Die Firma XENON Automatisierungstechnik GmbH Dresden wurde im Juni 1990 durch ein Management-Buy-Out der Abteilung Rationalisierungsmittelbau des Betriebes Robotron Messelektronik Dresden gegründet. Seitdem entwickelt und baut XENON Montage- und Prüfanlagen zur Automatisierung der Fertigung von mechatronischen Komponenten.

Die seit über 30 Jahren inhabergeführte Gruppe mit Hauptsitz in Dresden und Tochtergesellschaften in China und Mexiko zählt zu den führenden deutschen Anbietern von kundenspezifischen, schlüsselfertigen High-Tech Automationslösungen. Als unabhängiger Systemintegrator liefert XENON modulare High-Tech Fertigungslinien weltweit an Kunden vor allem aus den Branchen Automotive, Elektronik und Medizintechnik. In der Tradition der sächsischen Feinwerktechnik ist XENON durch Qualität, Präzision und Innovation kontinuierlich auf weltweit nunmehr über 400 Mitarbeiter gewachsen.

Bei den Kundenteilen, die auf XENON-Maschinen gefertigt werden, ist eine Spezialisierung auf Elektronik- und Mechatronikprodukte typisch. Deren Verarbeitung erfordert eine sehr hohe Präzision der Automaten. Typisch ist zudem eine hohe Verarbeitungsgeschwindigkeit mit kurzen Taktzeiten und Montagegenauigkeiten bis in den Mikrometerbereich.

1 Ausgangssituation

Die Komplexität des Geschäftsfeldes erfordert ein umfangreiches Fachwissen, das wir ständig erweitern und vertiefen. Unsere Ingenieure und Techniker finden kreative Lösungen und unterstützen unsere Kunden kompetent während des gesamten Projektverlaufs. Diese individuellen Kundenlösungen erfordern in gleichem Maße entsprechend flexible und individuelle Projektprozesse.

Um diesen Anforderungen agil gerecht werden zu können, hat XENON eine interne Softwareentwicklungsabteilung etabliert. Diese entwickelt eigene Windows-Anwendungen sowie Schnittstellen und unterstützt die Fachabteilungen bei der Optimierung ihrer Geschäftsprozesse. Mit über 10 Jahren Erfahrung in der Programmierung von .NET-Anwendungen und in der Datenbankprogrammierung mit Microsoft SQL-Server kann auf ein breites Repertoire technischer Möglichkeiten zurückgegriffen werden. Im Rahmen des KILPaD Förderprojektes haben wir uns daher unter anderem darauf fokussiert, durch Digitalisierung und Automatisierung von Prozessen, die Mitarbeiter und XENON bei der Erledigung von (Standard-)Aufgaben zu unterstützen.

Die Grundlage für diese Digitalisierungsvorhaben bildete Perry, eine intern entwickelte Plattform zur digitalen Prozessautomatisierung (s. Abb. 1 – Plattform Digitale Prozessautomatisierung). Perry ermöglicht es uns, Prozesse individuell zu modellieren, – strukturiert auszuführen und die entsprechenden Aufgaben zu verwalten.

Abb. 1
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Plattform Digitale Prozessautomatisierung

Gesteuert durch die Workflow-Engine der Plattform, in der die Prozesse modelliert und konfiguriert werden können, werden automatisiert Aufgaben erstellt, diese spezifischen Teams zugewiesen und die zur Aufgabenbearbeitung nötigen Daten in Formularen zur Verfügung gestellt. Ergänzt wird das Aufgabenmanagement durch weitere bewährte Funktionalitäten, wie Benachrichtigungen, Suchoptionen zur schnellen Navigation oder Kommentarfunktionen zur einfachen Kommunikation.

Das Primärziel der Plattform bestand darin, den Mitarbeitern die Möglichkeit zu geben, anstehende Aufgaben aus unseren standardisierten, internen Unternehmensprozessen digital und mobil erledigen zu können sowie Transparenz zu schaffen. Die Basis solcher Geschäftsprozesse sind in unserem Fall zumeist vorgefertigte Excel Formblätter, die in Form eines ausgedruckten Papierformulars als Report oder zur Datenerfassung verwendet werden. Beispiele dafür sind Prozesse wie die Auftragsprüfung, der Mitarbeitereintritt, der Urlaubsantrag oder die Zeiterfassungskorrektur.

