1 Organisationskultur, individuelle Teilhabe und Lebensqualität – Eine Einführung

Vielen Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung wird die individuelle Lebensführung durch eine personenorientierte Unterstützung professioneller Assistent*innen ermöglicht. Die professionellen Assistent*innen arbeiten überwiegend in Mitarbeiterteams, die in Organisationsstrukturen und -hierarchien von Wohndiensten und Wohneinrichtungen eingebunden sind. Die Anleitung und Zusammenarbeit in diesen Mitarbeiterteams spielen eine zentrale Rolle für die Planung und Umsetzung einer personenorientierten Unterstützung und damit für die individuelle Teilhabe und Lebensqualität der Bewohner*innen im Alltag.

Mit dem Konzept der Organisationskultur können Werte, Haltungen und Arbeitspraxen in Wohneinrichtungen und Wohndiensten, die sich im alltäglichen Handeln und Denken der Mitarbeiter*innen zeigen, besser verstanden werden. Auf diese Weise werden die unausgesprochenen und weniger sichtbaren Anteile, die sich in der unterstützenden Arbeitspraxis widerspiegeln und mögliche Barrieren darstellen, (er)fassbar und verständlich. Das eigene Handeln wird überprüfbarer und die Weiterentwicklung von Teams und Organisationen kann befördert werden.

Dass die Lebensqualität von Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung, die von Wohndiensten unterstützt werden und häufig in Wohneinrichtungen leben, stark variieren kann, wurde von verschiedensten Forscher*innen um die Jahrtausendwende nachgewiesen (Emerson und Hatton 1996; Young und Ashman 2004; Kozma et al. 2009; Bigby et al. 2012b, S. 452, Bigby und Beadle-Brown 2016, S. 316; Bigby und Beadle-Brown 2018, S. 182–183). Diese Lebensqualitätsunterschiede variieren von Wohngruppe zu Wohngruppe und zwischen den Organisationen unterschiedlicher Wohndienste der Behindertenhilfe (Bigby und Beadle-Brown 2018, S. 183). Erste wissenschaftliche Einschätzungen ergaben zudem, dass die Aufrechterhaltung und Gewährleistung einer konsistenten und qualitativ hochwertigen Unterstützung in den Wohndiensten der Behindertenhilfe, insbesondere für Menschen mit einem komplexen Unterstützungsbedarf, schwierig umzusetzen sind (Mansell und Beadle-Brown 2012; Mansell et al. 2013).

Eine Reihe von miteinander interagierenden Variablen beeinflusst die Qualität der Unterstützung in den Wohndiensten (Bigby und Beadle-Brown 2016, S. 317). Die relevantesten Variablen, die im Zusammenhang mit einer hohen Lebensqualität diskutiert werden, sind – neben dem Niveau des adaptiven VerhaltensFootnote 1 von Bewohner*innen – die Arbeits- und Verhaltensweisen der Mitarbeiter*innen (unterstützende Arbeitspraxis)Footnote 2 (Perry und Felce 2005; Mansell 2006; Walsh et al. 2007 zit. n. Humphreys 2018, S. 2). In verschiedenen Forschungsprojekten wurden organisationale Faktoren und die Organisationskultur als wichtige Mediator- und Prädiktorvariablen untersucht (Hastings et al. 1995, S. 337; Hatton et al. 1999, S. 207; Felce et al. 2002; Gillett und Stenfert-Kroese 2003, S. 279; Perry und Felce 2005; Mansell 2006; Walsh et al. 2007, 2010; Mansell und Beadle-Brown 2012).

Organisationale Faktoren, inwiefern z. B. Ressourcen der Wohngruppe bzw. des Wohndienstes genutzt werden (Stancliffe et al. 2004), wie Leitungsebenen den Wohndienst managen (Bigby und Beadle-Brown 2018; Bigby et al. 2019; Gillett und Stenfert-Kroese 2003, S. 279) und inwiefern die unterstützende Arbeitspraxis der Mitarbeiter*innen ausgestaltet, gesteuert und überprüft wird (Emerson und Hatton 1996; Gillett und Stenfert-Kroese 2003, S. 279; Emerson et al. 2000, 2001; Mansell et al. 2008; Bigby et al. 2012a; zit. n. Bigby et al. 2012b, S. 453), rückten dabei in den Blickpunkt der Forscher*innen, um die Zusammenhänge zwischen der Organisationskultur und der Lebensqualität der Bewohner*innen aufzudecken und zu verstehen (Bigby et al. 2012b, S. 452).

Unser Beitrag verfolgt verschiedene Ziele: Ausgehend von einer Definition von Organisationskultur wird die noch junge Geschichte der Erforschung der Organisationskultur in Wohneinrichtungen und Wohndiensten nachgezeichnet bis hin zur Entwicklung der Group Home Culture Scale (GHCS). Die GHCS ist ein Instrument zur Messung der Organisationskultur, das von australischen und britischen Forscher*innen entwickelt wurde. Für dieses Instrument haben wir in enger Abstimmung mit den Kolleg*innen in Australien eine deutsche Version erarbeitet. Die Teamkultur-Skala für Wohndienste (TKS-W) wird hier zum ersten Mal vorgestellt und ist im Anhang abgedruckt. Die wesentlichen Ergebnisse der Übertragung und der empirischen Erprobung der TKS-W in Deutschland werden berichtet. Wie wirken sich strukturelle Merkmale von Mitarbeiterteams und Wohngruppen auf die einzelnen Dimensionen der Organisationskultur eines Teams aus? Aufschlussreiche Ergebnisse einer explorativen quantitativen Studie zu den Zusammenhängen werden im letzten Teil präsentiert und abschließend wird erläutert, zu welchen Zwecken sich die TKS-W einsetzen lässt.

