Ein Projektband, der praxisorientiert Auskunft über Ergebnisse, Einsichten und Erkenntnisse eines Forschungsvorhabens gibt, bliebe unvollständig, wenn darin nicht auch auf den Forschungsprozess und die in diesem Zusammenhang entstandenen Instrumente eingegangen würde. Dies umso mehr als schon bei der Konzeption des Forschungsvorhabens der Anspruch formuliert wurde, einen innovativen, der systemtheoretischen Methodologie entsprechenden Forschungsansatz zu entwickeln und damit Zweifel an der Tauglichkeit der Systemtheorie für eine anwendungsnahe empirische Forschung auszuräumen. Aufgrund der Konstellation der wissenschaftlichen Perspektiven im Verbund galt es zudem, einen mit berufspädagogischer Forschungspraxis kompatiblen Forschungsansatz zu finden. Auch dies machte ein innovatives Forschungsdesign umso nötiger.

Schon das Thema des Projekts der Digitalisierung und die damit verbundene Transformation sind Grund genug, sich der Frage des Forschungsdesigns zuzuwenden. Angesichts dessen, dass immer größere Teile unserer Umwelt menschengemacht sind, konstatierte Herbert Simon bereits in den 1970er Jahren, dass eine Wissenschaftstradition, die sich vor allem der Auseinandersetzung mit natürlichen Notwendigkeiten verdankt, an ihre Grenzen komme (Simon 1975: IX). Wenn stattdessen die Kontingenz einer (menschengemachten) Wirklichkeit in den Fokus gerät, müssten die Wissenschaften als „sciences of the artificial“ den Designprozessen von Ingenieuren, Architekten oder Betriebswirten folgen und sie begleiten. Dann geht es darum, Kontingenzen wahrzunehmen, zu schließen und bei Bedarf im Re-Design wieder zu öffnen (Simon 1975: XI, 9).

Wie konnte und sollte sich ein theoretisch informiertes Forschungsprojekt zur Lücke zwischen eigener Forschungspraxis und der Arbeits- und Designpraxis in den untersuchten sozialen Kontexten bzw. den beteiligten Organisationen verhalten? Diese Frage ist Grund genug, im Rahmen dieses Sammelbands das Forschungsdesign nicht unerwähnt zu lassen, welches sich über das Projekt hinweg herausbildete und erst zum Projektende in seinen Konturen klar beschreibbar wird.

Das KILPaD-Projekt ging davon aus, dass es nicht damit getan ist, die betriebliche Praxis wissenschaftlich zu beraten und so die Lücke zwischen Theorie und Praxis zu schließen. Stattdessen bearbeitete das KILPaD-Projekt das Bezugsproblem der Differenz von Theorie und Praxis im Modus einer besonderen Form partizipativer Forschung, die sich überdies bemüht, dem Anspruch soziologischer Aufklärung, wie ihn Niklas Luhmann (1967) formuliert hat, gerecht zu werden. Dieser Ansatz einer soziologischen Aufklärung ist vom Grundgedanken getragen, dass die Theorie gut beraten ist, die Lösungen zur Kenntnis zu nehmen und zu respektieren, die die Praxis bereits entwickelt hat. Schlägt die Theorie darüber hinaus ihre eigenen Lösungen vor, muss sie im Auge behalten, dass die Lösungen der Praxis vernetzt sind, das heißt möglicherweise mehrere Leistungen zugleich erbringen, die vom abstrakten Vorgehen der Theorie weder erfasst noch gewürdigt werden.

Soziologische Aufklärung kann daher nur als Reflexionsangebot an die Praxis verstanden werden und muss es der Praxis überlassen, welche Ideen sie aufgreift und welche nicht. Im Gegenzug konzediert sie sich ihre eigene, zur Praxis inkongruente Problemwahrnehmung und legitimiert beides, den Respekt vor der Praxis (einschließlich der Würdigung eines Latenzschutzes) und die eigene, „schräge“ Perspektive, als Minimum eines Umgangs mit der nicht zu leugnenden Komplexität der Wirklichkeit. Für das KILPaD-Projekt bedeutet dieses Vorgehen, dass wir zunächst eine doppelte Verwirrung stifteten, weil sich die Praxis anders thematisiert und reflektiert sah, als sie sich selbst thematisiert und reflektiert, und die Wissenschaft sich bezüglich vermeintlich besserer Lösungen vornehm zurückhielt; doch im Endeffekt überwog bei den meisten Praxispartnern die Einsicht in Reflexionsgewinne, die in die Entdeckung von Freiheitsgraden der Gestaltung ihrer Praxis umgesetzt werden konnten, von denen man vorher kaum etwas ahnte.

1 Anregungen zur partizipativen Selbstbeforschung im Kontext von Digitalisierung

Im Rahmen des Verbundprojekts KILPaD wurden mittelständische Unternehmen mit eigener Produktion dabei begleitet, jeweils mehrere, z. T. sehr unterschiedlich gelagerte Digitalisierungsvorhaben umzusetzen. Nicht nur die Unterschiedlichkeit der Betriebe (z. B. bezogen auf Branchen und Betriebsgröße), sondern auch die Verschiedenartigkeit der jeweiligen Digitalisierungsprojekte begründen, dass weniger rezepthafte Beratungs- als vielmehr generische Begleitansätze verfolgt wurden, mit denen die Betriebe in die Lage versetzt wurden, die jeweils für sie passenden Lösungen für ihre Gestaltungsprobleme und ‑herausforderungen zu finden. Gemeinsam mit den Betrieben wurde ein Instrumentarium entwickelt, mit dem die Auswirkungen geplanter Digitalisierungen auf bestimmte Arbeitsbereiche, ‑stellen oder ‑prozesse mithilfe einer Schnittstellenanalyse überprüft, auf dieser Grundlage die Einführung von Digitalisierung anhand einer Implementierungsanalyse gestaltet sowie die gefundene Lösung evaluiert werden kann.

