Die Verwertung von Urheberrechten an Musikwerken ist ein komplexes Gefüge mit unterschiedlichen Akteursgruppen, vielschichtigen rechtlichen Perspektiven durch die zahlreichen Verwertungsmöglichkeiten von Musik sowie einer Vervielfachung vorgenannter Dimensionen durch die fortschreitende Internationalisierung der Verwertung. Die folgenden Kapitel unterstützen den Einstieg in die Thematik und legen die Grundlagen für die weiterführenden Themen.

Den Ausgangspunkt bilden die Vorstellung der Rechtsgrundlagen sowie die Einführung der Akteure und ihre Einordnung in die Wertschöpfungskette (Abschn. 2.1). Wie ihr Name bereits suggeriert, sind Verwertungsgesellschaften an zahlreichen Verwertungsmöglichkeiten als Bindeglied zwischen Lizenznehmer*innen und Lizenzgeber*innen beteiligt, weshalb ein Blick auf deren Marktstruktur und ihre Rolle in der Wahrnehmung von Musikurheberrechten einen weiteren wichtigen Aspekt darstellt (Abschn. 2.2). Dieser Markt existiert jedoch nicht losgelöst von externen Einflüssen. Die durch Digitalisierung getriebene Verdichtung der globalen Musikverwertung sowie die aus politischen Bestrebungen resultierenden rechtlichen Änderungen bewirkten eine starke Dynamisierung auf dem Markt der Verwertungsgesellschaften. Eine wesentliche Entwicklung ist dabei die Möglichkeit direkter Mitgliedschaften von Urheber*innen und Verlagen bei mehreren internationalen Verwertungsgesellschaften (Abschn. 2.2.2), eine Entwicklung, die auch Änderungspotenzial für den gesamten Markt der Verwertungsgesellschaften hat (Abschn. 2.2.5).

Den zweiten großen inhaltlichen Block dieses Kapitels bilden die Ausführungen zu Musikverlagen, welche neben den Verwertungsgesellschaften ebenfalls im Kern Verwaltungseinheiten darstellen, die Rechteinhaber*innen bei der wirtschaftlichen Wahrnehmung ihrer Urheberrechte unterstützen. Hier wird in Abschn. 2.3.1 ein kurzer Blick auf die Historie von Musikverlagen geworfen, mit Schwerpunkt auf das Zusammenspiel mit Verwertungsgesellschaften. In den Abschn. 2.3.2 sowie 2.3.3 wird den Fragen nach der Rolle und den Herausforderungen von Verlagen in Gegenwart und Zukunft nachgegangen.

2.1 Rechtliche Grundlagen und Verwertungsstrukturen

Die Verwertung von Urheberrechten als Wirtschaftsgüter kann auf drei Ebenen betrachtet werden. Dies ist zunächst die rechtliche Sicht auf das Urheberrecht und dessen legitimen Schutz (erste Ebene). Weiterhin ist dies die Übertragbarkeit von Werknutzungsrechten von den Rechteinhaber*innen an Dritte. Dazu zählt die betriebliche Sicht der kontrollierten Einräumung von Nutzungsrechten (zweite Ebene) und die überbetriebliche Sicht, die weiter abstrahiert und die zwischengesellschaftlichen Verwertungsstrukturen in den Blick nimmt, die bei der Einräumung von Nutzungsrechten zwischen Verwaltungseinheiten auftreten (dritte Ebene).

2.1.1 Die rechtliche Ebene: Legitimation von Urheberrechten

Urheber*innen haben umfassende Ausschließlichkeitsrechte an ihren kreativen Schöpfungen, die durch mehrere internationale Verträge weitestgehend harmonisiert sind: Beiträge hierzu leisten vor allem die (revidierte) Berner Übereinkunft (RBÜFootnote 1), welche zum aktuellen Stand von 179 LändernFootnote 2 unterzeichnet wurde, sowie der WIPO-Urheberrechtsvertrag (WCTFootnote 3).

Grundsätzlich werden zwei Arten von Urheberrechten unterschieden: Persönlichkeits- und Verwertungsrechte. Während die Persönlichkeitsrechte die Urheberschaft und die Integrität der Urheber*innen schützen (siehe u. a. Art. 6bis RBÜ; § 12–14 UrhG), sind Verwertungsrechte Gegenstand diverser Verwertungsstrukturen der Öffentlichkeit. Tab. 2.1 bietet einen Überblick relevanter Verwertungsrechte.

Tab. 2.1 Überblick relevanter Verwertungsrechte

Nicht zu den Urheberrechten selbst gehören die Leistungsschutzrechte. Jene Rechte schützen Leistungen, die der kreativen Schöpfung von Werken ähneln oder mit Werken zusammenhängen, aber nicht im unmittelbaren Interesse des Werkes selbst zu schützen sind. Diese sind in Deutschland in den §§ 70–95 UrhG geregelt.

Während die Rechtsverweise in Tab. 2.1 zeigen, dass die internationalen Übereinkünfte weitestgehend eindeutig in deutsches Recht transponiert wurden, unterliegt die Gegenwartsbezogenheit der Gesetzeslage durch technologischen und gesellschaftlichen Wandel stetiger Prüfung.

Um die Allgemeingültigkeit der Gesetzeslage in der Zeitläufte zu schützen, steht die Legislative vor der ständigen Herausforderung, Gesetze gleichzeitig so abstrakt wie möglich und so konkret wie nötig zu schreiben. Da die Begriffsinhalte der Verwertungsrechte somit nicht immer klar definiert sind, spiegelt sich dies in erster Linie in unterschiedlichen richterlichen Auslegungen.

So wird häufig der Begriffsinhalt des Bearbeitungsrechts debattiert. Einerseits sind die Grenzen zwischen einer Bearbeitung und einem neu geschaffenen Werk mit „hinreichenden Abstand zum benutzten Werk“ (§ 23 Absatz 1 Satz 1 UrhG) nicht klar definiert. Zwar können unterschiedliche Maße, wie die Schöpfungshöhe der Veränderung des Werkes (Frieler und Müllensiefen 2020) oder die Erkennbarkeit des Originalwerks (Czychowski und Düstersiek 2020) zur Beurteilung hinzugezogen werden, doch sind diese subjektiver Natur und lösen somit die Rechtsunsicherheit nicht auf. Andererseits sind auch die Grenzen zwischen einer einfachen Interpretation mit geringfügigen Anpassungen und einer Bearbeitung ebenfalls nicht streng gezogen. Auch hier lässt die Legislative aufgrund ihrer Unbestimmtheit viel Spielraum für richterliche Auslegungen zu.

Eine unzureichende Abgrenzung des begrifflichen Inhalts und damit verbundene Rechtsunsicherheiten können zu einem geringeren Rechtsschutz sowohl aufseiten der Rechteinhaber*innen als auch aufseiten der Nutzer*innen führen. So prüfte das Amt für Urheberrechte der Vereinigten Staaten 2016 die nationale Implementierung des Rechts der öffentlichen Zugänglichmachung. Das Amt stellte fest, dass die bislang bestehende nationale Gesetzeslage alle Instanzen der oft in diesem Zusammenhang erwähnten Verwertungen, wie solchen von On-Demand Streamingdiensten, abdeckt. Auch prüfte das Amt die Implementierung des Rechts im Ausland sowie die Praktizierbarkeit der Änderung. Die Empfehlung fiel auf die Beibehaltung der bestehenden Gesetzeslage.

Doch gerade in solchen Klärungsverfahren zeigt sich, dass die formelle Ausgestaltung der Wahrnehmung von Verwertungsrechten Sicherheit bei ihrer Durchsetzung schafft. Die Einräumung von Nutzungsrechten im Zusammenhang der vorgenannten Verwertungsrechte von Inhaber*innen an Dritte ist zugleich ihre wirtschaftliche Legitimation und Voraussetzung für ihre zentralisierte Verwaltung.

2.1.2 Die betriebliche Ebene: Die Einräumung von Nutzungsrechten

Die kontrollierte Einräumung und Verwaltung von Nutzungsrechten ist eine komplexe Aufgabenstellung, welche bei hohem Nutzungsaufkommen von einzelnen Rechteinhaber*innen kaum zu bewältigen ist, sodass ihre Übernahme durch größere Verwaltungseinheiten, wie Verlagen und Verwertungsgesellschaften, eine attraktive Option für Urheber*innen darstellt. Mit der gebündelten Verwaltung von Nutzungsrechten können diese Skaleneffekte erzielen und Verwaltungskosten senken.

Die Einräumung von Nutzungsrechten kann wahlweise einfach oder ausschließlich (exklusiv) sowie uneingeschränkt oder zeitlich, räumlich bzw. inhaltlich begrenzt erfolgen (§ 31 UrhG). In der Regel erfolgt die Einräumung von Rechten an Verlage und Verwertungsgesellschaften von ihren ursprünglichen Rechteinhaber*innen in ausschließlicher Form.Footnote 4 Je nach Größe verhandeln Verwaltungseinheiten wie Verlage oder Verwertungsgesellschaften (einfache) Nutzungsrechte an dem von ihnen verwalteten Repertoire mit einem umfangreichen Netz von Lizenznehmenden, das im Fall von Musikurheberrechten von lokalen Gastronomiebetrieben bis zu globalen Plattformen wie Streamingdiensten reicht. Die Nutzung der Rechte durch Dritte ist angemessen zu vergüten (§ 32 UrhG).

Die Geschäftsmodelle von Verwertungsgesellschaften und Verlagen ähneln sich hierbei im Wesentlichen, da sie zwei Märkte gleichzeitig bedienen: den vorgelagerten (upstream) Markt, der sich an die Urheber*innen richtet, und den nachgelagerten (downstream) Markt, der sich an die Lizenznehmenden richtet.

Auf der Seite von Rechteinhaber*innen übernehmen Verlage die Aufgabe, deren Werke zu vervielfältigen und zu verbreiten. Urheber*innen profitieren vor allem durch künstlerische und finanzielle Unterstützung durch die Verlage, sowie durch ihre Geschäftsbeziehungen, Vermittlungs- und Werbedienste. Zudem agieren Verlage häufig gemeinsam mit Verwertungsgesellschaften (Europäische Kommission 2018, S. 4).

Verwertungsgesellschaften konzentrieren wiederum die Kataloge einer breiten Menge an Verlagen und anderer Rechteinhaber*innen. Verwertungsgesellschaften unterliegen im Hinblick auf die Wahrnehmung und Lizenzierung der von ihnen verwalteten Gegenstände zu angemessenen Bedingungen einem doppelten Kontrahierungszwang gegenüber ihren Rechteinhaber*innen (§ 9 VGG) und Lizenznehmer*innen (§ 36 VGG). Aufgrund entsprechender Skaleneffekte sind sie in der Lage, Nutzer*innen ihres Repertoires einen breitflächigen Zugang zu geringeren Kosten zu bieten, sowohl in Bezug auf die bei diesen entstehenden Suchaufwand als auch auf die direkten Lizenzgebühren. Eine wichtige Voraussetzung hierfür ist die Vereinheitlichung der Lizenzierungsprozesse, welche sich in der festen Definition von „Rechtebündeln“, in Standardverträgen mit Rechteinhaber*innen und entsprechenden Pauschaltarifen für Lizenznehmer*innen widerspiegelt. Pauschaltarife haben den Effekt, dass die Höhe der Lizenzkosten nicht von einem bestimmten Werk abhängt, sondern von Nutzungsart und -umfang des Repertoires einer Verwertungsgesellschaft. In der Regel müssen Lizenznehmer*innen nach erfolgter Nutzung darüber berichten, welche Werke sie im Rahmen der erworbenen Lizenzrechte genutzt haben. Auf dieser Grundlage nimmt die Verwertungsgesellschaft dann die Verteilung der Tantiemen vor.Footnote 5

Demzufolge sind die Aufgaben von Verwertungsgesellschaften deutlich administrativer. Diese bestehen vorwiegend in der Lizenzierung von Nutzungsrechten, der Überwachung und Prüfung ihrer Rechtmäßigkeit sowie des Inkassos von Lizenzgebühren und der ihm folgenden Abrechnung von Tantiemenzahlungen an die zugehörenden Rechteinhaber*innen (WIPO 2004, S. 100–124; Andersen et al. 2000). Abb. 2.1 veranschaulicht die soeben dargestellten Verwertungsstrukturen und umreißt damit den vorgelagerten wirtschaftlichen Wertschöpfungskreislauf für Urheberrechte an Musikwerken.

Abb. 2.1
figure 1

Veranschaulichung der vorgelagerten Verwertungsstrukturen

Der Ankerpunkt des nachgelagerten Wertschöpfungskreislaufs sind die Nutzungsrechte, die von Lizenznehmenden erworben werden. Verwertungsgesellschaften lizenzieren vor allem Nutzungsrechte, die standardisiert tarifiert werden können und eine geringere Nähe zum Werk aufweisen – dies sind vor allem die sogenannten mechanischen RechteFootnote 6 (MR) und AufführungsrechteFootnote 7 (AR). Verlage hingegen lizenzieren Rechte, die sehr eng mit den Werken zusammenhängen, z. B. grafische Rechte (Notensatz), Bearbeitungsrechte und große Rechte (bühnenmäßige Aufführungen) nach individueller Erwägung. Näheres hierzu wird Abschn. 2.3 beschrieben.

Eine überaus beliebte Nutzungsart im Zusammenhang mit Bearbeitungsrechten ist die Kombination von vertonten Musikwerken mit bewegten Bildwerken (vgl. Music Industry Insights 2018). Die Nutzungsrechte für die Herstellung und Verbreitung solcher multimedialer Werke werden häufig zusammen mit den leistungsschutzrechtlichen Einräumungen unter den Bezeichnungen „Herstellungsrechte“, „Synchronisationsrechte“ oder kurz „Sync“ lizenziert.

Nutzungsrechte können auf unterschiedliche Weise gebündelt und somit in verschiedenen Rechtebündeln lizenziert werden – ein Sachverhalt, der mit zunehmenden Nutzungsoptionen komplexer wird, sowohl für Rechteinhaber*innen als auch für Lizenznehmende. Die Individualisierbarkeit der Lizenzierungsprozesse kann rechtliche Unsicherheiten mit sich ziehen, gerichtliche Klärungsverfahren erfordern, zu höheren Verwaltungskosten und Lizenzierungskosten führen und somit Unzufriedenheit auf dem Markt stiften (Bristows 2014).

Dies ist insbesondere bei internationalen geschäftlichen Aktivitäten relevant, da hier begriffliche Unklarheiten und Ambiguitäten recht deutlich zu Tage treten. Um eine detaillierte Übersicht der verschiedenen Rechtebündel bei der Verwertung von Urheberrechten an Musikwerken zu erstellen, haben wir die Transparenzberichte von 21 Verwertungsgesellschaften der Europäischen Union sowie die dort aufgeführten lizenzierten Nutzungsarten untersucht (Miller und Klingner 2022b).

