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Einleitung

In der Debatte über Gegenwart und Zukunft des Journalismus im Zeitalter der Digitalisierung dominieren Krisennarrative. Vom Anzeigen- und Auflagenschwund gedruckter Medien und der damit verbundenen Schrumpfung von Redaktionen bis hin zu Phänomenen wie Desinformation und Hassrede im Netz reicht die Palette dominanter Erzählungen.

Erstaunlicherweise nicht ausgenommen von diesen Narrativen sind öffentlich-rechtliche Medien, obwohl hier weder Anzeigen- noch Auflagenschwund ein Thema, Finanzierungsfragen – wenn auch zunehmend von radikal-rechter Seite unter Druck – gelöst sind. Vor allem das jüngere Publikum wird von öffentlich-rechtlichen Medien mit ihren linearen Kanälen immer weniger erreicht, für neue digitale Angebote fehlten lange die gesetzlichen Voraussetzungen oder sie sahen Einschränkungen wie einen „Sendungsbezug“ oder das Verbot „presseähnlicher Angebote“ vor.

In dem Maße, in dem diese rechtlichen Hürden für Online-Angebote öffentlich-rechtlicher Medien durch vergangene und anstehende Reformen des früheren Rundfunk- und jetzt Medienstaatsvertrags langsam abgebaut werden, gewinnen Fragen nach deren zeitgemäßer Gestaltung an Bedeutung. Hier dominieren bislang jedoch Vorstellungen und Vorbilder die Debatte, die defensiv ausgerichtet und an prominenten kommerziellen Angeboten orientiert sind. Vor allem der kommerzielle Streamingdienst Netflix wird immer wieder als Vorbild für öffentlich-rechtliche Online-Angebote herangezogen (als Beispiel kann hier das Antrittsinterview des HR-Intendanten Florian Hager genannt werden, vgl. Handelsblatt 2022). Die Gestaltung öffentlich-rechtlicher Mediatheken ähnelt dementsprechend jener des privaten Streaming-Angebots: zahlreiche Kacheln mit Bildern der Inhalte, redaktionelle und personalisierte Empfehlungsbänder, Rubriken und Suchfunktionen.

Vorbild Netflix bedeutet aber auch, dass eine Reihe von Potenzialen, öffentlich-rechtliche Medienangebote weiter zu entwickeln und zu demokratisieren, gar nicht erst in den Blick geraten. Vor allem die Demokratisierung ist von entscheidender Bedeutung, um die Legitimität öffentlich-rechtlicher Angebote im Digitalzeitalter neu zu begründen. Denn angesichts großer kommerzieller Plattformen, die vor Inhalten nur so überquellen und ohne technologische Restriktionen wie knappen Rundfunklizenzen agieren können, sind Existenz und Fortbestand relevanter öffentlich-rechtlicher Angebote zumindest in Teilen der politischen Öffentlichkeit keine Selbstverständlichkeit mehr.

Gleichzeitig gilt einer der zentralen Gründe für die Etablierung öffentlich-rechtlicher Medien als Teil eines dualen Mediensystems auch im Kontext digitaler Plattformen unvermindert weiter: Für die Vielfalt und Stärke demokratischer Öffentlichkeit ist es von Vorteil, wenn es neben primär profitorientierten, privaten Medienangeboten auch wirtschafts- und staatsferne, öffentlich-rechtliche Medien mit relevanter Reichweite gibt. Nicht, weil öffentlich-rechtliche Angebote a priori besser oder qualitätsvoller wären als private Konkurrenzangebote, sondern weil sie einer anderen Logik folgen. Sie sind nicht in erster Linie der Gewinnerzielung, sondern einem demokratischen Auftrag verpflichtet.

In der Vergangenheit wurde unter „demokratischem Auftrag“ vor allem der rundfunkgesetzliche Rahmen verstanden. Dazu zählen Programmgrundsätze wie Ausgewogenheit, Unparteilichkeit und die Einhaltung journalistischer Sorgfaltsmaßstäbe genauso wie die konkrete Beauftragung bestimmter Angebote (zum Beispiel einzelne Kanäle) durch den Rundfunkgesetzgeber. Die Einhaltung dieses Auftrags zu überwachen, ist Aufgabe der Rundfunkaufsicht, die selbst wiederum mit dem Spagat zwischen demokratischer Rückbindung an die Gesellschaft und (fehlender) Staatsferne zu kämpfen hat. Staatsferne ist notwendig, weil Berichterstattung und Kontrolle staatlichen Handelns eine Kernaufgabe von Medien und damit auch öffentlich-rechtlichen Anbietern ist. Wie aber dann die Rundfunkaufsicht demokratisch gestalten, wenn der Anteil der (demokratisch legitimierten) Politik begrenzt bleiben muss?

