6.1 Fragestellung

Die drei Stufen (Motivationsbildung, Intentionsbildung und Aufrechterhaltung des Tatentschlusses) bilden den Analyserahmen für die folgende Untersuchung. Es soll überprüft werden, ob die theoretisch angenommenen Faktoren tatsächlich ausschlaggebend dafür sind, dass eine hohe ideologie-basierte Gewaltbereitschaft in reales Gewalthandeln umschlägt, also entfalten sie wirklich die theoretisch formulierten Wirkungen auf die Motivations- und Intentionsbildung sowie auf die Aufrechterhaltung des Tatentschlusses? Wirken z. B. Gelegenheiten zur politischen Einflussnahme wirklich motivationsauslösend und führt beispielsweise die Erwartung einer bevorstehenden Verhaftung in einer späten Planungsphase zu einem Vorziehen der Tat? Die Fragestellung der Untersuchung ist auch deshalb interessant, weil terroristischer Gewalt ja in der Regel ein Überraschungsmoment zugeschrieben wird. Es ist daher mehr als fraglich, ob sich im Kontext des Terrorismus überhaupt wiederkehrende Muster bzgl. der Bedingungen der Gewaltausübung finden lassen.

Der Fokus der Studie soll sich dabei auf die weiter oben vorgestellten sozialen Einflussfaktoren, also Beeinflussungen durch andere Personen, richten. Diese Beschränkung ergibt sich aus der äußerst schwierigen Erforschbarkeit interner/psychischer Faktoren. Denn die Nichtbeobachtbarkeit interner Prozesse erschwert zuverlässige Aussagen über diese von außen zu treffen. Diesbezügliche Rückschlüsse lassen sich nur auf Grundlage von z. B. Bekennerschreiben, Videobotschaften oder Interviews ziehen, wenn auch mit großer Unsicherheit bzgl. des Wahrheitsgehalts der getätigten Aussagen. Wesentlich zugänglicher für soziologische Analysen sind beobachtbare Beeinflussungsversuche von anderen auf eine Person, wie etwa ein Befehl, und das daraufhin einsetzende Verhalten der beeinflussten Person (z. B. der Beginn von Tatvorbereitungshandlungen) bzw. dessen ausbleiben.Footnote 1

Ebenso ausgeklammert aus der Untersuchung sind die verschiedenen begünstigenden Faktoren, die wahrscheinlicher machen, dass die formulierten Tatbedingungen (Befehle, Anstiftungen, Vorbilder usw.), die angenommenen motivationsauslösenden, intentionsbeeinflussenden bzw. intentionsaufrechterhaltenden Wirkungen entfalten. Für deren Testung wäre eine Kontrollgruppe mit einer ausreichend großen Anzahl an Fällen notwendig, wo diese Bedingungen nicht zu einer Tatbegehung geführt haben, also z. B. ein Befehl zu einer Gewalttat in Westeuropa nicht angenommen wurde. Denn nur so kann geprüft werden, inwiefern das Fehlen der begünstigenden Faktoren hierfür ausschlaggebend war oder nicht, ob z. B. eine Anstiftung eher nicht motivationsauslösend wirkt, wenn ein Vertrauensverhältnis fehlt, oder Bestärkungen des Tatentschlusses durch andere Gruppenmitglieder nicht so sehr wirken, wenn die Gruppenmitgliedschaft für die zweifelnde Person keine hohe Relevanz hat. Die Sammlung solcher misslungenen Beeinflussungsversuche ist allerdings sehr diffizil, da sie in der Regel im Dunkelfeld verbleiben.

