Die Problemfelder an der Schnittstelle zwischen IT und Musikindustrie sind bei der Wahrnehmung von Urheberrechten, ebenso wie mögliche Lösungsansätze, vielschichtig. Die Komplexität langfristig gewachsener Systeme in Kombination mit der Heterogenität der Akteure erschweren Innovationsschritte und die Entwicklung einfacher und kompromissfreier Lösungsansätze. Gleichzeitig sind in vielen Bereichen Verbesserungen möglich oder gar dringend notwendig, wie die Ausführungen der vorangegangenen Kapitel an verschiedenen Stellen angedeutet haben.

Die folgenden Abschnitte entwickeln aus drei unterschiedlichen Perspektiven jeweils einen subjektiven Blick auf die Branche. Leitmotiv aller Beiträge ist eine kritische Auseinandersetzung mit dem Ist-Stand, das Herausarbeiten von Problemfeldern, das Skizzieren von Lösungsansätzen und das Ableiten von Entwicklungsoptionen. Sie erheben aus oben genannten Gründen nicht den Anspruch auf Objektivität und Vollständigkeit. Je nach Perspektive werden unterschiedliche Themenbereiche fokussiert, andere Probleme hervorgehoben, teilweise widersprüchliche Argumente angeführt und andere Interessensgruppen vertreten. Auch die jeweilige Positionierung auf dem Spektrum von Polemik und Sachlichkeit divergiert.

Dieser Ansatz soll helfen, die Vielfalt der Meinungen, Priorisierungen und Problemfelder zu illustrieren, welche das Spannungsfeld aufspannt, in welchem Weiterentwicklungen stattfinden müssen. Verwertungsgesellschaften sind dabei aufgrund ihrer Position am Markt oftmals Akteurinnen, Schmelztiegel und Moderatorinnen der unterschiedlichen Interessensgruppen, obgleich die Ausführungen auch andere Akteur*innen mit einschließen.

Aus den drei Blickwinkeln der Softwareentwicklung, der Verlage und des Marktes sollen die Abschnitte Entwicklungen hinterfragen, Erklärungsansätze vorschlagen und Denkanstöße für Weiterentwicklungen geben.

8.1 Datenformate und Spezifikationen – Die Perspektive der Softwareentwicklung

Datenformate zu etablieren ist vielschichtiges Unterfangen. Sie müssen entworfen, spezifiziert und in den jeweiligen Applikationen integriert werden. Eine weitere, nicht zu unterschätzende Herausforderung liegt darin, dass sie sich erst durch eine weite Verbreitung etablieren müssen – ein klassisches Henne-Ei-Problem. Hat sich ein Datenformat einmal etabliert, muss es konsistent weiterentwickelt und auf eine standardkonforme Nutzung geachtet werden.

Der folgende Abschnitt setzt sich kritisch, nicht immer gänzlich sachlich, aber informativ und unterhaltsam mit den verschiedenen Eigenheiten und Herausforderungen auseinander, denen man in Vorbereitung oder während der Nutzung der beiden in der Interaktion mit Verwertungsgesellschaften oder anderen Verlagen vorherrschenden Datenformaten CWR und CRD begegnen kann. Es wird dabei die Perspektive der Softwareentwicklung eingenommen.

8.1.1 Fixed-Length Datenformate

Es gibt zahlreiche Ansätze, wie Daten in Dateien strukturiert werden können. Je nach Anwendungsfall stehen dabei verschiedene, oft gegensätzliche Dimensionen der Optimierung für diese Datenformate zur Auswahl. Diese reichen von Lesbarkeit der Inhalte, Effizienz hinsichtlich Platzbedarf oder Verarbeitungsgeschwindigkeit bis hin zu Kompatibilität mit bestimmten Standards. Die im bisherigen Verlauf des Buches näher betrachteten Formate CWR und CRD sind beides sogenannte Fixed-Length Datenformate. Daraus resultieren verschiedene Charakteristika, welche von Vorteil, aber auch oftmals von Nachteil sein können. Diese Spannweite soll im Folgenden anhand einiger praktischer Beispiele illustriert werden.

Im engeren Sinn definiert ein EDI-Format die Struktur des Datenaustausches zwischen zwei oder mehreren Parteien, die eine wie auch immer geartete Beziehung miteinander eingegangen sind. Oftmals wird der Begriff jedoch im Zusammenhang mit branchenweiten Festlegungen verwendet. Die CISAC, der Dachverband der Verwertungsgesellschaften weltweit, hat dabei auf ein sogenanntes Fixed-Length Format gesetzt. Bei diesem wird, wie bereits erwähnt, die Länge der einzelnen Felder eines RecordsFootnote 1 fest vorgegeben. Das Beispiel in Abb. 8.1 zeigt, dass sich somit die Zeichenkette „TRL00001…“, auch ohne Trennzeichen, in einzelne Felder auflösen lässt. Andere Datenformate, wie zum Beispiel CSV, nutzen Trennzeichen wie Kommas oder Semikolons zur Begrenzung der Inhalte der einzelnen Datenfelder.

Abb. 8.1
figure 1

Beispiel eines TRL-Records einer CRD. Oben sieht man die in der Datei enthaltene Zeichenkette, unten ist diese in die entsprechenden Felder zerlegt

Der Vorteil eines Fixed-Length-Formates ist, dass durch eine Unterscheidung beliebiger Record-Typen (bei CRD/CWR durch die ersten drei Zeichen jedes Records) beliebig viele Strukturen in einer Datei sequentiell abgebildet werden können. Beim Beispiel CSV hingegen kann innerhalb einer Datei nur genau eine Struktur abgebildet werden, die Struktur der einzelnen Zeilen muss innerhalb einer Datei immer gleich bleiben (siehe auch Abb. 8.2). Die Abbildung einer Hierarchie ist nicht möglich.

Abb. 8.2
figure 2

Beispiel einer CSV-Datei mit Semikolon als Trennzeichen. Die Struktur der Daten ist in allen drei Zeilen gleich, die Länge der Felder jedoch variabel

Ein großer Nachteil der Fixed-Length Formate ist hingegen, dass bei nicht ausreichend groß gewählten Feldern Daten abgeschnitten werden, wenn die Länge der Daten die definierte Feldgröße überschreitet. Dies kann beispielsweise bei sehr langen Namen/Titeln auftreten. Ein weiteres sehr deutliches Beispiel für dieses Problem ist das „IPI-Feld“ in der CWR-Datei. Zur Erinnerung, die IPI-Nummer ist ein Identifikator, mit dem die CISAC sogenannten „Interested Parties“, beispielsweise Komponist*innen, Texter*innen oder Verlagen, eine eindeutige Nummer zuweist. Die in der Spezifikation des Datenformats ursprünglich vorgesehene Feldgröße waren neun Zeichen. Inzwischen können IPI-Nummern jedoch bis zu elf Zeichen lang sein. Um das Format des entsprechenden Records nicht anpassen zu müssen, wurde beschlossen, die eventuell überzähligen Zeichen im Feld davor abzuspeichern. Dabei handelt es sich um ein zweistelliges Feld, in welchem laut Spezifikation eigentlich die Art des Senders der Datei hinterlegt ist. Dieses Feld ist eigentlich ein Pflichtfeld, wird jedoch ungeachtet dessen spezifikationsgemäß zur Speicherung der überzähligen Zeichen der IPI-Nummer missbraucht. Dieser Verzicht auf eine eigentlich notwendige Spezifikation eines neuen Datenformats führt nun dazu, dass der Feldinhalt der spezifizierten Art des Feldinhaltes nicht mehr entsprechen müssen, woraus bei einer elfstelligen IPI-Nummer in jedem Fall ein Validierungsfehler entsteht.

Ein weiterer Nachteil ist, dass hierarchische Zusammenhänge nicht explizit abgebildet werden können, wie dies beispielsweise bei XML- oder JSONFootnote 2-Formaten möglich ist (siehe Abb. 8.3). Diese werden im Fall von CWR in der Backus-Naur-Form, einer kompakten formalen Metasprache zur Darstellung kontextfreier Grammatiken, abgebildet. Darüber können Programme zur Auswertung der Dateien die hierarchische Ebene der Daten aus der flachen Recordstruktur abbilden. Bei CRD wird dies nur in einer sehr unzulänglich und unvollständig beschriebenen textuellen/tabellarischen Form getan, die man nur anhand einiger mitgelieferter Beispiele interpretieren kann. Ob dies dann jedoch vollständig und korrekt geschieht, kann nur aufwendig durch Versuch und Irrtum überprüft werden.