Die Verwertungsgesellschaften verwendeten unterschiedliche Bezeichnungen für dieselben Begriffe, gruppierten die Lizenzerträge und Tantiemenverteilungen meist nach den oben aufgeführten Hauptkategorien (mechanische Rechte und Aufführungsrechte), seltener aber auch nach den durch internationale Verträge wie die Berner Übereinkunft und den WIPO-Urheberrechtsvertrag harmonisierten Verwertungsrechten und schließlich am häufigsten nach Nutzungsarten unter Bezugnahme auf die konkreten Praxiskonstellationen. Bei den letztgenannten Gruppierungen waren, wenig überraschend, die größten Unterschiede in der Einordnung der Lizenzerträge und Tantiemenverteilungen zu verzeichnen. Die meisten Nutzungsarten ließen sich jedoch anhand von vier Metakonzepten klassifizieren:

  • 1. Die betroffenen Verwertungsrechte/die ihnen übergeordneten Kategorien.

  • 2. Die Art des/der Lizenznehmenden.

  • 3. Das Endnutzermedium.

  • 4. Die Repräsentations- /Manifestationsform des Werkes.

Für jedes Metakonzept wurden auf der Grundlage der Transparenzberichte mehrere Elementarkonzepte, also Instanzen der Metakonzepte, ermittelt. Die Nutzungsarten lassen sich somit durch die Verbindung von Elementarkonzepten verschiedener Arten von Metakonzepten beschreiben (siehe Abb. 2.2).

Abb. 2.2
figure 2

Nutzungsarten in der Verwertungspraxis von Verwertungsgesellschaften

Sicherlich spiegeln die Nutzungsarten in Abb. 2.2 nicht alle Varianten von Wahrnehmungspraktiken von Verwertungsgesellschaften wider, doch dürften sie einen facettenreicheren Überblick bieten als die herkömmliche Unterscheidung nach den Hauptnutzungskategorien (AR/MR) oder nach individuellen, vage definierten Rechtsbegriffen. Mit einer einheitlichen Kommunikation über die Verwertungswege, einer Terminologie der Nutzungsarten, könnten Sachverhalte schneller konkretisiert werden, was die Kommunikation und Vergleichbarkeit erheblich vereinfachen kann. Die eindeutige Benennung von Nutzungsarten ist eine wichtige Voraussetzung für die Etablierung einer branchenweiten Sprache, die über betriebliche und auch nationale Grenzen hinausgeht.

2.1.3 Die überbetriebliche Ebene: zwischengesellschaftliche Verwertungsstrukturen

Zwischen den vorgestellten Akteuren gibt es unterschiedliche Konstellationen, die durch gemeinsames Handeln kooperative Ansätze ermöglichen, um den Bedürfnissen von Urheber*innen und Lizenznehmenden besser gerecht zu werden.

Hierzu kann beispielsweise die Wahrnehmung von Nutzungsrechten an den Werken der von ihnen vertretenen Urheber*innen kooperativ aufgeteilt werden. Dies kann sowohl auf den NutzungsrechtenFootnote 8 an sich beruhen (vertikale Teilung) als auch auf deren Ausübung in geografischer AbhängigkeitFootnote 9 fußen (horizontale Teilung).Footnote 10

Die vertikale Teilung kann auf überbetrieblicher Ebene zwar prinzipiell in beliebiger Form erfolgen, solange die zu verwaltenden Rechtspakete klar definiert sind; die gängigste Form ist jedoch die Unterscheidung nach den Hauptkategorien. So vergibt die Verwertungsgesellschaft AKM Nutzungsrechte für Aufführungsrechte von Musikwerken innerhalb von Österreich, während die Tochtergesellschaft AUME für Lizenzierungen mechanischer Rechte zuständig ist. Ähnliche Aufteilungen bestehen weltweit auch in anderen Ländern, z. B. zwischen den Verwertungsgesellschaften BUMA/STEMRA in den Niederlanden. Einen Sonderfall stellen die Verwertungsgesellschaften STIM, TONO, KODA, TEOSTO und STEF (Schweden, Norwegen, Dänemark, Finnland und Island) dar, bei denen mechanische Rechte ihres Repertoires von der NCB (Dänemark) verwaltet werdenFootnote 11. In der Praxis zeichnen sich diese Konstellationen dadurch aus, dass die Wahrnehmungsberechtigten keinen direkten Kontakt zu den Tochtergesellschaften haben und somit auch keinen direkten Einfluss auf deren Aktivitäten nehmen können.

In Bezug auf die horizontale Teilung wird die Verwaltung von Urheberrechten in der Regel immer noch zum Großteil nach dem Territorialitätsprinzip geregelt: Das bedeutet, dass Verwertungsgesellschaften und Verlage die Nutzungsrechte an den von ihnen verwalteten Repertoires/Katalogen üblicherweise innerhalb der territorialen Grenzen ihrer wirtschaftlichen Niederlassung verwalten und für Nutzungen im Ausland ihre Wahrnehmungsrechte an die dort ansässigen Einheiten übertragen.

Die Vereinbarungen zwischen Verwertungsgesellschaften in Bezug auf die ein-/gegenseitige Repräsentation werden im deutschen VGG als Repräsentationsvereinbarungen tituliert (§ 44 VGG). Die Unterscheidung zwischen horizontalen und vertikalen Rechtsabtretungen zwischen Verwertungsgesellschaften hat in jüngster Zeit durch zunehmende Online-Nutzungen an Bedeutung gewonnen. Näheres hierzu wird Abschn. 2.2 beschrieben.

In der Verlagspraxis regeln Co-Publishing-Vereinbarungen die vertikale Teilung der Nutzungsrechte. Die häufigste Situation ist die Aufteilung zwischen Autor*in und Verlag. Wenn an einer Komposition mehrere Autor*innen beteiligt sind, kommt es aber auch dazu, dass mehrere Verlage mit ihren respektiv vertretenen Autor*innen Co-Publishing-Vereinbarungen schließen und somit an den Werken, die Rechtebündel vertikal unter sich aufteilen; Subverlagsverträge dienen der horizontalen Aufteilung der Nutzungsrechte zwischen Verlagen und bilden in der Regel die territoriale Aufteilung der Verwertungsgesellschaften nach. Dies wird vor allem aus der Motivation heraus umgesetzt, Vergütungsansprüche in ausländischen Märkten schneller und kostengünstiger zu erhalten.

Da der Charakter der verlegerischen Tätigkeit zunehmend dienstleistungsorientiert wird, gibt es neben der klassischen Einräumung von Nutzungsrechten, wie sie in traditionellen Subverlagsverträgen vorgesehen ist, auch die Möglichkeit der Auslagerung von Geschäftsprozessen auf andere (Administrations-)Verlage. In diesem Fall behält der auftraggebende Verlag die Ausschließlichkeit seiner Nutzungsrechte und der beauftragte Verlag übernimmt die Aufgaben in einem begrenzten Umfang gegen eine entsprechende Gebühr.

Die genannten Möglichkeiten der vertikalen und horizontalen Teilung der Rechtewahrnehmung durch Verlage oder Verwertungsgesellschaften haben eine kooperative, lose-gekoppelte Natur. Kollaborative Ansätze wiederum setzen voraus, dass zusammen agierende Unternehmenseinheiten zur Erreichung ihrer Zielstellungen in eine gemeinsame Aufbau- und Ablauforganisationen investieren. Dies spiegelt sich auf dem Markt durch Zusammenschlüsse mehrerer Verwertungsgesellschaften oder Verlage wider.

Um die beschriebenen Verwertungsstrukturen in einen ganzheitlichen Kontext zu integrieren, wurde von den Autoren eine OntologieFootnote 12 entwickelt (Abb. 2.3). Diese Ontologie bietet einen Überblick der komplexen Thematik urheberrechtlicher Verwertungsstrukturen und soll die Einordnung von Sachverhalten unterstützen (Miller und Klingner 2022b). Ebenso stellt sie einen maschinenlesbaren semantischen Ausdrucksraum zur Verfügung, der z. B. zur Auszeichnung von Webdokumenten verwendet werden kann. So können Verwaltungseinheiten unter anderem ihre Dienstleistungen sowie Einnahmen und Kosten präzise und eindeutig kennzeichnen. Bei zweckmäßiger Anwendung würde dies die Auffindbarkeit und Vergleichbarkeit der jeweiligen Inhalte erhöhen.

Abb. 2.3
figure 3

Visualisierung der „Ontologie der kollektiven Rechtewahrnehmung“

Die Vielfalt der überbetrieblichen Konstellationen zeigt sich vor allem in den jüngsten Zeitdekaden, welche durch die fortschreitende Durchlässigkeit der Digitalisierung und die ihr folgenden Rechtsharmonisierungen geprägt wurden. Sowohl Verwertungsgesellschaften als auch Verlage unterlagen einem massiven Marktwandel, der in den folgenden Kapiteln nachgezeichnet werden soll.

2.2 Verwertungsgesellschaften damals und heute

Verwertungsgesellschaften spielen eine zentrale Rolle bei der Verwertung von Urheberrechten. Sie sind aus der Notwendigkeit heraus entstanden, dafür zu sorgen, dass Urheber*innen eine angemessene Vergütung erhalten, wenn ihre Werke der Öffentlichkeit durch Dritte zugänglich gemacht werden. Dies ist notwendig, da Urheber*innen als Einzelpersonen nicht in der Lage sind, die Vielfalt an Nutzungsarten zu überwachen und das Inkasso der Lizenzzahlungen selbstständig durchzusetzen – eine Tatsache, die sich trotz zunehmender Digitalisierung deutlich zeigt.

Anders als kommerzielle Akteure handeln Verwertungsgesellschaften grundsätzlich im kollektiven Interesse ihrer Mitglieder. Dies zeigt sich zum einen in ihrer Rolle als Solidargemeinschaften, welche grundsätzlich ihre Mitglieder unter gleichen Bedingungen behandeln, z. B. indem einheitliche Sätze für Verwaltungsabzüge erhoben und Stimmrechte bei Generalversammlungen zugestanden werden. Zum anderen wird dies auch in ihrer Rolle als Kulturfördererinnen deutlich, was sich sowohl in den Abschlägen für soziale und kulturelle Zuwendungen als auch in der Durchsetzung von Rechten gegenüber großen Marktakteuren äußert. So führte beispielsweise die deutsche Verwertungsgesellschaft GEMA einen jahrelangen Rechtsstreit gegen die Online-Plattform YouTube (Stade 2021) – der sich in hohen Verhandlungs- und Prozesskosten niederschlug: Ein Akt, der für einzelne Urheber*innen undenkbar gewesen wäre.

Doch in den jüngsten Dekaden erwuchsen scheinbar unversöhnliche Entwicklungen, die einerseits zur Fragmentierung des Marktes der kollektiven Wahrnehmung und andererseits zu dessen Konsolidierung führten. Auf diese gegenläufigen Marktbewegungen, ihre Ursachen, Wirkungen und Potenziale wird in den folgenden Abschnitten näher eingegangen. Der Schwerpunkt liegt dabei auf europäischen Verwertungsgesellschaften, auf ihren Beziehungen zueinander und zu den Rechteinhaber*innen, insbesondere den Musikverlagen.

2.2.1 Kollektive Rechtewahrnehmung – ein Marktgefüge im Wandel der Zeit

Ein charakteristisches Merkmal des internationalen Marktes für die Verwertung von Urheberrechten an Musikwerken, das bereits im vorangegangenen Abschnitt grob umrissen wurde, ist die weit verbreitete horizontale Teilung der Rechtewahrnehmung anhand von geografischen Gebietsbeschränkungen in der gegenseitigen Vertretung von Repertoires gleichartiger Rechte bei Verwertungsgesellschaften. Die Wurzeln dieser – heute allgegenwärtigen – Praxis werden häufig mit dem bereits 1936 entstandenen Mustervertrag für zwischengesellschaftliche Vereinbarungen der Confédération Internationale des Sociétés d’Auteurs et CompositeursFootnote 13 (CISAC), dem wichtigsten internationalen Dachverband von Verwertungsgesellschaften, in Verbindung gebracht (siehe u. a. Gilliéron 2006). Abb. 2.4 veranschaulicht die traditionelle horizontale Teilung auf der Marktebene.

Abb. 2.4
figure 4

Das traditionelle Marktgefüge der Verwertung von Urheberrechten an Musikwerken

Neben der Unterscheidung zwischen der vertikalen und horizontalen Teilung des Markts, kann auch eine Differenzierung des vor- und nachgelagerten Marktes vorgenommen werden: Im vorgelagerten Markt stand Rechteinhaber*innen im traditionellen Gefüge nur eine Verwertungsgesellschaft für einen abgegrenzten Rechtsgegenstand zur Verfügung, diejenige im Niederlassungsgebiet der Rechteinhaber*innen. Um ein Mehr an Kontrolle zu gewinnen, bot sich für Verlage lediglich die Option der Vertragsschlüsse mit Subverlagen, die direkt von den (ausländischen) Verwertungsgesellschaften vertreten wurden. Da Verlage in der Regel engere Beziehungen zu ihren Subverlagen pflegen als zu Verwertungsgesellschaften und diese ihnen direkten Zugang zu ausländischen Märkten boten, war diese Option eine lange Zeit hinreichend für die Verwertung in Kernmärkten (Klingner et al. 2021).

Die horizontale Teilung nach territorialen Zuständigkeiten fand sich im traditionellen Marktgefüge auch im nachgelagerten Markt, wo sich der Erwerb von Lizenzen auf uniterritoriale Nutzungen der lizenzierenden Verwertungsgesellschaft beschränkte. Auf dem traditionellen Markt stellte dies kein Hindernis dar, da die Lizenznehmenden die Rechte ohnehin nur innerhalb der Grenzen ihrer Gerichtsbarkeit nutzten. Wichtiger war, dass dabei ausländisches Repertoire vertreten ist.

Aufgrund der horizontalen Teilung und der Anhäufung der verwalteten Werke im Zeitverlauf, besetzten Verwertungsgesellschaften in Europa in ihren Wirkungsbereichen darum de facto oder auch de jure Gebietsmonopole (Gervais 2016, S. 139–164). Einige Gründe sprechen für dieses Prinzip: Wirtschaftlich wird der Monopolstatus der Verwertungsgesellschaften durch die Größenvorteile legitimiert, die Verwertungsgesellschaften bei hohen Repertoireumfängen umsetzen können (vgl. Handke und Towse 2008).

Doch obwohl sich diese Praxis bewährt hat, scheiterte ihre Anwendung im digitalen, global vernetzten Raum, denn mit jedem zusätzlichen Glied in der Verwertungskette entstehen Ineffizienzen, die sich in höheren Transaktionskosten und Bearbeitungszeiten niederschlagen. Seit der Jahrtausendwende befindet sich das traditionelle Marktgefüge der Verwertungsgesellschaften zunehmend im Umbruch. Einen starken Einfluss auf den Markt der Verwertungsgesellschaften übten und üben dabei Anbieter*innen digitaler Dienste (englisch: Digital Service Providers – DSPs), welche urheberrechtlich geschütztes Material in zahlreichen Gebieten weltweit öffentlich zugänglich machen und daher auch eine entsprechende Lizenzabbildung benötigen – eine, welche mittels des traditionellen Marktgefüges nicht umsetzbar ist.

Zu der Unzulänglichkeit des traditionellen Marktgefüges in Bezug auf diesen Aspekt gab es mehrere Verfahren, die von Organen der Europäischen Union gegen die bis dato vorherrschende Praxis der Verwertungsgesellschaften geführt wurden.

