Keine Einleitung könnte den folgenden Artikel besser einstimmen, als der Trailer für „schnitt.stelle – der KILPaD-Podcast“! Er kann über folgenden Link in unserem YouTube-Kanal „KILPaD_Projekt“ aufgerufen werden: https://bit.ly/3gvEwfP.

Das Zukunftsprojekt Industrie 4.0 und Digitalisierung als Transformation scheinen mit Blick in die Zukunft deutlich attraktiver und vor allem reibungsloser zu verlaufen, als es in gegenwärtigen Beispielen der Anwendung häufig den Anschein hat. Tatsächlich liegen die Ursachen nicht ausschließlich bei der technischen Umsetzbarkeit oder beim aktuellen Forschungsstand. Technik ist in seiner Funktionalität noch am verlässlichsten. Unkalkulierbare (Stör-)Faktoren treten dann auf, wenn Technik in organisationale Abläufe implementiert werden soll. Ab diesem Zeitpunkt haben Berechenbarkeit und Zuverlässigkeit ein Ende. Jedenfalls war das die Quintessenz, die sich in unserem Podcast schnitt.stelle im Verlauf der 15 Gespräche mit Theoretiker:innen, erfahrenen Personen aus mittelständischen Produktionsbetrieben und auch Expert:innen aus Wissenschaft, Bildung, Beratung und Industriebegleitung herauskristallisiert hat.

Anhand laufender Digitalisierungsprojekte haben wir gelernt, was bei Implementierungen schiefgehen kann, was man bei der Gestaltung von Oberflächen sowie der Strukturierung von Arbeitsprozessen verbessern kann und wie man bei einem Kick-Off (Gespräch mit Nader Tabbara) die nötige Akzeptanz erreichen kann. Darüber hinaus wurden im Podcast Hypothesen präsentiert, Theoriearbeit geleistet und gemeinsam reflektiert, wie Digitalisierung unter Berücksichtigung der gesamten Organisation als Transformation gelingen kann. Dieser Artikel soll einerseits Einblicke in einzelne Episoden bieten und andererseits reflektieren, inwiefern sich Podcasts als Format zu Zwecken der Wissenschaftskommunikation eignen. Wie sich herausstellen wird, geht es bei schnitt.stelle nicht wenig um irritierende Momente in der Kommunikation.

Herr Schröer, wenn Sie hier hinkommen wollen, um mathematische Modelle anzuwenden, […] dann sind Sie hier falsch! Wenn Sie aber hier hinkommen wollen, um die Fragen zu stellen, warum das nicht funktioniert, und wie man es vielleicht anders anwenden kann oder was die nächsten Schritte sind und einfach ein Stück größer und weiterdenken wollen, dann sind Sie hier richtig. (Gespräch mit Tobias Schröer, 07:40 min)

Mit dieser Aussage wurde einer unserer Gäste seinerzeit in seinem Einstellungsgespräch konfrontiert. Immer wieder kam es in unserem Podcast zum Bericht solcher aufschlussreichen Anekdoten. Eine der Geschichten hat mit der Leidenschaft für Teamsport angefangen und mit angedrohten Retourkutschen vom Chef aufgehört. Zum Glück war die Reaktion des Vorgesetzten nicht das Ende der Konversation:

Böckmann: Und da kam es zu einer Situation, da habe ich in einem Bereich gearbeitet, da habe ich mich furchtbar aufgeregt, weil das alles für mich, (..) ja. Es lief nicht sauber, es lief nicht rund. Und meinen Unmut habe ich dem auch noch aktuellen Hauptgesellschafter und Geschäftsführer […] kundgetan.

Landzettel: Wie es scheint, kam es gut an!

Böckmann: Und ich muss auch ganz ehrlich sagen, ich hatte danach die Hose voll auf gutdeutsch. Weil ich dachte, ‚Oh, da kommt jetzt eine Retourkutsche‘ aber er hat ganz anders reagiert. Er ist am nächsten Tag auf mich zugekommen und hat gesagt ‚Du bist hier falsch‘. Dann habe ich erstmal geschluckt und er hat dann gesagt ‚Komm in mein Projektteam und hilf mir da weiter‘. Und so kam ich über verschiedenste Projekte dann letztendlich auch zu dieser Position. (Gespräch mit Benjamin Böckmann, 05:15 min)

Für Benjamin Böckmann war zwar für einen kurzen Moment unklar, ob er durch seine Kritik nun selbst der Kritik ausgesetzt wurde. Tatsächlich hat er mit seiner Kritik jedoch seine Fähigkeit unter Beweis gestellt, ganze Prozesse zu überblicken. Der Vorgesetzte hat das erkannt. Doch bevor in diesem Artikel noch weitere Einblicke in die Gespräche geboten werden und die Funktionen von schnitt.stelle im Kontext des Projekts und KILPaD im Medium des Podcasts reflektiert werden, gilt es eine weitere Frage zu beantworten, von der die Aufmerksamkeit von vermutlich vielen – von Podcasts übersättigten oder ihnen prinzipiell abgeneigten – Leser:innen abhängt: Braucht die Podcast-Landschaft wirklich noch ein weiteres Exempel?