2 Was ist Organisationskultur?

Im Rahmen von Organisationstheorien werden unter dem Begriff Organisationskultur Überzeugungen und Einstellungen, Werte und Symbole thematisiert, die sich innerhalb von Organisationen entwickeln und das Handeln aller Organisationsmitglieder informell beeinflussen (Schreyögg und Geiger 2016, S. 317).

Organisationskultur wurde zunächst aufgefasst als „die Art und Weise, wie Dinge hier getan werden“ („how things are done around here“, Deal und Kennedy 1982, S. 4) oder etwas präziser als „[…] das, was typisch für die Organisation ist, die Gewohnheiten, die vorherrschenden Einstellungen, das gewachsene Muster des akzeptierten und erwarteten Verhaltens.“ („It is what is typical of the organization, the habits, the prevailing attitudes, the grown up pattern of accepted and expected behavior“ (Drennan 1992, S. 3)). In einer aktuelleren Definition fasst Edgar Schein Organisationskultur zusammen als, „[…] die Summe aller gemeinsamen, selbstverständlichen Annahmen, die eine Gruppe in ihrer Geschichte erlernt hat“ (Schein 2010, S. 44). Bei der Lösung von Problemen, sei es die Anpassung an die äußere Umwelt oder die Integration nach innen, haben die Organisationsmitglieder gelernt, was gut genug funktioniert hat, um als gültig anerkannt zu werden. Diese als gültig gewerteten Annahmen werden den neuen Mitgliedern als die „richtige“ Art und Weise beigebracht, wie Probleme wahrgenommen und bewertet werden. Aus diesem Zusammenspiel des Gelernten entwickelt sich ein System von Überzeugungen, Werten und Verhaltensregeln, das als grundlegend empfunden und im Unterbewusstsein der Organisationsmitglieder verankert wird. Kultur wird bei Schein als ein Gruppenphänomen verstanden, das auf das Verhalten samt der Wahrnehmung, Gefühle und Bewertungen aller Gruppenmitglieder einwirkt (Schein und Schein 2018, S. 5 f.).

2.1 Das Drei-Ebenen-Modell der Organisationskultur von Edgar Schein

Mit dem Drei-Ebenen-Modell von Schein können die Organisationskultur analysiert und Zusammenhänge zwischen Phänomenen erklärt werden. Das Modell stellt eine anerkannte Theoriegrundlage dar, auf die sich viele Forscher*innen beziehen, u. a. Bigby et al. (2012b, 2015, Bigby und Beadle-Brown 2016). Die drei Ebenen werden dabei als ineinandergreifend und aufeinander wirkend verstanden.

Die erste Ebene, die der „Artefakte“ (Schein 2010, S. 31; Schein und Schein 2018, S. 14), ist die sichtbare und in Teilen auch direkt erfahrbare Ebene der Organisationskultur. Zu den sichtbaren und erfahrbaren Artefakten gehören Zeichen, Rituale und Umgangsformen (Schreyögg und Geiger 2016, S. 321 f.).

Die zweite Ebene der „Normen und Standards“ (Schein 2006, S. 27), bzw. die Ebene der „gewählten Überzeugungen und Werte“ (Schein und Schein 2018, S. 15), ist in Leitbildern und öffentlich dargestellten Zielen und Philosophien von Organisationen ablesbar. Zu dieser Ebene gehören auch alle Orientierungsmuster, ungeschriebenen Maximen und Verhaltensrichtlinien, die nicht formell geregelt sind (Schreyögg und Geiger 2016, S. 323 f.).

Sobald die Lösung eines Problems wiederholt funktioniert, wird diese eine Lösung zu der nicht mehr hinterfragten Realität und zu einer grundlegenden, unausgesprochenen Annahme einer Organisation. Diese dritte Ebene der Kultur bezeichnet Schein als unsichtbar, da sie den Mitgliedern einer Organisation nicht bewusst zugänglich ist und für selbstverständlich angesehen wird (Schein 2010, S. 31 f.; Schein und Schein 2018, S. 14 f.).

Um das Konzept der Organisationskultur detailliert zu erfassen, wurden von Schreyögg und Geiger (2016) folgende Kernmerkmale zusammengefasst, die in den meisten Konzeptionen zur Organisationskultur anerkannt sind:

  1. 1.

    Organisationskultur zeichnet sich durch ihren impliziten Charakter aus, d. h. die Kultur bestimmt das Handeln durch gemeinsame Überzeugungen, die als selbstverständlich und vertraute Arbeitspraxis erlebt werden. Die (Selbst-)Reflexion dieser Annahmen stellt eine Ausnahme dar. Bei der Organisationskultur handelt es sich um ein kollektives Phänomen, das bis zu einem gewissen Grad durch einheitliches und kohärentes Handeln geprägt ist.

  2. 2.

    Organisationskultur schafft für die Mitglieder der Organisation Sinn und Orientierung, indem sie Ereignisse und komplexe Umwelteinflüsse durch vorgegebene Selektions- und Interpretationsmuster rahmt und die Reaktionen durch „Handlungsprogramme“ vorstrukturiert (Schreyögg und Geiger 2016, S. 319 f.).

  3. 3.

    Organisationskultur beeinflusst nicht nur das Denken, sondern gleichermaßen die Emotionen auf eine ganzheitliche Art und Weise (Trice und Beyer 1993, S. 6 zit. n. Schreyögg und Geiger 2016, S. 320).

  4. 4.