Abb. 8.3
figure 3

Darstellung der hierarchischen Struktur einer XML-Datei

8.1.2 Weiterentwicklung der Datenformate

Die festgefahrenen Strukturen und die Vielzahl eher künstlerisch als technisch fokussierter Akteure in der weltweiten Musikwirtschaft erschweren eine Evolution des Datenaustausches. Notwendige Anpassungen des Formates, wie am Beispiel der IPI-Nummer gezeigt, werden nicht durchgeführt. Es wird eine längerfristige Stabilität des Formats höher priorisiert als eine notwendige, technische Konsistenz und Weiterentwicklung. Die Gründe für diese Einschätzung können vielfältig sein und reichen von fehlendem technischem Know-how der Akteure über mangelnde Bereitschaft oder Ressourcen für Anpassungen oder fehlende Priorisierung dieser Schritte.

Ob hingegen Workarounds (Behelfslösungen) erfolgversprechender sind als echte Weiterentwicklungen, darf bezweifelt werden. Anpassungen von Formatspezifikationen sind in einem digitalisierten Arbeitsumfeld permanent notwendig. Die Nachteile dieses Wegs sind für alle Beteiligten gleich. Diejenigen, die mit der Anpassung der Längen des Formates überfordert sind, stehen, ebenso wie technisch versierte Akteure vor der Herausforderung zu entscheiden, ob es sich nun um eine elfstellige IPI-Nummer handelt oder um zwei Zeichen Publisher-ID und neun Zeichen IPI-Nummer.

Es werden zwar in längeren Abständen Updates der Formate vorgestellt, jedoch wird dabei nur Flickschusterei betrieben und das bereits eher umständliche und unverständliche Format weiter aufgebläht. Dies schlägt sich auch in der Akzeptanz der Datenformate im Markt nieder. Nachdem die CISAC ein Update des CWR-Formates auf Version 3.0 vorgestellt hat, haben dieses zahlreiche große Verwertungsgesellschaften bisher nicht umgesetzt. Inzwischen ist die Version 3.1 in Arbeit und es bleibt offen, inwieweit diese von den Gesellschaften implementiert wird.

8.1.3 Qualität der Spezifikation

Ein wesentlicher Faktor für die Akzeptanz und den Verbreitungsgrad eines Datenformats auf dem Markt ist die Verständlichkeit sowie Konsistenz der Spezifikation. Unzulänglichkeiten in der Beschreibung können sich auf die Bereitschaft zur Implementierung von Datenformaten sowie deren Qualität auswirken.

Die untersuchte CWR- (v2.1, Rev. 7) sowie CRD-Spezifikation (v2.0, Rev. 4) weisen verschiedene Schwächen auf. Sie sind in sich selbst nicht schlüssig und weisen einige inhärente Fehler auf. So wird beispielsweise ein numerisches Feld so definiert, dass es nur Zeichen aus dem Dezimalsystem enthalten kann. Daraus folgt, dass wenn ein numerisches Feld leer bleiben soll, dieses mit Nullen aufzufüllen ist. Und hieraus erwächst der Widerspruch, denn die Null ist ebenfalls ein möglicher Wert für ein numerisches Feld. Es kann also nicht unterschieden werden, ob in das betreffende Feld eine Null eingetragen wurde oder ob es leer ist. Dies bedeutet, dass eine Überprüfung numerischer Pflichtfelder (mandatory) nicht möglich ist, da die Null sowohl als regulärer Eintrag (mandatory Eigenschaft ist erfüllt) als auch als leeres Feld (mandatory Eigenschaft ist nicht erfüllt) interpretiert werden kann.

Weiterhin gibt es kleinere Ungenauigkeiten in der Spezifikation. So gibt es beispielsweise in der CWR-Spezifikation einen Record NPA, bei dem das Feld „Interested Party Writer First Name“ mandatory ist. Dieser Record soll jedoch auch für Verlage verwendet werden und diese haben nur einen Namen, welcher in das Feld „Interested Party Name“ einzutragen ist. Das Feld „Interested Party Writer Frist Name“ ist zwar Pflicht, kann in dem Fall aber nicht mit sinnvollen Inhalten gefüllt werden. Weiterhin kann man an diesem Beispiel sehen, dass natürliche und juristische Personen vermischt werden, was es notwendig macht, die Struktur so zu definieren, dass sie beiden Arten gerecht werden kann.

Es gibt jedoch auch humoristische Felder. So bspw. das Feld „Publisher Unknown Indicator“, welches vom Typ Flag („Y“ für Yes, „N“ für No oder „U“ für Unknown) ist. Der Inhalt dieses Feldes wird zwingend vom vorherigen Feld „Publisher Name“ bestimmt und muss Y(es) sein, wenn das „Publisher Name“-Feld leer ist. Einen Informationsgewinn kann man da nur mühsam ableiten. Ebenso schwer fällt es, die mögliche Interpretation des Wertes „Unknown“ zu antizipieren – es ist unbekannt, ob der Name des Verlages unbekannt ist?

Eine ebenfalls archaische Einschränkung ist die des Zeichensatzes. So dürfen laut Spezifikation nur eine Untermenge von ASCII-Zeichen verwendet werden. Es wurde eine Tabelle veröffentlichtFootnote 3, in der die verwendbaren Zeichen aufgeführt sind. Diese können sich zwischen den Feldern sogar unterscheiden, d. h. manche Zeichen sind nur bei einem bestimmten Feld erlaubt. Bei den Feldern wird zwischen Titles und Names unterschieden, bei CWR kommen noch die CWR National Titles hinzu. Ob ein Feld nun aber ein Name, ein Title oder ein CWR National Title ist, ist in der Spezifikation von CWR und CRD nicht angegeben. Teilweise kann dies relativ klar aus dem Kontext abgeleitet werden, jedoch nicht in jedem Fall, was einer gesicherten Implementierung entgegensteht.

Eine weitere Inkonsistenz stellt die Verwendungsmöglichkeit des Euro Zeichens „€“ in Titel-Feldern dar. Wie dieses Zeichen, das nicht im ASCII-Zeichensatz vorkommt als ASCII-Zeichen dargestellt werden soll, bleibt der Fantasie der Entwickler*innen überlassen. Gleiches gilt für weitere Zeichen, welche im CIS Character Set angegeben sind, aber keine ASCII-Zeichen sind.

Grundsätzlich ist festzuhalten, dass die Wahl eines anderen, moderneren Zeichensatzes wie beispielsweise Unicode (eingeführt 1991) die aus der Wahl des ASCII-Zeichensatzes (eingeführt 1963) resultierenden geschilderten Probleme lösen würde. Gegebenenfalls könnte dies zu Problemen in Zusammenhang mit Altsystemen führen oder würde das Matching von Werken erschweren, da eine größere Auswahl erlaubter Zeichen auch die Fehlerwahrscheinlichkeiten und Abweichungsmöglichkeiten erhöht. Jedoch verlagert sich das Problem nur, denn bei einem eingeschränkten Zeichensatz müssen dennoch die an Zeichen nicht eingeschränkten von den Werkschöpfer*innen vergebenen Werktitel auf den geringeren Zeichensatz reduziert werden. Auch das ist nicht eindeutig, sodass somit lediglich eine Verlagerung der Matching-Problematik auftritt.

