Vor dem Hintergrund der vorangehenden Kapitel wurde eine Bevölkerungsumfrage durchgeführt, um die Sicht der Betroffenen zu den Risiken und Nutzungspotenzialen und den damit verbundenen Anforderungen an die Weitergabe von Mobilitätsdaten zu erfassen.

Dazu wurden über das Onlinepanel des Marktforschungsinstituts OmniQuest 1000 Bürger im Alter ab 18 Jahren befragt, bevölkerungsrepräsentativ quotiert nach Geschlecht, Alter und Bundesland.Footnote 1 Der Erhebungszeitraum war vom 4. bis zum 12 Juli 2022. Footnote 2

Einige der Items wurden in gleicher oder leicht angepasster Form aus vorhergehenden Studien übernommen (Müller-Peters 2013; Müller-Peters 2017a, b; Knorre et al. 2020), sodass hier eine Vergleichbarkeit im Längsschnitt gegeben ist. Da der Befragungskontext und zum Teil auch die Erhebungsform (telefonisch versus online) zwischen den Studien abweicht, sollten die Zeitvergleiche nur als Tendenzaussagen interpretiert werden und zudem nur dann, wenn deutliche Abweichungen vorliegen.

Für einen Teil der Fragen in der aktuellen Erhebung wurde die Stichprobe geteilt oder es liegen Teilstichproben zugrunde (z. B. „Autobesitzer“ oder „18–39-Jährige“). Bei den entsprechenden Ergebnissen wird unter „n = …“ jeweils der Umfang der zugrundeliegenden (Teil-)Stichprobe aufgeführt.

Der vollständige Fragebogen und eine Grundauswertung der Daten sind auf der Wissenschaftsplattform „Raum Mobiler Daten“ abrufbar.Footnote 3

5.1 Die Nutzung von Verkehrsmitteln und digitalen Services in der Mobilität

Bei der Verkehrsmittelnutzung spiegelt sich in unserer Erhebung das Bild sowohl der amtlichen Statistiken des Personenverkehrs (vgl. z. B. Statistisches Bundesamt 2022; Umweltbundesamt 2022) als auch von Studien zu den persönlichen Präferenzen der Verkehrsteilnehmer (vgl. HUK-Coburg 2022) wider: Das Auto dominiert, der öffentliche Nahverkehr und mehr noch der öffentliche Fernverkehr spielen im Vergleich dazu eine deutlich untergeordnete Rolle.Footnote 4 Abb. 5.1 zeigt zudem, dass die vieldiskutierten Sharingangebote bisher noch eine vergleichbar geringe Rolle spielen; nur jeder sechste Befragte ist zumindest gelegentlicher Nutzer. In Bezug auf die Sharingangebote lohnt sich jedoch ein Blick auf die Altersgruppen: Bei den unter 40-Jährigen ist der Anteil der regelmäßigen Nutzer (mindestens mehrmals monatlich) mehr als doppelt so hoch. Ebenso werden auch die öffentlichen Verkehrsmittel deutlich mehr von der jüngeren Generation genutzt. Ob dies allerdings ein Kohorteneffekt ist (nachwachsende Generationen setzen mehr auf Sharingangebote und öffentliche Verkehrsmittel) oder lediglich ein Alterseffekt (jüngere Menschen haben z. B. noch kein eigenes Auto, weniger verfügbares Geld oder wohnen eher in der Stadt), muss an dieser Stelle offenbleiben.

Abb. 5.1
figure 1

Verkehrsmittelnutzung

Ein ähnliches Bild zeigt Abb. 5.2 zur Nutzung digitaler Mobilitätsservices wie Navigations- oder Tankstellen-Apps, Handytickets oder auch Telematik-Tarifen in der Kfz-Versicherung. Auch hier ist die Nutzung in der jüngeren Generation durchgehend höher, wobei selbst dort die wenigsten Angebote bereits bei der Mehrheit „angekommen“ sind – neben Navigationsdiensten sind dies vor allem Handyticket und Apps zur Reiseplanung, die immerhin von ca. jedem zweiten 19–39-Jährigen genutzt werden.

Abb. 5.2
figure 2

Nutzung digitaler Services im Verkehr

5.2 Chancen und Risiken der Vernetzung im Verkehr

Im Rahmen der Befragung sollten einerseits Einschätzungen zu Vernetzung und Big Data generell erfasst werden, andererseits in Bezug auf deren Einsatz im Rahmen der Mobilität. Um Ausstrahlungseffekte zu vermeiden, wurden diese beiden Fragenkomplexe in getrennten Teilstichproben gestellt. Im Anschluss erfolgte, nun wieder in der Gesamtstichprobe, eine Beurteilung konkreter Anwendungsfelder anhand des jeweiligen persönlichen Interesses der Befragten.

5.2.1 Gut oder schlecht? Zur Nutzen-Risiko-Bilanz von Big Data

Wenn es um die Gesamteinschätzung von Risiken und Gefahren von Big Data und Datenvernetzung geht, dann zeigt sich ein insgesamt gemischtes oder auch abwägendes Bild (Abb. 5.3). Im Vergleich zu ähnlichen Fragen in unserer Studie aus 2018 (Knorre et al. 2020, S. 146–149) hat sich der Anteil der Skeptiker (oder Pessimisten) leicht reduziert und die Zahl der Abwägenden (oder Indifferenten) erhöht, während der Anteil der Optimisten sich nicht wesentlich geändert hat.

