1 Unternehmensprofil

Die Firma MultiProfil GmbH & Co. KG ist ein mittelständisches Unternehmen mit ca. 100 Mitarbeitern. Das Unternehmen ist im Bereich der auftragsbezogenen Fertigung von folienummantelten Profilen für vielseitige Wohnbereiche und auch Rahmentüren tätig. Vervollständigt wird das Programm durch komplette Möbelkomponenten.

Im Bereich Profile erstrecken sich die Anwendungen von Griffleisten über Bettseiten bis zu Kranzprofilen und Rahmenprofilen. Darüber hinaus werden Bilderrahmenprofile sowie Aluminiumprofile produziert. Bei den Rahmenprofilen sind Füllungen aus Glas und Spiegel sowie Holz inklusive individuelle Designs möglich.

Die Herstellung der verschiedenen Möbelkomponenten erfolgt zum größten Teil in der eigenen Produktionshalle. In der Produktion werden aus Großformatplatten in einzelnen Arbeitsschritten individuelle Profile hergestellt; dabei ist fast jede Form der Ummantelung mit den unterschiedlichsten Materialien möglich, auch die Vielfalt in Dekor und Farbe lässt fast keine Wünsche offen. Im Anschluss an das Ummanteln folgen, je nach Anforderung diverse maschinelle Bearbeitungsschritte, von einfachem Ablängen der Leisten bis hin zu CNC-Fräsen und Bohren sowie Einbringen diverser Beschläge. Ein Teil der hergestellten Komponenten wird direkt für die Lieferung an Möbelhäuser etc. verpackt.

2 Ausgangslage/Problemstellung im Unternehmensumfeld

Die MultiProfil GmbH & Co. KG ist im Laufe der Jahre von einem Handwerksbetrieb zu einem Industrieunternehmen gewachsen. Einher mit dem Wachstum gingen vielfältige neue Herausforderungen und Anforderungen, denen sich das Unternehmen erfolgreich gestellt hat und stellt. Dieses Wachstum zeichnet sich auch in der IT-Struktur des Unternehmens ab. Bedingt durch das Wachstum wurde die bestehende, mittlerweile stark veraltete ERP-Lösung in den Jahren um vielfältige Erweiterungen ergänzt und stößt mittlerweile an ihre Grenzen.

Mit einer kontinuierlichen Anpassung an die sich ständig verändernden Einflüsse (durch bspw. Kunde, Wettbewerb, Markt und Technologie) kommt es zu einem steigenden Koordinationsaufwand des Auftragsabwicklungsprozesses. Dies macht sich in der komplexer werdenden Verwaltung, Planung und Produktion bemerkbar und folglich auch in der Produktionsplanung und -steuerung. Die Folge sind schlecht überschaubare und schwer verständliche Strukturen und Prozesse, die anhand der vorhandenen Möglichkeiten nur noch schwer überblickt werden können.

Die Abläufe im Unternehmen sind wenig transparent; sich einen Gesamtüberblick über die Unternehmensabläufe zu verschaffen, ist nicht einfach. Die einzelnen Bereiche agieren teils mit unterschiedlichen Programmen oder mit einfachen Tabellen. Um dies zu ändern, ist eine schnittstellenübergreifende Digitalisierung vorangetrieben worden, damit jeder Mitarbeiter bestmöglich über die Unternehmensabläufe informiert ist und sich so mit dem Unternehmen identifizieren kann.

3 Aufgaben der neuen Systeme

Allen neu eingeführten Systemen obliegt die Aufgabe, Geschäftsprozesse entlang der Wertschöpfungskette zu verbessern. Dabei sollen die Systeme mit dem Input der Mitarbeiter eine maximale Unterstützung bilden. Die Systeme sind nicht als komplett eigenständige Systeme zu betrachten, sie sollen mit der Verbindung von Schnittstellen ein übergreifendes neues System bilden.