Bei aller bereits angesprochenen Unterschiedlichkeit besteht eine Gemeinsamkeit bei der Umsetzung von Digitalisierungsvorhaben in der besonderen Problemstellung des Digitalisierens. Diese ergibt sich aus wissenschaftlicher Perspektive daraus, dass digitale Anwendungen mit eindeutigen Daten und Algorithmen operieren, Eindeutigkeit jedoch da, wo diese Anwendungen in praktische Arbeitszusammenhänge eingeführt werden, auf Kontingenz trifft und mitunter an Grenzen stößt. Denn das digitale Lösungsangebot kann in der sozialen Welt höchst unterschiedlich aufgefasst werden: es kann sich mehr oder weniger hilfreich in Arbeitsprozesse einfügen, auf mehr oder weniger Akzeptanz stoßen, ggf. unterschiedliche Abwehrmechanismen provozieren, Prozessinnovationen hervorbringen oder verhindern usw. Wir ermutigten daher unsere Praxispartner, die von den Vorhaben betroffenen Mitarbeiter:innen weniger als Betroffene denn als Mitgestalter:innen einzubeziehen. Dabei sind unterschiedliche Beteiligungsformen denkbar, die je nach Größe des Betriebs, Umfang des Vorhabens, aktueller Problemlage etc. variieren können. Die Varianten reichen von punktuellen Befragungen von Schnittstellenbeteiligten über kleinere Workshops bis hin zur stellvertretenden Integration betroffener Akteure in das Projektteam.

Die hier vorgestellten Handreichungen wurden von den wissenschaftlichen Forschungspartnern unter Berücksichtigung des Partizpationsgedankens entworfen und im Forschungsprozess mit den Praxispartnern erprobt. Erfahrungen mit ihrer Anwendung wurden im Projektverbund reflektiert, was stellenweise zur Anpassung des Instrumentariums führte. Besonders die beiden ersten Handreichungen, die in den folgenden Abschnitten dargestellt werden, entstanden innerhalb des Projektes in einem arbeitsteiligen Vorgehen zwischen Wissenschaftler:innen und Praktiker:innen. Die entwickelten Instrumente werden hier in einer Form vorgestellt, die jenseits unserer Begleitforschung auch in anderen Betrieben, die sich digitalisieren möchten, durchgeführt werden kann. Vermutlich ist die soziologisch, berufspädagogisch und systemisch informierte Methode auch in anderen Transformationsvorhaben von Nutzen. Die im Folgenden gewählten unterschiedlichen Darstellungsweisen geben einen Einblick in unsere Arbeitsweise.

1.1 Schnittstellenanalyse

Ein Instrument, das von den an KILPaD beteiligten Praxispartnern als sehr hilfreich eingeschätzt wird, ist die Schnittstellenanalyse. Bei ihr geht es im Kern darum, genauer zu verstehen, wie sich eine neu einzuführende digitale Technik im Betrieb auswirken wird. Hierbei geraten neben den naheliegenden technischen insbesondere auch soziale Schnittstellen in den Blick, wie z. B. die Veränderung der Kommunikation zwischen Bereichen oder der Umstand, dass Beschäftigte auf andere Weise miteinander interagieren oder ihre Arbeit nun anders erfahren.

Eine vollständige Schnittstellenanalyse umfasst drei Schritte und führt über die Schnittstellenidentifikation und ‑gewichtung schlussendlich zur Detailanalyse einzelner Schnittstellen. Für alle drei Schritte empfiehlt es sich, über Leitfragen die Perspektiven relevanter Akteure im Betrieb einzuholen. Je nach Problemstellung und Erkenntnisinteresse kann jedoch der Analyseschwerpunkt unterschiedlich gewählt werden. Geht es in erster Linie darum, herauszufiltern, wie sich ein Digitalisierungsprojekt auswirkt, so sollte der Schwerpunkt auf eine möglichst vollständige Identifikation der betroffenen Schnittstellen gelegt werden. Dazu haben wir in KILPaD mit folgenden Leitfragen angeregt (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Leitfragen zur Schnittstellenidentifkation

Im Verbundprojekt KILPaD hat sich schon bei der Schnittstellenidentifkation gezeigt, dass der Einbezug von Praktiker:innen einen Beitrag dazu leisten kann, sowohl unerwünschte Nebeneffekte wie auch wünschenswerte Zusatzfunktionen digitaler Technik herauszuarbeiten.

Um zu ermitteln, welche Schnittstellen für das Erreichen einer spezifischen Zielstellung besonderes relevant sind (in KILPaD standen Veränderungen von Kommunikation/betrieblichen Prozessen, Verbesserungen/Innovationen und Lernen im Fokus) können die identifizierten Schnittstellen mithilfe einer Schnittstellengewichtung priorisiert werden. Dazu wurde zu jedem Themenfeld eine Frage aufgeworfen, die mit weiteren Unterfragen veranschaulicht wurde (Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Leitfragen zur Schnittstellengewichtung

Die Betriebe wurden auch gebeten, die ermittelten Schnittstellen sowohl mithilfe einer Skala zu gewichten als auch diese Gewichtung durch eine verbale Begründung der quantitativen Bewertung zu ergänzen. Dabei lieferten nicht selten Diskrepanzen zwischen Zahlenwert und verbalisierter Einschätzung wertvolle Reflexionsanregungen, die zu abweichenden Priorisierungsentscheidungen führten. Die Gewichtung zielte sowohl auf die einzelnen KILPaD-Kategorien als auch auf eine Gesamteinschätzung zu den im Fokus stehenden Schnittstellen.