Diese Frage stellt sich vermutlich früher oder später bei jedem neuen Podcast. Immer mehr Menschen, Organisationen und Forschungseinrichtungen kommen auf die Idee, sich durch dieses Format in der Öffentlichkeit darzustellen. Warum soll man sich einen Podcast zu einem Forschungsprojekt anhören, das auf den ersten Blick so unübersichtlich ist, dass das Erläutern seiner Zielsetzungen selbst mit der letzten Episode nicht abgeschlossen ist? Schon der Titel des Forschungsvorhabens, „Kommunikation, Innovation und Lernen in der Produktionsorganisation unter Bedingungen agiler Digitalisierung“, überfordert. Ein Titel, der auf Anhieb und in einem Atemzug nur in Form eines Akronyms auszusprechen ist: „KILPaD“.

Wofür braucht ein Forschungsprojekt einen Podcast? Was macht schnitt.stelle neben vielen anderen Podcasts hörenswert? Laufende Forschungsprojekte bieten einen Zugang zu aktuellen Neuigkeiten und Hypothesen aus erster Hand. Im Fall von KILPaD handelt es sich um das Thema Digitalisierung. Bei diesem Thema hat das Tempo eine zentrale Bedeutung. Es geht darum, Arbeitsabläufe reibungslos und effizient zu gestalten. Es ist wichtig, möglichst wenig Zeit zu verlieren, um den sich zunehmend schnell verändernden Anforderungen gerecht zu bleiben. Selbst nach gelungenen Projekten verändern sich die äußerlichen Anforderungen nicht selten so schnell, dass die interne Anpassung diesen nur partiell gerecht werden kann. Neben der Geschwindigkeit nimmt ebenso die Komplexität der Umwelt zu, in der sich eine Organisation stets neu positionieren und zurechtfinden muss. Diese Schwierigkeiten verändern die Ausgangspunkte, wegen derer man sich ursprünglich auf die Suche nach Lösungen begeben hatte. Zusätzlich zur steigenden Geschwindigkeit und zur zunehmenden Komplexität wirft der Weg in die Industrie 4.0 Fragen zur Gestaltung digitaler Oberflächen, zu Kommunikation, Lernen und Organisation auf. Zu schön wäre eine Welt, in der eine erfahrene Personen vom Fach alle Unverständlichkeiten bezüglich technischer und nicht-technischer Themen aus dem Weg räumen könnte.

Genau das haben wir uns mit schnitt.stelle vorgenommen! Doch mit steigender Vielseitigkeit im Projekt stieg ebenso die Größe der Zielgruppe, die man ansprechen und nicht abschrecken wollte. Das hat die Frage, welche Kenntnisse wir bei jeder einzelnen Episode unter den Hörer:innen voraussetzen, einigermaßen verkompliziert. Doch zu diesem Zeitpunkt hatten wir selbst noch nicht wirklich begriffen, ob und wie sich der Charakter von KILPaD in diesem Format widerspiegeln lässt. Letztlich befanden wir uns in derselben Situation wie unsere Partnerbetriebe. Von der wissenschaftlichen Seite des Forschungsprojekts wurde zwar keine industrielle, aber durchaus eine akademische Produktion erwartet. Unsere Forschungsergebnisse sollten, so unser Selbstverständnis, nicht nur für Produktionsbetriebe, sondern auch für andere Organisationen, etwa für Krankenhäuser, Behörden, Universitäten, Armeen, Schulen, Theater und letztlich alle Arbeitnehmer:innen, interessant sein. Wie konnten wir diese Leistungserwartung erfüllen? Wie konnten wir die klassischen Medien des Buches und der Fachartikel „digital“ passend ergänzen? Uns wurde klar, dass wir uns in derselben Situation befanden wie unsere Partnerbetriebe. Auch wir mussten lernen, mit dem neuen Medium umzugehen und es mit den alten Medien sinnvoll zu kombinieren. Es mag ironisch anmuten, die mit dem Gesamtvorhaben am wenigsten vertraute Person für den Podcast zu beauftragen. Zu groß scheint die Gefahr, dass sich das Gespräch mit erfahreneren Interviewpartnern kommunikativ verirrt. Erfahrene unter sich könnten hingegen nicht umhin, die Landkarte auf den bereits ausgetretenen Pfaden ihrer Expertise zu erschließen. So haben wir uns Pfadfinder:innenleistungen versprochen, die dann, wenn sie erfolgreich erbracht werden, auch ein Licht auf das Gesamtvorhaben werfen.

