Zusammenfassung der Promotionsschrift

Im Zentrum der vorliegenden Promotionsschrift stand die Fragestellung, warum Menschen lebensbedrohliche islamistische Gewalttaten in Westeuropa verüben. Hierzu wurde ein neues Erklärungsmodell entwickelt, das zum einen die Frage behandelt, warum eine Person ideologie-basierte Gewalt anderen Mitteln vorzieht, und sich zum anderen mit der Frage auseinandersetzt, unter welchen Bedingungen diese Gewaltbereitschaft in tatsächliches Gewaltverhalten umschlägt. Wie erörtert, unterscheiden sich die Gründe für das (gewaltsame) Engagement von Islamisten. Für die einen ist die zentrale Motivation z. B. politische Veränderungen herbeizuführen, für andere hingegen Nervenkitzel zu erleben. Allen Personen gemein ist, diesem Modell zufolge, dass sie Gewalt sowohl als moralisch legitim als auch umsetzbar bewerten und von ihrer Anwendung primär positive Folgen für sich oder andere erwarten. Dieses Bündel von gewaltbegünstigenden Überzeugungen ist einerseits die Folge der Akzeptanz und Übernahme einer gewaltbefürwortenden islamistischen Ideologievariante und andererseits von eigenen Erfahrungen mit der Gewaltausübung sowie sozialen Verstärkern, wie z. B. Modellen, die von der Legitimität und Effektivität der Gewaltausübung überzeugen sollen. Die meisten Personen mit einer solchen Gewaltbereitschaft begehen aber niemals eine ideologie-basierte Gewalttat. Bedingung hierfür ist nämlich, dass drei aufeinanderfolgende Stufen (eine Motivations- und gewalttätige Intentionsbildung sowie eine Aufrechterhaltung des jeweiligen Tatentschlusses) erfolgreich durchlaufen werden. Deren Erfüllung wird durch interne oder externe Faktoren begünstigt oder gehemmt.

In der durchgeführten Untersuchung wurde überprüft, ob diese formulierten sozialen Faktoren wirklich die theoretisch angenommenen Wirkungen entfalten und zu einer Täterwerdung führen. Dies erfolgte am Beispiel lebensbedrohlicher islamistischer Gewaltstraftaten in Westeuropa zwischen 2000 und 2013. Die Ergebnisse der Analyse demonstrieren, dass auf der einen Seite alle Faktoren im Material vorfindbar waren und die hypothesierten Folgen nach sich zogen. Auf der anderen Seite wurde aber auch ersichtlich, dass die Faktoren offenbar eine unterschiedliche Relevanz besitzen. Einige Faktoren sind bei mehreren Fällen ausschlaggebend, wohingegen andere nur selten beeinflussend wirken. Bei den Tatanalysen kristallisierten sich vier Muster von Tatbedingungen besonders häufig heraus. Erstens war bei vielen Tätern der Entschluss, eine Gewalttat in Westeuropa zu begehen, durch den Einfluss einer islamistischen Organisation im Ausland bedingt. Sie haben während ihres Aufenthalts im außereuropäischen Ausland entweder einen Befehl hierzu erhalten oder die Organisation hat sie dazu überredet, anstelle, wie ursprünglich intendiert, im Ausland zu kämpfen, eine Tat in Westeuropa zu bevorzugen. Zweitens wurde der hohe Stellenwert des nahen Umfelds für eine Täterwerdung offensichtlich. Anstiftungen durch Familienangehörige oder Freunde sind ein bedeutsamer Faktor dafür, dass ein gewaltbereiter Islamist zum Gewalttäter wird. Drittens veranschaulichen die Analysen, dass Angriffe auf die Eigengruppe und insbesondere auf die Gruppenidentität wichtige Motivationsauslöser im Kontext islamistischer Gewalt in Westeuropa darstellen. Viertens zeigte sich, dass die Erwartung einer Entdeckung durch die Strafverfolgungsbehörden in einer frühen Vorbereitungsphase in der Mehrzahl der Fälle, entgegen der Hypothese, nicht zu einem Abbruch, sondern zu einer Fortführung der Tatvorbereitungen führte.