3.1 ERP-System

Mit dem Enterprise-Resource-Planning System (ERP-System) soll der bestehende Funktionsumfang der verteilten Systeme in einem System abgebildet und insbesondere das Alt-System (Jahrgang 2003) abgelöst werden. Damit werden die bestehenden Geschäftsprozesse durchgehend unterstützt und ein weiteres Wachstum des Unternehmens begünstigt. Neue Funktionen wie Workflow-Automatisierung und eine deutliche Vereinfachung in den Strukturen werden Zeiten in der Verwaltung freisetzen, die wiederum für die Kostenrechnung und Analyse der Fertigung eingesetzt werden können. Die Termin- und Ressourcenplanung soll optimiert werden und Auswertungen zur Kapazitätsbelegung (Grobplanung) der Fertigung sollen frühestmöglich allen beteiligten Mitarbeitern zur Verfügung stehen.

3.2 Produktionsplaner

Der Produktionsplaner (M3P – MultiProfil-Produktions-Planer) soll als Bindeglied zwischen ERP-System und Betriebsdatenerfassungssystem (BDE-System) fungieren. Dabei soll er unter anderem die Reihenfolge der Bearbeitungsgänge festlegen, dazu beitragen, dass Produktionsziele erreicht werden, und den Produktionsprozess unterstützen. Hierzu werden die Aufträge anhand der historischen Daten gegen die Kapazitäten der Ressourcen geplant. Durch den Produktionsplaner soll eine gleichmäßige Auslastung der Maschinen erreicht, die Durchlaufzeit in der Produktion reduziert und eine hohe Lieferbereitschaft und Termintreue erlangt werden.

3.3 Digitale Laufkarte

Das System „Digitale Laufkarte“ besteht aus einer eigens programmierten SPS, welche die maschinenspezifischen Daten kontinuierlich erfasst (z. B. Takte und Stromverbrauch), und einem Touchscreen, der sowohl die Auftrags- als auch die aktuellen maschinenspezifischen Daten für den/die Bediener:in bereitstellt sowie gleichzeitig selbst als Eingabeinstrument für den/die Bediener:in fungiert.

Die ganzheitliche Einführung einer digitalen Laufkarte und die damit verbundene Ablösung der analogen Papierlaufkarte ist das primäre Ziel. Damit sollen digitale Auftragsverfolgungen ermöglicht werden und Aussagen in Echtzeit über den realen Bearbeitungsfortschritt erfolgen. Eine Analyse der Maschinen wird ermöglicht und die Produktion kann mit den erfassten detaillierten Informationen optimiert und verbessert werden. Mitarbeiter können sich an der digitalen Laufkarte anmelden, um aufgelaufene Auftragszeiten des gesamten Personals an einer Anlage zu erfassen. Die Informationen, die mithilfe der digitalen Laufkarte gewonnen werden (Mitarbeitereingaben, Erfassung Maschinenstatus), fließen unmittelbar in die Kostenrechnung ein.

4 Idee/Ziel/Umsetzung der Digitalisierung

Ziel der schnittstellenübergreifenden Digitalisierung ist, dass alle Systeme über Schnittstellen miteinander kommunizieren und ein reibungsloser Informationsfluss entsteht. Die verschiedenen Schnittstellen der Systeme sind selbst erstellt oder angefertigt worden, sodass sie speziell auf die Bedürfnisse der Endanwender abgestimmt sind. Dies ermöglicht dem/der Endanwender:in eine einfache und schnelle Bedienung.

Bevor ein Produktionsauftrag freigegeben wird, muss eine Materialverfügbarkeitsprüfung aller für die Produktion und Verpackung benötigten Komponenten der Stücklisten durchgeführt werden. Trifft das Material rechtzeitig zum Plan-Starttermin ein oder befindet es sich bereits im Haus, kann eine Auftragsfreigabe über das ERP-System erfolgen. Den voraussichtlichen Starttermin berechnet das ERP-System basierend auf den spezifischen Arbeitsvorgängen und entsprechend hinterlegten Durchlaufzeiten der Produktionsschritte.

Für die Abbildung der konkreten Produktion hat das ERP-System eine direkte Schnittstelle zum Produktionsplaner und zur digitalen Laufkarte. Mit den Modulen kann der Materialfluss inklusive der Fertigungsprozesse abgebildet und dokumentiert werden. Die Integration in die ERP-Software führt dazu, dass alle Arbeitsschritte und Fertigungsmengen bekannt sind und durch Touch-Geräte erfasst werden können. Die automatische Synchronisation der Systeme aktualisiert alle Datenstände und gibt somit aktuelle Auskunft über Lager- und Produktionsbestände.

