Die öffentliche Wahrnehmung ist zentral für Stigmatisierungsprozesse. Pryor und Reeder stellen diese Öffentliche Stigmatisierung in den Mittelpunkt ihres Models von Stigmatisierungsprozessen (Bos et al., 2013, S. 2; Pryor & Reeder, 2011, S. 791). Die Öffentliche Stigmatisierung steht mit allen anderen Arten der Stigmatisierung in Beziehung und ist mit diesen dynamisch verbunden (Röhm et al., 2018, S. 3). In diesem Kapitel wird die Studie zur Untersuchung der Öffentlichen Stigmatisierung von Menschen in Wohnungsnot ist dargestellt. Die Studie ist der Einstieg in die Multi-Methoden-Untersuchung der Arbeit mit seinen insgesamt vier Studien und stellt einen der beiden Zugänge zum Untersuchungsgegenstand – die Teilhabe und Stigmatisierung von Menschen in Wohnungsnot – dar. Ziel der Studie ist die Überprüfung vorab definierter Merkmale von Menschen in Wohnungsnot hinsichtlich der Auswirkungen auf Stigmatisierungsprozesse. Das Kapitel einleitend wird das Ziel der Studie konkretisiert. Im nächsten Schritt erfolgt die Darstellung des Vorgehens anhand der Methode, des Instruments und der Datenerhebung. Die Ergebnisse der Untersuchung sind im Abschnitt 7.3 Ergebnisse dargestellt. Anschließend werden die Ergebnisse zusammengefasst und diskutiert. Die Implikationen der Ergebnisse der Studie zur Öffentlichen Stigmatisierung für das Gesamtkonzept der Multi-Methoden-Untersuchung werden abschließend dargestellt.

7.1 Ziel

Die Untersuchung der Öffentlichen Stigmatisierung von Menschen in Wohnungsnot ist der erste Baustein der Multi-Methoden-Untersuchung zur Analyse von Teilhabe und Stigmatisierung im Kontext von Wohnungsnot. Der Fokus der Untersuchung liegt auf den öffentlichen Stigmatisierungsprozessen von Wohnungsnot. Teilhabe für Menschen in Wohnungsnot realisiert sich auch durch das Hilfesystem der Wohnungslosenhilfe (siehe die Studien zum Hilfesystem Kapitel 8 Zugang 2: Strukturelle Stigmatisierung) und wird verstanden als durch Stigmatisierungen maßgeblich beeinflusst. In dieser ersten Untersuchung gilt es die Frage zu klären, ob und wie die in der Literatur genannten und für Stigmatisierung und Teilhabe von Menschen in Wohnungsnot relevanten Kategorien von Wohnungsnot Einfluss auf die Stigmatisierungsprozesse gegenüber eben dieser Personengruppe haben. Die Kategorien Geschlecht und Gesundheit – sowie zusätzlich die Herkunft – von Personen in Wohnungsnot werden dabei als bedeutend identifiziert (siehe Kapitel 2 Theoretischer Bezugsrahmen: Intersektionalität bis 5 Gesundheit als Kategorie im Kontext Wohnungsnot). Die Überprüfung hinsichtlich der Stigmatisierungsprozesse erfolgt erstmalig im Kontext einer experimentellen Untersuchung, welche evidenzbasierte Aussagen über Kausalzusammenhänge ermöglicht.

Die Besonderheit der definitorischen Abgrenzung der Personengruppe der Menschen in Wohnungsnot (siehe Abschnitt 3.1 Definition von Wohnungsnot) führt zu der Frage, wie die heterogene und diverse Personengruppe abgebildet werden kann. Zur Eingrenzung wurde die extremste Form der Wohnungsnot, die Obdachlosigkeit, gewählt (siehe Abschnitt 7.2.2 Instrument sowie Zusatzmaterial 1 Stimulusmaterial). Obdachlosigkeit gewährt eine abgrenzbare und gut beschreibbare Teilpopulation der Personengruppe der Menschen in Wohnungsnot. Darüber hinaus verspricht diese Form der Wohnungsnot größtmögliche Effekte im Kontext von Stigmatisierungsprozessen. Die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf die gesamte Personengruppe der Menschen in Wohnungsnot wird dabei angenommen.

Das Ziel der Untersuchung zur Öffentlichen Stigmatisierung von Wohnungsnot bezieht sich auf die in den Kapiteln 2 (Theoretischer Bezugsrahmen: Intersektionalität) bis 5 (Gesundheit als Kategorie im Kontext Wohnungsnot) vorgestellten theoretischen Grundlagen. Das vorrangige Ziel der Untersuchung ist die Beantwortung der Frage, welche Auswirkung die Merkmale der Personen in Wohnungsnot für Stigmatisierungsprozesse haben. Konkret soll geklärt werden, ob die vorab in der Literatur als relevant identifizierten Kategorien Einfluss auf die Stigmatisierung von Menschen in Wohnungsnot haben. Ein weiteres Ziel ist das bessere Verständnis von Stigmatisierungsprozessen von Menschen in Wohnungsnot. Dabei soll zusätzlich sowohl ein Fokus auf die Merkmale der stigmatisierenden Personen (P. W. Corrigan & Fong, 2014, S. 110–111), die Bedeutung von Kontakt (P. W. Corrigan & Fong, 2014, S. 112; Röhm et al., 2018, S. 5–6) sowie die mediierende Wirkung von Emotionen (P. W. Corrigan, 2000, S. 55; P. W. Corrigan et al., 2002) gerichtet werden.

Die Ergebnisse zu öffentlichen Stigmatisierungsprozessen haben eine große Bedeutung für die weiteren Untersuchungen, den zweiten Zugang zur Analyse von Teilhabe und Stigmatisierung. Das Hilfesystem ist den öffentlichen Stigmatisierungsprozessen ausgesetzt und gleichzeitig bedeutender Akteur für die Öffentliche Stigmatisierung. Die Öffentliche Stigmatisierung von Wohnungsnot hat Auswirkungen auf individuelle und strukturelle Stigmatisierungsprozesse sowie auch das Selbst-Stigma und dessen Prozesse. Diese Auswirkungen und Interaktionen können der Untersuchung zum Hilfesystem sowie der Kapitel 7 Zugang 1: Öffentliche Stigmatisierung und 9 Diskussion entnommen werden.

7.2 Vorgehen

Der konkrete Ablauf der Studie wird im Verlauf dieses Kapitels detailliert erläutert. Inhaltlich handlungsleitend sind dabei die Ziele respektive ist die Forschungsfrage aus Abschnitt 6.1 Methodischer Aufbau der Untersuchung. Die transparente Darstellung des Vorgehens ist ein elementarer Baustein guter wissenschaftlicher Praxis und essentiell zur Replizierbarkeit der Ergebnisse (Döring & Bortz, 2016, S. 107–111). In drei Unterkapitel aufgegliedert wird zunächst die generelle Methode von randomisierten und kontrollierten Studien (kurz RCT) sowie explizit die Besonderheiten der gewählten Methode skizziert (Abschnitt 7.2.1 Methode). Anschließend erfolgt die ausführliche Schilderung des Fragebogens mit dem Stimulusmaterial und den verwendeten Skalen. Besonderer Bedeutung kommt dabei der Formulierung konkreter Hypothesen zu, die aus den Forschungsfragen zur Öffentlichen Stigmatisierung von Wohnungsnot abgeleitet werden (Abschnitt 7.2.2 Instrument). Abschließend wird der Prozess der Datenerhebung dargestellt (Abschnitt 7.2.3 Datenerhebung).

7.2.1 Methode

Um die Beantwortung der Forschungsfragen gewährleisten zu können, muss die Methode des Experiments gewählt werden. Randomisierte und kontrollierte Studien erlauben dabei generalisierbare und evidenzbasierte Aussagen über Kausalzusammenhänge (Field, 2018, S. 18–20). Das Experiment ermöglicht es, Stigmatisierungsprozesse im Detail erklären und stigmatisierungsrelevante Merkmale von Menschen in Wohnungsnot identifizieren respektive bestätigen zu können. Darüber hinaus können stigmatisierungsrelevante Kategorien der Allgemeinheit bestimmt werden. Das manipulierte Stimulusmaterial wird dabei randomisiert an die Stichprobe verteilt (Field, 2018, S. 20–22; Sedlmeier & Renkewitz, 2018, S. 136). Die dadurch entstandenen zufälligen Studiengruppen werden anschließend mit denen der Kontrollgruppe verglichen – im Sinne des Between-Subject-Design (Field, 2018, S. 18).

Die Umsetzung der Methode des experimentellen Between-Subject-Designs erfolgt in der vorliegenden Studie mittels eines medial vermittelten Fallbeispiels (Zillmann & Brosius, 2000). Argumente für ein solches medial vermitteltes Fallbeispiel sind unter anderem die Kompatibilität der Medienwirkungsforschung respektive Persuasionsforschung mit Theorien und Konzepten von Stigmatisierung, die große Relevanz von (Massen-)Medien, die Durchführbarkeit mit (relativ) geringen Ressourcen – beispielsweise die Kontrolle von Störvariablen – und die Möglichkeit, die Ergebnisse für Destigmatisierungskampagnen und journalistische Arbeiten nutzen zu können.

Zentraler Bereich der Medienwirkungsforschung ist die Persuasionsforschung (Wirth & Kühne, 2013, S. 313), also die Veränderung von „Emotionen, Kognitionen und Verhalten“ (Trepte, 2013, S. 89) von Rezipient:innen. Wichtige Prozesse, die während der Ein-Weg-Information der Medienkommunikation geschehen, sind sozial-kognitive und sozial-emotionale Prozesse (Knobloch-Westerwick & Hastall, 2006, S. 262). Änderungen durch eine Persuasion betreffen die Einstellungen, Vorstellungen, Meinungen, Werte sowie Verhaltensintentionen der Rezipient:innen (Wirth & Kühne, 2013, S. 314). Die enge Verbindung zu den in Abschnitt 3.8.1 Stigmatisierung dargelegten Theorien und Konzepten von Stigmatisierung wird darüber hinaus insbesondere durch die dreidimensionale Konzeption von Einstellung – Emotionen, Meinungen und Handlungen (Wirth & Kühne, 2013, S. 315) – deutlich. Auch die Bedeutung des jeweiligen Zusammenhangs von Stigmatisierung und Merkmalen der stigmatisierten Person sowie Merkmalen der Botschaft und Merkmalen der Rezipient:innen (Hastall, 2014, S. 400) verweist auf Ähnlichkeiten der beiden Konzepte.

Die Verwendung eines medial vermittelten Fallbeispiels als Stimulus für das Experiment ist begründet im hohen Wirkungspotential von illustrierten Fallbeispielen – ein Fallbeispiel wird als Repräsentant der gesamten spezifischen Personengruppe (hier Menschen in Wohnungsnot) wahrgenommen und kann somit die generelle Einstellung gegenüber der spezifischen Personengruppe beeinflussen – (siehe Abschnitt 3.8.1 Stigmatisierung sowie Hastall, 2014, S. 405; Peter, 2019, S. 506–509; Rossmann et al., 2014, S. 90; Zillmann & Brosius, 2000; Zöfel, 2002), der verhältnismäßig einfachen Manipulation eines Fallbeispiels und der häufigen Benutzung von Fallbeispielen in der Berichterstattung über Menschen in Wohnungsnot. Die konkrete Manipulation des Fallbeispiels, also die Darstellung einer Person in Wohnungsnot – konkreter Obdachlosigkeit –, kann dem folgenden Abschnitt 7.2.2 Instrument entnommen werden.

7.2.2 Instrument

Das Instrument der Studie ist ein achtseitiger Fragebogen. Dieser Fragebogen besteht aus einer einleitenden Instruktion, dem Stimulusmaterial, verschiedenen Skalen und einer abschließenden Aufklärung über den Hintergrund der Studie. Kernelemente des Fragebogens sind das Stimulusmaterial und die einzelnen Skalen. Der Fragebogen dient dazu die Forschungsfragen beantworten zu können. Dies geschieht mit Hilfe von konkreten, literaturgestützten und vorab formulierten Hypothesen. Vor der detaillierten Schilderung des Stimulusmaterials sowie der Darstellung der benützten Skalen werden die Hypothesen literaturbasiert hergeleitet. Insgesamt gibt es 16 Hypothesen, die eingeteilt werden können in Hypothesen, die Merkmale der Botschaft respektive des Stimulusmaterials betreffen (H1 – H4), in Hypothesen, die sich auf Merkmale der Rezipient:innen beziehen (H5 – H9), eine Hypothese, die einen Moderationseffekt postuliert (Mo-H10), sowie Hypothesen, die Mediationseffekte formulieren (Me-H11 – Me-H16). Von Bedeutung für die Generierung der Hypothesen sind die in Kapitel 2 (Theoretischer Bezugsrahmen: Intersektionalität) bis 5 (Gesundheit als Kategorie im Kontext Wohnungsnot) und insbesondere die in Abschnitt 3.8.1 (Stigmatisierung) dargestellten Theorien und Konzepte von Stigmatisierung sowie die Ausführungen zu Intersektionalität in Kapitel 2 (Theoretischer Bezugsrahmen: Intersektionalität). Zentral für Stigmatisierung und Stigmatisierungsprozesse sind die Abweichung von einer „Norm“ sowie die Ein- beziehungsweise Zuteilung zu Gruppen (in-group/out-group).

Hypothesen

In Abschnitt 3.8.1 Stigmatisierung sind Theorien und Konstrukte von Stigmatisierung dargestellt. Abweichungen von der Norm, die Goffman als „männlich, jung, verheiratet, weiß, städtisch, heterosexuell, protestantisch, mit guter Ausbildung, voll beschäftigt, gut aussehend, normal in Gewicht und Größe und mit Erfolgen in Sport“ (Goffman, 1972, S. 157) bezeichnet, können stigmatisiert werden. Auch Crenshaw’s Intersektionalitätshypothese (1989) bezieht sich auf Ungleichheitskategorien und stellt insbesondere die drei Kategorien Geschlecht, ‚Rasse‘Footnote 1 und Klasse als relevant heraus (siehe Kapitel 2 Theoretischer Bezugsrahmen Intersektionalität). Im Kontext von Wohnungsnot kann insbesondere auf die Abweichung von weiblichen Personen in Wohnungsnot von der Normalität der männlichen Person in Wohnungsnot verwiesen werden (siehe Kapitel 4 Geschlecht als Kategorie im Kontext Wohnungsnot). Unter anderem ausgehend von der Geschlechterverteilung von Menschen in Wohnungsnot (~70 % Männer) (siehe Kapitel 4 Geschlecht als Kategorie im Kontext Wohnungsnot) und der Abweichung von Weiblichkeit von der Norm ergibt sich die erste Hypothese:

  1. H1.

    Weibliche Personen in Wohnungsnot werden mehr stigmatisiert als männliche Personen in Wohnungsnot.

