Zusammenfassung
Krisen fordern staatliche Verwaltungen heraus. Die Coronapandemie hat in Geschwindigkeit und Ausmaß insbesondere die Bundesagentur für Arbeit gezwungen, vom Modus stabiler Routinen zu einer kurzfristig agierenden, agilen Institution überzugehen. Sie zeigte sich mit ihrem krisen- bzw. pandemiegerechten Management am Arbeitsmarkt zu außergewöhnlichen Innovationen fähig. Dieser Weg (partieller) prozessualer Erneuerung und des (innovativen) Regelbruchs wird unter dem Gesichtspunkt von Innovationen im Bereich der sozialstaatlichen Verwaltung empirisch nachgezeichnet. Die Krise führte zu einer Verschiebung des etablierten hierarchischen (relativ starren) Entscheidungsgefüges zu einer problemorientierten, agilen Anpassung von Prozessen und der Kommunikation sowie der Veränderung von Tätigkeiten und des Arbeitsorts (Homeoffice) der Beschäftigten. Etablierte Routinen und Aufgaben wurden ebenso wie eingeübte Beteiligungsprozesse in kürzester Frist und zumindest temporär ausgesetzt. Unter Rückgriff auf das Konzept der „brauchbaren Illegalität“ von Luhmann wird dieses Verhalten der Akteure eingeordnet. Die schnelle Krisenreaktion basierte auf dem hohen persönlichen Einsatz von Leitung und Beschäftigten. Dieses situationsangemessene Verhalten ist allerdings nur bedingt institutionell abgesichert und lastet auf den Schultern weniger Personen. Innovationstheoretisch scheinen solche Regelbrüche weniger Menetekel einer erodierenden staatlichen Verwaltung als vielmehr Signum agilen institutionellen Handelns zu sein, das selbst innovative Rahmensetzungen bräuchte. Fraglich ist, inwiefern das Krisenhandeln im Sinne der Erneuerung bzw. agilen Anpassung staatlichen Handelns einen dauerhaften Innovationsimpuls auslösen kann.
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Notes
- 1.
Dem Beitrag liegt ein Projekt der Autoren und Autorin zugrunde, in dem die Mechanismen der Krisenbearbeitung der BA analysiert werden. Eine erste Erhebung der Empirie erfolgte von August 2020 bis März 2021 im BMAS, mit dem oberen strategischen und operativen Management (OM) der BA (einschließlich Personalrat) sowie an der Organisation der Kurzarbeitergeldbearbeitung beteiligten Personen auf verschiedenen institutionellen Ebenen. Die hier skizzierten Ergebnisse beruhen im Wesentlichen auf der Auswertung der geführten Expert:inneninterviews.
- 2.
Die organisationalen Auswirkungen der Pandemie auf die Jobcenter (vgl.Beckmann et al., 2021) aufgrund des erleichterten Zugangs zur Grundsicherung bleiben im Folgenden ausgeklammert und wären ob der kommunalen Verankerung gesondert zu thematisieren.
- 3.
Hierbei ist auf einen politischen Vorlauf hinzuweisen (vgl. Schulze et al., 2022). Strukturwandel, Digitalisierung, Klimawandel und damit veränderte Qualifikationsanforderungen sowie die Alterung der Erwerbsbevölkerung belasten den Arbeitsmarkt schon um 2018/2019. Von der Politik wurde eine proaktive Strategie zur Bewältigung des Strukturwandels verlangt, u. a. ein „Transformationskurzarbeitergeld als Beschäftigungsbrücke“ (IG Metall, 2019). Ergebnis war u. a. das „Arbeit-von-morgen-Gesetz“ vom 20.05.2020, welches bereits eine befristete flexiblere Verordnungsermächtigung für Kurzarbeitergeld beinhaltete. Im Eilverfahren wurde zudem am 13.03.2020 das „Gesetz zur befristeten krisenbedingten Verbesserung der Regelungen für das Kurzarbeitergeld“ verabschiedet.
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Matuschek, I., Brandl, S., Schulze, M. (2023). Der Gebrauchswert des Regelbruchs: Die Bundesagentur für Arbeit als innovative Akteurin der Corona-Krise. In: Schröer, A., Blättel-Mink, B., Schröder, A., Späte, K. (eds) Soziale Innovationen in und von Organisationen. Sozialwissenschaften und Berufspraxis . Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-40695-0_21
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