Zusammengefasst weisen die Befunde der durchgeführten Studien auf einen Effekt der Lernendenkompetenzerwartungen an Lehrpersonen auf das Erleben und Verhalten von sowohl Lernenden als auch Lehrpersonen hin. Die Effektstärken und Zusammenhänge waren jedoch mehrheitlich klein, insbesondere in Bezug auf das nonverbale Verhalten der Lernenden und auch hinsichtlich des Erlebens der Lehrpersonen. Nichtsdestotrotz kann abgeleitet werden, dass hohe Lernendenkompetenzerwartungen im Zusammenhang mit positiven und erwünschten Lehr-Lern-Interaktionen stehen. Für Lehrpersonen ist es also förderlich, hohe Kompetenz auszustrahlen – sowohl für die Lernenden als auch für sie selbst. Im Folgenden werden zuerst Ableitungen beschrieben, wie Lehrpersonen kompetenter erscheinen und einen ersten Eindruck aktiv beeinflussen können, der selbsterfüllend wirken kann. Anschließend wird dies im Kontext der Lehr-Lern-Interaktion, insbesondere mit Fokus auf die Gestaltung der Klassenführung, betrachtet. Abschließend werden, ergänzend zum Modell von Nickel (1985), Erwartungseffekte in einem synergetisch-systemischen Ansatz der Lehr-Lern-Interaktion beschrieben.

1 Gestaltung des ersten Eindrucks zur Erhöhung der Lernendenkompetenzerwartungen an Lehrpersonen

Die erzielten Ergebnisse können insbesondere für die Gestaltung von kurzen Lehr-Lern-Interaktionen sowie bei beginnenden Interaktionen, die für Erwartungseffekte besonders vulnerabel sind (vgl. bei Lehrendenkompetenzerwartungen Jussim & Harber, 2005), praktisch genutzt werden. Insbesondere die Gestaltung des ersten Eindrucks, den die Lernenden von der Kompetenz der Lehrperson aufbauen, kann auf verschiedene Arten beeinflusst werden, um einen positiven Engelskreis in Gang zu setzen (vgl. Nickel et al., 1985) und um möglichen Geschlechts-Professions-Assoziationen zu begegnen (für Physik-Unterricht s. Degner et al., 2019; Zander et al., 2015; vgl. Studie 1 und Studie 2). Weitergehend kann die positive Anbahnung einer Kompetenzerwartung auch Eingang in die Konzipierung von Klassenführungstrainings (z. B. Hannemann, 2020; Kiel et al., 2013) finden, die theoretische und praktische Schnittstellen zu selbsterfüllenden Prophezeiungen bieten.

Kounin (2006, Original von 1976) konnte verschiedene Dimensionen erfolgreicher Klassenführung ausmachen, darunter Allgegenwärtigkeit und Überlappung. Dies beschreibt die Fähigkeit von Lehrpersonen, den Lernenden zu vermitteln, dass sie über die aktuelle Lehr-Lern-Situation informiert sind und eingreifen können. Dies wird nach Kiel et al. (2013) u. a. mit Präsenzmaßnahmen umgesetzt. Präsenzmaßnahmen sind Maßnahmen, die den Lernenden aufzeigen, dass die Lehrperson im ganzen Raum präsent ist, alles in der Lehr-Lern-Situation im Blick hat und bei Störungen eingreift (vgl. Haag, 2018; Kiel et al., 2013). Dazu gehören u. a. Körpersprache, darunter Blickkontakt, Bewegung im Raum und selbstsicheres Auftreten. Diese Maßnahmen können Kompetenz vermitteln – und interaktionale, kognitive Schemata (Thies, 2010) bei den Lernenden entstehen lassen – und weitergehend die Lehr-Lern-Interaktion nach dem Modell von Nickel (1985) zu einem positiven Engelskreislauf führen. Kiel et al. (2013) unterscheiden dabei nonverbale und verbale sowie intervenierende und präventive Maßnahmen. Der Lehrberuf ist einer der Berufe, „[…] bei denen die Mechanismen nonverbaler Kommunikation eine größere Rolle spielen“ (Kiel et al., 2013, S. 59), die auch Kompetenz ausstrahlen können.