Nachfolgend zeigen wir in Abb. 3 einen Auszug aus einem ausgefüllten Gewichtungsfragebogen, um das Vorgehen an einer spezifischen Schnittstelle zu veranschaulichen.

Abb. 3
figure 3

Gewichtungsfragebogen

Um Anhaltpunkte für eine die Gestaltung von Interaktionen an konkreten bzw. den im Zuge der Gewichtung ermittelten Schnittstellen zu erhalten, haben wir die Praxispartner zu einer weiteren Detailanalyse angeregt, die hier mit Fokus auf eine akzeptanz- und innovationsförderliche Schnittstellengestaltung angesprochen wird. Mit Blick auf die ebenfalls durchgeführte Analyse der Lernförderlichkeit von Schnittstellen verweisen wir auf den Beitrag „Digitalisierung in produzierenden KMU gestalten: Ein Leitfaden zur lernförderlichen Schnittstellengestaltung“ von Uwe Elsholz und Martina Thomas in diesem Band. Für die Moderation von Befragungssituationen bzw. Workshops im Betrieb haben wir unseren Praxispartnern folgende Moderationskarten an die Hand gegeben (Abb. 4).

Abb. 4
figure 4

Moderation der Detailanalyse ausgewählter Schnittstellen

Im Rahmen von KILPaD erfolgte das Anfertigen der Schnittstellenanalyse insofern arbeitsteilig, als Wissenschaftler:innen in mehrtägigen teilnehmenden Beobachtungen im Betrieb, flankiert von Leitfadeninterviews mit den an den jeweiligen Digitalisierungsvorhaben beteiligten Projektmitarbeiter:innen und Entscheidungsträger:innen sowie Beobachtungsinterviews an konkreten Arbeitsplätzen, einen Überblick über Verortung, Beschaffenheit und Zielstellung der Digitalisierungsprojekte im Unternehmen gewannen. Die Beobachtungen und Erkenntnisse der Wissenschaftler:innen wurden dann mit der jeweiligen betrieblichen Projektleitung diskutiert und reflektiert. Aus einer distanzierten Perspektive entwickelten die wissenschaftlichen Forschungspartner ein Verständnis darüber, an welchen Stellen sich die neue Digitaltechnik auswirkt, wobei sowohl technische als auch soziale Schnittstellen in den Blick gerieten. Im Austausch mit den Projektverantwortlichen in den Betrieben entstand so je Betrieb und Digitalisierungsvorhaben ein kommunikativ validierter Katalog aller betroffenen Schnittstellen. Bei der Erstellung dieses Katalogs war die Distanz der Wissenschaftler:innen zum Betrieb hilfreich. Zugleich war der Aufwand, die jeweiligen Abläufe und Digitalisierungsvorhaben zu verstehen, verhältnismäßig hoch. Während dieser Aufwand bei einer von Betrieben selbständig durchzuführenden Schnittstellenanalyse durch die bessere Kenntnis der betrieblichen Abläufe verringert werden dürfte, kann der hier vorgestellte Katalog von Leitfragen dazu anregen, gewohnte Perspektiven auf das Digitalisierungsvorhaben zu irritieren und dazu beitragen, eine reflexionsunterstützende Distanz einzunehmen.

1.2 Implementierungsanalyse

Um stärker die Form der projekthaften Implementierung der Digitalisierungsvorhaben zu reflektieren, wurden die Praxispartner zu Implementierungsanalysen angeregt. Ging es bei der Schnittstellenanalyse darum, eine Bestandsaufnahme der von den Digitalisierungsvorhaben betroffenen Schnittstellen bzw. der Auswirkungen der Digitalisierung an diesen Stellen vorzunehmen, weist die Implementierungsanalyse einen beteiligungsorientierten Weg in die Umsetzung. Im Einführungsprozess stellen sowohl die Übersetzungsleistung vom Analogen ins Digitale als auch die daraus in der Regel resultierende Veränderung der Arbeit besondere Herausforderungen dar. Damit verbunden ist auf der einen Seite das Problem, zielführende Funktionen und Bedienoberflächen zu entwickeln und andererseits Akzeptanz für Veränderungen zu schaffen. Im Sinne einer partizipativen und damit zugleich humanen wie auch agilen Implementierung ist daher im Projekt KILPaD folgendes Implementierungsdreieck entwickelt worden (Abb. 5).

Abb. 5
figure 5

Implementierungsdreieck

Abgesehen davon, dass dieses Modell Anhaltspunkte für eine vergleichende wissenschaftliche Analyse der je betriebsspezifischen Vorgehensweisen bei der Implementierung lieferte, hat es auch einen praktischen Wert. Das Dreieck sensibilisiert dafür, dass Digitalisierung im Unternehmen auf eine (mehr oder weniger) analoge Praxis trifft, die Routinen ausgebildet hat und sich auf Erfahrungswissen stützt. Diese Praxis ist gleichermaßen Ausgangs- wie Endpunkt, an die sich die Digitalisierung anschließen muss. Da niemand diese Praxis so gut kennt wie diejenigen, die sie ausüben, sollten operativ Tätige nicht nur im Sinne einer Bestandsaufnahme bei der Schnittstellenanalyse, sondern auch in die Gestaltung von Digitalisierung einbezogen werden, um zu zielführenden digitalen Lösungen zu kommen.