Abb. 5.3
figure 3

Nutzen-Risiko-Bilanz von Big Data

Auf Basis der Medienanalyse, der Community und der Fokusgruppen wurde in Kap. 3 die Hypothese formuliert, die negativen Narrative rund um Big Data (Knorre et al. 2020, S. 15 ff. und 176 ff.) verlören an Kraft und machten sukzessive Platz für neue, positivere „Erzählungen“ (Abschn. 3.3.3, „vom Nutzen her denken“). Diese Annahme wird durch unsere Befragung also tendenziell gestützt, auch wenn die Skepsis in der Bevölkerung nach wie vor leicht zu überwiegen scheint. Vorsichtig interpretiert ließe sich der Anstieg der Abwägenden also als Zeichen dafür sehen, dass die Nutzer im Alltag zunehmend mit Digitalisierung und Vernetzung konfrontiert werden und in eine zunehmende Normalität von Big Data „hineinwachsen“. Diese wahrgenommene Normalität gilt als ein wesentlicher Faktor für die Akzeptanz und Nutzung neuer Technologien.Footnote 5 (Zum Vergleich nach Altersgruppen siehe das Ende dieses Absatzes.)

Dieses Bild zeigt sich auch bei der Frage nach konkreten Auswirkungen von Big Data (siehe Abb. 5.4). Obwohl das Ausmaß der Befürchtungen in der Tendenz gegenüber 2018 ebenfalls abgenommen hat, finden die in der Befragung aufgelisteten Risiken durchgehend mehr Zustimmung als die abgefragten Chancen: Eine Mehrheit erwartet neue Gefahren durch Big Data und einen Machtverlust der Verbraucher gegenüber Unternehmen. Wie bereits vor vier Jahren fürchtet fast die Hälfte der Befragten einen Rückgang individueller Freiheiten.

Abb. 5.4
figure 4

Erwartete Auswirkungen von Big Data

Immerhin geht aber jeweils ungefähr jeder Dritte davon aus, dass das Leben durch Big Data bequemer und sicherer werde. Ein ebenso hoher Anteil erhofft positive Effekte auf den Energieverbrauch. Begünstigt durch die gestiegene Präsenz infolge von Klimakrise und Ukrainekonflikt ist der Energieverbrauch das einzige Thema, bei dem nicht nur die Zahl der Skeptiker gesunken, sondern auch der Anteil der Optimisten nennenswert gestiegen ist.

Entsprechend ungebrochen ist auch die persönliche Bedeutung des Themas Datenschutz (siehe Abb. 5.5). Hierbei manifestiert sich die bereits in der Vorgängerstudie aufgezeigten Einstellungs-Verhaltens-Diskrepanz („Nutzer-Paradoxon“; vgl. Knorre et al. 2020, S. 188 und 198): Eine Mehrheit der Befragten gibt einerseits an, auf die persönlichen Datenspuren zu achten und andererseits, nicht mehr auf digitale Services und Technologien verzichten zu wollen.

Abb. 5.5
figure 5

Datenschutz und Unverzichtbarkeit

Im Altersvergleich zeichnen die jüngeren Befragten insgesamt ein positiveres Bild von Big Data:Footnote 6 In der Nutzen-Risiko-Bilanz sind in der Gruppe der 18–39-Jährigen die Skeptiker (mit 16 %) und die Optimisten (mit 19 %) annähernd gleich stark vertreten, während zwei Drittel die Bilanz als in etwa ausgeglichen ansehen. Bei Betrachtung der konkreten Hoffnungen und Befürchtungen zeigt sich, dass die Risiken von den jüngeren Befragten kaum geringer, die Chancen aber deutlich höher eingeschätzt werden (vgl. Abb. 5.4, Angaben in Klammern). Folgerichtig erscheinen in dieser Kohorte digitale Services und Technologien deutlich unverzichtbarer, während Datenschutz und das Achten auf die eigenen Datenspuren im Vergleich zur Gesamtbevölkerung relativ an Bedeutung verlieren; wobei selbst in dieser Altersgruppe eine Mehrheit den Datenschutz weiterhin als „persönlich wichtig“ erachtet.Footnote 7

5.2.2 Nutzen und Risiken im Rahmen der Mobilität

Wenn Vernetzung und Big Data konkret auf das Thema Mobilität und Verkehr bezogen werden, zeigt sich eine deutlich positivere Einschätzung (siehe Abb. 5.6). Der Anteil der Optimisten (die primär persönlichen Nutzen sehen) übersteigt dann sogar leicht den Anteil der Skeptiker (die auf die Risiken fokussiert sind). Mit 60 Prozent dominiert aber der Typus der Abwägenden, die Nutzen und Gefahren gleichermaßen sehen.

Abb. 5.6
figure 6

Nutzen-Risiko-Bilanz von Big Data in der Mobilität

Diese insgesamt eher positive Bilanz wird noch einmal deutlich an konkreten Einschätzungen zum Themenfeld Entlastung und Sicherheit, zwei der wesentlichen Motive, die in Abschn. 2.3 angesprochen wurden: Eine deutliche Mehrheit erwartet von digitalen Mobilitätsservices, dass sie das Leben leichter machen. Auch bezüglich der Verkehrssicherheit überwiegen die positiven Erwartungen (siehe Abb. 5.7).

Abb. 5.7
figure 7

Entlastung und Sicherheit durch digitale Mobilitätsdienste

Abb. 5.8 zeigt, dass die Verbesserungen vor allem dort gesehen werden, wo die Vorteile sehr konkret („erlebbar“) sind oder auch schon erfahren wurden. So rangieren Orientierung, Zeitersparnis und Bequemlichkeit bzw. Stressreduktion ganz vorne. Auch hier finden sich wieder unmittelbare Bezüge zu den grundlegenden Mobilitätsmotiven (vgl. Abschn. 2.3.2). Abstraktere Nutzenversprechen von Big Data im Verkehr, wie ein insgesamt verbessertes Verkehrsangebot, Sicherheit, Klimaschutz oder gar Arbeitsplätze stehen dahinter zurück, obwohl aus Expertensicht gerade in diesen Bereichen ein großes Potenzial gesehen wird (vgl. Abschn. 3.3). Auch in diesen konkreten Nutzenfragen zeigen sich Autobesitzer übrigens fast durchgehend etwas optimistischer bezüglich des Nutzens von Big Data als Nicht-Autobesitzer.

