Die vorgestellte Untersuchung ist in ihrer Art und ihrem Umfang bisher einmalig (siehe Abschnitt 3.2 Forschungsstand und Forschungsbedarf) und hat das übergeordnete Ziel, die Teilhabe und Stigmatisierung – als Barriere der Teilhabe – von Menschen in Wohnungsnot zu eruieren. Zugleich wird ein neuer theoretischer Bezugsrahmen zur umfassenden Betrachtung von Wohnungsnot und den damit einhergehenden Lebenslagen vorgestellt. Ausgehend von dieser intersektionalen Perspektive und dem theoretischen Vorwissen werden die beiden Kategorien Geschlecht und Gesundheit als bedeutende Ungleichheitslagen im Kontext von Wohnungsnot identifiziert und analysiert.

Der begründete Fokus (siehe Kapitel 6 Methodische Schlussfolgerungen aus der Theorie) der aus vier verschiedenen Studien bestehenden Multi-Methoden-Untersuchung liegt auf der Strukturebene und demnach auf der Analyse gesellschaftlicher Sozialstrukturen sowie Organisationen und Institutionen. Demzufolge stehen zwei der vier von Pryor und Reeder (2011, S. 791) entwickelten Manifestationen von Stigmatisierung, die Öffentliche Stigmatisierung und die Strukturelle Stigmatisierung, im Zentrum des Interesses. Daraus resultieren wiederum die zwei realisierten Zugänge (siehe Kapitel 7 Zugang 1: Öffentliche Stigmatisierung und Kapitel 8 Zugang 2: Strukturelle Stigmatisierung).

Der komplexe und zugleich die Komplexität von Wohnungsnot reduzierende theoretische Überbau mit seiner engen Verknüpfung von Intersektionalität und Stigmatisierung erweist sich insgesamt als richtungsweisend und kommt der Forderung nach einem theoretischen Rahmen für Wohnungsnot nach (Gillich & Nieslony, 2000, S. 143; Paegelow, 2012, S. 35). Wohnungsnot entsteht demnach im dynamischen Zusammenspiel struktureller und gesellschaftlicher Gegebenheiten – wie Armut, Flucht oder Vertreibung aus dem ursprünglichen Lebens- respektive Wohnraum und einer kapitalistischen Akkumulationslogik – und individuellen Ursachen, Lebenslagen und Bedarfen. Maßgeblich für diesen Prozess sind die vier Kategorien Armut, Herkunft, Geschlecht und Gesundheit. Stigmatisierungsprozesse als Resultat einer Abweichung von meritokratischen Normen führen zu Abwertungsprozessen, welche Ausgangspunkt von Wohnungsnot sein können und die Lebenslagen von Menschen in Wohnungsnot verschlechtern (siehe Abschnitt 2.5 Intersektionalität als Ordnungsrahmen und Abschnitt 3.5.1 Verständnis von Wohnungsnot).

Sowohl die enge Verknüpfung von Intersektionalität und Stigmatisierung als auch die besondere Bedeutung der Kategorien und deren intersektionales Zusammenwirken können für den Kontext Wohnungsnot bestätigt werden. Die Differenzierung der Manifestationen von Stigmatisierung und deren Zuordnung auf die unterschiedlichen Ebenen ist ebenso notwendig wie die Betrachtung der einzelnen Kategorien und deren Zusammenwirken, um die Stigmatisierung von Wohnungsnot und die damit einhergehenden Lebenslagen ausführlich zu erfassen.

Die durchgeführten Studien identifizieren abhängig von den unterschiedlichen Manifestationen und Kategorien Unterschiede in der Stigmatisierung von Wohnungsnot. So kann beispielsweise eine stärkere Öffentliche Stigmatisierung gegenüber Frauen und eine stärkere Strukturelle Stigmatisierung gegenüber Männern beobachtet werden. Ferner können für die jeweiligen Manifestationen Unterschiede in der Stigmatisierung der Kategorien beobachtet werden. Menschen in Wohnungsnot mit psychischen Auffälligkeiten werden weniger stark öffentlich stigmatisiert als Menschen ohne psychische Auffälligkeiten. Der Konsum von Drogen-/Suchtmitteln führt hingegen dazu, dass Menschen in Wohnungsnot stärker stigmatisiert werden. Zugleich muss das intersektionale Zusammenwirken der Kategorien berücksichtigt werden. Zum Beispiel gilt für die Strukturelle Stigmatisierung von Wohnungsnot, dass Männer mit psychischen Auffälligkeiten stärker stigmatisiert werden als Frauen mit psychischen Auffälligkeiten.

Die zentralen Ergebnisse aller vier Studien werden folgend in Kürze dargestellt, diskutiert und im Theoriekontext verortet. Anschließend erfolgt die kritische Beleuchtung der methodischen Herangehensweise (Abschnitt 9.1 Diskussion der Methode) und der Verweis auf die Limitationen der vorliegenden Arbeit (Abschnitt 9.2 Limitationen). Abschließend werden der Erkenntnisfortschritt, notwendige weiterführende Forschungen sowie der Ausblick dargestellt (Abschnitt 9.3 Fazit, Implikationen und Ausblick).

9.1 Stigmatisierung von Wohnungsnot

Im Fokus der vorliegenden Arbeit stehen insbesondere durch die Kategorien Geschlecht und Gesundheit beeinflusste Unterschiede in der Stigmatisierung von Wohnungsnot. Dennoch können auch Aussagen über die generelle Stigmatisierung von Wohnungsnot getroffen werden, die zu Beginn dargestellt werden. Die Persistenz der Stigmatisierung von Wohnungsnot kann über die vier Studien hinweg bestätigt werden. Für alle vier Manifestationen der Stigmatisierung von Wohnungsnot können Belege identifiziert werden. Deutlich wird, dass Stigmatisierungen und Ausgrenzungen ein inhärenter Bestandteile von Wohnungsnot sind. Diese entsprechen dabei den aus der Theorie bekannten (Gerull, 2018b) Abwertungen und Zuschreibungen: Der Individualisierung der Problemlagen, der Zuschreibung einer selbstverschuldeten Wohnungsnot und dem vermeintlichen Nicht-Erfüllen meritokratischer Leistungsnormen (siehe auch Abschnitt 3.8.2 Die Bedeutung von Stigmatisierung für Menschen in Wohnungsnot).

Für die vorliegende Untersuchung beachtenswert ist die enge Verbindung zwischen der Stigmatisierung von Wohnungsnot und typisch männlichen Merkmalen. Kennzeichnend dafür ist die Einteilung in männliche Täter und weibliche Opfer. Dieser Prozess kann allerdings nur für die Strukturelle Stigmatisierung von Wohnungsnot beobachtet werden. Für die Öffentliche Stigmatisierung von Wohnungsnot, die, wie bereits erwähnt, Frauen in Wohnungsnot stärker betrifft, wurden andere Prozesse identifiziert, die im weiteren Verlauf des Kapitels dargestellt werden. Betrachtet man die klassischen männlichen Gendermerkmale wie sie Goldschmidt et al. (2014) beschreiben – aktiv, unabhängig, (willens-)stark, selbstsicher, überlegen – entsteht ein Verständnis für mögliche Konfliktlinien im strukturellen Hilfekontext von Wohnungsnot. Obwohl Männer in Wohnungsnot ebenso wie Frauen in Wohnungsnot, die gesellschaftliche Geschlechtsrollenerwartungen nicht erfüllen können (siehe Abschnitt 4.2.2 Sex und Gender im Kontext von Wohnungsnot), orientieren sich Männer an einer Hegemonialen Männlichkeit (Fichtner, 2005, S. 174), welche die typischen Gendermerkmale betont. So scheitern Männer im Hilfesystem sowohl an den typischen Gendermerkmalen als auch zugleich daran, dass diese für sie eine besondere Bedeutung einnehmen und demnach besonders betont werden müssen. Im Hilfesystem, in welchem zumeist weibliche Sozialarbeiterinnen arbeiten, sind, so kann vermutet werden, Konflikte mit Männern in Wohnungsnot, die versuchen, aktiv, unabhängig, (willens-)stark, selbstsicher und überlegen zu sein, vorprogrammiert. Diese Konflikte können wiederum zu einer Abwertung und Stigmatisierung von männlicher Wohnungsnot führen.