Neben dem eigentlichen Inhalt einer Datei sind auch diverse Metadaten für weitere Verarbeitungsschritte relevant. Anstatt alle wichtigen (Meta-)Daten beispielsweise das Erstelldatum der Datei in den eigentlich dafür vorgesehenen Header zu packen, wird die Erstellung des Dateinamens nach einem gewissen Schema vorgegeben. Dieses Schema wird in der CIS-EDI-Definition, also der Basisdefinition vorgegeben, dient aber offenbar nur als freundlich gemeinter Vorschlag, der bereits von CWR und CRD durch eigene Formate ersetzt wird. So werden bei CWR die vorgesehenen ersten drei Zeichen zur Identifikation der jeweiligen Anwendung der im CIS-EDI-Format vorgesehenen Zeichen auf zwei Zeichen reduziert (CW), die vorgegebene Datumsangabe wird zu einer zweistelligen Jahreszahl und einer vierstelligen laufenden Nummer geändert. Die Dateinamenerweiterung hält sich an die aus MS-DOS-Zeiten stammende Beschränkung auf drei Zeichen und beschreibt die Versionsnummer der vorliegenden Datei. Im Header selbst wird nicht die Versionsnummer der jeweiligen Spezifikation hinterlegt, sondern die Versionsnummer der CIS-EDI-Definition, auf der die jeweilige Spezifikationsdefinition basiert. Anhand all dieser Indizien wie Dateinamen, Zeichensätze u. ä. ist zu erkennen, dass die Entwicklung der auf CIS-EDI basierenden Spezifikationen konsistent anachronistisch ist.

8.1.4 Effizienz der Formate

Möglichkeiten zur Vereinfachung der Struktur und zur Vermeidung von teilweise massiven Redundanzen wurden gerade bei CWR nicht genutzt. So enthält eine CWR-Datei Angaben zu den Werken einer Anzahl von Urheber*innen, die (unter anderem) vom Verlag X vertreten werden. Die Angaben zu diesem Verlag (Name, IPI-Nummer, Tax-ID usw.) muss daher an jedem einzelnen Record, der auf diesen Verlag Bezug nimmt, erneut angegeben werden. Ein Verweis über eine ID, wie dies bspw. bei CRD möglich ist, gibt es bei CWR nicht. Gleiches gilt für die Urheber*innen, die in den allermeisten Fällen an mehr als einem Werk beteiligt sind.

Weitere redundante Angaben sind beispielsweise die bewusste Dopplung von durch sogenannte Lookup-Tables definierten Werte. Beispielsweise ist jedem Beteiligten an CWR-Transaktionen eine eindeutige Nummer zugeordnet. Dieser Nummer ist in der Lookup-Table der entsprechende Name zugeordnet. Nur müssen in der CWR-Datei sowohl die Nummer, als auch der Name angegeben werden und es gibt eine Validierungsregel, dass der Name dem durch die Nummer zugeordneten Wert in der Lookup-Table übereinstimmen muss. Welchen Wert diese Validierung hat, außer dem, sicherzustellen, dass die Verlage ihren eigenen Namen schreiben können, erschließt sich nicht.

8.1.5 Validierungen

Es gibt diverse Stellen, wo eine Validierung der in den Dateien gespeicherten Informationen möglich und sinnvoll wäre. Dies würde bereits früh im Verarbeitungsprozess die Erkennung etwaiger Fehler ermöglichen und langwierige Korrekturschritte, wie über ACK-Dateien in CWR möglich, vermeiden oder zumindest verkürzen. Obgleich dieses Vorhaben prinzipiell möglich ist, zeigen die nachfolgenden Beispiele diverse Herausforderungen.

Die bereits erwähnten IPI-Nummern identifizieren Personen oder Pseudonyme eindeutig. Diese IPI-Nummern werden von der SUISA im Auftrag der CISAC vergeben und verwaltet. Leider gibt es keine Schnittstelle dieser Datenbank nach außen, sodass eine direkte Validierung der Korrektheit der IPI-Nummer und der redundant anzugebenden zugehörigen Namen oder Firmenbezeichnungen nicht möglich ist.

Bei der Werkanmeldung ist eine der wichtigsten Informationen der prozentuale Anteil der Rechteinhaber*innen eines Werkes. Anhand dieser prozentualen Aufteilung werden dann die für das Werk ermittelten auszuzahlenden Tantiemen auf Urheber*innen und Verlage aufgeteilt. Die CWR-Spezifikation erlaubt bei der Summe aller Beteiligten eine Abweichung von 0,06 %. Die Summe der prozentualen Beteiligung kann also zwischen 99,94 % und 100,06 % liegen. Vermutlich liegt dies in der teils sehr komplexen Konstruktion der Ermittlung der prozentualen Anteile zwischen Komponist*innen, Textdichter*innen und Verlagen, die lange Zeit nicht frei von den beteiligten Autor*innen selbst festgelegt werden konnten, sondern strikten, von Verwertungsgesellschaft zu Verwertungsgesellschaft unterschiedlichen Regelungen, Ausnahme- und Sonderregelungen folgten oder immer noch folgen. Wenn ein Werk bei verschiedenen Verwertungsgesellschaften angemeldet ist, so ist eine unterschiedliche Aufteilung der Urheberrechte der Regelfall (siehe auch Abschn. 4.2).

Die Inkludierung der Verlage in die Darstellung der Anteile eines Werkes, obwohl diese nicht an der Urheberschaft beteiligt sind, sondern Urheber*innen vertreten, führt ebenso zu einer weiteren, unnötigen Verkomplizierung der Werkanmeldung, da sämtliche mögliche Konstruktionen von Verlagen, administrierenden Verlagen, Subverlagen und sonstiger Vertretungen der Rechte derselben Autor*innen durch mehr als einen Verlag abbildbar sein müssen. Wäre die Vertretungsbeziehung Urheber*in und Verlag unabhängig von den Verwertungsgesellschaften, müssten die teilweise sehr komplexen Vertretungsbeziehungen nicht mehr in den Anteilen dargestellt werden.

Interessant wäre die Frage, was mit den fehlenden 0,06 % bei der Tantiemenzahlung eines Werkes geschieht, wenn die Summe aller Beteiligten nur 99,94 % beträgt. Oder woher die restlichen 0,06 % kommen, wenn die Summe bei 100,06 % liegt. Vermutlich liegt der Lösungsansatz in der Hoffnung, dass sich die Abweichungen ausgleichen – eine nicht sehr solide Geschäftsbasis, welche zugleich auch Raum für „Optimierungen“ der Tantiemen bietet.

8.1.6 Eine konsequent inkonsequente Spezifikation

Die Vorteile einer branchenweiten Spezifikation wirken erst, wenn möglichst viele, bestenfalls alle Beteiligten die Spezifikation implementieren und konsequent nutzen. Nur so kann sich die Spezifikation als de facto bzw. Industriestandard durchsetzen. Abweichungen von Spezifikationen, egal ob inhaltlich sinnvoll oder nicht, wirken oft kontraproduktiv, da sie Zusatzaufwände erzeugen, statt Skaleneffekte zu ermöglichen.

Die Unzulänglichkeiten und unpraktischen Eigenschaften der CWR-/CRD-Standards zeigen sich auch dadurch, dass auch von den Verwertungsgesellschaften erstellte CWR-Dateien sich selbst nicht vollständig an die Vorgaben der Spezifikation halten. Dabei zeigt sich deutlich die Diskrepanz zwischen Festlegung in der Spezifikation und Einschätzung der Sinnhaftigkeit einer Regel in der Praxis, was die folgenden Absätze anhand einiger BeispieleFootnote 4 illustrieren.

Beispielsweise muss laut Spezifikation das letzte Feld eines Records auf seine spezifizierte Länge gebracht werden. Die GEMA hält sich jedoch nicht daran. Inhaltlich macht dies natürlich keinen Unterschied, nur stellt sich die Frage, warum diese Vorgabe dann explizit in der Spezifikation aufgeführt wird. Ebenso berücksichtigt die GEMA die Vorgabe nicht, leere numerische oder Datumsfelder mit 0-Zeichen aufzufüllen und verwendet stattdessen Leerzeichen. Die SUISA beispielsweise ignoriert die Vorgabe des zugelassenen Zeichensatzes. Ebenso verwendet sie auch Kleinbuchstaben in den von ihnen erstellten Feldern.

Eine weitere Herausforderung in der Auseinandersetzung mit Abweichungen liegt darin, dass diese nicht transparent sind und sich somit erst aus Erfahrungen in der Interaktion mit den Akteuren ergeben. Ebenso kann auch nicht von konsistentem Verhalten innerhalb aller Verarbeitungsschritte einer Verwertungsgesellschaft ausgegangen werden. Um damit umzugehen, wurde beispielsweise der CWR-Validator dahingehend erweitert, dass „akzeptierte Spezifikationsverletzungen“ ausgeblendet werden können und die auszublendenden Validierungsnachrichten nach Verwertungsgesellschaften gruppiert werden kann. All dies erschwert Kooperationsbeziehungen und Interaktionen genau an den Punkten, die ein Standard eigentlich verbessern soll.