Abb. 5.8
figure 8

Nutzenerwartungen durch die Digitalisierung im Verkehr

Befragt nach den größten Risiken von Digitalisierung und Vernetzung in der Mobilität (die Teilnehmer sollten aus einer vorgegebenen Liste von neun potenziellen Risiken maximal drei auswählen) stehen Hackerangriffe, Datenmissbrauch und Technikversagen ganz obenan (siehe Abb. 5.9). Nach diesen „indirekten“ Möglichkeiten, als Autofahrer oder Verkehrsteilnehmer die Kontrolle zu verlieren, folgen direkte Formen des Verlusts von Autonomie und Kontrolle: der Verlust persönlicher Kompetenzen sowie undurchschaubare und unkontrollierbare Technik. Erst dahinter rangieren Sorgen um die Privatsphäre („gläserner Autofahrer“; ein genereller Verlust von Freiheit und Unabhängigkeit). Diese Ergebnisse betonen noch einmal die hohe Relevanz des Autonomie- und Kontrollmotivs, wenn es um Mobilität und den Umgang mit digitalen Mobilitätsanwendungen geht (vgl. Abschn. 2.3.2).

Abb. 5.9
figure 9

Wahrgenommene Risiken von Big Data in der Mobilität

5.2.3 Die Attraktivität konkreter Anwendungsfelder im Verkehr

Wird das persönliche Interesse der Befragten an verschiedensten Anwendungen in der Mobilität zugrunde gelegt, dann wird das Bild nochmals deutlich positiver. Von insgesamt zwölf abgefragten Einsatzgebieten vernetzter Daten werden acht von einer Mehrheit deutlich positiv beurteilt, wie Abb. 5.10 zeigt. Und auch bei den übrigen überwiegen in der Regel die Interessierten gegenüber den Ablehnenden deutlich. Die einzige Ausnahme ist das „selbstfahrende Auto“, an dem nur jeder Dritte Interesse zeigt, während es von 40 Prozent abgelehnt wird.

Abb. 5.10
figure 10

Persönliches Interesse an Anwendungen im Verkehr

Insgesamt zeigt sich darin ein hoher Nutzen und daraus resultierend eine hohe Attraktivität datengetriebener Systeme und Angebote aus Sicht der Verkehrsteilnehmer. Das gilt sowohl für das Auto als auch für die Nutzung öffentlicher Verkehrssysteme. Von den Kfz-bezogenen Systemen liegen der automatische Notruf, die Echtzeit-Navigation sowie Wartungshinweise an der Spitze. Aber selbst der Telematik-Tarif in der Versicherung – ein Kfz-Versicherungsvertrag, bei dem die Prämie vom individuellen Fahrverhalten abhängt – ist für immerhin 43 Prozent der Autobesitzer interessant und wird nur von 26 Prozent abgelehnt.Footnote 8

Die möglichen Anwendungsfelder im Bereich des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs, die im Bewusstsein vieler Verkehrsteilnehmer bisher insgesamt eine noch vergleichsweise geringe Rolle zu spielen scheinen (vgl. Abschn. 2.3), werden durchgehend befürwortet. Das betrifft gleichermaßen das Angebot einer Auslastungs- und Pünktlichkeitsanzeige, das schon in unserer Community vielfach geforderte integrierte Ticketsystem (vgl. ebenda), die Verbindungsanzeige oder die bedarfsabhängige Bereitstellung von Verkehrsmitteln.

Diese hohe Attraktivität digital vernetzter Dienste im öffentlichen Verkehr gilt erwartungsgemäß besonders für die tatsächlichen Nutzer des öffentlichen Verkehrs, wobei deren Interesse mit höherer Nutzungsintensität nochmals zunimmt. Aber auch Autobesitzer zeigen ein durchgängig hohes Interesse an diesen Services. Damit manifestiert sich ein hohes Potenzial der Datenvernetzung als Treiber der Verkehrswende.Footnote 9

Viele neue Geschäftsmodelle bauen darauf auf, den Verkehrsteilnehmern individualisierte, fahrtstreckenbezogene Angebote zu unterbreiten, was sowohl auf Autofahrer als auch auf Nutzer öffentlicher Verkehrsangebote abzielt (siehe dazu Kap. 4). Dass die Hälfte der Befragten die „Anzeige passender Angebote in der Nähe, z. B. für Reisen (Hotels, Restaurants, Sehenswürdigkeiten, Läden, Tipps etc.)“ persönlich als gut und interessant erachtet und nur 17 Prozent dies eher ablehnen, dürfte entsprechenden Anbietern als positives Signal gelten.

5.3 Dateneigentum und Data Sharing

Wie schon in Kap. 4 dargelegt wurde, ist die Bereitstellung bzw. das Teilen von Daten zwischen den verschiedenen Akteuren der Mobilität eine Grundvoraussetzung für die Realisierung der Nutzenpotenziale, die mit Big Data im Verkehr verknüpft werden. Wie groß ist nun die Bereitschaft seitens der Verkehrsteilnehmer dazu, und bei wem sehen diese überhaupt die „Hoheit“ an den zahlreichen anfallenden Daten?