Als eine weitere Erklärung kann die kapitalistische Akkumulationslogik herangezogen werden, die als Klammer der intersektionalen Mehrebenenanalyse dient (Degele & Winker, 2011, 25;51) und somit ebenfalls ein zentrales Element für die Stigmatisierung von Wohnungsnot darstellt (siehe Abschnitt 2.3 Intersektionalität als theoretischer Bezugsrahmen der Arbeit sowie Abschnitt 2.5 Intersektionalität als Ordnungsrahmen für Wohnungsnot). Arbeit hat für Männer in der Selbstbeurteilung und in der Fremdbeurteilung einen immensen Stellenwert, wird doch insbesondere Männern die Rolle als Ernährer und Versorger zugeschrieben. Das Abweichen von dieser Norm, die Arbeitslosigkeit, nimmt für Männer selber einen großen Stellenwert ein (Fichtner, 2005, S. 171). Zugleich ist Arbeitslosigkeit eine Abweichung von Goffmans Bestimmung einer Norm (1972, S. 158).

Eine weitere relevante Variable für den Prozess der Strukturellen Stigmatisierung ist das beobachtete und antizipierte Verhalten der Menschen in Wohnungsnot, welches zugleich eng mit Auswirkungen der Geschlechtsrollenidentitäten verknüpft ist. Abwertungen und Stigmatisierungen von Menschen in Wohnungsnot werden erklärt über das überwiegend antizipierte Verhalten von Menschen in Wohnungsnot. Dieser Befund beinhaltet kontroverse Implikationen in Bezug auf die Ursache der Stigmatisierung, welche einer kritischen Betrachtung bedürfen (siehe das Unterkapitel Kritischer Diskurs des Abschnitts 8.5 Diskussion). In Konsequenz kann dieser Befund im Vorwurf münden, Menschen in Wohnungsnot einen eigenen Anteil an der Stigmatisierung von Wohnungsnot zuzuschreiben. Individualisierung und Schuldzuschreibung sind inhärenter Bestandteil von Wohnungsnot. Eine Schuldzuschreibung an der eigenen Stigmatisierung potenziert eben diese Stigmatisierung. Der vermeintlich einfachen Kausalität von Verhalten und Stigmatisierung sowie der Annahme, dass Stigmatisierung aufgrund von Verhalten entsteht, muss entschieden widersprochen werden. Zwei theoretische Annahmen, der Labeling-Approach-Ansatz (siehe Rüsch, 2010, S. 288–290 oder auch Goffman, 1972; Link et al., 1987) und der Doing Gender-Ansatz (Gildemeister, 2010, S. 137–138; Küppers, 2012, S. 7–8), erklären schlüssig, dass Verhalten auch eine Reaktion auf (negative) Stereotype der Öffentlichkeit und deren Aneignung ist. Vor dem Hintergrund des zugrundeliegenden Verständnisses von Wohnungsnot (siehe Abschnitt 3.5.1 Verständnis von Wohnungsnot) als komplexes und dynamisches Zusammenspiel von Individuum und Gesellschaft ist ein Einfluss des Verhaltens auf die Stigmatisierung plausibel. Einer Monokausalität muss jedoch, auch aufgrund der unbeachteten Auswirkungen der verschiedenen Kategorien, widersprochen werden.

Kontakterfahrungen sind ein weiteres und bekanntes zentrales Element von Stigmatisierungsprozessen (P. W. Corrigan & Fong, 2014, S. 112; Röhm et al., 2018, S. 6). Festingers (1954) ‚social comparison theory‘, Tajfel und Turners (1986) ‚social identity theory‘ sowie die Einteilung in in-groups und out-groups sind zentrale Elemente der Identitätstheorie nach George H. Mead und Charles H. Cooley (Engelhardt, 2010, S. 124), die wiederum die Grundlage für Goffmans Verständnis der Entstehung von Identität sind (1972, S. 132–133). Identität sowie Abwertungen und Stigmatisierungen entstehen im Kontakt mit anderen.

Die Bedeutung von Kontakt wird durch die Ergebnisse der durchgeführten Studien bestätigt. Die Auswirkungen von Kontakt auf die Öffentliche Stigmatisierung und die Strukturelle Stigmatisierung unterscheiden sich dabei jedoch elementar. Während Kontakterfahrungen einen Abbau Öffentlicher Stigmatisierung hervorrufen, kann im strukturellen Kontext des Hilfesystems bei direktem Kontakt eine größere Strukturelle Stigmatisierung beobachtet werden. Diese augenscheinliche Diskrepanz kann allerdings mit der von Allport postulierten Kontakthypothese (1954) erklärt werden. Allport nennt vier notwendige Bedingungen, um der Stigmatisierung von marginalisierten Gruppen entgegenzuwirken und Vorurteile abzubauen (1954, S. 281). Im institutionellen Hilfekontext ist es denkbar, dass alle vier Bedingungen – Statusgleichheit, gemeinsame Ziele, institutionelle Unterstützung und Kooperationsbereitschaft (Röhm, 2017, S. 45) – nicht erfüllt werden. Diese Ergebnisse sind aus der Forschung zur Stigmatisierung von Menschen mit psychischen Auffälligkeiten bekannt. Auch wenn die Effekte nicht eindeutig sind (Björkman et al., 2008, S. 171), kann die Stigmatisierung von psychischen Auffälligkeiten durch medizinisches Personal beobachtet werden (P. W. Corrigan, 2000, S. 48–49; Harangozo et al., 2014, S. 360; Larkings & Brown, 2018, S. 929; Lebowitz & Ahn, 2016, S. 176; Schulze & Angermeyer, 2003). Der positive Effekt des Kontakts verweist bei gleichzeitiger Berücksichtigung des geringen Kontakts der Allgemeinbevölkerung (Frank-Landkammer, 2008, S. 12) auf die Relevanz medial vermittelten Kontakts zur Destigmatisierung von Menschen in Wohnungsnot. Zugleich eröffnet der negative Effekt des Kontakts im Zusammenhang mit der Strukturellen Stigmatisierung die Möglichkeit für Interventionen zur Destigmatisierung im Hilfesystem, beispielsweise die Hervorhebung konkreter gemeinsamer Ziele.

