Verlage stehen vor der ständigen Aufgabe, ihr Geschäftsmodell zu innovieren, um mit dem Zeitgeist Schritt zu halten. Während in der Vergangenheit eine Prioritätsverschiebung vom Notendruck hin zur ganzheitlichen Unterstützung urheberrechtlicher Verwertungsprozesse stattfand, ist die Verlagswelt heutzutage mit der fortschreitenden Digitalisierung und Internationalisierung konfrontiert. Die Verwertung musikalischer Werke erfolgt zunehmend globaler, woraus sich ein großes wirtschaftliches Potenzial ergibt. Die Chancen liegen nun in der effektiven und effizienten Nutzung der zahlreichen Verwertungsoptionen in einem gewachsenen internationalen Markt.

Die Vielfalt unterschiedlicher Verwertungsstrukturen birgt jedoch insbesondere für kleine bis mittlere Verlage große Hürden, da durch fehlende Standardisierung die rechtlichen, technischen und organisatorischen Aufwände beträchtlich sind. Gleichzeitig stellt die globale Rechtewahrnehmung einen zunehmend wichtiger werdenden Baustein für den wirtschaftlichen Erfolg und damit auch für den Bestand kleiner und mittlerer Akteure im Musikgeschäft dar.

Verwertungsgesellschaften nehmen dabei als mächtiges Bindeglied, lange Zeit monopolistische Player und Interessensvertretung von Rechteinhaber*innen in den Verwertungsprozessen rund um Urheberrechte eine Schlüsselposition ein. Beauftragt von Rechteinhaber*innen verantworten sie treuhänderisch die Lizenzierung von Nutzungen sowie das Inkasso und die Verteilung zugehöriger Tantiemen. In dieser Rolle waren sie lange Zeit alternativlos. Im nationalen Rahmen wurde ihnen für bestimmte Rechtsgegenstände die alleinige Vertretungsbefugnis de jure übertragen. Darüber hinaus festigten sie ihre Monopolstellungen de facto durch die Ausdehnung ihres Repertoires, u. a. durch gegenseitige Vertretungsverträge mit anderen Verwertungsgesellschaften im internationalen Rahmen.

Da der der Markt der Verwertungsgesellschaften jedoch auf gebietsbeschränkte Lizenzmodelle ausgerichtet war, hat die Durchlässigkeit der Digitalisierung einen Dominoeffekt auf dem Markt ausgelöst. Dieser führte über die zunehmenden Forderungen der Lizenznehmer*innen nach einer mediengerechten Lizenzvergabe und den sensibilisierten Gesetzgeber*innen zu einem Markt, der durch asymmetrische Regulierung, Wettbewerb und Komplexität gekennzeichnet ist.

Gleichzeitig bietet die neue Marktlandschaft aber auch Chancen, denn Rechteinhaber*innen und Verlage treffen nun auf einen stärker angeglichenen grenzüberschreitenden Markt, insbesondere im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR). In der Vergangenheit wählten kleine und mittlere Verlage zur Erschließung internationaler Tantiemen oftmals den Weg über die heimische Verwertungsgesellschaft oder nutzen Subverlage zur Administration und Verwertung ihrer Rechte auf internationalen Märkten. Mit der Schaffung neuer Rechtsgrundlagen durch die Europäische Union (EU) und getrieben vom wirtschaftlichen Bedarf gehen Verlage auf internationaler Ebene zunehmend direkte Mitgliedschaften in mehreren Verwertungsgesellschaften ein. Dadurch steigt der Gestaltungsspielraum und Prozesse können durch Ausschaltung von Intermediären beschleunigt werden, in gleichem Maße wachsen aber auch Verantwortlichkeiten und Aufwände.

Dieses Buch soll zeigen, dass diese Transformationsprozesse nicht bei rechtlichen und betriebswirtschaftlichen Aspekten aufhören, indem es den Ist-Stand, Herausforderungen und Lösungsansätze insbesondere aus der IT-Perspektive aufzeigt. Die Ausführungen zeigen dabei, dass ein zielführender Einsatz von IT nicht zuletzt durch die Digitalisierung einen Schlüssel für die effiziente Erschließung internationaler Märkte und Verwertungen darstellt.