Digitalisierung ist meist von Vorstellungen des Managements über einen zukünftigen, noch nicht realisierten (also imaginären) Zielzustand getrieben. Abweichende Vorstellungen von Beschäftigten und damit einhergehend deren Ideen bzw. Befürchtungen zum jeweiligen Digitalisierungsvorhaben werden bei der Konzeption von Digitalisierungsprojekten häufig ausgeblendet. Diese abweichenden Vorstellungen bestehen aber dennoch und können sowohl Quellen der Motivation wie der Demotivation sein. Im Sinne einer humanen und agilen Gestaltung von Digitalisierung ist es daher ratsam, mit und auch an den Imaginären der Beteiligten zu arbeiten (und dabei offen für eine Revision der ursprünglich treibenden Ideen zu bleiben). Denn nicht die Wirklichkeit, sondern imaginäre Möglichkeiten ihrer Gestaltung setzen den Willen zur Schöpfung frei (Castoriadis 2012).

Häufig schafft digitale Technik zwar Transparenz über Daten; wie sie das jedoch macht, bleibt den meisten Beteiligten intransparent. Deshalb ist es wichtig zu erfahren, wie Digitalisierung wirkt, z. B. indem ein digitales Tool erprobt wird. Solche Erfahrungen vermitteln zwischen dem Imaginär und der Praxis, insbesondere dann, wenn sie mit Feedbackschleifen im Implementierungsprozess verbunden sind.

Das Implementierungsdreieck regt zu einem partizipativen Vorgehen bei der Implementierung digitaler Technik an. Diese Partizipation kann eher von Entscheider:innen, Verantwortungsträger:innen (beispielsweise in Projektteams, die mit der Digitalisierung betraut sind) initiiert werden. Es geht hier auch darum, das eigene Handeln in der Entwicklungs- und Einführungsphase zu reflektieren und daraufhin zu überprüfen, wie und an welchen Stellen Praktiker:innen einbezogen werden können. Betrieben, die ihr Vorgehen bei der Implementierung reflektieren wollen, können folgende Reflexionsanregungen eine Hilfe sein (Abb. 6).

Abb. 6
figure 6

Reflexionsanregungen zur Analyse der Implementierung

Zur Anleitung der Implementierungsanalyse hatten wir zwei Videos in unserem YouTube-Kanal bereitgestellt,Footnote 1 die in Teil eins unsere theoretischen Sichtweisen auf die Implementierung von Digitaltechniken und in Teil zwei erste Hypothesen zu relevanten Dimensionen für die Analyse von Implementierungen vorstellten. Die Projektteams der Partnerbetriebe wurden dazu angeregt, diese Videos anzuschauen, bevor sie mit vorbereiteten Diskussionsleitfäden zu den die uns vorgeschlagenen Kerndimensionen erörterten und ihre Diskussionsergebnisse dann im Projektverbund gemeinsam reflektierten. Die hier dargestellte Form der Reflexionsfragen zur Implementierungsanalyse ist das Ergebnis einer Überarbeitung auf Basis einer gemeinschaftlich mit allen Verbundpartnern angestrengten Reflexion unserer Anregungen, die stellenweise Schwierigkeiten bei der Anwendung bereiteten.

1.3 Handreichungen zur Evaluation von Implementierungen

Auch ein noch so partizipatives und agiles Vorgehen bei der Implementierung ist kein Garant für eine gelungene Umsetzung. Daher wurden im Zuge von KILPaD auch Handreichungen zur Evaluation entwickelt, die sowohl die Perspektive der Anwender:innen bzw. der weiteren auf operativer Ebene betroffenen Mitarbeiter:innen als auch des mit der Einführung des jeweiligen Digitalisierungsvorhabens betrauten Projektteams berücksichtigen.

Dem bereits in der Implementierungsanalyse anklingenden Gedanken folgend, dass digitale Lösungen an die jeweiligen praktischen Arbeitsvollzüge anschließen sollten, wurden auch für die Evaluation der Implementierung Reflexionsfragen angeboten. Diese sind in Abb. 7 dargestellt und zielen insbesondere darauf ab, ausgehend von den Erfahrungen mit dem Digitalisierungsvorhaben zu erfassen, inwiefern das Lösungsangebot, das die digitale Technik für die Praxis bereithält, als hilfreich, problematisch oder unvollständig empfunden wird und danach, wie sich die Erwartungen an das Digitalisierungsvorhaben im Zuge der Implementierung verändern.

Abb. 7
figure 7

Evaluationsfragen

Alle in diesem Abschnitt vorgestellten Reflexionsangebote und Handreichungen wurden jeweils von den wissenschaftlichen Forschungspartnern vorbereitet. im Projektverbund erörtert und dann zusammen mit einer Anregung zur Ausgestaltung des jeweiligen Selbstbeforschungsschrittes an die Praxispartner verteilt. Diese Anregungen beziehen sich im Wesentlichen auf die Auswahl der zu beteiligenden betrieblichen Akteure, auf den Zeitaufwand und die jeweilige Zielstellung des Arbeitsschritts sowie darauf, wie die Gesprächsführung und Ergebnissicherung gestaltet werden sollten und werden in Abb. 8 exemplarisch anhand der Evaluation dargestellt. Im Kontext des Verbundprojekts KILPaD wurde zudem die Einspeisung der so gewonnenen Daten in den Forschungsprozess angebahnt, worauf in Abschnitt zwei dieses Beitrags näher eingegangen wird.