Im Jahr 2000 reichte der Rundfunksender RTL bei der Europäischen Kommission eine Beschwerde darüber ein, dass er keine EU-weiten Lizenzen von Verwertungsgesellschaften erwerben und somit keine internationalen Sendungen ohne redundanten Verhandlungsaufwand mit den Verwertungsgesellschaften anbieten könne. Die Europäische Kommission untersuchte diesen Fall und setzte ihn mit dem CISAC-Mustervertrag für Gegenseitigkeitsvereinbarungen (s. o.) in Verbindung. In ihrer Entscheidung von 2008 hat die Kommission wettbewerbswidrige Klauseln in den CISAC-Musterverträgen identifiziert, die es ihrer Ansicht nach erst ermöglichten, die soeben beschriebene Marktaufteilung als aufeinander abgestimmte Praxis, die laut Artikel 101 im Europäischen Binnenmarkt untersagt ist, durchzusetzen. Dazu gehört zum einen die Territorialitätsklausel, die sich auf die gegenseitige Vereinbarung der Verwertungsgesellschaften über die ausschließliche Wahrnehmung von Rechten innerhalb der Grenzen ihres Tätigkeitsgebiets bezieht. Zum anderen umfasst dies auch die Mitgliedschaftsklausel, die es den vertragsschließenden Verwertungsgesellschaften untersagt, Rechteinhaber*innen als Mitglieder aufzunehmen, die bereits Mitglied der vertragsschließenden Verwertungsgesellschaft oder in deren Tätigkeitsgebiet niedergelassen sind.

Im Jahr 2013 wies der Europäische Gerichtshof die Beurteilung der Kommission hinsichtlich der aufeinander abgestimmten Marktaufteilungspraxis der Verwertungsgesellschaften zurück, da die Kommission nicht nachweisen konnte, dass die Annahme der Klauseln durch die Verwertungsgesellschaften nicht auf unabhängigen Einzelentscheidungen zwischen jeweils zwei Vertragspartnern beruhte, die im gegenseitigen Einvernehmen getroffen wurden. Das Gericht schloss sich jedoch der Argumentation der Kommission in Bezug auf die Vertragsklauseln in den CISAC-Musterverträgen an – ein Entschluss, der zum Zeitpunkt seines Zustandekommens keine weitreichenden Auswirkungen mehr auf das Marktgefüge der Verwertungsgesellschaften haben konnte, da Klauseln zwar aus neueren Überarbeitungen der Musterverträge bereits gestrichen worden waren, aber keine rückwirkende Änderung der Gegenseitigkeitsverträge vorgenommen wurden.

Die traditionelle Marktstruktur wurde also nicht ersetzt, auch wenn die Vergangenheitsform der vorangegangenen Absätze dies hätte vermuten lassen können. Vielmehr wurde sie in ihrer Komplexität durch parallele Marktstrukturen erweitert. Welche das sind und wie sie entstanden sind, wird im Folgenden beschrieben.

Die Position, dass multi-territoriale Lizenzabbildungen geschaffen werden müssen, wurde auch unabhängig vom oben dargestellten Fall bereits 2005 von der Europäischen Kommission in einer Empfehlung vertreten, deren Fazit darin bestand, dass Rechteinhaber*innen Verwertungsgesellschaften ihrer Wahl mit der Vergabe von pan-europäischen LizenzenFootnote 14 für Online-Nutzungen beauftragen können sollten. Aufgrund von Gegenseitigkeitsverträgen war es den Verwertungsgesellschaften jedoch nicht uneingeschränkt möglich, dies zu realisieren. Während einige Major-Verlage sich dafür entschieden, ihre Online-Lizenzierungen eigenständig vorzunehmen, entstand eine weitere Option, die ebenfalls faktisch nur einzelnen wirtschaftlich führenden Verlagen vorbehalten blieb: die Gründung abhängiger Verwertungseinrichtungen (siehe Abb. 2.5).

Abb. 2.5
figure 5

Multi-territoriale Lizenzierung durch abhängige Verwertungseinrichtungen

Grundsätzlich vereinfachte die Lizenzierung über abhängige Verwertungseinrichtungen die Situation für Lizenznehmende von Mainstream-Katalogen, da sie die Kontaktstellen für eine multi-territoriale Lizenzabdeckung auf eine Stelle reduzierte. Auf der Marktebene bedeutet das allerdings, dass das Repertoire der weiteren Mitglieder der Muttergesellschaft sowie das Repertoire anderer Verwertungsgesellschaften aus dem genannten Grund noch weniger attraktiv erscheint und daher seltener lizenziert wird. In Anbetracht der Tatsache, dass es sich um marktführende Verlage handelt, die abhängige Verwertungsgesellschaften beauftragen können, führt dies grundsätzlich zu einer hohen Effizienz des Verhältnisses zwischen diesen einzelnen Verlagen und der Verwertungsgesellschaft. Während dies damit begründet ist, dass ein vergleichsweise kleines Repertoire häufiger lizenziert wird und damit bei niedrigen Verwaltungskosten hohe Lizenzeinnahmen vorliegen; müssen andere Verwertungsstrukturen immer mehr in den Hintergrund treten. Somit werden von diesen Effekten ausgeschlossene Rechteinhaber*innen wie kleine bis mittelständige Verlage insgesamt benachteiligt, da die vorherige Quersubventionierung durch wirtschaftlich attraktivere Repertoires entfällt. Auf der Marktebene wird damit der Solidaritätsgedanke der Verwertungsgesellschaften entkräftet, weshalb diese Konstellation vom Europäischen Parlament kritisch diskutiert wurde (Klobučník 2021). Die Zersplitterung der Repertoires, die durch die individuellen Entscheidungen der Rechteinhaber*innen auf diesen Wegen ermöglicht wird, stiftet außerdem Rechtsunsicherheit und kann zu entsprechenden Streitigkeiten führen (vgl. Lichtenhagen 2005).

Eine alternative Lösung bestand darin, Verwertungsgesellschaften in die Lage zu versetzen, repertoireübergreifende („multi-repertoire“) multi-territoriale Lizenzen anzubieten. Dies erforderte jedoch umfassende Neuverhandlungen. Dabei standen zwei Optionen zur Verfügung.

Die erste, und sicherlich niederschwellige Option, war es, dass alle beteiligten Verwertungsgesellschaften innerhalb eines Netzwerks den gleichen Tarif anbieten (siehe Abb. 2.6). Damit würden sie den nachgelagerten Markt einheitlich bedienen. Lizenznehmende können in einem solchen Marktgefüge mit einer beliebigen Verwertungsgesellschaft Kontakt aufnehmen. Dies gilt sowohl für die Lizenzabwicklung als auch für das Zusenden von Nutzungsaufstellungen, was ebenfalls vorher an mehrere Verwertungsgesellschaften erfolgen musste. Deshalb ist im Fall einer solchen Konstellation auch von einem Single Point of Contact die Rede. Der vorgelagerte Markt, also der zu den Rechteinhaber*innen gerichtete, wird im Fall von diesem Marktgefüge immer noch von den Verwertungsgesellschaften einzeln bedient. Das bedeutet, dass die Bearbeitung der Nutzungsaufstellungen, das Matching der Nutzungen zu den einzelnen Repertoires der Verwertungsgesellschaften und folglich die Abrechnung, weiterhin auf traditionellen Wegen erfolgen, also von jeder Verwertungsgesellschaft selbst. Ein Beispiel für eine solche Konstellation stellt die Europäische Interessengemeinschaft Armonia OnlineFootnote 15 dar. Im Fall eines solchen Marktgefüges, mündet die Vereinheitlichung der Tarife effektiv in einer Aufhebung des Wettbewerbs im nachgelagerten Markt. Im vorgelagerten Markt profitieren Rechteinhaber*innen zwar allgemein mittelbar von den schnelleren Verhandlungen mit den Lizenznehmern, allerdings können auch Unterschiede bei den Verwaltungskosten zwischen den Verwertungsgesellschaften für dieses Szenario bestehen. Manche Verwertungsgesellschaften besitzen eventuell effektivere Monitoring-Technologien, Matching-Prozesse oder bieten ihren Rechteinhaber*innen sonstige bessere Dienstleistungen, wodurch sie Wettbewerbsvorteile erzielen können. Damit ergibt sich insgesamt ein koopetitiver Markt.

Abb. 2.6
figure 6

Multi-territoriale Lizenzierung durch Vereinheitlichung der Tarife aller Verwertungsgesellschaften

Die zweite Option, deren Weg durch die Richtlinie 2014/26/EU geebnet wurde, ist die enge Integration der Ressourcen mehrerer Verwertungsgesellschaften zur Erbringung gemeinsamer Dienstleistungen im Bereich der Mehrgebietslizenzierung für Online-Nutzungen (Europäisches Parlament; Europäische Kommission 2014). Diese Option erfordert ein kollaboratives Vorgehen der Verwertungsgesellschaften, also die Schaffung einer gemeinsamen Aufbau- und Ablauforganisation für Online-Lizenzierungen. Ein solcher integrativer Ansatz wurde vom International Copyright Enterprise (ICE)Footnote 16 umgesetzt, einem Joint Venture der Verwertungsgesellschaften GEMA (Deutschland), PRS for Music (England) und STIM (Schweden).

Abb. 2.7
figure 7

Gemeinsame Aufbauorganisation zum Anbieten multi-territorialer Lizenzen

In diesem Fall arbeiten die Verwertungsgesellschaften im Gegensatz zu der oben beschriebenen Marktstruktur sowohl auf dem vorgelagerten als auch auf dem nachgelagerten Markt zusammen, d. h. sie erbringen die gleichen Dienstleistungen für Rechteinhaber*innen und Lizenznehmende mit den gleichen Mitteln zu gleichen Bedingungen.

Derartige Zusammenschlüsse von Verwertungsgesellschaften forcieren eine stärkere Marktdynamik durch Intensivierung des Wettbewerbs mit dem Potenzial für weitreichende Veränderungen. Die aus den Zusammenschlüssen resultierende Marktkonzentration erhöht den Druck auf die nicht teilnehmenden Verwertungsgesellschaften und stellt sie vor die Wahl, entweder die Verwaltung ihres Repertoires an die Verwertungsgesellschaftszusammenschlüsse zu übertragen oder das Risiko eines Attraktivitätsverlustes aufgrund einer sinkenden Nachfrage nach Repertoire in Kauf zu nehmen.

Die vorgestellten Marktstrukturen haben sich jedoch im Laufe der Zeit nicht subsituiert, sondern überlagert: So gründete bspw. die US-amerikanische SESAC mit der Schweizer Verwertungsgesellschaft SUISA die Mint Digital Services zur Verwertung von Online-Rechten innerhalb und außerhalb Europas (vgl. Kling 2017, S. 158). Die SUISA ist ihrerseits an Armonia beteiligt. SABAM wiederum ist sowohl Mitglied von Armonia als auch Kunde von ICE (European Commission et al. 2021, S. 38). Diese neue Komplexität des Marktes hat weitreichende Folgen für alle Marktteilnehmer. Die dargestellten Entwicklungen führten zu einem freien und wettbewerbsorientierten, aber auch komplexen und sehr undurchsichtigen Markt, auf dem es sowohl den Lizenznehmern als auch den Rechteinhaber*innen an Orientierung mangelt.

Eine Entwicklung, die sich im Zuge der Umstrukturierung des Marktes für kollektive Rechtewahrnehmung abgezeichnet hat, ist die zunehmend demokratisierte Möglichkeit für Rechteinhaber*innen als Mitglied mehrerer Verwertungsgesellschaften verschiedener Gebiete vertreten zu werden. Insbesondere angesichts der abnehmenden Bedeutung von Subverlagen durch multi-territoriale Lizenzmodelle und der zunehmenden Internationalisierung der Verwertungsgesellschaften sehen inzwischen viele Verlage die Vorteile einer direkten Vertretung traditioneller Verwertungswege wie Live-Aufführungen und regionale Radiosendungen durch örtliche Verwertungsgesellschaften. Diese Tendenz der Internationalisierung „direkter Mitgliedschaften“ wird im folgenden Abschnitt näher erläutert.

2.2.2 Das Konzept direkter Mitgliedschaften

Geprägt von den nationalen Monopolen der Verwertungsgesellschaften verfestigte sich über viele Jahre bei Rechteinhaber*innen die Annahme, dass sie bestimmte Rechtsgegenstände jeweils nur an genau eine Verwertungsgesellschaft zur Wahrnehmung übertragen können, und zwar an die Verwertungsgesellschaft in ihrem Niederlassungsgebiet. Kleinen und mittleren Musikverlagen in Deutschland war oftmals nicht bewusst, dass es im Ausland direkte Wahrnehmungsmöglichkeiten gibt. So hieß es in der Musikwirtschaftsstudie 2015 im Steckbrief für Musikverlage, es bestünden „grundsätzlich zwei Möglichkeiten: Entweder im Rahmen der Rechtewahrnehmung durch die GEMA, die von ihren ausländischen Schwestergesellschaften Ausschüttungen für die Nutzung des GEMA-Repertoires erhält. Oder über eigene Subverlage in anderen Ländern, die dort eigene Lizenzgeschäfte tätigen bzw. ihre Rechte von der jeweiligen nationalen Verwertungsgesellschaft wahrnehmen lassen.“ (Seufert et al. 2015, S. 49).

Dabei beschreiten Großverlage seit Jahrzehnten eigene, direkte Wege in die relevanten Märkte. Einzelne, rein administrative Verlage verfolgen die Verwaltung eines internationalen Netzes von direkten Mitgliedschaften in Verwertungsgesellschaften als Geschäftsmodell per se.

Dies wird bspw. bei Analyse einer schon etwas älteren Werbeanzeige deutlich (Kobalt 2003). In dieser werden die Leistungen des technologiegetriebenen, administrativen Musikverlags KobaltFootnote 17 angepriesen. Der Verlag zeichnet sich durch die internationale Verwaltung eines umfangreichen Katalogs aus, wofür er statt der üblichen Beteiligung an den Tantiemen eine Kommission (ca. 10 %) einbehält (vgl. Tschmuck 2020). Um die internationale Verwaltung zu ermöglichen, setzt der Musikverlag auf direkte Lizenzierungen im Onlinebereich und direkte Mitgliedschaften in Verwertungsgesellschaften rund um die Welt. Damit wirkt er als Netzwerkkoordinator alternativ zu einer Verwertungsgesellschaft.

Die Anzeige illustriert dabei drei wichtige Punkte im Kontext direkter Mitgliedschaften:

  1. 1.

    Zunächst einmal verdeutlicht sie, dass direkte Mitgliedschaften („Direct membership of collection societies“) bereits längerfristig genutzt werden. Dies zeigt sich daran, dass Kobalt dieses Leistungsangebot zur Jahrtausendwende etablierte und damit dem Bedarf der Rechteinhaber*innen begegnete, die Interaktion mit Verwertungsgesellschaften effizienter zu gestalten.

  2. 2.

    Diese Effizienzsteigerung äußert sich in der Verkürzung der Wartezeit auf die Tantiemenzahlungen („Short accounting periods“), die als ein gewichtiges Argument für das beworbene Leistungsangebot angeführt wird. Die Relevanz dieses Punkts wurde auch in Interviews mit Musikverlagen bestätigt (siehe Abschn. 3.1). Weitere, aber weniger prominent aufgeführte Argumente sind Akkuratesse und Transparenz.