In diesem Kontext eröffnen sich im Zuge der digitalen Transformation Möglichkeiten, den demokratischen Auftrag öffentlich-rechtlicher Medien neu zu denken und zu praktizieren. Es kommt darauf an, von einer defensiven Fortschreibung einmal etablierter Strukturen in die digitale Welt zu einem offensiven Um- und Ausbau der öffentlich-rechtlichen Medien zu gelangen – mit dem Ziel, vielfältiger, inklusiver und demokratischer zu werden. Ein positiver Nebeneffekt, ein Kollateralnutzen einer derart offensiven, auf Demokratisierung orientierten Perspektive, ist die Stärkung des spezifischen Beitrags öffentlich-rechtlicher Medien zum Gemeinwohl, insbesondere im Vergleich mit privat-profitorientierten Medien.

Anknüpfend an einen gemeinsam mit Ricardo Parger verfassten Beitrag (Dobusch und Parger 2021), werde ich deshalb im Folgenden öffentlich-rechtliche Demokratisierungspotenziale in drei Bereichen herausarbeiten:

  1. 1)

    Medienkonsum

  2. 2)

    Medienproduktion

  3. 3)

    Mediengovernance

Allen Potentialen ist gemein, dass sie sich vor dem Hintergrund neuer digitaler Technologien eröffnen, keineswegs aber automatisch im Zuge der Digitalisierung einstellen werden.

Demokratisierung des Konsums öffentlich-rechtlicher Medien

Auf den ersten Blick mag die Forderung, den Konsum öffentlich-rechtlicher Medien demokratischer zu gestalten, anachronistisch erscheinen. Was könnte demokratischer sein, als ein Angebot wie die öffentlich-rechtlichen Sender und Mediatheken, die der gesamten Bevölkerung ohne Zugangsbeschränkung zur Nutzung offenstehen?

Interessanterweise lässt sich zur Beantwortung dieser Frage ebenfalls eine prominente kommerzielle Plattform heranziehen, die den öffentlich-rechtlichen Anbietern bislang aber, im Unterschied zu Netflix, kaum je als Vorbild dient: YouTube.

Der Beitrag von YouTube zur Demokratisierung von Medien ist wahrscheinlich kaum zu überschätzen. Auch wenn man die berechtigte Kritik an problematischen Empfehlungsystemen berücksichtigt, bleibt der Befund, dass YouTube und andere Social-Media-Plattformen viele neue kreative Formate hervorgebracht und dabei Personen und Themen Aufmerksamkeit verschafft haben, die in etablierten Medien marginalisiert bis exkludiert werden (Benkler 2006). Die Möglichkeit, Videoinhalte quasi kostenfrei weltweit zugänglich zu machen, mit diesen Videoinhalten über Kommentare zu interagieren und sie, freie Lizenzierung vorausgesetzt, in eigene Videos zu integrieren, entspricht einer medialen Ermächtigung breiter Bevölkerungsschichten.

Entsprechende Möglichkeiten fehlen in öffentlich-rechtlichen Mediatheken komplett. Die Potentiale digitaler Rückkanäle werden dort kaum genutzt. Wer öffentlich-rechtliche Inhalte mit anderen öffentlich diskutieren oder der Redaktion Rückmeldung geben möchte, muss hoffen, dass diese Inhalte auch auf YouTube oder anderen privaten Plattformen wie beispielsweise Instagram zugänglich gemacht werden. Dabei berichten Mitglieder von Redaktionen regelmäßig davon, dass sie via Rückmeldungen in Kommentaren wertvolle Hinweise für die Programmgestaltung und -entwicklung erhalten. Im Bericht zum öffentlich-rechtlichen Jugendangebot „funk“ (2020) heißt es beispielsweise:

„Die etablierten Social Media-Plattformen eröffnen die Möglichkeit, die Zielgruppe durch von ihr bereits eingeübte Interaktionsmöglichkeiten [zu aktivieren]. Hiervon profitieren Funk-Formate stark, weil Nutzer*innen beispielsweise über Kommentarfelder unter den Videos direkt Kontakt aufnehmen und die Interaktion unter den Nutzer*innen angestoßen werden kann. So wird beispielsweise auch ein Meinungsbildungsprozess forciert, und Nutzer*innen lernen, zivile Diskussionen zu Sachthemen zu führen. Ebenfalls können über Kommentare Themenvorschläge an die Macher*innen der Formate herangetragen werden, was wiederum die redaktionelle Arbeit unterstützt.“

Der Medienwissenschaftler Hermann Rotermund (2021) empfiehlt ARD und ZDF nicht nur ihre Mediatheken dialogischer zu gestalten, sondern einen Schritt weiterzugehen und Inhalte von YouTube in die Mediatheken zu holen:

„Es wäre an der Zeit, die Praxis von Google und YouTube umzukehren und die besten Anteile des YouTube-Angebots über die Mediathek zugänglich zu machen – selbstverständlich in redaktioneller Begleitung und auch in Form neuer Kooperationen mit Autoren und Produzenten.“

Als konkretes Beispiel nennt Rotermund ‚ARD macht Schule‘, wo sich neben Links zu Schulbuchverlagen „tausende sinnvoller und im Unterricht einsetzbarer Videos“ auf YouTube anbieten, eingebunden zu werden. Im Ergebnis hofft er, dass durch die Möglichkeit zu kommentieren und eigene Videos hochzuladen „eine hierarchiefreie Atmosphäre [entsteht], die mit den technischen Möglichkeiten und den Erwartungen des Publikums übereinstimmt“.

Noch einen Schritt weiter gehen Forderungen wie jene der Initiative „Öffentliches Geld, öffentliches Gut“ (Wikimedia 2020), öffentlich-rechtliche Inhalte nach Möglichkeit nicht nur offen und barrierefrei zugänglich zu machen, sondern über freie Lizenzen auch deren Weiterverwendung zu ermöglichen. Wie ein erstes Pilotprojekt im Rahmen der ZDF-Dokureihe „Terra X“ gezeigt hat (Dobusch 2020), können Wikipedia-kompatibel lizenzierte Inhalte über die Einbindung in die freie Online-Enzyklopädie neue Zielgruppen erschließen und beachtliche Reichweiten erzielen. So werden die rund 200 kurzen Videoclips von Terra X inzwischen über zwei Millionen Mal im Monat via Wikipedia abgerufen. Dank freier Lizenz werden sie aber nicht nur in der Wikipedia gefunden, sondern können auch ohne weitere Rechteklärung im Schulunterricht, im eigenen Blog oder anderen Social-Media-Angeboten verwendet werden.

Demokratisierung der Produktion öffentlich-rechtlicher Medien

Veröffentlichung von Inhalten unter freien Lizenzen, ein öffentlich-rechtliches Angebot für den Upload von Nutzer:inneninhalten oder die Übernahme von YouTube-Inhalten in die öffentlich-rechtliche Mediathek – alle diese Ansätze gehen über eine bloße Demokratisierung des Medienkonsums hinaus, sie reichen bereits in die Sphäre der Produktion von Inhalten hinein. Und hier stellt sich die Frage am drängendsten, ob der bestehende Auftrag öffentlich-rechtlicher Medien nicht zu eng gefasst ist.

Wenn es der fundamentale Beitrag öffentlich-rechtlicher Medien zur Vielfalt einer demokratischen Öffentlichkeit ist, ein gesellschaftlich relevantes Angebot jenseits ökonomischer Verwertbarkeit zu liefern, dann kann sich das im digitalen Zeitalter nicht mehr darauf beschränken, redaktionelle Inhalte zu erstellen und zu verbreiten. Die reichweitenstärksten Medienangebote im Internet – YouTube, Facebook/Instagram, TikTok – basieren allesamt auf Inhalten, die von Nutzer:innen generiert werden.

Wer heute rechtssicher und kostengünstig eigene Inhalte im Internet veröffentlichen möchte, ist auf eine dieser kommerziellen Plattformen angewiesen, deren Datenschutzregeln und Algorithmen ganz klar auf Profitmaximierung abzielen. Die Kollateralschäden dieser Ausrichtung an Kennzahlen wie Verweildauer oder Klickraten sind Emotionalisierung und politische Polarisierung (vgl. Bessi et al. 2016; Santos et al. 2021).

