Menschen mit Demenz in professionellen Sorgebeziehungen langzeitstationärer, akutstationärer oder ambulanter Form erleben in vielen Fällen regelmäßig die Anwendung von wohltätigen Zwangsmaßnahmen und darunter vor allem FeM. Wenn auch die empirische Studienlage im Einzelnen erhebliche Schwankungen von Prävalenzzahlen und anderen qualitativen und quantitativen Daten ergeben hat, so ist unzweifelhaft festzustellen, dass FeM, wie z. B. aufgestellte Bettgitter, Sitzhosen, Fixiergurte oder die Verabreichung von Psychopharmaka zum Zweck der Ruhigstellung, (noch) weitgehend zum pflegerischen Alltag sowohl in Deutschland als auch darüber hinaus zählen. Oftmals werden sie als gewohntes und vermeintlich bewährtes Mittel der Wahl in Betracht gezogen, wenn es darum geht, einem Sturzrisiko, auffordernden Verhaltensweisen oder einer Selbstschädigung der betroffenen Menschen zu begegnen bzw. vorzubeugen. Dass es sich dabei um Zwangsmaßnahmen handelt, die durch ihre Verhinderung der freien Körperbewegung oder des Zugriffs auf den eigenen Körper einen massiven Eingriff in die Freiheit und psychophysische Integrität der Person darstellen können, kann dabei aufgrund der fürsorglichen Intention der handelnden Akteure – seien diese professionell Pflegende, An- und Zugehörige oder rechtliche Betreuer bzw. Bevollmächtigte – schnell aus dem Blick geraten. Im Gang durch die kritische Darstellung und ethisch-fachliche Reflexion, die in dieser Untersuchung unternommen wurde, konnte vor allem aufgezeigt werden, dass FeM tatsächlich ein hochkomplexes Phänomen darstellen, das nicht zuletzt eine große Bandbreite pflegefachlicher und ethischer Fragen aufwirft und schließlich zentrale Vorstellungen und Verständnisse von Personalität, Würde, (Für-)Sorge, Freiheit, Autonomie, Verletzlichkeit, Leiblichkeit – kurzum: von dem, worin Menschsein besteht – berührt. Um aufzuzeigen, wie man Menschen mit Demenz im Rahmen professioneller Sorgebeziehungen auch und gerade in (hoch)komplexen Pflegesituationen, die die Anwendung einer FeM zu erfordern scheinen, gerecht werden kann, bedarf es einer vertieften Auseinandersetzung mit diesen Fragen und Konzeptionen. Die vorliegende Untersuchung sollte im Wesentlichen einen Beitrag zu dieser Auseinandersetzung darstellen. Nachfolgend seien streiflichtartig die wichtigsten Gedankengänge und Argumente zusammengefasst, die zu diesem Zweck entwickelt und nachgezeichnet wurden.

Die Thematik der Anwendung von FeM bei Menschen mit Demenz in professionellen Sorgebeziehungen wurde in der vorliegenden Arbeit mithilfe einer Darstellung des Seins in Kapitel 2 und einer Reflexion des Sollens in Kapitel 3 und 4 entfaltet, ohne dass dabei gesagt wäre, dass hier allzu klare Trennlinien verlaufen: Sollensansprüche lassen sich nur sinnvoll mit Blick auf Seinsverhältnisse formulieren bzw. anwenden und umgekehrt lassen sich Seinsverhältnisse auch nur vor dem Hintergrund von Sollensidealen kritisieren bzw. korrigieren.