  3. 3.

    Schlussendlich deutet das beworbene Leistungsangebot auch gleich auf den mit direkten Mitgliedschaften verbundenen zusätzlichen Arbeitsaufwand hin. Dabei wird die Relevanz von Technologie für den Ansatz von Kobalt hervorgehoben („Cutting edge technology“).

Die Anzeige zeigt, dass das Leistungsangebot von Kobalt gewissermaßen die Entwicklung aufseiten kleiner und mittlerer Musikverlage vorgegriffen hat. Gründe dafür können im innovativen, technologiezentrierten Geschäftsmodell und dem größeren Umfang verfügbarer Ressourcen seitens Kobalt liegen.

Während die Dienste von Kobalt nur ausgewählten Rechteinhaber*innen vorbehalten sind, ist der Bedarf so umfassend, dass kleine und mittlere Verlage selbstbestimmt ähnliche Ansätze verfolgen. Die Herausforderung liegt dabei in der Notwendigkeit der technologischen Unterstützung, da, wie oben bereits angedeutet, mit größerer Eigenverantwortung der Verlage auch die Aufgabenmenge bzw. Arbeitslast durch direkte Mitgliedschaften steigt.

Dies wird bei Betrachtung der Interaktion zwischen Verlagen und Verwertungsgesellschaften auf unterschiedlichen Wahrnehmungswegen deutlich (siehe Abb. 2.8). So erfolgt die Interaktion entlang des Lebenszyklus (siehe Abb. 1.1, S. 5) bei dem direkten nationalen und bei dem indirekt internationalen Weg lediglich mit einer Verwertungsgesellschaft. Im Falle einer direkten internationalen Verwertung durch Mitgliedschaften bei mehreren Verwertungsgesellschaften steigt der Koordinationsaufwand aufseiten der Verlage sichtbar.

Abb. 2.8
figure 8

Wege internationaler Verwertung

Grundsätzlich gilt das Gesagte auch für den Fall, dass Verlage die Verwertung ihrer Rechte in einem Land über Subverlage wahrnehmen. Auch dies wäre ein indirekt internationaler Weg, bei dem der Subverlag an die Stelle der Verwertungsgesellschaft tritt. Wie bei der internationalen Vertretung durch eine Verwertungsgesellschaft können die Unzufriedenheit mit den Leistungen der Subverlage und die daraus resultierende Wahl des Wegs direkter Mitgliedschaften zu einer Disintermediation führen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Subverlage im Gegensatz zu Verwertungsgesellschaften nicht nur reine Administrationstätigkeiten, sondern zumeist auch kreative Dienstleistungen wie die Vermarktung von Werken übernehmen. Wenn die Subverlage nur geringfügig zur Wertschöpfung beitragen und der Hauptverlag die eigenständige Verwaltung der Interaktion mit einer ausländischen Verwertungsgesellschaft für praktikabel hält, erscheint eine direkte Mitgliedschaft naheliegend. Bestenfalls verläuft die Interaktion mit der Verwertungsgesellschaft nach ähnlichen Mustern wie die mit dem Subverlag, was den Verzicht auf den Subverlag als Intermediär zusätzlich begünstigen würde.

2.2.3 Treiber direkter Mitgliedschaften

In den letzten Jahren haben vor allem drei Entwicklungsfaktoren dazu beigetragen, dass auch kleine und mittlere Verlage zunehmend direkte Mitgliedschaften in ausländischen Verwertungsgesellschaften in Erwägung ziehen: die durch die EU vorangetriebene rechtliche Harmonisierung, die wirtschaftliche Entwicklung in der Musikbranche sowie technologische Fortschritte (Klingner et al. 2021). Diese werden im Folgenden einzeln erläutert.

2.2.3.1 Rechtliche Harmonisierung

Wie bereits in Abschn. 2.2.1 skizziert, legte die EU Richtlinie 2014/26/EU wesentliche Rahmenbedingungen für eine Harmonisierung der kollektiven Wahrnehmung von Urheberrechten in der Europäischen Union fest. Mit der Richtlinie wurden verschiedene Ziele vor dem Hintergrund der Schaffung eines digitalen Binnenmarktes („Digital Single Market“) im europäischen Raum verfolgt (Hviid et al. 2017). Vorrangig war dies die Lenkung einzelstaatlicher Bestimmungen in Bezug auf die Tätigkeiten und Beaufsichtigung von „Organisationen für die kollektive Rechtewahrnehmung“. Diese Organisationen gleichen dem Urbild einer Verwertungsgesellschaft, deren Tätigkeit von ihren Mitgliedern bestimmt wird. Für solche Organisationen legte die Richtlinie harmonisierte Anforderungen fest, die dazu dienen sollten, ihre Funktionsweise EU-weit einheitlich zu regulieren (vgl. Europäische Kommission 2014, Punkt 11). In der Richtlinie wird unter anderem ausdrücklich gefordert, dass Rechteinhaber*innen bei der Übertragung ihrer Rechte Handlungsfreiheit besitzen müssen. Dazu gehört auch die Wahl der Verwertungsgesellschaften, die sie vertreten (vgl. Europäische Kommission 2014, Punkt 17).

Durch die Beseitigung vieler Rechtsunsicherheiten wurden die Hürden für Mitgliedschaften in mehreren Verwertungsgesellschaften erheblich gesenkt. Damit wurde insbesondere eine klare Rechtsgrundlage für den Fall geschaffen, dass z. B. ein Verlag und GEMA-Mitglied aus Deutschland gleichzeitig einer Verwertungsgesellschaft aus Österreich (AKM), aus Frankreich (SACEM) oder aus einem anderen EU-Staat beitreten möchte.

Die Verabschiedung der Richtlinie 2014/26/EU sowie deren Umsetzung in nationales Recht definiert somit einen entscheidenden Einflussfaktor, welcher den Trend zu direkten Mitgliedschaften aus rechtlicher Sicht Vorschub leistete.

2.2.3.2 Technologische Fortschritte

Die Auswirkungen technologischen Fortschritts auf die Musikbranche sind disruptiv wie auch vielfältig. Am deutlichsten sichtbar wird das zunächst an den Auswirkungen der Digitalisierung des Produkts selbst – Musik ist digitalisierbar und damit schnell und aufwandsarm übertragbar, ubiquitär abspielbar sowie verlustfrei reproduzierbar. Diese Eigenschaften stellten die Musikindustrie zunächst vor große Herausforderungen und lösten den Wegfall der Einnahmen aus dem Musikverkauf aus. Verlage und Plattenfirmen mussten sich in der neuen Marktsituation umorientieren und konzentrierten sich vorwiegend auf andere Segmente wie Live und Sync. Inzwischen gelten jedoch digitale Musikverkäufe (wie z. B. durch Streaming und Downloads) mit einem Marktanteil von 64,4 % in DeutschlandFootnote 18 als wichtige Erlösquelle (Drücke et al. 2019).

Auf die Digitalisierung des Musikvertriebs folgte durch die globale Reichweite und Durchlässigkeit des Internets eine stärkere Internationalisierung der Musikindustrie im Allgemeinen. Während sich die Möglichkeiten des digitalen Datenverkehrs an der Schnittstelle zu Kund*innen (nachgelagertes Geschäft) in der Zugänglichkeit von Informationen und in den Chancen für eine gezielte Vermarktung in internationalen Märkten widerspiegeln, werden die Geschäftsprozesse an der Schnittstelle zu Rechteinhaber*innen und deren Verwaltungseinheiten (vorgelagertes Geschäft) durch standardisierte Datenformate und kanalübergreifende Kommunikationsformen verschlankt. All dies spricht für eine stärkere Fokussierung der Verwaltung internationaler Verwertungen von Musikurheberrechten durch kleine und mittlere Musikverlage.

Musikverlage mit hoher technischer Kompetenz in der Administration von Urheberrechten haben schon vor Jahren begonnen diese Möglichkeiten für sich zu nutzen, so auch Kobalt. Kleine und mittlere Verlage haben zwar sicher nicht die gleichen Ziele, aber auch für sie werden internationale direkte Mitgliedschaften in Kernmärkten durch technische Mittel vereinfacht. Solche werden im weiteren Verlauf dieses Buches ab Kap. 4 näher vorgestellt.

2.2.3.3 Wirtschaftliche Entwicklung

Nicht losgelöst von den vorigen Entwicklungen, aber auch selbst ein gewichtiger Treiber ist die wirtschaftliche Entwicklung auf dem Musikmarkt. Eng verbunden mit dem kontinuierlichen Anstieg der digitalen Distribution musikalischer Inhalte in den vergangenen JahrenFootnote 19 ist auch eine stärkere internationale Fragmentierung der Erlöse, da die grenzübergreifende Distribution durch digitale Medien deutlich vereinfacht wird. Aufgrund geringerer Einzelumsätze beim Streaming sowie einer generellen Ausdifferenzierung der Musikinteressen hin zu individuellen Nischenprodukten (Wicke 2021, S. 214) entstehen kleinteiligere Erlösstrukturen, aus welchen auch ein größerer Effizienzdruck erwächst. Musikverlage benötigen somit effektive, aber auch effiziente Verwertungsstrukturen, eine Herausforderung, der sie sich zunehmend selbst stellen.

Zusammenfassend lässt sich resümieren, dass direkte Mitgliedschaften einen wichtigen Baustein innerhalb der vielen Möglichkeiten zur internationalen Wahrnehmung von Urheberrechten für Musikverlage darstellen. Vieles spricht für direkte Mitgliedschaften, doch wann sollten sie in Anspruch genommen werden und wie wirken sie sich auf den Markt der Verwertungsgesellschaften aus? Diese Fragen bestimmen die Motivation und auch den inhaltlichen Rahmen der folgenden Abschnitte.

2.2.4 Verwertungsgesellschaften in Europa – Status Quo

Das Konzept der direkten Mitgliedschaften scheint naheliegend und suggeriert, dass sich internationale Mitgliedschaften in Verwertungsgesellschaften in jedem Fall lohnen würden: kürzere Verwaltungswege durch Disintermediation, geringere Transaktionskosten, stärkere Kontrolle auf bisher nur indirekt erreichbaren Märkten. Aber sind direkte Mitgliedschaften wirklich ein solches Allheilmittel, wie es diese Formulierungen vermuten lassen?

Wie bei vielen Fragen kommt es auch hier auf die jeweilige Situation an. Die folgenden Ausführungen werden zeigen, wie heterogen die Landschaft der Verwertungsgesellschaften ist und weshalb es sich nicht unter allen Umständen lohnt, als Verlag direktes Mitglied in einer Vielzahl von Verwertungsgesellschaften zu werden. Die Erläuterungen beschränken sich vorerst auf die Außensicht, d. h. es werden lediglich die Verwertungsgesellschaften selbst betrachtet, während die Geschäftslage der Verlage vorerst außen vor bleibt.Footnote 20

Um eine aktuelle Einschätzung des Marktes der Verwertungsgesellschaften für Musikwerke vorzunehmen, wurden die Geschäftszahlen von 40 traditionellen europäischen Verwertungsgesellschaften untersucht.Footnote 21 Dabei wurden u. a. folgende Kennzahlen erhoben und verglichen:

  • \(l\):  = Einnahmen aus dem Lizenzgeschäft

  • \(g\):  = Gesamteinnahmen (inkl. Einkünfte aus weiteren Quellen wie z. B. aus Finanzinstrumenten, u. a. auch negative Einkünfte)

  • \(c\):  = Kostensatz (Verwaltungskosten/Gesamteinnahmen \( g\))

  • \(v\):  = Verteilungssumme (Gesamteinnahmen \(g\) – Verwaltungskosten)

  • \(s\):  = Verteilte Summe (Höhe der verteilten Tantiemen)

  • \(r\):  = Anzahl der Rechteinhaber*innenFootnote 22

  • \(m\):  = Anzahl der Mitarbeiter*innenFootnote 23

Im Folgenden sollen die wesentlichen Erkenntnisse entlang der erhobenen Kennzahlen hierzu zusammengefasst werden.

2.2.4.1 Durchschnittliche Lizenzeinnahmen pro Rechteinhaber*in/Mitarbeiter*in

Eine erste Perspektive erlaubt der Vergleich der Produktivität der Verwertungsgesellschaften. Hier lässt sich ablesen, wie viele Lizenzeinnahmen \(l\) die Gesellschaft im Durchschnitt pro Rechteinhaber*in \(r\) in einem Geschäftsjahr erzielte \((e_{r} )\) und wie viel Geld pro Mitarbeiter*in \(m\) im Durchschnitt verwaltet wurde \((e_{m} )\).

\(e_{r} = \frac{l}{r}\)

\(e_{m} = \frac{l}{m}\)

Charakteristisch ist, dass beide Wertverteilungen (\(e_{r}\): Abb. 2.9; \(e_{m}\): Abb. 2.10) linkssteil bzw. rechtsschief sind. Bei derartigen Verteilungen treten Werte, die unter dem Mittelwert liegen, häufiger auf. Dies zeigt, dass die Mehrheit der Verwertungsgesellschaften relativ niedrige Einnahmen erzielt, während nur wenige Verwertungsgesellschaften hohe Lizenzeinnahmen erzielen bzw. den Markt dominieren.

Abb. 2.9
figure 9

Boxplot für die Werteverteilung der Kennzahl \(e_{r}\) (nFootnote

Die Anzahl der Verwertungsgesellschaften pro dargestellten Indikator ist abweichend, da die Verwertungsgesellschaften Informationen in ihren Geschäftsberichten in unterschiedlichen Detaillierungsgraden bereitstellten.

 =  27)

Abb. 2.10
figure 10

Boxplot für die Werteverteilung der Kennzahl \(e_{m}\) (n =  28)

Wie die Abb. 2.9 zeigt, erzielten die Verwertungsgesellschaften in der Regel zwischen 1628 und 5262 € an Lizenzeinnahmen pro Rechteinhaber*in. Allerdings stechen zwei Werte besonders hervor, welche in dem Boxplot als Ausreißer dargestellt werden: Die GEMA erzielte im Geschäftsjahr 2018 durchschnittlich rund 13.558 €, die SUISA umgerechnet rund 11.289 € pro Rechteinhaber*in. Dabei haben die beiden Verwertungsgesellschaften ganz unterschiedliche Mitgliederzahlen: Während die GEMA im Jahr 2018 rund 73.914 Mitglieder vertrat, waren es bei der SUISA nur rund 11.856.

Doch was sagen diese Zahlen über die Produktivität der Verwertungsgesellschaften aus? Nicht wirklich viel, denn ob die hohen Lizenzeinnahmen auf eine besonders attraktive Mitgliederstruktur, auf hohe Lizenzpreise oder auf die Fähigkeit der Verwertungsgesellschaft, Rechte tatsächlich wahrzunehmen, zurückzuführen sind, wird durch diese Kennzahl nicht erklärt. Es sind tiefere Einsichten in die Geschäftszahlen der Verwertungsgesellschaft notwendig, um derartige Schlussfolgerungen valide zu ziehen.