    Organisationskultur ist das Ergebnis eines geschichtlichen Lernprozesses bei der Problemlösung externer Probleme und interner Koordination. Bewährte Lösungen werden als richtig und gut anerkannt und wirken auf die Strukturen und neuen Lernprozesse zurück. Die Lernbereitschaft ist dabei abhängig von der Kulturausprägung. Sie kann deshalb als dynamisches Gebilde verstanden werden, da solche Lernprozesse nie abgeschlossen sind.

  5. 5.

    Organisationskultur wird überwiegend unbewusst und interaktiv in einem Sozialisationsprozess erlernt und über Praktiken, Symbole und Artefakte vermittelt, z. B. Kleidung oder Sprachstil (Schreyögg und Geiger 2016, S. 320).

Charakteristisch für die organisationskulturelle Perspektive ist, dass sich aus dem Zusammenspiel historischer Ereignisse und der Individuen, die in diese Prozesse eingebunden sind, unverwechselbare Denk- und Orientierungsmuster bilden, die einen nachhaltigen Einfluss auf das Verhalten aller Organisationsmitglieder und deren organisatorische Funktionsbereiche nehmen (Schreyögg und Geiger 2016, S. 318). Alle Ereignisse, die aus der Umwelt in die Organisation eingehen oder innerhalb der Einrichtung vonstattengehen, werden von den Organisationsmitgliedern mittels kollektiver (Kultur-)Muster interpretiert und schaffen so eine Handlungsgrundlage (Sproull 1981, S. 207 f., zit. n. Schreyögg und Geiger 2016, S. 318). Organisationskultur geht demnach von einer gemeinsamen Erfahrungswelt aus, in der eine Vielzahl kollektiver Deutungsmuster geteilt werden (Donnellon et al. 1986 zit. n. Schreyögg und Geiger 2016, S. 318). Diese Erkenntnis ist insbesondere im Bereich des unterstützten Wohnens und der Teilhabeermöglichung für Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung von Bedeutung, da diese von Mitarbeiter*innen unterstützt werden, welche wechselseitig voneinander abhängig in Teams agieren. Die gemeinsame Erfahrungswelt der Teams nimmt also einen entscheidenden Einfluss auf die Qualität und Konsistenz der Unterstützung, d. h. die Ermöglichung von individueller Teilhabe und Lebensqualität (Clement und Bigby 2010; Mansell und Beadle-Brown 2012; Mansell et al. 1987 zit. n. Humphreys 2018, S. 26).

Neben der formalen Organisationskultur, welche in Betriebsrichtlinien oder Stellenbeschreibungen ihren Ausdruck findet und welche durch das Führungspersonal anhand von Anforderungen und Beschränkungen festgelegt wird, besteht auch eine informelle Kultur. Diese bezieht sich auf die vom Team definierten Arbeitsweisen und Werte und zeigt sich in deren Motiven, Interaktionen und Beziehungen, die sie untereinander und zu den Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung pflegen (Felce et al. 2002; Hastings et al. 1995; Humphreys 2018, S. 33). Nach Emerson et al. (1994) nimmt die informelle Kultur einen stärkeren Einfluss auf das Verhalten der Mitarbeiter*innen, da die formalen organisationalen Anforderungen meist uneindeutig sind oder gar fehlen. Auch erhalten die Mitarbeiter*innen selten Rückmeldung zu ihrer Arbeit, weshalb sie sich untereinander Rückmeldung geben und kritisieren und so auf diese Weise ihr Handeln untereinander überprüfen (Emerson et al. 1994, S. 216; zit. n. Humphreys 2018, S. 33).

2.2 Adaptionen von generischen Konzepten und Messinstrumenten der Organisationskultur

Deal und Kennedy (1982) sowie Peters und Waterman (1984) haben als Erste auf den Zusammenhang von Organisationskultur und den Erfolg einer Organisation verwiesen (Schreyögg und Geiger 2016, S. 317; Herget und Strobl 2018, S. 13), wodurch sich das Konzept der Organisationskultur in der breiteren Organisationsliteratur durchsetzte (Ehrhart et al. 2014). Lange konzentrierte sich diese organisationskulturelle Forschung auf die Betriebswirtschaft, insbesondere auf die Organisations- und Managementforschung (Bigby und Beadle-Brown 2016, S. 317).

Dass Organisationskultur auch ein Bestandteil von institutionellen Dienstleistungen ist, wurde bereits Ende der 1970er Jahre erkannt. Die Forschung zu Wohneinrichtungen und Wohndiensten für Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung widmete sich dem Konzept der Organisationskultur empirisch vermehrt allerdings erst um die Jahrtausendwende (Gilletts und Stenfert-Kroeses 2003, S. 279). Eyman, Silverstein, McLean und Miller (1976) deckten in einem Vergleich der Entwicklung von Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung in gemeindebasierten Wohneinrichtungen und in größeren Institutionen auf, dass nicht die Umgebung oder Lage das Verhalten der Bewohner*innen beeinflusste, sondern eher sozialpsychologische Merkmale der Einrichtung. Zeitgleich identifizierten Butler und Bjaanes (1977) anhand ethnographischer Studien drei unterschiedliche Kulturtypen in gemeindebasierten Einrichtungen und Diensten: eine verwahrende (custodial), eine pflegende (maintaining) und eine fördernde (therapeutic) institutionalisierte Hilfe (Parmenter 2004, S. 25).

Sozialpsychologische Merkmale von sozialen Einrichtungen rückten erneut in den Fokus, als Erving Goffman im Rahmen seiner Forschung zur totalen Institution (1961, 1978, 2009) auf negative Arbeits- und Verhaltensweisen der unterstützenden Mitarbeiter*innen im Umgang mit Bewohner*innen verwies (Bigby et al. 2012b, S. 453). Im Zusammenhang mit Vorwürfen von Fehlverhalten und Missbrauchsfällen durch unterstützende Mitarbeiter*innen wurden Merkmale einer Kultur in den jeweiligen Einrichtungen identifiziert, die diese negativen Arbeits- und Verhaltensweisen fördern (Bigby et al. 2012b; Hutchinson und Stenfert-Kroese 2015; Cambridge 1999; Marsland et al. 2007).