5.3.1 Trittbrettfahrer? Interesse versus Teilungsbereitschaft

Auch die Realisierbarkeit einer Vielzahl der zuvor in Abb. 5.10 dargestellten Dienste hängt in hohem Maße davon ab, ob eine hinreichende Anzahl von Nutzern bereit ist, die eigenen Mobilitätsdaten zur Verfügung zu stellen. Wie Abb. 5.11 zeigt, ist diese Bereitschaft jedoch auf einem insgesamt deutlich niedrigeren Niveau als das Interesse an ebendiesen Diensten. Typischerweise ist der Anteil der „Teilungsbereiten“ nur etwa halb so hoch wie der Anteil der am Dienst Interessierten (nur beim automatischen Notruf ist die Quote signifikant höher). Hier wird eine „Trittbrettfahrer-Mentalität“ seitens der Verkehrsteilnehmer deutlich. Nicht überraschend ist hingegen, dass die Bereitschaft, die eigenen Daten zu teilen, in hohem Maße mit der Attraktivität des jeweiligen Dienstes korreliert, also die in Abb. 5.10 als attraktiver eingestuften Dienste zugleich auch eine höhere Bereitschaft zum Datenteilen erfahren.

Abb. 5.11
figure 11

Bereitschaft zum Datenteilen für digitale Mobilitätsdienste

Diese Diskrepanz zwischen Nutzungsinteresse und echter Partizipationsbereitschaft zeigt sich sowohl für die Gesamtstichprobe als auch bei getrennter Betrachtung von Autobesitzern und Nutzern öffentlicher Verkehrsmittel, auch wenn sich die Gruppen bezüglich der jeweils „eigenen“ Verkehrsmittel etwas aufgeschlossener zum Datenteilen zeigen. Abgesehen vom „automatischen Notruf“ ist das Datenteilen für keinen Einsatzzweck mehrheitsfähig, sei es für die Gesamtbevölkerung, die Autobesitzer oder die Nutzer öffentlicher Verkehrsmittel.Footnote 10

5.3.2 Eigentum: Wem sollen die Daten gehören?

Die daraus deutlich werdende Zurückhaltung, die eigenen Daten trotz eines hohen wahrgenommenen Nutzens nicht oder nur begrenzt zur Verfügung zu stellen, basiert wohl neben der schon angesprochenen Nehmer- oder Empfänger-Haltung („möglichst viel kriegen, möglichst wenig geben“) auch auf der vorherrschenden Ansicht, dass die persönlichen Datenspuren vorerst einmal dem Nutzer selbst gehören sollten.Footnote 11 Denn bei der Frage nach der „Datensouveränität“ ist sich ein Großteil der Bevölkerung einig, wie Abb. 5.12 zeigt: fast 70 Prozent wollen über die Verwendung ihrer Daten selbst entscheiden. Nur eine kleine Minderheit verneint das pauschal. Dies gilt sowohl für die Datenspuren im Internet als auch für diejenigen aus dem eigenen Fahrzeug.

Abb. 5.12
figure 12

Datenhoheit: Wem gehören die Daten?

Die Überzeugung, die Daten gehören den Nutzern selbst, findet sich bereits in unseren Erhebungen aus den Jahren 2013 (im Kontext der Fahrzeugdaten; siehe Müller-Peters 2013, S. 25) und 2018 (im Kontext der Internetnutzung; siehe Knorre et al. 2020, S. 170). Die Zustimmungswerte fielen vor vier Jahren – bei leicht abweichender Frageformulierung – sogar noch deutlich höher aus. Ein Hinweis, dass diese Haltung im Zeitverlauf „bröckeln“ könnte, gibt auch der Altersvergleich in der aktuellen Befragung: Obwohl über alle Altersgruppen hinweg eine deutliche Mehrheit die Datensouveränität beim Nutzer sieht, liegen die Zustimmungswerte bei den unter 40-Jährigen um etwa 10 bis 15 Prozent unter denen der über 40-Jährigen.

5.3.3 Datentausch, Datenverkauf oder Datenspende?

Datenhoheit bedeutet nicht, dass Daten per se nicht geteilt würden, wie oben schon deutlich wurde. Vielmehr geht es darum, dass dem Nutzer die Entscheidungsfreiheit obliegt und der „Gegenwert“ stimmt, sei es in Form eines persönlichen Nutzens oder als Beitrag zur Gemeinschaft.

In unserer Erhebung aus 2018 (siehe Knorre et al. 2020, S. 175 f.) wurden von den Befragten bereits die drei Grundoptionen Datentausch (gegen konkrete Nutzenversprechen aus den Anwendungen), Datenverkauf (Datenbereitstellung gegen eine Vergütung) und Datenspende (die kostenfreie Bereitstellung von Daten für unterstützenswerte gesellschaftliche Ziele) bewertet.

  1. 1)

    Das Thema Tausch wurde in 2018 in nur einem Item abgefragt, indem für die Nutzung von Apps oder Onlinediensten wahlweise Werbung in Kauf genommen oder mit den eigenen Daten bezahlt wird. Damals gab es 34 % Ablehnung und 26 % Zustimmung, eine Mehrheit zeigte sich unentschlossen. In der aktuellen Studie wurden die zwei Aspekte „Werbung“ und „Daten“ einzeln erfasst. Die Ergebnisse in Abb. 5.13 (oben) zeigen nicht nur – für beide Teilaspekte – höhere Zustimmungswerte als 2018,Footnote 12 sondern auch, dass die Schwelle, Daten zu tauschen, deutlich höher ist als die den Menschen aus zahlreichen Kontexten bereits vertraute Option, Werbung im Austausch für eine Gegenleistung in Kauf zu nehmen.