Zusätzlich findet sich in der Spezifikation eine Vielzahl an Feldern, die explizit nur für bestimmte Verwertungsgesellschaften vorgesehen sind. So muss ein international agierender Verlag, der die von ihm vertretenen Werke bei verschiedenen Verwertungsgesellschaften anmelden möchte, sich jeweils an unterschiedliche Anforderungen dieser Gesellschaften anpassen. Etwas, was eigentlich mit der Schaffung eines Standards vermieden werden soll.

Die besonderen Schwierigkeiten der Akteure der Musikwirtschaft, sich auf einen gemeinsamen Standard und eine gemeinsame Datengrundlage zu einigen, erkennt man schon an der 2014 gescheiterten Initiative der Global Repertoire Database, an der alle großen Player der Musikindustrie bis hin zu IT-Konzernen wie Apple und Google beteiligt waren und die nach sechs Jahren Arbeit und investierten 10 Mio. € schlussendlich aufgegeben wurde.

Das Problem der Musikindustrie und ihrer Daten ist somit kein rein technisches, sondern viel mehr ein organisationales, was durch Befindlichkeiten, Machtansprüche und Festhalten an anachronistischen Herangehensweisen und Rollen gekennzeichnet ist. Da die Musikindustrie nun aber keinen geschützten, abgeschlossenen Markt darstellt und neue Akteure und politische Entscheidungen einen neuen Wettbewerbsdruck induzieren, ist Weiterentwicklung ein sehr wichtiges Ziel, um sich nicht noch einmal mit ähnlich disruptiven Effekten wie bei der Digitalisierung von Musik auseinandersetzen zu müssen und auch langfristig bestehen zu können.

8.1.7 Evolution der Datenformate

Die vorigen Abschnitte haben diverse Problematiken, logische Brüche und Inkonsistenzen in der Nutzung der bislang verbreiteten Datenformate im Kontext von Urheberrechten in der Musikindustrie aufgezeigt. Verschiedene, in anderen Branchen etablierte technische Ansätze könnten die nötige technische Evolution ermöglichen und zu signifikanten Verbesserungen führen. Nachfolgend werden einige, in absteigender Tragweite sortierte Verbesserungsansätze vorgestellt. Dabei steht wohlgemerkt der evolutionäre Gedanke im Vordergrund – es werden folglich keine technischen Revolutionen, sondern vielmehr konstruktive und erprobte Lösungsansätze in Bezug auf die genutzten Datenformate skizziert. Auch hier erfolgt die Argumentation wieder losgelöst von einem möglicherweise lösungsbeeinflussenden Kontext rein aus der subjektiven Sicht der Softwareentwicklung.

8.1.7.1 Änderung des Datenformates von Fixed-Length auf CSV/EDIFACT

Ein erster Schritt zur Modernisierung wäre eine Umstellung der veralteten Fixed Length Formate durch z. B. ein einfaches CSV-Format. Damit wäre beispielsweise das Problem der „Sender ID“ einer CWR Datei nicht aufgetreten (siehe Abschn. 8.1.1).

Durch die Verwendung eines einfachen, kommaseparierten Formats ergeben sich abgesehen von der flexiblen Feldlänge keine größeren Änderungen (siehe Abb. 8.4 – man beachte die starke optische Fragmentierung aufgrund der Leerzeichen im Fixed-Length-Format). Der notwendige Anpassungsaufwand aufseiten der Software wäre minimal. Eine weiterreichende Änderung wäre die Umstellung auf ein hierarchisches Format (siehe Abschn. 8.1.7.2).

Abb. 8.4
figure 4

Darstellung einer Beispieldatei als CWR (oben) sowie als CSV (unten)

In diesem Zuge ist es ebenfalls sinnvoll, die eher anachronistisch anmutende Einschränkung des Zeichensatzes auf eine Teilmenge des ASCII-Formates aufzuheben. Auch hier kann mit dem Unicode-Format UTF-8 auf einen etablierten StandardFootnote 5 zurückgegriffen werden. Dadurch könnte auch auf sämtliche umständlich hinzugefügte Record-Typen für den „kleinen“ Teil der Welt, denen die im lateinischen Alphabet definierten 26 Zeichen nicht ausreichen, verzichtet werden.

8.1.7.2 Änderung des Datenformates auf JSON oder XML

Die Nutzung eines CSV-Formats anstelle eines Fixed-Length-Formats bietet den Vorteil einer schnellen und aufwandsarmen Transformation. Nachteilig ist, dass einige strukturellen Aspekte nicht verbessert werden. Dies kann mit einer aufwendigeren Überführung in ein hierarchisches Datenformat adressiert werden.

Die Verwendung unterschiedlicher Recordtypen, jeweils durch die ersten drei Zeichen einer Zeile bestimmt, dient zum Darstellen unterschiedlicher Datensätze in einer Datei sowie einer impliziten hierarchischen Strukturierung durch in der Spezifikation angegebene Regeln. Diese sind für nicht technik-affine Personen sehr schwer nachzuvollziehen und erfordern eine Wiederherstellung dieser hierarchischen Struktur durch die Software. Auch hier erhöht sich die Komplexität und etwaige Fehlersuchen werden erschwert.

Es empfiehlt sich also die Verwendung eines Formates, welches die hierarchische Struktur nativ abbilden kann, wie beispielsweise das weitverbreitete JSON oder XML. Je nach Umsetzung wird damit zwar die Größe der resultierenden Datei erhöht, welche aber durch Verwendung kurzer Feldbezeichner und einer Vermeidung von Redundanzen durch Referenzen wieder verringert werden kann.Footnote 6

Die in Abb. 8.5 beispielhaft angegebene Umsetzung des Formates verwendet eingekürzte Feldbezeichner zur Reduzierung der Dateigröße auf Kosten der Lesbarkeit. Diese ist aber immer noch höher als bei einer herkömmlichen CWR-Datei. Weiterhin spielt sie bei der maschinellen Verarbeitung keine Rolle.

Abb. 8.5
figure 5

Beispielhafte Umsetzung eines CWR-Records als JSON-Format

Hinzu kommt, dass es für jede gängige Programmiersprache Bibliotheken zum Lesen von JSON oder XML-Dateien gibt, wodurch der Entwicklungsaufwand an dieser Stelle erheblich reduziert werden würde und zum Teil die komplette Datenstruktur automatisch aus den vorliegenden Dateien bzw. den Formatdefinitionen erstellt werden könnte. Dies würde zu einer massiven Vereinfachung der Erstellung von Softwarewerkzeugen zur Verarbeitung dieser Daten führen.

8.1.7.3 Entfernen überflüssiger Felder

CWR beinhaltet einen großen Teil an Feldern die äußerst selten oder nur von bestimmten Verwertungsgesellschaften benötigt werden. Diese blähen die Datenmenge stark auf und erschweren die Verarbeitung, da diese Felder ja auch bei Nichtnutzung (mit Standardwerten) gefüllt bzw. behandelt werden müssen.

Gerade verwertungsgesellschaftsspezifische Angaben könnten jedoch besser in optionale Strukturen verlagert werden, die bei Nichtbedarf einfach weggelassen werden könnten.

Verwertungsgesellschaftsspezifische Definitionen sollten nicht Bestandteil einer allgemeingültigen Spezifikation sein. Gleichzeitig ist jedoch eine formal definierte Möglichkeit, diese Daten in eine Datei zu integrieren, notwendig. Dies kann umgesetzt werden, indem in der Spezifikation eine entsprechende, allgemeine Struktur eingefügt wird, die dann von den jeweiligen Gesellschaften ausdefiniert werden kann. Abb. 8.6 zeigt eine beispielhafte Umsetzung als XML-Datei.