Die Lebenszeitprävalenz einer psychischen Auffälligkeit bei Menschen in Wohnungsnot beträgt bis zu 90 %Footnote 2 (Bäuml, Baur, Brönner et al., 2017, 130). Personen mit psychischen Auffälligkeiten sind in besonderem Maße von Stigmatisierung und Abwertung betroffen (P. W. Corrigan et al., 2005; Phelan et al., 1997, S. 326–327; Schomerus & Angermeyer, 2011; Sieff, 2003, S. 259–260). Die enge Verbundenheit von psychischen Auffälligkeiten und Wohnungsnot ist jedoch (historisch) stark belastet (siehe Abschnitt 3.4.2 Stigmatisierung und Marginalisierung, 3.6 Das Hilfesystem für Wohnungsnot und 5.2 Die Bedeutung psychischer Auffälligkeiten und Krankheiten). Die Betonung einer psychischen Krankheit könnte darüber hinaus die Ursachenzuschreibung für die prekäre Situation der Wohnungsnot verschieben: Wer in Wohnungsnot ist, ist nicht „schuld“ an dieser Situation, sondern bedarf der Unterstützung aufgrund einer Krankheit (siehe Weiners Attributionstheorie 1995). Aufgrund dieser sich widersprechenden Annahmen können zwei konträre Hypothesen formuliert werden:

  1. H2.

    Personen in Wohnungsnot mit einer psychischen Auffälligkeit werden mehr stigmatisiert als Personen in Wohnungsnot ohne psychische Auffälligkeit.

  1. H2.1

    Personen in Wohnungsnot mit einer psychischen Auffälligkeit werden weniger stigmatisiert als Personen in Wohnungsnot ohne psychische Auffälligkeit.

Menschen in Wohnungsnot werden häufig mit Alkoholabhängigkeit assoziiert (Wolf, 2016, S. 11). Insbesondere der sichtbare Anteil der Personen in Wohnungsnot beziehungsweise der als in Wohnungsnot interpretierten Personen unterstützt diese Assoziation (Wolf, 2016, S. 10). Die Studienergebnisse von Bäuml et al. (2017, 136–137) weisen ebenfalls eine hohe Prävalenz von Suchtmittelkonsum bei Personen in Wohnungsnot auf. Die Verantwortungszuschreibung für die eigene Situation (P. W. Corrigan et al., 2002; Weiner, 1995) respektive die Ursachenzuschreibung der Situation von Personen in Wohnungsnot im Kontext von Alkoholabhängigkeit führt zur Hypothese einer größeren Stigmatisierung von Personen in Wohnungsnot mit einer Alkoholabhängigkeit:

  1. H3.

    Personen in Wohnungsnot mit einer Alkoholabhängigkeit werden mehr stigmatisiert als Personen in Wohnungsnot ohne Alkoholabhängigkeit.

Die Herkunft von Personen in Wohnungsnot ist, wie in Kapitel 2 Theoretischer Bezugsrahmen: Intersektionalität dargelegt, für die Hilfegewährung von großer Bedeutung. Des Weiteren war der Zeitraum der Durchführung der Studie (2017) geprägt durch den im Jahr 2015 beginnenden starken Zuwachs Asylsuchender in Deutschland (Grote et al., 2016). Ausgehend von den Überlegungen zu Stigmatisierung und Stigmatisierungsprozessen (siehe Abschnitt 3.8.1 Stigmatisierung) sowie deren grundsätzlichen Mechanismen – die Einteilung in in-groups und out-groups; die Theorie des sozialen Vergleichs (Festinger, 1954)– ist die Hypothese einer größeren Stigmatisierung von Personen in Wohnungsnot mit einer kulturfremden Herkunft naheliegend. Die im Zeitraum der Erhebung aktuelle Entwicklung und die Debatte um Kriegs- und Armutsflüchtlinge (Grote et al., 2016, S. 19–20) aufgreifend kann folgende Hypothese formuliert werden:

  1. H4.

    Personen in Wohnungsnot mit der Herkunft Rumänien oder Syrien werden mehr stigmatisiert als Personen in Wohnungsnot mit der Herkunft Deutschland.

Der Fokus der Arbeit auf Geschlecht findet in der Formulierung von zwei Hypothesen Beachtung. Die Unterteilung von Geschlecht in Sex und Gender bildet sich in den Hypothesen fünf und sechs ab. Neben dem biologischen Geschlecht soll auch das soziale Geschlecht berücksichtigt werden. Die Messung und folglich Überprüfung von Sex und Gender ergibt die Möglichkeit, Aussagen über den Zusammenhang dieser Konstrukte im Kontext von Stigmatisierung respektive Stigmatisierungsprozessen zu tätigen. Eine größere negative Einstellung beziehungsweise Abwertung von Männern bezüglich Minoritäten im Vergleich zu Frauen ist vielfach bewiesen (Cloerkes, 1985, S. 203–206; Ewalds-Kvist et al., 2013, S. 367; Hastall et al., 2016, S. 179; Taylor & Dear, 1981, S. 233). Diese Befunde sind eng verbunden mit dem Konzept der Hegemonialen Männlichkeit (siehe Unterkapitel Hegemoniale Männlichkeit des Abschnitts 4.2.3 Geschlecht und Gewalt sowie Connell, 2015a, S. 129–135). Daher wird, obwohl in den genannten Studien nicht zwischen Sex und Gender unterschieden wird, die Annahme einer größeren negativen Einstellung gegenüber Menschen in Wohnungsnot sowohl für das biologische als auch das soziale Geschlecht postuliert. Bedingt durch die Annahmen, dass das soziale Geschlecht sowohl aus weiblichen als auch männlichen Anteilen, auf denen jeder Mensch hoch oder niedrig scoren kann, besteht, ergibt sich eine vierstufige Ausprägung des sozialen Geschlechts (siehe Abschnitt 4.2.2 Sex und Gender im Kontext von Wohnungsnot sowie Goldschmidt et al., 2014, S. 92). Zur Hypothesenformulierung wird eine dichotome Einteilung dieser vierstufigen Ausprägung vorgenommen. Dabei wird die Ausprägung, bei der nur die männlichen Anteile hoch scoren, mit den anderen drei Ausprägungen verglichen.

  1. H5.

    Rezipienten mit dem biologisch männlichen Geschlecht stigmatisieren Personen in Wohnungsnot mehr als Rezipientinnen mit dem biologisch weiblichen Geschlecht.

  1. H6.

    Rezipient:innen mit dem sozial männlichen Geschlecht stigmatisieren Personen in Wohnungsnot mehr als Rezipient:innen mit dem sozialen Geschlecht Weiblich, Androgyn oder Undifferenziert.

Auswirkungen des Beziehungsstatus der Rezipient:innen auf Einstellungen und intendiertes Verhalten können in verschiedenen Studien nachgewiesen werden (Hastall et al., 2016; Klein, 2011; Robinson et al., 2008). Eine Verbindung von Wohlbefinden und Beziehungsstatus (Bryant, 2015; Hastall & Materna, 2015) verweist dabei auf die Richtung des Effekts einer Beziehung. „Personen in einer Partnerschaft berichten weniger stigmatisierende Einstellungen als Personen, die angaben, gerade Single zu sein“ (Hastall et al., 2016, S. 178). Ob dabei Partnerschaft als Resultat oder Ursache für ein größeres Wohlbefinden und dementsprechend geringerer stigmatisierende Einstellungen ist, soll außen vorgelassen werden. Hypothese H7 lautet demnach:

  1. H7.

    Rezipient:innen ohne Partnerschaft stigmatisieren Personen in Wohnungsnot mehr als Rezipient:innen mit Partnerschaft.

Das typische (medial gezeichnete) Bild einer Person in Wohnungsnot ist, wie bereits erwähnt, das Bild einer Person mit Alkoholabhängigkeit (siehe Abschnitt 3.8.2 Die Bedeutung von Stigmatisierung für Menschen in Wohnungsnot). Ausgehend von den zur Erklärung von Stigmatisierung und Stigmatisierungsprozessen zentralen Überlegungen zu in-groups und out-groups (siehe Abschnitt 3.8.1 Stigmatisierung) kann die Hypothese einer größeren Stigmatisierung von Rezipient:innen, die angeben häufig Alkohol zu konsumieren, formuliert werden:

  1. H8.

    Rezipient:innen mit keinem oder geringem Alkoholkonsum stigmatisieren Personen in Wohnungsnot mehr als Rezipient:innen mit hohem Alkoholkonsum.

Die nächste Hypothese bezüglich der Merkmale der Rezipient:innen hängt in besonderem Maße mit den als Stimulus dargestellten Zeitungsartikeln zusammen. Die in dem Artikel dargestellte Person in Wohnungsnot besitzt, in Anlehnung an die Häufigkeit eines Hundebesitzes bei Personen in Wohnungsnot (Williams & Hogg, 2016, S. 23), einen eigenen Hund. Erneut soll mittels der Hypothese die Annahme einer größeren Stigmatisierung, bei der Destinktion in eine out-group, überprüft werden. Die Hypothese lautet demnach:

  1. H9.

    Rezipient:innen mit keinem Haustier stigmatisieren Personen in Wohnungsnot mehr als Rezipient:innen mit einem Haustier.

Kontakt ist ein bedeutender Faktor für Stigmatisierungsprozesse und gilt als effektiv bei Interventionskampagnen zur Destigmatisierung von marginalisierten Personengruppen (P. W. Corrigan & Fong, 2014, S. 112; Röhm et al., 2018, S. 6). Kontakt zu Menschen in Wohnungsnot ist bedingt durch zwei sich gegenseitig bedingende Gegebenheiten: Menschen in Wohnungsnot versuchen sich unsichtbar zu machen. Gleichzeitig ist die Personengruppe, die dieses Sich-unsichtbar-Machen aufgrund mangelnder Ressourcen nicht bewerkstelligen können, höchst vulnerabel und deutlich sichtbar im öffentlichen Raum (Wolf, 2016, S. 9–10). Dennoch ist der Kontakt zu Menschen in Wohnungsnot äußerst gering. Nur vier Prozent der Befragten einer repräsentativen Studie des Heidelberger Instituts Sinus Sociovision gaben an, persönlichen Kontakt zu Menschen in Wohnungsnot zu haben (Frank-Landkammer, 2008, S. 12). Aus diesen Befunden lässt sich die Moderations-Hypothese 10 formulieren:

  1. Mo-H10.

    Berichten Rezipient:innen von Kontakt mit Personen in Wohnungsnot moderiert dieser Kontakt eine geringere Stigmatisierung von Personen in Wohnungsnot im Vergleich zu Rezipient:innen ohne Kontakt.

Stigmatisierungsprozesse sind äußerst komplex (siehe Abschnitt 3.8.1 Stigmatisierung). Neben den Merkmalen der Botschaft und Merkmalen der Rezipient:innen postulieren Corrigan (2000) sowie Link & Phelan (2001) – in deren jeweiliger Konzeption von Stigmatisierung – die besondere Rolle von Mediationseffekten in Stigmatisierungsprozessen. Neben einer affektiven Komponente benennen beide eine kognitive Komponente. Emotionen und Einstellungen sind demnach von großer Bedeutung für intendiertes Verhalten (P. W. Corrigan, 2000, S. 54; Link & Phelan, 2001, S. 367). Auch die Einstellungsforschung sowie die Medienwirkungsforschung respektive Persuasionsforschung unterstützen die Bedeutung von Emotionen und Einstellungen auf das Verhalten. Zur Überprüfung dieser Annahmen im Kontext von Stigmatisierungsprozessen von Menschen in Wohnungsnot werden sechs Hypothesen formuliert. Vier Hypothesen betreffen Mediationseffekte im Kontext der Manipulationen der Merkmale der Botschaft, und zwei betreffen die Merkmale der Rezipient:innen. Die Hypothesen resultieren aus den Annahmen der ersten sechs formulierten Hypothesen und werden jeweils um die Annahme eines Mediationseffektes ergänzt:

  1. Me-H11.

    Die erhöhte Stigmatisierung von weiblichen Personen in Wohnungsnot wird durch die emotionale Reaktion der Rezipient:innen auf die im Stimulus dargestellte Person und die Einstellung gegenüber Menschen in Wohnungsnot mediiert.

  1. Me-H12.

    Die erhöhte Stigmatisierung von Personen mit psychischen Auffälligkeiten in Wohnungsnot wird durch die emotionale Reaktion der Rezipient:innen auf die im Stimulus dargestellte Person und die Einstellung gegenüber Menschen in Wohnungsnot mediiert.

  1. Me-H13.

    Die erhöhte Stigmatisierung von Personen mit Alkoholabhängigkeit in Wohnungsnot wird durch die emotionale Reaktion der Rezipient:innen auf die im Stimulus dargestellte Person und die Einstellung gegenüber Menschen in Wohnungsnot mediiert.

  1. Me-H14.

    Die erhöhte Stigmatisierung von Personen der Herkunft Rumänien respektive Syrien in Wohnungsnot wird durch die emotionale Reaktion der Rezipient:innen auf die im Stimulus dargestellte Person und die Einstellung gegenüber Menschen in Wohnungsnot mediiert.

Den letzten postulierten Mediationshypothesen kommt im Zusammenhang mit dem Fokus der Arbeit auf Geschlecht eine besondere Bedeutung zu. Der konkrete Prozess der Stigmatisierung im Kontext von Geschlecht ist bisher ungeklärt (Röhm, 2017, S. 23). Ewalds-Kvist et al. (2013) weisen eine größere Aufgeschlossenheit von Frauen, aber auch gleichzeitig eine größere Angst von Frauen gegenüber Personen mit psychischen Auffälligkeiten nach (Ewalds-Kvist et al., 2013, S. 367). Insbesondere der Mediator Emotion bedarf somit einer gesonderten Aufmerksamkeit. Die Hypothesen Me-H15. and Me-H16. lauten somit – konsistent zu den Hypothesen H5 und H6 und die Unterteilung in Sex und Gender beibehaltend:

  1. Me-H15.

    Die erhöhte Stigmatisierung von Personen in Wohnungsnot durch biologisch männliche Rezipienten wird durch die emotionale Reaktion auf die im Stimulus dargestellte Person und die Einstellung gegenüber Menschen in Wohnungsnot mediiert.

  1. Me-H16.

    Die erhöhte Stigmatisierung von Personen in Wohnungsnot durch sozial männliche Rezipienten wird durch die emotionale Reaktion auf die im Stimulus dargestellte Person und die Einstellung gegenüber Menschen in Wohnungsnot mediiert.

Stimulusmaterial

Als Stimulusmaterial dient ein selbstentwickelter Zeitungsartikel. Der Artikel schildert mittels eines Fallbeispiels die Herausforderungen des Lebens auf der Straße einer Person in Wohnungsnot konkreter Obdachlosigkeit. Das Layout des Artikels orientiert sich dabei an der Aufmachung einer großen regionalen Zeitung im Ballungsgebiet ‚Ruhrgebiet‘ der Bundesrepublik Deutschland (siehe Abbildung 7.1). Wodurch die Glaubwürdigkeit, welche von besonderer Relevanz für die die Wirkung einer Botschaft ist (Hastall, 2014, S. 401; O'Keefe, 2016, S. 219), als gewährleistet angesehen werden kann.