  2. 2)

    Zum Datenverkauf, zumindest in der hier abgefragten Form, sind die Meinungen breit gestreut, aber in der Tendenz eher negativ (siehe Abb. 5.13 unten): 40 % äußern sich bezüglich einer laufenden Aufzeichnung der Internetaktivitäten durch Unternehmen ablehnend. Positiver ist das Bild in einem konkreter abgefragten Anwendungsfall: Mit einem Telematik-Tarif in der Kfz-Versicherung könnte sich immerhin jeder dritte Autobesitzer anfreunden, wenn dadurch die Versicherungsprämie sinkt. Dies lässt sich im indirekten Sinne als Verkauf von Daten gegen einen Preisnachlass auffassen.Footnote 13

  3. 3)

    Auch in puncto Datenspende (vgl. Abb. 5.14) zeigt sich die Bevölkerung unentschlossen, allerdings deutlich aufgeschlossener als in unserer Befragung 2018. Im Einklang mit den damaligen Ergebnissen findet die Datenabgabe für medizinische Forschungszwecke die höchste Akzeptanz. Fast die Hälfte der Befragten würde ihre Daten dafür teilen, nur 17 % lehnen dies pauschal ab. Die Zustimmung für Verkehrssteuerung und Erhöhung der Verkehrssicherheit ist aber nur geringfügig niedriger, hierfür würde mehr als ein Drittel die Daten teilen. Die Datenspende zugunsten der Fortentwicklung digitaler Dienste liegt mit 26 % Spendenbereitschaft dahinter. Dabei zeigt sich ein deutlicher Alterseffekt: bei den 18–39-Jährigen liegt die Zustimmungsquote bei annähernd 40 %. Dies mag einerseits mit der noch höheren Nutzung, andererseits aber auch mit einem höheren wahrgenommenen Nutzen seitens der „Digital Natives“ zu erklären sein.

Abb. 5.13
figure 13

Daten als Ware? Datentausch und Datenverkauf

Abb. 5.14
figure 14

Bereitschaft zur Datenspende

5.3.4 Open Data: Daten als Gemeingut

Unabhängig davon, dass eine Mehrheit der Nutzer die Datenhoheit für sich selbst reklamiert, findet auch die Betrachtungsweise von Daten als gesellschaftliches Gemeingut durchaus Zustimmung. Damit einher geht ein gemeinwohlorientiertes Imperativ zur Bereitstellung von Internet- und Fahrzeugdaten. Abb. 5.15 zeigt, dass jeweils 30 Prozent sowohl die Nutzung von Datenströmen aus dem Internet im Sinne einer offenen „Infrastruktur“ befürworten (Open Data, siehe dazu Kap. 4 sowie Knorre et al. 2020, S. 48) als auch die Nutzung von Fahrzeugdaten für Verkehrssicherheit und Verkehrssteuerung. Nur jeweils ein Fünftel lehnt diese Sichtweise pauschal ab.Footnote 14

Abb. 5.15
figure 15

Daten als Gemeingut

In einer anderen Teilstichprobe wurden vertiefende Fragen zu „Open Data“ im Verkehr gestellt (vgl. Abb. 5.16), wobei zusätzlich auf die Anonymität der Daten hingewiesen wurde. In dieser Fragestellung ist der Anteil der Befürworter nochmals leicht positiver und der der Ablehnenden geringer: Ein Drittel bejaht eine generelle (also obligatorische) Datenteilung „für die Allgemeinheit“, nur 15 Prozent lehnen pauschal ab. Die Mehrheit plädiert aber – wie auch schon die Teilnehmer unserer Community (siehe Abschn. 2.3.5) – für eine optionale Lösung, bei der die Nutzer über die Freigabe entscheiden können.

Abb. 5.16
figure 16

Open Data im Verkehr

Nur diejenigen, die eine – obligatorische oder optionale – Datenfreigabe begrüßen, wurden um eine weitere Beurteilung dahingehend gebeten, wer seine jeweiligen Daten bereitstellen solle (vgl. Abb. 5.16 rechts). 13 Prozent der Befragten befürworten, dass pauschal „alle“ aufgelisteten Akteure, also Automobilhersteller und Verkehrsbetriebe, die Anbieter von Sharingdiensten, Apps und Smartphones, und schließlich auch die jeweiligen Nutzer selbst, in der Pflicht stehen. Ebenso pauschal verneinen 9 Prozent diese Obligation grundsätzlich und unabhängig vom Akteur. Die große Mehrheit, die ein differenziertes Urteil abgibt, erwartet zuerst von den öffentlichen Verkehrsbetrieben die Bereitstellung von Daten. Direkt dahinter sehen 38 Prozent sich selbst, also die Nutzer der Dienste, in der Pflicht. (Hochgerechnet auf die Gesamtbevölkerung findet sich hier also wieder das ungefähre „Drittel“, das sich über verschiedene Fragen hinweg aufgeschlossen zeigt, die eigenen Daten zu teilen).

Im Vergleich dazu werden sowohl Autohersteller als auch die Anbieter von Sharingdiensten von den Befragten deutlich seltener in der Verantwortung gesehen, Daten für Open Data im Straßenverkehr bereitzustellen.Footnote 15 Das gilt noch verstärkt für Anbieter von Smartphones und Apps, obwohl gerade bei diesen Diensten besonders viele verkehrsbezogene Daten anfallen.

Diese Zurückhaltung gegenüber den privatwirtschaftlichen Akteuren ließe sich einerseits damit erklären, dass die Nutzer die eigentliche Datenhoheit bei sich selbst und eben nicht bei den Unternehmen sehen. Eine mögliche weitere Erklärung könnte sein, dass ein Datenteilen von privatwirtschaftlichen Unternehmen nicht per se verlangt werden könne. Mit Blick auf die Anbieter von Smartphones und Apps kommt erschwerend hinzu, dass diese Akteure trotz ihres umfassenden Datenschatzes aus Laiensicht seltener mit den Themen Mobilität und öffentlicher Infrastruktur assoziiert werden, wie sich auch schon in unserer Community (Abschn. 2.3) zeigte.