Auch wenn diese Prozesse auf den ersten Blick klar und einfach erscheinen, ist die Erstellung eines entsprechenden Digitalisierungskonzepts zu deren Automatisierung keinesfalls simpel. Nicht nur an die Beteiligten werden im Rahmen der Entwicklung des Digitalisierungskonzepts besondere Erwartungen gestellt. Auch der Erarbeitungsprozess selbst muss strukturiert umgesetzt werden, um ein konsistentes Konzept zu entwickeln.

So hatten wir anfangs erhebliche Schwierigkeiten mit unseren Mitarbeitern Entwürfe für digitalisierte Formblätter und Prozesse zu erarbeiten. Wir haben festgestellt, dass es besondere Kompetenzen und vor allem viel Kreativität erfordert, eine einfache und trotzdem effiziente Lösung zu finden. Das Projektmanagement ist deshalb anspruchsvoll. Aufgrund dessen haben wir ein organisatorisches Modell entwickelt, bei dem in jedem Fachbereich ein Prozessspezialist entwickelt wird. Dieser wird befähigt in Zusammenarbeit mit der internen Anwendungsentwicklung entsprechende Digitalisierungsvorhaben umzusetzen. In jeder größeren Abteilung wurde dafür ein Process Consultant (PC) definiert, der die Geschäftsprozesse der Fachabteilung kennt und weiterentwickelt. In der Umsetzung von Digitalisierungsprojekten arbeitet dieser mit dem Digital Consultant (DC) zusammen, welcher als Schnittstelle zwischen den Anwendern und den Programmierern die technische Konzeptionierung sowie – Implementierung verantwortet. Da der PC in diesem Zusammenhang sowohl das Prozessmanagement als auch die verschiedenen Nutzergruppen vertritt und erster Ansprechpartner für den DC ist, sind die folgenden Kernkompetenzen für diese Stelle aus unserer Sicht besonders wichtig:

  • ein gutes Verständnis für den Geschäftsprozess und dessen Einbettung,

  • die Fähigkeit komplexe Sachverhalte in einfachen Modellen darzustellen

(Komplexität kapseln/reduzieren),

  • hohe Kommunikationsfähigkeit, Kreativität und ausgeprägte Projektmanagementfertigkeiten.

Warum genau diese Fähigkeiten wichtig sind und wann diese zum Tragen kommen, soll in der anschließenden Reflexion der Fallstricke im Digitalisierungsprozess herausgearbeitet werden. Um die Prozessoptimierung effizienter zu gestalten und die oben genannten Kompetenzen für die interne Digitalisierung zu entwickeln, haben wir unsere Organisationsstruktur entsprechend angepasst. Der PC sammelt die Verbesserungsvorschläge zur Optimierung der Prozesse aus dem Fachbereich, evaluiert diese und bereitet sie für die Digitalisierung vor. Durch den DC wird die Kommunikation mit den Programmierern optimiert, fehlendes technisches Fachwissen ausgeglichen und die Umsetzung der Anforderungen überwacht.

Um die Erarbeitung des Digitalisierungskonzeptes zu strukturieren, haben wir einen standardisierten Ablauf entwickelt (s. Abb. 2 – Ablauf der Formulardigitalisierung). Zur digitalen Ausführung eines Prozesses müssen alle Informationen und Aktionen präzise modelliert werden: Workflow (Ablauflogik), beteiligte Personen, Prüfbedingungen, automatisierte Aktionen, Formulare und Daten.

Abb. 2
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Ablauf der Formulardigitalisierung