Zum nonverbalen Verhalten beschreibt Mehrabian (1969), dass die Zugewandtheit (immediacy), die sich in Berührung, Distanz, Vorbeugen, Blickkontakt und Körperausrichtung manifestiert, Sympathie gegenüber der anderen Person resp. Personen der Kommunikation vermittelt, sodass mit diesen Verhaltensweisen der Wärmeeindruck vermittelt wird. Dafür ist jedoch eine entspannte Körperhaltung notwendig bzw. förderlich. In Ergänzung zur Zugewandtheit bildet die Entspanntheit der Körperhaltung (relaxation) einen Hinweis auf Macht- bzw. Statusunterschiede, die auch mit der Kompetenzwahrnehmung im Zusammenhang stehen können. Mehrabian (1969) beschreibt, dass eine mittlere Körperanspannung am wohlwollendsten von Kommunikationspartner*innen aufgenommen wird. Eine mittlere Körperspannung sollte von Lehrpersonen in Kombination mit einem zugewandten Verhalten gezeigt werden, um sowohl Wärme als auch Kompetenz auszustrahlen. Bisher zeigte sich zur Kompetenzwahrnehmung, dass eine zugewandte Körpersprache von Lehrpersonen mit der Wahrnehmung von höherer Kompetenz verknüpft ist (Feldman & Prohaska, 1979; Gorham et al., 1997, 1999). Eine offene, nicht geschlossene Haltung sowie Nähe hingen mit positiv bewerteter Lehrperformanz zusammen (Barmaki, 2014).

Zusätzlich zur Körperhaltung kann auch die Stimmhöhe einen Einfluss auf die Ausbildung von Kompetenzerwartungen haben. So beurteilten Proband*innen, die kein Wissen über die Fragestellung hatten, sowohl männliche als auch weibliche Stimmen, deren Ton technisch vertieft wurde, kompetenter und vertrauenswürdiger als Stimmen, deren Ton technisch erhöht wurde. Allerdings wurden technisch erhöhte Frauenstimmen wärmer bzw. sympathischer wahrgenommen als technisch vertiefte Frauenstimmen (Oleszikiewicz et al., 2017), für männliche Stimmen konnte kein Unterschied in Bezug auf die Wärme ausgemacht werden. Eine andere Studie zeigte, dass vocal feminity weniger kompetent bewertet wird als vocal masculinity, aber es konnte kein Unterschied hinsichtlich der Wärmebeurteilung ausgemacht werden (Ko et al., 2009). Krahé und Papakonstantinou (2020) zeigten hingegen, dass sich hohe Stimmen und tiefe Stimmen zwar hinsichtlich der Wärmebeurteilung, allerdings nicht bei der Kompetenzbeurteilung unterschieden. Die Befunde müssten künftig systematisch betrachtet werden. Nichtsdestotrotz können die Befunde in der Summe als Indizien dafür gedeutet werden, Kompetenz durch eine tiefe Stimme zu vermitteln sowie Wärme durch eine hohe Stimme. Ein Training zur gezielten Stimmmodulation kann deswegen im Lehrberuf (nicht nur zur Schonung der Stimme) sinnvoll sein.

Die Sprechrate hat einen starken Effekt darauf, wie kompetent eine Stimme erscheint. Ein schneller Sprecher, der z. B. keine Füllsel wie „äh“, „ähm, „hmm“, „jaa“ verwendet, erscheint überzeugender und intelligenter. Wenige Sprechpausen und weniger Wiederholungen sowie eine dynamische Stimme signalisieren Kompetenz. Laute und männliche [tiefe] Stimmen werden – im Gegensatz zu weichen, sanften, weiblichen [hohen] Stimmen – als „konsequent wirkend“ wahrgenommen. [...] Intonation und Sprechrate sind aber stets durch die jeweilige Sprache, die Situation [...] und/oder durch den/die Zuhörer bestimmt, ähnlich der Lautstärke eines Sprechers, die themengemäß und raumangemessen sein muss. (Kiese-Himmel, 2016, S. 32)

Weitergehend kann auch die Kleidung Informationen zur Kompetenz einer Person liefern. Formale Kleidung kann (als Lehrperson) mit höherer Kompetenzzuschreibung einhergehen (Morris et al., 1996; Gorham et al., 1999), jedoch wird auch das Ausbleiben von Vorteilen formaler Kleidung beschrieben (Gorham et al., 1997). Gorham et al. (1999) erklären, dass der Zusammenhang von Kompetenzzuschreibung und formaler Kleidung durch das Alter der Dozierenden erklärt werden kann: Je älter die Dozierenden sind, desto formaler kleiden sie sich, und ältere Dozierende werden allgemein kompetenter beschrieben als jüngere. In Studie 4 konnte jedoch kein bedeutsamer Zusammenhang von Kompetenzzuschreibung und Alter der Dozierenden ausgemacht werden, sodass angenommen werden kann, dass Kleidung als eine Moderatorvariable wirkt. Neben der formellen Kleidung kann die Farbe Rot offenbar zur Wahrnehmung von mehr Kompetenz und Kompetitivität führen (Maier et al., 2013; vgl. Elliot & Maier, 2014). Diese Hinweise müssten jedoch gezielt für den Lehr-Lern-Kontext untersucht werden, z. B. indem in experimentellen Untersuchungen Lehrpersonen systematisch andere Kleidung tragen.