Ein öffentlich-rechtliches Alternativangebot zur Veröffentlichung nutzer:innengenerierter Inhalte ist angesichts dieser Entwicklungen längst überfällig. Natürlich nicht als Ersatz, sondern als Ergänzung zu den dominanten kommerziellen Plattformen. Als werbefreie Alternative wären Empfehlungs- und Sortieralgorithmen einer solchen Plattform, wie bei der Programmgestaltung auch, in erster Linie einem demokratischen, ja demokratie- und vielfaltsfördernden Auftrag verpflichtet. Erste Ansätze dazu gibt es bereits bei der Gestaltung der Mediatheken. Andreas Grün, Leiter der Abteilung Technologie in der ZDF-Hauptredaktion Digitale Medien, verweist diesbezüglich unter anderem auf die Förderung von inhaltlicher Diversität und Serendipität bei der Gestaltung von Empfehlungsalgorithmen (Dobusch 2022).

Ein solches Angebot einer öffentlich-rechtlichen Plattform könnte nicht nur Individuen, sondern auch anderen gemeinnützigen Institutionen wie Universitäten oder dem Kultursektor offenstehen. Wird eine solche Infrastruktur bereit gestellt, erwächst daraus als weitere öffentlich-rechtliche Zusatzaufgabe, die nutzer:innengenerierten Inhalte zu kuratieren. Neben entsprechender technischer Infrastruktur und personeller Expertise ist dafür auch ein Wandel des Selbstverständnisses der öffentlich-rechtlichen Medien notwendig: Sie müssen sich zukünftig auch als Plattformbetreiber verstehen. Offen ist, in welchem Maße dies geschehen soll.

Zusätzlich zu allgemeinen, möglichst plattformneutralen Angeboten gibt es in einem weiteren Kernbereich der öffentlich-rechtlichen Medien ungenutzte Potenziale für eine Demokratisierung bei der Produktion von Inhalten: Crowdjournalismus. Nach internationalen Pionieren wie Bellingcat gibt es auch im deutschsprachigen Raum mit dem „CrowdNewsroom“ der Rechercheplattform Correctiv bereits erste Versuche, das Publikum unmittelbar in die Recherche journalistisch relevanter Sachverhalte miteinzubeziehen – im Fall des Rechercheprojekts „Wem gehört das Saarland?“ sogar in Kooperation mit dem Saarländischen Rundfunk. Hier werden vor allem Mieter:innen aufgefordert anzugeben, wer Eigentümer:in ihrer Wohnung ist und welche Erfahrungen sie mit ihren Vermieter:innen gemacht haben.

Mit einem inklusiven, auf möglichst große Teilhabe hin ausgerichteten Anspruch wären öffentlich-rechtliche Medien prädestiniert für neue journalistische Formate, die das Publikum einbeziehen. Sie könnten hier ihre lineare Bekanntheit und Reichweite dazu nutzen, um mit und von ihrem Publikum Daten zu gesellschaftlich relevanten Inhalten zu sammeln und damit gleichzeitig das Publikum auf neue Online-Angebote verweisen. Auf diese Weise könnten Arbeitsaufgaben, die herkömmliche Kapazitäten einer Redaktion übersteigen, zum Beispiel, weil sie geografisch weit verteilte Recherchen erfordern, als kollaboratives Medienprojekt gemeinsam mit anderen Redaktionen gestaltet werden.

Demokratisierung der Governance öffentlich-rechtlicher Medien

Während Fragen der Demokratisierung des Medienkonsums und der Medienproduktion vor allem die operative Umsetzung des öffentlich-rechtlichen Angebots betreffen, stellt sich das Thema Demokratisierung auch auf der Ebene der Mediengovernance, also der grundlegenden (Schwerpunktsetzung bei der) Gestaltung öffentlich-rechtlicher Medienangebote.

Im bestehenden System werden die öffentlich-rechtlichen Medien quasi ausschließlich über das System von Rundfunk-, Fernseh- und Hörfunkräten demokratisch angebunden, die nach jeweils unterschiedlichen gesetzlichen Vorgaben beschickt werden. Seit dem ZDF-Urteil von 2014 gilt dabei eine Beschränkung von staatlichen oder staatsnahen Mitgliedern auf maximal ein Drittel der jeweiligen Gremien (vgl. Bundesverfassungsgericht 2014). Alle anderen sind gesetzlich definierte Vertreter:innen verschiedener gesellschaftlicher Bereiche. So können beispielsweise Kirchen, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände Personen in Rundfunkräte entsenden.