Doch hier stellen sich wichtige Fragen. Wie trägt man Wissen weiter? Was genau heißt Erkenntnis? Ohne abstreiten zu wollen, dass das Lesen von Büchern lehrreich ist und maßgeblich zur Bildung beiträgt, ist die Frage danach, welche Medien ein Lernen erleichtern, nicht uninteressant. Welche Funktionen erfüllt ein Podcast im Vergleich zur Schriftform? Gibt es Funktionen, die im Gesprächsformat besser erfüllt werden? Dass sich Schrift für den Wissenschaftsbetrieb deutlich besser eignet, wollen wir an dieser Stelle nicht diskutieren. Doch was ist mit der Kommunikation, die eine größere Öffentlichkeit erreichen soll: der Wissenschaftskommunikation? Hierbei handelt es sich um einen Begriff, der eine Entwicklung im Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft beobachtbar macht: „Wissenschaftskommunikation ist das Versprechen (nicht unbedingt die Realität) einer ultimativen Verwissenschaftlichung der Gesellschaft ebenso wie einer Vergesellschaftung der Wissenschaft“ (Neuberger et al. 2021, S. 27). Traditionell vermitteln Wissenschafts-PR und Wissenschaftsjournalismus zwischen Gesellschaft und der scheinbar autonom arbeitenden Wissenschaft. „Die Grenze zwischen den beiden Kontexten löst sich nun aber durch die Digitalisierung noch mehr auf, als es – dokumentiert durch den Ausbau von Kommunikationsabteilungen in Universitäten und Forschungseinrichtungen – schon länger der Fall gewesen ist“ (Neuberger et al. 2021, S. 25). Dementsprechend ist auch schnitt.stelle ein passendes Beispiel für Forschungskommunikation, welches die begriffliche Notwendigkeit der Abgrenzung zum Wissenschaftsjournalismus und Wissenschafts-PR unterstreicht.

Systemtheoretisch formuliert, bildet unser Podcast eine „Grenzstelle“ (Luhmann 1964, S. 220) der formalen Organisation. Stellvertretend für die Organisation wird direkter Kontakt an den Außengrenzen des Systems zur Umwelt des Systems (für Luhmann: einschließlich der Mitglieder der Organisation) aufgebaut, wie man es zum Beispiel bei einem Empfangsschalter oder auch einer Personalabteilung beobachten kann. An diesen Grenzstellen gilt: „Das Handeln eines Mitglieds, das durch die formale Organisation dazu bestimmt ist, gilt als Handeln aller Mitglieder“ (Luhmann 1964, S. 221). So können die Inhalte des Podcasts einerseits von Externen und andererseits von den Mitarbeiter*innen des Projekts selbst aufgegriffen werden. Ausreichend Potenzial für gegenseitige Irritation hatten wir bei KILPaD angesichts unterschiedlicher Praxisfelder und beteiligter Disziplinen jedenfalls reichlich. Das ideale Szenario würde bedeuten, dass – selbst bei Beibehaltung der formalen Grenzen der Organisation – die traditionell gezogene Grenze zwischen Wissenschaftssystem und Gesellschaftssystem verwischen darf.

Im Gespräch muss es gelingen, die Komplexität der Gegenstände des Gesprächs durch gezielte Fragen und Rückfragen ausreichend zu reduzieren, um sie dem Publikum so nahezubringen, dass die Komplexität auch wieder aufgebaut werden kann. Es darf nicht zu viel von der Argumentation verloren gehen. Im Falle einer übersteuerten Reduktion laufen die Gesprächsteilnehmer:innen Gefahr, sich nicht mehr aufeinander beziehen zu können, sich zunehmend misszuverstehen und folglich auch das Verständnis der Zuhörer*innen zu verlieren. Um den dialogischen und wissenschaftlichen Austausch in der Gesellschaft zu fördern und dem Ziel lernförderlicher Bildung näherzukommen, möchte das Bundesministerium für Bildung und Forschung im Wissenschaftsjahr 2023 gezielt solche Projekte fördern, die auf direkte „Vermittlungs-Dialoge und Beteiligungsformate“ setzen, um das vermeintliche Gefälle zwischen Wissenschaft und Publikum zu reduzieren. In diesem Zusammenhang wird Wissenschaftskommunikation beschrieben als „allgemeinverständliche, dialogorientierte Kommunikation und Vermittlung von Forschung und wissenschaftlichen Inhalten an Zielgruppen außerhalb der Wissenschaft“ (Bundesministerium für Bildung und Forschung 2022). Immerhin sprechen wir von einer gesamtgesellschaftlichen Transformation, die nicht nur von Wissenschaftler:innen verstanden, sondern auch im organisationalen Kontext vollzogen und vor allem gestaltet werden möchte. Für diese Aufgabe braucht man deutlich mehr als exklusive Expert:innengespräche:

Denn bei Transformationen, das ist ja das interessante – warum wir da nicht einfach von Change sprechen – bei Transformationen haben wir es ja immer mit Prozessen zu tun, wo die Kultur, das Business, die Menschen und die Technologie – das alles miteinander – in eine wechselseitige Bearbeitung kommen muss. Dass es wirklich erfolgreich – oder wir würden wieder sagen – wirksam wird. (Gespräch mit Tania Lieckweg, 12:40 min)

Bildung ist kein Zustand, sondern ein Prozess. Nichts ist wichtiger als die Förderung von Neugier und der Bereitschaft, Fragen zu stellen. Heinz von Foerster bringt die Aufgabe in seinem beispielhaft kleinschrittig geführten Gespräch mit Bernhard Pörksen auf den Punkt, indem er sich gegen die „pädagogische Urintention“ (von Foerster und Pörksen 1998, S. 69) wendet: Anstelle die Anreicherung oder Übertragung von Wissen zu predigen, hebt er die Bedeutung von Unwissen hervor, und dies auf beiden Seiten, so dass die Rollen von Lernenden und Lehrenden laufend gewechselt werden.

Pörksen: Der Lehrer wird zum Forscher?

von Foerster: Das ist genau mein Vorschlag: Laßt den Lehrer, der wissen soll, zum Forscher werden, der wissen möchte! Und wenn man diese Idee weiterdenkt, dann werden die sogenannten Schüler und Lehrer zu kooperierenden Mitarbeitern, die gemeinsam – ausgehend von einer sie faszinierenden Frage – Wissen erarbeiten. Es entsteht, so meine ich, eine Atmosphäre der Kooperation, des gemeinsamen Suchens, des Forschens. Man weckt die Neugierde und die Empathie, regt zu eigenen Gedanken an, serviert nicht irgendwelche fertigen Resultate, sondern Fragen, die zum Ausgangspunkt einer Zusammenarbeit und des wechselseitigen Entzückens werden. Jeder stützt sich auf die Kompetenzen des anderen; das Zittern vor der Allwissenheit einer einzigen Person hat ein Ende. Und die Fragen, mit denen man es zu tun bekommt, werden zu eigenen Fragen. (von Foerster und Pörksen 1998, S. 71)

Wie sonst sollte man auf die Idee kommen, den studentischen Mitarbeiter ohne Vorerfahrung im Handwerk, den Projektleiter und viele weitere interne sowie externe Projektpartner:innen und Expert:innen mit Fragen löchern zu lassen? Vor allem dann, wenn man das Ganze im Anschluss auch noch zu Bildungszwecken ins Internet stellen möchte? Von Foersters Argumentation zufolge sind offene Fragen geeignetere Ausgangspunkte der Zusammenarbeit als die Resultate, die so gern in Prüfungen abgefragt werden. Pörksen entgegnet leicht irritiert:

Pörksen: Wie kann man sich das praktisch vorstellen? Wenn nun ein Lehrer in die Klasse kommt und auf einmal beginnt, von seiner bedauernswerten Kenntnislosigkeit zu sprechen, um den Forschergeist zu stimulieren, so könnte doch auf der einen Seite der Schüler der Eindruck entstehen: Irgend etwas stimmt da nicht, das ist nur eine Inszenierung, der Trick eines Laienschauspielers. (von Foerster und Pörksen 1998, S. 72)

Passend zu dieser Irritation beim Zuhörer fällt mir eine Anekdote zu einer vergangenen Veranstaltung ein. Bei einer Konferenz hatte Maximilian Locher Ergebnisse von KILPaD präsentiert und ich hatte die Möglichkeit, schnitt.stelle vorzustellen. Mein Kollege hat unser Publikum mit dem gleichen Satz begrüßt, mit dem er uns verabschiedet hat: „Wenn Sie nach diesem Vortrag alles verstanden haben, haben wir unser Ziel nicht erreicht.“ In den Gesichtern der Konferenzteilnehmenden war abzulesen, dass der Vortrag ein voller Erfolg war! Sollte man sich also darum bemühen, den Lehrstoff bloß nicht in Gänze zu verstehen? Diese Haltung wird verständlicher, wenn man sich näher mit Wissen und Lernen auseinandersetzt. Nach unserem theoretischen Verständnis kann Wissen nie vollständig sein und Lernen kennt weder Anfang noch Ende:

Lernen heißt, mit einem unaufhebbaren Nichtwissen nicht nur zu rechnen, sondern es für eine unaufhebbare Bedingung zu halten. Lernen heißt, zwischen Wissen und Nichtwissen zu oszillieren und jede neue Erkenntnis nur als Zwischenschritt auf einem lebenslangen Weg zu begreifen. Je mehr Erfahrung man darin hat, umso besser. (Baecker und Elsholz 2021, S. 6)

Kontraintuitiver kann es kaum werden. Lieber am Nichtwissen orientieren als am Wissen? Wie soll man etwas einbeziehen, das man (noch) nicht weiß? Das ist im systemtheoretischen Sinne beim Kommunizieren tatsächlich gar nicht anders möglich, „denn Kommunikation findet ihren Anlass ja typisch im Nichtwissen“ (Luhmann 1997, S. 39).

Für schnitt.stelle bedeutet dies, dass – egal, wie schlau und kompetent meine Gäste sein mögen – niemand eigenständig alle Aspekte und Perspektiven zu einem Thema einbringen könnte, die wir auf diesem Wege mit allen Gästen zusammengetragen haben. Selbst ein einziges Gespräch mit der Länge von allen 15 Episoden würde diese Facettenvielfalt nicht zustande bringen. Man kann zwar auf Perspektiven verweisen, die im Gespräch nicht unmittelbar vertreten sind, doch kann man darauf nicht in gleicher Weise reagieren. Kommunikation wird durch Irritation am Laufen gehalten. Paradoxerweise können die Vielfalt und Unterschiedlichkeiten der Positionen nur durch diese produktive Form kommunikativer Reibung eingefangen werden. Ein angeregtes Gespräch reagiert deswegen gerne auf „herumliegendes, unbeachtetes“ (Luhmann 2002, S. 99) Wissen. Die Qualität inhaltlicher Differenzen und des daraus resultierenden Nichtwissens machen Lernprozesse in ihrem Wesen verständlicher, weshalb das Ziel Nichtwissen zu vergrößern tatsächlich sinnstiftend ist. Ohne Nichtwissen könnte weder kommunikativ angeschlossen noch gelernt werden. Zu Beginn des Artikels wurde die Leistung des Forschungsprojekts mit der Produktion in den Betrieben kontrastiert. Luhmann würde so weit gehen und behaupten, dass das Funktionssystem Wissenschaft durch Forschungsprojekte „mit jedem zusätzlichen Wissen noch mehr Nichtwissen zutage fördert“ (Luhmann 1997, S. 805). Je vielfältiger die Perspektiven, desto auffälliger das Nichtwissen. Mit diesem Hintergrund ist die zentrale Stärke des Podcast der Reichtum an Facetten, anhand derer man sich über die gleichen Phänomene austauscht (ganz im Sinne des Stichworts: parallele Welten der Digitalisierung).

Um einen Einblick in die individuellen und spezifischen Sichtweisen aus dem und auf das Projekt zu bekommen, haben wir für jede Episode einen Gast aus dem engeren oder weiteren Kontext des Projekts eingeladen. Hierbei haben wir besonderen Wert daraufgelegt, die Gäste aufgrund ihrer Expertise einzuladen, doch mit ihrer Persönlichkeit in den Vordergrund zu stellen. Möchte man die individuelle und auch einzigartige Perspektive jeweils nachvollziehen, ist es unumgänglich, deren Hintergründe zu erfahren, weil sich die persönliche Perspektive aus der Identität der Person gründet. Wie sich herausgestellt hat, unterscheiden sich die Blicke auf KILPaD und auf die Digitalisierung ebenso sehr wie die persönlichen Hintergründe und Werdegänge, mit denen wir es zu tun bekommen haben. Damit ist mehr gemeint als der Umstand, dass Vertreter:innen des einen Betriebs bei der Implementierung andere Erfahrungen sammeln als Vertreter:innen der anderen vier Betriebe. Und auch nicht, dass Soziolog:innen mehr an Kommunikation interessiert sind und Berufspädagog:innen eher am Lernen. Neben der Themenwahl war selbst die Beschaffenheit der Beobachtungen unterschiedlich. Einige der Gäste sprechen bei den gleichen Fragen über Probleme, andere über Lösungen, weitere über gesellschaftliche Verantwortung und wieder andere über Wirksamkeit.

