Die Nutzenpotenziale von Big Data und KI versprechen bedarfsgerechte, einfache, sichere, komfortable und zugleich ressourcenschonende und klimafreundliche Mobilitätslösungen für die Welt von morgen. An der Frage, wie es gelingen kann, diese Potenziale effektiv und effizient zugleich zu heben, entscheidet sich deshalb die Zukunft der Mobilität. Die hier vorgelegte Studie bietet auf breiter empirischer Basis eine fundierte, multiperspektivische Einschätzung zu eben diesen Zukunftsperspektiven der Mobilität in Deutschland. Nicht zuletzt an der Zukunft der Mobilität hängt wiederum die weitere ökonomische und soziale Entwicklung insbesondere der westlichen Industrieländer, denn genauso wie die Beweglichkeit von Wirtschaftsgütern zu den Wesensmerkmalen moderner Industriegesellschaften zählt, gehört eine hohe individuelle räumliche Beweglichkeit zu den Wesensmerkmalen westlicher Demokratien.

Mobilität bedeutet Flexibilität und Wahlfreiheit zwischen verschiedenen Optionen und umfasst vielfältige Dimensionen, zumeist bezogen auf die Erreichbarkeit von Personen oder Orten. Wesentliche Akteure, die an der Mobilität beteiligt sind, sind die Öffentliche Hand (u. a. durch die Schaffung von rechtlichen Rahmenbedingungen und als Infrastrukturbetreiber), Fahrzeughersteller und Zulieferer, Technologieunternehmen und Digitalkonzerne, die u. a. als Mobilitätsdienstleister tätig sind, wie z. B. Anbieter von Car-Sharing, Navigationsdienstleistungen und Mobilitätsplattformen, Erbringer erweiterter Dienstleistungen, wie z. B. Versicherer, sowie die Erzeuger von Mobilität, Halter von Kraftfahrzeugen oder Privatpersonen mit Smartphones, unterwegs mit welchem Verkehrsmittel auch immer.

Halter von Kraftfahrzeugen und Privatpersonen erzeugen mit ihrem Nutzerverhalten Mobilitätsdaten, abhängig von entsprechenden Datenschutzeinstellungen (vgl. Abschn. 2.2). Das Smartphone mit seinen Sensoren und den installierten Apps ist dabei einer der größten Sammler von Nutzerdaten aller Art. Auch Fahrzeuge generieren je nach Modell und Ausstattung große Datenmengen. Diese Mobilitätsdaten umfassen u. a. technische Daten zum Fahrzeug und zur Umgebung, z. B. über Außenkameras für die Verkehrszeichenerkennung und zahlreiche Sensoren. Innenraumkameras und Sensoren im Innenraum wiederum spielen eine wichtige Rolle für die Fahrzeugsicherheit, weil sie die Insassen und deren Aufmerksamkeit erfassen. Es entstehen detaillierte Fahrerprofile, z. B. über die Sitzeinstellung, die Klimatisierung, den Musikkanal, sowie Daten zum Fahrerzustand, beispielsweise über eine Müdigkeitserkennung durch die Auswertung von Lenkradbewegungen sowie weiterer Vitaldaten.

Die aus den verschiedenen Anwendungen entstandenen und aggregierten Daten können im nächsten Schritt mit externen Kontextinformationen angereichert werden. Damit können über Big Data theoretisch sehr weitreichende Informationen abgeleitet werden, z. B. Bewegungsprofile, häufig besuchte Orte, Nutzerpräferenzen oder Informationen zum Fahrstil. Mit den aggregierten Daten entwickeln verschiedene Akteure dann wiederum datenbasierte Angebote und Services, mit dem Ziel, die Sicherheit, den Komfort und die Effizienz in der Mobilität zu erhöhen.