Abb. 8
figure 8

Anregungen zur Gestaltung der Evaluation

Nachdem das in KILPaD für die Selbstbeforschung der Betriebe entwickelte Instrumentarium vorgestellt wurde, soll nun dessen Entstehung und forschungspraktische Anwendung erörtert werden. Somit sollen Anregungen zu einem Transfer der erarbeiteten Handreichungen und Methoden nicht nur in die Richtung der betrieblichen Praxis im Kontext der Digitalisierungsgestaltung sondern auch in die Richtung der sozialwissenschaftlichen Begleit- bzw. Anwendungsforschung gegeben werden.

2 Partizipative Selbstbeforschung als Forschungsdesign

Im Sinne des Anspruchs, den eingeübten Rahmen von soziologischer Anwendungsforschung zu weiten, griff das KILPaD-Projekt auf einen breiten Methodenmix zurück. Dies erfolgte in Anlehnung an praxisorientierte Begleitforschungsansätze, die als Handlungs-. Aktions- und Praxisforschung von Vornherein die Zielsetzung der Weiterentwicklung der Praxis im Zusammenspiel mit der Wissenschaft mitführt. Bei aller Unterschiedlichkeit praxisorientierter Forschungskonzepte wurde der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich Aktionsforschungskonzepte bringen lassen, von Krüger et al. (1975, S. 1 f.) umrissen. Demnach zeichnen sie sich dadurch aus, dass

  • sie konkrete praktische Problemstellungen mit gesellschaftlicher Relevanz bearbeiten und

  • dabei nicht nur auf wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt, sondern im besonderen Maße auf die Veränderung von Praxis zielen,

  • sie die jeweils zu erforschenden sozialen Probleme ganzheitlich und nicht anhand theoretisch begründeter isolierter Merkmale zu verstehen versuchen,

  • Daten dementsprechend im Kontext ihres Entstehens interpretiert werden und daraus theoretischer Sinn und praktische Relevanz entsteht,

  • Forschende weniger ein distanziertes als ein reflektiert teilnehmendes Verhältnis gegenüber ihrem Forschungsgegenstand einnehmen und

  • Befragte bzw. Beobachtete nicht als Forschungsobjekte betrachtet werden, sondern ihre Einsichten als Forschungssubjekte in den Prozess der Erkenntnisgewinnung einbringen.

Im Sinne einer partizipativen Ausgestaltung des Forschungsdesigns waren die Auswahl der praxis- und gesellschaftlich relevanten Problemstellungen (z. B. die Priorisierung von Schnittstellen) oder die Art und Weise, wie die Interventionen, die „in der Feld- und Aktionsforschung unvermeidlich, wenn nicht gar erwünscht“ (Schulz 2016, S. 132) sind, erfolgen (z. B. die konkrete Ausgestaltung von Evaluationsgesprächen), keineswegs Entscheidungen, die von den wissenschaftlichen Akteuren allein getroffen wurden. Im partizipativen Ansatz ergeben sich zudem Fragen danach, wie eine partizipative Auswertung von Untersuchungsergebnissen gelingen kann oder wie ein über längere Forschungsbeteiligung zwangsläufig entstehender „allgemeiner Reflexionsprozess“ (Schulz 2016, S. 136) gesteuert werden, wie Ergebnisse transparent dargestellt und Folgemaßnahmen daraufhin partizipativ angelegt werden können (Schulz 2016, S. 138).

Wright et al. (2010) definieren unterschiedliche Stufen der Partizipation, und grenzen diese dadurch voneinander ab, welchen Einfluss die Beforschten auf ihre Beforschung gewinnen. Als Nicht-Partizipation gilt aus dieser Warte Forschung nach Anweisung. Als Vorstufe der Partizipation wird beispielsweise definiert, dass Beteiligte in erster Linie angehört werden, während es als tatsächliche Partizipation verstanden wird, wenn die an Forschungszusammenhängen in der beforschten Praxis Beteiligten die Forschung mitbestimmen, teilweise oder gänzlich entscheiden. Während die Ansätze der Aktions- bzw. Handlungsforschung vor allem die Anwendungsnähe von Forschung betonen, stellen sich also partizipative Forschungsansätze der Frage, inwieweit die Beforschten in der Ausgestaltung dieser Anwendungsnähe partizipieren und damit Einfluss auf ihre Beforschung nehmen können. Im Rahmen von KILPaD kam es zu einem weitreichenden Einbezug der Praxispartner. In unserem Forschungskontext bezieht sich Partizipation nicht nur auf das Verhältnis der Projektparteien aus Wissenschaft und Praxis, sondern hinsichtlich der Selbstbeforschungsanteile insbesondere auch auf den Einbezug weiterer relevanter betrieblicher Akteure durch die betrieblichen Projektteams. Diese wurden gezielt angeregt, ihrerseits betroffene Mitarbeiter:innen bzw. Kolleg:innen im Zuge der Selbstbeforschung des Betriebs zu beteiligen. Ihnen kam auch die Aufgabe zu, die so gewonnenen Einsichten und Erkenntnisse ans Forschungsteam zurück zu spiegeln und so auch einen Beitrag zum wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt zu leisten und den weiteren Forschungsprozess zu beeinflussen. Das hier skizzierte forschungspraktische Vorgehen war andererseits auch durch theoretische Vorannahmen und wissenschaftliche Methoden geprägt.