Abb. 8.6
figure 6

Mögliche Abbildung verwertungsgesellschaftsspezifischer Datenfelder

8.2 Anteile und Ökosysteme – Die unternehmerische Sicht

Die stärkere Durchdringung der Digitalisierung des geschäftlichen Alltags führt auch dazu, dass viele geschäftliche Fragestellungen auch Interdependenzen mit IT-Themen haben. Im Folgenden sollen daher Themen diskutiert werden, die zwar einen IT-Bezug aufweisen, jedoch ihren Ursprung stärker in unternehmerisch-organisatorischen Herausforderungen haben. Auch hier erfolgt die Darstellung als subjektives Meinungsbild aus der unternehmerisch-technischen Perspektive.

8.2.1 Vereinfachung der Anteilsstrukturen

Eine der Hauptaufgaben einer Verwertungsgesellschaft ist die möglichst gerechte Aufteilung der Tantiemen eines Werkes auf die beteiligten Urheber*innen. Durch eine Unterscheidung und Festlegung unterschiedlicher Rollen eines Werkes sowie der Einbeziehung der teils sehr komplexen Verlagskonstruktionen von Original-, Sub- und administrierenden Verlagen, einer möglichen Vertretung der Urheber*innen durch mehrere Verlage und schließlich einer unterschiedlichen Handhabung durch die Verwertungsgesellschaften, sind die entsprechenden Konstellationen zur Abbildung dieser Verhältnisse hochkomplex und damit fehleranfällig. Diese Komplexität schlägt sich auch in der Vielfalt möglicher Darstellungsformen der Anteilsarten nieder (siehe auch Abschn. 4.2). Dabei führt spätestens der Austausch dieser Informationen über mehrere Verwertungsgesellschaften hinweg häufig zu Widersprüchen, Unklarheiten oder fehlerhaften Daten.

AUTH% können in diesem Zusammenhang eine deutliche Vereinfachung bieten (siehe auch Abschn. 4.2.6). In der Reduktion dieser komplexen Strukturen hin zu einer rein prozentualen Aufteilung der beteiligten Urheber*innen – unabhängig von deren Rolle – liegen Potenziale (siehe Abb. 8.7). Sämtliche vertraglichen Beziehungen bis auf eine eventuelle Vertretung von Urheber*innen durch einen Verlag müssten eine Verwertungsgesellschaft theoretisch nicht interessieren, sondern liegen im Geschäftsverhältnis zwischen Urheber*in und Verlag. Dies würde zu einer erheblichen Vereinfachung der Werkanmeldung führen, sowie einen Austausch mit anderen Verwertungsgesellschaften nahezu problemlos machen.

Abb. 8.7
figure 7

XML-basiertes Beispiel für eine Darstellung der Beteiligung an der Urheberschaft eines Werkes

Die zu verteilenden Tantiemen können damit sehr einfach den jeweiligen Urheber*innen zugeordnet werden. Wie dieses Geld dann auf die vertretenden Verlage aufgeteilt wird, ist dann nicht mehr die Angelegenheit der Verwertungsgesellschaften. Sollten sich Autor*innen von einem Verlag bei der Verwertungsgesellschaft vertreten lassen wollen, kann das über entsprechende Daten (analog zum Agreement-Teil der CWR) an anderer Stelle hinterlegt werden.

AUTH% bieten eine mit geringem Anpassungsaufwand umsetzbaren Ansatz zur Vereinfachung der Darstellungen der Anteile an einem Werk. Werden Rollen mit angegeben, haben sie auch keine Einbußen hinsichtlich Ausdrucksmächtigkeit gegenüber Ansätzen wie ROLE% oder MANU%. Führt man den Ansatz der Generalisierung der Anteilsdarstellung von einer Anteilsart für einen konkreten Anwendungsfall hin zu einer anwendungsfallagnostischen, generischen Darstellung weiter, so wären GLOC% der nächste Schritt (siehe Abschn. 4.2.7). Gleichzeitig brechen diese mit verschiedenen Gepflogenheiten, sodass der damit verbundene Anpassungsaufwand für deren Nutzung deutlich größer ist und abseits von Fragen der technischen Umsetzung auch rechtliche Implikationen zu prüfen sind.

8.2.2 Digitale Ökosysteme – Moderne IT für Musikverlage und Verwertungsgesellschaften

Der Datenaustausch zwischen Musikverlagen ist von proprietären SystemenFootnote 7 einerseits und den CISAC-Standards andererseits geprägt. Dabei handelt es sich insbesondere im Kontext kleiner und mittlerer Verlage vorrangig um einen Datei-basierten Export und Import von Daten, nicht um Software-Schnittstellen.

Eine Plattform- und API-zentrierte Denkweise ist den Verwertungsgesellschaften immer noch fremd, ebenso den meisten Softwareentwickler*innen von Katalog-Managementsystemen. Datenverarbeitung über Schnittstellen wie REST-APIs, die in allen anderen Bereichen der Informationstechnik längst zum Standard gehören, findet nur langsam Eingang in die Welt der Musikwirtschaft, insbesondere auf der Urheberrechtsseite.

Ein Aufbrechen des Silodenkens ist ebenso erforderlich wie die Erkenntnis, dass eine fehlende Plattformstrategie nachhaltige Erfolge verhindert. Es fehlt an Kontinuität und Verlässlichkeit in den IT-Strategien der Verwertungsgesellschaften. Noch hat beispielsweise die GEMA den Plattform-Ansatz nicht verinnerlicht: sie neigt zu monolithischen Ansätzen, im schicken Gewand neuerer IT-Konzepte (Agile Entwicklung und das attraktive Design des neuen GEMA Dashboards). Tatsächlich kaschieren diese Strategien nur ein „not invented here“-Syndrom und ist die moderne Ausprägung von „Ängsten“, die nahezu allen IT-Playern der Musikwirtschaft anheim ist: Kunden auf Teufel komm’ raus an sich (allein) zu binden. Doch die Musikverlagswelt ist multipolar. Ein guter Teamplayer in der Wertschöpfungskette zu sein, ist essentiell.

Als eine Ausnahme bei den Verwertungsgesellschaften sei exemplarisch die Abteilung „Produkte“ der GEMA genannt, die sich mit beachtlicher Beharrlichkeit darum bemüht, der GEMA eine stärker plattformzentrierte Denkweise zugrunde zu legen und echte Schnittstellen, wie für „Soundfiles“ und zukünftig auch „AV-Meldungen“, erschafft.

Die API-basierte Öffnung von Spezialsoftware-Systemen und der IT von Verwertungsgesellschaften würde eine Eigendynamik aufseiten der Akteur*innen der Musikindustrie und darüber hinaus entwickeln. Der Datenaustausch untereinander würde gefördert, kurzfristig bessere Standards würden entwickelt und die Anbindung an Drittsysteme, wie CRM, Datenbanken und Web-Shops, ermöglicht.

Drei „Sharing“-Komplexe sind zu unterscheiden:

  1. 1.

    Sharing zwischen Nutzer*innen derselben Musikverlagssoftware (bspw. Abrechnung von Musikverlag A sind Einkünfte von Musikverlag B)

  2. 2.

    Sharing zwischen einem Musikverlag und seinen Lizenzgeber*innen (Lizenzgeberin B kann elektronisch auf ihre Lizenzabrechnung von Musikverlag A zugreifen)

  3. 3.

    Sharing zwischen Prozessteilnehmer*innen allgemein (siehe „Matching“ ff.)

Matching-Probleme gehört zu den hartnäckigsten Fehlerquellen und Effizienzvernichtern der Musikwirtschaft und insbesondere der Abrechnung von Werknutzungen. Drei Bereiche und ihre Idealprozesse stechen hervor:

  • Live: Meldung einer vollständigen, autoritativen Setlist pro Veranstaltung

  • Werke: Meldung einer vollständigen, autoritativen Beteiligtenliste pro Werk

  • AV: Meldung eines vollständigen, autoritativen Cue Sheets pro Episode

Allen drei Use Cases ist gemein, dass mehrere Akteur*innen zusammenkommen und kollaborativ Input zusammentragen und zu einem gemeinsamen Datensatz zusammenführen müssen.