Maximilian Locher und ich haben schnitt.stelle bereits in der ersten Episode damit begonnen, zu argumentieren, „dass diese Problemstellung keine Problemstellung der Wissenschaft ist, sondern wir als Wissenschaft ernst nehmen, dass die Digitalisierung vor Ort neben ihren Lösungsdimensionen auch als Problem beschrieben wird“ (Gespräch mit Maximilian Locher, Min. 28:00). Diese Aussage soll auf keinen Fall eine einseitige Haltung oder gar eine Wertung signalisieren. Unternehmer:innen, die durch diese Problematisierung womöglich verunsichert werden, haben hoffentlich nicht zu schnell abgeschaltet. Im Zuge der gleichen Episode wurde nämlich erläutert, dass ganz im Sinne unseres Forschungsinteresses Probleme einen Anlass bieten, um Fragen zu stellen. Auch Luhmann verortet Probleme nicht in der Wirklichkeit, sondern im Verhältnis von Wissen und Nichtwissen, welches durch Kommunikation permanent neu geordnet wird: „Probleme sind ungeklärte Beziehungen zwischen Wissen und Nichtwissen, und sie lassen sich, wenn überhaupt, nur durch Veränderungen in dieser Relation lösen“ (Luhmann 1984, S. 489). Gänzlich unterschiedlich läuft zum Beispiel das Gespräch in der Episode mit Michael Leske ab, der im Alltagsgeschäft mithilfe von Robotik Lösungen findet. Und zwar für zu bewältigende Anforderungen in seiner Wirklichkeit: der Produktion. Ansätze, die mit der klassischen Sicht aus dem Maschinenbau zu aufwändig oder kostspielig wären, sind mit Robotik deutlich praktischer lösbar. Ein Perspektivwechsel dieser Art hat innerhalb des Projekts immer wieder zu Missverständnissen geführt. Doch diese „,gepflegte‘ Unverständlichkeit“ (Baecker und Elsholz 2021, S. 4) kann zu einer Kultur werden, in der die Missverständnisse im Prozess anwendungsnah reflektiert werden. Diese Kultur ist niemandem vorenthalten. Einer unserer Partner-Betriebe hat eigene Stellen mit dem Zweck besetzt, zwischen sich missverstehenden Abteilungen zu vermitteln.

Ich [bin] als Digital Consultant eben die Schnittstelle zur IT beziehungsweise zur Anwendungsentwicklung, die im Austausch mit den Process Consultants ja quasi Digitalisierungslösungen erarbeitet und auch entsprechend umsetzt. […] ich […] versuche an der Stelle zu vermitteln und quasi zu übersetzen. (Gespräch mit Marie Christin Sachs, 09:20–10:10 min)

So gesehen stellt dies eine Gegenbewegung zu den Prinzipien der fortlaufenden Transformation dar: „Digitalisierung ist der Versuch, Arbeitsprozesse so zu technisieren, dass sich Kommunikation weitgehend erübrigt. Eben das steckt hinter der Vorstellung verschwindender Schnittstellen“ (Baecker und Elsholz 2021, S. 8). Diese Vorstellung wird aus Sicht der Forschung klar problematisiert: „Bevor dieses Versprechen eingelöst wird, wollen wir die Schnittstellen beobachten. Vielleicht ist das die Pointe unseres Forschungsvorhabens“ (Baecker und Elsholz 2021, S. 10). Das klingt nach einem gnadenlosen Tauziehen zwischen Digitalisierung als nicht aufzuhaltender Entwicklung, die Schnittstellen überbrückt, einerseits und der Reflexion von Digitalisierung, die diese Überbrückung leistet, andererseits.

Nun liegt es an Ihnen! Von Ihrem Nichtwissen hängt der Erfolg unseres Vorhabens ab: Hören Sie nicht nur zu, beobachten Sie schnitt.stelle in Hinblick auf das, was für uns unbeobachtbar ist. Machen Sie Nichtwissen zu Wissen und freuen Sie sich bitte darüber, dass es stets mehr wird.

FormalPara Digitalisierung als Problemstellung mit Maximilian Locher

Wir reden mit dem wissenschaftlichen Mitarbeiter des Projekts KILPaD Maximilian Locher über das Zustandekommen des Projekts und darüber, wie man sich der Digitalisierung der Produktion forscherisch nähern kann. [3. Oktober 2020; YouTube: https://bit.ly/3gM3esv].