Auf die ergänzende Frage hin, ob auch im Falle von Open Data eine Vergütung der Datennutzer durch die Datenurheber erfolgen sollte, sieht eine Mehrheit der Bevölkerung (57 %) die anfallenden Mobilitätsdaten als gemeinsame Ressource und eben nicht als zu handelnde Ware. Eine Vergütung wird entsprechend verneint. Allerdings dominiert diese Sicht vor allem in den älteren Bevölkerungsschichten; bei den unter 40-Jährigen kippt das Bild insofern, als eine knappe Mehrheit für die Bezahlung der Daten plädiert. Dies kann als Indiz verstanden werden, dass Daten zunehmend als wertvoller „Rohstoff“ respektive Ware oder Währung verstanden werden könnten.

5.3.5 Datensensibilität, Vertrauen und Kompetenzzuschreibung

Wichtige Schlüssel zur Frage, welche Daten mit wem geteilt werden, sind natürlich, als wie sensibel die jeweiligen Daten angesehen werden, sowie der Grad an Vertrauen und Kompetenzzuschreibung, der dem jeweiligen „Empfänger“ der Daten zugeschrieben wird.

Zur Einschätzung der Sensibilität verschiedener Datenarten wurden die Befragten gebeten, unter sieben vorgegebenen Kategorien eine Rangfolge zu bilden. Abb. 5.17 stellt jeweils den Anteil der oberen und unteren beiden Ränge der jeweiligen Datenkategorie dar, sortiert nach dem Anteil der Befragten, die die jeweilige Datenkategorie als besonders sensibel erachten und entsprechend ungerne diese Daten teilen würden.

Abb. 5.17
figure 17

Sensibilität und Teilungsbereitschaft nach Datenkategorien

Die Ergebnisse zeigen, dass persönliche Vorlieben und Interessen in Bezug auf Freizeit, Reisen und Gastronomie als vergleichsweise unsensibel angesehen werden. Dies ist nicht verwunderlich, da es sich dabei um Themen handelt, die von großen Teilen der Bevölkerung bereits in hohem Maße über die sozialen Medien geteilt werden. Deutlich sensibler sind dagegen die Themen Fitness, Ernährung und – gemessen an den ablehnenden Stimmen – mehr noch die persönlichen Ortungs- und Gesundheitsdaten. Etwas überraschend ist möglicherweise, dass Kontaktdaten als die insgesamt problematischste Kategorie angesehen werden. Deren hohe Sensibilität und damit einhergehend die geringe Bereitschaft zum Teilen, könnte sich mit Blick auf die Tatsache erklären, dass damit einerseits die Anonymität aufgegeben wird (im Falle der eigenen Kontaktdaten), aber auch, dass dabei nicht mehr nur über die eigenen Daten, sondern auch über die Daten Dritter verfügt wird (im Falle von Kontakten aus dem Adressbuch oder aus den sozialen Medien).

Von welchen der wesentlichen Akteure rund um Big Data in der Mobilität erwarten die Befragten die größten Impulse in der Entwicklung neuer, datenbasierter Angebote? Abb. 5.18 zeigt dazu ein relativ gleichverteiltes Bild, d. h. keiner der genannten Akteure wird im Vergleich überwiegend als kompetenter oder weniger kompetent angesehen. In der Summe schreiben die Befragten aber, vielleicht etwas überraschend, den öffentlichen Verkehrsbetrieben die höchste Kompetenz zu, „wirklich hilfreiche neue Angebote zu entwickeln“. Erst auf den nachfolgenden Plätzen kommen die originär digitalen „Player“ in Form von Startups und Digitalkonzernen. Behörden, Versicherer und interessanterweise auch Mobilfunkanbieter liegen in diesem Vergleich am unteren Ende.

Abb. 5.18
figure 18

Kompetenzzuschreibung und Vertrauen nach Akteuren

Anders sieht es bezüglich des Vertrauens der Bevölkerung in die jeweiligen Akteure aus. Hier liegen wiederum die öffentlichen Verkehrsbetriebe, mehr aber noch die öffentlichen Behörden, deutlich vor allen privatwirtschaftlichen Organisationen. Dieses Bild kann als Indiz für ein zumindest in Teilen der Bevölkerung intaktes „Staatsvertrauen“ gelten. Innerhalb der Wirtschaftsunternehmen genießen noch am ehesten die Autoversicherer das Vertrauen der Bevölkerung; einer Branche, der von ihren Kunden vielfach ein „behördenähnlicher“ Status zugeschrieben wird (vgl. Müller-Peters 2017a, S. 8 ff., b, S. 26. Im Falle von Versicherungsvereinen auf Gegenseitigkeit (VVaG) oder öffentlichen Versicherern haben diese Unternehmen auch faktisch einen öffentlich-rechtlichen oder genossenschaftlichen Status). Allerdings wird keinem der Akteure auch nur annähernd mehrheitlich das Vertrauen zum verantwortlichen Umgang mit Mobilitätsdaten ausgesprochen, jeder Dritte spricht sogar pauschal allen Akteuren das Vertrauen ab. Hier scheinen wieder die zahlreichen Befürchtungen rund um die Themen Datenschutz und Datensicherheit durch, sicherlich eine der großen Baustellen auf dem Weg in die vernetzte Mobilität der Zukunft (vgl. dazu auch Abschn. 3.2.2).

5.4 Zu schnell oder zu langsam? Digitalisierungstempo und Reallabore

Die Mehrheit der im Rahmen unserer Fokusgruppen interviewten Experten bemängelt eine deutlich zu langsame Umsetzung der Digitalisierung und Vernetzung im Verkehr. Die Hintergründe dazu wurden bereits ausführlich in Kap. 3 dargestellt.