8.3 Standards und Ausgleich – die Sichtweise des Marktes

Viele der in den vorangegangenen Abschnitten erörterten Herausforderungen sind den Marktteilnehmenden bekannt. Was die Lösungen betrifft, so sendet der Markt jedoch ambivalente Signale zwischen Konservatismus und Innovationsfreude. Dies soll im Folgenden näher dargestellt werden, wobei sich von der individuellen, professionsgebundenen Sichtweise der vorangegangenen Kapitel gelöst und versucht wird, eine breitere, allgemeinere, ausgleichendere und vielleicht auch weniger profilierte Sicht einzunehmen – die Betrachtung der Herausforderungen aus der Sicht des Marktes.

8.3.1 Music 2025: The Music Data Dilemma

Vor dem Hintergrund des exponentiellen Wachstums von Musikdaten und einer nicht mit diesem Wachstum schritthaltenden Erneuerung der technischen Infrastrukturen wurden im Rahmen der vom britischen Parlament in Auftrag gegebenen Studie „Music Data Dilemma 2025“ mehrere Interessengruppen der Musikindustrie zu verschiedenen Aspekten aus diesem Themenbereich befragt (Lyons et al. 2019). Zu den Studienteilnehmenden gehörten Unternehmen verschiedener Art, darunter Verwertungsgesellschaften, Verlage und Plattenfirmen. Durch eine Triangulation der verschiedenen Perspektiven ergab sich eine Reihe von Problemfeldern und Lösungsempfehlungen, welche die Meinungen aus den vorangegangenen Abschnitten teilweise stützen. Der Bericht umfasst 164 Seiten, weshalb eine vollständige Darstellung an dieser Stelle nicht erfolgen kann. Eine Auswahl an Themen wird jedoch im Folgenden aufgegriffen.

8.3.1.1 Daten-Infrastruktur

Die heute immer noch für die Verwaltung von Urheberrechten an Musikwerken und verwandten Schutzrechten genutzten Infrastrukturen wurden vor dem digitalen Zeitalter entwickelt. Sie sind für die Bewältigung der heutigen Datenmengen ineffizient, da sie einen hohen Anteil manueller Arbeit erfordern. Die Diskussion über Unstimmigkeiten in den Daten konzentrierte sich in der vorgestellten Studie hauptsächlich auf die Identifikatoren ISRC und ISWC. Aber auch allgemeine Probleme mit Metadaten in der Musikindustrie wurden in den folgenden Bereichen thematisiert:

  • Schlechte Praktiken im Umgang mit Metadaten: Mangel an Fachwissen, uneinheitliche Angaben zu gleichen Rechtsgegenständen

  • Schwierigkeiten bei der Vergabe von Identifikatoren wie ISRC und ISWC: Duplizierung, Asynchronität bei der Zuweisung

  • Mangel an Möglichkeiten für einen effizienten Zugang zu Metadaten (offene Standards, geschlossene Daten)

  • Inkonsistente Anteilsstrukturen

8.3.1.2 Politik, Lenkung und asymmetrische Machtverhältnisse

Im Rahmen der Studie kristallisierte sich ein Meinungsbild über den Markt der Musikwirtschaft heraus, das darauf schließen lässt, dass nicht mangelndes Vertrauen in technologische Innovationen, sondern der Protektionismus der Machtverhältnisse der Grund für seine Stagnation ist. Eine besondere Rolle spielen dabei auch die Verwertungsgesellschaften, die ihre Werkdatenbanken nicht ausreichend öffnen. In diesem Zusammenhang wurde auch das Scheitern der GRD genannt, das darauf zurückzuführen sei, dass sich die Verwertungsgesellschaften nicht über die Zuständigkeiten bei der Datenkontrolle einigen konnten. Der Mangel an Lenkung – in der Datenaufnahme und -überprüfung – der in der Studie als separater Punkt erwähnt wurde, steht damit in engem Zusammenhang, ebenso wie die Fragmentierung, das Silodenken der Akteur*innen. Diese Aspekte lassen sich auf die fehlende Bereitschaft zur Zusammenarbeit und den damit verbundenen Mangel an opportunistischen Anreizen, die aus Informationsasymmetrien resultierenden Machtvorteile aufzugeben, zurückführen.

8.3.1.3 Lösungsbereiche

Die Verfasser*innen des Berichts sprachen sich für die folgenden Lösungsbereiche aus:

  • Bildung: In der Studie wurde festgestellt, dass einige der Marktteilnehmenden (vor allem DIY-Künstler*innen) über unzureichende Kenntnisse in Bezug auf den Umgang mit Musikdaten hatten. Deshalb wurde an erster Stelle die Bildung von Lehrprogrammen zum Umgang mit industriell anerkannten Datenformaten vorgeschlagen.

  • Interoperabilität:

    1. 1.

      Verwendung von Identifikatoren (z. B. ISRC, ISWC)

    2. 2.

      Verknüpfungen zwischen Identifikatoren

    3. 3.

      Verknüpfung von Datenbanken

    4. 4.

      Standardisierung von Datenformaten

  • Lenkung: Das derzeitige Marktumfeld ist geprägt von Selbstbezogenheit, Opportunismus und Fragmentierung. Eine marktübergreifende Regulierung sollte gefördert werden, um die Angleichung und Zusammenarbeit wirtschaftlich attraktiv zu machen.

  • Kollaboration: Eng verbunden mit dem vorigen Punkt ist die Zusammenarbeit der Marktakteur*innen. Hierzu wäre ein Standardprotokoll zu etablieren, welches über ein bloßes Datenformat hinaus reicht.

8.3.2 Dominanz und Trägheit

Einige der in den vorangegangenen Ausführungen aufgestellten Forderungen zur Umgestaltung des Marktes der Musikwirtschaft betreffen die betriebliche und überbetriebliche Organisation der Verwertungsgesellschaften. Daher ist es auch wichtig, dediziert zu betrachten, wie sich Verwertungsgesellschaften zu diesen Belangen positionieren. Kefalas (2017) hat eine Interviewstudie mit Vertreter*innen von PRS, ICE und MCPS durchgeführt. Zu den behandelten Themen gehörten u. a. die bereits erwähnten Aspekte, wie die Fragmentierung der Rechteanteile und Angelegenheiten in der Datenverarbeitung. Darin wird erkennbar, dass sich die Verwertungsgesellschaften mit diesen Fragen durchaus befassen und bereits ein Bewusstsein der Herausforderungen und möglicher Lösungsbereiche existiert. Die Aussagen zeigen aber auch, dass die Verwertungsgesellschaften eine konservativ-protektionistische Haltung gegenüber ihrer Position auf dem Markt einnehmen. Im Folgenden werden einige Antworten der Vertreter*innen der Verwertungsgesellschaften aus der Originalquelle ins Deutsche übersetzt.

In erster Linie zeigt sich bei den befragten Verwertungsgesellschaften die Sehnsucht nach dem ursprünglichen Zustand, in dem sowohl das vor- als auch das nachgelagerte Geschäft horizontal unter ihnen aufgeteilt war, sodass jede Verwertungsgesellschaft nur mit Mitgliedern und Lizenznehmer*innen ihres Tätigkeitsbereichs zu tun hatte:

  • „Es war gut, als alles auf ein Land beschränkt war. Als der Rundfunk noch nicht über die Grenzen hinausging und bevor das Internet alles durcheinanderbrachte […]“

  • „[…] das Urheberrecht ist, wie Sie wissen, in der Art und Weise, wie es entwickelt wurde, territorial, und das bringt natürlich große Herausforderungen mit sich, wenn man in ein multiterritoriales oder globales Umfeld geht, für das die Industrie Lösungen entwickelt“

Das größte Problem bei der Umgestaltung des Marktes ist dabei aus der Sicht der Verwertungsgesellschaften, dass das Tagesgeschäft weiterlaufen muss und nicht alles heute auf „Stunde Null“ gestellt und morgen neu aufgebaut werden kann:

  • „Aber ich denke auch, wie ich schon sagte, wenn wir zwei Jahre Zeit hätten, alles von Grund auf neu aufzubauen, könnten wir das tun und bräuchten nicht die Hälfte der Leute, die hier arbeiten. Ich denke, alle Verwertungsgesellschaften haben dieses Problem, weil vieles sehr ‚handarbeitsintensiv‘ ist. Man braucht viel menschliches Eingreifen bei vielen dieser Dinge, da es sich nie um perfekte Werkdatenbanken gehandelt hat […]“