King, Raynes und Tizard (1971)Footnote 3 entwickelten mit der Revised Child Management Scale sowie Pratt, Luszcz und Brown (1980) mit dem Group Home Management Interview Erhebungsinstrumente, welche den Fokus auf die Arbeits- und Verhaltensweisen der unterstützenden Mitarbeiter*innen legen und diese u. a. gemäß Goffmans Merkmalen einer totalen Institution einschätzen und bewerten. Die Arbeitspraxis der Mitarbeiter*innen als Teil der Organisationskultur und ihre Auswirkung auf die Lebensqualität der Bewohner*innen wurde in den folgenden Jahrzehnten für das unterstützte Wohnen für erwachsene Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung weiter untersucht (Emerson et al. 2000, S. 85; Emerson et al. 2001; Mansell et al. 2008; Bigby et al. 2012a; zit. n. Bigby und Beadle-Brown 2012, S. 453).

Erste standardisierte Messungen von Organisationskultur in Wohndiensten wurden um die Jahrtausendwende durchgeführt (Hastings et al. 1995; Hatton et al. 1997, 1999). Hatton et al. (1999) transferierten Konzepte der Organisationskultur auf soziale Wohndienste der Behindertenhilfe. Sie erfassten mithilfe des aus dem Personalmanagement stammenden Instruments Organizational Culture ProfileFootnote 4 (O’Reilly et al. 1991) neun Dimensionen von Organisationskulturen (Hatton et al. 1999, S. 209 f.):

  1. 1.

    Tolerant/Mitarbeiter*innen-orientiert (tolerant/staff-orientated)

  2. 2.

    Leistungsorientiert (achievement-orientated)

  3. 3.

    Experimentell-innovativ (innovative)

  4. 4.

    Sorgfältig-analytisch (analytical)

  5. 5.

    Beziehungsstärkend (social relationships)

  6. 6.

    Mitarbeiter*innen-wertschätzend (rewarding staff)

  7. 7.

    Sicherheit- und Stabilität-vermittelnd (stable work environment)

  8. 8.

    Anspruchsvoll (demanding)

  9. 9.

    Konfliktbewältigend (conflict management)

Die Studie „Investigating Organizational Culture: A Comparison of a „High“- and a „Low“-Performing Residential Unit for People with Intellectual Disabilities“ von Gillet und Stenfert-Kroese (2003) verwandte die quantitativen Instrumente Organizational Culture Inventory  (OCI) (Cooke und Lafferty 1987)Footnote 5 sowie COMPASS (Cragg und Look 1992)Footnote 6. Gillet & Stenfert-Kroese gelang es erstmals erfolgreich nachzuweisen, dass die Organisationskultur über die Qualität der Unterstützung (Arbeitspraxis der Mitarbeiter*innen) maßgeblich die Lebensqualität der Bewohner*innen beeinflusst (Gillett und Stenfert-Kroese 2003, S. 279–284; Stancliffe et al. 2004; Walsh et al. 2010, S. 137–141; Bigby und Beadle-Brown 2016, S. 317). Für eine spezifische Messung der Kultur, die durch die Interaktion zwischen den unterstützenden Mitarbeiter*innen und Bewohner*innen mit Beeinträchtigung entsteht, sind die verwandten Instrumente allerdings eher ungeeignet (Humphreys et al. 2019, S. 2–3).

Neben diesen quantitativen Studien wurde qualitativ weiter geforscht, um verschiedene Aspekte von Organisationskultur in Wohndiensten und den Zusammenhang mit der Lebensqualität der Bewohner*innen tiefer zu verstehen (Croft 1999; Dunn et al. 2010; Hawkins et al. 2011). Wegweisend sind die Studienergebnisse der australisch-englischen Forschergruppe um Christine Bigby und Julie Beadle-Brown (u. a. Bigby et al. 2012b), die im Folgenden ausführlicher dargestellt werden.

3 Die Group Home Culture Scale – ein Messinstrument für die Organisationskultur in Wohndiensten für Erwachsene mit intellektueller Beeinträchtigung

Bigby und Beadle-Brown nutzten überwiegend ethnografische Methoden, um verschiedene Dimensionen von Organisationskultur in Wohndiensten der Behindertenhilfe empirisch aufzudecken und zu beschreiben (Bigby et al. 2012b, 2015; Bigby und Beadle-Brown 2016).

Basierend auf dem Organisationskultur-Modell von Schein (2010) und der Untersuchung der Mitarbeiterteams von Wohngruppen, die als eher leistungsschwach durch Expert*innen eingestuft worden waren, identifizierten sie fünf Kulturdimensionen (Bigby et al. 2012b, S. 456 f.). In zwei weiterführenden Studien wurden qualitative Beobachtungen in Bezug auf diese fünf Dimensionen in Mitarbeiterteams zusammengetragen, die als leistungsstärker eingestuft worden waren (Bigby et al. 2015; Bigby und Beadle-Brown 2016). Die fünf Dimensionen wurden dann als Kontinuen konstruiert, auf dem sich leistungsschwächere und leistungsstärkere Mitarbeiterteams von Wohngruppen abbilden ließen (s. Abb. 8.1; Humphreys et al. 2019, S. 2).