Dabei ist die Erfassung des Seinszustandes in der vorliegenden Thematik – wie sich in der Darstellung der empirischen Forschungsergebnisse gezeigt hat – nicht minder kompliziert als die Darlegung des Sollens. Schon die Frage der Prävalenz von FeM in den betrachteten Versorgungssettings ist nicht eindeutig zu beantworten: So gibt es zunächst große Schwankungen von Einrichtung zu Einrichtung, die u. a. auch bemerkenswerte Fälle erkennen lassen, in denen eine Pflege- und Versorgungskultur etabliert ist, die weitgehend auf FeM zu verzichten weiß. Darüber hinaus unterscheiden sich die Einschlusskriterien und Methodologien vieler empirischer Studien so stark, dass eine Einschätzung der Datenlage bereits im nationalen (geschweige denn im internationalen) Vergleich deutlich erschwert ist. Auch zwischen den jeweiligen Settings zeichnen sich Schwankungen ab, die jedoch dadurch zusätzlich verkompliziert werden, dass manche besser erforscht zu sein scheinen als andere: Während die Anwendung von FeM besonders in Einrichtungen der stationären Langzeitpflege und zunehmend auch in Akutkrankenhäusern Gegenstand empirischer Forschung ist, ist die Studienlage im Bereich der ambulanten Pflege nicht vergleichbar fortgeschritten und kann als Forschungsdesiderat ausgewiesen werden – zumal Schätzungen besonders hier eine beträchtliche Dunkelziffer nicht erfasster FeM vermuten lassen. Ein ähnlicher Sachverhalt lässt sich in Bezug auf psychopharmakologische Interventionen konstatieren: Zwar ist hier weitgehend bekannt, in welchem Ausmaß Psychopharmaka in professionellen Sorgebeziehungen mit alten Menschen Anwendung finden, jedoch erlaubt die empirische Datenlage wenig Aufschluss darüber, inwiefern diese Medikamente dabei mit dem Primärziel der Ruhigstellung – und damit als intendierte FeM – angeordnet und verwendet werden. Diese Problematik dürfte vor allem darauf zurückzuführen sein, dass sich die Konzeptionen und Definitionen national wie international dahingehend unterscheiden, welche Interventionen genau jeweils als FeM zu werten sind. Insbesondere bei aufgestellten Bettgittern sowie zur Ruhigstellung verabreichten Medikamenten fällt auf, dass ihr freiheitseinschränkender Charakter nicht immer erkannt wird. Dieser Umstand erhellt unmittelbar, inwiefern eine klare Definition von FeM kein rein theoretisches Unterfangen bleibt, sondern direkte Konsequenzen für die Versorgungspraxis hat. Tatsächlich ist im Rahmen dieser Arbeit deutlich geworden, dass je nach Art und Weise der Verwendung und je nach Wirkung im Einzelfall eine ganze Bandbreite von verschiedenen etwa körpernahen, körperfernen, architektonisch-baulichen oder pharmakologischen Interventionen freiheitseinschränkend sein können: Es kommt also darauf an, ein genaues Verständnis von dem den verschiedenen Erscheinungsformen zugrundeliegenden Wesen von FeM zu gewinnen.

Mit dem Deutschen Ethikrat konnten FeM für die vorliegende Analyse zunächst als Maßnahmen des wohltätigen Zwangs charakterisiert werden, d. h. als Handlungen, bei denen der Wille einer Person zu deren eigenem Wohl überwunden wird. Ethisch ist eine solche Handlung damit als paternalistische zu fassen, insofern Paternalismus in einer fürsorglich intendierten Hinwegsetzung über die Selbstbestimmung einer Person besteht. Genauer ließen sich FeM daraufhin angelehnt an eine international konsentierte Definition als Maßnahmen bestimmen, die eine Person in einer solchen Art und Weise von der freien körperlichen Bewegung und/oder dem Zugriff auf den eigenen Körper abhalten, dass sie von derselben nicht kontrolliert oder mühelos entfernt werden können. Genauer beschrieben werden kann zusätzlich die Art und Weise, wie diese Verhinderung umgesetzt wird: FeM stellen eine spezielle Form von Gewalt dar, die den ganzen Menschen in dessen psychophysischer Leiblichkeit und sozialer Eingebundenheit betrifft. Gegenüber anderen Gewalthandlungen zeichnen sich FeM dabei besonders durch ihre meistens fürsorgliche Intention sowie durch den Umstand aus, dass sie als letztmögliches Mittel auch eine rechtlich legitimierte und richterlich genehmigte (Form von) Gewalt darstellen können, sofern sie zu der Aufrechterhaltung des Wohls einer Person Anwendung finden. Gewalt bleibt eine FeM jedoch auch dann, wenn dieser Eingriff in die Freiheitsrechte durch eine richterliche Genehmigung erlaubt wird. Damit ist zugleich der rechtliche Rahmen angesprochen, in dem sich die Praxis um FeM in professionellen Sorgebeziehungen settingübergreifend bewegt. Betrachtet man die Versorgungspraxis, so ist davon auszugehen, dass diese Maßnahmen besonders bei Menschen mit Demenz in den allermeisten Fällen auf eine längere Dauer oder auf Regelmäßigkeit – verstanden sowohl als zeitliche Regelmäßigkeit von Intervallen als auch als Regelmäßigkeit wiederkehrender Anlässe – ausgelegt sind und somit der richterlichen Genehmigungspflicht unterliegen. Es wird dadurch nicht zuletzt deutlich, dass viele der ethischen Ansprüche von Menschen mit Demenz, die in den vorangegangenen Kapiteln und Abschnitten der Arbeit entwickelt wurden, rechtlich bereits konkrete Form annehmen.