Als Ergänzung zur Materialverfügbarkeitsprüfung im ERP-System wurde als Teilprojekt ein eigens programmierter Folienplaner konzipiert und über eine Schnittstelle dem ERP-System hinzugefügt, mit diesem kann eine Verfügbarkeitsprüfung für Dekore ausgelöst werden. Über einen Button im Produktionsauftrag des ERP-Systems wird der Status der Dekore geprüft und mit einer Ampelfunktion abgebildet. Das Ziel der Folienzuschnittsplanung ist, die benötigten Stücke so herauszuschneiden, dass entweder die Anzahl der für die Auftragserfüllung benötigten Folien oder der als Abfall zu wertendem Verschnitt minimiert wird. Dabei muss der Verschnitt nicht automatisch Abfall darstellen, sondern kann im Falle einer entsprechenden Restlänge/Breite für weitere Zuschnitte verwendet oder eingelagert werden. Das ERP-System liefert in Verbindung mit dem Folienplaner verlässliche Daten zum Folienbestand und verringert dadurch das Aufkommen von Fehlern. Folienrollen können für einen bestimmten Auftrag reserviert, und schon frühzeitig als „eingeplant“ gekennzeichnet werden.

Gleichermaßen zum Folienplaner wurde für das Zentral- und Verpackungslager eine eigene Lösung konzipiert und über eine Schnittstelle dem ERP-System hinzugefügt. Beim Lagerbestand muss der buchmäßige Bestand (Soll-Bestand) und der physisch tatsächlich im Lager vorhandene Bestand (Ist-Bestand) unterschieden werden. Abweichungen bei Soll- und Ist-Bestand sollen mit dieser Lösung auf ein Minimum reduziert werden. Die fehlerhafte Aufnahme von Artikeln in das Lager (z. B. Buchungsfehler, Einlagern im falschen Lagerfach) soll minimiert werden.

Die terminierten Aufträge werden zur Bildung einer Reihenfolge an den Produktionsplaner übergeben. Der Produktionsplaner soll Ressourcen und Prozesse nahezu in Echtzeit optimieren. Dafür wird der geplante Starttermin eines Auftrags durch die Rückwärtsterminierung des zuerst bestätigten Termins unter Berücksichtigung der Durchlaufzeit und der Bearbeitung anderer Aufträge ermittelt. Aufträge können bei Bedarf neu priorisiert und bei veränderten Anforderungen können schnell verschiedene Handlungsszenarien durchgespielt werden. Dadurch verbessert sich die Auslastung von Maschinen und Anlagen. Zudem wird die Termintreue erhöht und vorhandene Bestände werden gut genutzt. Der Zeitpunkt, ab dem die Fertigung einen erzeugten Produktionsauftrag bearbeiten darf, wird durch den Produktionsplaner bestimmt. Die Komplexität der Planung reduziert sich für die Arbeitsvorbereitung drastisch, zumal sie editierend eingreifen kann. Die Planungsqualität wird über gute Rückmeldedaten anhand der digitalen Laufkarte aus der Fertigung verbessert.

Die Planung soll in Zukunft als teilautomatisierter Prozess stattfinden, dazu müssen Planung und Fertigung künftig anders zusammenarbeiten. Der Produktionsplaner „M3P“ optimiert und plant unter Berücksichtigung der Ressourcen und Prozesse die Produktionsreihenfolge. Bei der Abarbeitung der Aufträge in der zuvor geplanten Reihenfolge per Zuhilfenahme der digitalen Laufkarte soll den Produktionsmitarbeiter:innen ein gewisser Handlungsspielraum gelassen werden, um auf Störungen im Produktionsablauf reagieren zu können. Anhand der über die digitale Laufkarte rückgemeldeten Daten der Mitarbeiter:innen sowie der aufgelaufenen Zeiten für einen Arbeitsgang kann in den anderen beiden Systemen auf Abweichungen schnellstmöglich reagiert werden. Dies kann beim Produktionsplaner „M3P“ zu einer Anpassung der Planung an darauffolgenden Arbeitsgängen führen und im ERP-System zur Anpassung der kalkulierten Zeiten. Bei einem zu hohen Produktionsausschuss innerhalb eines Arbeitsgangs kann auf Verwaltungsebene in kürzester Zeit reagiert werden, sodass entsprechende Maßnahmen kurzfristig auf den Weg gebracht werden können. Das kann die schnelle Kontaktaufnahme zum Kunden bedeuten sowie das Anlegen eines neuen Auftrags über die entstandene Fehlmenge.