Eine große Spannweite zeigt auch Abb. 2.10. Dabei übersteigt eine Verwertungsgesellschaft den oberen Rand der gewählten Skala: Mit nur 14,2 Vollzeitäquivalenten erwirtschaftete die STEMRA (Niederlande) 32.399.000 € an Lizenzeinnahmen im Jahr 2018, also durchschnittlich um die 2.281.620 € pro Mitarbeiter*in. Eine intuitive Interpretation wäre, dass Verwertungsgesellschaften mit so hohen Lizenzeinnahmen im Verhältnis zur Anzahl der Mitarbeiter*innen besonders effizient arbeiten, z. B. dadurch dass sie über eine automatisierte Prozesslandschaft im nachgelagerten Geschäft verfügen. Selbst wenn diese Annahme sich in einigen Fällen bestätigen könnte, z. B. wenn die Verwertungsgesellschaft ein enges Leistungsportfolio unterhält und Lizenzierungsprozesse standardisiertFootnote 25, würde man an dieser Stelle Äpfel mit Birnen vergleichen: Denn es wird davon ausgegangen, dass das Lizenzierungsgeschäft unter den Verwertungsgesellschaften im Wesentlichen die gleiche Arbeitsbelastung aufweist. Verwertungsgesellschaften mit einem vielfältigeren Leistungsportfolio benötigen von Natur aus mehr KapazitätenFootnote 26. Ungeachtet der obigen Darstellungen können hohe Lizenzeinnahmen im Vergleich zu einer geringen Anzahl an Mitarbeiter*innen auch darauf hindeuten, dass das Lizenzierungsgeschäft der Verwertungsgesellschaft überwiegend nicht intern, sondern durch Dritte (z. B. andere Verwertungsgesellschaften) abgewickelt wird. Dies würde nicht zwangsläufig für eine hohe wirtschaftliche Effizienz der Verwertungsgesellschaft sprechen. Hierzu bietet sich die Betrachtung eines weiteren Indikators an.

2.2.4.2 Kostensatz

Der Kostensatz \(c\) einer Verwertungsgesellschaft ist ein Indikator, der Aufschluss über den Anteil der Lizenzeinnahmen \(l\) gibt, die eine Verwertungsgesellschaft zur Deckung ihrer KostenFootnote 27 einbehält.Footnote 28 Während der Kostensatz bei den Verwertungsgesellschaften in der untersuchten Stichprobe in der Regel zwischen 14 und 21 % lag, fanden sich auch Verwertungsgesellschaften mit Kostensätzen über 30 % (siehe Abb. 2.11).

Abb. 2.11
figure 11

Boxplot zum Kostensatz der Verwertungsgesellschaften

Die leicht linksschiefe Verteilung deutet darauf hin, dass mehr Verwertungsgesellschaften einen Kostensatz über dem Mittelwert aufweisen als umgekehrt. Der VariationskoeffizientFootnote 29 für die erhobene Stichprobe (n = 29) betrug knapp unter 30 %. Damit sind die Kostensätze unter den Verwertungsgesellschaften recht heterogen. Dies kann verschiedene Gründe haben. Um diese zu klären, muss zunächst definiert werden, durch welche Mittel die Verwertungsgesellschaften es schaffen können, die Verwaltungskosten niedrig zu halten.

Prinzipiell sinken die Verwaltungskosten einer Verwertungsgesellschaft mit zunehmenden Repertoireumfang. Dies unterstellt jedoch die Prämisse, dass jedes verwaltete Werk gleichwertig ist, unter ökonomischen Gesichtspunkten also die gleiche Nachfrage auf dem Markt genießt. Dies spiegelt natürlich nicht die Wirklichkeit: Wie Rochelandet (2003) feststellt, kann der Kostensatz einer Verwertungsgesellschaft auch dadurch gesenkt werden, dass der Repertoireumfang strategisch eingegrenzt wird, i. d. R. sodass, nur das Repertoire verbleibt, das die meisten Einnahmen generiert. Dies ist effektiv bei abhängigen Verwertungseinrichtungen der Fall (Abschn. 2.2.1). Dieses Selektionsprinzip widerspricht jedoch dem Solidaritätsgedanken, der den Verwertungsgesellschaften häufig zugeschrieben wird und ist auf diese weniger anwendbar.

In der Stichprobe befanden sich sowohl Verwertungsgesellschaften, die nur mechanische Rechte (MR) verwalteten als auch solche die nur Aufführungsrechte (AR) oder beide Hauptkategorien von Rechten an Musikwerken administrierten (siehe auch Abschn. 2.1.2). Beispielsweise hatte die BUMA, eine Verwertungsgesellschaft für Aufführungsrechte aus den Niederlanden, im Jahr 2018 einen Kostensatz von 14,95 % erzielt, wohingegen ihre Tochtergesellschaft STEMRA für mechanische Rechte einen Kostensatz von nur 9,88 % hatte. Damit lässt sich die oben dargelegte Effizienzvermutung unter einem anderen Blickwinkel fortführen: Denn Verwertungsgesellschaften mit einem homogenen Leistungsportfolio haben in der Regel den Vorteil eines höheren Formalisierungsgrades ihrer Geschäftsprozesse, wodurch die Verwaltungskosten zusätzlich gesenkt werden können. Vor allem im Bereich der Online-Rechte können durch Skaleneffekte in der Lizenzierung, die Nutzung von Monitoring und Matching-Technologien und die Standardisierung von Berichtsformaten wie DDEXFootnote 30 die Transaktionskosten deutlich gesenkt werden.

Auf der anderen Seite bringt auch die Diversifizierung des Repertoires und des Leistungsportfolios wirtschaftliche Vorteile mit sich, denn je mehr Werke und Leistungen eine Verwertungsgesellschaft aggregiert, desto mehr gibt sie auf dem Markt zur Lizenznahme frei: hierbei ergeben sich Komplementäreffekte, indem bspw. nachgefragte Werke gemeinsam mit weniger nachgefragten Werken an einer Anlaufstelle lizenziert werden können. Dies steigert die allgemeine Attraktivität der Verwertungsgesellschaft als Lizenzgeberin. Auch unter dem Gesichtspunkt der Solidarität gewinnt die Verwertungsgesellschaft mit dem ausgewogensten und am stärksten gefächerten Repertoire (Watt 2016, S. 15–22).

Doch der Vorteil dieser Diversifizierung geht mit einer potenziellen Steigerung der Kostensätze einher. Um die wirtschaftliche Attraktivität und Effizienz einer Verwertungsgesellschaft einzuschätzen, reicht die bloße Betrachtung des Kostensatzes also nicht aus.

2.2.4.3 Diskrepanz zwischen der Verteilungssumme und der verteilten Summe

Im Hinblick auf direkte Mitgliedschaften sind Rechteinhaber*innen an der Beurteilung der Leistungsfähigkeit von Verwertungsgesellschaften interessiert. Während der Kostensatz eine Einschätzung über die Kosteneffizienz der Verwertungsbeziehung zulässt, kann die Zeiteffizienz am (Miss-)verhältnis der Verteilungssumme \(s\) und der verteilten Summe \(v\) durch \(d_{1}\) bzw. zur verteilten Summe \(v\) durch \(d_{2}\) gemessen werden:

\(d_{1} = \frac{{max\left( {s,v} \right) - min\left( {s,v} \right)}}{{\left( {s + v} \right)/2}}\)

\(d_{2} = \left| {1 - \frac{s}{v}} \right|\)

In den meisten Fällen verteilen Verwertungsgesellschaften Tantiemen in dem auf den Umsatz folgenden Geschäftsjahr. Geht man davon aus, dass der Umsatzerfolg zwischen den einzelnen Geschäftsperioden nicht wesentlich schwankt, so deutet eine geringe Abweichung zwischen der Verteilungssumme und der verteilten Summe im Geschäftsjahr einer Verwertungsgesellschaft darauf hin, dass die Verwertungsgesellschaft die Abrechnung der Tantiemen termintreu vornimmt. Größere Abweichungen deuten dagegen auf grobe Verzögerungen in der Verteilung der Tantiemen.

Die Pünktlichkeit der Tantiemenausschüttung ist ein entscheidendes Kriterium für direkte Mitgliedschaften, da durch den Wegfall von Zwischenstellen kürzere Verwaltungswege und somit schnellere Ausschüttungen erreicht werden (Abschn. 3.2.2). Die Streuungsmaße in Abb. 2.12 deuten allerdings darauf hin, dass die schnelle Verarbeitung von Tantiemenverteilungen nicht zwangsweise zum Selbstverständnis der Verwertungsgesellschaften (n = 21) gehört. Oben in der Abbildung ist die Verteilung der Kennzahl \(d_{1}\) illustriert, unten die der Kennzahl \(d_{2}\). Die Kennzahlen unterscheiden sich nur geringfügig in der Verteilung ihrer Werte, welche im Durchschnitt um ca. 1,3 % voneinander abweichen. Die wesentliche Aussage beider Kennzahlen ist jedoch gleich, höhere Diskrepanzen weisen auf außerordentliche Verteilungen hin. Während in der Regel Abweichungen zwischen 5 und 15 % vorliegen, sind Abweichungen von mehr als 30 % eher die Ausnahme.

Abb. 2.12
figure 12

Boxplots zur Diskrepanz zwischen Verteilungssumme und der verteilten Summe

Die Höhe der Diskrepanz lässt allerdings nicht nur negative Interpretationen zu: Höhere Summen von verteilten Tantiemen im Vergleich zu der im Geschäftsjahr erwirtschafteten Verteilungssumme, können auch auf Sonderausschüttungen beispielsweise aus der Beilegung von Rechtsstreitigkeiten hinweisen. Ist das Verhältnis andersherum, kann dies auf Rückstellungen für die Deckung von zukünftigen Prozesskosten hinweisen. Die euphemistische Deutung dieses Sachverhalts wäre somit, der Verwertungsgesellschaft ein besonderes Engagement für die Durchsetzung der Rechte ihrer Mitglieder zuzuordnen.

Eine unmittelbare Ableitung von Gründen für die Diskrepanzen ist jedoch rein aus diesen Kennzahlen nicht ersichtlich: Im Fall der GEMA bspw. lag \(d_{1}\) und \(d_{2}\) für das Geschäftsjahr 2018 über 15 %. Dabei wurden in dem Geschäftsjahr zwei Sonderausschüttungen vorgenommen, eine für den Zeitraum 2009–2016 aus der Auflösung des Rechtsstreits mit der Videoplattform YouTube und eine aus der rückwirkenden Ausschüttung von Beträgen für die ZPÜ-Abgaben für Smartphones, Tablets und PCs für den Zeitraum 2008–2015. Dennoch lag die verteilte Summe um über 100 Mio. € unter der Verteilungssumme. Um die Kennzahlen um lokal-temporale Effekte dieser Art zu bereinigen, wäre die Bildung von aggregierten Werten über mehrere Jahre notwendig.

Grundsätzlich scheint es, dass für eine fundierte Einschätzung des Marktes weitere Einblicke in die Geschäftswelt der Verwertungsgesellschaften notwendig wären. Eine dieser Perspektiven besteht darin, die Verwertungsgesellschaften nicht isoliert voneinander zu betrachten, sondern innerhalb ihres Systems, welches nach wie vor weitgehend auf Gegenseitigkeitsverträgen beruht. Welchen Einfluss direkte Mitgliedschaften auf dieses üben können, wird im Folgenden beschrieben.

2.2.5 Herausforderungen für Verwertungsgesellschaften

Die in Abschn. 2.2.2 beschriebenen Dynamiken direkter Mitgliedschaften haben nicht nur Auswirkungen auf Musikverlage, auch Verwertungsgesellschaften müssen auf diese reagieren, obgleich aus einer anderen Perspektive. Im Folgenden sollen Herausforderungen und Entwicklungstendenzen für Verwertungsgesellschaften betrachtet und Lösungsstrategien kurz beleuchtet werden.

Hierbei wirken die gleichen Treiber wie die in Abschn. 2.2.2 beschriebenen: Auf rechtlicher Ebene hatte die Richtlinie 2014/26/EU großes Verӓnderungspotenzial für die Organisation von Verwertungsgesellschaften inne. Die Motivation der EU, einen digitalen Binnenmarkt zur Harmonisierung der Verwertungsstrukturen zu schaffen, führte zu einem direkten, starken Veränderungsdruck auf die etablierten Strukturen der Verwertungsgesellschaften – die traditionellen, nationalen Monopole sollten aufgebrochen werden, zu Gunsten wettbewerbsintensiverer Marktstrukturen (Hviid et al. 2017).

Der technologische Fortschritt durch die Digitalisierung machte auch vor den Verwertungsgesellschaften nicht halt. Durch die digitale Transformation entstanden neue Verwertungswege (neue mediale Aufbereitung, neue Plattformen) und damit verbundene Lizenzierungsfragen, die in der Forcierung multi-territorialer Lizenzmodelle für Online-Nutzungen nur teilweise Beantwortung fanden. Neben diesen Herausforderungen im nachgelagerten Geschäft der Verwertungsgesellschaften wurde auch das vorgelagerte Geschäft durch die Senkung der internationalen Eintrittsbarrieren für direkte Mitgliedschaften angeheizt. Damit rückte für die bisher auch hier weniger dynamisch positionierten Verwertungsgesellschaften die Optimierung der Geschäftsprozesse in den Vordergrund. Betroffen hiervon sind alle Phasen des Lebenszyklus, d. h. von der Registrierung von Rechteinhaber*innen und Werken, über die Abwicklung von Tantiemenabrechnungen bis hin zu den Reklamationen.

Daneben erwächst aus zwei Richtungen ein – lange Zeit unbekannter – Konkurrenzdruck auf die Verwertungsgesellschaften. Zum einen drängen verstärkt kommerzielle Unternehmen in den vorgelagerten Markt. Dazu gehören sowohl „unabhängige VerwertungseinrichtungenFootnote 31 (wie z. B. SoundreefFootnote 32 oder JamendoFootnote 33) als auch Verlagsadministratoren (wie z. B. Kobalt oder SongtrustFootnote 34). Beide Gruppen unterscheiden sich u. a. durch eine klare Gewinnerzielungsabsicht (Schulz 2008), einen ausgeprägten technischen Hintergrund, ein innovatives Unternehmensbild bis hin zur Startup Mentalität sowie ein zugehöriges, sehr fokussiertes und extensives Marketing deutlich vom Charakter der Verwertungsgesellschaften.

Zum anderen intensiviert sich durch die Möglichkeit direkter Mitgliedschaften auch der – von der EU intendierte – Wettbewerb zwischen den Verwertungsgesellschaften. Insbesondere innerhalb des Marktes der Europäischen Union können Rechteinhaber*innen frei entscheiden, welche Gesellschaft sie für welches Territorium mit der Verwaltung welcher Rechtearten beauftragen. Diese Konkurrenz ist bei multi-territorialen Lizenzmodellen im Online-Bereich offensichtlich, sie zeigt sich aber auch bei alternativen internationalen Verwaltungswegen von Musikurheberrechten (siehe Abb. 2.8, S. 27).

Die Europäische Kommission wurde bereits 2006 in dieser Angelegenheit beraten und hat Argumente dafür und dagegen erhalten (KEA 2006a, S. 46–48). Befürworter argumentierten, dass die Internationalisierung der Mitgliedschaften zu der Möglichkeit für Rechteinhaber*innen führen, zu einer effizienteren Verwertungsgesellschaft für die multi-territoriale Rechtewahrnehmung zu wechseln. Im Allgemeinen wäre zudem von einer Verringerung der Zahl an Intermediären und einer Reduktion der Höhe der Transaktionskosten auszugehen.