In Zukunft ist von einem weiteren starken Wachstum der Mobilitätsdaten auszugehen, nicht zuletzt getrieben durch regulatorische Entwicklungen wie die General Safety Regulation in der EU, die ab Juli 2024 in neu zugelassenen Fahrzeugen (ab Juli 2022 für neue Modelle) den verpflichtenden Einbau von umfassenden Assistenzsystemen fordert, u. a. die Einrichtung einer Alkoholtest-Schnittstelle, Speed-Limit-Assistenten sowie weitere Sicherheitsfunktionen. Der Trend geht klar zu (noch) mehr Sensorik und mehr Elektronik im Auto, und damit auch zu noch mehr Mobilitätsdaten.

Bereits heute lässt sich sagen, dass Mobilitätsdaten je nach Nutzerverhalten einen prägnanten digitalen Fußabdruck erzeugen können. Wie Nutzer Mobilitätsdaten und ihren eigenen digitalen Fußabdruck sehen, wurde explorativ im Rahmen einer Online-Community von Verkehrsteilnehmern (siehe dazu Abschn. 2.3) untersucht. Dabei ergibt sich bzgl. der Einstellungen und Motive, dass Autonomie das dominierende Motiv von Mobilität ist, was besonders gut durch das eigene Auto erfüllt wird. Digitale Services in der Mobilität zeigen sich als unverzichtbare Helfer, die Entlastung, Autonomie und Kontrolle erlauben. Gleichzeitig führt die Abhängigkeit von der Technik aber zu einem Gefühl der Hilflosigkeit, was in ein Autonomie-Dilemma resultiert.

Die Community-Teilnehmer sehen in Big Data in der Mobilität sowohl Nutzen als auch Gefahren. Besonders positiv werden Navigationsdienstleistungen sowie die bessere Zeiteffizienz und Verkehrslenkung beurteilt. Sorgen machen die Datensicherheit und ob sich gesammelte Daten auch gegen die Nutzer wenden könnten. Im Rahmen der Community lassen sich aus der individuellen Bewertung von Nutzen und Gefahren drei Grundeinstellungen mit Blick auf Big Data in der Mobilität ableiten: datenkritisch, abwägend sowie offensiv-resignativ.

Während das Smartphone und seine Apps (realistisch) als größte Datensammler eingeschätzt werden, werden Daten aus Fahrzeugen und Sharing-Diensten sowie deren Menge und Vernetzung unterschätzt. Die meisten Nutzer in der Community beschäftigen sich ungern konkret mit ihren eigenen Datenspuren. Es ist unangenehm und verspricht wenig Belohnung. Dabei bestehen vor allem zwei Probleme. Zum einen liegt eine oft ungenügende Transparenz über die Datenfreigaben vor, und die Optionen zur Freigabe oder Sperrung zur Datenweitergabe sind oft schwer zu finden. Im Ergebnis werden Daten oft unbewusst freigegeben. Zum anderen ist die gewünschte Nutzung von Mobilitätsdiensten oft von einer Datenfreigabe abhängig. Die Konfrontation mit dem eigenen digitalen Fußabdruck löst dementsprechend je nach Nutzertyp unterschiedliche Reaktionen aus, kann überfordern, Handlungsimpulse auslösen oder eine Resignation verstärken. Insgesamt wünschen sich die Community-Teilnehmer, dass die Weitergabe und Nutzung von Mobilitätsdaten sowohl für den Eigennutz als auch für das Gemeinwohl durch Akteure nachvollziehbar begründet wird, und dass man als Nutzer „enabled“ wird.

In diesem Punkt gibt es zugleich eine große Übereinstimmung zwischen den Ergebnissen der Community-Forschung und den anschließenden Fokusrunden mit Experten aus den themenrelevanten Stakeholder-Gruppen (siehe Kap. 3). Für diesen Forschungsteil lautete die Ausgangsüberlegung: vom Verhalten der Stakeholder und den daraus entstehenden Beziehungen untereinander hängt es ab, welche Narrationen sich durchsetzen, ob sich Anwendungen mit markt- und gesellschaftsrelevantem Nutzen entwickeln und damit letztlich zugleich die Potenziale von Big Data für die Lösung so vieler gesellschaftlicher Probleme genutzt werden können.