Die Studie zur Öffentlichen Stigmatisierung bestärkt ferner die Bedeutung der Einteilung in in-groups und out-groups und demnach die Relevanz der ‚social identity theory‘ von Tajfel und Turners (1986). Die Ergebnisse verweisen zugleich auf die Komplexität dieser Einteilung und Zuordnung in verschiedene Gruppen. Bei Vorliegen eines ähnlichen Merkmals – in der Studie der eigene Haustierbesitz – kommt es sowohl zu Abwertungen und in derer Konsequenz zu einem negativen intendierten Verhalten als auch zu einer positiveren Einstellung gegenüber der marginalisierten Gruppe. Ferner können diese Effekte nur für jeweils unterschiedliche Interaktionseffekte beobachtet werden, was die Komplexität der Wirkmechanismen nochmals erhöht.

Der hoch komplexe Prozess der Stigmatisierung von Wohnungsnot wird durch die identifizierte mediierende Wirkung von Emotionen schließlich noch diffiziler. So kann für die Öffentliche Stigmatisierung beispielsweise ein mediierender Effekt der Emotion Angst festgestellt werden. Dieser kann jedoch sowohl zu einem negativen intendierten Verhalten als auch zu einer größeren Unterstützungsbereitschaft führen (siehe für Details Abschnitt 7.4 Diskussion).

Die Konsequenzen von Wohnungsnot sind erheblich und beinhalten unter anderem Exklusion und Nicht-Teilhabe sowie die Stigmatisierung von Wohnungsnot (siehe Abschnitt 3.4 Konsequenzen von Wohnungsnot). Die Exklusion und Nicht-Teilhabe von Menschen in Wohnungsnot ist wiederum eine direkte Konsequenz der Stigmatisierung von Wohnungsnot (siehe Abschnitt 3.4.2 Stigmatisierung und Marginalisierung sowie Abschnitt 3.8.2 Die Bedeutung von Stigmatisierung für Menschen in Wohnungsnot). Das untersuchte qualifizierte Hilfesystem für Menschen in Wohnungsnot ist entscheidend für deren Teilhabesituation (R. Lutz & Simon, 2017, S. 97). Es hat das Ziel, die Teilhabe am Leben der Gemeinschaft zu ermöglichen, zu erhalten oder zu verbessern (Lutz & Simon, 2017, S. 92–94). Die identifizierte Strukturelle Stigmatisierung im Kontext von Wohnungsnot ist demnach in besonderem Maße bedeutsam. Die konkrete Auswirkung dieser Stigmatisierung resultiert in der beobachteten Verschlechterung der Lebenssituation während der Hilfeleistung für Männer in Wohnungsnot im Vergleich zu Frauen in Wohnungsnot. Während für Frauen die fehlende Bedarfsdeckung (siehe Abschnitt 4.2 Geschlecht und Wohnungsnot) zu einem Risiko für deren Teilhabesituation wird, ist für Männer die Teilhabesituation durch die Strukturelle Stigmatisierung im qualifizierten Hilfesystem gefährdet.

9.2 Kategorien Geschlecht und Gesundheit

Der intersektionale Überbau sowie die Untersuchungsanlage der vorliegenden Arbeit fokussieren durch die Kategorien Geschlecht und Gesundheit determinierte Unterschiede. Die Frage, ob Männer oder Frauen in Wohnungsnot mehr stigmatisiert werden (siehe das Abschnitt 3.8.2 Die Bedeutung von Stigmatisierung für Menschen in Wohnungsnot und das Unterkapitel Fazit), kann durch die vorliegende Untersuchung nicht beantwortet werden. Bestätigt wird jedoch die aus der Theorie abgeleitete Feststellung, dass beide Geschlechter aufgrund von Normabweichungen von einer Stigmatisierung bedroht sind. Die Studien liefern den erstmaligen Beweis, dass Frauen in Wohnungsnot eher von einer Öffentliche Stigmatisierung, Männer in Wohnungsnot hingegen eher von einer Strukturellen Stigmatisierung betroffen sind. Eine Erklärung der stärkeren Öffentlichen Stigmatisierung weiblicher Wohnungsnot stellt die deutlichere Normabweichung eben dieser weiblichen Wohnungsnot dar. Auch wenn sich die Verteilung des Geschlechts immer weiter annähert (Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e. V., 2015, 2017, 2020), ist Wohnungsnot weiterhin ein zumeist männliches Phänomen (Dubrow, 2009, S. 54; Rosenke, 2017a, S. 306; siehe auch Abschnitt 4.2 Geschlecht und Wohnungsnot). Weibliche Wohnungsnot ist demnach die Normabweichung der Normabweichung Wohnungsnot und begünstigt demnach Öffentliche Stigmatisierung.

Als Erklärung für die stärkere Strukturelle Stigmatisierung männlicher Wohnungsnot können sowohl Prozesse im Kontext von Geschlecht und Geschlechtsrollenidentität als auch die besondere Bedeutung von Kontakt für Stigmatisierungsprozesse angeführt werden. Die Strukturelle Stigmatisierung von männlicher Wohnungsnot ist, wie bereits dargestellt (siehe oben sowie der Abschnitt 8.4.4 Zusammenfassung und Interpretation, der Abschnitt 8.5 Diskussion und dessen Unterkapitel Kritischer Diskurs), eng verknüpft mit den typisch männlichen Gendermerkmalen und der Einteilung in männliche Täter und weibliche Opfer. Der Umstand, dass Männer (in Wohnungsnot) Schwierigkeiten haben, Hilfe aufzusuchen und anzunehmen (Remes et al., 2017, e1; Sieverding, 2010, S. 196; siehe Abschnitt 5.5 Zusammenwirken von Gesundheit und Geschlecht), wird darüber hinaus ebenfalls in Stigmatisierungen des Hilfesystems einfließen. Ferner wird im Zusammenhang mit der Aneignung und Orientierung am Prinzip der Hegemonialen Männlichkeit durch Männer in Wohnungsnot (Fichtner, 2005, S. 174; Ratzka, 2012, S. 1231) und dem Zustand, dass primär weibliche Sozialarbeiterinnen im Hilfesystem der Wohnungslosenhilfe arbeiten (Fichtner, 2005, S. 174), deutlich, dass bei Inkongruenz zum Geschlecht der Bezugsperson Beziehungsfriktionen, Abwertungen und schließlich Stigmatisierung auftreten können.

Schließlich kann ein negativer Effekt des vorhandenen Kontakts des Hilfesystems zu Männern in Wohnungsnot, der nach wie vor dominanten Gruppe innerhalb der Wohnungslosenhilfe (siehe Abschnitt 4.2 Geschlecht und Wohnungsnot), für den Prozess der Strukturellen Stigmatisierung angenommen werden.

Die gravierende Stigmatisierung von psychischen Krankheiten ist hinlänglich bekannt (P. W. Corrigan, 2000; Link & Phelan, 2001; Phelan et al., 1997, S. 326; Schomerus et al., 2014, S. 293–294). Menschen in Wohnungsnot sind als Folge, aber auch als Ursache von Wohnungsnot (siehe Abschnitt 5.2.1 Psychische Krankheiten als Ursache oder Folge von Wohnungsnot?) in besonderem Maße von psychischen Auffälligkeiten betroffen (siehe Dittmann & Drilling, 2018, S. 288; Ratzka, 2012, S. 1236 oder der Abschnitt 5.2 Die Bedeutung psychischer Auffälligkeiten und Krankheiten). Die sehr hohe Prävalenzrate, die von Bäuml, Baur, Brönner et al. (2017, S. 130) identifiziert wurde, kann die vorliegende Dokumentenanalyse indes nicht bestätigen. Trotz der aufgeführten Limitationen dieser Untersuchung (siehe Abschnitt 8.5 Diskussion) wird die Kritik an der Studie von Bäuml, Baur, Brönner et al. (Busch-Geertsema, 2018a; Kunstmann, 2017) bestätigt. Allerdings zeigen auch in der vorliegenden Dokumentenanalyse 71 % der Stichprobe eine psychische Auffälligkeit oder einen problematischen Drogen-/Suchtmittelkonsum. Über die Konsequenzen psychischer Auffälligkeiten hinaus können für beide Aspekte – die psychische Auffälligkeit sowie den problematischen Drogen-/Suchtmittelkonsum – Stigmatisierungen beobachtet werden. Die Kategorie Gesundheit bedarf dabei einer Unterscheidung in die genannten Aspekte, da je nach Manifestation von Stigmatisierung unterschiedliche Stigmatisierungsprozesse beobachtet werden können.