1.1 Hintergründe und Ausrichtung

Inhaltlich speist sich das Buch sowohl aus wissenschaftlichen Erkenntnissen als auch praktischen Erfahrungen. So basiert es einerseits auf Ergebnissen des Forschungsprojektes SO/CLEARFootnote 1, in welchem sich die beiden Partner ALVDIGITAL Systems sowie die Forschungs- und Entwicklungsabteilung des Universitätsrechenzentrums (URZ) der Universität Leipzig mit der Entwicklung von IT-Lösungen zur Unterstützung der Internationalisierung von Verwertungen von Urheberrechten beschäftigten. Diese wurde andererseits um die Erfahrungen ergänzt, welche durch den langjährigen Betrieb einer Softwareplattform zum Label- und Verlagsmanagement (ALVDIGITAL) sowie durch die Bereitstellung zahlreicher prototypischer Anwendungen für die Datenverarbeitung in der Musikindustrie (Universität Leipzig) gewonnen werden konnten.

Daraus folgt auch der Charakter des Buchs, welches sich auf dem Grat zwischen Wissenschaft und Praxis bewegt und hin und wieder die Randbereiche mal des einen, mal des anderen Territoriums touchiert. Übergeordnete Prämisse für die Inhalte ist dabei stets die Praxisrelevanz. Folglich liegt die Priorität des Buches auch darin, die Grundlagen für ein allgemeines Verständnis zu schaffen und weniger darin, umfassende Erklärungen für alle Details und Spezialfälle zu liefern.

Entsprechend der fachlichen Expertise der Autoren – es sind allesamt Informatiker – liegt der Schwerpunkt der Betrachtungen auf der technischen Perspektive. Weiterhin werden hin und wieder Verweise auf von den beteiligten Autoren erstellte Software erfolgen, seien es wissenschaftliche Prototypen oder fertige Produkte. Oberstes Ziel dabei ist stets die Vermittlung und Illustration von Inhalten und nicht die Hervorhebung bestimmter Lösungen.

Dank gilt an dieser Stelle auch Malte Zill und Fabian Rack, welche durch Hinweise, Anregungen und Kritik in ihren Reviews signifikant zur inhaltlichen Fundierung des Buches auch außerhalb technischer Thematiken beigetragen haben.

1.2 Zielgruppe

Verlage nehmen in der Musikindustrie eine intermediäre Rolle zwischen Kreativen – den Urheber*innen – und der Wirtschaft wahr. Gleichzeitig ist diese Rolle fakultativ, d. h. nicht alle Urheber*innen werden von einem Verlag vertreten. Viele der nachfolgenden Ausführungen sind für Rechteinhaber*innen allgemein anwendbar, unabhängig davon ob es sich dabei um Urheber*innen oder Verlage handelt. Allerdings verfügen zumeist Verlage über die notwendigen Ressourcen, das wirtschaftliche Interesse und das erforderliche Know-how, um die mit der Internationalisierung der urheberrechtlichen Verwertung verbundene Themen wie Rechtsgrundlagen, Prozesse und Datenformate anzugehen.

Die Musikindustrie ist jedoch stark umkämpft, und kleinen und mittleren Unternehmen im EWR wurde in jüngster Vergangenheit nachgesagt, strukturelle, finanzielle und technische Defizite aufzuweisen, was die internationale Verwertung hemmt (KEA 2006b). Dabei ist die Verlagslandschaft in der deutschen Musikindustrie geprägt von kleinen und mittleren Verlagen. Etwas mehr als 83 % der über 1000 Verlage erwirtschaften Umsätze unter einer halben Million Euro (Albiez und Baierle 2021).