Abb. 8.1
figure 1

Fünf Dimensionen der Organisationskultur in Wohndiensten nach Bigby et al. (2012), Bigby und Beadle-Brown (2016). (Behrendt und Hagedorn 2020, S. 43; eigene Darstellung)

Die Ergebnisse der ethnographischen Studien von Bigby et al. (2012b, 2015) sowie Bigby und Beadle-Brown (2016) hat Lincoln Humphreys (2018) dazu genutzt, die Group Home Culture Scale (GHCS) zu entwickeln, ein spezifisches quantitatives Messinstrument für die Organisationskultur in sogenannten Group Homes für Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung. In einem australischen Group Home leben gemeindebasiert 3 bis 6 Menschen mit teilweise komplexen intellektuellen Beeinträchtigungen zusammen, die 24h am Tag durch ein Team von Mitarbeiter*innen in ihrer Lebensführung unterstützt werden (Humphreys 2018). Das Messinstrument soll die Organisationskultur der Mitarbeiterteams dieser Group Homes auf einer mehrdimensionalen Skala erfassen und bewertbar machen (Humphreys 2018, S. 50).

Bei der Entwicklung der Items orientierte sich Humphreys inhaltlich und konzeptionell sowohl an den von Bigby et al. (2012b, 2015) sowie Bigby und Beadle-Brown (2016) formulierten fünf Kulturdimensionen als auch am „Referent-Shift-Consensus“-ModellFootnote 7 (Humphreys 2018, S. 52; Humphreys et al. 2019, S. 3). Alle Items wurden so formuliert, dass sie das Kontinuum vom positiven bis zum negativen Ende der jeweiligen Dimension umfassen (s. Abb. 8.1) und die Richtlinien der Itementwicklung, z. B. „einfache Sprache“, erfüllen (Humphreys et al. 2019, S. 3). Durch mehrere explorative Faktorenanalysen wurden abschließend 48 Items auf sieben Faktoren identifiziert, die jeweils bestimmte Anteile der ursprünglichen fünf Dimensionen der Organisationskultur hinreichend abbilden und präzisieren (Humphreys 2018, S. 60–62; Humphreys et al. 2019, S. 5).

Diese sieben Faktoren (s. Abb. 8.2) beinhalten Items, welche das Ausmaß erfassen, in dem

  • Mitarbeiter*innen das Wohlbefinden der Bewohner*innen unterstützen (Faktor 1),

  • das Team der Mitarbeiter*innen zusammenarbeitet (Faktor 2),

  • die Teamleitung das Mitarbeiterteam effektiv anleitet (Faktor 3),

  • die leitenden Führungsebenen mit den Mitarbeiter*innen kooperieren (Faktor 4),

  • sich die Mitarbeiter*innen von den Bewohner*innen abgrenzen (Faktor 5),

  • die Mitarbeiter*innen eine wertschätzende Beziehung zu den Bewohner*innen pflegen (Faktor 6),

  • die Werte der Mitarbeiter*innen mit den Werten und Leitlinien des Wohndienstes/der Einrichtung übereinstimmen (Faktor 7).

Abb. 8.2
figure 2

7 Faktoren der Organisationskultur nach Humphreys (2018). (Behrendt und Hagedorn 2020, S. 52; eigene Darstellung)

Alle sieben Faktoren mit den dazugehörigen Items erfassen, inwieweit die Arbeitspraxis sowie Werte und Haltungen der Mitarbeiter*innen (Organisations-/Teamkultur) auf die Verbesserung der Lebensqualität eines/einer jeden Bewohner*in ausgerichtet sind. Die Organisationskultur von Teams wird in der GHCS durch die Aggregierung (Mittelung, Streubreite) der Wahrnehmung der einzelnen Teammitglieder erfasst (Humphreys 2018, 6–7, 64). Die Erhebung erfolgt anhand zweier konstruierter Fragebögen zur Selbsteinschätzung. Der erste Fragebogen wird von direkt unterstützenden Mitarbeiter*innen des Teams, der zweite von der Teamleitung ausgefüllt (Humphreys 2018, S. 50–52, S. 59–60). Nach einer Anleitung zum Umgang mit dem Fragebogen und der Definition verwendeter Begriffe bewerten die Teilnehmer*innen auf einer 5-stufige Likert-Skala verschiedene Alltagssituationen sowie Arbeits- und Verhaltensweisen, die in der Wohngruppe bzw. Wohngemeinschaft üblich sind (s. Abb. 8.3). Dazu müssen 48 Items beantwortet werden. Die zwei Fragebögen der GHCS unterscheiden sich nur darin, dass bei neun Items im ersten Fragebogen die unterstützenden Mitarbeiter*innen die Führungsqualität bewerten sollen, während im zweiten Fragebogen die Teamleitung gebeten wird, ihre eigene Führungsqualität einzuschätzen. Abschließend werden von jeder/jedem Teilnehmer*in demographische und beschäftigungsrelevante Informationen in einem Personalbogen erfragt (Humphreys 2018, S. 50–52, S. 59–60).

Abb. 8.3
figure 3

Ausschnitt der deutschsprachigen TKSW - Version Teamleitung – Teil 1. Unterstützung der Bewohner*innen. (Behrendt und Hagedorn 2020; eigene Darstellung)

Für die Auswertung der Fragebögen wird der Mittelwert eines Items aus der Beantwortung der teilnehmenden Mitglieder eines Mitarbeiterteams (inklusive Teamleitung) ermittelt. Der Mittelwert für jede Dimension (Faktor) wird aus den dazugehörigen Item-Mittelwerten gebildet. Abschließend können für jedes Team ein Profil der Faktorenwerte und ein Gesamtmittelwert angegeben werden. Auch Streuungsmaße innerhalb des Teams können von Interesse sein, weil sie Wahrnehmungsunterschiede signalisieren.