In diesem abschließenden Kapitel sollen aus diesen gut abgesicherten Erkenntnissen der Studie Schlussfolgerungen für die weitere Theoriebildung, Forschung sowie die Verhinderung von ideologie-basierten Gewalttaten abgeleitet werden.

Folgerungen für die Theoriebildung

Die Fallanalysen haben ersichtlich gemacht, dass islamistische Organisationen im Ausland eine bedeutsame Rolle dabei spielen, dass es zu einem Anschlag in Westeuropa kommt. Dieser Einfluss offenbarte sich nicht nur im Rahmen der Motivationsauslöser und der Intentionsbildung, sondern ebenso bei der Aufrechterhaltung des Tatentschlusses. Diese Einflussnahme konnte nicht nur bestärkender Art sein, sondern ebenso eine Tatbegehung verhindern. Dies muss eine Theorie oder ein Erklärungsmodell berücksichtigen.

Die Resultate der Analyse machen ebenfalls darauf aufmerksam, dass von einer Abschreckungswirkung einer Aufdeckung bzw. eines möglichen Eingreifens der Strafverfolgungsbehörden nur in begrenztem Maße gesprochen werden kann. In vielen Fällen gaben die Täter ihr gewaltsames Vorhaben trotz einer solchen Befürchtung nicht auf, sondern trafen eher diverse Sicherheitsvorkehrungen. Künftige Erklärungsansätze sollten daher nicht von einem einfachen Wirkzusammenhang ausgehen, sondern müssen die unterschiedlichen Reaktionsweisen und die Bedingungen ihres Zustandekommens in ihren Annahmen berücksichtigen.

Folgerungen für künftige Forschungen

Theoretische Modelle können nur so gut sein, wie unser Wissen über einen Gegenstand (vgl. Logvinov 2017, S. 41). Wie die Untersuchung offenbart hat, existieren im Bereich der Tatbedingungen aber noch einige Defizite, die künftige Forschungen beheben sollten.

Im Hinblick auf künftige Forschungen wäre es ratsam, sich stärker auf die zusätzlichen Bedingungen zu fokussieren, die wahrscheinlicher machen, dass die theoretisch angenommenen Einflussfaktoren eine Wirkung entfalten, also z. B. was begünstigt, dass eine Anstiftung zur Tatbeteiligung überhaupt angenommen wird. Dies ist auch deshalb angebracht, weil nicht jeder gewaltbereite Islamist z. B. auf einen Angriff auf die Eigengruppe gewaltsam reagiert oder sich von Darstellungen in Online-Magazinen zur Bevorzugung von Gewalt verleiten lässt. Beispielsweise ist überraschend, warum viele leicht durchführbare Inspirationen, die aber durchaus geeignet sind, ein erhöhtes Maß an Angst und Schrecken in der Bevölkerung zu verursachen, nicht nachgeahmt werden. Insbesondere im Internet können motivierte Personen auf viele Inspirationen für Gewalttaten stoßen. So wird auf islamistischen Propagandaseiten etwa der Vorschlag unterbreitet, Steine von Autobahnbrücken zu werfen, Häuser anzuzünden oder Lebensmittel in Supermärkten zu vergiften (vgl. Goertz 2017, S. 72 f.). Laut Darstellungen, seien solche Taten leicht durchführbar, mit einem geringen Entdeckungsrisiko verbunden und könnten oft wiederholt werden. Ein potentieller Weg zur Erforschung der begünstigenden Wirkbedingungen wäre es, Fälle, wo eine Beeinflussung gelungen ist, mit solchen, wo ein Beeinflussungsversuch misslang, hinsichtlich begünstigender oder hemmender Faktoren zu vergleichen. Die Erhebung solcher misslungenen Fälle ist jedoch, angesichts ihrer Tendenz im Dunkelfeld zu verbleiben, ein schwieriges Unterfangen.