Carli et al. (1995) verglichen unterschiedliche Referierendenstile miteinander. Dabei zeigte sich, dass Referierende mit einem „unterwürfigen“ Stil (submissive style) die geringsten Kompetenzzuschreibungen erhielten. Dieser Stil ist geprägt durch „a soft, pleading voice with many hesitations and stumbles, a slumped posture, nervous hand gestures, and an avert gaze“ (Carli et al., 1995, S. 1033). Die besten Bewertungen fielen auf den sozialen (social style) und den aufgabenorientierten Stil (task style):

The social style included a voice of moderate volume, a relaxed posture with the body leaning toward the listener, a friendly facial expression, and a moderately high amount of eye contact. The task style included a rapid rate of speech, a firm tone of voice, moderate voice volume, few hesitations, an upright posture, calm hand gestures, and a moderately high amount of eye contact. (Carli et al., 1995, S. 1034)

Der Ausdruck von Allgegenwärtigkeit und Präsenz durch Lehrpersonen, der mit der Kompetenzwahrnehmung aufseiten der Lernenden einhergehen kann, sollte schon früh in die Ausbildung von Lehrpersonen eingehen, z. B. in der Vorbereitung auf erste Praxiserfahrungen im Lehramtsstudium (vgl. Hannemann, 2020). Eine zugewandte, offene Haltung mit moderater Körperspannung, eine der Situation angepasste Stimmmodulation sowie angemessene Kleidung können den ersten Eindruck, für den es sprichwörtlich keine zweite Chance gibt, positiv beeinflussen.

Auch wenn die bisherigen Studienergebnisse auf Ansätze zur Steigerung von Lernendenkompetenzerwartungen an Lehrpersonen hinweisen, müssen diese weiter untersucht werden. Welche Aspekte neben Stimme, Haltung, Positionierung und Kleidung relevant sind, müsste systematischer analysiert werden. Dafür ist es möglich, verschiedene Einflüsse auf die Kompetenzwahrnehmung offen zu erfragen (z. B. „Woran erkennen Sie beim Kennenlernen eine kompetente Lehrperson?“), die dann inhaltsanalytisch ausgewertet und weitergehend faktoranalytisch geclustert werden. So können verschiedene Kompetenzmarker untersucht und deren Bedeutung auch für unterschiedliche Lehr-Lern-Kontexte (z. B. Schule, Hochschule, Erwachsenenbildung) verglichen werden.

2 Lernendenkompetenzerwartungen in weiteren Ansätzen zur Gestaltung der Lehr-Lern-Interaktion

Neben den eher oberflächlichen Methoden, die auf den ersten Eindruck abzielen, ist es zudem wichtig, eine lernförderliche Lehr-Lern-Interaktion herzustellen. Dies ist sowohl Aufgabe der Lehrpersonen als auch der Lernenden. Die Bedeutung von Lernendenkompetenzerwartungen kann in verschiedenen Theorien wiedergefunden werden, auch wenn sie keine explizite Erwähnung erfahren. Folgend sollen beispielhaft Ansätze erläutert werden, bevor auf synergetisch-systemische Betrachtungen detaillierter eingegangen wird, um die oben genannten Hinweise zur Gestaltung des ersten Eindrucks theoretisch zu verorten und weitere Forschungsansätze aufzuzeigen, die das kognitiv geprägte Modell von Nickel (1985) ergänzen.