Abbildung 7.1
figure 1

Ausschnitt des Stimulusmaterials. Abgebildet der Artikel für ein männliches Fallbeispiel mit der Herkunft Berlin, ohne psychische Auffälligkeiten und mit Alkoholmissbrauch

Die experimentelle Manipulation geschieht über die Variation der im Artikel dargestellten Person. Die Variationen orientieren sich an vorab als relevant identifizierten Kategorien. Insgesamt variieren vier verschiedene Kategorien. Die Variation des Geschlechts (männlich vs. weiblich), des (psychischen) Gesundheitsstatus (psychisch auffällig vs. nicht psychisch auffällig), der Alkoholabhängigkeit (alkoholabhängig vs. nicht alkoholabhängig) und Herkunft (Syrien vs. Rumänien vs. Deutschland) der dargestellten Person ergeben 24 verschiedenen Artikel. Daraus resultiert das bereits beschriebene Between-Subject-Design in einer 2 × 2 × 2 × 3 Ausprägung. Die Auswahl der einzelnen Kategorien wird ausführlich in den Kapiteln 2 Theoretischer Bezugsrahmen: Intersektionalität bis 5 Gesundheit als Kategorie im Kontext Wohnungsnot und kurz in der Herleitung der Hypothesen begründet. Der Fokus der Arbeit auf die Kategorien Geschlecht und Gesundheit wird dabei um die für Menschen in Wohnungsnot ebenfalls relevante Kategorie der Herkunft (siehe Abschnitt 3.7.2 Kategorie Herkunft) ergänzt. Der Forderung von Leiprecht und Lutz (2013, S. 221–223) folgend, fokussiert die vorliegende Studie zwei Dimensionen der klassischen Triade der Intersektionalität (siehe Abschnitt 2.1.4 Auswahl der Kategorien). Auch die Ergänzung um die Dimension Gesundheit entspricht dem Vorschlag der beiden (Leiprecht & Lutz, 2013, S. 219–221) und ergänzt die klassische Triade passend zum Fokus der Arbeit. Die Konzipierung der Artikel erfolgte unter der Prämisse größtmöglicher Differenzierung innerhalb der Manipulationen bei gleichzeitig größtmöglicher Einheitlichkeit bezüglich Layout, Inhalt, Aufbau und Länge. Besondere Beachtung muss dem in allen dargestellten Artikeln vorkommenden Hund der Person in Wohnungsnot respektive Obdachlosigkeit zukommen. Ursprünglich konzipiert, um dem Stimulusmaterial ein hohes Maß an Glaubwürdigkeit zu verleihen, ergab die nähere Auseinandersetzung die zusätzliche demographische Abfrage des Haustierbesitzes der Rezipient:innen. Die 24 verschiedenen Artikel sind im Anhang der Arbeit dargestellt (siehe Anhang H Digitaler Anhang).

Skalen

Die Operationalisierung der formulierten Hypothesen erfolgt mittels der gewählten Skalen. Im Fragebogen sind diese Skalen sowohl vor dem Stimulus – Konstrukte, die nicht durch den Zeitungsartikel beeinflusst werden – sowie nach dem Stimulus – Konstrukte, bei denen eine Beeinflussung des Stimulusmaterials vermutet wird – verortet. Eine Ausnahme bildet die nach dem Stimulus präsentierte Skala zum berichteten Kontakt. Die Verortung dieser Skala erfolgt aufgrund der Formatierung. Der Fragebogen schließt mit den demographischen Angaben der Rezipient:innen (siehe Anhang B Fragebogen).

Welche Skalen wurden nun benützt? Die Beantwortung der Frage ist eng verknüpft mit den Theorien und Konzepten von Stigmatisierung (siehe Abschnitt 3.8.1 Stigmatisierung). Zur Erfassung der Stigmatisierung wird das intendierte Verhalten erhoben. Das Verständnis von (intendierten) Verhalten, als das zentrale Maß für Stigmatisierung, wird den Konzeptionen von Corrigan (2000, S. 49) und Link und Phelan (2001, S. 372) entnommen. Einstellung ist ein zentrales Element für Verhalten und dementsprechend zentral für den Prozess von Stigmatisierung. Wie Personen wahrgenommen werden und insbesondere welche kognitive Zuschreibung zu diesen Personen bestehen – also die Einstellung gegenüber Personen(-gruppen) –, beeinflusst das Verhalten gegenüber diesen Personen (siehe Abschnitt 3.8.1 Stigmatisierung). Des Weiteren werden Stigmatisierungsprozesse durch affektive Komponenten beeinflusst (P. W. Corrigan, 2000, S. 54). Emotionen die mit Personen oder Dingen verknüpft sind, beeinflussen sowohl die Einstellung als auch das (intendierte) Verhalten. Kontakt zu marginalisierten und stigmatisierten Personen(-gruppen) gilt als effektiv zur Destigmatisierung dieser Personen. Zur Untersuchung dieser Kontakthypothese (Allport, 1954) wird der berichtete Kontakt zu Personen in Wohnungsnot aufgenommen.

Um das intendierte Verhalten (AV) möglichst differenziert zu erfassen, werden drei verschiedene Skalen benützt. Häufig verwendet und bewährt ist die Skala des Reported and Intended Behavior (RIBS) von Evans-Lacko (2011).Die RIBS besteht aus zwei Subskalen (Berichtetes Verhalten und Intendiertes Verhalten) zu jeweils vier Items. Die vier Items erfassen die Dimensionen „zusammen leben“, „zusammen arbeiten“, „benachbart sein“ und „eine Beziehung führen“. Für die englische Originalversion kann eine hohe interne Konsistenz der Skala von α = .85 berichtet werden. Verwendet wird nur die Subskala Intendiertes Verhalten mit einer fünfstufigen Likertskalierung (von 1 = „stimme überhaupt nicht zu“ bis 5 = „stimme voll und ganz zu“). Zusätzlich kommen zwei selbstentwickelte Skalen – Intendierte Unterstützungsbereitschaft und Intendierte Spendenbereitschaft – zum Einsatz. Die Skala der Intendierten Unterstützungsbereitschaft erfasst mit drei Items die prozentuale Wahrscheinlichkeit (0 % bis 100 %, in Zehnerschritten), innerhalb der nächsten zwei Wochen obdachlosen Personen zu helfen. Gefragt wird nach der Wahrscheinlichkeit, in den nächsten zwei Wochen (1) ein Straßenmagazin zu kaufen, (2) für ein Projekt zu spenden und (3) Essen oder Kleidung zu spenden. Die Skala der Intendierten Spendenbereitschaft besteht aus einem Item. Die erbetene Angabe bezieht sich explizit nach der voraussichtlichen Höhe des in den nächsten zwölf Monaten direkt an Personen in Wohnungsnot gespendeten Geldes und erfolgt über ein Freifeld.

Auch die Erhebung der Einstellung der Rezipient:innen gegenüber Personen in Wohnungsnot erfolgt über drei verschiedene Skalen. Die von Angermeyer und Matschinger (1995, S. 30–31) weiterentwickelte Skala Soziale Distanz (SDS) – die ursprüngliche Skala ist von Link et al. (1987, S. 1494) – ist eine ebenfalls vielfach bewährte Skala zur Erfassung der Sozialen Distanz der Rezipient:innen. Die interne Konsistenz der sieben Items umfassenden fünfstufigen Likert-Skala (mit den Ausprägungen „auf gar keinen Fall“ bis „auf jeden Fall“) beträgt α = .84. Des Weiteren wird eine adaptierte Version der aus der Skala zur Einstellung gegenüber Menschen mit Förderbedarf (EKB) von Seifert und Bergmann (1983) entwickelten Kurzversion (Duchstein, 2016, S. 38–43) verwendet. Die von Duchstein mittels Faktorenanalyse entwickelte Kurzversion beinhaltet neun Items. Diese neun Items können den von Seifert und Bergmann definierten Subskalen „Unbehagen bei Kontakt“, „Eingeschränkte funktionale Kompetenz“ und „Emotionale Unausgeglichenheit“ zugeordnet werden. Die interne Konsistenz ist mit α = .88 gewährleistet (Duchstein, 2016, S. 55). Die Adaption der fünfstufigen Likert-Skala (von „stimme überhaupt nicht zu“ bis „stimme voll und ganz zu“) beinhaltet die Ersetzung des Begriffs „Körperbehinderter“ durch den Begriff „Obdachlose Person“. Schließlich kommt eine selbstentwickelte Skala zur Erfassung der Sozialen Unterstützung von Personen in Wohnungsnot zum Einsatz. Die Skala Perceived Need for Action von Hastall, Kinnebrock & Bilandzic (2012) mit einem Cronbachs-Alpha von α = .96 dient dabei als Ausgangspunkt der Entwicklung. Die fünf Items umfassende siebenstufige Likert Skala (von „stimme überhaupt nicht zu“ bis zu „stimme voll und ganz zu“) beinhaltet verschiedene Forderungen respektive Wünsche nach mehr Hilfe für obdachlose Personen. Die Skalen SDS sowie die EKB Kurzversion sollen sowohl als Abhängige Variable sowie als Mediator getestet werden.

Die affektive Reaktion der Rezipient:innen auf den Stimulus wird mittels der von Schomerus, Matschinger und Angermeyer (2013) entwickelten zehn Item umfassenden Skala der Emotionalen Reaktion erfasst. Die Skala besteht aus den Subskalen Angst, Wut und Pro-Sozial mit jeweils einer fünfstufigen Likert Skala (von 1 = „trifft überhaupt nicht zu“ bis 7 = „trifft voll und ganz zu“). Schomerus, Matschinger und Angermeyer geben keine Cronbachs-Alpha-Werte an, sondern lediglich den, mit KMO = .78 als ausreichend zu betrachtenden, Kaiser-Meyer-Olkin-Wert (Bühner, 2011, S. 346–347). Die Skala ist jedoch vielfach bewährt. Der Autor konnte beispielsweise 2015 für alle drei Skalen eine hinnehmbare interne Konsistenz nachweisen (Finzi, 2015, S. 58). Die Skala soll ebenfalls sowohl als Abhängige Variable sowie als Mediator getestet werden.

Schließlich werden zur Beschreibung der Stichprobe drei weitere Skalen sowie demographische Angaben erhoben. Der berichtete Kontakt der Rezipient:innen mit Personen in Wohnungsnot, als bedeutender Faktor bei Stigmatisierungsprozessen (siehe Abschnitt 3.8.1 Stigmatsierung), kann über den zweiten Teil der RIBS Skala (Evans-Lacko et al., 2011), das berichtete Verhalten, sowie zwei selbstkonstruierte Items erfasst werden. Die drei Items können auf einer dichotomen Antwortskala (0 = „trifft nicht zu“ und 1 = „trifft zu“) beantwortet werden. Als weitere Alternative besteht die Antwortmöglichkeit 2 = „weiß nicht“. Die Angabe von Cronbachs-Alpha entfällt aufgrund der Konstruktion der Skala. Getestet wird die Skala als Moderator für die Abhängigen Variablen. Die Berichtete Spendenbereitschaft erfasst über ein Freifeld die tatsächliche Höhe des gespendeten Geldes an obdachlose Personen oder Institutionen, die obdachlose Personen unterstützen. Ein Zusammenhang zwischen Berichteter und Intendierter Spendenbereitschaft wird angenommen und wird überprüft.

Eine bedeutende Funktion kommt der Skala zur Erfassung des sozialen Geschlechts, der Geschlechtsrollenidentität (siehe Abschnitt 4.2.1 Geschlecht als Differenzierungskategorie), zu. Die deutschsprachige Kurzversion des Personal Attributes Questionnaire (PAQ) von Goldschmidt, Linde et al. (2014) ist eine überprüfte, gekürzte und übersetzte Version der Skala von Spence, Helmreich und Stapp (1975) respektive Runge, Frey et al. (Runge et al., 1981). Die 16 Items der Skala beschreiben bipolar formulierte Eigenschaften, zu welchen sich die Rezipient:innen auf einer sechsstufigen Antwortskala zuordnen sollen (1 = „linke Eigenschaft trifft voll zu“ bis 6 = „rechte Eigenschaft trifft voll zu“). Die Subskalen weisen eine ausreichende interne Konsistenz auf (Maskulinität: α = .77 – bei Entfernung der Items drei und zwölf: α = .82 –; Femininität: α = .84). Die erhobenen demographischen Daten umfassen das (biologische) Geschlecht, das Alter, das Studienfach, den Besitz eines Haustieres, den Alkoholkonsum (in einer fünfstufigen Aufteilung: „4 mal oder öfter die Woche“, „2 bis 3 mal in der Woche“, „2 bis 4 mal im Monat“, „weniger als 1 mal im Monat“ und „nie“), sowie das Leben in einer festen Beziehung respektive Partnerschaft. Die sozio-demographischen Angaben der Rezipient:innen dienen zum einen zur Beschreibung der Stichprobe und werden darüber hinaus zur Testung der vorab formulierten Hypothesen benützt. Die Angaben zu Alter und Studienfach dienen dabei lediglich zur Beschreibung der Stichprobe. Generell kann dem Alter ein Einfluss auf die Einstellung und somit auf Stigmatisierung zugeschrieben werden – zahlreiche Studien bestätigen eine Zunahme negativer Einstellungen im Alter (Angermeyer et al., 2003, S. 206). Aufgrund der gezogenen Stichprobe, Studierende in Lehrveranstaltungen der Technischen Universität Dortmund (siehe Abschnitt 7.2.3 Datenerhebung), und dementsprechend einer angenommenen geringen Altersrange, ist die Voraussetzung zur Bestätigung der Annahme nicht gegeben.

7.2.3 Datenerhebung

Vor der Erhebung der Hauptuntersuchung erfolgte die Durchführung eines Pretests, um empirisch die Voraussetzung des Stimulusmaterials bestätigen zu können. Zur Bestätigung dieser eindeutigen Zuordnung der Rezipient:innen, müssen die Teilnehmer:innen des Pretests den drei Artikeln die jeweils richtigen Manipulationen zuordnen (Anhang C Pretest). Die vorgelegten Artikel wiesen dabei alle möglichen Manipulationen auf.

Zur Bestimmung der erforderlichen Fallzahl wird eine a-priori Fallzahlbestimmung mittels des Programms G*Power (Version 3.1.9.2) berechnet (Faul et al., 2009). Mit einer Alphawahrscheinlichkeit von 5 % (J. Bock, 1998, S. 20) und der Annahme einer geringen Effektstärke f = .10 (Cohen, 1988, S. 285) ergibt sich ein notwendiger Mindeststichprobenumfang von N = 787.

Die Rekrutierung der Stichprobe erfolgte im Zeitraum vom 17.01.2017 bis zum 27.01.2017 in Lehrveranstaltungen der Technischen Universität Dortmund. Die randomisierte und kontrollierte Studie wurde mittels eines Ad-Hoc-Fragebogens als Paper-Pencil-Methode durchgeführt. Die Mitwirkung an der Studie war freiwillig.

Insgesamt wurden dabei 918 Fragebögen randomisiert verteilt. Die Drop-out-Rate beträgt, auch aufgrund der erneuten Verteilung nicht ausgefüllter Fragebögen 7.84 %. Eine detaillierte Übersicht der Stichprobe ist der Deskriptiven Statistik (Abschnitt 7.3 Ergebnisse) sowie dem CONSORT-Flussdiagramm (Dwan et al., 2019) zu entnehmen (Abbildung 7.2).

Abbildung 7.2
figure 2

CONSORT-Flussdiagramm aller Studienteilnehmer:innen. 1–12: Geschlecht männlich, 13–24 Geschlecht weiblich; 1–4 u. 13–16: Herkunft Deutschland (Berlin), 5–8 u. 17–20: Herkunft Rumänien, 9–12 u. 21–24: Herlunft Syrien; 1, 2, 5, 6, 9, 10, 13, 14, 17, 18, 21, 22: psychisch unauffällig, 3, 4, 7, 8, 11, 12, 15, 16, 19, 20, 23, 24: psychisch auffällig; 1, 3, 5, 7, 9, 11, 13, 15, 17, 19, 21, 23: Konsum von Alkohol, 2, 4, 6, 8, 10, 12, 14, 16, 18, 20, 22, 24: kein Konsum von Alkohol

Die randomisierte Verteilung der Fragebögen geschah zu Beginn oder am Ende der Lehrveranstaltungen in Absprache mit den jeweiligen Dozent:innen. Einleitende Worte beinhalteten sowohl die Begrüßung, eine knappe Erklärung der Studie, den Ablauf der folgenden Erhebung, eine Zusicherung der Anonymität sowie die Instruktionen zum Vorgehen und den Hinweis auf die Ansprechperson bei etwaigen Rückfragen und Anmerkungen. Um Konfundierungen möglichst gering zu halten, wurde die Erhebung als Studie zum Thema Wohnungslosigkeit und Obdachlosigkeit bezeichnet. Eine Aufklärung über das konkrete Ziel sowie das Vorgehen der Studie erfolgt am Ende des Fragebogens. Die Teilnehmer:innen respektive Rezipient:innen hatten für die Bearbeitung der Fragebogens ca. zwölf Minuten Zeit.