In diesem Sinne wurden Daten sowohl durch klassische Methoden der qualitativen Sozialforschung gewonnen, als auch durch die gemeinsame Reflexion von Beobachtungen aus der Anwendung dieser Methoden produziert (Bethmann 2020: 119 f.). Als klassische Erhebungsmethoden wurden insbesondere Leitfadeninterviews sowie teilnehmende Beobachtungen durch die beteiligten Wissenschaftler:innen durchgeführt. Dies erfolgte ausführlich in mehrtägigen Erhebungskampagnen in den Betrieben zu zwei Zeitpunkten, bevor die Corona-Pandemie derartige Erhebungen in Präsenzform verunmöglichte. Die teilnehmenden Beobachtungen wurden sowohl in Gruppensettings, als auch an einzelnen Computer- und Produktionsarbeitsplätzen im Zuge von Betriebsrundgängen und Abteilungsbesuchen durchgeführt. Die Ergänzung dieser Methodik durch eine Einladung zum „lauten Denken“ der Beobachteten trug wesentlich dazu bei, dass die praktischen Handgriffe an Maschine oder Computer für die Wissenschaftler:innen verständlich wurden. Zudem wurde dieses laute Denken in unregelmäßigen Abständen durch Nachfragen oder Hypothesen der beobachtenden Forscher unterbrochen, um zu überprüfen, inwieweit die Darstellung von den Wissenschaftler:innen verstanden worden waren.

Die Erhebungsphasen legten eine wichtige Grundlage für die weiteren Forschungsschritte, da die wissenschaftlichen Forschungspartner so ein fundiertes Verständnis über die betrieblichen Rahmenbedingungen, Prozesse und praktischen Arbeitshandlungen gewinnen konnten.

Auf der Basis der anfänglichen Erhebungen vollzog KILPaD im Wesentlichen die bereits erwähnten vertiefenden Forschungsschritte. Diese kombinierten allesamt die Fremdbeforschung der Betriebe durch die teilnehmende Wissenschaft mit der Selbstbeforschung der Betriebe anhand des im ersten Abschnitt beschriebenen Instrumentariums. Diese Forschungsaktivitäten fanden zugleich auf einzelbetrieblicher Ebene wie auch der Ebene des Projektverbunds statt. Was verband die unterschiedlichen Forschungsphasen des KILPaD-Projekts hinsichtlich ihres Forschungsdesigns miteinander?

Einerseits wurden in jeder Forschungsphase die unterschiedlichen Perspektiven der Forschungs- wie auch der betrieblichen Partner zu trennen wie auch zu kombinieren versucht. Fragen wurden getrennt voneinander diskutiert und Ergebnisse dieser Gespräche und Diskussionen zwischen Forschung und Betrieb reflektiert, bevor in Online-Besprechungen unter allen Projektpartnern eine vergleichende Besprechung von Eindrücken und Einsichten erfolgte. Andererseits kam es in jeder Forschungsphase zur Operationalisierung von Hintergrundtheorien und wissenschaftlichen Erkenntnissen in den vorstehend beschriebenen Leitfäden zur kommunikativen Selbstbeforschung. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass sie in Frageform gehalten wurden und die konkrete Thematisierung dieser Fragen jeweils durch eigene Handreichungen zu den zu schaffenden Kommunikationssituationen angeleitet wurden. So erfolgte auf betrieblicher Ebene eine angeleitete Partizipation spezifischer Mitarbeiter an der Implementierung der durch das Forschungsprojekt begleiteten Digitalisierungsvorhaben und der damit verbundenen Transformation der Betriebe.

Dabei stellt sich der Weg dieser soziologisch aufgeklärten, weil in Fragen übersetzten, soziologisch fundierten, partizipativen Selbstbeforschung selbst als Ziel dar. Was genau verändert diese partizipative und ergo kommunikative Selbstbeforschung jenseits ihrer konkreten im Anschluss auf Forschungsprojektebene reflektierbaren Ergebnisse?

Die Erfahrungen aus den Forschungsphasen des KILPaD-Projekts zeigen, dass die Selbstbeforschung von Betrieben nicht zufälligerweise eher partizipativ und weniger objektiv-distanziert ausfallen sollte. Nur wenn die Forschung im Gespräch mit innerbetrieblichen Anspruchsgruppen im Betrieb thematisiert und reflektiert wird, sind die Forschungssituationen auf der Ebene der Entscheidungskommunikation angesiedelt, wo sie auch einen unmittelbaren Unterschied für die entsprechenden Transformationsprojekte machen können. Objektiv-distanzierten Modi der Selbstbeforschung ist dies verwehrt, da sie der Rückübersetzung in Mitteilungen bedürfen und ihre Kommunikation dadurch zwangsläufig weniger explorativ ausfallen muss. In der sozialen Dimension machten die Anleitungen zur partizipativen Selbstbeforschung Kommunikationen zwischen Akteuren wahrscheinlich, die sonst eher unwahrscheinlich gewesen wären. So wurde in einem Fall ein Gespräch mit einer technischen Zeichnerin geführt, das überraschenderweise zutage förderte, dass diese sich über Effizienzgewinne freute, da sie vor ihrer Rente sowieso kürzertreten wolle. In der zeitlichen Dimension irritierte die kommunikative Selbstbeforschung, da sie zu Zeitpunkten zu Diskussionen motivierte, die sonst kaum hierfür genutzt wurden. Statt erst, wie häufig, im Roll-Out neuer Technologien in die Kommunikation mit Anwendern zu gehen, wurden diese entlang von Anleitungen zur partizipativen Selbstbeforschung bereits zuvor kommunikativ in die Projekte einbezogen. In der sachlichen Dimension irritierte die kommunikative Selbstbeforschung durch die Unterscheidungen, die sie in Frageform zur Thematisierung vorschlug. So konnten Themen diskutiert werden, die sich sonst im blinden Fleck der Betriebe befinden, und Perspektiven eingenommen werden, die zumeist, auch unbewusst, unterschlagen werden. Dadurch konnten Diskussionen angestoßen werden, die vor Ort in den betrieblichen Projekten neue Freiheitsgrade erschlossen, eben weil man sich anders miteinander auseinandersetzte.