Das COACTIV-Modell (Baumert & Kunter, 2006; Kunter et al., 2011) listet und strukturiert verschiedene Aspekte der professionellen Kompetenz von Lehrpersonen. Neben dem als zentral angesehenen Professionswissen werden die motivationalen Orientierungen, die Überzeugungen und Werthaltungen sowie die selbstregulatorischen Fähigkeiten benannt. Zum Professionswissen gehört auch das pädagogisch-psychologische Wissen (Kompetenzbereich). Zu diesem Kompetenzbereich (in den Kompetenzfacetten „effektive Klassenführung“ und „Wissen über Lernprozesse“) können die hier erzielten Ergebnisse zugeordnet werden. Lehrpersonen sollte klar sein, dass nicht nur die Lehrendenerwartungen eine Rolle in der Interaktion spielen, sondern auch die Lernendenerwartungen, und dass Letztere sich u. a. auf den Lernerfolg der Lernenden auswirken können (Wissen über Lernprozesse; Zusammenhang von Lernendenkompetenzerwartungen und Lernerfolg bei Adediwura & Tayo, 2007; Edwards et al., 2009; Feldman & Prohaska, 1979; Jamieson et al., 1987). Die besondere Bedeutung der Wärmewahrnehmung für das sozial-emotionale Erleben in Lehr-Lern-Kontexten (vgl. Studie 4) ist auch ein Aspekt, der zum Klassenführungswissen gezählt werden kann. Welche weiteren Formen von Lernendenerwartungen, u. a. Kompetenzerwartungs-Erwartungen (s. Kapitel 4), bedeutsam sind, müsste zukünftig in weiteren Studien untersucht werden.

Marzano et al. (2003) beschreiben die Lehr-Lern-Beziehung als Schlüssel, um effektive Klassenführung umzusetzen. Der durchschnittliche Effekt der Lehr-Lern-Beziehung auf störungsfreien Unterricht liegt bei d = 0.869, doch je jünger die Schüler*innen sind, desto höher fallen die Effektstärken aus (von d = 0.549 bei High School bis d = 2.891 bei Middle School/Junior High). Um eine gute Lehr-Lern-Beziehung herzustellen, benennen Marzano et al. (2003) drei Handlungsschritte (action steps; vgl. Haag, 2018):

  1. 1.

    Etablierung eines angemessenen Grades an Dominanz

    • Festes, bestimmendes, durchsetzungsfähiges Verhalten ohne Aggressivität mit aufrechter Haltung, Blickkontakt sowie angemessenem Tonfall und klarer Aussprache

    • Klare, früh beschriebene Lernziele inklusive Feedback zur Zielerreichung

  2. 2.

    Kommunikation eines angemessenen Grades an Kooperation

    • Vorsehen flexibler Lernziele

    • Zeigen von Interesse an Lernenden

    • Präsenzmaßnahmen, z. B. Blickkontakt durch den ganzen Raum, sich im Raum bewegen

    • Angemessenes Reagieren auf inkorrekte Antworten (Positives hervorheben)

  3. 3.

    Berücksichtigung der Bedürfnisse von Lernendentypen und individuellen Besonderheiten der einzelnen Lernenden

Die Balance von Dominanz und Kooperation steht also nach Marzano et al. (2003) im Mittelpunkt für eine effektive Lehr-Lern-Interaktion. Dabei lassen sich die Maßnahmen, die mit der Kompetenz- und Wärmewahrnehmung im Zusammenhang stehen wie Körperhaltung und Stimmmodulation, direkt wiederfinden. Für Mazano et al. (2003) ist es für die Gestaltung der Lehr-Lern-Interaktion vonseiten der Lehrpersonen wichtig, ein angemessenes Maß an Dominanz und Macht (dominance) zu demonstrieren, das Kompetenz ausstrahlen und somit hohe Kompetenzerwartungen bei den Lernenden induzieren kann, sowie bereit dafür zu sein, die Führung zu übernehmen. Lehrpersonen müssen demnach angemessen mit ihren Machtmitteln umgehen lernen (vgl. Misamer, 2019).

