Zusammenfassung
Basierend auf der Antidiskriminierungsrichtlinie, die sich die Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (HTW Berlin) im Jahr 2018 gegeben hat, wurde im Wintersemester 2021/22 damit begonnen, ein Schutzkonzept zur Prävention von und zum Umgang mit sexualisierter Diskriminierung und Gewalt zu erarbeiten. Dieses Schutzkonzept basiert auf drei Leitprinzipien: Einsicht, Enttabuisierung und Betroffenengerechtigkeit. Diese sind in der Organisationskultur zu verankern, wobei das letztgenannte Prinzip die grundlegendsten Veränderungen für die Organisation mit sich bringt. Im vorliegenden Beitrag werden erstens die genannten Leitprinzipien mit dem Fokus auf der Betroffenengerechtigkeit eingeführt und erläutert. Zweitens wird das Schutzkonzept in den Kontext des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) und der internen Antidiskriminierungsrichtlinie gestellt. Drittens wird das dichte Hilfenetz beschrieben, welches die etablierten, hochschuleigenen Beratungseinrichtungen, die Interessenvertretungen bestimmter Gruppen mit den „Knotenpunkten“ bilden sollen, die im Zuge der seit 2018 verstärkten Antidiskriminierungsarbeit an der HTW Berlin neu geschaffen werden, insbesondere der Antidiskriminierungsrat und die Antidiskriminierungsstelle. Viertens wird der Bearbeitungsprozess von Meldungen und Beschwerden Schritt für Schritt dargestellt. Die Hochschule hat damit begonnen, intensiv und unter Beteiligung vieler Hochschulangehöriger daran zu arbeiten, ein möglichst sicherer Ort für alle zu werden. Die Organisationskultur befindet sich im Wandel, maßgebliche Veränderungen für Strukturen und Prozesse wurden angestoßen. Die Praxis der kommenden Jahre wird zeigen, wie tragfähig diese tatsächlich sind. Wie bei jeder guten Organisationsentwicklung ist es auch hier entscheidend, entsprechende Signale wahrzunehmen und gegebenenfalls nachzujustieren. Dieser Beitrag ist als Werkstattbericht zu verstehen, denn er dokumentiert einen Zwischenstand.
Wir danken den Teilnehmer*innen des inmedio-Lehrgangs 2021 für „Fachkräfte zur Prävention sexualisierter Gewalt im Arbeitsleben“ (https://www.inmedio.de) für den intensiven, vertrauensvollen kollegialen Austausch, insbesondere den Kolleg*innen von Oxfam sowie den Kolleg*innen der Robert Schumann Hochschule Düsseldorf. Die Deutung von ‚Betroffenengerechtigkeit‘ und ‚Betroffenenparteilichkeit‘ und deren Unterscheidung als synergetische Pole sind der Lehre von inmedio entlehnt (unveröffentlichtes Lehrmaterial). Unser Dank geht zudem an Dr. Saskia Kühnhold-Pospischil vom Fraunhofer ISE für interne Einblicke und Dokumente.
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Notes
- 1.
Ein sicherer Ort zu sein, kann keine Organisation garantieren, sie kann sich lediglich diesem Ziel annähern, daher diese Einschränkung.
- 2.
Gabriele Rosenstreich (2018, S. 9) schlägt hierfür powersharing vor. Powersharing ermöglicht es Personen in gesellschaftlich machtvollen Positionen, Solidarität zu üben und minorisierten Gruppen materielle oder immaterielle Ressourcen für Empowerment zur Verfügung zu stellen.
- 3.
Ursel Gerdes (2020, S. 57) weist darauf hin, wie fatal es ist, wenn Hochschulen zwar eine gute auf Antidiskriminierung bezogene Öffentlichkeitsarbeit betreiben, aber nicht angemessen mit einzelnen Vorfällen umgehen und dadurch das Vertrauen der Betroffenen einbüßen.
- 4.
Für das Führen einer Beschwerde gilt die Antidiskriminierungsrichtlinie der HTW Berlin, die sich am Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) orientiert. Alle Hochschulangehörigen sowie alle im Auftrag der Hochschule Tätigen, z. B. Beschäftigte des Wachschutzes und der Reinigungsfirma, haben einen gesetzlichen Anspruch darauf, sich gegen eine strukturelle Diskriminierung oder ein Verhalten anderer zu wehren, das sie als problematisch empfinden, indem sie eine Beschwerde einreichen. Eine Beschwerde kann nur von dem Menschen geführt werden, der sich von sexualisierter Diskriminierung und Gewalt betroffen fühlt, nicht aber von Zeug*innen.
Literatur
Gebrande J, Simon K (2022) Handlungskonzepte gegen sexualisierte Belästigung, Diskriminierung und Gewalt an Hochschulen: Das 33-Modell. In: Mense L, Mauer H, Herrmann Jeremia (Hrsg) Sexualisierter Belästigung, Gewalt und Machtmissbrauch an Hochschulen entgegenwirken. Handreichung, S 56–59
Gerdes U (2020) Was muss passieren, damit möglichst wenig passiert? In: Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (Hrsg) Symposium on sexualized violence and discrimination at scientific institutions, S 52–58
Rosenstreich, G (2018): Empowerment und Powersharing. Eine Einführung. In: Informations- und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit in Nordrhein-Westfalen (Hrsg) Allianzen bilden in der Migrationsgesellschaft. IDA, Düsseldorf, S 7–9. https://www.ida-nrw.de/fileadmin/user_upload/ueberblick/Ueberblick_022018.pdf. Zugegriffen: 19. Apr 2022
Schüz H-S, Pantelmann H, Wälty T, Lawrenz N (2021) Der universitäre Umgang mit sexualisierter Diskriminierung und Gewalt. Eine Bestandsaufnahme. Open Gender J 5. https://doi.org/10.3224/fzg.v27i1.16
Schwerdtner L (2021) Sprechen und Schweigen über sexualisierte Gewalt. Ein Plädoyer für Kollektivität und Selbstbestimmung. edition assemblage, Münster
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Richter, U., Andresen, S., Kassin, E., Specht, H. (2023). Die Hochschule – ein möglichst sicherer Ort! Elemente eines Schutzkonzepts zur Prävention von und zum Umgang mit sexualisierter Diskriminierung und Gewalt. In: Pantelmann, H., Blackmore, S. (eds) Sexualisierte Belästigung, Diskriminierung und Gewalt im Hochschulkontext. Springer Gabler, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-40467-3_9
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Publisher Name: Springer Gabler, Wiesbaden
Print ISBN: 978-3-658-40466-6
Online ISBN: 978-3-658-40467-3
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