auf die Entwicklung des Einzelnen (Phyllis 2006). Demnach ist es z. B. wichtig, länderspezifische sozialpolitische Rahmenbedingungen von Familien, zumindest als Reflexionsfolie, mitzudenken, da sie elterliches Handeln, Wohlbefinden und Entscheidungskalküle mitformen. Beispielsweise haben sozialpolitische Maßnahmen, wie bezahlte Elternzeit, einen Einfluss darauf, wie lange Mütter oder Väter mit dem Kind zuhause bleiben und ab welchem Zeitpunkt die Zerreißprobe zwischen Beruf und Familie beginnt.

Gleichzeitig stellt der ökosystemische Ansatz den dynamischen und bidirektionalen Zusammenhang zwischen Person und Umwelt heraus, in dem menschliche Entwicklung stattfindet (Phyllis 2006). Das stimmt mit dem zentralen Kerngedanken des transaktionalen Verständnisses überein. Die Umwelt wirkt nicht unidirektional auf das Individuum ein und hinterlässt dort ihre Spuren, sondern Person und Umwelt wirken in einem fortwährenden Prozess gegenseitiger Anpassung aufeinander ein (Bronfenbrenner 1981). Kindliche Entwicklung, die Eltern-Kind-Beziehung, Belastungen und Befindlichkeiten von Eltern sind das Resultat einer dynamischen Bezüglichkeit zwischen Menschen und der sie umgebenden Umwelt (Rogoff 2003). Dabei rücken Kognitionen und vermittelnde individuelle Variablen unterschiedlicher Art in den Fokus des Wohlbefindens, denn es ist von Bedeutung, welche Einschätzungsprozesse mit der Belastungssituation verbunden sind. Etwa, ob Umstände, ein Verhalten oder eine Situation als belastend oder bewältigbar erlebt werden. Erst vor individuellen Bewertungen entscheidet sich, wie Menschen auf Anforderungen reagieren. Die Situationsdeutungen wiederum werden von diversen Hintergrundprozesse mitgesteuert (von bisherigen Belastungserfahrungen, der Lebenssituation, der individuellen Belastbarkeit).

Wechselwirkungsprozesse ausgelöst durch Phasen höherer Belastung

Während in den vorherigen Überlegungen der Zusammenhang zwischen äußeren Anforderungen und der Entstehung von Einschränkungen des Wohlbefindens, zumeist unter einer individuumzentrierten Perspektive, im Vordergrund stand, fokussieren die theoretischen Überlegungen und empirischen Befunde zu Familien- und Paarstress vor allem auf die Frage, welche Prozesse unter Belastungseinwirkung auf unterschiedlichen Systemebenen freigesetzt werden. Die deutschsprachige Forschung knüpft an dieses Verständnis an, und stellt heraus, dass sich Stress nicht immer nur auf die gesamte Familie beziehen muss, sondern durchaus (zunächst) einzelne Teilsysteme betreffen kann. Das heißt, die Familie als Einheit lässt sich in einzelne Betrachtungsebenen zerlegen. Diese Auffassung steht im Zeichen einer familiendiagnostischen Sichtweise, die die Analyseeinheit Familie in drei verschiedene Systemebenen differenziert. In die Betrachtungsebene der Individuen, also der Einzelpersonen, in Dyaden und die gesamte Familie (Cierpka 2008). Davon ausgehend rückte die Paarbeziehung unter Stress ins Visier der Forschung und die Folgen äußerer Stresseinwirkung auf das gesamte Familiensystem.