Zusammenfassung
Der Beitrag widmet sich der Auseinandersetzung der Zweiten Generation der bundesrepublikanischen Soziologie mit der linken Studentenbewegung der Jahre um 1968. Mithilfe des Konzepts der »Generationalität« wird aufgezeigt, wie die Konfrontation mit den »68ern« bei deren Gegnern innerhalb der Hochschullehrerschaft die eigene generationelle Identitätsbildung als »45er« intensivierte. Zugleich forcierte der Konflikt mit der Studentenbewegung die innere Ausdifferenzierung des »45er«-Generationszusammenhangs in multiple Generationseinheiten. Wie der Beitrag herausarbeitet, war der hochschulpolitische Konflikt von »1968« nicht nur ein Zusammenstoß zwischen Studierenden und Professoren, sondern maßgeblich auch ein Hegemonialkampf innerhalb der Professorenschaft selbst, wobei stets auch wissenschaftliche Kontroversen und fachpolitische Konkurrenzen mitverhandelt und mitentschieden wurden. Konkret demonstriert der Beitrag dies am Beispiel der Soziologen Friedrich H. Tenbruck, Erwin K. Scheuch und Walter Rüegg, deren Reaktionen auf die Studentenbewegung vor dem Hintergrund ihrer wissenschaftlich-intellektuellen Auseinandersetzung mit der Frankfurter Schule neu interpretiert werden. Beleuchtet werden dabei zugleich zentrale Ereignisse in der Geschichte der bundesrepublikanischen Soziologie der 1960er und 1970er Jahre, wie der Frankfurter Soziologentag 1968, die Konflikte innerhalb der DGS in den späten 1960er Jahren, oder das Engagement führender Soziologen im Bund Freiheit der Wissenschaft (BWF) in den 1970er Jahren.
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Notes
- 1.
Zit. nach: Der Spiegel Nr. 19/1969 (05.05.1969), »Keine Angst vor dem Elfenbeinturm« (Interview mit Adorno).
- 2.
Zit. nach Kölner Stadt-Anzeiger vom 28.07.1977, »Professor wird zur Zielscheibe. Vom liberalen Idol zum Buhmann der Linken«.
- 3.
Brief Scheuch an Tenbruck vom 29.12.1967, in: Universitätsbibliothek Trier, Friedrich-H.-Tenbruck-Archiv, Abt. 2 C 25, Nr. 125.
- 4.
Der Spiegel Nr. 22/1968 (27.05.1968), »Menschen mit Störungen«.
- 5.
Zit. nach Der Spiegel Nr. 17/1968 (22.04.1968), »So finster«.
- 6.
Frankfurter Rundschau vom 13./14.04.1968, »Professoren warnen Studenten vor Gewalt-Aktionen«; Der Spiegel Nr. 17/1968 (22.04.1968), »So finster«; Günter Zehm, »Im gröbsten Getümmel wie eine Eins«, in: Die Welt vom 09.06.1988.
- 7.
Erwin K. Scheuch, Entwicklungshilfe für DM 80.000. Zum 20. Deutschen Soziologentag in Bremen, in: Die Welt vom 16.09.1980.
- 8.
Brief Tenbruck an Scheuch vom 03.04.1979, in: Universitätsbibliothek Trier, Friedrich-H.-Tenbruck Archiv, Abt. 2 C 25, Nr. 134.
- 9.
Brief Tenbruck an Scheuch vom 07.04.1980 (mit Anlagen), in: Universitätsbibliothek Trier, Friedrich-H.-Tenbruck-Archiv, Abt. 2 C 25, Nr. 135; Brief Tenbruck an Scheuch vom 16.06.1980, in: Universitätsbibliothek Trier, Friedrich-H.-Tenbruck-Archiv, Abt. 2 C 25, Nr. 137; Brief Scheuch an Tenbruck vom 03.07.1981, in: Universitätsbibliothek Trier, Friedrich-H.-Tenbruck-Archiv, Abt. 2 C 25, Nr. 142.
- 10.
Zit. nach Kölner Stadt-Anzeiger vom 28.7.1977, »Professor wird zur Zielscheibe: Vom liberalen Idol zum Buhmann der Linken«.
- 11.
Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 15.10.2003, »Heimatgefühle im Soziotop«; tageszeitung vom 15.10.2003, »Gegen den Klüngel«.
- 12.
Der Spiegel Nr. 29/1997 (14.07.1997), »Stimme vom Stammtisch«.
- 13.
Brief Tenbruck an Häuser vom 23.01.1980, in: Universitätsbibliothek Trier, Friedrich-H.-Tenbruck Archiv, Abt. 2 C 9, Nr. 80.
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