Der Blick auf die Ergebnisse aus Medienanalyse und Fokusrunden (vgl. Abschn. 3.4) erkennt eine weitgehende Einigkeit der Stakeholder aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Medien über den potenziellen individuellen und kollektiven Nutzen von Big Data in der Mobilität. Die Experten gewichten dabei den Nutzen von Big Data grundsätzlich höher als die Risiken beispielsweise für den Datenschutz. Für sie steht vor allem der gesellschaftliche Nutzen für Klimaschutz und Verkehrssicherheit im Vordergrund, der durch ein großes Spektrum an datenbasierten Mobilitätslösungen verkehrsträgerübergreifend realisiert werden kann.

Diese nutzenzentrierte Perspektive entspricht dem Stakeholder-Ansatz, der danach fragt, was mit Big Data in der Mobilität wie erreicht werden kann, so dass alle Stakeholder-Ansprüche ausgewogen berücksichtigt werden. Wird grundsätzlich davon ausgegangen, dass nicht nur die Autofahrer oder Mobilitätsteilnehmer, die Mobilitätsdaten mit ihrem Verhalten erzeugen, sondern auch Hersteller, Versicherer oder öffentliche Verkehrsunternehmen genauso wie Politik und Wissenschaft dieselben legitimen Ansprüche auf den Nutzen von Big Data in der Mobilität erheben, dann relativieren sich einseitige Machtansprüche und der Schritt zur gemeinsamen Nutzung des Datenschatzes ist – argumentativ betrachtet – nicht mehr weit.

Doch in welchem Umfang dieser normative Gedanke des Stakeholder-Konzeptes eine breite Wirkung im Sinne eines gesellschaftlichen Paradigmenwechsels entfalten kann, bleibt im Ergebnis der qualitativen Analysen des Kap. 3 offen. Das liegt nach den hier vorliegenden Befunden daran, dass sich die beobachteten Stakeholder entweder in ihren Interessen nicht klar im öffentlichen Diskurs positionieren und/oder sich mit ihren Positionen neutralisieren. Ein konstruktiver Stakeholder-Dialog findet vor diesem Hintergrund nur begrenzt statt. Ob Ursache oder Wirkung dieses unvollständigen Diskurses: offensichtlich fehlt nach wie vor ein verbindendes Narrativ, welches einen Stakeholder-Konsens und damit ein wirkungsvolles Vorgehen ermöglicht, um die Nutzenpotenziale von Big Data in der Mobilität vollständiger als bisher zu heben.

Dementsprechend changieren die Rollen in den Umweltsphären: in der Politik verstehen sich Regierungen durchaus als Antreiber, werden aber von anderen Stakeholdern nicht in dieser Rolle wahrgenommen. In der Sphäre der Wirtschaft ist eine heterogene, oft zerstrittene Gruppe von Akteuren zu beobachten, die beim Thema Mobilitätsdaten vorrangig Partikularinteressen ihrer Branchen bzw. Verkehrsträger folgen. Das hindert die Verbraucher bzw. Nutzer nicht daran, ihre Ansprüche als Kunde bzw. Datensouverän von Unternehmen des Mobilitätssektors eher vertreten zu sehen als von der fernen Politik. Die Öffentlichen Verkehrsunternehmen fühlen sich im engen Korsett des Datenschutzes in ihren Möglichkeiten eingeschränkt. Die Vertreter der Wissenschaft schließlich begnügen sich mit einer eher passiven Beobachter- und Beraterrolle und sind im öffentlichen Diskurs wenig präsent.