Menschen in Wohnungsnot mit einer psychischen Auffälligkeit/Krankheit sind signifikant weniger von Öffentlicher Stigmatisierung betroffen als Menschen in Wohnungsnot ohne psychische Auffälligkeit/Krankheit. Demgegenüber steht eine stärkere Strukturelle Stigmatisierung von Menschen mit psychischen Auffälligkeiten/Krankheiten, die jedoch nicht auf das Hilfesystem übertragen werden kann und nur auf andere Institutionen zutrifft. Allerdings kann im Hilfesystem eine Strukturelle Stigmatisierung gegenüber männlichen Personen im Vergleich zu weiblichen Personen in Wohnungsnot mit psychischen Auffälligkeiten/Krankheiten identifiziert werden. Zeigen Menschen in Wohnungsnot indes einen problematischen Alkoholkonsum, kann sowohl eine größere Öffentliche Stigmatisierung als auch Strukturelle Stigmatisierung beobachtet werden. Die Ergebnisse unterstreichen dabei jeweils die Bedeutung der Intersektionalität und das Zusammenspiel von Intersektionalität mit Stigmatisierungen (siehe auch das Unterkapitel Stigmatisierung und Intersektionalität des Abschnitts 3.8.1 Stigmatisierung). Können für die Öffentliche Stigmatisierung psychischer Auffälligkeiten sowie problematischen Drogen-/Suchtmittelkonsums nur Interaktionseffekte identifiziert werden, ist die Strukturelle Stigmatisierung von einem engen Zusammenhang mit der Kategorie Geschlecht gekennzeichnet, der sich vor allem auf das Zusammenwirken der beiden Kategorien bezieht (siehe Abschnitt 5.5 Zusammenwirken von Gesundheit und Geschlecht).

Insbesondere die geringere Öffentliche Stigmatisierung von Menschen in Wohnungsnot mit psychischen Auffälligkeiten überrascht und widerspricht den gut gesicherten Erkenntnissen einer hohen Stigmatisierung psychischer Auffälligkeiten (P. W. Corrigan, 2000, S. 48–49; Phelan et al., 1997, S. 326; Schomerus et al., 2014, S. 293–294). Der beobachtete und konsistente Effekt der Stigmatisierung von Drogen-/Suchtmittelkonsum und dabei besonders von problematischem Alkoholkonsum deckt sich hingegen mit den Erkenntnissen der Literatur (Schomerus et al., 2013, 2014). Weiners Attributionstheorie (1995) erklärt dabei schlüssig, dass Menschen in Wohnungsnot mit einem Drogen-/Suchtmittelkonsum für ihre Lebenssituation verantwortlich gemacht werden. Diese Verantwortungszuschreibung ist wiederum ein zentraler Baustein der Stigmatisierungsprozesse von Wohnungsnot (P. W. Corrigan, 2000, S. 51–52; Phelan et al., 1997, S. 335; Teidelbaum, 2020, S. 38). Zugleich kann Weiners Attributionstheorie, so die Annahme, zur Erklärung der geringeren Öffentlichen Stigmatisierung psychischer Auffälligkeiten von Menschen in Wohnungsnot herangezogen werden. Diesen würde zugeschrieben, aktuell nicht mehr selbstverantwortlich für ihre Lebenssituation zu sein, was demzufolge zu einer geringeren Stigmatisierung führen würde.

Die Strukturelle Stigmatisierung von psychischen Auffälligkeiten sowie von Drogen-/Suchtmittelkonsum im Hilfesystem ist eng verknüpft mit der Kategorie Geschlecht sowie den Auswirkungen und Zuschreibungen der jeweiligen Geschlechtsrollenidentität. Ist die Strukturelle Stigmatisierung von Drogen-/Suchtmittelkonsum trotz der deutlichen Prävalenz eines männlichen Konsums auch für beide Geschlechter identifizierbar, so betrifft die Strukturelle Stigmatisierung psychischer Auffälligkeiten vor allem Männer in Wohnungsnot. Männern mit psychischen Auffälligkeiten wird entgegen der angenommenen Zuschreibung nicht für ihre Lebenssituation verantwortlich zu sein, die Rolle als aktiver und selbstverantwortlicher Täter zugeschrieben, was wiederum zu einer Abwertung und Stigmatisierung führt. Die mögliche Erklärung für diesen Effekt muss vor dem Hintergrund des Zusammenwirkens der Kategorien Geschlecht und Gesundheit sowie der Komplexität individueller Geschlechtsrollenerwartungen und -gestaltungen betrachtet werden. Eine erste Annahme besteht im geschlechtsspezifischen Gesundheitsverhalten und insbesondere in der Behandlungsmotivation und der Inanspruchnahme von Hilfen (Sieverding, 2010, S. 196). Im Hilfekontext könnten Männer in Wohnungsnot mit einer psychischen Auffälligkeit/Krankheit die helfenden Sozialarbeiter:innen aufgrund der geringeren Behandlungsmotivation und der verminderten Inanspruchnahme von Hilfen vor größere Herausforderungen stellen. Eine zweite Annahme ist die Robustheit der Bedeutungszuschreibung der männlichen Geschlechterrolle als aktiver und selbstverantwortlicher Täter, die sowohl auf Seiten der Sozialarbeiter:innen als auch auf Seiten der Betreuten überdauert.

Die Abwertung des Drogen-/Suchtmittelkonsums bestätigt die Konsistenz des Effekts, überrascht jedoch zugleich, da die Interviewpartner:innen der Interviewstudie davon berichten, das Schnittstellenproblem zwischen Eingliederungshilfe, Wohnungslosenhilfe und Suchthilfe (siehe Abschnitt 5.4 Das Schnittstellenproblem) gut versorgen zu können. Die identifizierte Stigmatisierung widerspricht dieser Aussage.

Abschließend bedarf es einer kritischen Einordnung der Strukturellen Stigmatisierung des Hilfesystems für Menschen in Wohnungsnot. Insgesamt kann keine direkte und offensichtliche Abwertung und Stigmatisierung identifiziert werden. Im Gegenteil, die Akteur:innen des Hilfesystems zeichnen sich durch eine offene und wohlwollende Haltung gegenüber Menschen in Wohnungsnot aus (siehe Abschnitt 8.3.5 Zusammenfassung und Interpretation und Abschnitt 8.5 Diskussion). Nichtsdestotrotz muss dabei beachtet werden, dass die Identifizierung direkter und offensichtlicher Stigmatisierung in offiziellen Sozialdaten sowie in einer dyadischen Interviewsituation auch aufgrund sozial erwünschten Antwortverhaltens deutlich verzerrt sein können (Döring & Bortz, 2016, S. 437–440; Häder & Kühne, 2009). Darüber hinaus können, wie bereits ausführlich dargestellt, deutliche Unterschiede entlang der Kategorien identifiziert werden. Die Konzeptionierung der Untersuchung des Hilfesystems als Mehrphasen-Mixed-Methods-Design liefert valide Ergebnisse bezüglich der Strukturellen Stigmatisierung des Hilfesystems. Dabei entspricht die Bewertung des Hilfesystems den typischen Stigmatisierungen von Wohnungsnot: Die Individualisierung sowie Schuldzuschreibung und dem Nicht-Erfüllen meritokratischer Leistungsnormen.

