Zusammenfassung
Soziale Arbeit ist als Arbeit mit den „Anderen“ und ihrem Auftrag der Normalisierungsarbeit an der Konstruktion und Reproduktion von Differenz zentral beteiligt. Will Soziale Arbeit ihrem Auftrag der Teilhabeermöglichung nachkommen, so muss Soziale Arbeit ihren Umgang mit Differenz und ihren Beitrag an der Reproduktion von gesellschaftlichen Differenzkategorien wie arm- reich, gesund-krank, cis-/trans*-geschlechtlich, alt-jung, be- und enthindert usw. kritisch hinterfragen. Queertheoretische, poststrukturalistische und postkoloniale Ansätze stellen theoretisch weiterführende Perspektiven für die kritische Analyse der gesellschaftlichen Konstruktion und Fortschreibung von Differenz-Kategorien sowie die durch sie produzierten und aufrecht erhaltenen Macht- und Unterdrückungsverhältnisse dar.
Vor dem Hintergrund verschiedener empirischer Forschungsprojekte zu Professionalität im Kontext geschlechtlicher und sexueller Vielfalt sowie hieraus entstandener theoretischer Überlegungen und Weiterentwicklungen geht der Beitrag der Frage nach, welchen Erkenntnisbeitrag queertheoretische Ansätze zur einer Neujustierung Sozialer Arbeit und für die Ausformulierung eines differenzsensiblen, heteronormativitätskritischen Konzepts von Professionalität Sozialer Arbeit leisten können.
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Notes
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Im Folgenden werde ich zum einen den Selbstbezeichnungen und Repräsentationspolitiken Rechnung tragen und die Selbstbezeichnungen lesbisch, schwul, bisexuell, pansexuell, trans* und inter*, nicht-binär sowie die Abkürzung LSBTIQ* verwenden. Zum anderen geht es darum, Vielfalt von der Vielfalt her zu denken (Hartmann 2014). Daher spreche ich von sexueller und geschlechtlicher Vielfalt, wenn es darum geht, heteronormative Sichtweisen aufzubrechen und alle Formen sexueller Orientierung (heterosexuell, lesbisch, bisexuell, schwul, pansexuell, asexuell, aromantisch etc.) und geschlechtlicher Positionierungen (Cis, Trans*, inter*, nicht binär etc.) zu benennen. Zu einzelnen Abweichungen kann es hierbei sowohl durch die Zitation anderer Quellen als auch die verwendeten Bezeichnungen der interviewten Fachkräfte kommen.
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Die d und Vielfalt (APAV) des Hessischen Ministeriums für Soziales und Integration geförderte Studie wurde von Davina Höblich und Steffen Baer im Zeitraum Juni 2020 – Mai 2022 durchgeführt. Die Abschlusspublikation ist abrufbar unter: DOI https://doi.org/10.54906/221.
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Näheres zum Design und Vorgehen der Studie siehe Höblich und Baer (2022, S. 28 ff.).
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Höblich, D. (2023). Professionalität aus queertheoretischer Perspektive. In: Professionalität Sozialer Arbeit an der Hochschule RheinMain, F. (eds) Zur Neujustierung von Professionalität Sozialer Arbeit zwischen Adressat*innen, Institutionen und Gesellschaft. Edition Professions- und Professionalisierungsforschung, vol 15. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-40187-0_7
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