Dass die Praxis um die Anwendung von FeM einem solchen strengen rechtlichen Rahmen unterliegt, wird besonders mit Blick auf die Eingriffstiefe in die grundrechtlich geschützten Freiheitsrechte sowie auf die mit FeM assoziierten Folgen verständlich, die sich nicht nur auf die rein körperliche Ebene beschränken, sondern sich ebenfalls tiefgreifend auf die psychische Verfassung der Person sowie auf deren Möglichkeiten der Teilhabe im Sozialraum auswirken (können). FeM können je nach Erscheinungsform und Dauer der Anwendung z. B. mit Muskelatrophien, einer Verschlechterung der Steh- und Gehfähigkeit und einer erhöhten Sturzgefahr einhergehen sowie in psychischer und sozialer Hinsicht auch als eine Form der institutionellen Demütigung erfahren werden, da sie bei den Betroffenen ein Gefühl der Ohnmacht, der Hilflosigkeit sowie des Ausgeliefertseins auslösen können.

Ein Weg, diese negativen Konsequenzen in der ethischen Bewertung von FeM zu berücksichtigen, kann vor allem in einer Reflexion und Weitung des Wohlbegriffs bestehen, insofern sich dieser nicht ausschließlich auf die körperliche Gesundheit, sondern ebenso auf die psychische und soziale Dimension des Erlebens und Verhaltens eines Menschen erstrecken sollte. Die ethische Analyse des Wohlbegriffs brachte darüber hinaus zum Vorschein, dass sich das Wohl eines Menschen nicht von dessen Selbstbestimmung trennen lässt; vielmehr ist die – wenn auch je nach Krankheitsphase und -verlauf eingeschränkte – Autonomie von Menschen mit Demenz in den Wohlbegriff zu integrieren. Ein solchermaßen geweitetes Verständnis von Wohl kann nicht zuletzt die beteiligten Akteure dafür sensibilisieren, dass in der Pflege und Versorgung von Menschen mit Demenz eine ganzheitliche Sicht erforderlich ist, die weit über die restitutio ad integrum des Körpers hinaus eine restitutio ad integritatem des Menschen in seiner körperlichen, seelisch-geistigen und existenziellen Dimension anzielt.

Auf Grundlage der empirischen Datenlage kann festgehalten werden, dass der körperliche Schutz des Betroffenen in professionellen Sorgebeziehungen mitunter die häufigste Begründung von FeM darstellt. Dabei werden FeM vorwiegend zur Prävention von Sturzereignissen oder auch als Antwort auf herausfordernd wahrgenommene Verhaltensweisen eingesetzt, jedoch ist ihre Eignung zu diesen Zwecken in beiden Fällen grundsätzlich fragwürdig geworden. Nicht nur sind Menschen mit Demenz bereits aufgrund der mit der Erkrankung einhergehenden situativen Vulnerabilität, der häufigen Psychopharmakaverordnungen und dem Phänomen der Polypharmazie einem prinzipiellen Sturzrisiko ausgesetzt, es konnte auch gezeigt werden, dass FeM selbst einen Risikofaktor für Sturzereignisse darstellen. Vor diesem Hintergrund ist also die kritische Frage zu stellen, inwiefern dasjenige Mittel – sei es ein ruhigstellendes Psychopharmakon, sei es ein aufgestelltes Bettgitter –, das maßgeblich zu einem unerwünschten Ereignis wie einem Sturz beitragen bzw. dieses herbeiführen kann, zur Abwendung eines solchen Ereignisses geeignet sein kann.