7.3 Ergebnisse

In diesem Kapitel erfolgt die Darstellung der Ergebnisse der experimentellen Untersuchung. Einleitend werden die Auswertungsregeln (Abschnitt 7.3.1 Statistische Auswertung), welche konsistent angewendet wurden, dargelegt. Das Ergebnis der Pretest-Auswertung (Abschnitt 7.3.2 Pretest-Auswertung) ermöglicht anschließend die Bewertung der Manipulationen. Die Deskriptiven Statistiken (Abschnitt 7.3.3 Deskriptive Statistiken) vermitteln sowohl (1.) einen Überblick über die Stichprobe als auch (2.) eine Übersicht der zentralen Tendenzen der einzelnen Kategorien bezüglich der Merkmale der Botschaft wie auch der Merkmale der Rezipient:innen sowie (3.) einen Einblick in statistische und inhaltliche Zusammenhänge. In der abschließenden Darlegung der Inferenzstatistik (Abschnitt 7.3.4 Inferenzstatistik) erfolgt die Überprüfung der formulierten Hypothesen. Diese Darlegung erfolgt äquivalent zur Abfolge der Hypothesen:

Beeinflussen die Merkmale der Botschaft (H1. – H4.) sowie die Merkmale der Rezipient:innen (H5. – H9.) die Einstellung sowie das intendierte Verhalten gegenüber Menschen in Wohnungsnot generell? Moderiert der Kontakt der Rezipient:innen mit Personen in Wohnungsnot (Mo-H10.) die Einstellung sowie das intendierte Verhalten gegenüber Menschen in Wohnungsnot? Mediieren die emotionale Reaktion auf den Stimulus und die Einstellung gegenüber Menschen in Wohnungsnot (Me-H11. – Me-H16.) das intendierte Verhalten gegenüber Menschen in Wohnungsnot?

7.3.1 Statistische Auswertung

Die statistische Überprüfung der Hypothesen erfolgt mit dem Statistikprogramm IBM SPSS Statistics 26. Die vor den Analysen durchgeführte Datenaufbereitung garantiert eine hohe Datenqualität (Jensen, 2012, S. 33) und ist somit unabdingbar für zuverlässige Ergebnisse (Döring & Bortz, 2016, S. 581). Schendera führt bezüglich der Datenqualität sechs verschiedene Spezifika auf: Vollständigkeit, Einheitlichkeit, Ausschluss doppelter Werte, Behandlung von fehlenden Werten, Beurteilung von Ausreißern sowie die Plausibilität (Schendera, 2007, S. 3). Diese sechs Spezifika sind als Orientierungsrahmen für die jeweils individuell auf das wissenschaftliche Vorgehen abzustimmende Datenaufbereitung zu verstehen und stellen keinen linearen Prozess dar (Jensen, 2012, S. 35). Um mögliche Eingabefehler aufzudecken und die Qualität der Eingabe insgesamt zu überprüfen, werden randomisiert 52 (6 %) ausgefüllte Fragebögen händisch abgeglichen (Kirchhoff et al., 2010, S. 46; Schöneck & Voß, 2013, S. 96). Der Fehlerquotient von 0,14 % bestätigt eine hohe Eingabequalität. Vier nicht ausgefüllte Fragebögen werden aus dem Datensatz entfernt (siehe Abbildung 7.2). Fehlende Werte im Datensatz werden mit 999 und nicht eindeutige Angaben mit 888 kodiert (die Ausnahme bilden die Items zur Berichteten wie Intendierten Spendenbereitschaft; hier 999999 als fehlend und 888888 als uneindeutig kodiert). Bei der Betrachtung der Häufigkeitstabellen zur weiteren Identifikation von Eingabefehlern (Bühl, 2014, S. 273) werden sechs unrealistische Angaben respektive ungewöhnliche Fälle zur Berichteten und Intendierten Spendenbereitschaft identifiziert und als uneindeutig kodiert (Schendera, 2007, S. 165). Abschließend wird der Datensatz mittels SPSS auf ungewöhnliche Fälle untersucht. Der Datensatz kann nach dem beschriebenen Prozedere als fehlerfrei deklariert und somit zur Berechnung freigegeben werden.

Die Auswertung des Pretests erfolgt hinsichtlich der Überprüfung der Manipulationen. Die Rezipient:innen des Pretests mussten die Manipulationen identifizieren und zuordnen. Die Ergebnisse der Pretest-Auswertung sind im weiteren Verlauf des Kapitels dargestellt.

Vor der inferenzstatischen Auswertung werden alle Skalen des Fragebogens der Untersuchung der internen Konsistenz unterzogen (siehe Tabelle 7.2). Die Variablen des Fragebogens müssen darüber hinaus auf ihre statistischen Voraussetzungen geprüft werden (Döring & Bortz, 2016, S. 617). Die Testung auf Normalverteilung mittels des Kolmogoroff-Smirnov-Test (Döring & Bortz, 2016, S. 476; Field, 2018, S. 248) wird nicht durchgeführt, da die Stichprobenverteilung bei großen Stichproben Normalverteilung annimmt (Field, 2018, S. 248). Die Ergebnisse der Levene-Tests (Bühner & Ziegler, 2012, S. 261; Field, 2018, S. 248) werden zu Beginn der Darstellung der inferenzstatistischen Auswertung in Form einer Tabelle berichtet (Tabelle 7.5). Auch bei der Verletzung der Voraussetzung der Varianzhomogenität können die Ergebnisse der Varianzanalysen, aufgrund der Robustheit von Varianzanalysen und der großen Stichprobe, interpretiert werden (Bortz & Schuster, 2010, S. 129; Sedlmeier & Renkewitz, 2018, S. 440).

Zur Testung der Hypothesen bezüglich der Effekte der Merkmale der Botschaft sowie der Merkmale der Rezipient:innen (H1. – H9.) werden mehrfaktorielle, univariate Varianzanalysen, kurz ANOVA, gerechnet. Um eine ausreichend große Stichprobengröße (n ≥ 20) (Bortz & Schuster, 2010, S. 87; Field, 2018, S. 235) der jeweiligen Mittelwerte zu garantieren, werden nur Haupteffekte und Zwei-Wege- sowie Drei-Wege-Interaktionen berechnet. Interaktionen höherer Ordnung werden ausgeschlossen. Auch zur Überprüfung der Moderatorhypothese (Mo-H11) werden mehrfaktorielle, univariate Varianzanalysen gerechnet. Bedingt durch die Häufigkeitsverteilung des Moderators „Kontakt“ mussten diese Varianzanalysen auf Haupteffekte und Zwei-Wege-Interaktionen begrenzt werden. Faktoren mit mehr als zweistufiger Ausprägung werden a-posteriori mittels des konservativen und exakten Sidak-Post-Hoc-Tests korrigiert (Lüpsen, 2014, S. 9). Dieser garantiert eine hohe Kontrolle des Alpha-Fehlers (Barnette & McLean, 2005, S. 450; Field, 2009, S. 402; Ozkaya & Ercan, 2012, S. 352). Können bei der Überprüfung der Hypothesen (H1. – MoH10.) signifikante Interaktionen (< .05) (Field, 2018, S. 97) identifiziert werden, werden Simple-Effect-Analysen zum paarweisen Vergleich der Mittelwerte durchgeführt (Rasch et al., 2014b, S. 221). Auch hier wird, zur Korrektur des Alpha-Fehlers (Rasch et al., 2014b, S. 320), der Sidak-Post-Hoc-Test benützt. Werden signifikante Interaktionseffekte beobachtet, aber keine signifikanten Mittelwertsunterschiede mittels Simple-Effect-Analysen identifiziert, werden auch Tendenzen mit < .10 berichtet (siehe Amrhein et al., 2019). Diese Tendenz entspricht jedoch nicht einem signifikanten Ergebnis, sondern stellt lediglich die Vermutung einer Tendenz dar und muss mit Vorsicht interpretiert werden. Um ausreichend große Stichprobengröße (n ≥ 20) (Bortz & Schuster, 2010, S. 87; Field, 2018, S. 235) der jeweiligen Mittelwerte zu garantieren, wird die jeweilige Häufigkeit händisch überprüft. Bei beobachteten n < 20, bedingt durch die randomisierte Verteilung, werden Mittelwertsunterschiede aus der Auswertung ausgeschlossen.

Können Haupteffekte und Interaktionseffekte ermittelt werden, muss mittels Interaktionsdiagrammen überprüft werden, welche Haupteffekte und Zwei-Wege-Interaktionen eindeutig zu interpretieren sind (Döring & Bortz, 2016, S. 713; Rasch et al., 2014b, S. 244). Die Effektgröße (η2) wird aus der Angabe der partiellen Effektgröße (η2p) errechnet (Sedlmeier & Renkewitz, 2018, S. 467–470). Zur Interpretation der Effektgröße gilt Cohens (1988) Konvention: kleiner Effekt: η2 = 0.01; mittlerer Effekt: η2 = 0.06; großer Effekt: η2 = 0.14 (Sedlmeier & Renkewitz, 2018, S. 444).

Die Darstellung der Ergebnisse erfolgt stets nach dem gleichen Prozedere:

  1. 1.

    Für jede Hypothese werden zunächst die beobachteten Haupteffekte dargelegt.

  2. 2.

    Gibt es signifikante Haupteffekte, muss die Interpretierbarkeit aufgrund Interaktionen höherer Ordnung überprüft werden. Die Interpretierbarkeit muss auch bei signifikanten Zwei-Wege-Interaktionen überprüft werden, sobald eine signifikante Drei-Wege-Interaktion mit den gleichen Merkmalen identifiziert wird.

  3. 3.

    Daran anschließend erfolgt der Bericht der signifikanten Interaktionseffekte. Die Interpretierbarkeit muss auch bei signifikanten Zwei-Wege-Interaktionen überprüft werden sobald eine signifikante Drei-Wege-Interaktion mit den gleichen Merkmalen identifiziert wird. Der Bericht der Interaktionseffekte erfolgt, um die Übersichtlichkeit zu wahren, in tabellarischer FormFootnote 3.

Um die Mediationshypothesen (Me-H11. – MeH16.) zu überprüfen, kommt das von Hayes entwickelte SPSS-Makro PROCESS34 zum Einsatz (Field, 2018, S. 502; Hayes, 2013, S. 419–441). Hayes empfiehlt zur Berechnung einer ‚Simple Mediation‘ die Verwendung korrigierter (‚bias-corrected‘) Bootstraps 95 % Konfidenzintervalle mit 10,000 Resamples zu berechnen (Hayes, 2013, S. 423). Der Nicht-Einschluss von Null im Konfidenzintervall bedeutet die Ablehnung der Nullhypothese und somit einen signifikanten Unterschied (Field, 2018, S. 503; Hayes, 2013, S. 46–51; Preacher & Hayes, 2008, S. 885). Die vollständige Mediation wird dabei über einen signifikanten indirekten Effekt (Pfad a × b) abgebildet (Field, 2018, S. 505). Wird ein signifikanter indirekter Effekt ermittelt, werden auch die Ergebnisse der einzelnen Pfade (a und b) wiedergegeben.

Die Darstellung der Ergebnisse erfolgt, jeweils für jede Hypothese, in tabellarischer Form und anschließender Beurteilung ob ihrer Bestätigung respektive Ablehnung sowie der Nennung von Besonderheiten.

7.3.2 Pretest-Auswertung

Der Pretest mit N = 50 (68 % weiblich; M = 24.24 Jahre; SD = 3.55) bestätigt die erfolgreiche Manipulation der Artikel (Geschlecht = 100 %; psychische Auffälligkeit = 100 %; Alkoholabhängigkeit = 100 %; Herkunft = 98.67 %).

7.3.3 Deskriptive Statistiken

Die Eigenschaften der Stichprobe (N = 846) können der Tabelle 7.1 entnommen werden. Dabei treten folgende Veränderungen zur Fragebogenerhebung auf: Das biologische Geschlecht, erfasst über die Selbstauskunft der Rezipient:innen, wird auf die dichotome Einteilung männlich (n = 548, 64.8 %) und weiblich (n = 264, 31.2 %) reduziert. Die Antwortmöglichkeit „keine Angabe“ wird aufgrund der geringen Nennung (n = 4, 0.5 %) sowie einer besseren Auswertbarkeit den fehlenden Angaben zugeordnet (n = 34, 4.0 %). Die Antwortmöglichkeiten zum Alkoholkonsum werden, ebenfalls aufgrund der besseren Auswertbarkeit, in eine dreistufige Variable zusammengefasst.

Tabelle 7.1 Häufigkeitsverteilungen der Merkmale der Rezipient:innen

Die Antwortmöglichkeiten „4 mal oder öfter die Woche“ und „2 bis 3 mal in der Woche“ werden unter „hohe Alkoholkonsum“ summiert (n = 108, 12.8 %). Die Antwortmöglichkeiten „2 bis 4 mal im Monat“ und „weniger als 1 mal im Monat“ werden unter „geringer Alkoholkonsum“ summiert (n = 540, 63.8 %). Die Antwortmöglichkeit „nie“ wird umbenannt in „kein Alkoholkonsum“ (n = 161, 19.0 %).

Die Angaben zum Studienfach werden eingeteilt in „MINT – o.ä.“ (n = 726, 85.8 %), „EW – o.ä.“ (n = 9, 1.1 %) sowie „sonstige“ (n = 6.9 %). Aufgrund der Verteilung der Variable musst diese aus den weiteren Berechnungen ausgeschlossen werden.

Zur Überprüfung der internen Konsistenz der (Sub-)Skalen wird Cronbachs-Alpha berechnet. Die Ergebnisse dieser Berechnungen können Tabelle 7.2 entnommen werden. Eine ausreichende interne Konsistenz wird ab einem α ≥ .70 angenommen (Field, 2018, S. 826). Skalen mit einem Cronbachs-Alpha von α ≥ .60 werden unter Vorsicht ebenfalls für die inferenzstatistische Analyse freigegeben (Field, 2018, S. 823–824). Um die Mindestanforderung von α ≥ .60 zu erreichen, müssen für einzelne Subskalen Items mittels Itemanalyse (Döring & Bortz, 2016, S. 271) ausgeschlossen werden. Insgesamt drei Subskalen bestehen den Test auf interne Konsistenz nicht. Die Subskala ‚Emotionale Reaktion Zorn‘ der Skala Emotionale Reaktion (Schomerus et al., 2013, S. 666) muss ebenso ausgeschlossen werden wie die Subskalen ‚Unbehagen bei Kontakt‘ und ‚Eingeschränkte funktionale Kompetenz‘ der Skala Einstellung gegenüber Körperbehinderten (Seifert & Bergmann, 1983, 290–320). Die Subskala Maskulinität der Skala der deutschen Version des Personal Attributes Questionnaire (PAQ) (Goldschmidt et al., 2014, S. 89–108) muss um die Items drei „nicht abhängig von anderen vs. völlig abhängig von anderen“ und zwölf „messe mich nicht gerne mit anderen vs. messe mich gerne mit anderen“ gekürzt werden. Diese Entfernung der Items drei und zwölf zur Erhöhung der internen Konsistenz wird bereits von Goldschmidt et al. erwähnt und vorgenommen (Goldschmidt et al., 2014, S. 97).