Was aus Verlagssicht leicht vorstellbar und technisch einfach umzusetzen ist, scheitert nicht am mangelnden Verständnis der Verwertungsgesellschaften, sondern an den mangelnden Anreizen zur Durchsetzung eines marktübergreifenden, einheitlichen Protokolls. Die Verwertungsgesellschaften sprechen zwar über die Voraussetzungen für ein besseres Funktionieren des Marktes, aber es ist auch ersichtlich, dass dies auf eine idealisierte und realitätsferne Weise geschieht. Die für eine solche Umgestaltung erforderlichen Investitionen sind angesichts des Risiko-/Nutzenverhältnisses wirtschaftlich kaum zu legitimieren:

  • „Ich denke, es ist von entscheidender Bedeutung, dass wir eine einzige autoritative Quelle für Informationen über die Eigentumsverhältnisse bekommen, denn viele der Probleme und Herausforderungen, denen wir uns derzeit gegenübersehen, rühren daher, dass es konkurrierende Versionen der Wahrheit darüber gibt, wer die spezifischen Rechte besitzt oder vertritt […]“

  • „Ich denke, allmählich setzt sich die Einsicht durch, dass man, wenn man ein fragmentiertes Rechtebild haben will, Wege finden muss, dies zu ermöglichen, aber mit Standardisierung. (…) Wir sind der Meinung, dass Daten und Referenzdaten verbindlich sein müssen. Ein einziger Ort für diese Daten ist absolut sinnvoll. Aus diesem Grund waren wir große Fans der GRD. (…)“

  • „[…] Was im letzten Jahr funktioniert hat, muss im nächsten Jahr nicht mehr funktionieren. Darin liegt die Herausforderung. Denn es geht um große Gesellschaften, große Investitionen und Plattformen. Wenn man hier standardisierte Daten haben will, ist das eine Herausforderung. Man muss alle dazu bringen, sich daran zu beteiligen.“

Die hier vorgelegten Äußerungen sind inzwischen ein halbes Jahrzehnt alt. Alles in allem zeigt sich somit, dass in den Meinungskapiteln kein unbekanntes Übel diskutiert wurde, sondern eines, das im Markt bekannt ist und teilweise bewusst hingenommen wird.

Diese Thematik ist keineswegs einzigartig für die Musikwirtschaft und weckt bspw. Assoziationen zur Bankenbranche. Auch über den Bankensektor könnte behauptet werden, dass er: „durch Befindlichkeiten, Machtansprüche und Festhalten an anachronistischen Herangehensweisen und Rollen gekennzeichnet ist.“ Bei näherer Betrachtung lässt sich jedoch feststellen, dass der Aufwand, Risiko, Nutzen und die Zeit, die für die Umstellung auf neue Formate und Verfahren erforderlich sind, wirtschaftliche Erwägungsfaktoren sind.

In der Bankenwelt stellt die Migration auf die XML-basierten MX-Formate (UNIFI; ISO 20022) einen Wendepunkt im SWIFT-Zahlungsverkehr dar. Die Umsetzung der bisher vorherrschenden MT-Formate ist so inkonsistent, unstrukturiert und unvollständig, dass grenzüberschreitende Zahlungen behindert werden (SWIFT 2022) – mit entsprechenden Auswirkungen auf die Kundenzufriedenheit. MT-Nachrichten erinnern in vielen Hinsichten an die in diesem Buch vorgestellten EDI-Formate. Der MT-Nachrichtenaustausch wurde bereits in den 1970er Jahren entwickelt und basiert auf einer frei definierten Syntax. Im Gegensatz zum MX-Format haben MT-Nachrichten eine schlankere Syntax, die angesichts der damals hochpreisigen Datenhaltungs- und Kommunikationskosten günstiger war. Dadurch erlauben solche Formate in der Theorie einen höheren Datendurchsatz und können daher als effizienter angesehen werden. Aber die Praxis zeigt, dass die Probleme beginnen, sobald die Realität von der Formatbeschreibung abweicht und sich somit nicht abbilden lässt. An diesem Punkt beginnt die Verständlichkeit des Nachrichtenaustauschs an Ausnahmen, Umgehungen und dem Missbrauch von Datenfeldern zu leiden. Wären MT-Nachrichten in der Lage, die Realität konsistent abzubilden und einheitlich etabliert, also von allen Beteiligten in gleicher Weise genutzt, wären sie auch heute kostengünstiger im Einsatz als eine XML-Alternative. Die Praxis zeigt jedoch, dass dies Wunschdenken bleibt.

Die Einführung des neuen XML-basierten Standards ISO 20022 verspricht eine höhere Datenqualität, Transparenz und dadurch induzierte Effektivität im Nachrichtenaustausch. Für die Migration sind ab November 2022 drei Jahre eingeplant. Um eine reibungslose Umstellung zu ermöglichen, bietet SWIFT einen Übersetzungsdienst und eine Testumgebung für die MT/MX-Interoperabilität an. Offen bleibt, ob sich Banken nicht dazu verleiten lassen werden, ihre Altsysteme so lange wie möglich am Laufen zu halten und die obligatorische Migration nur über Konvertierungsdienste zu unterstützen: In diesem Fall würde ein Mehrkostenfaktor entstehen und sich einige Einschränkungen ergeben, da es keine 1:1-Abbildung zwischen den MT-/MX-Formaten gibt. Sicher ist jedoch, dass diese Veränderungen die Bankenwelt noch einige Jahre beschäftigen werden. Es ist auch klar, dass die Norm nicht aus heiterem Himmel kam; eine verworfene Fassung von ISO 20022 wurde bereits 2004 veröffentlicht. Die Zeit bis zur Markteinführung muss daher bei solchen Überlegungen stets berücksichtigt werden.

Das Hauptargument für XML-Formate anstelle domänenspezifischer EDI-Formaten ist die einfachere Handhabung in der Weiterentwicklung. Aber kann nun generell davon ausgegangen werden, dass XML- oder JSON-basierte Formate besser sind als domänenspezifische EDI-Formate? Nein, denn die Antwort auf diese Frage hängt von der Voraussicht bei der Spezifikation des Datenformats und der Durchsetzung im Marktumfeld ab.

Die einheitliche Durchsetzung eines Datenformats könnte durch die Veröffentlichung maschinenlesbarer, strukturierter Beschreibungen anstelle von Freitextdefinitionen in natürlicher Sprache oder auch mit der Etablierung eines Validierungsangebots gefördert werden. Dies würde eine spezifikationskonforme und einheitliche Nutzung von Daten fördern. Ob die Definition als EDI-, CSV-, XML- oder JSON-Schema erfolgt, wäre dabei unerheblich. Die Überprüfung, ob alle Beteiligten die gleiche Version der Formatdefinition verwenden, könnte automatisiert werden.

Doch wie der Einblick in den Bankensektor und die Haltung der Verwertungsgesellschaften gezeigt haben, kann dies nicht über Nacht geschehen. Und je stärker die Marktdominanz der Marktteilnehmenden ist, desto höher ist ihre Innovationsträgheit – denn warum sollte man ein System ändern, das nicht zu umgehen ist?