4 Von der Group Home Culture Scale zur Teamkultur-Skala für Wohndienste: Entwicklung der deutschsprachigen Version

Im deutschsprachigen Raum gab es u. W. bislang kein Messinstrument zur Erfassung der Organisationskultur in Wohndiensten für Menschen mit intellektuellen Beeinträchtigungen. Deshalb wurde die australische Group Home Culture Scale (GHCS) 2018–2019 von Anna-Maria Behrendt, Claudia Hagedorn und Sandra Knoblich, unter Leitung und unterstützt von Friedrich Dieckmann und Antonia Thimm, übersetzt und auf ihre Anwendbarkeit in deutschsprachigen Wohndiensten getestet. In ihrer Masterthesis haben Behrendt und Hagedorn (2020) die GHCS im Austausch mit den Entwicklern Lincoln Humphreys und Christine Bigby vom Disability Research Center der LaTrobe University Melbourne angepasst und weiter untersucht. Die Studien verfolgten das Ziel, eine einsatzfähige deutschsprachige Version der GHCS zu entwickeln, die Teamkultur-Skala für Wohndienste (TKS-W; hierzu Behrendt und Hagedorn 2020; Dieckmann et al. 2019).

Nach einer Analyse der theoretischen und konzeptionellen Grundlagen entstand eine erste übersetzte Version der GHCS. Diese Übersetzung erfolgte iterativ in zwei Zyklen und beinhaltete neben der rein sprachlichen Übersetzung auch die Anpassung von Item-Formulierungen an kulturelle Ausdrucksformen, die Überarbeitung von Formulierungen, die im Deutschen einen zu großen Interpretationsspielraum zulassen und das Hinzufügen eines zusätzlichen Kontroll-Items.

In der quantitativen Erhebung wurde das übersetzte Instrument mit seinen beiden Fragebögen (der für unterstützende Mitarbeiter*innen und der für die Teamleitung) in 14 Mitarbeiterteams in 8 Wohneinrichtungen (mit 1, 2 oder 3 Wohngruppen) von 5 unterschiedlichen Trägern in Städten und kleineren Gemeinden in Nordrhein-Westfalen empirisch getestet. 100 von potenziell 143 Personen füllten den Fragebogen aus (Rücklaufquote: 70 %). (Behrendt und Hagedorn 2020, S. 57)

Die statistische Auswertung umfasste die Analysen von insgesamt 49 Items (Trennschärfekoeffizient, Schwierigkeitsindex), die Berechnung der Reliabilitätskoeffizienten (innere Konsistenz) für jeden Faktor der TKS-W sowie die Ermittlung der Kennwerte der Organisationskultur für jedes Mitarbeiterteam. Die Ergebnisse für die Trennschärfe und Schwierigkeitsindices der Items sind mehr als zufriedenstellend. Bei 42 von 49 Items liegt der Schwierigkeitsindex zwischen 1,8 bis 4,2. Die Trennschärfe-Koeffizienten von 46 Items sind hinreichend. Die Reliabilitätskoeffizienten (Cronbachs Alpha) liegen bei sechs von sieben Faktoren mit Werten zwischen 0,75 bis 0,88 in einem zufriedenstellenden bzw. guten Bereich. Nur der Reliabilitätskoeffizient des Faktor 5 „Soziale Distanz zu den Bewohner*innen“ ist mit einem Cronbachs Alpha-Wert von 0,62 als grenzwertig einzustufen (s. Abb. 8.4).

Abb. 8.4
figure 4

Reliabilitätskoeffizienten der 7 Faktoren (Behrendt und Hagedorn 2020, S. 61; eigene Darstellung)

Um das Verständnis der Items bei den Teilnehmer*innen und die begleitenden Emotionen und Kognitionen zu erheben, wurden 8 leitfadengestützte Einzelinterviews und 2 Gruppeninterviews mit den Mitarbeiter*innen bzw. Teamleitungen der Wohngruppenteams verschiedener Träger geführt, deren Ergebnisse bei der letzten Überarbeitung der deutschen Version berücksichtigt wurden. Die kritischen Anregungen der Interviewteilnehmer*innen wurden im Hinblick auf Modifikationsbedarfe zusammengetragen. Zudem zeigten die Interviews, welche Chancen und Befürchtungen mit dem Einsatz des Instrumentes in Organisationen der Behindertenhilfe verbunden sind. 11 der 49 Items wurden im engen Austausch mit den australischen Entwicklern sprachlich überarbeitet. Zum Beispiel wurde „we celebrate, when“ (Item 22) nicht mehr mit „wir feiern es, wenn“, sondern mit „wir freuen uns, wenn“ übersetzt. Es wurden Formulierungen gewählt, die den Inhalt und die Intention der Items genau wiedergeben. Zudem wurden die im deutschsprachigen Raum üblichen Begriffe für Leitungskräfte von Teams, Wohnsettings und Mitarbeiter*innen usw. noch einmal überprüft und ggf. korrigiert oder erläutert. Abschließend wurde der Anwendungsbereich des Instrumentes definiert. (Behrendt und Hagedorn 2020).

Mit der TKS-W, der deutschsprachigen Version der GHCS, steht erstmals ein empirisch getestetes Instrument zur Verfügung, mit dessen Hilfe die Teamkultur in deutschsprachigen Wohndiensten für Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung zuverlässig erhoben, das Zusammenspiel zwischen Organisationskultur und individueller Teilhabe aufgehellt und Organisationsentwicklung betrieben werden kann.