Gleichzeitig ergibt sich jenseits dieser beobachteten Blockierung der Stakeholder im öffentlichen Diskurs eine nahezu entgegengesetzte Entwicklung auf den Mobilitätsmärkten. Hier entstehen sogenannte Ökosysteme, die als plattformbasierte Wertschöpfungsnetzwerke das Ziel verfolgen, verschiedene Akteure und Kompetenzen zu bündeln und dem Kunden damit eine Komplettlösung aus einer Hand anzubieten (siehe Kap. 4). Dies ist nur möglich, wenn Datenbestände zusammengeführt und über Data-Sharing-Plattformen verfügbar gemacht werden. Mobilitätangebote werden auf diese Weise miteinander verknüpft und zusätzliche Leistungen aus anderen Lebenswelten, z. B. Gesundheit, Freizeit oder Wohnen, integriert. Um solche Rund-um-Lösungen anbieten zu können, haben sich zahlreiche Branchen bzw. Unternehmen mit angepassten oder erweiterten Geschäftsmodellen bereits heute neu aufgestellt und kooperieren sowohl mit anderen Akteuren der Wertschöpfungskette als auch mit Wettbewerbern. Dazu gehören bspw. Automobilhersteller, die immer mehr unterschiedliche Produkte und Dienstleistungen (Finanzierung, Versicherung, Sharing etc.) in ihr Leistungsportfolio aufnehmen.

Grundsätzlich stellt sich also für alle Anbieter von Produkten und Leistungen auf den Mobilitätsmärkten, auch für die Versicherer (siehe Kap. 6), die Frage, welche zusätzlichen Mehrwerte sie aus Big Data für ihre Kunden generieren können, welche zusätzlichen Leistungsangebote hierfür zu integrieren sind und mit welchen Unternehmen kooperiert werden sollte. Die Digitalisierungs-, Daten- und Schnittstellenkompetenz werden deshalb zweifelsfrei zu den (neuen) Schlüsselkompetenzen gehören. Damit einher geht die strategische Klärung, ob und wie sie sich in den entsprechenden Ökosystemen positionieren wollen oder können, eher als passiver Zulieferer oder als Orchestrator, d. h. auch als Initiator und Treiber. Denn von einer Annahme gehen alle Anbieter aus: die verkehrsträger- und branchenübergreifenden Komplettlösung für individuelle Mobilitätsbedürfnisse, die gleichzeitig einfach und komfortabel für den Kunden ist, bleibt als Megatrend prägend für die Mobilitätsmärkte.

Umso interessanter ist der Abgleich dieser Befunde mit den Ergebnissen einer quantitativen Bevölkerungsumfrage (siehe Kap. 5). Die Bürger und Verkehrsteilnehmer begrüßen in hohem Maße die Chancen, die durch digitale Daten und deren Vernetzung im Verkehr entstehen. Deren Anwendungen sind hochwillkommen, und neben einem individuellen Gewinn an Kontrolle, Zeit, Komfort, Mobilität und Sicherheit im Autoverkehr kann „Big Data“ auch einen gewichtigen Beitrag zur kollektiven Steigerung der Attraktivität des öffentlichen Personenverkehrs leisten – und damit nicht zuletzt auch zur Verkehrswende.

Das alles aber geschieht vor dem Hintergrund einer nach wie vor skeptischen Grundhaltung zu Big Data und deren Manifestation im Verkehr. Entsprechend ist auch die Bereitschaft zum Datenteilen eng begrenzt: Viele Bürger als – so zumindest ihr Wunschbild – Souverän ihrer Daten sind pessimistisch, misstrauisch und selektiv, wenn es um die Nutzung ihrer Datenspuren geht. Dieser Befund deckt sich nicht nur mit den Ergebnissen der Community-Forschung (siehe Kap. 2), sondern auch mit denen konkreter Branchenerfahrungen, u. a. der Versicherer mit den angebotenen Telematiktarifen. Dort scheinen die für die Preisgabe der Daten erforderlichen Mehrwerte, die sich bislang in der Regel (nur) in Form von Prämienreduzierungen niederschlagen, bisher nicht auszureichen bzw. sie werden durch Bedenken hinsichtlich des Datenschutzes, allgemeines Misstrauen oder Überforderung überkompensiert.