Tabelle 7.2 Interne Konsistenz der verwendeten (Sub-)Skalen mittels Cronbachs-Alpha (α). Die ausreichende Konsistenz von α ≥ .70 ist durch ** gekennzeichnet. Werte von α ≥ .60 werden mit * dargestellt

Die Maße der zentralen Tendenz der Merkmale der Botschaft sowie der Merkmale der Rezipient:innen können der Tabelle 7.3 entnommen werden. Die Mittelwerte und Standardabweichungen der sechs Abhängigen Variablen sowie der zwei Mediationsvariablen ermöglichen einen ersten Einblick in den vorliegenden Datensatz und lassen Tendenzen in Bezug auf Einstellung und intendiertes Verhalten erkennen.

Tabelle 7.3 Maße der zentralen Tendenz für die Merkmale der Botschaft und die Merkmale der Rezipient:innen in Bezug auf die verwendeten Skalen
Tabelle 7.4 Bivariate Zusammenhänge mittels Spermans Korrelation. Signifikante Zusammenhänge (p < .05) sind mit ** gekennzeichnet, höchst signifikante Zusammenhänge (p < .01) mit ***

Die Berechnungen der Zusammenhänge der Variablen (Tabelle 7.4) bestätigen eine Gruppierung der Abhängigen Variablen. Die Variablen Soziale Distanz und Emotionale Ausgeglichenheit (EKB) korrelieren signifikant positiv miteinander. Die Variablen Soziale Unterstützung, das Intendierte Verhalten (RIBS), die Intendierte Unterstützungsbereitschaft und die Intendierte Spendenbereitschaft korrelieren signifikant negativ mit der Sozialen Distanz und der Emotionalen Ausgeglichenheit – eine Ausnahme ist die nicht signifikante negative Korrelation der Emotionalen Ausgeglichenheit mit der Intendierten Spendenbereitschaft. Zusätzlich zu der Gruppierung können vier weitere Spezifika der Zusammenhänge identifiziert werden:

  1. 1)

    Die Korrelationen der Mediatoren der emotionalen Reaktion (Angst und Pro-Sozial) mit den anderen Abhängigen Variablen ergeben ein inkonsistentes und in dieser Ausprägung nicht erwartetes Bild. Beispielsweise korrelieren die Mediatoren Angst und Pro-Sozial mit einem mittleren bis starken Zusammenhang von r = .350 höchst signifikant positiv miteinander. Die erhöhte Angst führt somit zu einer erhöhten pro-sozialen Emotion gegenüber der dargestellten Person.

    Des Weiteren korreliert die emotionale Reaktion Angst höchst signifikant positiv mit der Forderung der sozialen Unterstützung gegenüber der dargestellten Person.

    Auch die Intendierte Unterstützungsbereitschaft korreliert höchst signifikant positiv mit dem Mediator Emotionale Reaktion Angst. Eine erhöhte Angst der Rezipient:innen korreliert mit einer erhöhten prosozialen emotionalen Reaktion gegenüber der dargestellten Person, der Forderung nach sozialen Unterstützung und einer größeren Intendierten Unterstützungsbereitschaft.

  2. 2)

    Das Modell von Stigmatisierung und Verhalten – also der Bedeutung der Einstellung auf das Verhalten (siehe Abschnitt 3.8.1 Stigmatisierung) – bezogen auf die Variablen Soziale Distanz als Einstellung und intendiertes Verhalten kann aufgrund des höchst signifikanten starken Zusammenhangs (r = .−773) nicht aufrecht erhalten werden. Die Soziale Distanz wird dementsprechend und entgegen der Planung nicht als Mediator für das intendierte Verhalten benützt werden.

  3. 3)

    Die Kontakthypothese von Allport (Allport, 1954) kann aufgrund der signifikanten Korrelationen des berichteten Kontakts zur Intendierten Unterstützungsbereitschaft und der Intendierten Spendenbereitschaft unterstützt werden.

  4. 4)

    Die Berichtete Spendenbereitschaft korreliert höchst signifikant und stark mit der Intendierten Spendenbereitschaft (r = .533). Wie erwartet weisen Rezipient:innen, die bereits gespendet haben, eine höhere Bereitschaft auf in Zukunft erneut zu spenden. Die Zuverlässigkeit der Variable Intendierte Spendenbereitschaft kann dementsprechend angenommen werden.

Zusätzlich zur Überprüfung der Zusammenhänge der Variablen erfolgte die Überprüfung des inhaltlichen Zusammenhangs des biologischen Geschlechts sowie des sozialen Geschlechts. Die Punkt-Biseriale-Korrelation (Field, 2018, S. 354) ergibt dabei einen hoch signifikanten schwachen positiven Zusammenhang (rPB = .122, p = .001). Ein höchst signifikanter mittlerer positiver Zusammenhang (rPB = .388, p ≤ .001) wird erreicht, wenn explizit nur die ‚Extremwerte‘ des sozialen Geschlechts (Maskulinität vs. Femininität) mit dem biologischen Geschlecht verglichen werden. Die Korrelation bestätigt den Zusammenhang des biologischen Geschlechts mit dem sozialen Geschlecht. Die mittlere Stärke dieses Zusammenhangs verdeutlicht gleichzeitig, dass biologisches Geschlecht und soziales Geschlecht nicht gleichbedeutend sind.

7.3.4 Inferenzstatistik

Die Darstellung der Befunde der inferenzstatistischen Auswertung respektive der Überprüfung der Hypothesen erfolgt, wie bereits dargelegt, äquivalent zur Abfolge der Hypothesen. Die zu überprüfenden Hypothesen werden dabei jeweils zu Beginn aufgeführt. Die Ergebnisse des Levene-Tests auf Varianzhomogenität werden, wie ebenfalls erwähnt, in Form einer Tabelle dargestellt (Tabelle 7.5). Signifikante Ergebnisse der Analysen werden anschließend, dem Modell von Stigmatisierung und Verhalten folgend (siehe Abschnitt 3.8.1 Stigmatisierung), für die Abhängigen Variablen gruppiert berichtet – also zuerst die negativ skalierten Einstellungsvariablen Soziale Distanz und Emotionale Ausgeglichenheit und anschließend die positiv skalierte Einstellungsvariable Soziale Unterstützung und abschließend die Variablen Intendiertes Verhalten, Intendierte Unterstützungsbereitschaft sowie Intendierte Spendenbereitschaft.

Tabelle 7.5 Levene-Test der Abhängigen Variablen auf Varianzhomogenität

H1. Weibliche Personen in Wohnungsnot werden mehr stigmatisiert als männliche Personen in Wohnungsnot.

Für alle Abhängigen Variablen kann kein signifikanter Haupteffekt des Geschlechts der dargestellten Person identifiziert werden. Die signifikanten Interaktionen sowie signifikanten Simple-Effect-Analysen (mit Angabe der Mittelwerte und Standardabweichungen) können der Tabelle 7.6 entnommen werden. Die drei gefundenen signifikanten Drei-Wege-Interaktionen der Abhängigen Variable Emotionale Ausgeglichenheit weisen, jeweils nur für spezifische Merkmalskombinationen, eine höhere negative Einstellung der Rezipient:innen gegenüber weiblichen Personen in Wohnungsnot auf. Zwei knapp nicht signifikante Ergebnisse (< .10) unterstützen die Befunde einer höheren negativen Einstellung gegenüber weiblichen Personen in Wohnungsnot. Der knapp nicht signifikante Effekt des Intendierten Verhaltens (< .10), mit dem Merkmal Herkunft Berlin, weist in die gleiche Richtung. Die Rezipient:innen zeigen ein höheres positives Intendiertes Verhalten gegenüber männlichen Personen in Wohnungsnot. Diesen Befunden steht der Befund der Abhängigen Variable Intendierte Unterstützungsbereitschaft entgegen. Der signifikante Effekt unterstützt, nur auf einer spezifischen Merkmalskombination, die Annahme einer höheren Unterstützungsbereitschaft gegenüber weiblichen Personen in Wohnungsnot.

Tabelle 7.6 Ergebnisse der Hypothese 1. Vergleichszeichen verdeutlichen die identifizierten Mittelswertsunterschiede der Simple-Effect-Analysen. Mit gekennzeichnete p-Werte dieser Analysen müssen mit Vorsicht interpretiert werden

Die Hypothese H1 kann nicht bestätigt werden. Es kann nur eine partielle Bestätigung der Hypothese H1 für jeweils spezifische Merkmalskombinationen auf eine erhöhte negative Einstellung gegenüber weiblichen Personen in Wohnungsnot identifiziert werden. Der knapp nicht signifikante Effekt des Intendierten Verhaltens – die Tendenz eines höheren positiven Verhaltens gegenüber männlichen Personen in Wohnungsnot – unterstützt die partielle Bestätigung der Hypothese H1. Der entgegen des Postulats entdeckte Effekt einer höheren Unterstützungsbereitschaft gegenüber weiblichen Personen in Wohnungsnot bedarf der gesonderten Betrachtung (siehe Abschnitt 7.4 Diskussion).

H.2 Personen in Wohnungsnot mit einer psychischen Auffälligkeit werden mehr stigmatisiert als Personen in Wohnungsnot ohne psychische Auffälligkeit.

H2.1 Personen in Wohnungsnot mit einer psychischen Auffälligkeit werden weniger stigmatisiert als Personen in Wohnungsnot ohne psychische Auffälligkeit.

Erneut kann für keine der Abhängigen Variablen ein signifikanter Haupteffekt identifiziert werden. Die signifikante Zwei-Wege-Interaktion auf die Abhängige Variable Emotionale Ausgeglichenheit der Merkmale psychische Auffälligkeit und Herkunft der dargestellten Person kann aufgrund der Hybriden Interaktion (Döring & Bortz, 2016, S. 713) mit dem Merkmal Partnerschaft nicht ausgewertet werden. Zwei signifikante Effekte – ein höheres positives Intendiertes Verhalten und eine höhere Intendierte Unterstützungsbereitschaft – weisen eine höhere positive Verhaltensintention der Rezipient:innen gegenüber psychisch auffälligen Personen in Wohnungsnot auf (Tabelle 7.7). Im Sinne einer Drei-Wege-Interaktion gilt dies, wie bereits erwähnt, nur für spezifische Merkmalskombinationen.

Tabelle 7.7 Ergebnisse der Hypothese 2. Vergleichszeichen verdeutlichen die identifizierten Mittelswertsunterschiede der Simple-Effect-Analysen

Die Hypothese H2 findet den Ergebnissen entsprechend keine Bestätigung. Auch die gegenläufige Hypothese H2.1 kann nicht uneingeschränkt bestätigt werden. Lediglich zwei Drei-Wege-Interaktionen zeigen eine höhere positive Verhaltensintention der Rezipient:innen gegenüber psychisch auffälligen Personen in Wohnungsnot.

H3. Personen in Wohnungsnot mit einer Alkoholabhängigkeit werden mehr stigmatisiert als Personen in Wohnungsnot ohne Alkoholabhängigkeit.

Keine der Abhängigen Variablen ergibt einen signifikanten Haupteffekt. Insgesamt können zwei signifikante Drei-Wege-Interaktionen festgestellt werden (Tabelle 7.8). Diese unterstützen die Hypothese H3. Für spezifische Merkmalskombinationen weisen die Rezipient:innen eine erhöhte negative Einstellung (Emotionale Ausgeglichenheit) gegenüber alkoholabhängigen Personen in Wohnungsnot auf. Zusätzlich weist eine signifikante Drei-Wege-Interaktion für die Abhängige Variable Intendiertes Verhalten ein höheres positives Intendiertes Verhalten der Rezipient:innen gegenüber Personen ohne Alkoholabhängigkeit in Wohnungsnot auf.

Tabelle 7.8 Ergebnisse der Hypothese 3. Vergleichszeichen verdeutlichen die identifizierten Mittelswertsunterschiede der Simple-Effect-Analysen

Hypothese 3 kann nur zu geringen Teilen bestätigt werden. Lediglich zwei signifikante Mittelwertsunterschiede bestätigen die Hypothese einer negativeren Einstellung gegenüber alkoholabhängigen Personen in Wohnungsnot.

H4. Personen in Wohnungsnot mit der Herkunft Rumänien oder Syrien werden mehr stigmatisiert als Personen in Wohnungsnot mit der Herkunft Deutschland.

Erneut kann kein signifikanter Haupteffekt beobachtet werden. Für die Abhängigen Variablen der Sozialen Distanz kann darüber hinaus ein signifikanter Interaktionseffekt nicht berichtet werden; dies ist bedingt durch eine Hybride Interaktion der Merkmale psychische Auffälligkeit und Herkunft der dargestellten Person mit dem Merkmal Partnerschaft und einem knapp nicht signifikanten Mittelwertsunterschied einer signifikanten Drei-Wege-Interaktion (Tabelle 7.9). Die Tendenz dieses Unterschieds weist entgegen der Hypothese eine höhere Soziale Distanz der Rezipient:innen gegenüber rumänischen Personen in Wohnungsnot im Vergleich zu syrischen Personen in Wohnungsnot auf. Die zwei signifikanten Ergebnisse der Sozialen Unterstützung sind konträr zur Hypothese H4. Die Rezipient:innen zeigen jeweils eine höhere Forderung nach Sozialer Unterstützung für syrische und rumänische Personen in Wohnungsnot im Vergleich zu deutschen Personen in Wohnungsnot. Dies gilt jedoch nur für die spezifischen Merkmalskombinationen der zwei signifikanten Drei-Wege-Interaktionen. Aufgrund einer Disordinalen Interaktion der Merkmale Geschlecht und Herkunft der dargestellten Personen in Wohnungsnot mit dem Merkmal Haustiere kann nur die signifikante Drei-Wege-Interaktion für die Abhängige Variable Intendiertes Verhalten berichtet werden. Der Effekt eines höheren positiven Intendierten Verhaltens gegenüber syrischen Personen in Wohnungsnot im Vergleich zu rumänischen Personen in Wohnungsnot bestätigt die Tendenz einer höheren Sozialen Distanz gegenüber rumänischen Personen in Wohnungsnot. Dies gilt erneut nur für die spezifische Merkmalskombination der Drei-Wege-Interaktion. Diesen Ergebnissen gegenüber steht der signifikante Effekt der Intendierten Unterstützungsbereitschaft. In einer signifikanten Drei-Wege-Interaktion weisen die Rezipient:innen eine erhöhte Unterstützungsbereitschaft für rumänische Personen in Wohnungsnot auf.

Tabelle 7.9 Ergebnisse der Hypothese 4. Vergleichszeichen verdeutlichen die identifizierten Mittelswertsunterschiede der Simple-Effect-Analysen. Mit gekennzeichnete p-Werte dieser Analysen müssen mit Vorsicht interpretiert werden

Die Hypothese H4 wird nicht bestätigt. Die postulierte negativere Einstellung sowie negativere Verhaltensintention gegenüber Personen in Wohnungsnot mit fremdem kulturellen Hintergrund bestätigen sich nicht. Es lassen sich gegenläufige Effekte finden beziehungsweise Unterschiede zwischen rumänischen und syrischen Personen in Wohnungsnot identifizieren.