8.3.3 Anteilsstrukturen – Krankheit oder Symptom?

Wie das folgende Zitat aus der Studie von Kefalas (2017) zeigt, sind sich die Verwertungsgesellschaften durchaus bewusst, dass die Handhabung von Anteilsstrukturen verbesserungsfähig ist:

  • „[…] Wenn zum Beispiel drei Leute einen Song schreiben, kann man nicht 1/3 und 1/3 sagen, sondern muss 33 % sagen. Also meldet jeder seinen Anspruch für seinen*ihre Songwriter*in mit 33,34 % an. Wenn man eine*n Autor*in mit 33,34 % anmeldet, kommt man auf über 100 %. Dadurch wird der Song zum Streitfall. Man muss also über diese Protokolle nachdenken, um Zeit und Geld zu sparen. Alle müssen sich auf ein Protokoll für Daten einigen, um die Datenverarbeitung zu erleichtern.“

Das Zitat zeigt ein Bewusstsein über zwei Aspekte der widersprüchlichen Deklaration von Anteilsstrukturen: Inkonsistenzen bei mehreren Anmeldenden und Problematiken bei der Darstellung von Anteilen als Brüche oder periodische Dezimalzahlen. Inwiefern diese Probleme durch die Anmeldung der Werke über AUTH% oder GLOC% gelöst werden sollen – wie in Abschn. 8.2 postuliert – bleibt unklar. In Abb. 8.7 wird eine strukturierte Darstellung der „Urheberschaft“ an einem Werk aufgezeigt, die angeblich die Werkanmeldung durch Vereinfachung der Anteilsstrukturen erleichtern soll. Damit werden die Probleme, die in dem Zitat der Verwertungsgesellschaft angesprochen werden, jedoch nicht gelöst: In dem vorgestellten Beispiel ergeben die Anteilsangaben insgesamt 100 %. Um eine solche Konstellation bei der Werkanmeldung zu erreichen, müssen mehrere Bedingungen gegeben sein: Zum einen müssen alle Autor*innen des Werks in einem Vertretungsverhältnis zu dem Anmeldenden (Verlag) stehen. Ist dies nicht der Fall, z. B. im Fall von Werken, die von Autor*innen geschaffen wurden, die von unterschiedlichen Verlagen vertreten werden, so kann eine solche Anmeldung gar nicht stattfinden – die Anteile wären jeweils durch die zuständigen Verlage einzeln zu deklarieren.

Das Problem der Unmöglichkeit einer Abbildung von Brüchen oder periodischen Dezimalzahlen wird ebenfalls nicht behandelt. Es ist fraglich, ob sich durch die Reduktion der Informationen in der Deklaration von Werkanmeldungen, sich überhaupt Vereinfachungen in der Zuordnung von Tantiemen ergeben. Insgesamt stellen die in Abschn. 4.2 vorgestellten Anteilsstrukturen Perspektiven auf ein ganzheitliches Bild dar, das bisher nur latent existiert. Die Position, dass die Unterscheidung der Rollen der Beteiligten bei der Anmeldung von Werken nicht stattfinden sollte, wie im Fall von GLOC%-Anteilsstrukturen, lässt sich auch aus rechtlicher Sicht kaum verteidigen – denn dies verleiht der Wahrnehmungsrolle der Verwertungsgesellschaft in der Vertretung der Werke eine Unschärfe. Die Wahrnehmung beruft sich auf die international weitestgehend harmonisierte Gesetzeslage, die unterschiedliche Urheberrechte für literarische Werke (von Textdichter*innen) und von musikalischen Werken (von Komponist*innen) vorsieht. Der Verlag bekommt währenddessen keine Urheberschaft, ihm werden von den Urheber*innen ausschließliche Nutzungsrechte an den von ihm vertretenen Urheberwerken verliehen (siehe auch Abschn. 2.3), für deren einfache Einräumungen (Lizenzen) er Tantiemenanteile bekommt.

Durch die Abstraktion von diesen Tatsachen verschwimmen die Grenzen der Rechtsverhältnisse, wodurch das Wahrnehmungsverhältnis der Verwertungsgesellschaft für ein Werk unklar bleibt. Es ist wichtig, dass die Transparenz darüber gewahrt bleibt, aus welchem Rechtsanspruch sich der Vergütungsanspruch überhaupt ergibt. Das Ausmaß einer solchen Unschärfe ist insbesondere bei der Nicht-Trennung von Leistungsschutz- und Urheberrechten zu bedenken, die im Falle von GLOC% hinzutritt, wo es unterschiedliche Verantwortlichkeiten in den Wahrnehmungsbeziehungen der Verwertungsgesellschaften gibt. Die eindeutige Deklaration der Rollen der Beteiligten ist außerdem in jedem Fall bei a priori von der Verwertungsgesellschaft festgelegten Tantiemenanteilen (wie z. B. in der Basis-Verteilung der GEMA) erforderlich – wie auch immer das Datenformat hierfür aussehen mag.

Vielversprechender scheint ein plattformorientiertes Umdenken zu sein, bei dem die Werkanmeldung bei der Verwertungsgesellschaft erst dann erfolgt, wenn alle Rechtsverhältnisse und die entsprechenden Beteiligungsstrukturen abschließend geklärt und entsprechend digital abgebildet sind. Erst nach der digitalen Wahrheitsfindung würde die Anmeldung des Werkes erfolgen, damit es gar nicht erst zu Streitigkeiten kommt. Es müsste also eine Plattform geben, und dies resoniert auch mit den in Abschn. 8.2.2 formulierten Überlegungen, auf der alle Verlage, Urheber*innen und andere Beteiligte ihren Anspruch auf Werke geltend machen können, bevor die Werkanmeldung bei einer Verwertungsgesellschaft, oder besser noch bei einer zentralen Werkdatenbank erfolgt.

Die Zusammenarbeit aller Beteiligten bei der Schaffung einer Grundwahrheit über die Werkdaten ist also ebenso notwendig wie Datenformate, die Beteiligungsstrukturen jeglicher Art abbilden können, um ein vollständiges und konsistentes Bild der Rechtsverhältnisse eines Werkes und der Vergütungsansprüche zu schaffen. Wie die Datenintegration an dieser Stelle jedoch in Zukunft erfolgen soll, ist eine offene Frage.

MusicMark ist bspw. eine Initiative der drei angloamerikanischen Verwertungsgesellschaften ASCAP, BMI und SOCAN, die den Prozess der Werkanmeldung im Verbund vereinheitlicht. Damit wird zwar das Problem einer einheitlichen Abbildung der Werkdaten unter den Verwertungsgesellschaften gelöst, nicht aber das vorgelagerte Problem möglicher Streitigkeiten über die Beteiligungsverhältnisse an einem Werk. In diesen Hinsichten haben neue Marktteilnehmer*innen einen großen Vorteil: Sie können Systeme völlig neudenken und müssen nicht schrittweise auf bestehenden Altsystemen aufbauen. An dieser Stelle ist der Ansatz von „Verifi Media“Footnote 8 zu nennen, bei dem Akteur*innen der Musikindustrie Daten über ihre Werke und zugehörige Rechtsgegenstände auf einer gemeinsamen, dezentralen (blockchain-basierten) Plattform pflegen. Auf diese Weise können bspw. widersprüchliche Werkanmeldungen reduziert oder bestenfalls ganz vermieden werden, wenn alle Beteiligten die Plattform nutzen sollten. Ein ähnliches Konzept verfolgt auch die Plattform „Auddly“Footnote 9, wobei Songwriter*innen die zentralen Akteur*innen darstellen und die Plattform als eine Datendrehscheibe für Verlage und Verwertungsgesellschaften dient (aktuell: STIM, PRS for Music und ASCAP).

Insgesamt lässt sich sagen, dass Streitigkeiten, die sich aus widersprüchlichen Erklärungen von Anteilsstrukturen ergeben, keine Krankheit sind, sondern ein Symptom des bestehenden Marktes, der bisher keine hinreichenden Anreize für die Zusammenarbeit der Akteur*innen in diesen Belangen geboten hat.

Es hat lange gedauert, bis die monopolistischen Strukturen der Verwertungsgesellschaften, die auf ausschließlichen Rechtsansprüchen in ihren eigenen Territorien beruhen, durch den Druck anderer Marktteilnehmenden langsam zu bröckeln begannen und sich der Markt – zumindest im Online-Bereich – in Richtung einer stärkeren Zusammenarbeit entwickelt hat. Ein vehementes Marktsignal setzte dabei die Gesetzgebung durch die Richtlinie 2014/26/EU (siehe Abschn. 2.2.1). Während Verbünde wie ICE übergreifende Repertoires und IT-Systeme pflegen, müssen diese auf leichtgewichtigen Prinzipien wie der freien Vereinbarkeit und Ableitungslogik basieren, um einen beherrschbaren Komplexitätsgrad zu erreichen (GEMA 2022b). Mit derartigen einheitlichen Protokollen kann es möglicherweise zu einer nachhaltigen Veränderung des Marktes kommen. Allerdings sollte die Gesetzgebung darauf achten, dass die bisherigen territorialen Monopolstrukturen nicht durch einen globalen Monopolismus abgelöst werden, bei dem der Interessenausgleich zwischen Lizenznehmer*innen, Rechteinhaber*innen und Verwertungsgesellschaften gefährdet werden würde.