5 Zusammenhänge zwischen strukturellen Merkmalen von Wohndiensten bzw. Wohngruppen und Dimensionen der Teamkultur

Ziel weiterer explorativ-quantitativer Datenanalysen war es, herauszufinden, ob und inwieweit Merkmale von Wohndiensten und Wohngruppen mit „starken“ bzw. „schwachen“ Ausprägungen der Teamkultur zusammenhängen.

Vorgehen

Zusätzlich zu den bereits erhobenen Daten wurden mittels eines Fragebogens zur Wohngruppenstruktur, der sich an Leitungskräfte richtet, Informationen zu den Mitarbeiterteams und den zugehörigen Wohngruppen erhoben. Diese Informationen umfassten Merkmale der Mitarbeiterteams, Merkmale der einzelnen Teammitglieder und Merkmale der zu unterstützenden Bewohner*innen.

Insgesamt wurden aus diesen Merkmalen 10 Kontextvariablen gebildet: Teamgröße (Anzahl der Mitglieder), Durchschnittsalter des Teams, Qualifikationsniveau der Mitarbeiter*innen, Anstellungsdauer der Mitarbeiter*innen, wöchentliche Arbeitszeit, Unterstützungsbedarf der Bewohner*innen in den Bereichen Kommunikation, Verkehrssicherheit, Mobilität; Teilnahme der Mitarbeiter*innen an Teamsitzungen (Häufigkeit) und Kommunikation unter den Mitarbeiter*innen (Häufigkeit des Kontaktes während der Arbeit) (Behrendt und Hagedorn 2020, S. 117 ff., 127 f.). Für jede Kontextvariable eines jeden Teams wurde ein Durchschnittswert berechnet. Die teamspezifischen Durchschnittswerte dieser 10 Kontextvariablen wurden mit den 7 Faktor-Werten der Organisationskultur sowie dem Gesamtkulturwert der TKS-W korreliert. In Abb. 8.5 ist exemplarisch der Zusammenhang (Korrelationskoeffizient nach Bravais-Pearson (r); n = 14 Mitarbeiterteams) zwischen den 10 Kontextvariablen und dem von den Teams wahrgenommenen Grad der Unterstützung des Wohlbefindens (Faktor 1) dargestellt (Behrendt und Hagedorn 2020, S. 131 f.).

Abb. 8.5
figure 5

Zusammenhang zwischen Kontextvariablen und Faktor 1 Unterstützung des Wohlbefindens – Korrelationskoeffizienten nach Bravais-Pearson (Behrendt und Hagedorn 2020, S. 131; eigene Darstellung)

Ergebnisse

Aufgrund der kleinen Stichprobe (14 Mitarbeiterteams) hat die Studie einen explorativen, Hypothesen generierenden Charakter. Berichtet werden Korrelationen, die größer +0,4 oder kleiner −0,4 sind, auch wenn sie nicht signifikant sind, was angesichts der kleinen Stichprobe nicht verwundert.

Die Teamgröße korreliert moderat bis stark negativ mit fünf der Dimensionen der TKS-W mit Ausnahme der (wahrgenommenen) „sozialen Distanz zu den Bewohner*innen“ (Faktor 5) und der „Wertschätzung der Bewohner*innen und Beziehungen zu diesen“ (Faktor 6). Größere Teams scheinen demnach eine positive Teamkultur deutlich zu erschweren (s. Abb. 8.6).

Abb. 8.6
figure 6

Zusammenhang zwischen Kontextvariable Teamgröße und den 7 Faktoren der TKS-W (Bravais-Pearson Korrelationen; siehe Behrendt und Hagedorn 2020, S. 159 ff; eigene Darstellung)

Ein höherer Anteil von Bewohner*innen mit komplexem Unterstützungsbedarf scheint dagegen die Zusammenarbeit im Team und in der Organisation deutlich zu verbessern, da beispielsweise verlässliche Absprachen notwendig sind (Korrelation zwischen Faktor 4 (Zusammenarbeit innerhalb der Einrichtung) und Unterstützungsbedarf im Bereich Kommunikation r = 0,43, p = ,126 bzw. Unterstützungsbedarf im Bereich Mobilität r = 0,52, p = ,056). Andererseits erhöht ein höherer Anteil von Bewohner*innen mit geringeren Anpassungsfähigkeiten die von den Teammitgliedern wahrgenommene soziale Distanz zu ihnen (Korrelation zwischen Faktor 5 (Soziale Distanz zu den Bewohner*innen) und Unterstützungsbedarf im Bereich Verkehr r = −0,77, p = ,001 bzw. Unterstützungsbedarf im Bereich Kommunikation r = −0,67, p = ,009) und verringert die Ausrichtung der Arbeitspraxis auf die Verbesserung des Wohlbefindens der einzelnen Bewohner*innen (Korrelation zwischen Faktor 1 (Unterstützung des Wohlbefindens) und Unterstützungsbedarf im Bereich Verkehr r = -0,57, p = ,033 bzw. Unterstützungsbedarf im Bereich Kommunikation r = −0,59, p = ,028). Eine höhere Qualifikation der Mitarbeiter*innen ist wiederum mit besseren Ergebnissen in Bezug auf die individuelle, personenorientierte Ausrichtung der Unterstützung (Faktor 1 -Unterstützung des Wohlbefindens) (r = 0,46, p = ,115) und einer geringeren Wahrnehmung von Distanz gegenüber den Bewohner*innen (Faktor 5 – Soziale Distanz zu den Bewohner*innen) (r = 0,45, p = ,126) verbunden (Behrendt und Hagedorn 2020, S. 162 f.).

Aufgrund der kleinen Stichprobe und einer interpretativen Herleitung von Kausalzusammenhängen haben die Ergebnisse einen explorativen Charakter, der die Forschung zur Theoriebildung und Hypothesenprüfung anregen und zukünftig in weiterführenden Studien Orientierung bieten kannFootnote 8.