Selbiges kann im Fall von auffordernden Verhaltensweisen gelten: Auch hier verdeutlicht die empirische Studienlage, dass besonders psychopharmakologische FeM auffordernde Verhaltensweisen nicht nur maßgeblich begünstigen, sondern auch – man denke an den aufgezeigten Teufelskreis im Rahmen des Delirmanagements – verstärken können. Damit soll in keiner Weise die Ansicht vertreten werden, dass psychopharmakologische Interventionen nicht maßgeblich dazu beitragen können, die Lebensqualität bspw. von Menschen mit Demenz und/oder Delir aufrecht zu erhalten bzw. zu erhöhen – ein Umstand, der im Rahmen dieser Arbeit nie aus dem Blick geraten ist. Im Kontext von FeM bei Menschen mit Demenz sind demgegenüber jedoch all jene Psychopharmakaverordnungen genauer zu hinterfragen, die z. B. aus strukturellen Gründen eine Ruhigstellung der Person anzielen und sich als unnötig bzw. nicht medizinisch indiziert (und daher vermeidbar) charakterisieren lassen. Insofern FeM sowohl als Maßnahme der Sturzprävention als auch als Antwort auf aufforderndes Verhalten jeweils zugleich die (Mit-)Ursache von und die Reaktion auf ein und dasselbe Problem darstellen, ist ihre Effektivität, das Wohl des Betroffenen in solchen Fällen zu erhalten bzw. zu sichern, prinzipiell in Frage zu stellen. Anders verhält es sich freilich mit FeM, die als ultima ratio darauf abzielen, den betroffenen Menschen vor einer akuten Lebensgefahr zu schützen, indem sie die Manipulation bzw. das Entfernen medizinischer Vorrichtungen (wie z. B. Sonden, venöser Zugänge oder Beatmungsgeräte) durch den Betroffenen verhindern. Auch hier ist jedoch darauf hinzuweisen, dass die Datenlage nicht eindeutig den Schluss zulässt, dass sich FeM in jedem Fall eignen, die jeweilige Gefahr für Leib und Leben abzuwenden.

Auf Grundlage dieses Stands der Forschung, der bezüglich der Anwendung von FeM bei Menschen mit Demenz ein facettenreiches Bild des Seinszustands zeichnet, erscheint es erstaunlich, dass solche Maßnahmen nach wie vor in diesem großen Ausmaß verbreitet sind. Aus den Analysen dieser Arbeit kann abgeleitet werden, dass über alle durchaus relevanten strukturellen und rechtlichen Faktoren hinaus vor allem die ethischen Überzeugungen und Haltungen professionell Pflegender und anderer Akteure ihren Umgang mit Menschen mit Demenz und mit FeM gestalten. Die ethischen Argumentationen, die ausgehend von dieser Erkenntnis entwickelt wurden, sind dabei nicht als Theoriebildung um der Theoriebildung willen misszuverstehen, sondern bleiben stets auf dieses Ziel bezogen, eine konkrete, gelebte Ethik professionell Sorgender zu sein.

