Verlage und Verwertungsgesellschaften stellen einen wichtigen, oftmals in ihrer Rolle und Relevanz in der Gesellschaft wahrgenommenen Teil der Musikindustrie dar. Lange Zeit agierten Verlage und Verwertungsgesellschaften in einem vergleichsweise statischen Gefüge. Digitalisierung und die daraus beschleunigte Internationalisierung, rechtliche Entwicklungen sowie neue Marktakteur*innen haben nun Spielräume, Wettbewerb und damit die Marktdynamik deutlich erhöht.

Das Buch beleuchtete die einzelnen Schritte der Wertschöpfungskette der Verwertung von Urheberrechten musikalischer Werke. Die Betrachtung erfolgte dabei aus der Perspektive der Internationalisierung. Dies schränkt jedoch die Gültigkeit der Aussagen nicht nur auf dieses Gebiet ein. Vielmehr wirkt die Internationalisierung in diesem Kontext wie ein Brennglas und zeigt deutlich die auch in anderen Bereichen existierenden Herausforderungen. Dieses abschließende Kapitel fasst überblicksartig die großen Strömungen zusammen und wird so zu einem Hybrid aus Ausblick und Fazit.

9.1 Wettbewerb und Wahlfreiheit

Insgesamt ist eine Zunahme des Wettbewerbs in der Wahrnehmung der Urheberrechte musikalischer Werke zu beobachten, der auch vor den Verwertungsgesellschaften nicht haltmacht. Ehemalig gefestigte Monopolstrukturen werden aufgebrochen und sowohl regulatorisch, wie bspw. durch rechtlich vorgegebene Marktöffnungen oder erhöhte Transparenzanforderungen, als auch durch technikgetriebene Marktakteure unter Druck gesetzt.

Dies bleibt nicht ohne Auswirkungen auf das Verlagsgeschäft. Abgesehen von den potenziellen wettbewerbsinduzierten Verbesserungen aufseiten der Verwertungsgesellschaften steigen für Rechteinhaber*innen insbesondere die zur Auswahl stehenden internationalen Wahrnehmungsoptionen. Es können verschiedenste Wege der internationalen Wahrnehmung empfehlenswert sein, in Abhängigkeit vom Profil der Kooperationspartner*innen, dem adressierten Markt, persönlicher Präferenzen und nicht zuletzt vom vertretenen Repertoire. Das Spektrum reicht von der Wahrnehmung über die heimische Verwertungsgesellschaft, über die Nutzung von Subverlagen oder administrativen Verlagen, bis hin zur direkten Mitgliedschaft bei der ausländischen Verwertungsgesellschaft – wohlgemerkt eine Entscheidung pro Territorium und eventuell auch pro Rechtekategorie.

Dabei können sich auch klassische Rollen, Herangehensweisen und Verwertungsstrukturen auflösen. Vor dem Hintergrund der geringeren Transaktionskosten im digitalen Raum schließen technologieorientierte Verlage wie Kobalt bereits zunehmend direkte Verträge mit Online-Musikdiensten und lösen sich für einen gewichtigen Anteil von den Verwertungsgesellschaften ab. Da sie ebenfalls Rechte gebietsübergreifend wahrnehmen, können solche Verlage mit traditionellen Verwertungsgesellschaften in mehreren Aspekten konkurrieren. Gleichzeitig profitieren sie als direkte Mitglieder von der Vertretung traditioneller Rechtsgegenstände durch Verwertungsgesellschaften.

Eine ähnliche Dynamik entfaltet sich auch hinsichtlich territorialer Zuordnungen. So können technisch gut aufgestellte Verlage ihre Subverlagsdienstleistungen nicht nur im Heimatland, sondern auch international anbieten. Auch wenn dies auf den ersten Blick etwas ungewohnt erscheint, kann es durchaus sinnvoll sein, dass ein österreichischer Verlag, bspw. aufgrund von Kompetenzvorteilen, einen deutschen Verlag bei der GEMA vertritt. Umgekehrt kann die Option der direkten Mitgliedschaften aber auch einen gesteigerten Konkurrenzdruck auf Verlage mit ausgeprägtem Subverlagsgeschäft bewirken. Bin ich als Verlag mit der Arbeitsweise meines Subverlags in einem bestimmten Territorium nicht zufrieden habe ich die Option, selbst Mitglied der Verwertungsgesellschaft in diesem Territorium zu werden.

Aus dem Zuwachs an Verwertungsoptionen aufseiten der Verlage erwächst auch die Notwendigkeit, pro Territorium den jeweils am besten passenden Wahrnehmungsweg zu identifizieren. Hierfür sind sowohl Daten als auch ein möglichst objektives, nachvollziehbares Bewertungsvorgehen notwendig – in beiden Aspekten besteht Forschungsbedarf.

9.2 Digitalisierung und Technologie

Die Diversifikation der Wege zur Wahrnehmung der Urheberrechte führt auch zu individuelleren, modulareren Strukturen bei Verlagen. Damit diese trotzdem effizient und effektiv agieren können, ist eine umfassende IT-Unterstützung in den verschiedenen Schritten der Wertschöpfungskette der Wahrnehmung musikalischer Urheberrechte notwendig. Das vorliegende Buch hat das Problemfeld aufgespannt und Lösungsansätze aufgezeigt.

