Zusammenfassung
Der Beitrag leistet eine theoretische Auseinandersetzung mit der Journalismus/Publikum-Beziehung in Form einer Mischung aus Revisiting und Revision der systemtheoretischen Journalismusforschung. Zu diesem Zweck wird die Einheit der Differenz Journalismus | Publikum als soziale Beziehung beschrieben und entlang der Ebenentrias Interaktion, Organisation, Gesellschaft beleuchtet. Dieses Vorgehen führt schließlich zu dem Vorschlag, mit Blick auf das Verhältnis zwischen Journalismus und s/einem Publikum zwischen Relation und Beziehung zu unterscheiden. Dabei steht Journalismus | Publikum für eine funktionale Relation, d. h. Journalismus als Funktionssystem der Gesellschaft bzw. Leistungssystem von Öffentlichkeit steht in einer systeminhärenten Relation zu s/einem Publikum. Unterhalb dieser Systemebene und Relation lassen sich empirisch verschiedene Beziehungen ausmachen, die sich auf der Ebene von Organisationen und Interaktionen bzw. individuellen Journalist:innen beobachten lassen und ganz unterschiedliche Formen annehmen können.
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Notes
- 1.
Diese Schreibweise übernehme ich von Armin Scholl, dessen wegweisender Aufsatz zum Thema mit folgendem Satz beginnt: „Der Journalismus hat s/ein Publikum und er benötigt s/ein Publikum, dem er seine Publikationsleistungen als Kommunikationsangebote zur Verfügung stellt – darin sind sich alle Journalismustheorien einig“ (Scholl 2004, S. 517).
- 2.
Ich entnehme diese Formulierung von Ulrich Beck und einem anderen Kontext: er sprach in Bezug auf Frauenemanzipation und Familienarbeit von einer „verbalen Aufgeschlossenheit bei weitgehender Verhaltensstarre der Männer“ (Beck 1986, S. 169, kursiv im Original).
- 3.
Nicola Döring (2009) behandelt in ihrem Beitrag allerdings „persönliche Beziehungen“ und fasst als mediatisierte Beziehungen: Parasoziale Beziehungen zu Medienfiguren, Online-Beziehungen zwischen Internet-Nutzenden und mediatisierte Beziehungen in Offline-Beziehungen.
- 4.
Überraschenderweise, so beschreibt es Johannes F. K. Schmidt (2014, S. 4/5) in seinen editorischen Anmerkungen zu Niklas Luhmanns unveröffentlichtem Manuskript „Ebenen der Systembildung – Ebenendifferenzierung“, kommt Luhmann vor dem Hintergrund der Betonung der notwendigen Ausarbeitung der Abhängigkeitsverhältnisse der Systemebenen zu der Feststellung, dass es „trotz dieses Zusammenhangs aller Ebenen der Systembildung zweckmäßig [sein wird], die Gesellschaftstheorie im engeren Sinne auf diejenigen Teilsysteme zu beschränken, die gesamtgesellschaftliche Funktionen erfüllen. […] Daneben müsste dann eine Theorie organisierter Sozialsysteme und eine Theorie der Interaktionssysteme ausgearbeitet werden; denn es gibt allgemeine Eigenarten von Organisationen oder von Interaktionen, die sich nicht aus dem gesellschaftlichen Funktionskomplex ergeben, sondern aus dem besonderen Systembildungsprinzip. Schließlich sind auch Forschungen möglich, die an konkret abgegrenzten Gegenständen Gesellschaftstheorie, Organisationstheorie und Interaktionstheorie aufeinander beziehen“ (Luhmann 2014, S. 39).
- 5.
Ich habe diesen Aufsatz erst 2020 „zufällig“ entdeckt, und er war der Auslöser dafür, dass ich den vorliegenden Aufsatz schließlich geschrieben habe, während ich die Idee, die Beziehung Journalismus | Publikum mithilfe der Ebenentrias Interaktion, Organisation, Gesellschaft zu bearbeiten, schon sehr viel länger gedanklich bearbeitet habe.
- 6.
Dies gilt selbstverständlich nicht generell, sondern an dieser Stelle (zunächst) mit Blick auf die Beziehung Journalismus | Publikum. So würde niemand die Bedeutung von Interaktionen für Journalismus und Prozesse journalistischer Aussagenentstehung bezweifeln: etwa in Form von Gesprächen unter Kolleg:innen, Redaktionskonferenzen, Treffen mit Quellen u. a. m.
- 7.
Siehe hierzu etwa die Initiative des „Membership Puzzle Project“: https://membershippuzzle.org/.
- 8.
Ob sich Journalismus unter den Bedingungen des Medien- und Öffentlichkeitswandels noch hinreichend als System abgrenzen lässt, ist eine äußerst virulent diskutierte Frage (Neuberger 2018), die hier nicht entfaltet werden kann – und auch nicht vollumfänglich behandelt werden muss. Vielmehr baut der ganze Beitrag auf der Prämisse auf, dass Journalismus bis auf Weiteres als Funktionssystem identifiziert werden kann (Loosen 2016a; Pörksen und Scholl 2011). Dabei ist die Frage nach den Grenzen/der Entgrenzung des Journalismus alles andere als rein akademisch-theoretisch relevant. So lassen sich empirisch vielfältige Debatten über die Erkennbarkeit von Journalismus und die Abgrenzbarkeit von journalistischen Kommunikationsofferten von anderen Formen von (öffentlicher) Kommunikation beobachten. Aktuell sind sie z. B. stark geprägt von Anstrengungen zur Identifikation von sogenannten „Fake News“ bzw. Desinformation, die immer auch eine Referenz auf die journalistische Nachricht (im breiten Sinn verstanden als journalistische Kommunikationsofferte und nicht im engeren als Darstellungsform) mitführen – und zwar genau mit dem Ziel, einen Unterschied zwischen beiden Kommunikationsphänomenen zu markieren (Zimmermann und Kohring 2018; Scholl und Völker 2019).
- 9.
Siehe für eine nähere Projektbeschreibung: https://leibniz-hbi.de/de/projekte/journalismus-und-sein-publikum-die-re-figuration-einer-beziehung-und-ihre-folgen-fuer-journalistische-aussagenentstehung.
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Loosen, W. (2023). Die (Transformation der) Beziehung Journalismus | Publikum systemtheoretisch revis(it)ed. In: Muhle, F., Sutter, T., Wehner, J. (eds) Das sichtbare Publikum?. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-41172-5_2
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