Auch wenn in der Lehr-Lern-Situation die Lehrpersonen mehr Machtmittel zur Verfügung haben (vgl. Misamer, 2019; Steins, 2013; Thies, 2010), können Lernende das Lehr-Angebot mit den ihnen gegebenen Machtmitteln aktiv transformieren. Steins (2013) beschreibt unterschiedliche Formen von Machtmitteln, die auch Lernende haben. Es gibt für Lernende die Möglichkeit, (1.) durch soziale Anerkennung, Aufmerksamkeit und positives Feedback die Lehrperson zu belohnen (Belohnungsmacht), aber auch (2.) durch Ausbleiben der Mitarbeit, Sabotieren des Unterrichts sowie durch Gerüchte und Beleidigungen zu bestrafen (Bestrafungsmacht bzw. Macht zu zwingen). (3.) Weitergehend haben Schüler*innen in Schulen einen Rechtsanspruch auf Bildung, aber auch im Studium und in der Erwachsenenbildung kommt (mehr oder weniger) ein Vertrag zustande, der von beiden Seiten erfüllt werden muss (legitimierte Macht). Weitere Formen der Machtmittel sind (4.) die Referenzmacht (Beliebtheit, überzeugendes Auftreten), (5.) die Expertisemacht (Fähigkeiten und Kompetenz), (6.) die Informationsmacht (Position, etwas mitteilen zu können) und (7.) die ökologische Macht (Fähigkeit zur Gestaltung der Umwelt). Je älter die Lernenden werden, desto stärker können sie mit ihren Machtmitteln wirken. Insbesondere die Expertise- und die Informationsmacht sind für ältere Lernende von besonderer Bedeutung in der Lehr-Lern-Interaktion sowie bei der Einflussnahme auf den Lehr-Lern-Prozess. Bei einer wahrgenommenen geringeren Fachkompetenz der Lehrpersonen, also geringen Lernendenkompetenzerwartungen, kann die eigene Expertisemacht genutzt werden, um den Unterricht für alle zu bereichern und die fehlende Fachkompetenz der Lehrperson auszugleichen. Dies sollte in einer empathischen, wertschätzenden Form passieren. Darüber hinaus sollte den Lernenden bewusst sein, dass Lehrpersonen neben der Fachkompetenz zumeist auch pädagogische Kompetenz (z. B. zur Anregung zum selbstgesteuerten Lernen) mitbringen (vgl. Baumert & Kunter, 2006; Helmke, 2017; Kunter et al., 2011) sowie Lernende und Lehrpersonen gemeinsam ein positives, lernförderliches Klima aufbauen können. Sollten Lernende mit der fachlichen Expertise der Lehrperson in einer Lernsituation nicht zufrieden sein, haben sie meist die Möglichkeit, mit den Lehrpersonen über die Gestaltung der Lehre zu sprechen (insbesondere in der Erwachsenenbildung; Informationsmacht). Um dies erfolgreich umzusetzen, sind Empathie für die Lehrperson und Perspektivwechsel förderlich (vgl. Steins, 2013). So könnten im Hochschulkontext Studierende in Absprachen mit Dozierenden treten, wie die Lehr-Lern-Situation konkret umgesetzt wird, z. B. selbstgesteuertes Lernen versus Frontalunterricht, und welches Prüfungsformat unter Berücksichtigung der Modulhandbücher angemessen ist (im Sinne des constructive alignment; vgl. Biggs & Tang, 2011). Es kann also argumentiert werden, dass Lehrpersonen ihre Kompetenzen transparent machen sowie professionell mit Schwächen und Unwissen umgehen sollten (vgl. Thies et al., 2016).

Ein weiteres Modell, in dem Lernendenkompetenzerwartungen relevant sind, ist das Modell von Helmke (2017) zur Wirkungsweise von Unterricht. Nach Helmke (2017) unterbreitet die Lehrperson mit ihrem Unterricht ein Angebot. Dieses Angebot muss jedoch wahrgenommen und zudem genutzt werden, was wiederum vom Lernpotenzial der lernenden Personen abhängt, zentral sind hierbei „Vorkenntnisse, Sprache(n), Intelligenz, Lern- und Gedächtnisstrategie; Lernmotivation, Anstrengungsbereitschaft, Ausdauer, Selbstvertrauen“ (Helmke, 2017, S. 71). Hier müssten die kognitiven Schemata ergänzt werden – sowohl interaktional, relational (vgl. Thies, 2010) als auch normativ im Sinne von Rosemann (1978) sowie hinsichtlich der (Kompetenz- und Wärme-)Erwartungen (in Anlehnung an das stereotype content model; s. Kapitel 5). In dem heuristischen Modell von Aldrup (2017) wird davon ausgegangen, dass die Lehr-Lern-Interaktion und -Beziehung psychologische Grundbedürfnisse wie Kompetenz- und Autonomieerleben sowie soziale Eingebundenheit (gemäß der Selbstbestimmungstheorie von Deci & Ryan, 2012) befriedigen kann und dadurch zu positiven Outcomes sowohl aufseiten der Lernenden als auch der Lehrpersonen (insbesondere deren berufliches Wohlbefinden) führt. Diese Outcomes wiederum beeinflussen die Lehr-Lern-Beziehung.

Das Ziel von Lehrpersonen und Lernenden muss es sein, gemeinsam Situationen zu schaffen, in denen sowohl Lernen als auch ein gutes Lehr-Lern-Klima ermöglicht werden. Lernende sollten ihre Schemata hinterfragen, z. B.: Muss die Lehrperson mir Wissen vermitteln oder die Lernsituation herstellen? Wie eigenständig muss ich mich selbst in den Lernprozess integrieren? Dürfen Lehrpersonen (auch fachliche) Schwächen haben?