H5. Rezipienten mit dem biologisch männlichen Geschlecht stigmatisieren Personen in Wohnungsnot mehr als Rezipientinnen mit dem biologisch weiblichen Geschlecht.

Für die Abhängige Variable Intendierte Unterstützungsbereitschaft kann ein signifikanter Haupteffekt berichtet werden (F(2,719) = 6.03; p = .014; η2 = .008). Der Hypothese entsprechend zeigen Rezipient:innen mit dem biologisch weiblichen Geschlecht (M = 30.01 (SD = 22.01)) eine höhere Intendierte Unterstützungsbereitschaft als Rezipient:innen mit dem biologisch männlichen Geschlecht (M = 20.50 (SD = 20.85)). Dieses Ergebnis wird durch fünf signifikante Drei-Wege-Interaktionen unterstützt (Tabelle 7.10). Sowohl für die Einstellungsvariable einer erhöhten Sozialen Unterstützung für Personen in Wohnungsnot als auch für die intendierten Verhaltensvariablen (positives Intendiertes Verhalten und Intendierte Unterstützungsbereitschaft) zeigen Rezipient:innen mit dem biologisch weiblichen Geschlecht höhere Werte als Rezipient:innen mit dem biologisch männlichen Geschlecht. Dies gilt jedoch, aufgrund der Tatsache der Drei-Wege-Interaktion, nur für spezifische Merkmalskombinationen. Die Ergebnisse insgesamt müssen jedoch mit Vorsicht interpretiert werden. Einer signifikanten Drei-Wege-Interaktion der Abhängigen Variable Soziale Distanz kann ein knapp nicht signifikanter Mittelwertsunterschied des biologischen Geschlechts der Rezipient:innen in gegenläufige Richtung entnommen werden.

Tabelle 7.10 Ergebnisse der Hypothese 5. Vergleichszeichen verdeutlichen die identifizierten Mittelswertsunterschiede der Simple-Effect-Analysen. Mit gekennzeichnete p-Werte dieser Analysen müssen mit Vorsicht interpretiert werden

Insgesamt wird die Hypothese H5 bestätigt. Rezipient:innen mit dem biologisch weiblichen Geschlecht zeigen ein höheres positives Intendiertes Verhalten gegenüber Personen in Wohnungsnot.

H6. Rezipient:innen mit dem sozial männlichen Geschlecht stigmatisieren Personen in Wohnungsnot mehr als Rezipient:innen mit dem sozialen Geschlecht Weiblich, Androgyn oder Undifferenziert.

Es kann kein signifikanter Haupteffekt des sozialen Geschlechts der Rezipient:innen identifiziert werden. Die signifikante Drei-Wege-Interaktion der Abhängigen Variable Emotionale Ausgeglichenheit (siehe Tabelle 7.11) zeigt mittels zweier signifikanter Mittelwertsunterschiede eine erhöhte negative Einstellung von Rezipient:innen mit dem sozialen Geschlecht Maskulin. Zwei weitere signifikante Drei-Wege-Interaktionen bestätigen diese Richtung. Für die Abhängige Variable Soziale Unterstützung zeigen Rezipient:innen mit dem sozialen Geschlecht Androgyn eine erhöhte Forderung nach sozialer Unterstützung für Menschen in Wohnungsnot als Rezipient:innen mit dem sozialen Geschlecht Undifferenziert respektive Maskulin.

Tabelle 7.11 Ergebnisse der Hypothese 6. Vergleichszeichen verdeutlichen die identifizierten Mittelswertsunterschiede der Simple-Effect-Analysen. Mit gekennzeichnete p-Werte dieser Analysen müssen mit Vorsicht interpretiert werden

Die Hypothese H6 kann nur teilweise bestätigt werden. Begrenzt auf spezifische Merkmalskombinationen der drei signifikanten Drei-Wege-Interaktionen weisen Rezipient:innen mit dem sozialen Geschlecht Maskulin eine höhere negative Einstellung gegenüber Menschen in Wohnungsnot auf. Rezipient:innen mit dem sozialen Geschlecht Androgyn zeigen hingegen eine höhere positive Einstellung gegenüber Menschen in Wohnungsnot.

H7. Rezipient:innen ohne Partnerschaft stigmatisieren Personen in Wohnungsnot mehr als Rezipient:innen mit Partnerschaft.

Der signifikante Haupteffekt der Abhängigen Variable Emotionale Ausgeglichenheit (F(1,713) = 4.30; p = .039; η2 = .006) unterstützt die Hypothese H7. Rezipient:innen ohne berichtete Partnerschaft zeigen eine höhere negative Einstellung gegenüber Menschen in Wohnungsnot (M = 2.51 (SD = .82) im Vergleich zu Rezipient:innen mit einer berichteten Partnerschaft (M = 2.40 (SD = .87)). Dieser signifikante Haupteffekt wird durch vier signifikante Drei-Wege-Interaktion (Tabelle 7.12) der Einstellungsvariablen Soziale Distanz und Emotionale Ausgeglichenheit unterstützt. Diese gelten jedoch nur für die jeweilige spezifische Merkmalskombination der Drei-Wege-Interaktionen. Zusätzlich kann für diese signifikanten Drei-Wege-Interaktionen ein nur knapp nicht signifikanter Mittelwertsunterschied beobachtet werden. Die letzte beobachtete signifikante Drei-Wege-Interaktion widerspricht den bisherigen Befunden. Für die Intendierte Unterstützungsbereitschaft kann eine höhere Unterstützungsbereitschaft für Rezipient:innen, die keine Partnerschaft berichtet haben, beobachtet werden. Dieser Effekt wird im Abschnitt 7.4 Diskussion nähergehend analysiert.

Tabelle 7.12 Ergebnisse der Hypothese 7. Vergleichszeichen verdeutlichen die identifizierten Mittelswertsunterschiede der Simple-Effect-Analysen. Mit gekennzeichnete p-Werte dieser Analysen müssen mit Vorsicht interpretiert werden

Die Hypothese H7 kann bestätigt werden. Rezipient:innen, die berichten in einer Partnerschaft zu sein, zeigen eine niedrigere negative Einstellung gegenüber Menschen in Wohnungsnot. Der signifikante Drei-Wege-Effekt einer höheren Intendierten Unterstützungsbereitschaft von Rezipient:innen ohne Partnerschaft schwächt die Befunde jedoch ab

H8. Rezipient:innen mit keinem oder geringem Alkoholkonsum stigmatisieren Personen in Wohnungsnot mehr als Rezipient:innen mit hohem Alkoholkonsum.

Erneut kann ein signifikanter Haupteffekt beobachtet werden (F(2,723) = 4.62; p = .010; η2 = .012). Dieser signifikante Haupteffekt der Abhängigen Variable Intendierte Unterstützungsbereitschaft wird jedoch mittels des Sidak-Post-Hoc-Tests um den Alpha-Fehler korrigiert und weist dann einen knapp nicht signifikanten (p ≤ .10) Mittelwertsunterschied zwischen Keinem Alkoholkonsum und Geringem Alkoholkonsum auf. Rezipient:innen mit Keinem Alkoholkonsum (M = 26.86 (SD = 23.92)) weisen dabei eine höhere Intendierte Unterstützungsbereitschaft gegenüber Menschen in Wohnungsnot auf als Rezipient:innen mit Geringem Alkoholkonsum (M = 22.75 (SD = 21.32)). Die Tendenz der Mittelwertunterschiede ist allerdings konsistent zu den drei gefundenen signifikanten Interaktionen der Abhängigen Variable der Sozialen Unterstützung (Tabelle 7.13). Einschränkend muss erwähnt werden, dass dies – wie bereits mehrfach dargelegt – nur für die jeweiligen spezifischen Merkmalskombinationen der Zwei-Wege- respektive Drei-Wege-Interaktion gilt. Darüber hinaus weist eine signifikante Drei-Wege-Interaktion einen nur knapp nicht signifikanten Mittelwertsunterschied auf, der jedoch die Tendenz der gefundenen Ergebnisse unterstützt. Abschließend muss angemerkt werden, dass verschiedene signifikante Ergebnisse nicht berichtet werden können. Die zufällige Verteilung des Merkmals Alkoholkonsum führt zu Stichprobengrößen n < 20 und somit zum Ausschluss aus der Auswertung.

Tabelle 7.13 Ergebnisse der Hypothese 8. Vergleichszeichen verdeutlichen die identifizierten Mittelswertsunterschiede der Simple-Effect-Analysen. Mit gekennzeichnete p-Werte dieser Analysen müssen mit Vorsicht interpretiert werden.

Die Hypothese H8 kann nicht bestätigt werden. Der Haupteffekt wird nach der Alpha-Fehler-Korrektur knapp nicht signifikant. Unterschiede, die identifiziert werden können, sind darüber hinaus und entgegen der Hypothese zwischen den Ausprägungen Geringer Konsum und Kein Konsum.

H9. Rezipient:innen mit keinem Haustier stigmatisieren Personen in Wohnungsnot mehr als Rezipient:innen mit einem Haustier.

Für keine der Abhängigen Variablen kann ein Haupteffekt des Merkmals ‚Haustier‘ identifiziert werden. Es können jedoch sieben signifikante Drei-Wege-Interaktionen identifiziert werden (Tabelle 7.14). Die drei Interaktionen der Einstellungsvariable Emotionale Ausgeglichenheit weisen, je für spezifische Merkmalskombinationen und äquivalent zur Hypothese, eine höhere negative Einstellung der Rezipient:innen ohne Haustier gegenüber Menschen in Wohnungsnot auf. Diesen Ergebnissen gegenüber stehen die vier signifikanten Interaktionen bezüglich des intendierten Verhaltens. Hier kann ein höheres positives intendiertes Verhalten gegenüber Menschen in Wohnungsnot von Rezipient:innen ohne Haustier beobachtet werden. Für das Intendierte Verhalten, die Intendierte Unterstützungsbereitschaft sowie die Intendierte Spendenbereitschaft können – jeweils für spezifische Merkmalskombinationen – der Hypothese H9 widersprechende Resultate identifiziert werden.

Tabelle 7.14 Ergebnisse der Hypothese 9. Vergleichszeichen verdeutlichen die identifizierten Mittelswertsunterschiede der Simple-Effect-Analysen

Die Ergebnisse können die Hypothese H9 nicht bestätigen. Kein Haupteffekt unterstützt die Hypothese, und die Interaktionseffekte zeigen konträre Ergebnisse.

Mo-H10. Berichten Rezipient:innen von Kontakt mit Personen in Wohnungsnot moderiert dieser Kontakt eine geringere Stigmatisierung von Personen in Wohnungsnot im Vergleich zu Rezipient:innen ohne Kontakt.

Trotz der Hypothese eines Moderator-Effekts der Variable Kontakt kann ein signifikanter Haupteffekt identifiziert werden (F(1,719) = 11.40; p = .008; η2 = .009). Diese unterstützt dabei die Richtung der Hypothese: Kontakt (M = 29.90 (SD = 23.93)) zu Personen in Wohnungsnot führt zu einer höheren Intendierten Unterstützungsbereitschaft. Fünf signifikante Interaktionen (Tabelle 7.15) zeigen ebenfalls eine erhöhte positive Verhaltensintention bei Kontakt und eine erhöhte Soziale Distanz bei keinem Kontakt. Kontakt moderiert dabei die Soziale Distanz des biologischen Geschlechts der Rezipient:innen und die Intendierte Spendenbereitschaft des sozialen Geschlechts der Rezipient:innen. Des Weiteren moderiert Kontakt die Intendierte Spendenbereitschaft der Rezipient:innen gegenüber Menschen in Wohnungsnot generell in Bezug zur Herkunft und Alkoholabhängigkeit der dargestellten Person.

Tabelle 7.15 Ergebnisse der Moderationshypothese 10. Vergleichszeichen verdeutlichen die identifizierten Mittelswertsunterschiede der Simple-Effect-Analysen

Die Hypothese Mo-H10 wird für die zwei Abhängigen Variablen Soziale Distanz und Intendierte Spendenbereitschaft bestätigt. Für die anderen Abhängigen Variablen kann kein moderierender Effekt des Kontakts beobachtet werden.

Me-H11. Die erhöhte Stigmatisierung von weiblichen Personen in Wohnungsnot wird durch die emotionale Reaktion der Rezipient:innen auf die im Stimulus dargestellte Person und die Einstellung gegenüber Menschen in Wohnungsnot mediiert.

Es können keine signifikanten Ergebnisse identifiziert werden. Dementsprechend kann die Hypothese Me-H11 nicht bestätigt werden.

Me-H12. Die erhöhte Stigmatisierung von Personen mit psychischen Auffälligkeiten in Wohnungsnot wird durch die emotionale Reaktion der Rezipient:innen auf die im Stimulus dargestellte Person und die Einstellung gegenüber Menschen in Wohnungsnot mediiert.

Auch für diese Hypothese können keine signifikanten Ergebnisse berichtet werden. Die Hypothese Me-H12 kann somit ebenfalls nicht belegt werden.

Me-H13. Die erhöhte Stigmatisierung von Personen mit Alkoholabhängigkeit in Wohnungsnot wird durch die emotionale Reaktion der Rezipient:innen auf die im Stimulus dargestellte Person und die Einstellung gegenüber Menschen in Wohnungsnot mediiert.

Hayes‘ einfachem Mediations Modell vier (Hayes, 2013, S. 86–89) folgend (Abbildung 7.3), können für die Mediationshypothese Me-H13 verschiedene signifikante Pfade (Tabelle 7.16) festgestellt werden. Insgesamt können dabei vier signifikante Indirekte Effekte beobachtet werden (Pfad a × b). Auf die drei Abhängigen Variablen Intendiertes Verhalten, Intendierte Unterstützungsbereitschaft und Soziale Unterstützungsbereitschaft mediiert die Emotionale Reaktion Pro-Sozial positiv. Das heißt konkret, dass der Effekt eines hohen positiven Intendierten Verhaltens sowie der Effekt einer stärkeren Forderung nach Sozialer Unterstützung für Personeni n Wohnungsnot ohne Alkoholabhängigkeit über die erhöhte Emotionale Reaktion Pro-Sozial mediiert wird. Demgegenüber aber die Hypothese ebenfalls stützend, steht der Effekt des vierten signifikanten Indirekten Effekts. Rezipient:innen weisen gegenüber Personen in Wohnungsnot mit Alkoholabhängigkeit ein geringeres positives Intendiertes Verhalten auf. Dieser Effekt wird mediiert über den Effekt der größeren Emotionalen Reaktion Angst gegenüber der dargestellten Person mit Alkoholabhängigkeit.

Tabelle 7.16 Ergebnisse der Mediationshypothese 13. Der Nicht-Einschluss von Null im Konfidenzintervall und somit ein signifikantes Ergebnis ist mit * gekennzeichnet
Tabelle 7.17 Ergebnisse der Mediationshypothese 15. Der Nicht-Einschluss von Null im Konfidenzintervall und somit ein signifikantes Ergebnis ist mit * gekennzeichnet

Die Hypothese Me-H13 kann zu Teilen bestätigt werden. Die Emotionale Reaktion der Rezipient:innen mediiert die Verhaltensintentionen und die Einstellung gegenüber Personen in Wohnungsnot mit beziehungsweise ohne Alkoholabhängigkeit. Signifikant wird dabei allerdings entgegen der Hypothese der mediierte Effekt einer höheren positiven Verhaltensintention gegenüber Personen ohne Alkoholabhängigkeit in Wohnungsnot.