Äußerst beachtenswert ist darüber hinaus die Tatsache, dass eine Vielzahl der interviewten Personen des Hilfesystems die Thematisierung von Geschlecht und Gender generell ablehnen (siehe das Unterkapitel Kritischer Diskurs des Abschnitten 8.5 Diskussion); und das trotz der in der Theorie sowie den vorliegenden Untersuchungen identifizierten großen Bedeutung von Geschlecht sowie der jeweiligen Zusage zur Mitwirkung an den Untersuchungen, welche explizit Geschlecht thematisiert. Inwiefern diese Ablehnung zur Strukturellen Stigmatisierung von Männern in Wohnungsnot beiträgt, kann nicht geklärt werden. Ein Einfluss muss indes angenommen werden. Die entworfenen Erklärungsansätze für diese Ablehnung  der zeitliche Aufwand der Beschäftigung mit der Thematik sowie die Befürchtung, individuellen Bedarfen nicht gerecht werden zu können (siehe das Unterkapitel Kritischer Diskurs des Abschnitten 8.5 Diskussion)  verweisen auf einen unbewussten Einfluss auf die Strukturelle Stigmatisierung von Männern in Wohnungsnot.

Ähnlich gelagert, im Sinne einer Missachtung respektive Ablehnung (siehe das Unterkapitel Gesundheit des Kapitels Zusammenhänge zwischen den Kategorien unter dem Abschnitt 8.4.3 Ergebnisse), ist der Umgang mit dem Schnittstellenproblem zwischen Wohnungslosenhilfe und Suchthilfe (siehe Abschnitt 5.4 Das Schnittstellenproblem). Für Männer kann ein problematisches Suchtverhalten identifiziert werden, eben dieses wird sowohl öffentlich wie auch strukturell stigmatisiert und Männer in Wohnungsnot sind Struktureller Stigmatisierung ausgesetzt. Insbesondere die identifizierten Effekte im Zusammenwirken zwischen den Kategorien Geschlecht und Gesundheit verweisen dabei auf die Relevanz der Schnittstelle bezüglich der Strukturellen Stigmatisierung von Männern in Wohnungsnot. Demnach weist auch diese Ablehnung einen Zusammenhang mit der Strukturellen Stigmatisierung von Männern in Wohnungsnot auf.

9.3 Diskussion der Methode

Bestehend aus vier Studien, die wiederum über zwei Zugänge realisiert werden, ermöglicht die vorliegende Multi-Methoden-Untersuchung erstmalig ein umfassendes Bild der Stigmatisierung von Wohnungsnot. Dabei kommt der Intersektionalen Mehrebenenanalyse von Winker und Degele (2009) eine herausragende Bedeutung für diese Arbeit bei. Ihr dreifaches Potential  als Analyserahmen, als theoretisch-methodologischer Bezugsrahmen und als Ordnungsrahmen für Wohnungsnot (siehe Kapitel 6 Methodische Schlussfolgerungen aus der Theorie)  reduziert das komplexe und heterogene Phänomen der Wohnungsnot, liefert zugleich einen theoretisch-methodologischen Rahmen sowie Implikationen zum methodischen Vorgehen. Das methodische Vorgehen der vorliegenden Arbeit wird im Folgenden kritisch reflektiert und dessen Limitationen werden aufgeführt.

Ausgehend von der Verbindung der von Pryor und Reeder identifizierten vier Manifestationen von Stigmatisierung (2011, S. 791) mit Winker und Degeles Intersektionaler Mehrebenenanalyse (2009) und dem begründeten Fokus auf der Strukturebene (siehe Kapitel 6 Methodische Schlussfolgerungen aus der Theorie) ergeben sich zwei Zugänge, die Öffentliche Stigmatisierung und die Strukturelle Stigmatisierung, zum Untersuchungsgegenstand (siehe Abbildung 9.1). Mittels der zwei Zugänge werden vier unterschiedliche Untersuchungen realisiert, die wiederum unterschiedliche methodische Ansätze verfolgen. Trotz des gemeinsamen methodologischen Bezugsrahmens stellt sich dabei die Frage, wie die jeweils gewonnen Erkenntnisse miteinander in Relation gesetzt werden können, basieren doch die jeweiligen Erkenntnisprozesse „auf ganz unterschiedlichen wissenschaftstheoretischen Vorannahmen über die Beschaffenheit der sozialen Wirklichkeit, die Rolle der Forschenden und die ideale Gestaltung des Forschungsprozesses“ (Döring & Bortz, 2016, S. 73). Ausgangspunkt der methodischen Konzeptionierungen der vorliegenden Arbeit ist jedoch die Beantwortung der Forschungsfrage, welche Kuckartz (2014, S. 156), rekurrierend auf Creswell (2014), Denzin und Lincoln (2009) sowie Morgan (2014), zum entscheidenden Kriterium der Wahl der Methoden macht. Insgesamt kann die vorliegende Multi-Methoden-Untersuchung dem Pragmatismus als epistemologischer Grundlage zugeordnet werden (Döring & Bortz, 2016, S. 74–76; Schreier & Odağ, 2017, S. 8). Neben der Orientierung an der Forschungsfrage decken sich auch das Verständnis sozialer Wirklichkeiten als Wechselverhältnis zwischen objektiver (sozialer) Gesetzmäßigkeiten und subjektiver Wirklichkeit, sowie der Fokus auf soziale Ungleichheiten mit der vorliegenden Arbeit (Döring & Bortz, 2016, S. 75–76).

Abbildung 9.1
figure 1

Graphische Übersicht der vier Studien der vorliegenden Multi-Methoden-Untersuchung und deren Verortung auf den unterschiedlichen Ebenen der Intersektionalen Mehrebenenanalyse nach Winker und Degele (2009). Die dunkel grau hinterlegten Kästchen visualisieren dabei die untersuchten Kategorien und deren Konzeptionierung. Gestrichelte Linien symbolisieren Kategorien, welche nicht im Fokus der jeweiligen Studie stehen

Kritisch anzumerken ist der Fokus in Bezug auf die vorliegenden Erkenntnisprozesse der vorwiegend deduktiven Untersuchungsanlage auf Unterschiede, die durch die Kategorien determiniert werden. Auch die in Teilen induktiven, qualitativen Inhaltsanalysen bergen die Gefahr, relevante Aspekte im Kontext der Forschungsfrage zu übersehen. Besonderer Bedeutung kommt demnach der Beachtung der jeweiligen Gütekriterien zu, die solche Fehlerquellen minimieren sollen. Explizit erwähnt werden müssen die Verfahren für die qualitativen Untersuchungen: die Arbeit in einem Team aus Forschenden (Früh, 2017, S. 72; Kuckartz, 2016, S. 94), die Zirkularität (Döring & Bortz, 2016, S. 67–68) respektive Rückkopplungsschleifen (Mayring, 2017, S. 5) sowie eine wiederkehrende kontinuierliche Überprüfung des Kategoriensystems durch ‚Peers‘ (Kuckartz, 2018, S. 218; Lincoln & Guba, 1985, S. 308–309).