Der analoge Prozess ist in der Regel nur grob beschrieben. Daher gilt es für dessen Digitalisierung den genauen Ablauf zu modellieren, ggf. zu optimieren und zu visualisieren, was als Ausgangspunkt Aufgabe des PC ist. In Zusammenarbeit mit dem DC wird der Prozess daraufhin als technisch ausführbarer Workflow modelliert. Dabei müssen die digital zu erzeugenden Aufgaben, die Entscheidungskriterien und ‑pfade, die Prozessbeteiligten sowie die Ermittlung der jeweiligen Verantwortlichen geklärt werden. Auf Basis dieser und weiterer Prozessanforderungen entwickeln PC und DC die Formularstruktur. Als Vorlage für die Auswahl der Bedienelemente in der Oberfläche fungieren das Formblatt oder eigene Entwürfe bzw. Mockups. Da das Formular im Rahmen der Konfiguration des Prototyps mit einem grafischen Designer im Visual Studio erstellt wird, steht eine große Bandbreite an Steuerelementen zur Verfügung, die.NET unterstützt, wie beispielsweise Text- und Auswahlfeldern, integrierte Tabellen, hierarchische Baumstrukturen oder Diagramme. Auf Basis der Formularstruktur erstellt der DC ein entsprechendes Datenmodell, indem die vorhandene Datenstruktur gesichtet und die Integration konzipiert wird. Der modellierte Workflow, das entwickelte Formular und das erstellte Datenmodell bilden damit das Digitalisierungskonzept. Erst in diesem Detaillierungsgrad, der weit über die anfängliche Prozessbeschreibung hinausgeht, kann die Spezifikation zur Umsetzung an den Programmierer übergeben werden.

Bei der Entwicklung des Prototyps werden die Formulare konfiguriert, das heißt Aktionen programmiert und die Daten an die Steuerelemente angebunden. Auch logische Zusammenhänge, wie Validierungen oder automatisierte Entscheidungen, werden auf Grundlage des Digitalisierungskonzeptes implementiert. Im Perry kann der Prozess daraufhin anhand von Beispieldurchläufen getestet und erprobt werden. In iterativen Feedbackschleifen werden Anmerkungen und Änderungen eingearbeitet, bis der digitalisierte Workflow die Reife zur Freigabe erreicht hat. Darauf folgt die Erstellung der Dokumentation, die Veröffentlichung und die Einführung des Prozesses. Innerhalb einer Woche kann auf diesem Wege bereits ein Prozess digitalisiert und automatisiert werden.

2 Fallstricke im Digitalisierungsprozess

Im Laufe des KILPaD Förderprojektes haben wir eine Vielzahl von Prozessen sowie Formblättern digitalisiert und möchten im Folgenden nochmals die verschiedenen Herausforderungen und Fallstricke reflektieren, die uns im Verlauf der Digitalisierungsprozesse begegnet sind.

2.1 Prozessanalyse und -optimierung

Zu Beginn einer digitalen Prozessautomatisierung steht die Prozessanalyse und ‑optimierung, auf deren Basis das Digitalisierungskonzept entwickelt wird. Hier gilt es unter anderem die Anforderungen der verschiedenen Prozessbeteiligten bzw. der Nutzergruppen zu ermitteln. In der Praxis haben wir erlebt, dass insbesondere die Prozessoptimierung oft parallel zur Automatisierung stattfindet, da neue Anregungen weitere Potenziale eröffnen oder die Optimierung selbst unterschätzt wird. Auch fehlte im Vorhinein in einigen Fällen schlicht die Zeit für eine tiefgreifende Analyse des Prozesses, der Schnittstellen und der Anforderungen. Dies kann im Hinblick auf den Automatisierungsprozess in vielerlei Hinsicht problematisch werden. Insgesamt wird der Prozess durch die Mehraufwände verlängert, da eine größere Anzahl an Iterationsschleifen durchlaufen werden muss. Es hat ebenso zur Folge, dass die Optimierungs- und Einsparungseffekte, die durch die Digitalisierung prognostiziert sind, in die Zukunft verlagert werden, wodurch die Kosten steigen. Hier hilft es aus unserer Sicht nur, die Zielstellung klar zu definieren und bei Bedarf zu beschränken sowie Änderungen im laufenden Umsetzungsprozess zu vermeiden. Daher ist es rückblickend auch bei kurzen oder einfachen Abläufen sinnvoll, sich ausreichend Zeit für eine adäquate Prozessanalyse und ‑optimierung zu nehmen.