Eine derart fundierte partizipative Selbstbeforschung kann die Selbstbeschreibung von Organisationen und die Kommunikation im Rahmen ihrer Transformationsprojekte, ob nun im Bereich der Digitalisierung oder in anderen Themenfeldern, anders orientieren. Sie kann zu neuen Komplexitätsreduktionen anhalten, die außerhalb des Projekts so kaum denkbar gewesen wären. Dies gelingt im Modus einer soziologisch aufgeklärten partizipativen Selbstbeforschung, indem sie neue Kommunikationsformate anregt, die eine veränderte soziale, sachliche und zeitliche Verschränkung des Betriebs und seiner Ressourcen ermöglicht. Es entstehen Kommunikationen – ob nun in der Form von Gruppendiskussionen, Einzelgesprächen oder Projektmeetings –, die es ermöglichen, einen anderen Blick auf die Organisation und die fokalen Transformationsprojekte einzunehmen. Dabei ist insbesondere auf eine Operationalisierung theoretischer Gehalte in Frageform Wert zu legen. So abstrakt theoretische Angebote auch sein mögen: Um in der Praxis kommunikativ anschlussfähig zu werden, müssen diese Angebote in zugängliche Fragen enggeführt und ihre kommunikativen Bedingungen durch konkrete Vorgaben zu Teilnehmerkreis, Zeitrahmen und Durchführungsweise zumindest ansatzweise angeleitet werden.

Doch zugleich zeigte sich, dass eine solche partizipative Selbstbeforschung nicht nur für die unmittelbaren Projektfortschritte in den Betrieben relevant ist, sondern auch jenseits ihrer konkreten Durchführung aufschlussreich sein kann. Die Anleitung zur Selbstbeforschung, die Gespräche immer zugleich auch zu visualisieren, unterstützte dementsprechende Aufgriffe von Diskussionsergebnissen in folgenden Arbeitsschritten. Auf betrieblicher Ebene konnte man jeweils auf Gespräche zurückkommen und sich gezielt nochmals mit einzelnen Perspektiven auseinandersetzen. Den Forscher:innen aus der Wissenschaft erlaubte die Zusendung solcher Visualisierungen und Protokolle besonders exklusive Einblicke in die Kommunikation im Betrieb und deren Aufnahme in eigene forscherische Tätigkeiten. Und sie ermöglichte es zugleich, gegenüber den Forschungspartnern auf betrieblicher Seite bestimmte Anwenderperspektiven stark und das heißt für Irritationen nutzbar zu machen. Der gemeinsamen Auswertung zwischen Wissenschafts- und Praxispartnern ermöglichten die Protokolle eine gemeinsame Basis zur Diskussion. Da im Rahmen der partizipativen Selbstbeforschung zum selben Thema zumeist mehrere Perspektiven entlang derselben Frage ins Spiel kamen, konnten diese Diskussionen sich mit Perspektivendifferenzen auseinandersetzen, anstatt sich, wie so häufig, vorschnell nur an einer einzelnen zu orientieren. Auf Projektebene diente die partizipative Selbstbeforschung jeder Forschungsphase als gemeinsamer Erfahrungshintergrund. Alle Partner durchliefen dieselben Schritte und so profitierten die Auswertungsrunden auf Projektebene unmittelbar davon, dass hier ein Austausch dazu stattfand, welche Probleme wo wie gelöst wurden. So konnte über die überbetriebliche Ebene dem Ziel der soziologischen Aufklärung, Systemen gesteigerte Freiheitsgrade wieder zugänglich zu machen, entsprochen werden, weil so Komplexitätsreduktionen jeweils sehr konkret zugänglich wurden, die sonst nur in weiter Ferne zu erahnen gewesen wären.