Des Weiteren ist es dringend geboten, die prekäre Informationslage in diesem Bereich zu verbessern, insbesondere was interne Gruppenprozesse anbelangt. Wie Hafez & Mullins (2015, S. 971) in diesem Zusammenhang empfehlen, wäre hierfür eine stärkere Kooperation mit den Strafverfolgungsbehörden sinnvoll. Dies ermöglicht u. a. Zugang zu Ermittlungs- und Gerichtsakten zu erhalten, die z. B. Vernehmungen oder abgehörte Gespräche umfassen und auf diese Weise einen besseren Einblick in Gruppenprozesse erlauben. Darüber hinaus haben die Behörden vielleicht auch mehr Informationen über viele frühzeitig abgebrochene Taten, die gar nicht erst an die Öffentlichkeit gelangt sind.

Da in mehreren Fällen dieser Studie offensichtlich wurde, dass Organisationen einen bedeutsamen Einfluss auf die Tatbegehung bzw. einen Abbruch haben, erscheint eine stärkere Berücksichtigung einer organisationalen Perspektive bei Forschungen zur Frage, wie es zu einem Anschlag in Westeuropa kommt, sinnvoll. Dabei kann es z. B. darum gehen, wie eine islamistische Organisation zu der Entscheidung kommt, Anschläge in Europa zu veranlassen und Mitglieder mit deren Realisierung zu beauftragen, oder was die Organisationsführung dazu bewegt, Taten, die bereits in einer Vorbereitungsphase sind, zu stoppen. Erklärungsansätze wie die relational perspective weisen beispielsweise auf die Rolle von Interaktionen mit Gegnern, Konkurrenten und Verbündeten hin, die dazu führen können, dass sich Organisationen dazu entscheiden, Gewalttaten zu initiieren, und ihre Mitglieder damit beauftragen (vgl. della Porta 2013, S. 19)

Folgerungen zur Verhinderung von Gewalttaten

Zu guter Letzt sollen aus den gut abgesicherten Befunden der Studie konkrete Empfehlungen formuliert werden, die dabei helfen sollen, eine Reihe künftiger islamistischer Gewalttaten in Westeuropa zu verhindern.

Zum einen hat sich in der Studie gezeigt, dass auf wen ein gewaltbereiter Islamist trifft, insbesondere während eines Auslandsaufenthalts, mit einer Erhöhung des Risikos für die Begehung einer Tat in Westeuropa einhergeht. Für die Strafverfolgungsbehörden wäre es daher ratsam, Informationen darüber zu sammeln, mit wem ein Rückkehrer im Ausland Kontakt hatte.

Zum anderen wurde angesichts der hohen Anzahl an Anstiftungen ersichtlich, dass wen ein gewaltbereiter Islamist kennt, einen Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit einer Täterwerdung hat. Personen, die eine ideologie-basierte Gewalttat vorbereiten und hierfür Mittäter suchen, rekrutieren diese allen voran im näheren Umfeld (Familie und Freunde). Ein Großteil der Personen in dieser Studie wurde aufgrund von Anstiftungen von einem gewaltbereiten Islamisten zum Täter. In Anbetracht dessen wäre es sinnvoll, dass die Behörden, sobald sie Kenntnis darüber erlangen, dass eine Person eine Gewalttat plant, ebenfalls das islamistische Umfeld dieser Person überwachen, weil sich hierunter u. U. eine Reihe von Mittätern befindet. Zudem bieten konkrete Anstiftungsakte die Möglichkeit laufende Tatprojekte, die sonst aufgrund der Geheimhaltungsinteressen der Täter schwer aufzudecken sind, zu enttarnen (vgl. Jordan et al. 2008, S. 32 f.). Denn im Zuge einer solchen Anstiftung verrät die Zelle oder Person ihr Vorhaben nach außen hin.