FormalPara Systemreferenzen unterscheiden mit Prof. Dr. Dirk Baecker

Womit befassen sich Soziologen und was macht die Systemtheorie als soziologische Betrachtungsweise aus? Der Leiter des Projekts Prof. Dr. Dirk Baecker findet im Gespräch anschauliche Beispiele dafür und schafft ein Verständnis für seine Disziplin und ihre Grundannahmen. [10. Oktober 2020; YouTube: https://bit.ly/3VEcZYn].

FormalPara Kleine Brände löschen mit René Neumann (SHA)

René Neumann löscht wortwörtlich „kleine Brände“. Als ehrenamtlicher Feuerwehrmann muss er spontan und flexibel sein. Gefahren müssen schnell analysiert und priorisiert werden – auch im Betrieb als Leiter des Auftragsmanagements bei der Firma Siegmund Henning Anlagentechnik GmbH. Pandemie, Lieferengpässe und individuelle Kundenwünsche lassen dabei kaum Spielraum. Als Betreuer von KILPaD teilt er Erfahrungen und Erwartungen an das Projekt. [27. Oktober 2020; YouTube: https://bit.ly/3VEqsiR].

FormalPara Lernförderliches Gestalten mit Prof. Dr. Uwe Elsholz

Das Zusammenspiel aus soziologischer Systemtheorie und Berufspädagogik macht KILPaD zu einem innovativen Projekt. Der Bildungsforscher Prof. Dr. Uwe Elsholz von der FernUniversität in Hagen erklärt, wie man ein Arbeitsumfeld erfolgreich und in diesem Sinne lernförderlich gestaltet. [5. Januar 2021; YouTube: https://bit.ly/3UlULtB].

FormalPara In Industrie 4.0 einsteigen mit Bumin Hatiboglu (Fraunhofer IPA)

Das „Mittelstand 4.0“- Kompetenzzentrum Stuttgart ist Anlaufstelle für fast alle Anliegen. Mehr Überblick über die Digitalisierungsprojekte der deutschen Produktionslandschaft hat kaum jemand. Bumin Hatiboglu vom Fraunhofer Institut für Produktionstechnik und Automatisierung analysiert dort Problemstellungen, empfiehlt Lösungen und begleitet Projekte. Was macht eine erfolgreiche Unterstützung aus? [12. Februar 2021; YouTube: https://bit.ly/3ubDXuX].

FormalPara Neue Arbeitswelten reflektieren mit Dr. Norbert Malanowski (VDI Technologiezentrum)

Wer befasst sich mit den Folgen der umfassenden technischen, organisatorischen und sozialen Transformation unserer Arbeitswelten? Dafür gibt es Organisationen wie das VDI Technologiezentrum. Dr. Norbert Malanowski ist Innovations- und Arbeitsforscher, beschäftigt sich mit den Folgen aufkommender Technologien für die moderne „Arbeitsgesellschaft“ und den Kooperationsbeziehungen zwischen Staat, Wirtschaft und Gewerkschaften in der Innovations- und Arbeitspolitik. Wir reflektieren gemeinsam das Leitbild einer menschenzentrierten Digitalisierung als Herausforderung wie Chance! [2. März 2021; YouTube: https://bit.ly/3VkD1Af].

FormalPara Produktion vernetzen mit Benjamin Böckmann (MultiProfil)

Hätte Benjamin Böckmann damals als Werkstudent bei MultiProfil gewusst, dass er bei Zwischenfällen (Reibungen, Problemen) in der Produktion eigentlich über Schnittstellen flucht… Inzwischen ist er Prokurist und gestaltet in Zusammenarbeit mit KILPaD Abläufe und ganze Schnittstellen neu. Besonders spannend ist die Digitalisierung der unverzichtbaren Laufkarte: keine alten Datenbestände, sondern Echtzeit-Kommunikation und Überblick für des gesamten Produktionsprozess! [2. April 2021; YouTube: https://bit.ly/3ue6DmQ].

FormalPara Unentscheidbares Entscheiden (1) mit Prof. Dr. Dirk Baecker

Organisationen lassen Alternativen-Spielräume entstehen und vergrößern diese. Im gleichen Zuge grenzen sie den Spielraum durch ihre Entscheidungen wieder ein. Das geschieht bei jeder Entscheidung. Die Digitalisierung fordert viele neue Entscheidungen, erweitert unsere Spielräume und deren Reichweiten enorm. Umso wichtiger, den Vorgang der „Entscheidung“ und die Bedeutung von Hierarchie genauestens zu reflektieren! [25. April 2021, YouTube: https://bit.ly/3FffOKd].