Im Gegensatz dazu zeigt sich die Bevölkerung unentschlossen: Während jeweils ungefähr 30 Prozent den bisherigen Fortgang der Digitalisierung im Verkehr als zu langsam oder zu schnell beurteilen, zeigten sich 40 Prozent mit dem bisherigen Fortkommen zufrieden (vgl. Abb. 5.19). Dabei ist die Beurteilung keinesfalls nur eine Frage des Alters: Zwar zeigen sich erwartungsgemäß Unterschiede nach Lebensalter, diese fallen aber eher gering aus. Selbst bei den über 60-Jährigen zeigt sich nur etwas mehr als jeder dritte Befragte vom bisherigen Tempo „überfahren“. Bezogen auf die am Ende von Kap. 3 skizzierten Zukunftsszenarien – von „deutscher Gründlichkeit“ bis „Wildwest“ – ließe sich auf Basis der Daten wohl annehmen, dass die dort vorgestellte mittlere Option der „kontrollierten Offensive“ am ehesten den Vorstellungen der Bevölkerung entspricht.

Abb. 5.19
figure 19

Das Tempo der Digitalisierung im Verkehr

Eine ähnliche Verteilung ergibt sich auch aus den Antworten auf die Frage, in welchem Umfang die Möglichkeiten des vernetzten Autos genutzt werden sollten: Etwa jeder Vierte plädiert für eine weitestmögliche Nutzung, jeder Fünfte äußert sich dagegen ablehnend. Der Anteil der neutralen Kategorien fällt mit 53 Prozent noch etwas höher aus als bei der Beurteilung des Tempos der Digitalisierung im Verkehr insgesamt.Footnote 16

Zur Beschleunigung von Digitalisierung und Vernetzung im Verkehr kommt aus Sicht der Experten in unseren Fokusgruppen „Experimentierfeldern“ oder sogenannten „Reallaboren“ eine große Bedeutung zu. Dies gilt nicht nur, aber besonders in Bezug auf den öffentlichen Verkehr und auf Sharing-Dienste (vgl. Abschn. 3.3). Wie Abb. 5.20 zeigt, werden solche Testfelder von einem großen Teil der Bevölkerung begrüßt. Aber auch hier besteht wieder nur bei einer Minderheit die Bereitschaft, sich auch persönlich – durch Datenüberlassung – zu engagieren.

Abb. 5.20
figure 20

Beurteilung von „Reallaboren“

5.5 Güterabwägung: Freiheit oder Sicherheit, Mobilität oder Klimaschutz?

Abschließend wurden die Befragten um eine allgemeine Einschätzung zur Rolle des Datenschutzes gebeten, sowie um eine Abwägung hinsichtlich konkurrierender gesellschaftlicher Ziele:

In bisherigen Studien zeigt sich recht übereinstimmend, dass die Bevölkerung – zumindest als abstraktes Ziel – dem Schutz ihrer Daten und ihrer Privatsphäre eine hohe Bedeutung einräumt (vgl. z. B. Sinus 2018; Knorre et al. 2020, S. 158 f.). Im Anschluss an unsere Befragung aus 2018 hat die Bevölkerung umfangreiche Erfahrungen mit der Umsetzung der europäischen Datenschutzverordnung (DSGVO) machen können. Diese Verordnung, ergänzt und konkretisiert durch das neue Bundesdatenschutzgesetz GDSG, gilt seit dem 28. Mai 2018 und hat im Alltag der meisten Menschen für zahlreiche, teils zeit- und denkaufwändige Änderungen gesorgt. Zu den Beispielen zählen die Zustimmungspflicht zu Cookies im Internet oder eine große Anzahl notwendiger Einwilligungen, sei es beim Arzt, in Vereinen, bei Banken und Versicherern oder bei sonstigen Dienstleistern. Vor diesem Hintergrund und in Verbindung mit der inzwischen leicht positiveren Sicht der Medien und der Bevölkerung auf Big Data (vgl. Kap. 3 und Abschn. 5.2.1) stellt sich die Frage, ob die Umsetzung des Datenschutzes nicht schon als übertrieben wahrgenommen wird.

Schon die Auswertung in Abschn. 5.2.1 (vgl. Abb. 5.5) hat gezeigt, dass die Bevölkerung auch in 2022 das Thema Datenschutz überwiegend als „persönlich wichtig“ erachtet. Dass selbst die deutlich verschärften Datenschutzregelungen und der damit verbundene Aufwand im Alltag nicht zu einem „Kippen“ der Stimmung geführt haben, zeigt sich im Rahmen unserer Befragung aber mehr noch daran, dass nur jeder Vierte den Datenschutz in Deutschland für übertrieben hält. Ein deutlich höherer Anteil der Bevölkerung (44 %) wünscht sich, dass das Thema sogar noch ernster genommen werden solle (vgl. Abb. 5.21).

Abb. 5.21
figure 21

Datenschutz – zu viel oder zu wenig?

Ebenso in Abschn. 5.2.1 wurden Nutzen und Risiken von Big Data aus Sicht der Bevölkerung gegenübergestellt, sowohl insgesamt als auch spezifisch in Bereich der Mobilität. Da hierbei zahlreiche „wertvolle“ Güter oder gesellschaftliche Ziele wie Sicherheit, wirtschaftliches Wohlergehen, Datenschutz oder Klimaschutz tangiert werden, wurden die Befragten um eine Bewertung dieser grundlegenden Ziele gebeten.