Als Gegenargumente wurden aufgeführt, dass die direkte Vertretung ausländischer Repertoires nur Verlagen vorbehalten bleiben würde, die über die entsprechenden Fähigkeiten und Kapazitäten verfügen. Weiterer Unmut ergab sich durch die Annahme, dass der Wettbewerb zwischen den Verwertungsgesellschaften diese auf Kosten der Rechteinhaber*innen entsolidarisieren würde. Durch den Wegfall von Intermediären würden die quersubventionierenden Effekte aus den Gegenseitigkeitsverträgen reduziert werden. Dies würde das Überleben kleinerer Verwertungsgesellschaften gefährden.

Betrachtet man die traditionellen gebietsbeschränkten Lizenzmodelle, welche vorwiegend über die Verwertungsgesellschaften in den Heimatländern der Rechteinhaber*innen verwaltet werden und über Einseitig- oder Gegenseitigkeitsverträge die Tantiemenzahlungen aus dem Ausland abwickeln, so ergeben sich zwei mögliche Szenarien für den Einfluss direkter Mitgliedschaften auf Verwertungsgesellschaften:

  1. a)

    Negative Entwicklung: Mit zunehmender Wahl direkter Mitgliedschaften durch Rechteinhaber*innen entgehen betroffenen Verwertungsgesellschaften früher verwaltete Tantiemen aus dem Ausland. Dies kann sich negativ auf ihre Liquidität und Investitionsfähigkeit auswirken.

  2. b)

    Positive Entwicklung: Entscheiden sich zunehmend ausländische Rechteinhaber*innen für direkte Mitgliedschaften statt für die Wahrnehmung ihrer Rechte über die heimische Verwertungsgesellschaft, erhöhen sich die Mitgliedzahlen der Verwertungsgesellschaften. Dadurch erwächst höherer Innovationsdruck im vorgelagerten Geschäft.

Stellt man sich bspw. vor, ein deutscher Musikverlag würde Tantiemen aus Österreich, die bisher über die GEMA abgerechnet wurden, nun direkt über die Mitgliedschaft in der AKM erhalten und folgt man der Logik der obigen Hypothesen, wäre diese Situation für die GEMA nachteilig, für die AKM könnte sie sich aber langfristig positiv auswirken.

Dieser Darstellung liegen drei Prämissen zugrunde. Zum einen wird davon ausgegangen, dass primär diejenigen Rechteinhaber*innen direkte Mitglieder in Verwertungsgesellschaften abseits des Heimatlandes werden, die auch entsprechende Umsätze im Ausland erwirtschaften oder planen dieses zu tun. Es kann somit von signifikanten Verschiebungen der Lizenzzahlungen ausgegangen werden. Wäre diese Prämisse nicht gegeben, wäre eine direkte Mitgliedschaft für die Rechteinhaber*in unrentabel. Zum anderen liegt die Prämisse zugrunde, dass sich ein Zuwachs von Mitgliedern sich auf die Relevanz, Attraktivität und Agilität einer Verwertungsgesellschaft auswirkt. Und abschließend wird davon ausgegangen, dass die Verwaltungsstrukturen der Verwertungsgesellschaft, welche von direkten Mitgliedern profitieren würde, den Mitgliederzuwachs organisatorisch auch bewältigen können.

Diese Prämissen sind nicht unbedenklich. Die Aufnahme neuer Mitglieder und die Migration ihrer Werke von extern verwalteten Strukturen in die eigenen können die Kosten für betroffene Verwertungsgesellschaften in die Höhe treiben. Gleichzeitig ist zu vermuten, dass sich die Lizenzeinnahmen aufgrund des Gleichbehandlungsgebots von Nicht-Mitgliedern und Mitgliedern und des gleichen Nachfrageniveaus nicht ändernFootnote 35. Die positiven Effekte resultieren eher aus dem zu erwartenden Transformationsdruck seitens der neuen Mitglieder, die nun an der Steuerung der Tätigkeiten der Verwertungsgesellschaft beteiligt sind. Doch auch dies ist angesichts der Tatsache, dass es sich um einkommensstarke Verlage handelt (erste Prämisse), welche die Managementstrukturen asymmetrisch zu ihren Gunsten lenken könnten, ambivalent zu sehen.

Ohne eine pauschale Beurteilung vorzunehmen, kann man von einer negativen und positiven Entwicklung auch im Sinne einer Abnahme der Mandate für die indirekt internationale Verwaltung von Urheberrechten und einer Zunahme der direkt internationalen Wahrnehmung sprechen.

Unabhängig vom Vorzeichen dieser Entwicklung sprechen wir im Folgenden von einem durch sie induzierten Ӓnderungspotenzial. Dieses variiert in Abhängigkeit des Anteils ausländischer Lizenzeinnahmen an den Gesamtlizenzeinnahmen einer Verwertungsgesellschaft. Abb. 2.13 zeigt dabei die große Bandbreite des Anteils erhaltener Tantiemenzahlungen aus dem Ausland (linke Tabelle) und der an ausländische Gesellschaften transferierter Tantiemenzahlungen (rechte Tabelle) im Verhältnis zu den Gesamteinnahmen der Verwertungsgesellschaften.Footnote 36 Ersteres quantifiziert das Potenzial einer negativen Entwicklung, da diese Umsätze im Falle direkter Mitgliedschaften zurückgehen würden. Zweiteres beziffert das Potenzial einer positiven Entwicklung, da im Falle direkter Mitgliedschaften diese Tantiemen zu größeren Anteilen an die neuen Mitglieder ausgeschüttet werden würden.Footnote 37

Abb. 2.13
figure 13

Erhaltene und gezahlte ausländische Tantiemen von Verwertungsgesellschaften (VG) in Relation zu den GesamtlizenzeinnahmenFootnote

Die Statistiken sind interaktiv abrufbar unter: https://creativeartefact.org/artefacts/statistics/statistics_international/ (zuletzt geprüft am 13.04.2022).

Beide Entwicklungsszenarien erfordern Maßnahmen seitens der Verwertungsgesellschaften. In beiden Fällen ist zu erwarten, dass die internen und überbetrieblichen Geschäftsprozesse der Verwertungsgesellschaften reorganisiert werden müssen. Eine differenziertere Betrachtung der in diesem Abschnitt aufgeführten Aussagen findet sich in einer gesonderten Veröffentlichung (Klingner und Miller 2022).

Der Vollständigkeit halber sei hier am Rande erwähnt, dass eine vergleichbare Dynamik auch bei Subverlagen entstehen kann. Ähnlich wie Verwertungsgesellschaften in der hier beschriebenen Rolle interagieren auch sie in der Verwaltung von Werken für andere Verlage stellvertretend mit Verwertungsgesellschaften in ausländischen Gebieten. Wenn bspw. ein deutscher Verlag in Österreich nicht mehr durch einen Subverlag vertreten wird, sondern direktes Mitglied der AKM wird, verliert der Subverlag Umsätze durch fehlende Provisionen bzw. Tantiemenanteile. Umgekehrt ist es aber ebenso möglich, dass bspw. ein deutscher Verlag als direktes Mitglied österreichische Verlage als Subverlag bei der AKM vertritt, denn hierbei ist nicht mehr der Firmensitz entscheidend, sondern wer die Wahrnehmung der Rechte am effektivsten und effizientesten erbringen kann.

Insgesamt sehen sich Verwertungsgesellschaften zunehmend mit einem Konkurrenzdruck konfrontiert, sowohl vonseiten anderer Verwertungsgesellschaften, als auch von neuen und alten Marktteilnehmern, die (Teil-)Aufgaben von Verwertungsgesellschaften übernehmen. Wo aber liegt nun die Gefahr in dieser Dynamik – belebt Konkurrenz nicht das Geschäft? Zunächst kann im positiven Fall von einer größeren Innovationsbereitschaft seitens der Verwertungsgesellschaften ausgegangen werden. Allerdings ist der Solidaritätscharakter der Verwertungsgesellschaften zunehmender Gefahr ausgesetzt. Gerade kommerzielle Unternehmen betreiben ein Rosinenpicken (engl. „cherry picking“), bei dem durch die Begrenzung auf stark nachgefragte Werke mit geringeren Verwaltungskosten hohe Umsätze erzielt werden können. Die Umschichtung des Repertoires von einkommensstarken Rechteinhaber*innen hin zu derartigen Einrichtungen kann negative Auswirkungen auf die Rechteinhaber*innen haben, die von traditionellen Verwertungsgesellschaften vertreten werden. Bei sinkendem Repertoireumfang der Verwertungsgesellschaften können Skaleneffekte nicht mehr in gleichem Maße zum Tragen kommen, da die Kosten pro Verwaltungseinheit steigen. Auch die soziale und kulturelle Rolle von Verwertungsgesellschaften (Heker 2008; Gerlach 2008) wird mit geringeren Lizenzeinnahmen in ihrem Umfang eingeschränkt. Ebenso sinkt mit der wirtschaftlichen Relevanz auch die Schlagkraft von Verwertungsgesellschaften als Interessensvertreterinnen der Rechteinhaber*innen.

Wie begegnen Verwertungsgesellschaften diesen Herausforderungen? Wichtig ist, Konkurrenz und Transparenz nicht nur als Gefahr zu begreifen, denn es gilt, die daraus entstehenden Abgrenzungsmöglichkeiten gegenüber internen (Verwertungsgesellschaften) und externen (Unternehmen) Wettbewerbern zu identifizieren und nutzen. Verschiedene Ansätze sind dabei möglich und werden teilweise auch schon umgesetzt. So können inhaltliche Spezialisierungen, besonders effiziente Verwaltungsstrukturen, guter Kundenservice oder komfortable Interaktions- und Kommunikationsmöglichkeiten Wettbewerbsvorteile darstellen. Weiterhin bieten Joint Ventures wie ICE eine Möglichkeit, Skaleneffekte weiter auszubauen, die Effizienz durch Synergien zu steigern sowie durch ein größeres Repertoire die Marktposition zu stärken.

Ein weiterer entscheidender Faktor wird sein, wie die Verwertungsgesellschaften die Dichotomie aus Durchsetzung der Marktmacht im Sinne ihrer Mitglieder und das erzielen einer positiven Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit gestalten werden. Die Erfolge hierbei waren in der Vergangenheit eher durchwachsen. Auch werden Themen wie Innovationsfreudigkeit und Markenbildung gerade in Konkurrenz zu den technisch fokussierten Unternehmen relevant sein.

Ein gewichtiges Argument kann dabei die soziale und kulturelle Rolle sein, die Verwertungsgesellschaften oftmals übernehmen. Auch eine stärkere Priorisierung der Mitbestimmungsrechte der vertretenen Mitglieder kann ein Unterscheidungsmerkmal zu rein gewinnorientierten Akteuren sein.

Bislang scheint es so, dass aus Sicht der Rechteinhaber*innen die positiven Effekte dieser Entwicklung überwiegen. Neben der gewonnenen Wahlfreiheit und der Option auf Basis der stärkeren Transparenz eine fundierte Entscheidungsfindung für die Gestaltung direkter Mitgliedschaften bei Verwertungsgesellschaften zu ermöglichen, zeigt sich – zumindest anekdotisch – auch eine höhere Innovationsfrequenz und ein Ausbau und Ausrichten des Angebotsportfolios am Bedarf der Rechteinhaber*innen. Exemplarisch seien hier die Aktivitäten der GEMA genannt, welche beispielsweise die Digitalisierung der Musikfolgen umgesetztFootnote 39, im Onlineportal die Statistiken für Rechteinhaber*innen deutlich ausgebaut sowie mit MusicHubFootnote 40 einen Digitaldistributor geschaffen hat, mit welchem Rechteinhaber*innen Aufnahmen ihrer Musikwerke direkt bei Streamingplattformen wie Spotify oder Apple Music veröffentlichen können.

Letzteres wurde durch eine Mehrheitsbeteiligung am digitalen Vertriebsunternehmen Zebralution ermöglicht (MusikWoche 2019). Dieses Beispiel ist in vielerlei Hinsicht bemerkenswert, denn hier wird die Verwertung von Werken proaktiv in die Verwaltungsstrukturen der GEMA integriert, was bisher nur reaktiv über die Lizenznehmer*innen erfolgte. Darüber hinaus werden leistungsschutzrechtliche Fragen berührt, denn die Nutzung dieses Angebots setzt voraus, dass das Mitglied seine Werke in vertonter Form vervielfältigt haben muss.

Hier zeigt sich also eine Dynamik, die bislang eher unbekannt war. Selbst eigentlich nicht originär zu den GEMA-Aufgaben gehörenden Leistungen rund um aufgenommene Werke (Recordings) zeugen von einer nachfrageorientierten Aufweichung traditioneller Grenzen. Verwertungsgesellschaften weiten ihre Aktivitäten entlang der Wertschöpfungskette aus und scheuen auch die – inhaltlich konsequente – Ausweitung der Verantwortlichkeiten nicht: genau genommen liegt ja beispielsweise die Distribution aufgenommener Werke außerhalb des Kerngeschäfts „Wahrnehmung der Rechte von Autorinnen und Autoren“ der GEMA. Mit verstärkter Umsetzung und Integration digitaler Dienstleistungen wächst der Leistungsumfang der Verwertungsgesellschaften auf das Niveau konkurrierender kommerzieller Unternehmen. So wird einerseits die Attraktivität des Angebotsportfolios gegenüber Rechteinhaber*innen gesteigert, andererseits können neu entwickelte Lösungen auch anderen Verwertungsgesellschaften angeboten werden (Schlinger 2020).

Die Geschichte der Musikverlage und Verwertungsgesellschaften zeigt, dass die Ausweitung der Wertschöpfungskette in der Wahrnehmung von Musikurheberrechten keine zeitgenössische Besonderheit ist. Die Art und Weise, wie Musikurheberrechte verwaltet werden, unterliegt einem ständigen Wandel, der aller Voraussicht nach auch mit der Digitalisierung nicht enden wird. Wie sich die Aufgabenbereiche von Musikverlagen und Verwertungsgesellschaften im Laufe der Zeit entwickelten und sich komplementär anglichen, wird im Folgenden kurz dargestellt. Im Anschluss daran erfolgen eine Hinwendung zu den aktuellen Aktivitäten der Musikverlage und eine nähere Betrachtung ihres heutigen Verhältnisses zu Verwertungsgesellschaften aus organisatorischer und technischer Sicht.

2.3 Musikverlage damals und heute

Der gewerbliche Hauptzweck der Musikverlage bestand ursprünglich in der Vervielfältigung, dem Vertrieb und Verleih von Notenausgaben. Neben dieser Wahrnehmung „grafischer Rechte“ – auch als „Papiergeschäft“ bezeichnet – hat die zunehmende Multimedialität in der Kultur und Wirtschaft zur Verankerung sogenannter Nebenrechte in der Verlagstätigkeit geführt (Albiez und Baierle 2021, S. 1). Dabei handelt es sich im Fall von Musikwerken um die in Abschn. 2.1 näher beschriebenen Verwertungsrechte, die sich grob in die Hauptkategorien der mechanischen Rechte (MR) und der Aufführungsrechte (AR) einteilen lassen. Diese werden meist von Verwertungsgesellschaften vertreten und sind auch als „kleine Rechte“ bekannt. Im Folgenden soll die Entstehung des Musikverlagswesens und der Bezug zu den Verwertungsgesellschaften näher erläutert werden.