Im Gegensatz zur Expertensicht (siehe Kap. 3) besteht auf Seiten der Bevölkerung nach wie vor eine Unentschlossenheit, die Chancen von Big Data gerade für Klimaschutz und Sicherheit höher zu gewichten als die Risiken für individuelle Freiheit und Datenschutz. Dies lässt zugleich vermuten, warum sich politische Akteure so schwertun, die unverzichtbare Rolle als Treiber von Big Data und KI in der Mobilität anzunehmen und auszufüllen. Von den Experten für wichtig erachtete Handlungsfelder wie Experimentierräume finden zwar Akzeptanz in der Bevölkerung, allerdings sind sie eben nicht mehrheitlich mit einer grundsätzlichen Bereitschaft zum Datenteilen verbunden. Es bleibt beim bereits 2020 (Knorre et al. 2020) konstatierten Paradoxon: die Nutzer sorgen sich um die eigenen Daten, gehen aber gleichzeitig sorglos damit um oder – wie die Community-Forschung gezeigt hat – können oder wollen die Komplexität (noch) nicht ergründen. Die Änderung des Nutzerverhaltens hin zu einer kontrollierten rationalen Transaktion in Form von Datenteilen oder Datenspenden ist ein weiter Weg, der bislang nur von einer Minderheit gegangen wird.

Vor dem Hintergrund dieser Befunde aus der qualitativen und quantitativen Forschung stehen die Zeichen auf „Weiter so“, wie es im Szenario „Deutsche Gründlichkeit“ (siehe Abschn. 3.4) beschrieben ist. Dieses Szenario beschreibt im Wesentlichen die Fortsetzung der bisherigen Entwicklung einer nur eingeschränkten, aber dafür vorrangig am Datenschutz ausgerichteten Nutzung von Big Data. Die Rollenverteilung in den Umweltsphären bzw. unter den Stakeholdern bleibt unverändert bestehen: die Politik sieht sich vor allem als Regulierer und Hüter des Datenschutzes, die Wirtschaft ist vom Wettbewerb – insbesondere der Automobilhersteller und anderen Unternehmen des Mobilitätssektors einschließlich der Versicherer – geprägt, die Wissenschaft verharrt im Wahrnehmungsschatten und die Nutzer leben ihr paradoxes Verhalten aus.

Da das Nutzerverhalten weiterhin paradox ist und Kooperationen mit den bekannten Hyperscalern allem Anschein nach eher zu- als abnehmen (siehe dazu Abschn. 3.3.1.2) ist in diesem Szenario zugleich mit Elementen aus dem Szenario „Wild-West“ zu rechnen, d. h. mit Powerplay weniger Konzerne, die Big Data in der und für die Mobilität beherrschen, während die Politik mit ihren regulatorischen Gestaltungsansprüchen vor dem Hintergrund sich schnell durchsetzender Megatrends (siehe Kap. 4) zu spät kommt und die Nutzer sich in „offensiver Resignation“ (siehe Abschn. 2.3.6) üben.

Gleichwohl gibt es in der vorliegenden Studie zugleich konkrete politische und unternehmerische Handlungsfelder, um die Potenziale von Big Data für nachhaltige Mobilitätslösungen zu heben und damit eine Entwicklung im Sinne des Szenarios „Kontrollierte Offensive“ (siehe Abschn. 3.4) zu induzieren:

  • Der zentrale Hebel, um die Potenziale von Big Data zu heben, ist der Gedanke, Daten zu teilen. Der Mobilitätsmarkt wird sich deshalb künftig weiter in Richtung von Ökosystemen entwickeln, schon allein um als Anbieter die eigene Zukunftsfähigkeit durch neue, möglichst komplette Mobilitätsangebote bzw. Geschäftsmodelle sichern zu können. Insofern werden die Nutzenpotenziale von Big Data für die Mobilität von morgen schon allein aufgrund dieser Marktdynamik weiter gehoben. Vor dem Hintergrund der hier vorgelegten Forschungsergebnisse ist ein echter Paradigmenwechsel einschließlich der Auflösung des Nutzerparadoxons dann möglich, wenn daraus ein sektorübergreifendes, offenes und faires Ökosystem mit transparenten, fairen Zugangsmöglichkeiten für alle Stakeholder entsteht und kein Flickenteppich partikularer, exklusiver Branchenkonzepte mit mächtigen Gatekeepern.