Um die zumindest in Teilen bestehenden Konkurrenzbeziehungen bei der Erreichung solcher Ideale zu berücksichtigen, wurde ein Ranking eingeholt.Footnote 17 Die Teilnehmer wurden gebeten, sechs vorgegebene gesellschaftliche Ziele nach deren Relevanz zu sortieren. Abb. 5.22 zeigt diese so ermittelten Präferenzen, wobei dort im Sinne der Übersichtlichkeit jeweils die Antworten für die zwei ersten, die zwei mittleren und die zwei letzten Platzierungen zusammengefasst wurden.

Abb. 5.22
figure 22

Priorisierung gesellschaftlicher Ziele

Ein erstes Ergebnis ist, dass bezüglich der abgefragten Ziele kein gesellschaftlicher Konsens besteht. Das heißt, dass keines der Ziele bevölkerungsweit ganz überwiegend den anderen über- oder untergeordnet wird.

Dennoch lässt sich den Ergebnissen eine Rangordnung entnehmen. Demnach liegen die Freiheitsrechte der Bürger ganz vorne, gefolgt von der Sicherheit im Straßenverkehr und dem Thema Datenschutz. Erst dann folgen mit annähernd gleicher Gewichtung Umwelt- und Klimaschutz, Wohlstand und Arbeitsplätze sowie schnelle und einfache Mobilität.

Die Ergebnisse sind insofern bemerkenswert, als nicht unmittelbar alltags- und nutzennahe Ziele dominieren (wie Mobilität oder Wohlstand) und auch nicht das angesichts des Klimawandels derzeit medial dominante Thema Umwelt/Klimaschutz/Verkehrswende. Sogar die sonst oft als absolut gesetzte Forderung nach Sicherheit liegt nicht auf dem ersten Platz, sondern die grundlegenden, aber viel abstrakteren und alltagsferneren Freiheitsrechte.Footnote 18 Und selbst dem etwas sperrigen Thema Datenschutz wird im Vergleich zu den übrigen „hohen Gütern“ eine äußerst hohe Bedeutung zugemessen.

Grundsätzliche Unterschiede zwischen Autobesitzern und der Bevölkerung insgesamt zeigen sich in der obigen Hierarchisierung nicht. Es überrascht wenig, dass dem Thema Verkehrswende, Umwelt- und Klimaschutz durch die 18–29-Jährigen ein höheres Gewicht beigemessen wird (bei 36 % auf den Top-2-Plätzen, damit aber immer noch hinter den Freiheitsrechten mit 40 % in dieser Altersgruppe). Bereits bei den 30–39-Jährigen sinkt das Gewicht aber wieder auf den Bevölkerungsdurchschnitt ab.

Es lässt sich also festhalten: Der Einsatz von Big Data in der Mobilität bedarf einer Abwägung widersprüchlicher Ziele; der gute Zweck rechtfertigt nicht per se die Mittel. Weder der Einsatz vernetzter Daten für die Verkehrswende noch für den Verkehrsfluss darf zu sehr auf Kosten bürgerlicher Grundrechte wie Freiheit und Privatsphäre gehen.Footnote 19 Auch die Verkehrssicherheit ist als Ziel unter mehreren kein Persilschein für beliebige Eingriffe in ebendiese Rechte.Footnote 20 Zugleich aber, so zeigte sich schon oben, wird Vernetzung und Big Data im Rahmen der Mobilität gar nicht als dominante Gefährdung dieser Rechte wahrgenommen: Während bezogen auf Big Data insgesamt ein hoher Anteil der Bevölkerung befürchtet, dies werde „dem Einzelnen immer mehr Freiheiten nehmen“ (vgl. Abb. 5.4), zählt bezüglich deren Anwendung im Verkehr nur jeder Zehnte den Verlust von „Freiheit und Unabhängigkeit der Verkehrsteilnehmer“ zu deren Hauptrisiken (vgl. Abb. 5.9).

5.6 Fazit

Die Bürger und Verkehrsteilnehmer begrüßen in hohem Maße die Chancen, die durch digitale Daten und deren Vernetzung im Verkehr entstehen. Deren Anwendungen sind hochwillkommen, und neben einem Gewinn an Kontrolle, Zeit, Komfort, Mobilität und Sicherheit im Autoverkehr kann „Big Data“ auch einen gewichtigen Beitrag zur Steigerung der Attraktivität des öffentlichen Personenverkehrs leisten – und damit nicht zuletzt auch zur Verkehrswende.

Das alles steht aber vor dem Hintergrund einer nach wie vor skeptischen Grundhaltung zu Big Data und deren Manifestation im Verkehr. Entsprechend ist auch die Bereitschaft zum Datenteilen eng begrenzt: viele Bürger als – so zumindest ihr Wunschbild – „Souverän“ ihrer Daten sind pessimistisch, misstrauisch und selektiv, wenn es um die Nutzung ihrer Datenspuren geht.

Der Ausgleich zwischen den großen individuellen und gesellschaftlichen Nutzenpotenzialen einerseits und den Interessen in Bezug auf Datensicherheit, persönlicher Autonomie und Sorgen vor Risiken andererseits bleibt eine Herkulesaufgabe für Politik, Öffentliche Hand und alle beteiligten Unternehmen. Nutzenkommunikation, Vertrauensaufbau, Güterabwägung sowie das Einräumen von Kontrollmöglichkeiten und Entscheidungsfreiheiten können wesentliche Bausteine für eine steigende Akzeptanz sein. Dies in Verbindung mit einem sich möglicherweise andeutenden Paradigmenwechsel in der Betrachtung von Big Data sowie einer zunehmend erlebten „Normalität“ digitaler Vernetzung im Alltag wären zentrale Meilensteine auf dem Weg zu einer gesellschaftlich breit akzeptierten, neuen und vernetzten Mobilität.