2.3.1 Die Entstehung von Musikverlagen und Verwertungsgesellschaften – ein Kanon mit Kon- und Dissonanzen

Von den mittelalterlichen Neumen, den Symbolen des gregorianischen Gesangs, über die Quadratnotation bis zum modernen Notensystem ließen sich Noten bis in die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts nur handschriftlich vervielfältigen. Dies änderte sich mit Gutenbergs Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern um 1450 in Mainz. Der in Italien wirkende deutsche Buchdrucker Ulrich Han im Jahr 1476 und später, Anfang des 16. Jahrhunderts, der Venezianer Ottaviano Petrucci nutzten diese epochale Erfindung, um Noten in hohen Auflagen herauszugeben. Spätestens im 17. und 18. Jahrhundert fanden gedruckte Noten weite Verbreitung, allen voran Gesang- und Messgesangsbücher für Gottesdienste (King 1968; Dege 2021).

Während die Musik bis dahin in den Händen der Kirche oder des Adels lag, forderte auch das Bürgertum in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zunehmend einen emanzipierten Zugang. Vor allem die Französische Revolution von 1789 bis 1799 trieb die Durchsetzung der Ansprüche des Bürgertums voran und wirkte sich damit auch nachhaltig auf das Kunst- und Kulturgeschehen aus. Das Freiheitsstreben und der Individualismus des neuen Bürgertums schlugen sich auch im künstlerischen Ausdruck nieder (Bose 1934; 2015). Infolge der Omnipräsenz der Musik in der Gesellschaft wuchs die Zielgruppe, die bedient werden sollte.

Deutschland spielte eine Vorreiterrolle bei der Entwicklung des kommerziellen Musikverlagswesens. Insbesondere Leipzig sticht als Heimat bedeutender Musikverlage hervor. Im Jahr 1719 gründete dort Bernhard Christoph Breitkopf ein Unternehmen, das später als der erste institutionalisierte Musikverlag gelten sollte. Breitkopf zeichnete sich durch seine Innovationen im Notensatz aus, die es ermöglichten, in wesentlich höheren Auflagen zu drucken. Später übernahm Gottfried Christoph Härtel 1795 das Unternehmen, das heute unter dem Namen Breitkopf & Härtel bekannt ist (Beer 2016). Das Verlagshaus vertrat namhafte Komponisten wie Johann Sebastian Bach, Wolfgang Amadeus Mozart, Ludwig van Beethoven und Richard Wagner. Robert Schumann und Felix Mendelssohn Bartholdy wurden sowohl von Breitkopf & Härtel als auch von einem weiteren Leipziger Verlag vertreten, der aus einer 1807 von Friedrich Hofmeister gegründeten Musikalienhandlung hervorgegangen ist (Rheinfurth 2016). Im Verlauf des 19. Jahrhunderts entwickelte sich Leipzig insgesamt zu einer Metropole des Musikverlagswesens. Dazu trug auch die Gründung der ersten Organisation bei, die sich für die Interessen der Musikverlage einsetzte. Der „Verein der Musikverleger gegen musikalischen Nachdruck“, aus dem später der Deutsche Musikverleger-Verband e. V. werden sollte (Deutscher Musikverleger Verband e. V. 2018, S. 20), wurde 1829 als informeller Zusammenschluss von 16 deutschen Verlegern gegründet. Der Schulterschluss der Musikverlage war vor allem durch die gestiegene Nachfrage nach Notenausgaben motiviert. Die Herstellung nicht-lizenzierter Nachdrucke entwickelte sich zu einem attraktiven Geschäftsfeld. Im Bewusstsein der Wahrung der urheberrechtlichen Interessen sahen die Musikverlage dringenden Handlungsbedarf (Kawohl 2016).

Obwohl auf dem Gebiet der Verlagsgeschichte bereits eine Vielzahl von Forschungsarbeiten geleistet worden ist, sind viele Aspekte weiterhin unbekannt. Im Mittelpunkt vieler Studien stehen die großen Verlage, zu denen neben den oben genannten auch die Edition Peters (Leipzig), Schott (Mainz), Simrock (Bonn) und Schlesinger (Berlin) gehören. Dieser Umstand ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass die Quellenlage sehr diffus ist und es sich um eine wissenschaftliche Nische handelt (Beer 2005).

Parallelen zu den beschriebenen Sachverhalten gemeinsamer Wirkung von Verlagen und Streuverlusten in der Verlagsforschung lassen sich auch im Hinblick auf die Tätigkeit von Verwertungsgesellschaften ziehen, denn das Urheberrecht unterscheidet traditionell zwischen „großen“ und „kleinen Rechten“. Während bühnenmäßige oder dramatische Darbietungen von Musikwerken seit jeher auf Einzelfallbasis durch die Urheber*innen und Verlage lizenziert wurden, war die rechtmäßige Verwertung von Aufführungen durch kleine Betriebe, wie z. B. in der Gastronomie, immer schon schwer zu verfolgen.

Zur Illustration dieses Missstandes wird oft die Anekdote des französischen Komponisten Ernest Bourget nacherzählt. Bourget wollte 1847 im Pariser Café des Ambassadeurs sein Zuckerwasser nicht bezahlen, da seine Musik ebenfalls ohne Entgelt gespielt wurdeFootnote 41. Nachdem die Justiz zugunsten von Bourget entschieden hatte, gründete er mit den Komponisten Victor Parizot und Paul Henrion sowie dem Verleger Jules Colombier die „Agence Centrale“ im zweiten ArrondissementFootnote 42 der französischen Hauptstadt. Daraus entstand 1851 die erste Verwertungsgesellschaft für „kleine Rechte“ der Musik, die französische SACEM (Société des Auteurs, Compositeurs et Editeurs de Musique). Ihrem Beispiel folgten andere europäische Verwertungsgesellschaften wie die italienische SIAE (Societa Italiana Degli Autori ed Editori) im Jahr 1882 und die österreichische AKM (Autoren, Komponisten, Musikverleger) im Jahr 1897 (Dommann 2012, S. 246).

In Deutschland war die Etablierung der neuen Urheberrechtsbewegung holpriger. Die ersten Impulse wurden wiederum in Leipzig gesetzt. Die sogenannte Leipziger Anstalt nahm 1898 ihre Tätigkeit auf, und zwar auf der Grundlage eines Gesetzes, das zum Zeitpunkt seiner Ausübung noch gar nicht existierte. Denn während damals mit dem Kauf einer Notenausgabe jeglicher Vergütungsanspruch seitens der Urheber*innen erlosch, verlangte die Anstalt Tantiemen für die bloße Aufführung von Werken. Veranstalter wollten jedoch nicht für die öffentliche Aufführung von Musikwerken zahlen, Komponist*innen und Verlage ihre Kund*innen nicht verärgern. Die Vorläuferorganisation der Deutschen Verwertungsgesellschaften sah sich daher massiven Widerständen von allen Seiten ausgesetzt und musste schlussendlich kapitulieren (Heker und Riesenhuber 2018, S. 6–9).

Ab 1903 spielte die Genossenschaft Deutscher Tonsetzer (GDT) eine bedeutende Rolle bei der Wahrnehmung von Aufführungsrechten in Deutschland. Ihre Gründung wird oft auf einen Brief von Richard Strauss zurückgeführt. Dieser beeinflusste mit seinen Mitstreitern (u. a. Hans Sommer, Friedrich Rösch und Georg Schumann) ein Gesetz, das die Aufführung von Werken an die Zustimmung der Urheber*innen koppelte. Somit spielten diese eine Schlüsselrolle bei der Etablierung von Verwertungsgesellschaften. Die Anstalt für musikalisches Aufführungsrecht (AFMA), diente den kommerziellen Belangen der GDT (Schmidt 2011; Heker und Riesenhuber 2018, S. 10–14).

Durch die GDT und AFMA begann der Siegeszug der Verwertung von Aufführungsrechten in Deutschland. Dabei ähnelte deren Geschäftsmodell wiederum dem der französischen SACEM. Viele ihrer Strukturen haben bis heute überlebt. Mit dem Verwaltungsabkommen übertrugen die Rechteinhaber*innen ihre Aufführungsrechte an die GDT/AFMA. Gleichzeitig erhielten Komponist*innen, Verlage und Textdichter*innen jeweils feste Vergütungssätze, während 10 % in eine Unterstützungskasse flossen. Das Urbild der deutschen GEMA war allerdings die 1915 gegründete Genossenschaft zur Verwertung musikalischer Aufführungsrechte. Sie nahm Komponist*innen auf, die aus der GDT und der AFMA ausgeschlossen wurden (Heker und Riesenhuber 2018, S. 15–16).

Während sich die Verwertungsgesellschaften vornehmlich mit den Aufführungsrechten befassten, nahm die Bedeutung der mechanischen Rechte durch ihre Kommerzialisierung gegen Ende des 19. Jahrhunderts zu. Die Vervielfältigung musikalischer Werke wurde zunehmend durch neue Medienformate wie Spieldosen und Drehorgeln in den 1870er Jahren und später durch Phonographen und Grammophone in den 1890er Jahren erschwinglich und damit populär. Die Jahre 1906–1908 stellten einen wichtigen Wendepunkt in der Geschichte des Musikurheberrechts dar. Nach wiederholten Forderungen der Komponist*innen und Verlage schlug die internationale „Sprechmaschinenindustrie“ die Einführung einheitlicher Tarife für die Vervielfältigung und Wiedergabe von Musikaufnahmen zur Vergütung der Autorenrechte vor. Die Auslegung der Aufführung von Musikwerken als „Tonkunst“ in der Revision der Berner Übereinkunft von 1908 (Art. 13) führte zur Anerkennung des Rechtsschutzes der mechanischen Vervielfältigung und einem Mitanspruch der Interpreten an der Vergütung (Dommann 2012, S. 245). Urheber*innen und Verlage suchten nun nach Möglichkeiten, auch diese Rechte kollektiv wahrzunehmen.

In Deutschland hatte die GDT bei der Einigung über die Verteilung der Tantiemen aus mechanischen Vervielfältigungen organisatorische Anlaufprobleme. Größere Fortschritte erzielte die Anstalt für mechanisch-musikalische Rechte (AMMRE). In ihr waren im Kern die gleichen Mitglieder wie in der „alten GEMA“ vertreten, die Verwertungsgesellschaften fassten gemeinsame Beschlüsse. Nach Inkrafttreten des „STAGMAFootnote 43-Gesetzes“ im Jahr 1933 wurden die Strukturen der alten GEMA und der GDT „gleichgeschaltet“. Die Aktivitäten der neuen Verwertungsgesellschaft STAGMA wurden vom nationalsozialistischen Regime zentralisiert und kontrolliert. Unter anderem wurde die Satzung zum Nachteil jüdischer Mitglieder angewandt (Heker und Riesenhuber 2018, S. 21–22).Footnote 44

Nicht nur in Deutschland wurden die Verwertungsgesellschaften zu politischen Instrumenten der Volkswirtschaften umgedeutet. Wenn auch nicht mit der gleichen Kälte und Härte wie im NS-Regime, inszenierten sich Verwertungsgesellschaften doch im Sinne des Zeitgeistes international als „zentrale Autoritäten“ und instrumentalisierten den „Autor“ als Kampfbegriff: Während Musik als bedeutende nationale Ressource verstanden wurde, wurden Hörfunk und Fernsehen als Instrumente kapitalistischer Ausbeutung aufgenommen. Vor allen in den Vereinigten Staaten, zur Zeit der Großen Depression, verschärfte sich der Verteilungsstreit um die Verwertung von Musikrechten. Binnen der Verwertungsgesellschaften wuchs die Solidarität mit einkommensschwächeren Gruppen, und dennoch blieb ein großer Teil kulturell bedeutsamen Repertoires von ihnen ungeschützt – nicht zuletzt wegen ihrer restriktiven Aufnahmebedingungen (Dommann 2012, S. 251–252).

In den Bewertungsverfahren der Verwertungsgesellschaften zeigte sich schon früh, dass es kulturelle und ökonomische Determinanten für die Aufnahme, die Vergütungshöhe oder gar den Ausschluss von Werken, Urheber*innen und Verlagen aus Verwertungsketten gibt. Verwertungsgesellschaften betrieben seit jeher Klassensysteme, die beispielsweise politisch/wirtschaftlich besser gestellte Mitglieder begünstigten oder Komponisten sogenannter „ernster Musik“ (E-Musik) gegenüber denen der „Unterhaltungsmusik“ (U-Musik) bevorzugten. Letzteres ist eine DissonanzFootnote 45, die heute noch nachschwingt und in der unterschiedlichen Behandlung von E- und U-Musikwerken sowie E- und U-Musikverlagen ihren Ausdruck findet. Und doch haben und hatten die Verwertungsgesellschaften auch einen sozialen Anspruch, der darauf abzielte, die Interessenkonflikte von kommerziellen Unternehmen und Musikschaffenden, sei es von E- oder U-Musik, auszugleichen (Dommann 2012, S. 249–250).

Immer noch gelten Verwertungsgesellschaften international als wichtige Vertreterinnen wirtschaftlicher Interessen von Komponist*innen und Verlagen. Sie agieren als „Bewertungs-, Verwaltungs- und Verteilungsapparate“ von Urheberrechtsvergütungen. Durch den Ausbau eines Netzwerks auf Basis von Gegenseitigkeitsverträgen ist es für sie möglich, Tantiemen sowohl für in- als auch ausländische Werknutzungen einzusammeln und an ihre Mitglieder zu verteilen. Damit waren Verwertungsgesellschaften auch ein zentrales Element der Organisation des Urheberrechts in Europa und den Vereinigten Staaten im 20. Jahrhunderts (Dommann 2014, S. 107–132). Aufgrund der Allgegenwärtigkeit von Musik und ihrer massenhaften Verwertung in allen Bereichen der Gesellschaft ist die Bedeutung der Verwertungsgesellschaften für Musikverlage nach wie vor außerordentlich groß.

Wie dieser Abschnitt gezeigt hat, lässt sich die Entstehungsgeschichte der Verlage, Verwertungsgesellschaften und des Urheberrechts kaum isoliert erzählen. Ihre Stimmen verhallten in denselben Tönen und erreichten die Öffentlichkeit doch zu unterschiedlichen Zeiten. Eine grundlegende Rolle kam dabei der Technik und den Medien zu, die bei urheberrechtlichen Nutzungen von Musikwerken eingesetzt wurden. Albiez und Baierle (2021) verstehen diesen Wandel im Kontext der Transformation von den Primärmedien (interpersonelle Überlieferung von Notenausgaben) hin zu den heute stark verbreiteten Quartärmedien (digitale Kanäle). Bis zum Eingreifen von Verlagen und Verwertungsgesellschaften als Hüter des Urheberrechts kam es immer wieder zu einem Missbrauch rechtlicher Grauzonen durch Marktteilnehmer zum Zwecke der Gewinnerzielung. Sei es durch Nachdrucke, die unberechtigte Vervielfältigung von Schallplatten, Radiosendungen nicht freigegebener Programme oder durch digitale Raubkopien im Internet-Zeitalter.