Es ist angedacht, dass in Zukunft mit einer zunehmend wachsenden Datenlage anhand von Process Mining Methoden die Steuerung der Produktions- und Geschäftsprozesse angepasst und optimiert wird; so können Durchlaufzeiten in der Produktion und Wiederbeschaffungszeiten in der Verwaltung zielgerichteter genutzt werden.

In Abb. 2 sind die wesentlichen Informationsflüsse der Produktionssteuerung in einem Flussdiagramm dargestellt. Der Informationsfluss im Unternehmen soll zukünftig im Dialog und interaktiv möglich sein. Denn die betriebliche Kommunikation und die Kommunikation im Team wird immer bedeutsamer. Ohne diese wesentlichen Verbindungen der Systeme, wie in Abb. 1 dargestellt, werden die primären Entwicklungspotenziale nicht „freigeschaltet“, d. h. der Mehrwert für z. B. Planer oder auch Maschinenbediener ist aktuell für den jeweiligen Anwenderkreis noch nicht erkennbar, da die Daten noch nicht oder unzureichend rückgemeldet bzw. ausgewertet werden können, um sie profitabel zu nutzen. Dies liegt vor allem daran, dass die anvisierten bidirektionalen Schnittstellen bislang erst in einer unidirektionalen Alpha-Version vorhanden sind.

Abb. 1
figure 1

(Eigene Darstellung)

Schnittstellen der Systeme.

Abb. 2
figure 2

(Eigene Darstellung)

Diagramm zur Auftragsabwicklung.

Die Potenziale sehen wir im direkten Austausch der Beteiligten. Es soll ermöglicht werden, dass über die betriebliche Kommunikation im Unternehmen der/die Mitarbeiter:in schnell an die für ihn/sie relevanten Informationen kommt; dies soll über verschiedene Kanäle im Betrieb unterstützt werden, aber nicht nur die digital gestützte Kommunikation soll gefördert werden, sondern auch der „Face-to-Face“ Austausch zwischen den verschiedenen Akteuren und Bereichen soll weiterhin erfolgen. Damit Besagtes finalisiert werden kann, müssen die Systeme noch endgültig miteinander verknüpft werden, sodass die bidirektionale Kommunikation reibungslos stattfinden kann. Dabei spielen bei der Größe des Unternehmens immer wieder die Abhängigkeiten von Dienstleistern und die Kapazität der eigenen Mitarbeiter:innen eine große Rolle.

5 Schlussbemerkung/Ausblick

Die Systeme und Schnittstellen sind vergleichsweise offen gestaltet, daher können Anwendungen auf Wunsch erweitert oder neue angebunden werden. Dies bezieht sich vor allem auf den Produktionsplaner und die digitale Laufkarte. So können Verbesserungsideen aus dem Shopfloor und der Planung durch Rückmeldungen oder Feedback-Schleifen wirksamer genutzt werden. Die Verbesserungsideen aus dem Shopfloor und der Planung werden aktuell oft nur auf aktive Nachfrage nach Änderungswünschen an den jeweiligen Zuständigkeitsbereich weitergegeben. Die Einbindung und das Schaffen von Transparenz auf allen Ebenen soll es ermöglichen, dass alle Mitarbeiter bestmöglich miteingebunden werden und sich mit dem Unternehmen identifizieren können. Die Herausforderung an den Prozess ist, dass nicht alle Ideen umgesetzt werden können; dies liegt an der Verschiedenheit der Produktionsbereiche mit unterschiedlichen Maschinen und der gewachsenen Struktur des Unternehmens.