2.2 Erarbeitung des Digitalisierungskonzeptes

Auch bei der Modellierung des Workflows haben wir festgestellt, dass es sich um eine höchst anspruchsvolle Aufgabe handelt und dass die Beschränkung auf das Wesentliche der Schlüssel zum Erfolg ist. Oft müssen Kompromisse für die digitale Abbildung von Problemstellungen gefunden werden, die analog nicht bemerkt oder in der Praxis einfach spontan behandelt werden. Dies gilt insbesondere für Ausnahmen und Sonderfälle, denn nicht jeder Sonderfall ist es den technischen und organisatorischen Aufwand wert, digital abgebildet zu werden. Das Pareto-Prinzip hat sich für uns an dieser Stelle bewährt und gezeigt, dass es wesentlich effizienter ist in mehreren Prozessen beispielsweise 80 % der Anwendungsfälle zu digitalisieren, als wenige Prozesse vollständig umzusetzen und den Großteil des Arbeitsaufwandes in die Abbildung der letzten 20 %, was zumeist Sonderfälle sind, zu investieren. Bereits einfache Return on Investment-Rechnungen können dies anhand der eingesparten Bearbeitungszeiten belegen. Sowohl im Kontext der Modellierung des Prozesses als auch – des Workflows haben wir bei den Mitarbeitern jedoch häufig die Tendenz erlebt, auch Ausnahmefälle vollumfänglich modellieren zu wollen, um keine Flexibilitätsverluste im Vergleich zur analogen Variante hinnehmen zu müssen. Diese latente Tendenz lässt die grundlegenden Vorteile und Effizienzgewinne der Digitalisierung bei aufkommenden Problemen in den Hintergrund rücken und hemmt den Projektfortschritt oftmals. De facto kann das Analoge nicht 1:1 ins Digitale übertragen werden und bringt somit Unsicherheiten und neue Problemstellungen mit sich. Diese werden von den Mitarbeitern jedoch überschätzt. Umgekehrt sind aber auch die neuen Anforderungen an die Mitarbeiter im Umgang mit dem Digitalen wahrzunehmen. Die Anwender müssen ebenso mit den neuen Unsicherheiten und Sonderfällen umgehen lernen.

Der Entwurf der digitalen Formularstruktur ist lediglich durch die Kreativität der Beteiligten beschränkt. Neue Bedienelemente und Aktualisierungen werden fortlaufend durch Drittanbieter zur Verfügung gestellt. Daten können auf verschiedenste Weise dargestellt werden. Die digitale Form lässt es außerdem zu, Daten zu vernetzen und schafft in diesem Zusammenhang neue Möglichkeitsräume, die ein Papierformular nicht bietet. So gilt es bei der Auswahl der Elemente zwischen einer effizienten, vernetzten und damit unter Umständen komplexen Darstellung der Daten sowie dem Erhalt der Nutzerfreundlichkeit, Übersichtlichkeit und Einfachheit abzuwägen. In der Praxis haben wir hier, wie auch bei der Modellierung des Workflows, die Beobachtung gemacht, dass von den Mitarbeitern tendenziell komplizierte Lösungen gewählt werden. Diese sind jedoch deutlich erklärungsbedürftiger, damit fehleranfälliger und schwerer einzuführen sowie zu warten.

Die Erstellung des Datenmodells obliegt prinzipiell dem DC und damit der Softwareentwicklung. Grundlage für die korrekte Konzipierung stellen die Daten selbst dar. Die Definitionen der Daten und dessen Zusammenhänge liegt jedoch im Verantwortungsbereich der Fachabteilung. Ohne Kenntnis der Datenflüsse kann kein solides Datenmodell entwickelt werden. Auch an dieser Stelle werden die hohen Anforderungen an den PC deutlich, die weit über die Kenntnis des Geschäftsprozesses hinausreichen. Defizite in der Datenqualität sowie Datenlücken durch weitreichende Verweisungszusammenhänge können die Integration des Datenmodells zudem erschweren und werden zumeist bei Abfragen, die einen eindeutigen Rückgabewert erfordern, ersichtlich. Im Alltag werden solche Schwächen manuell ausgeglichen. Diese werden somit erst bei der Automatisierung deutlich. Derartige Lücken zu schließen, kann Zusatzaufwände nach sich ziehen, die initial nicht absehbar sind.

Zusammenfassend lauern in der Erarbeitung des Digitalisierungskonzeptes einige Tücken, die auf den ersten Blick nicht ersichtlich sind und erst bei näherem Hinsehen ihre Komplexität zeigen. Nicht nur die Prozessoptimierung, sondern auch die Modellierung von Workflow, Formular und Datenmodell können den Erfolg der Prozessautomatisierung nachhaltig beeinflussen und bergen einige Herausforderungen.