Darüber hinaus müssen weitere aus einer Multi-Methoden-Untersuchung entstehende Problemstellungen und sich daraus ergebende Limitationen skizziert werden.

Recht unspezifisch ist die Kritik einer übermäßigen Komplexität sowie eines damit einhergehenden immensen Zeitaufwandes in Bezug auf Multi-Methoden-Untersuchungen und Mixed-Methods-Projekte (Kuckartz, 2014, S. 157). Allerdings besteht auch bei der vorliegenden Arbeit die Gefahr einer der Komplexität geschuldeten Unübersichtlichkeit und erheblichen Herausforderung, alle Aspekte im Detail zu erfassen. Eine Diffizilität, welche es auch im Entstehensprozess zu bewältigen gab. Um jedoch eine möglichst umfassende Untersuchung der Stigmatisierung von Wohnungsnot und der bedeutenden Kategorien Geschlecht und Gesundheit zu ermöglichen, scheint das gewählte Vorgehen unabdingbar.

Ferner müssen die postulierte Verortung auf der Strukturebene und die Untersuchung der Öffentlichen und Strukturellen Stigmatisierung (siehe Kapitel 6. Methodische Schlussfolgerungen aus der Theorie) kritisch hinterfragt werden. Die durchgeführten vier Studien können diesem Postulat nur in Teilen folgen. So besteht ein deutliches Ungleichgewicht zuungunsten der Öffentlichen Stigmatisierung, die ‚nur‘ mittels einer Studie untersucht wird, obwohl die Ergebnisse der Studien die Bedeutung der verschiedenen Manifestationen hervorheben. Die Konzeption als Multi-Methoden-Untersuchung weist ebenfalls ein Ungleichgewicht auf. So kann die Untersuchung des erstens Zugangs trotz der Verknüpfung mit dem zweiten Zugang als einzelne Studie interpretiert werden. Die Studien des zweiten Zugangs sind wiederum mit dem Aufbau als Mehrphasen-Mixed-Methods-Design (Schreier & Odağ, 2017, p. 13) und der darin enthaltenen sequenziell-explorativen Mixed-Methods-Untersuchung deutlich enger und konkreter miteinander verwoben.

Des Weiteren deckt das im Fokus des zweiten Zugangs stehende qualifizierte Hilfesystem nur einen Teil der Strukturellen Stigmatisierung von Wohnungsnot ab. Da jedoch dem Hilfesystem eine elementare Bedeutung für die Teilhabesituation von Menschen in Wohnungsnot zugeschrieben wird (R. Lutz & Simon, 2017, S. 92–94), eignet sich das Hilfesystem trotz des Informationsverlustes in besonderem Maße als Untersuchungsgegenstand. Der daraus resultierende weitere Forschungsbedarf wird im Abschnitt 9.5 Fazit, Implikationen und Ausblick näher betrachtet.

Begründet im Untersuchungsgegenstand, der Stigmatisierung von Wohnungsnot – der ein individualisierender Blick inhärent ist (siehe Kapitel 6. Methodische Schlussfolgerungen aus der Theorie) –, erfolgt eine Adaption der Intersektionalen Mehrebenenanalyse von Winker und Degele. Entgegen deren Vorgehensweise beginnt die vorliegende Untersuchung auf der Strukturebene. Damit einher geht die deduktive Herleitung der zu beachtenden Kategorien. Ein weiterer Bruch entsteht bei den qualitativen Inhaltsanalysen, die, weil es um einen Prozess des offenen Kodierens (siehe Unterkapitel Methode des Abschnitts 8.3.2 Vorgehen) und um das Aufdecken latenter und abgewehrter Sinnstrukturen geht (siehe Unterkapitel Methode des Abschnitts 8.4.2 Vorgehen), induktiv Kategorien am Material erschließen. Die Verortung auf der Strukturebene bleibt dennoch bestehen, auch wenn die Interviewstudie ebenfalls Ergebnisse für die auf der Identitätsebene verorteten Selbststigmatisierung und Stigmatisierung durch Verbindung beinhaltet.

Trotz der herausragenden Bedeutung der Intersektionalen Mehrebenenanalyse von Winker und Degele (2009) für die vorliegende Untersuchung werden verschiedene Anpassungen vorgenommen die den Charakter der Analyse erhebliche verändern. Diese Anpassungen sind jedoch begründet durch das Erkenntnisinteresse der vorliegenden Arbeit, welches laut Walgenbach (2017, S. 80) handlungsleitend bei der Konzipierung von Untersuchungen sein soll. Darüber hinaus bestätigen die identifizierten Ergebnisse der Untersuchungen die Adaptionen sowie den intersektionalen Ansatz der Analyse. Das methodische Vorgehen ermöglicht differenzierte und valide Aussagen über die jeweiligen Manifestationen von Stigmatisierung sowie die Bedeutung der Kategorien und erschließt Ansätze zur Verbesserung der Teilhabesituation von Menschen in Wohnungsnot.

9.4 Limitationen

Die jeweils spezifischen Limitationen der einzelnen Studien respektive Zugänge können den Unterkapiteln Limitationen der Abschnitte 7.4 und 8.5 Diskussion entnommen werden. Nach der kritischen Auseinandersetzung mit dem methodischen Vorgehen und dessen Einschränkungen erfolgt im weiteren Verlauf die Darstellung derjenigen Limitationen, die übergreifend für die gesamte vorliegende Untersuchung gelten.

Eng mit dem methodischen Vorgehen verknüpft ist die limitierte inhaltliche Vergleichbarkeit zwischen der Öffentlichen und Strukturellen Stigmatisierung. Begründet in der inferenzstatistischen Auswertung der Dokumentenanalyse können hier nur korrelative und keine kausalen Zusammenhänge herausgestellt werden. Der umfangreiche methodische Ansatz des zweiten Zugangs als Mehrphasen-Mixed-Methods-Design fängt diesen Unterschied auf, kann ihn aber nicht in Gänze aufheben. Überdies limitiert die Unspezifität von Wohnungsnot die Vergleichbarkeit der beiden Zugänge und demnach die Aussagekraft der Ergebnisse. Die Untersuchung der Öffentlichen Stigmatisierung erfolgt mittels Personen in Obdachlosigkeit, wohingegen die Untersuchung der Strukturellen Stigmatisierung Personen aus dem Hilfesystem fokussiert. Begründet ist diese hingenommene Limitation in der Zugänglichkeit der Personengruppe und dem spezifischen Fokus auf die beiden Manifestationen von Stigmatisierung (siehe jeweils die Abschnitte 7.1 und 8.1 Ziel). Schließlich muss für die Vergleichbarkeit der Zugänge ebenfalls limitierend aufgeführt werden, dass der Kontakt zur Personengruppe in Zugang 1 lediglich medial vermittelt ist.

Ebenfalls durch das methodische Vorgehen bedingt ist der besondere Fokus auf Unterschiede, welche durch die Kategorien bestimmt sind. Trotz der Kontextualisierung mittels leitfadengestützter Interviews kann die Komplexität der Stigmatisierung von Wohnungsnot folglich nicht vollständig erfasst werden.