Dennoch werden diese Rundfunkgremien regelmäßig wegen mangelnder Repräsentation der Bevölkerung sowie zu starker Abhängigkeiten im Zuge der Besetzungsverfahren kritisiert. So sind zum Beispiel Repräsentant:innen der Kirchen vertreten, nicht jedoch von Atheist:innen. Und immer wieder wechseln staatsnahe Vertreter:innen nach Ablauf ihres Mandats auf einen Platz, der für Vertreter:innen von gesellschaftlichen Bereichen vorgesehen wäre. Auch Kritikpunkte von Wolf (2013), zum Beispiel hinsichtlich der Notwendigkeit eines „Mentalitätswandels“ bei den zivilgesellschaftlichen Gremienvertreter:innen hin zu „selbstbewussteren Kontrolleuren,“ sind größtenteils noch immer aktuell.

Während die Probleme von Aufsicht und Governance öffentlich-rechtlicher Medien relativ klar auf dem Tisch liegen, gehen die Meinungen darüber auseinander, wie bessere Lösungen aussehen könnten. Für eine Demokratisierung durch Direktwahl von Rundfunk- und Fernsehräten tritt beispielsweise der bereits zitierte Medienwissenschaftler Hermann Rotermund ein. Unter Ausschluss von staatlichen und parteigebundenen Kandidat:innen könnte seiner Ansicht nach eine Direktwahl übermäßigen Staatseinfluss verhindern und bisher institutionell nicht vertretenen Gruppen demokratische Mitsprache ermöglichen. Allerdings, und darauf deuten auch vermeintlich „entpolitisierte“ Aufsichtsgremien in anderen Ländern wie dem österreichischen ORF hin, dürfte es bei einer Direktwahl wahrscheinlich zunächst zu einer parteipolitischen Sortierung, wenn nicht gar zu einer noch stärkeren Parteipolitisierung der Rundfunkgremien kommen – denn es sind Parteien und ihnen nahestehende Verbände, die ein entsprechendes Interesse und Potenzial zur Mobilisierung bei solchen Rundfunkwahlen hätten.

Eine andere Möglichkeit zur Demokratisierung der Aufsicht bei gleichzeitiger Stärkung von Partei- und Staatsferne bestünde darin, Rundfunk- und Publikumsräte zumindest teilweise aleatorisch, also per Losverfahren, zu bestimmen. Im Bereich der Judikative ist Partizipation per Losverfahren schon seit langem Bestandteil demokratischer Systeme, an Gerichten wirken Schöffen und Geschworene tagtäglich maßgeblich an der Entscheidungsfindung mit.

Aleatorische Auswahlverfahren von Publikumsvertreter:innen könnten auch im Bereich öffentlich-rechtlicher Mediengovernance eine stärkere Unabhängigkeit gegenüber staatlichen Akteuren garantieren und Laien in die Lage versetzen, sich mit Medienexpert:innen auszutauschen. Gleichzeitig vermeidet ein aleatorischer Auswahlprozess von Publikumsvertreter:innen das Risiko einer parteipolitisch aufgeladenen Direktwahl und sorgt dennoch für eine demokratische Rückbindung durch „Medienschöffen“. Ein weiterer Vorteil einer solchen Auswahl per Losverfahren wäre die Verhinderung einer sozialen Schieflage im „Wahlvolk“, die bei einer Direktwahl vermutlich zu erwarten wäre (vgl. Merkel 2015). Die Gefahren eines medienpolitischen Kompetenzdefizits aleatorisch bestimmter Mitglieder wäre wiederum dadurch gemildert, dass diese auch nur eine Minderheit im Aufsichtsgremium bilden.

Ergänzend zu derartigen Gremienreformen könnten auch im Bereich der Mediengovernance digitale Instrumente zur stärkeren Publikumseinbindung zum Einsatz kommen. Erste Ideen in diese Richtung verfolgt in Deutschland beispielsweise die Initiative Rundfunk-mitbestimmen.de, ins Leben gerufen von den beiden Software-Entwickler:innen Katharina Ehrhardt und Robert Schäfer. Sie schlagen vor, dass Beitragszahlende online zumindest symbolisch abstimmen können, wie sie ihren Rundfunkbeitrag auf verschiedene Programmbereiche (Politk & Information, Kultur, Sport usw.) verteilen würden. Das Ergebnis dieser Befragung könnte dann – eine gewisse Beteiligung und Repräsentativität vorausgesetzt – die gewünschte Mittelverteilung mit der tatsächlichen abgleichen und so eine Ergänzung zu Quoten und Online-Reichweiten als Maßstäbe für den Einsatz öffentlich-rechtlicher Mittel liefern.