2.3 Entwicklung und Test des Prototyps

Die (Weiter-)Entwicklung des Prototyps erfolgt agil, iterativ und birgt damit das Potenzial in eine Endlosschleife der Optimierung zu geraten. Daher sind in diesem Prozessschritt ebenso klare Regeln zu definieren. Ein sauber spezifiziertes Digitalisierungskonzept ist hier die beste Versicherung. Dazu gehört unter anderem eine klare Zieldefinition, das heißt welche Anwendungsfälle durch den digitalisierten Prozess abgebildet werden sollen und welche nicht. Diese stellen in diesem Zusammenhang gleichermaßen die Testszenarien dar und strukturieren so die Iterationsschleifen. Als ein weiterer Fallstrick hat sich in diesem Kontext erwiesen, dass sich die Anwender teilweise zu wenig Zeit für das Testen der neuen Funktionalitäten nehmen. So fallen Fehler oder Probleme, insbesondere die Datenstruktur betreffend, zum Teil erst auf, wenn der Prozess bereits veröffentlicht ist und mit den Livedaten gearbeitet wird. Mockups und Spezifikationen reichen für die Nutzer nicht immer aus, um sich die Lösung und eventuelle Problemursachen vorstellen zu können.

Im laufenden Umsetzungsprozess sollten prinzipiell keine Änderungen am Digitalisierungskonzept vorgenommen werden. Optimierungen, die die Handhabung betreffen, sind an diesem Punkt jedoch ein legitimer Eingriff. Auch wenn die Anforderungen der verschiedenen Nutzergruppen vermeintlich vollständig erfasst wurden, war es in unserer Erfahrung fruchtbar, heterogene Anwender in die Testszenarien einzubeziehen, um die Bedienbarkeit und Konsistenz valide einschätzen zu können. Werden nicht alle Nutzergruppen konsequent in den Test einbezogen, kann dies bei der Einführung zu Aversion gegenüber dem digitalen Prozess oder der Anwendung als solcher führen. Folglich erfordern die Prozessanalyse, die Erhebung der Anforderungen und die daraus folgende Optimierung rückblickend den größten Teil der Zeit und bedingen eine effiziente Digitalisierung maßgeblich. Ein Aspekt, der abermals unterschätzt wird und den es zu verdeutlichen lohnt.

2.4 Veröffentlichung des digitalisierten Prozesses

Die Veröffentlichung des digitalisierten Prozesses besteht aus mehreren Subprozessen und ist im Rahmen des dargestellten Modells als nur eine Aufgabe des Digitalisierungsprozesses verhältnismäßig unterrepräsentiert (s. Abb. 2 – Ablauf der Formulardigitalisierung). Es ist zu kurz gedacht, Digitalisierung nur als technischen Lösungsprozess zu definieren. Die Dokumentation, Einführung und Betreuung beeinflussen den Erfolg ebenso deutlich, wenn nicht sogar mehr als die technische Umsetzung selbst. So endet die Digitalisierung – wenn überhaupt – erst damit, dass der neue Prozess von den Nutzern richtig und sicher eingesetzt wird. Diese Erkenntnis ereilte auch uns erst, nachdem sich die ersten Probleme bei der Einführung abzeichneten, die ausgelöst durch Zeitmangel oder eine notgedrungene Auslagerung von Teilaufgaben zu Unzufriedenheiten führten.

Die Dokumentation ist, wie das Digitalisierungskonzept für die Umsetzung, Ausgangspunkt für die Veröffentlichung des digitalisierten Prozesses. Im Rahmen der Erstellung eines üblichen Nutzerhandbuchs haben wir uns aufgrund der zuvor beschriebenen Fallstricke und zur Vertiefung des Verständnisses der Datenflüsse darauf fokussiert, verstärkt die Datensicht einzunehmen. Den Prozess unabhängig von den verwendeten Daten oder der ausführenden Anwendung verstehen zu wollen, ist eine Illusion, hinter der man sich häufig unter Verweis auf die Komplexität der Thematiken zurückzieht. Außerdem ist es eine wichtige Grundlage des späteren Feedbackprozesses, dass die Anwender befähigt sind, die Datenflüsse zu verfolgen und auf ihre Richtigkeit zu prüfen. Im Zweifel kann nur die Fachabteilung selbst validieren, ob die verwendeten bzw. ermittelten Daten im jeweiligen Anwendungsfall korrekt sind oder nicht.