Me-H14. Die erhöhte Stigmatisierung von Personen der Herkunft Rumänien respektive Syrien in Wohnungsnot wird durch die emotionale Reaktion der Rezipient:innen auf die im Stimulus dargestellte Person und die Einstellung gegenüber Menschen in Wohnungsnot mediiert.

Es können keine signifikanten Indirekten Effekte beobachtet werden. Folglich kann keine Bestätigung der Hypothese Me-H14 dokumentiert werden.

Me-H15. Die erhöhte Stigmatisierung von Personen in Wohnungsnot durch biologisch männliche Rezipienten wird durch die emotionale Reaktion auf die im Stimulus dargestellte Person und die Einstellung gegenüber Menschen in Wohnungsnot mediiert.

Einzelne Pfade des Modells (Abbildung 7.4) sowie vier Indirekte Effekte weisen Signifikanzen auf (Tabelle 7.17). Die vier Indirekten Effekte bestätigen erneut den Mediator Emotionale Reaktion. Biologisch weibliche Rezipientinnen zeigen über eine erhöhte Emotionale Reaktion Pro-Sozial eine erhöhte positive Verhaltensintention sowie eine stärkere Forderung nach Sozialer Unterstützung gegenüber respektive für Menschen in Wohnungsnot. Zusätzlich zeigt ein signifikanter Indirekter Effekt eine Mediation über die Emotionale Reaktion Angst. Biologisch weibliche Rezipientinnen zeigen über eine erhöhte Emotionale Reaktion Angst eine erhöhte Intendierte Unterstützungsbereitschaft. Die Bedeutung dieses Befundes wird in Abschnitt 7.4 Diskussion dargelegt.

Abbildung 7.3
figure 3

Hayes’ (2013) Modell 4 der Mediationseffekte adaptiert für die Mediationshypothese H13

Abbildung 7.4
figure 4

Hayes’ (2013) Modell 4 der Mediationseffekte adaptiert für die Mediationshypothese H15

Die Hypothese Me-H15 kann partiell bestätigt werden. Entgegen dem Postulat weisen jedoch biologisch männliche Rezipienten keine höheren Stigma bezogenen Werte auf. Allerdings weisen biologisch weibliche Rezipientinnen niedrigere Stigma bezogenen Werte auf. Eine Mediation über die Einstellung gegenüber Personen in Wohnungsnot auf die Verhaltensintention wird nicht identifiziert.

Me-H16. Die erhöhte Stigmatisierung von Personen in Wohnungsnot durch sozial männliche Rezipienten wird durch die emotionale Reaktion auf die im Stimulus dargestellte Person und die Einstellung gegenüber Menschen in Wohnungsnot mediiert.

Mediierte Effekte des sozialen Geschlechts der Rezipient:innen in Bezug auf Personen in Wohnungsnot können nicht identifiziert werden. Die Hypothese Me-H16 kann demzufolge nicht bewiesen werden.

7.4 Diskussion

Die Befunde verdeutlichen die Bedeutung der Intersektionalitätshypothese. Die vorab als relevant identifizierten Merkmale von Personen in Wohnungsnot – Geschlecht, Gesundheit sowie Herkunft – bewirken signifikante Ergebnisse. Jedoch können erstens keine Haupteffekte, sondern nur Interaktionseffekte identifiziert werden. Zweitens entsprechen die Ergebnisse teilweise nicht den Hypothesen. Die Bedeutung von Merkmalen der Stigmatisierenden respektive Rezipient:innen kann ebenfalls bestätigt werden. Das Geschlecht sowie die Partnerschaft der Rezipient:innen erzeugen signifikante Effekte. Indes sind alle weiteren beobachteten signifikanten Effekte der Merkmale der Stigmatisierenden Interaktionseffekte. Die positive und de-stigmatisierende Wirkung von Kontakt kann bestätigt werden. So ist beispielsweise die Intendierte Spendenbereitschaft bei Kontakt bis zu 40 Euro höher im Vergleich zu keinem Kontakt. Auch die Bedeutung von Emotionen, als mediierender Effekt im Prozess von Stigmatisierung, wird bestätigt.

Im weiteren Verlauf des Kapitels werden die Ergebnisse der Untersuchung zur Öffentlichen Stigmatisierung prägnant zusammengefasst. Die Zusammenfassung geschieht in der Reihenfolge der Hypothesen – beginnend mit den Effekten der Merkmale der Personen in Wohnungsnot, daran anschließend die Effekte der Merkmale der Stigmatisierenden respektive Rezipient:innen und abschließend die moderierten und mediierten Prozesse von Stigmatisierung. Die Darstellung der Implikationen der Ergebnisse gliedert sich in drei Bereiche. Beginnend mit den Implikationen für die Multi-Methoden-Untersuchung folgt anschließend die kurze Erläuterung der Implikationen für das Hilfesystem der Wohnungslosenhilfe. Abschließend werden drittens die Implikationen für die Medienwirkungsforschung dargelegt. Das gesamte Kapitel zur Untersuchung der Öffentlichen Stigmatisierung schließend, werden die Limitationen der Studie beschrieben.

Die Bedeutung der vorab als relevant identifizierten Merkmale der Personen in Wohnungsnot kann bestätigt werden. Jedoch, und das muss betont werden, können nur Interaktionseffekte identifiziert werden. Das heißt konkret, dass beispielsweise das Geschlecht von Menschen in Wohnungsnot nur in der Kombination mit anderen Merkmalen einen Effekt erzielt. Diese Interaktionseffekte bestätigen indessen die Annahmen der Intersektionalitätshypothese: eine Verwobenheit und ein Zusammenwirken beziehungsweise Sich-gegenseitig-Beeinflussen der verschiedenen Merkmale.

In verschiedenen Interaktionseffekten – und somit nur für spezifische Merkmalskombinationen – können folgende Effekte bezüglich Menschen in Wohnungsnot identifiziert werden:

  • Frauen werden mehr stigmatisiert

  • Menschen mit psychischen Auffälligkeiten werden weniger stigmatisiert

  • alkoholabhängige Menschen werden mehr stigmatisiert

Effekte der Herkunft von Menschen in Wohnungsnot können zwar bestätigt werden, diese sind allerdings konträr.

Die Haupteffekte vom biologischen Geschlecht der Rezipient:innen und dem Beziehungsstatus unterstützen die vorab formulierten Hypothesen. Zusätzlich werden verschiedene Interaktionseffekte mit ihren spezifischen Merkmalskombinationen signifikant. Verkürzt können folgende Effekte bezüglich der Merkmale der Rezipient:innen und ihrer Wirkung auf Personen in Wohnungsnot berichtet werden:

  • biologisch männliche Personen stigmatisieren mehr

  • sozial männliche Personen stigmatisieren mehr (gleichzeitig zeigen Androgyne Personen mehr Forderung nach Sozialer Unterstützung)

  • Personen ohne Partnerschaft zeigen mehr Soziale Distanz und eine negativere Einstellung (jedoch ebenso eine höhere Unterstützungsbereitschaft)

Die Effekte des Alkoholkonsums der Rezipient:innen sowie des Haustierbesitzes zeigen inkonsistente Ergebnisse. Die Besonderheiten von Partnerschaft sowie dem Sozialen Geschlecht werden im weiteren Verlauf des Kapitels diskutiert. Angemerkt werden muss auch hier, dass die gefundenen Effekte ganz im Sinne der Intersektionalitätshypothese nur im Zusammenwirken spezifischer Merkmalskombinationen der Interaktionseffekte berichtet werden können.

Kontakt kann als Moderator bestätigt werden. Ein Haupteffekt von Kontakt auf die Intendierte Unterstützungsbereitschaft bestätigt darüber hinaus die Bedeutung von Kontakt beim Prozess der Stigmatisierung sowie den Nutzen von Kontakt bei Interventionen und Destigmatisierungskampagnen.

Die mediierende Wirkung von Emotionen im Prozess von Stigmatisierung kann für alkoholabhängige Menschen in Wohnungsnot sowie das biologische Geschlecht der Rezipient:innen bestätigt werden. Bei alkoholabhängigen Menschen in Wohnungsnot mediiert ein Mehr der Emotion Angst eine geringere positive Verhaltensintention. Im Gegensatz dazu mediiert ein Mehr der Emotion Pro-Sozial bei Menschen ohne Alkoholabhängigkeit in Wohnungsnot eine höhere positive Verhaltensintention, eine höhere Unterstützungsbereitschaft sowie die Forderungen nach einer größeren Sozialen Unterstützung. Für das biologische Geschlecht zeigen die Mediationen über ein Mehr der Emotion Pro-Sozial bei biologisch weiblichen Rezipient:innen eine positivere Verhaltensintention sowie eine größere Forderung nach sozialer Unterstützung. Gleichzeitig mediiert ein Mehr der Emotion Angst bei biologisch weiblichen Rezipient:innen eine größere Intendierte Unterstützungsbereitschaft.

Zusätzlich können weitere bedeutende Ergebnisse respektive Besonderheiten beobachtet werden. Die höchst signifikante mittelstarke bis starke Korrelation der Emotionen Angst und Pro-Sozial wird durch die signifikanten Korrelationen von Angst mit der Forderung nach Sozialer Unterstützung sowie der Intendierten Unterstützungsbereitschaft unterstützt. Es besteht somit die begründete Annahme, dass die Emotion Angst zu einem höheren positiven intendierten Verhalten gegenüber Menschen in Wohnungsnot führt. Gestützt wird diese Annahme über die Befunde zur mediierenden Wirkung von Emotionen im Prozess von Stigmatisierung. Allerdings kann diese Mediation der Emotion Angst nur für biologisch weibliche Rezipient:innen nachgewiesen werden.

Der Effekt einer Partnerschaft der Rezipient:innen kann bewiesen werden. Ein besseres Verständnis über die Wirkung von Partnerschaft auf Stigmatisierungsprozesse ergibt sich hingegen nicht. Auch die gefundenen Ergebnisse werfen weitere Fragen auf, die jedoch auf eine Bedeutung des biologischen Geschlechts der stigmatisierten Person hinweisen. Vermutet wird, ausgehend von der Verteilung des biologischen Geschlechts der Stichprobe (ca. 65 % Männer), dass die (hauptsächlich männlichen) Rezipient:innen ohne Partnerschaft bei der Darstellung weiblicher Personen diese geringer stigmatisieren, um möglicherweise die Chancen auf eine Partnerschaft respektive Beziehung zu erhöhen. Gestützt wird diese Vermutung durch drei signifikante Interaktionseffekte der Intendierten Unterstützungsbereitschaft. Entgegen der Hypothese 1 wird eine erhöhte Intendierte Unterstützungsbereitschaft gegenüber weiblichen Personen in Wohnungsnot identifiziert werden. Konträr zu den weiteren Ergebnissen der Hypothese 4 wird eine höhere Intendierte Unterstützungsbereitschaft gegenüber weiblichen rumänischen Personen in Wohnungsnot beobachtet. Für die Hypothese 7 ist der einzig gefundene positive Effekt die Intendierte Unterstützungsbereitschaft von Rezipient:innen ohne Partnerschaft gegenüber weiblichen Personen in Wohnungsnot. Dieser Effekt ist ebenso konträr zu den anderen signifikanten Ergebnissen sowie der formulierten Hypothese. Es kann angenommen werden, dass die (hauptsächlich männlichen) Rezipient:innen sich höhere Chancen auf eine Partnerschaft respektive Beziehung erhoffen, wenn die dargestellten Personenmerkmale in besonderem Maße stigmatisiert und abgewertet werden. Diese Vermutung bezieht sich jedoch lediglich auf drei signifikante Interaktionseffekte der Intendierten Unterstützungsbereitschaft mit jeweils spezifischen Merkmalskombinationen.

Interessant sind die gefundenen signifikanten Effekte des Haustierbesitzes der Rezipient:innen. Zum einen, weil diese scheinbar unwichtige Information die dargestellte Person in Wohnungsnot besitzt einen Hund in Kombination mit dem Haustierbesitz der Rezipient:innen insgesamt sieben signifikante Interaktionseffekte ergibt. Und zum anderen, weil Haustierbesitzer:innen zwar positiver eingestellt sind bezüglich Menschen in Wohnungsnot, jedoch ein negativeres intendiertes Verhalten gegenüber Menschen in Wohnungsnot aufzeigen als Rezipient:innen ohne Haustier. Zur Erklärung dieser Ambivalenz der Ergebnisse kann die Hypothese formuliert werden, dass Rezipient:innen mit einem Haustier Personen in Wohnungsnot abwerten, weil ansonsten die Gefahr einer in-group-Destinktion bestehen würde. Des Weiteren, so die Hypothese, stigmatisieren die Rezipient:innen Personen in Wohnungsnot, weil sich diese nicht ausreichend um ihre Hunde kümmern. Zugleich sprechen Rezipient:innen mit einem Haustier Menschen in Wohnungsnot mit einem Hund eine größere emotionale Ausgeglichenheit zu. So kann angenommen werden, dass Rezipient:innen mit einem Haustier eine mögliche eigene emotionale Ausgeglichenheit auf Menschen in Wohnungsnot mit einem Hund übertragen, trotz der Abwertung aufgrund einer möglichen in-group-Destinktion.

Die Möglichkeit einer in-group-Destinktion scheint jedoch für Rezipient:innen deutlich stärker ausgeprägt zu sein, sodass diese Rezipient:innen Menschen in Wohnungsnot im Endeffekt stärker abwerten und stigmatisieren als Rezipient:innen ohne Haustier.

Die aus den Ergebnissen resultierenden Implikationen können drei Bereichen zugeordnet werden. So müssen die Ergebnisse in der Multi-Methoden-Untersuchung verortet werden. Dabei gilt es, sowohl erste Fragen beantworten zu können, als auch, neue Fragen für die folgenden Studien der Multi-Methoden-Untersuchung zu identifizieren und formulieren. Des Weiteren müssen die Befunde hinsichtlich ihrer Bedeutung für Menschen in Wohnungsnot und das Hilfesystem überprüft werden. Analog zur Forschungsfrage liegt das Interesse auf Stigmatisierung und Teilhabe sowie der Fokus auf Geschlecht und Gesundheit. Schließlich liefern die Ergebnisse Erkenntnisse für die Medienwirkungsforschung, die ebenfalls knapp dargestellt werden sollen.

Multi-Methoden-Untersuchung

Alle vorab identifizierten Kategorien (Geschlecht, psychische Gesundheit, Alkoholabhängigkeit und Herkunft) erweisen sich als relevant für Stigmatisierungsprozesse. Allerdings müssen die Kategorien in ihrem Zusammenwirken betrachtet werden. Bei der isolierten Betrachtung der Kategorien können keine Effekte beobachtet werden. Diese Ergebnisse unterstützen Crenshaws Intersektionalitätshypothese (1989) und deren Postulat des Zusammenwirkens einzelner Ungleichheitsdimensionen (siehe Kapitel 2 Theoretischer Bezugsrahmen: Intersektionalität). Die angenommene Komplexität von Stigmatisierungsprozessen (siehe Abschnitt 3.8.1 Stigmatisierung) wird durch die gewonnenen Erkenntnisse bestätigt. Die Merkmale der Rezipient:innen respektive der Stigmatisierenden haben einen bedeutenden Einfluss auf die Stigmatisierungsprozesse. Für ein besseres Verständnis der Prozesse von Stigmatisierung müssen nicht nur die Interaktionen der Kategorien auf Seiten der Stigmatisierten, hier Menschen in Wohnungsnot, und die Interaktionen der Merkmale der Stigmatisierenden (Rezipient:innen), sondern auch deren Interaktionen untereinander betrachtet werden.