Fazit

Neue technologische Entwicklungen eröffnen öffentlich-rechtlichen Medien neue Wege für demokratische Partizipation bis hin zu einer Neuordnung des Verhältnisses zwischen Publikum und Redaktionen. Öffentlich-rechtliche Medien sollten neue technologische Potenziale dafür einsetzen, die gesellschaftliche Rückbindung und damit auch ihre eigene demokratische Legitimation zu stärken sowie das Publikum zunehmend als wertvolle Ressource im Rahmen von Crowdsourcing für Recherche- und Produktionsprozesse von Inhalten zu begreifen. Damit einher geht die Chance, mit vorhandener linearer Reichweite neue Online-Angebote unmittelbar zu hebeln, weil deren Nutzung in der Regel voraussetzt, an Beteiligungsformaten mitwirken zu können. Die eigenen Online-Plattformen werden damit zum Feature des medialen Angebots sowohl auf der Seite der Produktion als auch der Rezeption.

Hinzu kommen neue Aufgaben für öffentlich-rechtliche Medien, die sich zunehmend auch als Plattformbetreiber verstehen sollten. Zu dieser Rolle als Plattformbetreiber zählen Moderationsaufgaben, die nutzer:innengenerierte Inhalte prüfen, sortieren und kuratieren sowie Nutzer:innen über Grenzen digitaler Medienfreiheit aufklären. Hier gilt, dass Potenzial wie Aufwand einer Plattformstrategie umso größer sind, je stärker dem Plattformcharakter Rechnung getragen wird, indem sehr viel mehr Inhalte eingebunden werden.

Den Rufen nach mehr Transparenz und Repräsentativität im Bereich der Aufsicht und Governance öffentlich-rechtlicher Medien könnte wiederum anhand einer stärkeren Einbindung des Publikums in die Entscheidungsprozesse der Sender entsprochen werden. Auf Ebene der Aufsicht bieten sich dafür unabhängige, per Los aus allen Beitragszahlenden ausgewählte Publikumsvertreter:innen an, die Demokratisierung bei gleichzeitiger Stärkung von Partei- und Staatsferne erlauben. Hier ist allerdings, auch was die Ausgestaltung entsprechender Besetzungsverfahren betrifft, zunächst der Gesetzgeber gefragt. Bis dahin bleiben den öffentlich-rechtlichen Anstalten als Partizipationsmöglichkeiten – auch hinsichtlich grundlegender Fragen von Programmgestaltung und -ausrichtung – vor allem die Zusammenarbeit mit selbstorganisierten Publikumsverbänden sowie neuartige, digitale Formen der Publikumsbefragung.

Eine Demokratisierung öffentlich-rechtlicher Angebote im Bereich Medienkonsum und -produktion ist hingegen schon unter den gegebenen gesetzlichen Rahmenbedingungen in vielen Bereichen sinnvoll und möglich. Dafür muss sich aber das derzeit dominante Paradigma bei der Mediathek-Gestaltung verändern: weg von der Orientierung an privaten, kommerziellen Diensten wie Netflix, hin zu offeneren, gemeinwohlorientierten und demokratischeren Alternativen. Im Gegenzug für die verstärkte Integration von Drittinhalten in öffentlich-rechtliche Mediatheken wäre dann der ebenfalls forcierte Einsatz von freien, Wikipedia-kompatiblen Lizenzen für öffentlich-rechtliche Inhalte in Bereichen wie Nachrichten, Information und Dokumentation geboten. Das Beste daran: Demokratisierung bei Konsum und Produktion von öffentlich-rechtlichen Medien ist kein Selbstzweck, sondern bringt eine Reihe wünschenswerter Möglichkeiten und Angebotsverbesserungen mit sich – und führt letztlich zu einer stärkeren Unterscheidbarkeit zwischen öffentlich-rechtlichen und privat-profitorientierten Angeboten als Bonus obenauf.