Vor dem Hintergrund einer hohen Auslastung und damit einhergehenden zeitlichen Engpässen haben wir bei der Einführung neuer digitalisierter Prozesse verschiedene methodische Ansätze erprobt. Dabei haben wir unter anderem verschiedene Schulungsformen eingesetzt. Exemplarisch haben wir beim Prozess des Mitarbeitereintritts, der die Interaktion vieler verschiedener Akteure und Abteilungen erfordert, eine Art Rollenspiel veranstaltet. Dabei haben die Prozessbeteiligten in einem Raum den digitalen Prozess verfolgt. Jeder Mitarbeiter konnte seine Aufgabe digital bearbeiten und dabei sowohl analog als auch digital nachvollziehen, welche weiteren Aufgaben parallel bearbeitet werden. Die Kommunikation über den Prozessverlauf wurde damit angeregt, Fragen konnten unmittelbar geklärt werden und Feedback wurde direkt kommuniziert und erfasst. Außerdem hatten wir so die Möglichkeit, non-verbal wahrzunehmen, an welchen Stellen noch Unsicherheiten herrschten und wie sich die individuelle Herangehensweise gestaltet. Gleichzeitig wurde durch dieses Vorgehen Akzeptanz geschaffen, da die digitale Lösung aktiv mitgestaltet werden konnte. Dies zeigte sich unter anderem daran, dass zum digitalisierten Mitarbeitereintrittsprozess verhältnismäßig viel Feedback und Verbesserungsvorschläge von den Beteiligten eingereicht wurde. Die Verantwortung für die erfolgreiche digitale Abbildung des Prozesses wurde von den Mitarbeitern übernommen. Insbesondere, wenn es sich um einen komplexen Prozess mit vielen Beteiligten und verschiedenen Teilpfaden handelt, der daher schlecht in kurzen Iterationszyklen getestet werden kann, erscheint diese Form der Einführung vielversprechend. In anderen Fällen schulen wir lediglich ausgewählte Multiplikatoren, beispielsweise Gruppenleiter, die wiederum ihre Teams trainieren. Auch Videotutorials haben sich für einfache Kontexte bewährt, da diese leicht zugänglich und populärer als Nutzerhandbücher sind. Schlichte Benachrichtigungen zu neuen Funktionalitäten mit Verweisen auf die entsprechenden Dokumentationen haben erfahrungsgemäß eine deutlich geringere Reichweite und ziehen einen erhöhten Supportaufwand nach sich.

Um die Betreuung des digitalisierten Prozesses sowie das Sammeln von korrespondierendem Feedback zu vereinfachen, gibt es in jeder Anwendung die Möglichkeit, über eine Ticketformular Fehler, Probleme, Fragen oder Verbesserungsvorschläge einzureichen. Aber auch der Hilfebereich ist in jeder Oberfläche über wenige Klicks zu erreichen. Dort finden sich neben Dokumentation, Ticketformular und ‑übersicht je nach Anwendung auch Links zu FAQ-Seiten oder weiterführenden Prozessbeschreibungen. Ziel ist, es dem Mitarbeiter so einfach wie möglich zu machen, Feedback zu geben. Doch auch in diesem Kontext lauern Fallstricke, denn eine erfolgreiche Feedbackkultur steht und fällt mit der entsprechenden Bearbeitung der Anfragen. Werden die Verbesserungsvorschläge zwar gesammelt, jedoch keine Rückmeldung zur Umsetzungsentscheidung oder dem zeitlichen Horizont gegeben wird, sinkt die Bereitschaft, Vorschläge einzureichen, rapide. Wir setzen daher auch an dieser Stelle auf einen transparenten, digitalen Ticketprozess, bei dem jederzeit erkennbar ist, in welcher Bearbeitungsphase sich die jeweilige Anfrage befindet. Bleibt die Umsetzung komplett aus, sollte auch dies ausreichend begründet werden, um keine Nebeneffekte zu generieren, bei denen die negativen Erfahrungen auf andere Prozesse übertragen werden.