Kontakt als bedeutender Moderator für eine geringere Stigmatisierung konnte bestätigt werden. Auch wenn die Befunde nicht eindeutig sind (Björkman et al., 2008, S. 171) kann, konsistent zu diesen Befunden, in der Literatur eine Stigmatisierung von Menschen mit psychischen Auffälligkeiten durch medizinisches Personal festgestellt werden (P. W. Corrigan, 2000, S. 48–49; Filipčić et al., 2003; Harangozo et al., 2014; Liggins & Hatcher, 2005; Schulze & Angermeyer, 2003).

Der Einfluss vom Emotionen innerhalb von Stigmatisierungsprozessen kann bestätigt werden (P. W. Corrigan, 2000, S. 54–55). Auch unterstützt über eine signifikant starke Korrelation der Emotion Angst mit Intendierter Unterstützungsbereitschaft sowie der Forderung nach sozialer Unterstützung, kann eine mediierende Wirkung der Emotion Angst festgestellt werden. Entgegen der Annahme (Ewalds-Kvist et al., 2013, S. 367) führt eine erhöhte Angst bei biologisch weiblichen Rezipient:innen zu einem erhöhten positiven intendierten Verhalten.

Gesonderter Aufmerksamkeit muss den im Fokus der Multi-Methoden-Untersuchung stehenden Kategorien Geschlecht und Gesundheit zukommen. Das biologische Geschlecht wirkt sowohl als Merkmal der Stigmatisierten sowie der Stigmatisierenden. Verkürzt dargestellt, mündet es in den Aussagen, dass weibliche Personen in Wohnungsnot mehr stigmatisiert werden und männliche Rezipient:innen mehr stigmatisieren. Die Bestätigung einer größeren Stigmatisierung von Frauen in Wohnungsnot unterstützt die Annahme, dass Frauen in Wohnungsnot, insbesondere in der extremsten Form der Obdachlosigkeit, nicht den Rollenerwartungen und somit nicht der Norm entsprechen. Die Möglichkeit, das soziale Geschlecht der Rezipient:innen in ihrer vierstufigen Ausprägung zu erheben, ermöglicht einen differenzierten Blick auf das Ergebnis einer erhöhten Stigmatisierung von männlichen Rezipient:innen. Zwar ist die Tendenz des sozialen Geschlechts der Tendenz des biologischen Geschlechts ähnlich – männliche Rezipient:innen stigmatisieren mehr –, dennoch können Unterschiede identifiziert werden. Zwar zeigen Rezipient:innen mit einem hohen Maskulinitäts-Wert eine negativere Einstellung als Rezipient:innen ohne hohen Maskulinitätswert oder mit hohem Femininitäts-Wert, jedoch zeigen gleichzeitig Rezipient:innen mit einem hohen Maskulinitätswert und gleichzeitig hohem Femininitäts-Wert (Androgyn) ein erhöhtes positives intendiertes Verhalten. Weisen Rezipient:innen demnach hohe Maskulinitäts-Werte und gleichzeitig hohe Femininitäts-Werte auf, stigmatisieren diese weniger als Rezipient:innen mit geringem Maskulinitätswert und oder geringen Femininitäts-Wert.

Die Bedeutung der Gesundheit wird mittels der Effekte der dargestellten Person mit psychischen Auffälligkeiten und der Effekte der dargestellten Person mit Alkoholabhängigkeit bestätigt. Obwohl beide Darstellungsformen psychischer Gesundheit zugerechnet werden können, unterscheiden sich die gefundenen Effekte. Die Darstellung psychischer Auffälligkeit führt zu einer geringeren Stigmatisierung im Vergleich zur Darstellung einer Person ohne psychische Auffälligkeit. Demgegenüber führt die Darstellung einer Alkoholabhängigkeit zu einer größeren Stigmatisierung im Vergleich zur Darstellung einer Person ohne Alkoholabhängigkeit. Eine Erklärung für die gegenläufigen Befunde liefert Weiners Attributionstheorie (1995). Menschen in Wohnungsnot mit einer Alkoholabhängigkeit wird die Selbstverantwortung für ihre Situation zugeschrieben, wohingegen Menschen in Wohnungsnot mit psychischer Auffälligkeit zugeschrieben wird, gerade nicht mehr selbstverantwortlich für ihre Lebenssituation zu sein.

Was sind nun die Implikationen der Ergebnisse für die Multi-Methoden-Untersuchung?

Ausgehend vom intersektionalen Zusammenwirken der verschiedenen Kategorien stellt sich die Frage, ob sich das Hilfesystem dieses Zusammenwirkens bewusst ist. Die Öffentliche Stigmatisierung ist zentral für Stigmatisierungsprozesse (siehe Abschnitt 3.8.1 Stigmatisierung). Die Frage, wie die identifizierten Stigmatisierungsprozesse im Hilfesystem wirken und somit Teilhabe maßgeblich beeinflussen, muss im weiteren Verlauf der Multi-Methoden-Untersuchung erfasst werden. Dabei muss untersucht werden, ob die festgestellten Effekte bestätigt werden können. Können die Effekte bestätigt werden, sollen vertiefende Erkenntnisse über den Stigmatisierungsprozess gewonnen werden. Nach dem Verständnis von Stigmatisierung haben die in dieser Studie gefundenen öffentlichen Stigmatisierungsprozeese Auswirkungen auf das Hilfesystem und die darin agierenden Akteur:innen. Demnach muss geprüft werden, ob auch im Hilfesystem Stigmatisierungen beobachtet werden können und wie die einzelnen Akteur:innen mit dem Stigma durch Verbindung sowie Selbststigma umgehen. Überprüft werden müssen die Ergebnisse einer höhen Abwertung gegenüber Frauen, die positive Auswirkung einer psychischen Auffälligkeit sowie die negative Auswirkung einer Alkoholabhängigkeit und deren Verbindung mit Emotionen. Schließlich muss untersucht werden, ob eine Bestätigung des positiven Effekts des Kontakts identifiziert werden kann.

Hilfesystem

Den Ergebnissen zur Untersuchung der Öffentlichen Stigmatisierung können erste Implikationen für das Hilfesystem der Wohnungslosenhilfe entnommen werden. Aufgrund des bewiesenen Zusammenwirkens der verschiedenen Kategorien muss das Hilfesystem die Lebenslagen von Menschen in Wohnungsnot als komplexes intersektionales Zusammenwirken verstehen. Das heißt konkret, dass dieses intersektionale Zusammenwirken der verschiedenen Kategorien Berücksichtigung bei der Gestaltung zum Zugang und Ausgestaltung der Hilfen finden muss.

Die Bestätigung der Wirkung eines Zeitungsartikels insbesondere auf die Spenden- und Unterstützungsbereitschaft zeigt die Relevanz, die die Berichterstattung über Menschen in Wohnungsnot hat. Das Hilfesystem muss, bezugnehmend auf ihre Rolle und ihren Auftrag als anwaltliche Interessensvertretung (R. Lutz & Simon, 2017, S. 215–217), zum einen auf die aktuelle Medienberichterstattung im Sinne der Kultivierungshypothese (Bonfadelli & Friemel, 2017, S. 252–263; Wirtz, 2017, S. 965) einwirken und zum anderen Interventions- und Destigmatisierungskampagnen initiieren. In besonderem Maße muss dabei das derzeit vorherrschende medial verzerrte Bild von Menschen in Wohnungsnot – als obdachlos, kriminell, gefährlich, alkoholsüchtig, etc. (Link et al., 1995, S. 533–536; Wolf, 2016, S. 8–12) – zu einem realistischen und differenzierten Bild verändert werden. Des Weiteren könnten Interventions- und Destigmatisierungskampagnen die Akzeptanz und Unterstützung für das Hilfesystem und konkrete Hilfeeinrichtungen erhöhen.

Die öffentliche, stigmatisierende Wahrnehmung kann im Sinne der Labeling-Theorie (Goffman, 1972, S. 170; Link et al., 1989; Rüsch, 2010, S. 288–290) zu der Auf- und Übernahme zugeschriebenen Verhaltens und Erscheinens sowie einem Selbststigma führen. Diese Prozesse müssen dem Hilfesystem ebenfalls bewusst sein, denn es muss sich fragen, was das ursprüngliche Verhalten von Menschen in Wohnungsnot und was die Übernahme von erwartetem Verhalten von Menschen in Wohnungsnot ist. Selbststigma kann mit Scham und geringerem Antrieb zur Hilfesuche einhergehen und hat damit konkrete Auswirkungen auf den Hilfeprozess.

Der positive Effekt einer psychischen Auffälligkeit bezüglich der Stigmatisierung gegenüber Menschen in Wohnungsnot bedarf einer kritischen Betrachtung. Ein möglicher Fokus auf eine psychische Auffälligkeit, auch als Grund für die Wohnungsnot, könnte, folgt man den Ergebnissen der Untersuchung, zu einer geringeren Stigmatisierung von Menschen in Wohnungsnot führen. Ein solcher Fokus ist jedoch aufgrund der in der Vergangenheit aufgetretenen maximal negativen Auswirkung von Wohnungsnot – Individualisierung, Hospitalisierung und im äußersten die Ermordung sogenannten „unwerten Lebens“ in der Zeit der Nationalsozialistischen Diktatur (Giffhorn, 2017b, S. 278–279 siehe auch Abschnitt 3.6 Das Hilfesystem für Wohnungsnot) – höchst problematisch. Auch in der heutigen Zeit besteht die Tendenz einer Individualisierung der Problemlagen von Menschen in Wohnungsnot (siehe ebenfalls Abschnitt 3.5 Erklärungsansätze von Wohnungsnot), die durch die Betonung einer psychischen Auffälligkeit verstärkt werden könnte. Die Prävalenz psychischer Auffälligkeiten bei Menschen in Wohnungsnot ist nicht einwandfrei bewiesen und höchst umstritten (Busch-Geertsema, 2018a). Auch der hier gefundene positive Effekt einer psychischen Auffälligkeit bedarf einer weiteren ausgiebigen und vertiefenden Forschung, widersprechen die Befunde doch den bisherigen und gut gesicherten Erkenntnissen einer hohen Stigmatisierung von psychischen Auffälligkeiten (P. W. Corrigan, 2000, S. 48–49).

Medienwirkungsforschung

Auch für die Medienwirkungsforschung ergeben sich Implikationen. Die Bestätigung des Fallbeispieleffektes (Zillmann & Brosius, 2000) und die identifizierten Effekte von Haustierbesitz und insbesondere Partnerschaft der Rezipient:innen lenken den Blick auf un-intendierte Effekte von Medienbotschaften (Meitz & Kalch, 2019, S. 384). Um solche nicht beabsichtigten Effekte zu minimieren, bedarf es gezielterer Botschaften und auf Rezipient:innen individuell zugeschnittene Botschaftsmerkmale (Noar et al., 2009, S. 74–77; Weber & Fahr, 2013, S. 347–349). Ob jedoch individuell auf die Rezipient:innen zugeschnittene Botschaften erstens möglich sind, und zweitens, ob sie die gewünschten Effekte erzielen, ist trotz der Annahme eines Effekts auf den Präsidentschaftswahlkampf von 2016 in den USA nicht endgültig bewiesen (Chester & Montgomery, 2017; Odzuck, 2020).

Die Bedeutung von Emotionen bei Stigmatisierungsprozessen sowie bei Medienbotschaften ist hinlänglich bewiesen. Auch wenn nicht als Furchtappel (siehe O'Keefe, 2016, 228–223) formuliert, konnte die Emotionale Reaktion Angst in der vorliegenden Studie, wie im Kontext von Stigmatisierungsprozessen erwartet, identifiziert und als Mediator bestätigt werden. Zur Einordnung der Befunde der Studie – eine erhöhte Angst und daraus resultierend erhöhte positive Verhaltensintention von biologisch weiblichen Rezipient:innen – auch im Kontext von Furchtappellen bedarf es jedoch weiterer Forschung.

Limitationen

Die Aussagekraft der Ergebnisse einschränkend müssen verschiedene Limitationen der Studie erwähnt werden. Die Homogenität der Stichprobe muss als deutliche Limitation angesehen werden. Aufgrund des geringen sowie des einheitlichen Alters (MW = 20.35; SD = 2.99) und des hohen Bildungsgrades können die Ergebnisse insgesamt nur mit Einschränkungen als repräsentativ betrachtet werden. Der häufige berichtete Kontakt der Stichprobe mit Menschen in Wohnungsnot stellt sich, im Vergleich zu anderen Untersuchungen mit Bezug auf Menschen in Wohnungsnot (Frank-Landkammer, 2008, S. 12), als äußert unwahrscheinlich dar. Zu erklären ist dies entweder über den verzerrenden Effekt einer ungewöhnlichen Stichprobe oder fälschlichen Angaben der Rezipient:innen. Die Ergebnisse für den Moderator Kontakt müssen somit mit Vorsicht interpretiert werden.

Die Entscheidung als Fallbeispiel des Stimulusmaterials, eine Person in Obdachlosigkeit zu wählen, hatte insbesondere pragmatische Gründe (siehe Abschnitt 7.2.2 Instrument). Als extremste Form von Wohnungsnot wird die Übertragbarkeit der Ergebnisse für Personen in Obdachlosigkeit auf die gesamte Gruppe der Menschen in Wohnungsnot angenommen. Lediglich die Einschränkung einer geringeren Effektgröße wird vermutet und hingenommen.

Die Messung von Stigmatisierung in einem experimentellen Design kann mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen und unter Einbezug ethischer Bedenken nur in Form des intendierten Verhaltens sowie von Einstellungsvariablen erfolgen (siehe Bonfadelli & Friemel, 2017, S. 143–145). Dabei muss eine Verzerrung der Ergebnisse mittels sozial erwünschter Antworten erwartet werden (Bierhoff & Petermann, 2014, S. 128–129). Der Effekt sozial erwünschter Antworten wird jedoch als klein und hinnehmbar bewertet. Auch die gefundenen Effekte hinsichtlich Stigmatisierung weisen auf einen geringen Effekt sozial erwünschter Antworten hin. Ohne eine Verzerrung würden die gefundenen Effekte dementsprechend größer ausfallen. Des Weiteren bleibt fraglich, ob die sechs benützten Skalen (drei Skalen zur Einstellung sowie drei Skalen zum intendierten Verhalten) zur Erfassung von Stigmatisierung gleichzusetzen sind mit realer Stigmatisierung. Aufgrund der Komplexität von Stigmatisierungsprozessen sowie der gefundenen Ergebnisse muss das Verfahren als bestmögliche Variante zur Erfassung von Stigmatisierung betrachtet werden. Eine Erfassung tatsächlicher Stigmatisierung ist erstrebenswert, jedoch aufgrund der Vielschichtigkeit des Phänomens nur schwer umzusetzen.

Abschließend muss erwähnt werden, dass nur kurzfristige Effekte gemessen werden und keine langfristigen Effekte gemessen werden konnten. Die langfristige Wirkung von Fallbeispielen unter bestimmten Bedingungen kann zwar angenommen werden (Zillmann, 2006), bedarf jedoch weiterer Forschung.