Ein Spannungsfeld ergibt sich daraus, dass zwar auf Konsumentenseite die Digitalisierung schnell vorangeschritten und inzwischen allgegenwärtig ist, die Technologien aufseiten der Rechteinhaber*innen und Verwertungsgesellschaften zur Verwaltung und Wahrnehmung der Rechte und sich daraus ergebenden Lizenzeinnahmen jedoch nicht in gleichem Maße entwickeln. Und so entsteht die Situation, dass der Konsum musikalischer Werke allgegenwärtig und global ist, ein Großteil der Verwaltung dieser Werke technisch auf der Basis von Datenformaten geschieht, die vor über 20 Jahren verabschiedet wurdenFootnote 1. Problematisch ist nicht so sehr das Alter der Datenformate und nicht immer ihre Beschaffenheit an sich, sondern vielmehr die zahlreichen Unstimmigkeiten und Workarounds bei ihrer Verwendung.

Während Trends wie Big Data, Künstliche Intelligenz (KI) und Blockchain auch in der Musikindustrie Hoffnungsträger sind bzw. Erwartungshorizonte definieren (Ahlers et al. 2019), basiert das mehr oder weniger gefestigte technologische Rückgrat musikalischer Urheberrechte auf Dekaden alten Technologien. Dies ist zugegebenermaßen etwas überspitzt formuliert, illustriert aber die Divergenz zwischen Anspruch und Wirklichkeit.

Technologische Hypes werden dabei häufig mit der Hoffnung verfolgt, dass sie im Stande sind, alle bisherigen Herausforderungen zu lösen. Diese Erwartungen sind jedoch zumeist überzogen (Gartner 2022; Fenn und Raskino 2008). Hinter Themen wie KI oder Big Data verbirgt sich das Versprechen, latente Informationen aus unstrukturierten Daten auf der Basis probabilistischer Schätzungen extrahieren zu können, um dem Mangel an validen und sauberen Daten in der Musikindustrie zu begegnen (Madden 2012) – ein gefährliches Unterfangen, bei dem ethische und fachtechnische Bedenken gerne in den Hintergrund gestellt werden. Andere Bedenken gelten für Ansätze zur dezentralen Datenverwaltung z. B. über Blockchain-Technologien: Diese bieten zwar einen Ansatz, um fragmentierten Metadaten zu Musikwerken technisch zu begegnen, setzen aber ein organisatorisches Umdenken unter den Marktteilnehmenden voraus. Außerdem müssen Abwägungen in Bezug auf die Skalierbarkeit, Sicherheit und Veränderbarkeit der in der Blockchain gespeicherten Daten getroffen werden (Pech 2020). Hinzu kommt: wenn bereits innerhalb eines Verlags Widersprüche oder Unklarheiten zu Metadaten von Werken (beispielsweise bezüglich Anteile, Rechte oder Identifikatoren) vorliegen, löst diese auch keine dezentrale Speicherung in der Blockchain auf.

Um die notwendige technische Weiterentwicklung voranzutreiben, sollte also nicht auf eine revolutionäre technische Lösung gewartet werden. Denn abgesehen vom unrealistischen „Messiasanspruch“ birgt ein solches Szenario auch Gefahren: sollte sich eine solche Lösung abzeichnen, hätten wenige oder gar nur einzelne technisch fokussierte Akteur*innen einen Wettbewerbsvorteil, könnten eine Gatekeeper-Rolle entwickeln und die bislang noch nicht vollständig kapitalistischen Maximen unterworfene Wahrnehmungsstrukturen (wie beispielsweise die kulturellen und sozialen Rolle der Verwertungsgesellschaften) noch stärker in Richtung wirtschaftlicher Optimierung verschieben. Sofern diese neuen Akteur*innen Rechte wahrnehmen, unterliegen sie dabei nicht den gleichen gesetzlichen Rahmenbedingungen wie die Verwertungsgesellschaften, beispielsweise hinsichtlich dem doppelten Kontrahierungszwang. Dies birgt u. a. die Gefahr einer noch stärkeren Konzentration auf die Akteur*innen mit dem größten wirtschaftlichen Potenzial auf Kosten künstlerischer Diversität und Gefahr einer Ausweitung der Schere zwischen wirtschaftlich erfolgreichen und wirtschaftlich weniger erfolgreichen Künstler*innen.

Vielmehr sollte durch kleine, evolutionäre Schritte ein Ökosystem geschaffen werden, indem Raum für Weiterentwicklungen, neue Kooperationen und Kollaborationen, aber vor allem ein effizientes und effektives Abwicklung des Alltagsgeschäfts möglich ist.