Die Durchlässigkeit des Mediums Internet um die Jahrtausendwende bot erneut ungeahnte Möglichkeiten für Musikschöpfer*innen oder Verlage, aber auch für Verwertende bzw. Nutzende. Erneut wurden die rechtlichen Grauzonen ausgelotet und gedehnt, diesmal in Form von Online-Tauschbörsen. Erneut wurden die neuen Medien von Urheber*innen und ihren Vertretern verteufelt und es dauerte, bis sich legitime und rechtlich abgesicherte Wirtschaftsmodelle auf Lizenzbasis etablierten. Es wurden viele Versuche unternommen, das Urheberrecht so weit wie möglich von der Unbeständigkeit der Märkte zu abstrahieren. Ob dies letztlich in der Praxis zu dem notwendigen Rechtsschutz führt, bleibt immer eine Prüfung des Zeitgeistes. Die Kernaufgabe der Verlage und Verwertungsgesellschaften bleibt jedoch unverändert: Sie wollen den von ihnen vertretenen Urheber*innen einen möglichst umfassenden Rechtsschutz und eine angemessene Vergütung für die Drittnutzung ihrer Werke bieten.

2.3.2 Musikverlage heute und in Zukunft

Laut dem DMV beschäftigt sich die überwiegende Anzahl der Musikverlage in Deutschland heute mit der Vermittlung und Lizenzierung von Musikwerken für Labels, Film-, Werbe-, Hörfunk- und Fernsehproduktionen, Online-Medien und Computerspiele, sowohl im nationalen als auch internationalen Kontext. Doch auch das traditionelle Geschäft des Musikverlagswesens besteht weiter fort. Die direkte Lizenzierung von Bühnenaufführungen wie Opern, Balletten, Musicals und klassischen Konzerten gehört nach wie vor zum Aufgabengebiet der Musikverlage, insbesondere solcher, deren Kataloge der E-Musik zuzuordnen sind. Gerade für diese ist der Notendruck nach wie vor eine wichtige Einnahmequelle. Zwar findet er auch in weiteren Bereichen, wie z. B. dem Musikunterricht und in der Musikwissenschaft seine Abnehmer*innen, doch macht das traditionelle „Papiergeschäft“ der Musikverlage in Deutschland heute nur noch einen Anteil von 10 % an der Erlösstruktur aus (Deutscher Musikverleger Verband e. V. 2018).

Auch besteht die enge Zusammenarbeit von Verlagen und Verwertungsgesellschaften nach wie vor: 2018 erzielten Deutsche Musikverlage den Großteil ihrer Einnahmen über Verwertungsgesellschaften (nahezu 50 %), gefolgt von den Lizenzeinnahmen für die eigenen Kataloge sowie Einnahmen aus administrativen Tätigkeiten für Dritte (siehe Abb. 2.14).

Abb. 2.14
figure 14

Erlösstrukturen und Lizenzeinnahmen bei Musikverlagen. (Deutscher Musikverleger Verband e. V. 2018)

Dennoch ist das Verhältnis zwischen Musikverlagen und Verwertungsgesellschaften heute ambivalenter als früher. Führte historisch der Weg der Verwertung „kleiner Rechte“ nur über die kollektive Wahrnehmung, so tritt im digitalen Umfeld die individuelle Wahrnehmung dieser Rechte wieder stärker in den Vordergrund. Die Durchlässigkeit der neuen Medien erlaubt es den Verlagen selbst einen Einblick in die Geschäftswelt ihrer Lizenznehmer zu gewinnen. Bisher bleiben diese Wege jedoch hauptsächlich „Industrieverlagen“ anglo-amerikanischer Kataloge vorbehalten. Letztere zeichnen sich durch wesentlich stärkere Kommerzialisierung aus, weswegen sie sich zunehmend vom traditionellen, quersubventionierenden System der Verwertungsgesellschaften entfremden (siehe Abschn. 2.2.1).

Kleine und mittlere Verlage bleiben für viele Musikschaffende ein wichtiges Sprungbrett in die Musikindustrie. Neben der rein kommerziellen Ausrichtung übernehmen sie Aufgaben in der persönlichen Betreuung, knüpfen Kontakte nicht nur zu Lizenznehmer*innen, sondern auch zu anderen Talenten und fördern so ihre Kreativen individuell. Trotz der höheren Durchlässigkeit der neuen Medien, bleibt es für Einzelne kaum möglich einen Überblick über die Vielzahl an Verwertungen ihrer Werke zu behalten. Verlage und Verwertungsgesellschaften stellen damit weiterhin zentrale Instanzen dar, die sich gegenüber großen Nutzerplattformen durchsetzen können – sei es in analogen oder digitalen Räumen. Zudem spielen sie weiterhin eine wichtige Rolle bei der Vertretung der urheberrechtlichen Interessen gegenüber den Gesetzgebern (Albiez und Baierle 2021, S. 5). Erst kürzlich stand die Umsetzung der Richtlinie 2019/790 (DSM-Richtlinie) in der Europäischen Union im Mittelpunkt politischer Debatten. Ziel dieser Richtlinie war es, einen Ausgleich zwischen den von den Rechteverwertern erzielten Online-Einnahmen und der geringen Beteiligung der Rechteinhaber zu finden (Albiez und Baierle 2021, S. 16).

Aus den dargestellten Änderungen bei Nutzungen, beispielsweise hinsichtlich Lizenzierungsvolumina oder lizenzierten Medien, folgt auch die Notwendigkeit für Veränderungen in der Zusammenarbeit zwischen Verlagen und Verwertungsgesellschaften. Die verlagsspezifischen Belange im Zusammenhang mit der Digitalisierung werden im nachfolgenden Abschnitt skizziert, die Herausforderungen und Ansätze in der Interaktion mit Verwertungsgesellschaften folgen im weiteren Verlauf des Buches.

2.3.3 Musikverlage – aktuelle Herausforderungen und Lösungsansätze

Die Digitalisierung macht vor Musikverlagen nicht halt. Auf mehreren Ebenen ändern sich die Arbeitsprozesse, die Marktbedingungen sowie die Position der Musikverlage in der Wertschöpfungskette der Verwertung von Musikurheberrechten. Daraus resultiert umfangreiches Änderungspotenzial hinsichtlich Arbeitsweise, Angebot und Ausrichtung der Verlage. Zu den Fragen, denen sich ein moderner Musikverlag stellen muss, gehören:

  1. 1.

    Welchen Mehrwert biete ich als Musikverlag meinen Autor*innen, jetzt und in Zukunft?

  2. 2.

    Werde ich zunehmend mit Autor*innen konfrontiert, die sich zwar eine Administration ihrer Werke wünschen, aber Verlagsanteile ablehnen (UVW = UnverlegteFootnote 46 Werke)?

  3. 3.

    Arbeite ich mit Subverlagen oder werde ich direktes Mitglied bei ausländischen Verwertungsgesellschaften?

Hierzu gesellen sich Bedenken, ob die Lizenzvolumina hinreichend sind, um als Musikverlag kleiner oder mittlerer Größe überhaupt von den geringeren Tantiemen im Digitalgeschäft leben zu können. Die drei wichtigsten Einnahmequellen von Musikverlagen, dargestellt in Abb. 2.14 auf Seite 49, lassen sich wie folgt zusammenfassen:

  1. 1.

    Verwertungsgesellschaften

  2. 2.

    Direktlizenzierungen aus eigenen Katalogen

  3. 3.

    Administration durch und für Dritte (z. B. Subverlage)

Die erste und nach Umsatz wichtigste Quelle, die Verwertungsgesellschaften, erlaubt allenfalls eine indirekte Einflussnahme durch die Mitgliedschaft des Musikverlages und seine Mitarbeit in Gremien. Dieser Wirkmöglichkeit sind aufgrund der Komplexität der Themen und der Besonderheiten der Mitgliederstrukturen in der Realität Grenzen gesetzt. Gleichzeitig entstehen dadurch wirtschaftliche Abhängigkeiten für die Verlage. Wie diese wirken können, soll nachfolgend anhand eines Beispiels aus der Praxis kurz illustriert werden.

Fallstudie: Antrag 19

Mitgliederversammlungen der Verwertungsgesellschaften bieten verschiedene Möglichkeiten zur Ausübung von Stimmrechten. Eine davon ist die Einreichung von Änderungsanträgen. Im Falle der GEMA spielte der „Antrag 19 der Mitgliederversammlung 2020“ eine wichtige Rolle für die Funktionsweise der Verwertungsgesellschaft und die Interaktion der Mitglieder mit ihr (GEMA 2021b, 2022b). Denn mit der Umsetzung von Antrag 19 wurden weitreichende Änderungen der Anteilsregeln und damit in der Behandlung der Werkanmeldungen und Tantiemenabrechnungen eingeführt. Von nun an folgten die neuen Anteilsregeln der GEMA für ihr Eigenrepertoire („GEMA-Originalwerke“Footnote 47) dem Grundsatz freier Vereinbarkeit, einer neuen Basisaufteilung und einer darauf basierenden Ableitungslogik. Darunter sollte folgendes verstanden werden:

  • Freie Vereinbarkeit: Die Tantiemenanteile für die Rollen von Musik und Text können bei der Anmeldung neuer Werke bei der GEMA zwischen den Urheber*innen frei vereinbart werden. Ehemals waren die Anteile a priori durch entsprechende Regeln definiert.

  • Basisaufteilung: Werden die Tantiemenanteile nicht wie oben beschrieben frei vereinbart, so gilt eine Basisaufteilung. Für frei vereinbarte Anteile gilt der Mindestsatz von 55 % der Basisaufteilung.

  • Ableitungslogik: Bisher wurden die Tantiemenanteile für Werkbeteiligte von der GEMA anhand von 1500 fest definierten Schlüsseln ermittelt. Dieses Verfahren sollte durch die Ableitungslogik ersetzt werden, bei der etwa die Verlagsanteile von den Urheberanteilen abgeleitet werden.

Die Änderungen führten zu einer größeren Freiheit und Klarheit bei der Festlegung der Ansprüche auf Tantiemenanteile, waren aber unter den Interessenvertreter*innen nicht unumstritten. So wurden u. a. folgende sich durch die Änderungen der Anteile ergebende Problematiken angemerkt:

  • Erfolgt keine freie Vereinbarung, so wird die Basisaufteilung angewandt. Für Nutzungen von textierten Werken des GEMA-Eigenrepertoires wurde der Basiswert für den Verlagsanteil an der Textdichtung der Werke im Vergleich zum bis dato gültigen Standardwert reduziert.

  • Nach den neuen Anteilsregeln wurden 2/3 der Tantiemenanteile für verlegte Werkbearbeitungen an die Komponist*innen, 1/3 an die Verlage, die sie vertreten, abgerechnet. Diese Regelung traf nun alle Werke, die dem GEMA-Eigenrepertoire angehören. Ehemals wurden die Tantiemenanteile für Werkbearbeitungen nach einem Schlüssel in Abhängigkeit der Rechtekategorie bzw. Nutzungsart (Sparte) geregelt.

  • Auch im Fall von teilsubverlegten Auslandswerken wurden die Verlagsanteile um bis zu 20 % reduziert.

  • Die Umsetzung der neuen Ableitungslogik stellte die Verwertungsgesellschaft vor eine Reihe von Problemen. Es zeigte sich, dass die Abtretungsanteile von Nutzungsrechten in den Verlagsverträgen auf der Grundlage der vorhandenen Dokumentationsbasis (Verlagsanteile wurden kumuliert erfasst) nicht eindeutig abgeleitet werden konnten. Dies galt für sogenannte asymmetrische Vertretungsbeziehungen, also wenn ein Verlag mehrere Urheber*innen vertritt, aber nicht mit gleichen Rechteanteilen. Um dieses Problem aufzulösen, wurden diesen sogenannten vertreten-von-Verweisen (VRTs) bzw. Urheber-Verleger-Zuordnungen (UVZ) eine gleichmäßige Aufteilung unter den Originalverlagen unterstellt (GEMA 2022c) – was aber der nicht der realen Rechteverteilung entsprechen muss.

Unabhängig von Konsequenzen dieser Art stellt Antrag 19 einen Meilenstein darin dar, die GEMA international wettbewerbsfähig und kompatibel zu anderen Akteuren in der globalen Wahrnehmung von Musikurheberrechten zu machen. Nicht zuletzt war die Beteiligung bei ICE ein wesentlicher Antrieb für diese Entwicklungen.

Die Fallstudie zeigt die Abhängigkeit und den begrenzten Gestaltungsspielraum der Verlage auf diese Einkommensquelle. Gleichwohl zeigen die folgenden Kapitel insbesondere über direkte Mitgliedschaften Optimierungsansätze.

Die beiden weiteren genannten Einkommensquellen der Direktlizenzierungen und Administration für Dritte bieten hingegen umfangreiche Einflussmöglichkeiten für Verlage. Hier können überbetriebliche Prozesse an den Schnittstellen zu Lizenznehmer*innen und Rechte*inhaberinnen (inkl. anderer Verlage) optimiert und auch innerbetriebliche Arbeitsabläufe effizienter gestaltet werden. Dabei können grundlegende Prinzipien der Wirtschaftsinformatik aus dem Customer Relationship Management (CRM)Footnote 48 oder Business Process Reengineering (BPR)Footnote 49 zum Einsatz kommen. Hinter diesen Schlagwörtern verbirgt sich die Aufdeckung von Veränderungsnotwendigkeiten, sowohl auf analoger als auch auf digitaler Ebene, wie z. B.:

  • Optimierung von Arbeitsprozessen

  • Schulungen und Weiterbildungen von Mitarbeiter*innen

  • Anwendung von Best Practices im Datenmanagement unter Berücksichtigung von Datenschutz-Aspekten

  • Einsatz von Spezialsoftware zur Verwaltung von Katalogen und AbrechnungenFootnote 50

Darüber hinaus gibt es in einer Reihe weiterer spezieller Entwicklungsbereiche Verbesserungspotenzial für den Musikverlag der Zukunft:

  • Flexible Zusammenarbeit mit Autor*innen (Administration vs. Beteiligung), um der wachsenden Anzahl selbstvermarktender Künstler*innen und Autor*innen Rechnung zu tragen

  • Vertikale Integration von Leistungsangeboten aus verlagsfremden Wertschöpfungsebenen wie Künstlermanagement- und Label-Tätigkeiten

  • Nutzung digitaler Plattformen für Direktlizenzierungen (z. B. Sync, Streaming)

Musterlösungen gibt es für die oben genannten Bereiche nicht, vielmehr bieten sie Potenzial für die Ausarbeitung von Prozessexzellenz, Alleinstellungsmerkmalen und Wettbewerbsvorteilen.

Dieses Buch gibt jedoch konkretere Orientierungshilfe bei der Überschneidung des ersten und des dritten Anknüpfungspunkts, den Verwertungsgesellschaften und der Administration durch Dritte, wie z. B. Subverlage, deren Anteil an den Einnahmen durch direkte Mitgliedschaften in ausländischen Verwertungsgesellschaften eingespart werden kann. Hierbei werden insbesondere die organisatorischen, konzeptionellen und technischen Grundlagen betrachtet, auf Herausforderungen hingewiesen und Lösungsansätze vorgestellt.