3 Wohin muss die Reise gehen?

Wir haben festgestellt, dass die Digitalisierung von Prozessen keine Aufgabe ist, die allein in der Anwendungsentwicklung gelöst wird. Vielmehr sind die Fachabteilungen und die Mitarbeiter selbst gefordert, sich mit der digitalen Abbildung von Prozessen auseinanderzusetzen. Dies erfordert nicht nur passende strukturelle Voraussetzungen, sondern vor allem Zeit und fachübergreifende Kompetenzen. Wie bei unseren Kundenlösungen, haben wir es uns auch in der internen Digitalisierung zur Aufgabe gemacht, individuelle Lösungen zu erarbeiten. Dies führte uns zur Entwicklung einer eigenen Plattform zur digitalen Prozessautomatisierung, zur Anpassung der Organisationsstruktur mit der Schaffung neuer Rollen sowie zur Standardisierung des Digitalisierungsprozesses. Dabei haben wir viel über die – häufig verdeckten – Anforderungen der Digitalisierung gelernt und eigene Leitlinien erarbeitet. Doch damit soll es nicht getan sein. Für uns schließen sich noch weitere Fragestellungen an, die weiterführende Potenziale und sicher ebenso Herausforderungen bergen. Zu Beginn des Förderprojektes KILPaD lagen diese Fragen noch nicht in unserem Fokus. Nun können wir diese jedoch umso klarer formulieren und sind motiviert, sie zielgerichtet anzugehen.

Nicht nur aufgrund der Fülle an möglichen Digitalisierungsprojekten stellt sich uns oft die Frage, welche dieser Vorhaben wirklich lohnend sind. Digitalisierung mutierte in den letzten Jahren zunehmend zum Trendbegriff, mit dem sich jedes Unternehmen brüstet. Doch Digitalisierung sollte kein Selbstzweck sein und nur betrieben werden, weil es gerade scheinbar jeder macht. Digitalisierung ist lediglich ein Mittel zum Zweck. Das heißt, die Zieldefinition und die daraus abgeleiteten Verbesserungen sollten die eigentlichen Treiber der entsprechenden Projekte sein. Leider liegen diese nicht immer klar auf der Hand oder sind zumindest nicht immer einfach zu formulieren oder quantitativ zu ermitteln. Daher bleibt die Frage nach einer unternehmensweit einheitlichen Bewertungsskala für Digitalisierungsvorhaben und deren Priorisierung für uns noch teilweise offen.

Ähnliche Unsicherheiten bestehen ebenso in der Prozessanalyse und ‑optimierung zu Beginn von Digitalisierungsvorhaben. Unklare, abteilungsübergreifende Verweisungszusammenhänge können zu Redundanzen und Konflikten führen. Insbesondere im Hinblick auf die verwendeten Modelle sind im Zuge der fortschreitenden Vernetzung von Systemen die Auswirkungen von Eingriffen auf andere Prozesse kaum durch einzelne Mitarbeiter zu überblicken. Wie kann langfristig mit dieser Tatsache umgegangen werden? Sollten die Datenflüsse und Konzepte noch präziser dokumentiert werden oder sollte eine weitere Instanz wie bspw. das Qualitätsmanagement einbezogen werden, um die gesamte Prozesslandschaft und somit auch die Integration der Teilprozesse zu überwachen? Wahrscheinlich müssen beide Ansätze verfolgt werden, was aber in jedem Fall weitere Investitionen erfordert. Es handelt sich jedoch um eine Fragestellung, mit der sich sicher nicht nur mittelständische Unternehmen auseinandersetzen müssen.

In diesem Zusammenhang ergeben sich unmittelbar weitere Fragen bezüglich der Kompetenzentwicklung, die wir ebenso noch nicht abschließend klären konnten. Die Anforderungen an die Beteiligten im Rahmen der Umsetzung von Digitalisierungsvorhaben sind sehr hoch, weshalb wir ein arbeitsteiliges Modell mit Process- und Digital Consultant forciert haben. Wir merken jedoch, dass die Erwartungen zum Teil so hoch sind, dass die entsprechenden Kompetenzen ohne fachlichen Hintergrund selten adäquat entwickelt werden können. Aufgrund dessen ist es unrealistisch oder vielleicht gar nicht zielführend, in jeder Abteilung einen Fachspezialisten zum PC weiterzuentwickeln. Wie illustriert wurde, sind neben den Kenntnissen des jeweiligen Fachgebietes auch tiefgreifendes Prozesswissen, Projektmanagementfertigkeiten, Datenkenntnisse und Kreativität im Entwickeln digitaler sowie abstrakter Modelle erforderlich. In Anbetracht dieser Tatsache braucht es für die interne Digitalisierung von Prozessen eventuell nur einen Spezialisten, der alle Aufgaben von der Prozessanalyse über die Entwicklung des Digitalisierungskonzeptes bis hin zur Veröffentlichung verantwortet und zusammenhält. Einbußen an Flexibilität oder höhere Kosten durch eine personelle Bindung müssen vielleicht in Kauf genommen werden, wie es auch bei einer externen Beauftragung der Fall wäre. Die Herausforderungen bei der Bearbeitung von Digitalisierungsvorhaben und die damit einhergehenden Problematiken sind jedoch deutlich, was uns dazu führt, teilweise von dem vorgestellten Konzept Abstand zu nehmen.