3 Synergetisch-systemische Betrachtungen auf die Lehr-Lern-Interaktion

Das Vorgehen der durchgeführten Studien orientierte sich an deterministisch-kausalen Untersuchungen und Überlegungen, die experimentelle methodische Standards erfüllen (vgl. Döring & Bortz, 2016), und basierte auf der kognitiven Perspektive des transaktionalen Modells der Lehr-Lern-Interaktion von Nickel (1985). Alternativ kann für die gewählte Fragestellung eine übergreifende systemische Perspektive eingenommen (u. a. Hubrig & Herrmann, 2014) werden. Soziale Systeme – also auch die Lehr-Lern-Interaktion resp. die Lehr-Lern-Gruppe – sind dynamisch, komplex und nicht-linear (u. a. Strunk & Schiepek, 2006). So lassen sich Nickels (1985) Überlegungen auch in synergetisch-systemische Konzepte übersetzen (vgl. Thies, 2017).

Im Rahmen der Synergetik (Haken & Schiepek, 2010; Schiepek et al., 2013) lassen sich für die Lehr-Lern-Interaktion zwei Ebenen unterscheiden: (1.) eine mikroskopische Ebene, die durch psychische Systeme („Elemente“), die miteinander in Beziehung stehen, gekennzeichnet ist, und (2.) eine makroskopische Ebene, die durch spezifische Muster der Interaktion der Elemente untereinander bestimmt ist. Die Elemente innerhalb der Lehr-Lern-Interaktion sind die Lehrpersonen und Lernenden. Soziale Systeme bestehen aus mindestens zwei psychischen Systemen (bzw. Personen), die in gegenseitiger Wechselwirkung stehen („Zirkularität“). Psychische Systeme sind durch Kognitionen (darunter Wahrnehmung und Erwartungen), Emotionen und Verhalten gekennzeichnet, die als Elemente des psychischen Systems in zirkulärer Beziehung stehen und Kognitions-Emotions-Verhaltens-Muster (Tschacher, 1997) bilden. Die in der Studie 3 diskutierten unterschiedlichen „Langeweileprofile“ können als unterschiedliche Formen der Kognitions-Emotions-Verhaltens-Muster betrachtet werden. Die zirkuläre Beziehung und wechselseitige Bezogenheit von Lernenden und Lehrpersonen sind Kern des Modells von Nickel (1985).

Die Interaktionsmuster zwischen Lehrpersonen und Lernenden sind selbstorganisiert: Die Lerngruppe inklusive der Lehrperson(en) schafft sich eigenständig (und häufig automatisiert) gemeinsame Wirklichkeitskonstruktionen, implizite und explizite Regeln sowie Routinen („Attraktoren“ bzw. „Ordner“), die nicht von außen vorgegeben werden (vgl. Schallnus, 2006). Diese beobachtbaren Ordnungsmuster entstehen mit der Zeit, d. h., sie emergieren und reduzieren die Freiheitsgrade der Interaktion („Versklavungsprinzip“; Haken & Schiepek, 2010) und machen sie somit vorhersagbarer. Welche von vielen möglichen „Ordnern“, also z. B. welche Routinen, sich in einem sozialen System durchsetzen, ist von vielen Faktoren abhängig. Auch Stereotype, u. a. Geschlechts-Professions-Assoziationen (vgl. Studie 1 und Studie 2), einzelner Personen können als intrasystemische „Kontrollparameter“ fungieren und Interaktionsmuster emergieren lassen. Generell ist aufgrund der stärkeren Machtposition der Lehrpersonen (u. a. Misamer, 2019; Steins, 2013; Thies, 2010) im Vergleich zur Position der Lernenden die Wahrscheinlichkeit höher, dass intrasystemische Ordnungsbildung häufiger vonseiten der Lehrpersonen ausgeht. Dies kann ein Grund sein, warum die Lehrpersonen in Studie 4 weniger von den Lernendenkompetenzerwartungen beeinflusst sind. Da mehrere Ordner in Konkurrenz miteinander stehen, kann es sein, dass sich das Ordnungsmuster mit der Zeit oder je nach Situation verändert.