Die prinzipielle Grundlage einer solchen Ethik besteht in der Anerkennung der Personalität des Menschen mit Demenz selbst, von dem her jede pflegerische Beziehung zu denken und zu begründen ist. In Abwehr reduktionistisch-zerebrozentrischer Menschenbilder und defizitorientierter Altersbilder, die in Kombination miteinander auch zu der impliziten oder expliziten Annahme führen können, dass Menschen mit Demenz nicht der moralische Status einer Person zukommt, konnte im Rahmen dieser Arbeit gezeigt werden, dass Menschen mit Demenz im vollen Sinn Personen sind – mit allen damit verbundenen ethischen Ansprüchen: Die mit einer Demenzerkrankung verbundenen kognitiven Einbußen sind auch im fortgeschrittenen Stadium nicht als Verlust der Personalität zu deuten, sondern als Entwicklung, in der die Person zunehmend gehindert wird, ihre prinzipiellen Potenziale zu aktualisieren. Dass diese Beeinträchtigung der Aktualisierung eigener Potenziale bei einem Menschen mit Demenz besteht, bemächtigt die Mitmenschen nicht dazu, mit ihm nach eigenem Belieben zu verfahren, sondern bedeutet umgekehrt einen umso höheren ethischen Anspruch auf Anerkennung sowie auf eine Sorge, die darauf ausgerichtet ist, diese Potenziale zu erkennen und nach Möglichkeit bei der Realisierung zu unterstützen.

Dieser Anspruch lässt sich besonders aus einer Analyse der Vulnerabilität von Menschen mit Demenz heraus begründen. Ein Menschenbild, das die prinzipielle Verletzlichkeit des Menschen als ontologisch-anthropologisches Datum der menschlichen Existenz annimmt, vermag dabei in der situativen Vulnerabilität eines Menschen mit Demenz eine Versichtbarung der conditio humana zu erkennen. Die situative Vulnerabilität eines Menschen mit Demenz, die in dessen kognitiven Einbußen und anderen damit einhergehenden Beeinträchtigungen besteht, ist also nicht dehumanisierend, sondern stellt vielmehr eine Manifestation der grundsätzlichen menschlichen Verfasstheit dar – ein Ergebnis, das weitreichende Implikationen für die Versorgungspraxis birgt. Dabei wurde wiederholt darauf hingewiesen, dass eine solche Sicht auf die menschliche Vulnerabilität nicht abermals zu ausschließlich defizitorientierten Perspektiven führen darf, sondern stets in Ergänzung durch die Potenzialperspektive zu denken ist.

Die Anerkennung der Vulnerabilität von Menschen mit Demenz schließt darüber hinaus die Erkenntnis ein, dass sich Menschsein nur in Beziehungen verwirklichen kann: Personsein impliziert immer schon In-Beziehung-Sein. Diese grundsätzliche Bezogenheit des Menschen auf den Anderen erfährt in Sorgebeziehungen eine deutliche Konkretion, da das Wesen pflegerischer Sorge – wie ein beziehungszentriertes Pflegeverständnis unterstreicht – im Kern Beziehungsgestaltung ist. Mit der Beziehungsdimension ist nicht nur das unmittelbare Verhältnis von Pflegeempfängern und Pflegenden angesprochen, sondern ebenso die Rolle von An- und Zugehörigen, rechtlichen Betreuern bzw. Bevollmächtigten sowie schließlich die strukturellen und institutionellen Rahmenbedingungen, die diese Beziehungsgestaltung ermöglichen oder behindern können. Aus der empirischen Studienlage wird dabei deutlich, dass eine auf die Beziehungsgestaltung ausgerichtete Pflege von Menschen mit Demenz besonders in akutstationären Versorgungsformen trotz einiger Positivbeispiele vielerorts erschwert ist, was nicht zuletzt auch auf die institutionellen bzw. strukturellen Gegebenheiten zurückzuführen ist.