  • Ein solches System zu schaffen, ist deshalb zu Recht der Grundgedanke des im Februar 2022 vorgestellten Entwurfs der EU-Verordnung für eine faire Datennutzung, der so genannte „Data Act“ (https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/ip_22_1113). Dieses Vorhaben priorisiert eindeutig den Nutzen von Big Data gegenüber allen anderen Aspekten bzw. Risiken.

    Wie in dieser Studie werden die Anreize zum Datenteilen aus zwei Perspektiven angedacht. Da sind zunächst die Nutzer, denen ihre persönlichen Daten gehören und die durch ihr Verhalten alle darüber hinaus gehenden (Mobilitäts-)Daten auf ihren Smartphones, in ihren Fahrzeugen oder in öffentlichen Verkehrsmitteln erzeugen. Sie sollten es deshalb in der Hand haben, von wem und für welche Zwecke ihre Daten gesammelt und genutzt werden. Dies entspricht, wie wir gesehen haben, zugleich den Wünschen der Nutzer, die nachvollziehbar über die Weitergabe ihrer Mobilitätsdaten informiert werden wollen. Die Nutzer in ihrer Datenkompetenz („Digital literacy“) zu stärken, gehört deshalb zu den zentralen Handlungsfeldern, um das Datenteilen zu einem Gamechanger für Big Data in der Mobilität zu machen.

    Hier sind zuerst die Hersteller gefordert, ihren Kunden den jeweiligen digitalen Fußabdruck offenzulegen und zu erklären. Weil aber nach allen vorliegenden Studienergebnissen ein Wandel des (sorglosen) Nutzerverhaltens äußerst schwierig und dementsprechend langwierig ist, können verhaltenswissenschaftliche Erkenntnisse im Sinne eines Nudgings (z. B. Opt-out- anstelle von Opt-in-Regelungen) noch stärker eingesetzt werden, um Kundennutzen und gesellschaftlichen Nutzen miteinander zu verbinden. So sind Privacy-Abfragen bislang als Abwehrrecht gedacht, sie können aber auch das Datenteilen nahelegen.

  • Aus der zweiten Perspektive geht es beim EU Data Act um die Unternehmen, mit deren Produkten oder Dienstleistungen die Nutzer Daten sammeln. Die bisher zu beobachtende faktische Aneignung dieser Daten durch Hersteller, beispielsweise von Fahrzeugen, soll durch ein geregeltes Datenteilen abgelöst werden. Auch dies ist aufgrund der Ergebnisse dieser Studie zunächst ein sinnvoller Anreiz für ein stärkeres Datenteilen.

    Aus dem Stakeholdergedanken, nach dem alle Stakeholder legitime Ansprüche auf die Datenschätze der Mobilität haben, ließe sich jedoch auch ein weitergehender Ansatz auf eine grundsätzliche Pflicht der Unternehmen zum Datenteilen ableiten, insbesondere dann, wenn die Nutzer weiter in ihrem paradoxen Verhalten verbleiben. Über das Datenteilen hinausgehende Open-Data-Konzepte, die bereits in der ersten Big Data-Studie auf eine hohe Akzeptanz der Nutzer stießen (Knorre et al. 2020, S. 199), finden im Stakeholder-Konzept ebenfalls einen zusätzlichen Begründungszusammenhang. Oder anders formuliert: Wenn es den Unternehmen mit dem Stakeholderkonzept als Leitidee einer nachhaltigen Wirtschaft ernst ist, dann ist ihre Bereitschaft zum Teilen bzw. Bereitstellen der gesammelten Mobilitätsdaten der Tatbeweis.

  • Auch die Ende August 2022 vorgelegte Digitalstrategie der Bundesregierung (https://digitalstrategie-deutschland.de/medien/) rückt die Chancen von Big Data in den Vordergrund. Das klare Bekenntnis zum autonomen Fahren lässt zudem eine Beschleunigung der bestehenden Zulassungspraxis möglich erscheinen. Zur Erinnerung: Politik muss die Rolle als Antreiber von Big Data in der Mobilität übernehmen, ansonsten drohen Initiativen wie der Datenraum Mobilität (Mobility Data Space MDS) oder auch Gaia-X zu scheitern. Insofern ist es im Sinne der vom Nutzen her gedachten Betrachtung von Big Data in der Mobilität, dass in der neuen Digitalstrategie nicht nur die Bedeutung des MDS betont wird, sondern auch die Verknüpfung zwischen MDS und dem Nationalen Zugangspunkt zu Mobilitätsdaten (Mobilithek) sowie weiteren Datenräumen aus anderen Branchen und Sektoren angesteuert wird und mit konkreten Zielen bis 2025 hinterlegt ist.