Wenngleich soziale Systeme selbstorganisiert sind, stehen sie dennoch im Austausch mit der Umwelt (Energie, Informationen, Ressourcen). Der soziokulturelle Bezugsrahmen nach Nickel (1985) findet in der synergetischen Theorie in der Umwelt des Systems seine Entsprechung. So können Informationen von außen – wie dies bei einer Erwartungsmanipulation im Sinne des Pygmalion-Effekts nach Rosenthal und Jacobsen (1966, 1971) der Fall war – auf das Lehr-Lern-System als Kontrollparameter wirken und weitergehend neue Ordnungszustände anregen. Auch in Studie 3 konnte durch die Kompetenzmanipulation als Kontrollparameter von außen das Verhalten der Teilnehmenden beeinflusst werden. Da soziale Systeme aber nicht-trivial und selbstreferenziell sind (von Foerster, 1997), d. h. immer in Abhängigkeit des aktuellen Systemzustands reagieren, kann keine gezielte Einflussnahme von außen erfolgen, sondern lediglich eine Verstörung („Perturbation“), die eine wie auch immer geartete Änderung des Ordnungszustands nach sich zieht. Dadurch lässt sich theoretisch erklären, warum Erwartungsmanipulationen zum Teil die Lehr-Lern-Interaktion beeinflussen können und zum Teil nicht. So zeigte sich die selbsterfüllende Prophezeiung bei Rosenthal und Jacobson (1966, 1971) lediglich in den Schulklassen 1 und 2, aber nicht mehr in den Klassenstufen 3 bis 6. Dies kann auf Basis der Synergetik wie folgt erklärt werden: Im Laufe der Zeit verfestigen sich die Interaktionsmuster zwischen Lehrpersonen und Lernenden. Dabei wird das psychische System der Lehrpersonen so beeinflusst, dass sich ein stabiles Kognitions-Emotions-Verhaltens-Muster innerhalb der Lehr-Lern-Interaktion ausbildet und die bisher aufgebauten Gedanken über und Verhalten gegenüber den Lernenden durch die Kompetenzmanipulation nicht perturbiert werden kann. Der innere Systemzustand ist also nicht sensibel für den potenziellen Kontrollparameter aus der Umwelt.

Die widersprüchlichen Studienergebnisse von Feldman und Prohaska (1979) und Feldman und Theiss (1982) über das Erleben von Lehrpersonen können mithilfe der Synergetik ebenfalls erklärt werden. Bei Feldman und Prohaska (1979, Studie 2) wurde nicht direkt die Auswirkung der Lernendenkompetenzerwartungen auf die Lehrpersonen betrachtet. So waren Lehrpersonen entweder einem zugewandten oder einem nicht-zugewandten Verhalten von vermeintlichen Lernenden (und tatsächlichen Konföderierten) ausgesetzt. Es wurde zwar vorher festgestellt, dass sich Lernende, die eine kompetente Lehrperson erwarteten, zugewandter verhalten (Feldman & Prohaska, 1979, Studie 1), aber eine Kompetenzerwartung hielten die Konföderierten nicht. Das zugewandtere Verhalten kann als intrasystemischer Kontrollparameter das Kognitions-Emotions-Verhaltens-Muster der Lehrperson „versklavt“ haben, sodass sie sich wohlfühlte, die lernende Person sympathischer fand und sich adäquater verhielt. Feldman und Theiss (1982) wiederum manipulierten sowohl die Kompetenzerwartung der Lernenden als auch der Lehrpersonen. Die Kompetenzmanipulation für die Lehrpersonen konnte als äußerer Kontrollparameter das Erleben der Lehrpersonen „ordnen“, während die Kompetenzmanipulation der Lernenden das Erleben der Lernenden selbst anregte. Durch die stärkere Machtposition der Lehrperson konnte sich der Pygmalion-Effekt auf Basis der Lehrendenkompetenzerwartungen durchsetzen, während die Manipulation der Lernendenkompetenzerwartungen in der kurzen Zeit „nur“ das psychische System der Lernenden beeinflusste und keinen Ordnungszustand des sozialen Systems ermöglichen konnte.