Die herausragende Bedeutung der Kategorie GeschlechtFootnote 1 wird sowohl in den theoretischen Erläuterungen (siehe Kapitel 4 Geschlecht als Kategorie im Kontext Wohnungsnot) als auch in den Ergebnissen sichtbar (siehe die Abschnitte 7.4 und 8.5 Diskussion). Zwar rekurriert die vorliegende Arbeit auf der Annahme Geschlecht mittels vier verschiedener Ausprägungen zu beschreiben (siehe Abschnitt 4.1 Geschlecht als Differenzierungskategorie), jedoch wird die Aussagekraft erneut bedingt durch das methodische Vorgehen und den Blick auf Unterschiede durch eine dichotome Betrachtungsweise limitiert.

Die vorliegende Untersuchung insgesamt limitierend muss schließlich aufgeführt werden, dass für ein besseres Verständnis der Stigmatisierung von Wohnungsnot sowohl alle Manifestationen von Stigmatisierung als auch die vier bedeutenden Kategorien von Wohnungsnot erfasst und beforscht werden müssten. Insbesondere die Kategorien Armut und Herkunft müssten, da sie Wohnungsnot konstituieren und als Hauptursache identifiziert sind (Specht, 2017a, S. 29–31), mehr in den Fokus gerückt werden. Darüber hinaus sollten zukünftige Studien induktiv am Material nach weiteren, bisher übersehenen Kategorien forschen.

9.5 Fazit, Implikationen und Ausblick

Die vorliegende Arbeit ist in ihrer Ausrichtung und ihrem Umfang einmalig. Basierend auf dem theoretischen Fundament und dessen erstmaliger Verknüpfung von Wohnungsnot, Stigmatisierung und Intersektionalität hat die durchgeführte Multi-Methoden-Untersuchung sowohl einen theoretischen als auch praktischen Mehrwert bei der Betrachtung von Wohnungsnot. Neben dem neuen und geforderten theoretischen Rahmen von Wohnungsnot (Gillich & Nieslony, 2000, S. 143; Paegelow, 2012, S. 35) liefert die vorliegende Arbeit auch eine erstmalige explizite Ausdifferenzierung derjenigen Lebensbereiche, in denen die Teilhabe von Menschen in Wohnungsnot eingeschränkt wird. Die Intersektionale Mehrebenenanalyse (Winker & Degele, 2009) mit ihrem dreifachen Potential für die vorliegende Arbeit (siehe Kapitel 2 Theoretischer Bezugsrahmen: Intersektionalität) ist die Grundlage für das entwickelte theoretische Verständnis von Wohnungsnot: Wohnungsnot entsteht vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Bedingungen und individueller Lebensrealitäten. Entscheidend für diesen Prozess sind dabei die Kategorien Armut, Herkunft, Geschlecht und Gesundheit (siehe Abschnitt 3.5.1 Verständnis von Wohnungsnot). Durch die Verbindung mit der Disziplin der Rehabilitationswissenschaften und dem zur Darstellung der Exklusion von Menschen mit Behinderung benützten Teilhabebericht kann die umfassende Exklusion von Menschen in Wohnungsnot erstmalig konkret dargestellt werden.

Die Ergebnisse der vier Studien belegen die Notwendigkeit der differenzierten Betrachtung der Manifestationen der Stigmatisierung von Wohnungsnot sowie der verschiedenen Kategorien von Wohnungsnot und der durch diese determinierten Unterschiede. Sie stellen eine Bestätigung des dreifachen Potentials der Intersektionalen Mehrebenenanalyse dar.

Durch die umfangreichen Analysen ist ein besseres Verständnis der Stigmatisierungsprozesse von Wohnungsnot möglich. Neben der Identifizierung derjenigen Personen, welche in besonderem Maße abgewertet werden – Frauen sind einer größeren Öffentlichen Stigmatisierung, Männer hingegen einer größeren Strukturellen Stigmatisierung ausgesetzt, psychische Auffälligkeiten werden öffentlich positiver bewertet, andererseits sind Männer mit psychischen Auffälligkeiten einer größeren Strukturellen Stigmatisierung ausgesetzt – können Faktoren ausgemacht und bestätigt werden, die einen signifikanten Einfluss auf die Stigmatisierungsprozesse haben.

Kontakt und Kontakterfahrungen haben einen erheblichen Einfluss auf Stigmatisierungsprozesse. Ob Kontakt zu einem Abbau oder Aufbau von Stigmatisierung führt, hängt maßgeblich von den Bedingungen des Kontakts ab (Allport, 1954). Allports Kontakthypothese kann durch die vorliegenden Ergebnisse bestätigt werden. Spannend ist hierbei, dass zwischen den verschiedenen Manifestationen von Stigmatisierung unterschieden werden muss: Kontakt führt sowohl zu einer geringeren Öffentlichen Stigmatisierung als auch zu einer größeren Strukturellen Stigmatisierung.

Für die Öffentliche Stigmatisierung können als entscheidende Faktoren darüber hinaus die Distinktion in in-groups und out-groups (Festinger, 1954; Tajfel & Turner, 1986) sowie der mediierende Effekt von Emotionen (Link & Phelan, 2001, S. 368–369) festgehalten werden. In Bezug auf die Strukturelle Stigmatisierung muss insbesondere die auffällige Korrelation der jeweiligen Abwertung mit typisch männlichen Merkmalen hervorgehoben werden. Kennzeichnend hierfür ist die Einteilung in männliche Täter und weibliche Opfer.

Als wichtiger Prädiktor für eine Stigmatisierung kann das Verhalten der jeweiligen Personen identifiziert werden. Einer einfachen Monokauslität – vom Verhalten zur Stigmatisierung dieser Person – muss jedoch entschieden widersprochen werden. So verdeutlichen die Ergebnisse der Studien, dass Stigmatisierungsprozesse ein sehr komplexes Zusammenspiel verschiedener Faktoren sind. Des Weiteren entspräche die einfache Ableitung von Stigmatisierung aus Verhalten der gängigen Individualisierung von Wohnungsnot, wobei Erklärungsansätze wie der Labeling-Approach-Ansatz (siehe Rüsch, 2010, S. 288–290 oder auch Goffman, 1972; Link et al., 1987) und der Doing-Gender-Ansatz (Gildemeister, 2010, S. 137–138; Küppers, 2012, S. 7–8), nicht beachtet werden würden. Vor dem Hintergrund des zugrundeliegenden Verständnisses von Wohnungsnot (siehe Abschnitt 3.5.1 Verständnis von Wohnungsnot) als komplexes und dynamisches Zusammenspiel von Individuum und Gesellschaft ist ein Einfluss des Verhaltens auf die Stigmatisierung allerdings plausibel.