Besonders der Institutions- bzw. der Leitungsebene kommt bezogen auf die Thematik dieser Arbeit die Aufgabe zu, eine Pflegekultur und professionelle Haltung zu schaffen, die eine pauschale und potenziell demütigende Anwendung von FeM ablehnt und demgegenüber in jedem Einzelfall alle adäquaten alternativen Handlungskonzepte und Mittel ausschöpft. FeM müssen dabei aus ethischer Sicht zu ihrem jeweilig beabsichtigten Zweck angemessen und erforderlich sein, was genauer gesagt bedeutet, dass die Verhältnismäßigkeit der erwogenen Maßnahme auch in Bezug auf Eingriffstiefe und -dauer gewährleistet sein muss. Zudem sind FeM nur dann anzuwenden, wenn durch eine umfassende pflegefachlich-ethischen Analyse alle in Frage kommenden alternativen Handlungskonzepte und milderen Mittel als unwirksam ausgeschlossen werden konnten und die FeM somit das letztmögliche Mittel darstellt. Dies ist besonders deswegen bedenklich, da vor dem Hintergrund der vorangegangenen Analysen davon auszugehen ist, dass FeM in der Praxis häufig weniger die ultima als vielmehr die prima ratio darstellen. Des Weiteren dürfen FeM zur Abwehr einer drohenden gesundheitlichen Gefahr keine zusätzlichen Schäden oder Risiken im Sinne einer sekundären Vulnerabilität bergen und müssen schließlich im Interesse des möglichst umfassend ermittelten mutmaßlichen Willens der betroffenen Person Anwendung finden. Bei der Ermittlung dieses Willens ist erneut die Beziehungskomponente zu betonen, insofern dieser nur unter Einbeziehung der beteiligten Akteure – einschließlich An- und Zugehöriger bzw. rechtlicher Betreuer bzw. Bevollmächtigter – und nicht zuletzt des Betroffenen selbst ergründet werden kann. Schließlich ist mit einem weiteren Aspekt, dem Selbstbestimmungskriterium, zum Ausdruck gebracht, dass wohltätige Zwangsmaßnahmen wie FeM dazu dienen sollen, die selbstbestimmte Lebensführung und Alltagsgestaltung der pflegebedürftigen Person zu erhalten, zu fördern oder im Sinne rehabilitativer Maßnahmen wiederherzustellen.

Besonders dieses letztere Kriterium bedarf einer umfassenden Analyse: Tatsächlich besteht eine Hauptimplikation der Anerkennung der Personalität und Vulnerabilität des Menschen mit Demenz in Bezug auf FeM darin, dass die Freiheit und Autonomie der Betroffenen auch und gerade dann zu achten und zu schützen ist, wenn sie sich krankheitsbedingt nicht mehr eindeutig ausdrücken und manifestieren kann. Die Begegnung und Beschäftigung mit Menschen mit Demenz regt hier eine erneute Reflexion an, wie Menschsein und menschliche Autonomie zu denken sind: Autonomie ist demnach nicht als beziehungslose Autarkie zu verstehen, sondern vollzieht sich graduell und stets in relationaler Bezogenheit auf den Anderen. Die Erkenntnis der Gradualität und Relationalität von Autonomie hilft zu erkennen, inwiefern gerade auch leiblich vermittelte, nonverbale Willensbekundungen von Menschen mit Demenz als Manifestationen der Selbstbestimmung (im Rahmen ihrer Möglichkeiten) wahrzunehmen sind. An fürsorglich intendierte pflegerische Handlungen wie FeM ist somit der Maßstab anzulegen, ob es durch diese gelingt, der Selbstbestimmung von Menschen mit Demenz einen Entfaltungs- und Verwirklichungsraum zu schaffen bzw. zu erhalten, in dem diese im Sinne einer assistierten Autonomie ihren Bedürfnissen und Zielen – und seien diese noch so alltäglich – nachgehen können. Darin liegt die Bedeutung eines Fürsorgeverständnisses, das in fürsorglichem Handeln nicht die einspringend-beherrschende Substitution, sondern die vorspringend-befreiende Unterstützung der Selbstbestimmung des Sorgeempfängers verfolgt. Eine für sich genommen positive Intention kann im ersteren Fall gepaart mit defizitorientierten Altersbildern zu einer falsch verstandenen Fürsorge führen, die sich etwa darin äußert, den Menschen mit Demenz als übermäßig schutzbedürftig anzusehen und seine noch erhaltenen Potenziale zu verkennen. Eine Perspektive, die hilft, diese Potenziale zu erkennen, besteht demgegenüber besonders in der Achtsamkeit für die vielfältigen Manifestationsformen, durch die sich das Innere einer Person leiblich mitteilen und manifestieren kann.

