Das transaktionale Modell von Nickel (1985) beschreibt die Lehr-Lern-Interaktion als gegenseitige Wechselwirkung. Somit haben theoretisch auch die (Kompetenz-)Erwartungen der Lernenden an Lehrpersonen einen Einfluss auf das Lernen und Lehren. Befunde zu Lehrenden(kompetenz)erwartungen und deren Quellen sind, wie bereits ausgeführt, zahlreich. Doch wie werden Lehrpersonen wahrgenommen? Im Rahmen des stereotype content model (s. Kapitel 5) werden Lehrpersonen zumeist mittelhoch bis hoch warm beschrieben (Carlsson, 2013; Cuddy et al., 2009; Eckes, 2002; Lehramtsstudierende s. Ihme & Möller, 2015). Teilweise werden Lehrpersonen als wenig(er) kompetent bezeichnet (Carlsson, 2013; Imhoff et al., 2013; Lehramtsstudierende s. Ihme & Möller, 2015), teilweise als kompetent (Cuddy et al., 2009; Eckes, 2002). Professor*innen werden in der Regel sowohl hoch kompetent als auch hoch warm beurteilt (Eckes, 2002). Somit gibt es Situationen und Lehrkontexte, in denen eine Lehrperson als Golem (geringe Kompetenzzuschreibung) oder Galatea (hohe Kompetenzzuschreibung) beschrieben werden kann.

Lernendenerwartungen an Lehrpersonen können durch unterschiedliche Mechanismen aufgebaut werden. Feldman und Prohaska (1979) listen auf, dass Erwartungen durch physische Attraktivität, Geschlecht, Ethnie und Verhaltenseigenarten der Lehrpersonen entstehen sowie durch Informationen von Geschwistern oder Freund*innen oder durch Gerüchte. Eine Reihe von Faktoren aufseiten der Lernenden, der Lehrpersonen und der Situation werden diskutiert (vgl. Casero, 2010). Wie auch bei den Lehrendenerwartungen (s. Kapitel 9) können Stereotype gegenüber Lehrpersonen zur Ausbildung von Lernendenerwartungen wirksam werden.

1 Geschlecht

Hinsichtlich des Geschlechts einer Lehrperson ist die Befundlage recht widersprüchlich und inkonsistent, was auch auf unterschiedliche Messinstrumente zur Bewertung und Evaluation der (vermeintlichen) Kompetenz zurückzuführen ist. Bei Joye und Wilson (2015) spiegelt sich bei der Bewertung von Professor*innen das klassische Geschlechtsstereotyp wider. So wurden Männer als bessere Erklärer (also kompetenter) und Frauen besser im Beziehungsaufbau (also wärmer) beschrieben. Dabei spielte das von der lernenden Person angenommene und nicht das tatsächliche Geschlecht eine Rolle. In einer Studie von MacNell et al. (2015) wurden das tatsächliche Geschlecht und das erwartete Geschlecht einer Lehrperson in einem Online-Kurs systematisch variiert. Dabei zeigte sich, dass das tatsächliche Geschlecht der Lehrperson keinen Einfluss auf die studentische Bewertung des Unterrichts und der Lehrperson hat. Das erwartete, angenommene Geschlecht der Lehrperson hatte hingegen einen Einfluss auf die Bewertung: So wurden vermeintlich männliche Lehrpersonen positiver bewertet als weibliche. Ein Einfluss des Geschlechts der Studierenden zur Überprüfung der Eigengruppenbevorzugung (Balliet et al., 2014; DiDonata et al., 2011; Robbins & Krueger, 2005) wurde hingegen nicht kontrolliert.

Insgesamt zeigt sich in einigen Studien, dass weibliche Lehrpersonen kompetenter und positiver bewertet werden (Bennet, 1982; Griffin, 2001; Martin & Smith, 1990; Romano & Bordieri, 1989; Sohr-Preston et al., 2016; Wigington et al., 1989), andere Studien zeigen, dass Männer besser beurteilt werden (insbesondere, wenn gleichzeitig als sympathisch resp. warm beurteilt; Basow & Silberg, 1987; Meltzer & McNulty, 2011; Nadler et al., 2013) und eine dritte Gruppe von Studien konnte keine signifikanten (Haupt-)Effekte für das Geschlecht ausmachen (Basow et al., 2013; Bavishi et al., 2010; Goebel & Cashen, 1979; Riniolo et al., 2006). In einer Untersuchung von Basow et al. (2006) nominierten Studierende zu 71 % einen männlichen Inhaber einer Professur als beste Lehrperson und zu 66 % eine weibliche Inhaberin einer Professur als schlechteste Lehrperson. Die meisten diesbezüglichen Studien fokussieren dabei auf die Hochschullehre bzw. die Beurteilung von Hochschullehrenden, was sich nicht ohne Weiteres auf andere Bildungskontexte übertragen lässt. So bewerteten Kinder bei Mancus (1992) weibliche Lehrkräfte kompetenter als männliche.

