Zusammenfassung
In diesem Kapitel soll ein Schritt zurückgegangen und der Kontext betrachtet werden, in dem sich Burawoy und die Debatte bewegen. Dafür werden zunächst jene zentralen Begriffe geklärt, die dem Thema dieser Arbeit zu Grunde liegen: Öffentlichkeit, Zivilgesellschaft, Soziologie und Gesellschaft. Die entsprechenden Definitionen bieten die Grundlage für die weitere, präzisere Begriffsverwendung in dieser Arbeit.
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Notes
- 1.
Burawoy bleibt dennoch optimistisch: Es gebe immer noch eine Vielfalt von Öffentlichkeiten und die Soziologie müsse sich „nur bemühen, sie ausfindig zu machen“ (2015a: 58). Öffentlichkeiten seien keine statische, sondern eine veränderliche Größe, an deren Konstitution und Transformation die Soziologie selbst mitwirken könne (ebd.). Zugleich liegt Burawoys (2015d: 39) Hoffnung bei der organischen öffentlichen Soziologie, die den Draht zu zivilgesellschaftlichen Gruppen (wieder-)herstellen könne.
- 2.
Wessler/Rinke (2013: 638 f.) nennen die agonistische Tradition als dritte Strömung.
- 3.
So verweist Burawoy (2015a: 60) z. B. auf Habermas’ Konzept kommunikativen Handelns als Idealtyp für die Gestaltung des Dialogs zwischen Soziologie und Öffentlichkeit und scheint Öffentlichkeiten als diskursiv zu fassen: „Öffentliche Soziologie bringt Soziologie in ein Gespräch mit Öffentlichkeiten, verstanden als Menschen, die selbst in ein Gespräch verwickelt sind“ (ebd.: 56). Burawoys Nähe zu Habermas wird vor allem hinsichtlich der normativen Dimension der Öffentlichkeit sichtbar: So gehe es ihm um die „Wiederbelebung eben jener Idee der ‚Öffentlichkeit‘, die im Sturm des Fortschritts zu einem weiteren Opfer wurde“ (ebd.: 55). Ähnlich wie Habermas sieht Burawoy also in einer aktiven Öffentlichkeit emanzipatorisches Potenzial. Auch Neun (2019: 17) verweist auf die Bezüge der Public Sociology-Debatte zu Habermas’ Öffentlichkeitskonzept.
- 4.
Fachvertreter wie Friedrich Tenbruck oder poststrukturalistische Soziologien, die dem Begriff der Gesellschaft kritisch gegenüberstehen, an dieser Stelle einmal ausklammernd (vgl. Lautmann 2007: 614; Stäheli 2000).
- 5.
So definiert etwa Karl-Heinz Hillmann die Soziologie „als selbstständige Einzelwissenschaft, die als Sozialwissenschaft auf die empirisch-theoretische Erforschung des sozialen Verhaltens, der sozialen Gebilde, Strukturen und Prozesse ausgerichtet ist“ (2007: 837 f.). Und in der klassischen, vielfach zitierten Definition der Soziologie von Weber heißt es bekanntlich: „Soziologie […] soll heißen: eine Wissenschaft, welche soziales Handeln deutend verstehen und dadurch in seinem Ablauf und seinen Wirkungen ursächlich erklären will“ (1980: 1).
- 6.
Hiermit ist gemeint, dass Fragen der persönlichen Lebensführung stets auch gesellschaftliche Fragen sind, da sie in kulturelle Vorstellungen, Wissensregime etc. eingebettet sind. Sie sind aber nicht zwangsläufig öffentliche Fragen, sofern sie nicht explizit in der Diskursarena der Öffentlichkeit verhandelt werden.
- 7.
Zur Problematik dieser konstruierten Trennung zwischen Soziologie und Außen siehe z. B. Kaldewey (2016).
- 8.
Auch in den USA ist der Ruf nach einer Öffnung des Fachs nicht neu. So hat z. B. schon der ehemalige ASA-Präsident Herbert J. Gans 1988 in seiner Antrittsansprache Sociology in America. The Discipline and the Public (1989) eine stärkere Orientierung der Disziplin an außerakademische Publika gefordert. Interessanterweise blieb sein Aufruf damals relativ unbeachtet (Mevissen 2016: 194) – so wie auch in Deutschland keine praktischen Konsequenzen aus Allmendingers Ansprache folgten (Neun 2018: 139).
- 9.
Ausführlicher zum Werturteilsstreit siehe z. B. Albert (2010). Auf das Wissenschaftsverständnis Webers wird in Kapitel 8 ausführlicher eingegangen.
- 10.
Ausführlicher zum Positivismusstreit siehe z. B. Ritsert (2010).
- 11.
Neun (2018: 145) sieht zudem die Erschütterung des ökonomischen, neoliberalen Paradigmas im Zuge der Finanzkrise als Grund dafür, dass es in der Öffentlichkeit ein verstärktes Interesse an sozialwissenschaftlichen Deutungsangeboten gibt.
- 12.
Detaillierter für die Soziologie in Deutschland argumentiert Neun (2018): Galt die Soziologie in Deutschland in den späten 1960er-Jahren und Anfang der 1970er-Jahre noch als bedeutende „Schlüsselwissenschaft“, sank der öffentliche Einfluss ab 1975. Die Soziologie differenzierte sich zunehmend in unterschiedliche Bindestrichsoziologien aus, der ehemalige aufklärerische Konsens wurde intern kritisch bewertet und groß angelegte gesellschaftliche Planungs- und Gestaltungsanspruche zunehmend abgewiesen.
- 13.
Im Detail, darauf verweist Treibel (2017: 37), findet Burawoy Anhänger*innen auch bei all denjenigen, die sein kapitalismuskritisches Theorieprogramm bzw. seinen soziologischen Marxismus teilen und sich somit in ihrer eigenen Position bestätigt fühlen. Hier seien etwa Aulenbacher und Dörre (2015c) zu verorten.
- 14.
Burawoy gründete als ASA-Präsident schon 2004 die „Task Force on the Institutionalization of Public Sociology“ (Neun 2013: 21). Mittlerweile existiert die vierteljährlich erscheinende Zeitschrift „Contexts“ (Gans 2009: 129). Ferner wurden Kurse, Zertifikate, Spezialisierungen und sogar Abschlüsse in Public Sociology etabliert, etwa an der George Mason University (Hanemaayer/Schneider 2014a: 10). In den diversen Sammelbändern gibt es Berichte über Public Sociology-Praxen. Der Sammelband von Nyden et al. (2012) kann dabei als eine Art Anleitung zur Public Sociology verstanden werden. Im Vorwort wird konstatiert: „Public sociology. It has been done. It is being done. And you can do it“ (Moore 2012: xiii).
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Brand, R.A. (2023). Öffentlichkeit, Gesellschaft und Soziologie. In: Öffentliche Soziologie zwischen Autonomie und Engagement. BestMasters. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-40584-7_4
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