Des Weiteren sind Zweifel zu unterschiedlichen Zeitpunkten des Tatvorhabens ausschlaggebend dafür, dass es nicht zu einer Tat kommt. Einerseits demonstrieren einige Fälle, dass z. B. Zweifel zu einer Ablehnung einer Anstiftung führen können. Andererseits ergaben die Analysen, dass Zweifel während der Tatvorbereitungsphase in einem Ausstieg aus dem Tatprojekt gipfeln können. Vor diesem Hintergrund erscheint es angebracht, genauer zu erforschen, wie solche Zweifel entstehen, um Strategien entwickeln zu können, mit denen gezielt Bedenken und Misstrauen gesät werden können.

Besondere Vorsicht ist auch geboten, wenn die Täter vermuten von den Strafverfolgungsbehörden entdeckt worden zu sein. Dies kann, wie die Resultate demonstrieren, zwar in einem Abbruch des Vorhabens münden, aber ebenso bewirken, dass die Täter erst einmal abwarten oder sich konspirativer verhalten. In einer späten Vorbereitungsphase können sie sogar plötzlich und unerwartet losschlagen. Um letzterem entgegenzuwirken, ist es insbesondere vor einem möglichen Zugriff sinnvoll den Stand der Tatvorbereitungen in Kenntnis zu bringen und zu wissen, ob die Gruppe bereits über Waffen oder Sprengstoff verfügt.

Darüber hinaus weisen die gefundenen Motivationsauslöser darauf hin, dass bei vielen Fällen ein wahrgenommener Angriff auf andere Muslim*innen oder auf die Gruppenidentität (insbesondere in Form der Mohammed-Karikaturen) der entscheidende Initialfaktor für die Tatbegehung war. Folglich ist auf der einen Seite eine erhöhte Wachsamkeit nach Ereignissen geboten, die in der islamistischen Bewegung als besonders verletzend wahrgenommen wurden und als Angriff des Westens gewertet werden. Auf der anderen Seite sollte der Westen einen reflektierten Umgang mit dem Islam und den Muslim*innen weltweit pflegen und bei etwaigen Entscheidungsfindungen mitberücksichtigen, ob eigene Handlungen (z. B. militärische Interventionen) möglicherweise als besonders verletzend innerhalb der muslimischen Bevölkerung empfunden werden könnten.

Schließlich wurde im Rahmen mehrerer Fälle ersichtlich, dass auch das soziale Umfeld eines Täters einen bedeutsamen Einfluss darauf nimmt, ob es zu einer Tat kommt oder nicht. Zum einen demonstrieren die Befunde, dass nicht nur die Tatgruppe einen Einfluss auf die Aufrechterhaltung der gewalttätigen Intention nimmt, sondern ebenfalls Familie und Freunde eine Person dazu bewegen können, ihr Vorhaben aufzugeben. Es wäre daher ratsam, Personen aus dem nahen sozialen Umfeld von gewaltbereiten Islamisten Instrumentarien an die Hand zu geben, mit denen sie, falls sie eine Tatbegehung eines nahen Angehörigen befürchten, Zweifel beim Täter auslösen können, um ihn so zum Aufgeben zu bewegen. Zum anderen gab es Fälle, wo Hinweise von Moscheegemeinden an die Strafverfolgungsbehörden über einen möglichen Plot zur Verhinderung eines Anschlags führten.Footnote 1 Ein ähnliches Bild zeigt sich auch in den USA, wo, laut Angaben von US-Behörden, bis 2010 16 islamistische Gewaltstraftaten durch die Unterstützung von muslimischen Gemeinden verhindert werden konnten (vgl. Kleinmann 2012, S. 291). Angesichts dessen wäre es sinnvoll, Gemeinden Instrumentarien an die Hand zu geben, die ihnen helfen können zu erkennen, ob sich Gemeindemitglieder radikalisiert haben oder sogar einen Anschlag vorbereiten.

In Anbetracht dieser verschiedenen Hinweise und Empfehlungen, die im Rahmen dieses Erklärungsmodells und der Studie ableitbar waren, hoffe ich einen kleinen Beitrag für nachfolgende Forschungen in diesem Bereich sowie für die Verhinderung, einer Reihe künftiger ideologie-basierter Gewalttaten, geleistet zu haben.