Aufgrund der digitalisierungsbedingten Ausweitung der Internationalisierung und der Omnipräsenz oben genannter Problembereiche hat dieses Buch das Ziel, die strukturellen und technischen Grundlagen im Zusammenhang der internationalen Verwertung vorrangig für Verlage aufzubereiten und zu vermitteln. Die Schaffung eines Überblicks soll helfen, sich strukturiert der Thematik zu nähern, fundierte, selbstbestimmte Entscheidungen zu treffen und Lösungsansätze zu entwickeln und umzusetzen.

Obgleich Funktionsweise, Strukturen oder Herausforderungen der Verwertung von Urheberrechten über die verschiedenen Kunstgattungen wie Bild, Text oder Musik hinweg Überschneidungen aufweisen, werden im Folgenden Urheberrechte an Musikwerken sowie dazugehörige Verwertungsstrukturen der Verlage und Verwertungsgesellschaften fokussiert. Parallelen oder Abweichungen zu anderen Kunstgattungen innerhalb des Urheberrechts können vorhanden sein, werden aber nicht gesondert betrachtet.

Auf eine getrennte Darstellung von Eigenheiten nach Kategorien wie der E- und U-Musik zur Unterteilung sogenannter ernster und unterhaltender Musik wird weitestgehend verzichtet. Auch wenn sich die Rolle, Funktionsweise und Aufgaben der Verlage, welche diese Kategorien repräsentieren (E- und U-Verlage), ähneln, erzwingen die vorhandenen Strukturen jedoch oftmals eine getrennte Betrachtung der beiden Gruppen. Wo notwendig, beugt sich das Buch dieser Unterteilung und legt in diesen Fällen den Fokus auf U-Verlage.

1.3 Struktur

Um die Ausführungen in diesem Buch in den Kontext der gegenwärtigen Marktsituation und ihrer Entstehung einzuordnen, werden zunächst die rechtlichen und wirtschaftlichen Grundlagen der Verwertung von Urheberrechten an Musikwerken dargestellt (Kap. 2). Die darauf folgenden Betrachtungen konzentrieren sich auf die Schnittstellenaktivitäten der Verlage zu Verwertungsgesellschaften. Der Grund dafür ist die wirtschaftliche Relevanz der durch letztere erzielten Einnahmen: 2020 haben in Deutschland Urheber*innen 77 % und Verlage 56 % ihrer Einnahmen über die Ausschüttungen von Verwertungsgesellschaften generiert (DIW Econ GmbH et al. 2020).

Dabei orientiert sich das Buch strukturell an dem Lebenszyklus, welchen Rechteinhaber*innen bei der Interaktion mit Verwertungsgesellschaften üblicherweise durchlaufen (siehe Abb. 1.1). Im Einzelnen werden die organisatorischen und technischen Aspekte beschrieben, beginnend mit der Mitgliedschaft bei einer Verwertungsgesellschaft (Kap. 3) über die Anmeldung der Werke bei einer solchen (Kap. 4), die Ausschüttung von Tantiemen für durch die Verwertungsgesellschaft abgewickelte Lizenzierungen (Kap. 5) sowie Kontrolle und ggf. notwendige Reklamationen der zugehörigen Abrechnungen (Kap. 6).

Abb. 1.1
figure 1

Lebenszyklus der Interaktion von Rechteinhaber*innen mit Verwertungsgesellschaften

In Kap. 8 werden die vorangehend beschriebenen Thematiken aus verschiedenen Perspektiven kritisch reflektiert. Abschließend werden in Kap. 9 mögliche Zukunftsszenarien für die Entwicklung der Musikindustrie unter den Gesichtspunkten der erläuterten Aspekte skizziert.

Den einzelnen Kapiteln werden einleitende Zitate von Vertreter*innen deutscher Musikverlage vorangestellt. Diese werfen einen plakativen Blick aus der Praxis auf das jeweilige Thema und dienen so der Illustration der in den Kapiteln behandelten Thematiken sowie der Herstellung bzw. Verdeutlichung des Praxisbezugs. Die zugehörige Erhebung wird in Abschn. 3.1 vorgestellt.