Ohnehin kann die unbedingte Vergegenwärtigung und Berücksichtigung der Leiblichkeit als eines der Leitmotive der vorliegenden Untersuchung herausgestellt werden. Ein besonderes Anliegen, das durch die Fokussierung der leiblichen Dimension verfolgt wurde, bestand darin, aufzuzeigen, dass sich die behandelten Themenkomplexe der Personalität, der Vulnerabilität und der Freiheit bzw. Autonomie nicht in einem luftleeren Raum der Ideen ereignen, sondern unmittelbar an bzw. in dem – Psychisches und Physisches umgreifenden – Leib des Menschen. So kann etwa ausgehend von Erkenntnissen der Leibphänomenologie eine dualistische Trennung von Körper und Geist, die mit der Reduktion des Menschen auf letzteres einhergehen kann, abgewehrt bzw. korrigiert werden, um aufzuzeigen, dass sich die Personalität eines Menschen immer schon leiblich konstituiert. Dies gilt dabei weit bis in späte Stadien einer Demenzerkrankung hinein, insofern hier Teile des Leibgedächtnisses noch erhalten sind, die die sogenannten Inseln des Selbst eines Menschen mit Demenz erkennen lassen. In leiblichen Aktionen und Reaktionen des Menschen mit Demenz sind – so ist wiederum vor dem Hintergrund phänomenologischer Analysen deutlich geworden – keine automatischen, rein körperlichen Prozesse oder Symptome zu sehen, sondern Ausdrücke der menschlichen Freiheit und Selbstbestimmung.

Vor diesem Hintergrund können auch solche Verhaltensweisen von Menschen mit Demenz neu gedeutet werden, deren Sinn sich auf den ersten Blick nicht erschließt und die häufig als ‚herausforderndes Verhalten‘ klassifiziert bzw. stigmatisiert werden. Gegenüber einer solchen pathologisierenden Sichtweise ist davon auszugehen, dass sich hinter Verhaltensweisen dieser Art eine implizite Aufforderung verbirgt, die auf ein Bedürfnis des Menschen mit Demenz verweist. In diesem Sinne wird die Ansicht geteilt, dass von aufforderndem Verhalten zu sprechen ist, um die Intentionalität dieser Verhaltensweisen zu betonen. Auch in anderen Kontexten wie z. B. Elderspeak und den Analysen zur falsch verstandenen Fürsorge ist bereits angeklungen, dass solche sprachlichen Unterschiede auch tatsächliche Unterschiede im Denken und Handeln der beteiligten Akteure zur Folge haben können. Insofern beginnt achtsames professionelles Sorgehandeln schon im Bereich des Sprachgebrauchs und der darin – wenn auch implizit – zum Ausdruck gebrachten Haltungen. Werden ‚herausfordernd‘ wahrgenommene Verhaltensweisen von Menschen mit Demenz als auffordernde erkannt, so wird gleichzeitig verstanden, dass sich in ihnen nicht die Demenzerkrankung eines Menschen ausdrückt, sondern ein Mensch mit Demenz. FeM stellen in der Pflege und Betreuung von Menschen mit Demenz in den allerwenigsten Fällen eine adäquate Reaktion auf aufforderndes Verhalten dar: Es geht an dieser Stelle vielmehr darum, das Verhalten eines Menschen sowie seinen leiblichen Ausdruck in Sprache, Mimik, Gestik und Körperhaltung auf seinen inneren Sinn zu befragen und zu deuten, um angemessen auf die Bedürfnisse des Menschen antworten zu können. Auf diese Weise eröffnen sich auch alternative Wege, wenn es um Fragen wie das Für und Wider von FeM in solchen Pflegesituationen geht. Während FeM häufig die Ausübung solchen Verhaltens verhindern, ohne dessen Ursachen angemessen zu begegnen, bringt eine verstehende Herangehensweise die Chance mit sich, dass unerkannten Schmerzen oder unbefriedigten Bedürfnissen des Menschen mit Demenz adäquat begegnet werden kann.