Schließlich bestehen ebenso nach wie vor blinde Flecken bei der Einführung von Digitalisierungslösungen. Wie gut und einfach das Digitalisierungskonzept und dessen Umsetzung wirklich sind, zeigt sich zumeist erst im Nachhinein. Auch die neuen Anforderungen, mit denen die Mitarbeiter konfrontiert werden und lernen müssen umzugehen, zeigen sich in ihrer Deutlichkeit oft erst später. Vielleicht ist es angesichts der zunehmenden Anzahl von Anwendungen, einer damit einhergehenden potenziellen Überforderung und Angst aufseiten der Mitarbeiter sinnvoller, über die Verschlankung digitaler Lösungen nachzudenken, anstatt noch mehr neue Konzepte zu schaffen. Unter Umständen schafft eher dies mehr Effizienz. Doch in welchem Maße ist es nachhaltig und sinnvoll die Komplexität digitaler Prozesse in den Anwendungen zu kapseln, um diese für den Nutzer zu verschlanken? Sollten nicht die Konzepte selbst ab einem bestimmten Komplexitätsgrad von Grund auf überdacht und revidiert werden (Abb. 3)?

Abb. 3
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Verortung von Digitalisierungskomplexität

Wird die Komplexität für den Nutzer innerhalb der Anwendung reduziert und damit vom Frontend in das Backend verschoben, verlagert sich damit auch die entsprechende Verantwortung für den digitalen Prozess und die Daten. Der Nutzer kann die Anwendung dadurch zwar leichter bedienen, ist unter Umständen aber nicht mehr vollends in der Lage die Datenoperationen und ‑flüsse zu verstehen oder zu prüfen. Die Abhängigkeit von der Software-entwicklung nimmt in diesem Fall zu und reduziert die Flexibilität des Anwenders, was insbesondere bei Prozesseingriffen zum Tragen kommt. Einer Tendenz, der wir teilweise bewusst versuchen entgegenzuwirken. Als interne Softwareentwicklung möchten wir die Fachabteilungen bei der technischen Lösung ihrer Probleme unterstützen. Wir möchten jedoch nicht die Daten- oder Konzepthoheit gewinnen, denn die inhaltliche Lösung können wir fachlich nicht verantworten. Aus unserer Sicht müssen die entwickelten Digitalisierungslösungen daher so einfach wie möglich sein, sodass die Verantwortlichen diese verstehen und weitestgehend nachvollziehen können. Das Komplexitätsniveau wird damit beschränkt. Es wird jedoch auch sichergestellt, dass der digitalisierte Prozess von der Fachabteilung selbst verwaltet werden kann, zumal diese Anforderung bei Standardlösungen ebenso besteht. Daher möchte ich mit Verweis auf den Kontext mittelständischer Unternehmen, in dem wir uns befinden, mit einer Frage schließen, die ein grundlegendes Dilemma in Bezug auf die Verortung der Komplexität von Digitalisierungslösungen aufzeigen soll. Sollten Digitalisierungslösungen wie erstere in Abb. 3 gestaltet sein und für den Nutzer so einfach zu bedienen sein, dass nahezu keine Prozesskenntnisse oder weiteres Hintergrundwissen erforderlich ist? Oder sollte die Grenze interner Digitalisierung an dem Punkt liegen, an dem der Nutzer seine Flexibilität durch die Reduzierung der Anwendungsoptionen verliert? Das entsprechende Digitalisierungskonzept ist in diesem Fall zwar komplex, kann jedoch verstanden und von der Fachabteilung selbst verantwortet werden. Natürlich bewegen wir uns zumeist zwischen diesen Polen, da die Realität nicht Schwarz oder Weiß ist. Die genaue Ausrichtung zwischen ihnen könnte aus unserer Sicht, insbesondere aufgrund personeller Bindungen bzw. Abhängigkeiten von der Softwareentwicklung, aber langfristig entscheidend werden.