FormalPara Unentscheidbares Entscheiden (2) mit Prof. Dr. Dirk Baecker

Der zweite Teil des Gesprächs ist deutlich brisanter! Wir sprechen über die Paradoxie von Entscheidungen, klären auf, weshalb Organisationen andauernd Unentscheidbares produzieren und weshalb künstliche Intelligenz dem Menschen keine Entscheidungen abnehmen wird. Also doch, wird sie schon! Aber nicht die „wirklich relevanten Entscheidungen“. Prof. Dr. Dirk Baecker ist Experte im Thema Digitalisierung und formuliert seine neueste These. [25. April 2021; YouTube: https://bit.ly/3VkJifn].

FormalPara Kollektives Lernen mit Martina Thomas

Digitalisierung verändert die betrieblichen Prozesse. Doch warum rückt das Lernen an sich nicht entsprechend in den Vordergrund, wenn jede gelungene Veränderung ihre eigenen Lernerfolge fordert? Die Berufspädagogin Martina Thomas von der FernUniversität in Hagen beobachtet nicht nur individuelle Lernprozesse im Betrieb, sondern auch die für eine erfolgreiche Digitalisierung notwendigen kollektiven Lernprozesse: Lernen über die Organisation. [15. Juni 2021, YouTube: https://bit.ly/3gUxukN].

FormalPara Systemisch beraten mit Tania Lieckweg (osb)

Tania Lieckweg ist von der Organisationsberatung osb und berät im Rahmen des Projekts die Betriebe. Während das Forschungs-Team allgemeine „Wahrheiten“ schaffen will, möchte systemische Beratung die „Wirksamkeit“ von Organisationen verbessern. Wie verändert sich KILPaD, wenn es auf zwei grundsätzlich unterschiedliche Weisen beobachtet wird? Und was passiert, wenn diese beiden Welten auf die der Unternehmen treffen? [15. Juli 2021; YouTube: https://bit.ly/3XKefLq].

FormalPara Digitale Sichtweisen mit Marie Christin Sachs (XENON Automation)

XENON Automation hat intern eine neue Position entwickelt: Christin Sachs vermittelt nicht nur als Schnittstelle zwischen Fach- und IT-Abteilung, sondern übersetzt auch laufend die „Digitale Sichtweise“, die für das Gelingen von Digitalisierungs- und Automatisierungsprojekten mitgedacht werden muss. Wie man dabei systematisch Innovationsmanagement betreiben kann, welche Probleme die Rolle des „Digital Consultant“ lösen kann und welche Betriebe dringend eine solche Position besetzen sollten? Einfach reinhören! [15. September 2021; YouTube: https://bit.ly/3VItnHc].

FormalPara Industrie revolutionieren mit Tobias Schröer (FIR e. V.)

Wo liegen die Ursprünge der Produktionsplanung und -steuerung? Die Gründungsschrift des FIR e. V. an der RWTH Aachen von 1953 gibt bereits Aufschluss über fortwährende Herausforderungen der Industrie im Wandel. Tobias Schröer, Leiter des Produktionsmanagements am FIR, arbeitet anhand der Vereinsgeschichte heraus, weshalb Unternehmen für die nachhaltige Umsetzung von Industrie 4.0 einen gemeinsamen Kulturwandel bewältigen müssen und wie man sich vor dem „Prototypen-Fegefeuer“ schützt. [6. Dezember 2021; YouTube: https://bit.ly/3P4lOJb].

FormalPara Digitalisierung der Produktion mit Michael Leske (HAHN Ruhrbotics)

Welches Interesse verfolgt ein Dienstleistungsunternehmen im Verbundprojekt, dessen Produkt die Produktionsanlage selbst ist? Der Softwareingenieur Michael Leske vollzieht mit uns einen Perspektivwechsel! Anforderungen, bei denen der Maschinenbau an eigene Grenzen stößt, werden bei Ruhrbotics aus der Perspektive der Bedienung und mit den Augen der Robotik gelöst. Doch wie gestaltet man die (für viele noch neue) Technik, sodass die neuen Lernanforderungen nicht auf Kosten der praktischen Bedienbarkeit gestellt werden? [28. Juni 2021; YouTube: https://bit.ly/3AZDbF4].

FormalPara Projektmanagement mit Nader Tabbara (Nass Magnet GmbH)

Jedes Digitalisierungsprojekt braucht die eine Sache für einen erfolgreichen Abschluss: ein ordentliches Projektmanagement! Doch wie soll man die komplizierten technischen Vorgänge, die vielen Beteiligten und vor allem die konkrete Laufzeit der Implementierungen „managen“? Für unsere letzte Episode von schnitt.stelle gibt es etwas ganz Besonderes: Nader Tabbara von der Nass Magnet GmbH beschert uns sein 1 × 1 des Projektmanagements! [31. August 2021; YouTube: https://bit.ly/3FeRtnG].