Erkennt man im Leib das Handlungsmedium, durch das der Mensch seinen inneren Willen in eine äußere Tat verwirklichen kann, so kann daraus gefolgert werden, dass der Leib geradezu die Versichtbarung und Verwirklichung menschlicher Freiheit darstellt. Das Verhältnis von Freiheit und Leiblichkeit zu reflektieren, kann für die ethische Bewertung von FeM sowie für die Pflegepraxis überaus gewinnbringend sein, da somit auch neue Perspektiven auf die verschiedenen Erscheinungsformen von FeM eröffnet werden können: Am Beispiel der Verabreichung von Psychopharmaka mit dem Primärziel der Ruhigstellung konnte erwiesen werden, dass diese trotz ihrer weniger einschneidend wirkenden äußeren Erscheinungsweise einen mindestens genauso schweren Eingriff in die menschliche Freiheit darstellen wie bspw. körpernahe Formen von FeM. Durch solche Interventionen wird dem Menschen mit Demenz ganz oder zumindest teilweise seine freie Verfügung über den Leib entzogen. Der Leib kann in dieser Hinsicht nicht mehr seiner Funktion als Umschlagstelle geistiger Kausalität in Naturkausalität dienen. Auch ist durch die Auswirkungen von ruhigstellenden Psychopharmaka nicht nur die Willensausübung, sondern bereits die Willensbildung stark beeinträchtigt, wenn nicht gar verunmöglicht.

Als Verwirklichungsmedium der Freiheit ist der menschliche Leib zugleich der ‚Ort‘, an dem sich die ethischen Ansprüche der Person direkt und leibhaftig ausdrücken. In diesem Sinne kann von einer manifesten Würde des Leibes gesprochen werden, die sich vor allem in der zu bewahrenden leiblichen Souveränität des Menschen äußert. Professionelles Sorgehandeln sollte darauf gerichtet sein, in den Verhaltensweisen eines Menschen mit Demenz den leiblichen Ausdruck des Selbst zu suchen. In dem Maße, in dem die Fähigkeit zur leiblichen Selbstkultivierung und anderen Vollzügen der Freiheit krankheitsbedingt nachlässt, stellt sich Pflegenden der Imperativ, den Pflegeempfänger bei der eingeschränkten Ausübung seiner Autonomie zu unterstützen.

Dem Anspruch dieser Untersuchung zufolge leitet sich dieser Imperativ wie auch die anderen entwickelten ethischen Grundlagen nicht vornehmlich aus abstrakten Prinzipien ab, sondern primär aus der Begegnung mit dem Menschen mit Demenz in seiner leiblich vermittelten Vulnerabilität. Mit der phänomenologisch-ethischen Analyse der Vulnerabilität konnte aufgezeigt werden, dass die interpersonale Begegnung mit dem Anderen die Struktur des Antlitzes aufweist, in dem die letztliche Unverfügbarkeit des Anderen zugleich mit dessen existenzieller Verletzlichkeit ausgedrückt ist. Mit dieser leiblich manifesten Vulnerabilität des Antlitzes konfrontiert, erfährt der Mensch einen direkten ethischen Anspruch, den Anderen zu achten und zu schützen und sich dabei stets dessen Einzigartigkeit und Unersetzbarkeit bewusst zu bleiben. Für professionelle Sorgebeziehungen lässt sich daraus die ethische Forderung ableiten, das Antlitz des Menschen mit Demenz nicht zu meiden, sondern sich in zwischenleiblicher Einstimmung auf diesen hin zu öffnen. Von dem Antlitz des Anderen angerufen, wird der Sorgende von dem Sorgeempfänger in die Pflicht genommen, Antwort zu geben. Auch im Falle von wohltätigen Zwangsmaßnahmen wie FeM lassen sich letztlich alle ethischen Sollensansprüche zurückführen auf diese fundamentale Ansprache durch das Antlitz des Menschen mit Demenz.