In der Studie 4 wurden universitäre Lehrveranstaltungen nach mindestens einer, immer aber innerhalb der ersten fünf Sitzungen untersucht, in denen die Lernenden die jeweilige Lehrperson schon kannten (im Mittel bereits seit etwa einem halben Jahr). In dieser Zeit konnten erste Lernendenkompetenzerwartungen an Lehrpersonen die Lehr-Lern-Interaktion bereits beeinflussen und es zeigten sich kleine bis mittelgroße Effekte auf das Erleben positiver Emotionen, von Flow, von Störungen und Störungsmissmanagement sowie auf die eigene Kompetenzwahrnehmung aufseiten der Lehrpersonen. Die Lernendenkompetenzerwartungen auf der Mikroebene konnten somit theoretisch als systemimmanenter Kontrollparameter (vgl. Haken & Schiepek, 2010) die Makroebene, also die Lehr-Lern-Interaktionsmuster, „mitordnen“. Im Vergleich zu Feldman und Prohaska (1979) sowie Feldman und Theiss (1982) konnten die Lernendenkompetenzerwartungen in der Lehr-Lern-Interaktion zeitlich länger wirksam sein und stabilere Muster herausbilden. Welche Rolle die Zeit bei der Wirkung von Lernendenkompetenzerwartungen spielt, muss in weiteren Studien geklärt werden. Konkret braucht es also wie bereits erwähnt längsschnittliche Untersuchungen, um die Wirkung der Kompetenzerwartungen bei längerfristigen Lehr-Lern-Interaktionen wie in Schule, Hochschule und Erwachsenenbildung ausmachen zu können.

Die Prozesshaftigkeit der Lehr-Lern-Interaktion kann außerdem z. B. mit state space grids analysiert werden (Pennings & Mainhard, 2016). Mit state space grids können Zustände eines Systems und Abfolgen der Zustände grafisch in einem zweidimensionalen Gitter dargestellt werden. So ist es denkbar, das Verhalten von Lehrpersonen und Lernenden zu betrachten, wenn die Kompetenzerwartungen der Lernenden manipuliert wurden. Auch denkbar wären Eyetracking-Studien, um den Blickkontakt in Abhängigkeit der Kompetenzerwartungen in Lehr-Lern-Interaktionen genauer zu untersuchen. Durch diese Formen der Untersuchungen könnte ausgemacht werden, welche Reaktionen der Lehrpersonen negative Interaktionsspiralen (vgl. Nickel, 1985) vorbeugen bzw. positive aufbauen. Nichtsdestotrotz ist es für empirische Überprüfungen unmöglich, alle Faktoren eines sozialen Systems auszumachen oder gar zu kontrollieren. Deshalb es ist sinnvoll, einen zirkulären Prozess in seine Teile zu gliedern, um systematisch relevante Teilbereiche zu identifizieren und somit ein System beschreibbar zu machen (Kriz, 2007). So schreibt auch Witte (2017, S. 1): „Dieser qualitative, nicht überbrückbare Unterschied zwischen einer elementaristisch-kausalen und einer synergetisch-systemischen Position existiert nicht. Es lässt sich vielmehr die Haltung rechtfertigen, dass die elementaristisch-kausale Position eine Vereinfachung der synergetisch-systemischen Betrachtung darstellt.“

4 Resümierendes Fazit

Die Untersuchungen zu Erwartungseffekten in der Lehr-Lern-Interaktion haben sich seit Rosenthal und Jacobson (1966, 1971) in mehrere Richtungen entwickelt: In einigen wissenschaftlichen Betrachtungen stehen die Lehrendenerwartungen im Fokus, in anderen die Lernendenerwartungen (vgl. u. a. Ludwig, 2018). Lediglich in zwei Studien wurden die Lernendenkompetenzerwartungen als Prädiktor für Lehrendenerleben und -verhalten betrachtet (Feldman & Prohaska, 1979; Feldman & Theiss, 1982). Diese Forschungslücke wurde auf Basis des transaktionalen Modells der Lehr-Lern-Interaktion von Nickel (1985) mit der vorliegenden Arbeit mit aufeinander aufbauenden Studien adressiert. Lernendenkompetenzerwartungen haben einen Einfluss auf die Interaktionsgestaltungen im Lehr-Lern-Kontext, jedoch muss auf Basis der erzielten Daten von einem kleinen Effekt auf das Erleben und Verhalten von Lehrpersonen ausgegangen werden. Inwieweit sich dieser Effekt langfristig verkleinert, verstetigt oder sogar vergrößert, kann auf Basis der durchgeführten Studien und vorangehender Untersuchungen nicht vorhergesagt werden. Weitergehend bleibt die Frage offen, wie andere Erwartungen, z. B. hinsichtlich Wärme und Vertrauenswürdigkeit, in Interaktion mit den Kompetenzerwartungen aufseiten der Lernenden bedeutsam sind. Außerdem gibt es weitere Erwartungen, die in der Lehr-Lern-Interaktion relevant sein könnten, wie z. B. Erwartungs-Erwartungen. Es braucht mehr Forschung, um die Bedeutung der Lernendenerwartungen für die Lehr-Lern-Interaktion beschreibbar zu machen.