9.3 Evolution oder Obsoleszenz

Obgleich die Akteur*innen Wege gefunden und Lösungen entwickelt haben mit den geschilderten Herausforderungen umzugehen, sind für einen nachhaltigen und auch langfristig konkurrenzfähigen Wandel ganzheitliche, weitreichendere Lösungsansätze notwendig. Dabei sollten insbesondere Weiterentwicklungen in drei Bereichen fokussiert werden: die zielgerichtete Vereinfachung komplexer Strukturen, wo es möglich ist, eine konsequente Umsetzung von Standards und ein Wandel der Denkweise hin zu offenen Plattformkonzepten.

Hinsichtlich Potenzial für Vereinfachungen wurden in den vorangegangenen Kapiteln beispielsweise Datenformate oder die Darstellung von Anteilen diskutiert. Gleichzeitig ist dies sicherlich keine rein technische, sondern vielmehr eine interdisziplinäre Aufgabe, in welche bspw. rechtliche, betriebswirtschaftliche oder soziale Perspektiven zu integrieren sind.

Um auch auf internationaler Ebene eine gewisse Einheitlichkeit hinsichtlich Datenverarbeitung zu erreichen und damit Effizienz und Effektivität bei der Wahrnehmung von Urheberrechten musikalischer Werke zu unterstützen, wurden und werden seitens der CISAC mit CRD oder CWR standardisierte Datenformate entwickelt und gepflegt. Hier liegen die Herausforderungen im Detail: ein sperriges Datenformat, inkonsequente Standardisierung und zu viele Kompromisse bei der Beibehaltung von Legacy-Systemen und –Strukturen bieten noch viel Raum für Verbesserungen und erschweren die Etablierung einheitlicher Lösungen.

Die genannten Punkte lassen sich zusammenfassend und etwas weniger abstrakt auch als Liste von Wünschen formulieren. Ein erster Schritt wäre ein konsequenterer und sauberer Einsatz der ISWCs, mit denen ein Werk weltweit eindeutig identifizierbar ist. Dies würde entlang der unterschiedlichen Wahrnehmungsschritte bereits viele Probleme lösen. Perspektivisch verspräche natürlich eine globale und für alle Akteure zugängliche Werkdatenbank noch weitreichenderes Potenzial, doch ist ein solch ambitioniertes Projekt mit der Global Repertoire Database trotz Beteiligung der relevanten Stakeholder bereits vor einigen Jahren gescheitert. Weitere Verbesserungen würden Schnittstellen mit klar definierten technischen Formaten bieten, die für alle zugänglich sind. So würde ein effizienter, medienbruchfreier Austausch von Geschäftsdaten ermöglicht werden. Dies wiederum würde die Datenqualität fördern, den Aufwand bei der Datenverarbeitung reduzieren und so eine korrekte und gerechte Abrechnung und Verteilung der Tantiemen stark vereinfachen.

Die Ausführungen zeigen, dass eine solche Entwicklung die branchenweite Überwindung des Silodenkens erfordert. Oftmals sind Innovationen oder Verbesserungen technisch nicht möglich, weil keine Schnittstellen für einen Datenaustausch existieren – exemplarisch sei hier die Werksuche bei der GEMA genannt. Soll diese in technische Dienste integriert werden, sind dafür abenteuerliche und fragile Konstrukte über Web-ScraperFootnote 2 erforderlich. Auch in anderen Bereichen erfolgt der Datenaustausch nicht über APIs sondern bspw. über FTP-Server oder Funktions-E-Mail-AdressenFootnote 3. Offene Plattformen würden diese anachronistischen Ansätze obsolet machen, notwendige Innovationen fördern und Kooperationen sowie Kollaborationen vereinfachen – und gleichzeitig der Heterogenität der Branche Rechnung tragen.

Eine besondere Rolle kommt hierbei aufgrund ihrer zentralen Position und Relevanz im Wahrnehmungsprozess den Verwertungsgesellschaften zu. Sie bieten viele Anknüpfungspunkte, haben den Gestaltungsspielraum und mehr Ressourcen solche Schritte umzusetzen. Dass diese auch, wie oben beschrieben, unter Wettbewerbsdruck stehen, ist ein weiteres Argument, die technische Evolution voranzutreiben. Erfolgt keine Evolution der traditionellen Verwertungsgesellschaften, besteht die Gefahr, dass technikgetriebene Akteure Verschiebungen des Marktes induzieren, die Relevanzverschiebungen bis hin zur Obsoleszenz zahlreicher Akteur*innen mit sich bringen kann.

Die formulierten Betrachtungen setzen sich natürlich verstärkt mit dem Herausforderungen der Musikindustrie aus technischer Perspektive auseinander. Sie können dabei nicht immer losgelöst von anderen Fachgebieten betrachtet und sollen auch nicht als der einzige relevante Teil betrachtet werden. Gleichwohl sind technische Fragestellungen schon allein durch die allgegenwärtige Digitalisierung von Konsum und Administration musikalischer Werke nicht vermeidbar. Eine solide technische ist also eine Grundvoraussetzung für ein gutes, effizientes, effektives, zielgerichtetes Agieren, ermöglicht wirtschaftliche Nachhaltigkeit und kann so Freiräume für Kreativität schaffen.