Die negative Auswirkung von Stigmatisierung auf die Teilhabe ist evident (P. W. Corrigan, 2000, S. 50–51) und betrifft auch die für Wohnungsnot relevanten Bereiche Arbeit, Wohnen und Gesundheit. Ein besseres Verständnis der Stigmatisierungsprozesse und eine daraus abgeleitete Destigmatisierung von Wohnungsnot birgt demnach erhebliches Potential zur Verbesserung der Teilhabesituation von Menschen in Wohnungsnot (siehe Abschnitt 3.4.2 Stigmatisierung und Marginalisierung). Neben der theoretisch fundierten Erläuterung zur globalen Erfassung der Teilhabesituation von Menschen in Wohnungsnot (siehe Abschnitt 3.4.1 Exklusion und Nicht-Teilhabe) liefern die Studien der vorliegenden Multi-Methoden-Untersuchung Erkenntnisse zur Auswirkung der Stigmatisierung auf die Teilhabe von Menschen in Wohnungsnot. Ergebnisse der ersten Studie bestätigen, dass bereits medial vermittelter Kontakt (zur Diskussion dieses medialen Kontakts siehe Röhm, 2017, S. 181–182) in der Kombination mit spezifischen Merkmalen der dargestellten Person das Potential hat, die Spenden- und Unterstützungsbereitschaft zu erhöhen und somit die generelle Einstellung gegenüber Menschen in Wohnungsnot zu beeinflussen (siehe Unterkapitel Hilfesystem des Abschnitts 7.4 Diskussion).

Die identifizierte Strukturelle Stigmatisierung des Hilfesystems hat unter anderem aufgrund des Ziels der Hilfen – die Ermöglichung, Erhaltung oder Verbesserung der Teilhabe am Leben an der Gemeinschaft (R. Lutz & Simon, 2017, S. 92–94) – einen erheblichen Einfluss auf die Teilhabesituation von Menschen in Wohnungsnot. Diese ist konkret im Sinne einer geringeren Verbesserung der Lebenssituation während der Hilfen für Männer in Wohnungsnot messbar (siehe das Unterkapitel Hypothesentestende Inferenzstatistik des Abschnitts 8.3.4 Ergebnisse und der Abschnitt 8.3.5. Diskussion).

Die aus den Ergebnissen gewonnen Implikationen zielen darauf ab, die Stigmatisierung von Wohnungsnot abzubauen und die Teilhabe von Menschen in Wohnungsnot zu erhöhen. Kontakt ist ein zentrales Element zum Abbau von Stigmatisierungen (Allport, 1954; P. W. Corrigan et al., 2012; P. Corrigan et al., 2015; Evans-Lacko, London et al., 2012). Vor dem Hintergrund des geringen Kontakts der Allgemeinbevölkerung zu Menschen in Wohnungsnot (Frank-Landkammer, 2008, S. 12) sollten sowohl ein medial vermittelter Kontakt (Röhm, 2017, S. 181–182) als auch ein persönlicher Kontakt mit Menschen in Wohnungsnot fokussiert werden, um deren Stigmatisierung abzubauen. Zu beachten sind dabei nicht nur die vier Bedingungen nach Allport (1954, S. 281), sondern auch die verschiedenen und miteinander interagierenden Kategorien von Wohnungsnot. Studie 1. bestätigt das erhebliche Potential von Kontakt – beispielsweise für eine deutlich erhöhte Spendenbereitschaft – und verweist zugleich auf die Herausforderung, unintendierte Abwertungen zu vermeiden. Die Komplexität der Wirkweise von Kontakt wird ferner durch die Ergebnisse zur Untersuchung der Strukturellen Stigmatisierung des Hilfesystems bestätigt. Ausgehend von Allports Bedingungen sollte das Hilfesystem eine positive Beziehungsgestaltung zwischen Sozialarbeiter:innen des Hilfesystems und Menschen in Wohnungsnot ebenso wie explizit kommunizierte gemeinsame Ziele fördern.

Die Ergebnisse zur Strukturellen Stigmatisierung von Wohnungsnot verweisen darüber hinaus auf die Bedeutung der Kategorie Geschlecht. Diese Relevanz der Kategorie muss dem Hilfesystem und den darin tätigen Personen ausführlich vermittelt werden. Dabei muss vor allem die identifizierte Ablehnung der Thematik überwunden werden. Konkret sollte ein Verständnis für das geschlechtsspezifische Verhalten von speziell Männern in Wohnungsnot gefördert werden. Ansätze wie ‚Labeling-Approach‘ aber auch das ‚Doing-Gender‘ müssen ein fester Bestandteil bei der Einordnung und Bewertung des Verhaltens werden. Außerdem bedarf es einer kritischen Auseinandersetzung mit dem eigenen Geschlecht und der eigenen Geschlechtsrollenidentität der im Hilfesystem tätigen Personen, um den Einfluss der eigenen Person auf das Gegenüber zu erfassen. Schließlich ist die kritische Selbstreflexion ein kennzeichnendes und notwendiges Element professioneller sozialer Arbeit (Chassé & Wensierski, 2008, S. 9 und Heiner, 2004, Urban, 2004 aus Riegel, 2014, S. 191). Ganz allgemein sollte sich das qualifizierte Hilfesystem der Wohnungslosenhilfe neben dem Ausbau frauenspezifischer Angebote auch mit den mit der männlichen Geschlechtsrolle verbundenen Effekten und Auswirkungen in Bezug auf Wohnungsnot befassen (siehe Abschnitt 4.2 Geschlecht und Wohnungsnot).

Die vorliegende Multi-Methoden-Untersuchung liefert umfangreiche Erkenntnisse über die Stigmatisierung und den daraus resultierenden Teilhabeeinschränkungen von Wohnungsnot. Zugleich decken die Ergebnisse weitere Fragestellungen auf, die zukünftige Forschungsarbeiten in den Blick nehmen müssen.

Um die Auswirkungen der Stigmatisierung von Wohnungsnot auf die Teilhabe sowie die generelle Teilhabesituation im Detail zu erfassen, müssen kommende Studien die Teilhabeeinschränkungen von Menschen in Wohnungsnot fokussieren und untersuchen, welche Rolle die als relevant beschriebenen und identifizierten Kategorien dabei einnehmen.

Darüber hinaus bedarf die Stigmatisierung von Wohnungsnot weitergehender Untersuchungen. Zur Erfassung der gesamten Strukturellen Stigmatisierung müssen zukünftige Studien weitere Institutionen sowie Gesetze und Verordnungen in den Blick nehmen. Um das Stigma von Wohnungsnot umfassend erklären zu können, bedarf es ferner einer Beachtung aller Manifestationen von Stigmatisierung sowie aller Kategorien. Forschungsvorhaben sollten dabei auch induktiv angelegt sein, um bisher unentdeckte Stigmatisierungsprozesse zu erfassen. Die Relevanz einer in-group und out-group Distinktion konnte bereits festgestellt werden, es bedarf jedoch weitergehender Forschung, um die teils widersprüchlichen Ergebnisse und die jeweiligen Prozesse besser erfassen zu können. Auch Kontakt, als maßgeblich relevant für Stigmatisierungsprozesse und mit Potential zum Abbau von Stigmatisierung, muss in zukünftigen Studien fokussiert untersucht werden, um nicht intendierte Effekte ausschließen zu können.

Einen besonderen Erkenntnisgewinn verspricht schließlich die ausdifferenzierte Betrachtung der Kategorie Geschlecht. Die vorliegenden Ergebnisse weisen deutlich auf die Notwendigkeit und das Potential hin, die Kategorie über das biologische Geschlecht sowie eine binäre Geschlechteraufteilung hinaus zu betrachten. Zukünftige Studien sollten insbesondere die Auswirkungen der vier verschiedenen Ausprägungen der Geschlechtsrollenidentität – Androgyn, Maskulin, Feminin, Undifferenziert – (Connell et al., 2013, S. 23; Spence et al., 1975; siehe Abschnitt 4.1 Geschlecht als Differenzierungskategorie) auf die Stigmatisierung und Teilhabe von Menschen in Wohnungsnot in den Blick nehmen.