6 Anwendungsmöglichkeiten der deutschsprachigen TKS-W

Die GHCS wurde für australische Group Homes konzipiert, in denen zwischen 3 und 6 Erwachsene mit (oft komplexer) intellektueller Beeinträchtigung gemeindebasiert leben und 24h am Tag durch ein Team von Mitarbeiter*innen in ihrer Lebensführung unterstützt werden (Humphreys 2018). Die Group Homes ähneln den sogenannten Außenwohngruppen in Deutschland (Thimm et al. 2018, S. 23), wobei hier häufig keine 24h-Begleitung gegeben ist. Eine 24h-Begleitung muss für den Einsatz der TKS-W in Deutschland jedoch nicht zwingend gegeben sein, es reicht der tägliche Kontakt von Bewohner*innen durch ein Mitarbeiterteam. Auch in ambulant unterstützten Wohnsettings wie Wohngemeinschaften kann u. E. die TKS-W eingesetzt werden, unabhängig davon, dass dort die Bewohner*innen als Mieter*innen Assistenzdienste unabhängig von den Vermieter*innen auswählen können. Zudem kann und sollte das Instrument in gemeindebasierten, häufig gruppengegliederten Wohneinrichtungen der Eingliederungshilfe Anwendung finden, in denen mehrere Mitarbeiterteams wohngruppenbezogen tätig sind. 

Neben der Erhebung der Teamkultur kann die TKS-W auch im Bereich des organisationalen Lernens eingesetzt und als Austausch- und Kommunikationsmöglichkeit genutzt werden. Mit deren Hilfe lassen sich tieferliegende (Basis-)Annahmen und immanente Ambivalenzen im Rahmen institutionalisierter Abstimmungsprozesse von Mitarbeiterteams (zum Beispiel in Teamsitzungen oder bei Supervisionen) reflektieren und neu aushandeln. In Bezug auf die Generierung von neuem Handlungswissen kann die TKS-W bei der Evaluation interner Teamprozesse ihre Dienste leisten. Mit der deutschsprachigen TKS-W steht ein verlässliches Instrument zur Verfügung, mit dessen Hilfe sowohl das Zusammenspiel von Organisationskultur und individueller Teilhabe aufgeklärt als auch Organisationsentwicklung forciert werden kann (Behrendt und Hagedorn 2020,S. 177 f.).

7 Teamkultur in deutschen Wohndiensten – Fazit

Die Organisationskultur in Wohndiensten für Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung ist stärker in den Fokus der Forschung gerückt. Es mangelt bislang an Forschung zum Einfluss der Organisationskultur auf die Lebensqualität der Bewohner*innen vor Ort (Bigby und Beadle-Brown 2018, S. 182–189). Organisationskultur legt den Fokus auf die Art und Weise, wie Organisationen geführt und gesteuert, wie Ressourcen genutzt und Arbeitspraxen von den Mitarbeiter*innen ausgestaltet und überprüft werden. Die Organisationskultur in unterstützenden Wohndiensten stellt eine vermittelnde Variable für die Lebensqualität von Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung dar und wurde als ein wesentlicher beeinflussbarer Faktor erkannt (Emerson und Hatton 1996; Stancliffe et al. 2004; Bigby und Beadle-Brown 2018). Die Untersuchungen von Christine Bigby, Julie Beadle-Brown und Mitarbeiter*innen haben gezeigt, dass der Zugang über die Organisationskultur zu einem besseren Verständnis der Arbeitspraxen von Mitarbeiter*innen, der Dynamik in den Teams und der Wahrnehmung der eigenen beruflichen Rolle und Aufgaben führen kann.

Wenn Organisationen und Teams sich mit unausgesprochenen Annahmen und Regeln auseinandersetzen, lassen sich unbewusste und für selbstverständlich erfahrene Überzeugungen, Gefühle und Wahrnehmungen aufdecken. Diese schlagen sich u. a.  in der Art und Weise nieder, wie Mitarbeiter*innen ihre Unterstützungsleistungen erbringen. Wenig sichtbare Barrieren, die eine aktive Unterstützung von Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung bei sinnvollen Aktivitäten und Beziehungen behindern, lassen sich mithilfe der für das unterstützte Wohnen entwickelten 7 Dimensionen der Teamkultur zielgerichtet erfassen und machen das professionelle Handeln damit ein Stück weit überprüfbar. Zudem könnte das Erfassen der verschiedenen Kulturdimensionen helfen, Unterschiede in der Lebensqualität der Bewohner*innen zu erklären (Gillett und Stenfert-Kroese 2003, S. 282).

Mit der Teamkultur-Skala für Wohndienste (TKS-W), der deutschsprachigen Version der GHCS, steht ein empirisch getestetes Instrument zur Verfügung, mit dessen Hilfe die Teamkultur in Wohndiensten für Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung erhoben werden kann. Die TKS-W kann von Organisationen genutzt werden, um Entscheidungen über Interventionen zur Veränderung oder zum Erhalt bestehender Kulturen in Mitarbeiterteams zu treffen. Die Erfassung einer Teamkultur gibt Hinweise darauf, wie die Unterstützung der individuellen Lebensführung teilhabeförderlicher gestaltet werden kann.

Generell erweitert die Forschung zur Organisations- und Teamkultur das Wissen darüber, wie Wohndienste die Lebensqualität von Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung verbessern können (Humphreys 2018, S. 136–137).

Die TKS-W ermöglicht es, im deutschsprachigen Raum gewonnene Forschungsergebnisse international zu vergleichen, einzuordnen und „anschlussfähig“ zu diskutieren.