In der Zusammenschau aller rezipierten Studien werden weibliche Lehrpersonen tendenziell besser und kompetenter beurteilt als männliche. Die bessere Bewertung kann nach Griffin (2001) darauf zurückgeführt werden, dass zumeist Frauen für die Bewertung befragt werden und sich somit eine Eigengruppenbevorzugung (Balliet et al., 2014; DiDonata et al., 2011; Robbins & Krueger, 2005) zeigt, die jedoch nicht immer ausgemacht werden kann (u. a. Basow et al., 2013). Außerdem bewerten weibliche Dozierende tendenziell milder (u. a. Nadler et al., 2013), was wiederum zu einer besseren Evaluation führen kann.

2 Ethnie und Migrationshintergrund

Wie bei den Erwartungen an Lernende kann auch der ethnische Hintergrund einer Lehrperson Lernendenerwartungen an die Lehrperson induzieren. Die empirischen Befunde sind auch nicht eindeutig und im Vergleich zu geschlechtsbezogenen Unterschieden eher rar.

Hinsichtlich der Kompetenzbewertung befragten Bavishi et al. (2010) High School-Schüler*innen, wie sie Professor*innen bewerten. Dafür sollten sie sich vorstellen, während des Studiums als Assistent*in für eine*einen Professor*in zu arbeiten. Die Bewertung basierte auf einem fiktiven Lebenslauf, in dem u. a. die Ethnie (afrikanisch, asiatisch oder kaukasisch) systematisch variiert wurde. Die vermeintlich afroamerikanischen Professor*innen wurden weniger kompetent bewertet als die asiatisch-amerikanischen (Asian American) und kaukasischen, die Bewertungen der Letzteren unterschieden sich nicht. Bei Basow et al. (2013) erhielten hingegen afroamerikanische Professor*innen dezent bessere Bewertungen als kaukasische. Glascock und Ruggiero (2006) zeigten wie Bavishi et al. (2010) für Afroamerikaner*innen, dass hispanoamerikanische Professor*innen negativer bewertet werden als angloamerikanische. Im Vergleich bezüglich der Kompetenz (capability) mit lateinamerikanischen Lehrpersonen schnitten angloamerikanische bei Anderson und Smith (2005) hingegen nicht vorteilhafter ab; es zeigte sich kein Haupteffekt. Insgesamt scheint also zumeist die Ethnie der Majorität (in den hier zitierten US-amerikanischen Studien die kaukasischen, angloamerikanischen Lehrpersonen) positiver bewertet zu werden.

3 Physische Attraktivität

Attraktive (sexuell anziehende, hot) Lehrpersonen werden fast durchgehend positiver bewertet und evaluiert (Bonds-Raacke & Raacke, 2007; Goebel & Cashen, 1979; Liu et al., 2013; Riniolo et al., 2006). Liu et al. (2013) beschrieben, dass der Effekt für weibliche Probandinnen größer war als für männliche Probanden. Lediglich bei Sohr-Preston et al. (2016) erhielten attraktive Dozierende geringere Werte bezüglich der Bewertung der Klarheit und ansonsten gleiche Beurteilungen. Romano und Bordieri (1989, S. 1099) resümieren:

Analyses showed that attractive professors were (a) seen as better teachers, (b) perceived as more likely to be asked for additional assistance, (c) more likely to be recommended to other students, and (d) less likely to be blamed if a student received a failing course grade than unattractive professors.

4 Gerüchte und Reputation

Neben den stereotypbasierten Quellen für (Kompetenz-)Erwartungen sind auch Gerüchte und die Reputation bedeutsam. So können im schulischen Kontext Informationen zu Lehrkräften von Freund*innen und/oder den Geschwistern kommen. Stärker von Bedeutung für den Hochschulbereich sind Online-Bewertungsportale.

Einige experimentelle Studien manipulierten die Kompetenzerwartungen an Lehrpersonen via vorheriger Kommentare nach dem Muster von RateMyProfessors.com. Anschließend sollten die Proband*innen eine videografierte Lehrperson beurteilen. Die Kompetenzmanipulation beeinflusste die Beurteilung der Lehrpersonen und des Unterrichts in die zur Manipulation kongruente Richtung (Lewandowski et al., 2012; Reber et al., 2017).

Bei Wigington et al. (1989) zeigten sich u. a. die Reputation resp. das Ansehen und die berufliche Position (Rang) der dozierenden Person als Prädiktoren für die Bewertung der Lehrperson in Lehrevaluationen. Während eine hohe Reputation mit besseren Evaluationen einherging, wurden Lehrassistent*innen sowie Professor*innen schlechter bewertet als Assistenz- und assoziierte Professor*innen. Der Einfluss der Reputation zeigte sich auch bei Tollefson und Wigington (1986) sowie bei Griffin (2001).