3 Angewandte soziologische Aufklärung?

Auf diese Art und Weise fand das in KILPaD genutzte Forschungsdesign der partizipativen Selbstbeforschung einen neuen – und vor allem praktischen – Umgang mit den eingangs geschilderten Ansprüchen der soziologischen Aufklärung an die soziologisch fundierte Erforschung von Gesellschaft. Anstatt auf theoretischer Ebene mit entsprechend abgesicherten Vereinfachungen anzutreten, wurde komplexe, etwa an der Unterscheidung von Systemreferenzen orientierte Theorie in ungewohnte Fragen übersetzt und diese in Settings zur Selbstbefragung der Praxispartner-Organisation übersetzt. Daraus resultierte eine angeleitete Selbstverkomplizierung und im besten Sinne des Wortes eine neue veränderte Selbstbeschäftigung der teilnehmenden Praxispartner-Organisationen mit ihren betrieblichen Problemlösungen. Statt als Forschungsprojekt aus den Veränderungsprojekten auszusteigen und empirische Eindrücke nur aus Forscherinterviews zu beziehen, konnten im Rahmen der Selbstbeforschung die laufenden Digitalisierungsprojekte partizipativ nachverdichtet werden und durch die Operationalisierung mitunter abstrakter Theorie in Fragefolgen auf Latenzen und blinde Flecken hingewiesen werden. Dadurch konnten in den Organisationen Freiheitsgrade durch zusätzliche und entlang neuer mitunter auch fremder Unterscheidungen geführter Gespräche wiedergewonnen werden. Diese partizipative Selbstbeforschung ermöglichte ein stetes Einrasten des Forschungsprojekts in die Entscheidungskommunikation vor Ort. Dies lag einerseits an der partizipativen Natur der Selbstbeforschung. Es wurden nicht nur Analysefolien formuliert, die durch eigene Projektpartner gedanklich durchdrungen und deren kommunikative Bedeutung für die Projektpartnerorganisationen dem Geschick eben jener Experten überantwortet sind. Vielmehr bestand der Modus der Forschung in einer partizipativen Selbstbeforschung zwischen den Mitarbeiter:innen der einzelnen Praxispartner des Forschungsprojekts. Die Orientierung dieser Gespräche an Fragen statt an (theoretischen) Erkenntnissen erschloss ihnen zusätzliche Eigendynamiken. Denn diese konnten hierdurch stärker am beiderseitigen Nichtwissen orientiert werden – mit entsprechenden Möglichkeiten zur Erkundung und Überraschung.

Die mit der kommunikativen Selbstbeforschung einhergehende schriftliche Visualisierung aller Gespräche ermöglichte es darüber hinaus im Anschluss an das Gespräch, die Grenzen der Sinnsysteme der Gesprächspartner zu verunsichern. Anstatt von wissenschaftlicher Seite auf eine Perspektive der Teilnehmenden an den angeregten Gesprächen angewiesen zu sein, konnte die andere Perspektive anhand des Mitvisualisierten nachvollzogen werden und so die Selektivität der Interpretation des berichtenden Teilnehmers umso klarer hervortreten. Dass diese Form der Selbstbeforschung über alle teilnehmenden Praxispartner hinweg praktiziert wurde, ermöglicht entsprechende angewandte Situationen des funktionalen Vergleichs auf Projektebene. Denn in gemeinsamen Projektrunden konnte nun themenbezogen danach gefragt werden, welche Probleme durch wen beschrieben und wie zu lösen versucht werden. Durch den Bericht aus der betrieblichen partizipativen Selbstbeforschung konnte es hier umso stärker zum Vergleich von betrieblichen Problemen und Lösungen im Rahmen der Digitalisierung kommen. Vor diesem Hintergrund empfiehlt es sich, die partizipative Selbstbeforschung durch entsprechende Reflexionen zwischen den beforschten Unternehmen und der Wissenschaftsseite sowie die Runde der Projektpartner zu kontextualisieren. Ersteres Format kann dazu dienen, einen allzu selektiven Zugriff auf Gespräche zu hinterfragen und auf wissenschaftlicher Ebene nachzuvollziehen. Letzteres kann dazu verhelfen, einen funktionalen Vergleich nicht nur analytisch zu versuchen, sondern auch effektiv im Kreis der Projektpartner zu leisten.

4 Rückschlüsse für die Anwendungsforschung

Anstatt in der empirischen Methodologie nach Objektivität zu suchen und sich in die wissenschaftsinterne Theoriearbeit zurückzuziehen, wird in den zur Anwendungsforschung zählenden Ansätzen der Handlungs-, Aktions- und Praxisforschung wissenschaftlicher Erkenntnisfortschritt fest mit der Weiterentwicklung der beforschten Praxis gekoppelt. Damit wird zu vermeiden versucht, dass im Kielwasser wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritts kaum bearbeitbare Transferprobleme entstehen. Anstatt sich also auf einer Seite des Abstands zwischen Forschung und beforschter Praxis zu verschanzen, wählt die Anwendungsforschung einen Forschungsmodus zwischen Theorie und Anwendung. Damit grenzt sie sich von ihrem Gegenbegriff, der Grundlagenforschung, ab und nutzt stattdessen deren Ergebnisse, um durch ihre partielle Anwendung auf Probleme der beforschten Praxis eben diese zu lösen und zugleich neues Wissen zu generieren. Die Anwendungsforschung beschreibt also in erster Linie die Abstraktionshöhe und Anwendungsnähe von Forschung und grenzt sie dabei von der Grundlagenforschung ab. Als praktisch zu beantwortende Frage bleibt hier aber eine bestehen: Was wird hier von wem auf was angewendet? Diese Unsicherheit muss jedes Forschungsunterfangen für sich absorbieren und entsprechende Antworten finden.

Die Erfahrungen aus KILPaD raten jedenfalls dazu, die Anwendungsforschung im Rahmen der Transformation sozialer Zusammenhänge auf der Ebene des Re-Designs dieser Zusammenhänge anzusiedeln: Auf derjenigen der Kommunikation. Sonst verpufft sie, produziert irrelevante Daten und bleibt folgenlos. Hierfür schlagen wird den in KILPaD erprobten Modus der wissenschaftlich (oder auch praktisch) fundierten partizipativen Selbstbeforschung vor.