  • Ein engmaschiges Netzwerk von Experimentierräumen/Reallaboren auf der Grundlage gemeinsamer Datenräume stellt einen wirkungsvollen Hebel dar, um innovative datengetriebene Mobilitätslösungen zu entwickeln, zu erproben und zu validieren und so dem Datenschutz-Dilemma bzw. der restriktiven Regulatorik zu entkommen. Auch dieser Gedanke findet sich in der Digitalstrategie 2022 der Bundesregierung, aber zum Beispiel auch in Artikel 53 der KI-Verordnung der EU (https://lexparency.de/eu/52021PC0206/ART_53/).

    Es fehlt aber weiter an einer kritischen Masse von Umsetzungen und damit sichtbaren Erfolgsgeschichten. Hier sollten vor allem Kommunen vorangehen können, um die intermodale Mobilität von morgen erproben zu können. „Smart Cities“ können am schnellsten den notwendigen Stakeholder-Konsens herstellen. Auch die Experimentierklausel des Personenbeförderungsgesetzes sowie die Mobilitätsdatenverordnung können dann ihre Wirkung entfalten. Dies erfordert aber neben den rechtlichen Möglichkeiten auch zusätzliche finanzielle Mittel für entsprechende lokale und regionale Initiativen, aus öffentlichen Kassen genauso wie aus Private-Public-Partnerships.

  • Insgesamt gilt es, den öffentliche Diskurs über die Chancen von Big Data für nachhaltige Mobilitätslösungen weiter zu stärken. Orientierung kann und muss gerade in diesen gesellschaftspolitischen Handlungsfeldern neben den bereits genannten Stakeholdern die Wissenschaft bzw. Wissenschaftskommunikation leisten. Es gilt ein neues Narrativ für die Mobilität von morgen zu entwickeln, welches das bisherige, geopolitische Motiv ablöst, das die Geschichte von der Souveränität Europas gegenüber den Hyperscalern erzählt, jedoch durch faktisches Handeln, sprich die vielen Kooperationen mit den US-Big-Techs, widerlegt ist. Das Narrativ eines innovativen offenen Ökosystems der Mobilität, in dem Daten unter allen Stakeholdern fair geteilt werden, ist zumindest ein guter Anfang.

Eines ist in jedem Fall sicher: Die Masse der Mobilitätsdaten wächst weiter massiv. Dabei steigt der Wert der Daten mit ihrer Menge, ihrer Granularität und ihrer Heterogenität. Das Interesse vieler unterschiedlicher Stakeholder, diesen Datenschatz zu nutzen, wird nicht zuletzt im Mobilitätssektor immer dringlicher. Der Ausgleich zwischen den großen individuellen und gesellschaftlichen Nutzenpotenzialen einerseits und den Interessen in Bezug auf Datensicherheit, persönlicher Autonomie und Sorgen vor Risiken andererseits bleibt eine Herkulesaufgabe für Politik, Öffentliche Hand und alle beteiligten Unternehmen.

Nutzenkommunikation, Vertrauensaufbau, Güterabwägung sowie das Einräumen von Kontrollmöglichkeiten und Entscheidungsfreiheiten können wesentliche Bausteine für eine steigende Akzeptanz sein. Dies in Verbindung mit einem sich möglicherweise andeutenden Paradigmenwechsel in der Betrachtung von Big Data sowie einer zunehmend erlebten „Normalität“ digitaler Vernetzung im Alltag wären zentrale Meilensteine auf dem Weg zu einer gesellschaftlich breit akzeptierten, neuen und vernetzten Mobilität.