6.2 Hypothesen

Aus den obigen theoretischen Annahmen zu den Tatbedingungen islamistischer Gewalt in Westeuropa (Abschnitt 5.4) lassen sich die folgenden Hypothesen ableiten:

I. Motivationsauslöser

Hinsichtlich der Motivationsbildung wird im Rahmen des Erklärungsmodells davon ausgegangen, dass konkrete Angriffe auf die Person selbst, die Eigengruppe oder ihre Identität eine Handlungsmotivation für eine ideologie-basierte Gewalttat in Westeuropa auslösen können. Die erste Hypothese lautet daher:

→ Hypothese 1a: konkrete Angriffe auf die Person selbst, die eigene Gruppe oder ihre Identität lösen eine Handlungsmotivation für eine islamistische Gewalttat in Westeuropa aus

Des Weiteren wird angenommen, dass günstige Gelegenheiten, um viel politischen Einfluss auszuüben und Veränderungen herbeiführen zu können, einen Motivationsauslöser im Kontext islamistischer Gewalt in Westeuropa darstellen. Es wird aus diesem Grund folgende Hypothese abgeleitet:

→ Hypothese 1b: günstige Gelegenheiten zur politischen Einflussnahme lösen eine Handlungsmotivation für eine islamistische Gewalttat in Westeuropa aus

Zudem besteht in dem vorliegenden theoretischen Ansatz die Annahme, dass konkrete Befehle oder allgemeine Aufrufe zu Gewalt von Organisationsführern als Auslöser für eine Handlungsmotivation einer ideologie-basierten Gewaltstraftat fungieren. Es wird folglich die Hypothese gebildet:

→ Hypothese 1c: Befehle oder Aufrufe zu Gewalt von Organisationsführern lösen eine Handlungsmotivation für eine islamistische Gewalttat in Westeuropa aus

Schließlich wird davon ausgegangen, dass eine Person durch Kontakte im näheren Umfeld zur Beteiligung an einer Gewalttat motiviert werden kann. Die diesbezügliche Hypothese lautet:

→ Hypothese 1d: Anstiftungen von nahestehenden Personen lösen eine Handlungsmotivation für eine islamistische Gewalttat in Westeuropa aus

II. Intentionsbildung

Im Zusammenhang mit der Intentionsbildung wird in diesem Modell die Ansicht vertreten, dass eine vorherige ideologie-basierte Gewalttat eine bereits motivierte Person auf die Idee bringen kann, ebenfalls dieses Mittel in Westeuropa zu nutzen, um ihr jeweiliges Ziel zu realisieren. Die hieraus abgeleitete Hypothese lautet:

→ Hypothese 2a: vorherige ideologie-basierte Gewalttaten lösen den Entschluss aus, eine ideologie-basierte Gewalttat in Westeuropa zu begehen

Zweitens wird im Rahmen des Ansatzes davon ausgegangen, dass islamistische Organisationen direkt oder indirekt als Inspirationsquelle bei der Intentionsbildung dienen. Folglich wird diese Hypothese gebildet:

→ Hypothese 2b: direkte oder indirekte Inspirationen von Organisationen lösen den Entschluss aus, eine ideologie-basierte Gewalttat in Westeuropa zu begehen

Drittens wird angenommen, dass die Einschränkung von alternativen Verhaltensoptionen durch externe Faktoren die Intentionsbildung beeinflusst und eine Person hin in Richtung Gewalt lenken kann. Es wird deshalb folgende Hypothese formuliert:

→ Hypothese 2c: externe Einschränkungen führen zu dem Entschluss, eine ideologie-basierte Gewalttat in Westeuropa zu begehen

III. Aufrechterhaltung des Tatentschlusses

Im Kontext der dritten Stufe wird zum einen davon ausgegangen, dass die Befürchtung einer Entdeckung durch die Strafverfolgungsbehörden einen relevanten Einflussfaktor auf die Aufrechterhaltung des Tatentschlusses darstellt. Dabei wird in diesem Modell die Ansicht vertreten, dass sich die Folgen jeweils nach dem Fortschritt der Tatvorbereitungen unterscheiden: in einer frühen Phase wird die Intention, eine Gewalthandlung zu begehen, aufgegeben und die Mitglieder tauchen z. B. unter. Die dazugehörige Hypothese lautet:

→ Hypothese 3a: in einer frühen Vorbereitungsphase führt die Entstehung der Erwartung einer Entdeckung durch die Strafverfolgungsbehörden zum Aufgeben des Entschlusses, eine Gewalttat in Westeuropa zu begehen

Sind die Planungen und Vorbereitungen hingegen schon fast abgeschlossen, dann kommt es vermutlich zu einer Beschleunigung der Aktivitäten und die Tatausführung wird vorgezogen. Es wird demzufolge hypothesiert:

→ Hypothese 3b: in einer späten Vorbereitungsphase führt die Entstehung der Erwartung einer Entdeckung durch die Strafverfolgungsbehörden zum Vorziehen der geplanten islamistischen Gewalttat in Westeuropa

Zum anderen besteht in diesem Erklärungsmodell die Annahme, dass Einflüsse durch andere Gruppenmitglieder eine besonders wichtige Rolle bei der Aufrechterhaltung des Tatentschlusses spielen. Zweifel eines Gruppenmitglieds hinsichtlich der Umsetzung der intendierten Handlung können, dieser Annahme zufolge, durch Bekräftigungen anderer Mitglieder der Tatgruppe neutralisiert werden. Es wird aus diesem Grund folgende Hypothese vertreten:

→ Hypothese 3c: bei Zweifeln eines Gruppenmitglieds hinsichtlich der geplanten ideologie-basierten Gewalttat in Westeuropa führen Bestärkungen durch andere Gruppenmitglieder dazu, dass sich die zweifelnde Person weiter an dem Tatvorhaben beteiligt und nicht abbricht

6.3 Untersuchungsgegenstand

Die formulierten Hypothesen sollen am Beispiel lebensbedrohlicher islamistischer Gewaltstraftaten getestet werden, die zwischen dem 01.01.2000 und dem 31.12.2013 in Westeuropa verübt wurden bzw. werden sollten. Hierzu ist eine Totalerhebung aller relevanten Fälle in diesem Zeitraum vorgesehen.

Unter islamistischen Gewaltstraftaten werden all jene Gewalthandlungen gefasst, die durch eine islamistische Ideologievariante entweder motiviert, also primär ideologische Ziele im Vordergrund stehen, oder gerahmt sind, also eher andere Ziele für den Täter im Vordergrund stehen. Indikatoren, ob eine Tat in den Bereich des Islamismus fällt, sind zum einen entsprechende Verlautbarungen der Täter, etwa in Abschiedsbriefen, Videobotschaften oder Ankündigungen im Umfeld, und/oder zum anderen die anvisierten Zielobjekte (z. B. Islamkritiker), die sich an ideologisch definierten Feindbildern orientieren (vgl. Crenshaw & LaFree 2017, S. 76; Nesser 2004, S. 27).

Die Wahl des Tatorts Westeuropa fußt auf zwei Gründen: zum einen ermöglicht die Analyse dieser Taten, die mitten in Europa stattfanden, herauszufinden, ob es hier spezifische Bedingungen gibt, die islamistische Gewalt begünstigen. Sind es z. B. eher Erfahrungen, die gewaltbereite Islamisten in Westeuropa machen, die gewaltauslösend wirken, oder stellen vielmehr Ereignisse außerhalb Europas relevante Auslöser dar? Zum anderen ist davon auszugehen, dass über diese Taten eine größere Menge an zuverlässigen Informationen zur Verfügung steht, da in Europa eine unabhängige Berichterstattung existiert.

Die Wahl des Untersuchungszeitraums erklärt sich wie folgt: das Jahr 2000 markiert den Auftakt islamistischer Gewalt in Europa mit einer international ausgerichteten ideologischen Agenda (vgl. Nesser 2015, S. 54 ff.). Die bisherigen ideologie-basierten Gewalttaten von Islamisten, zumeist begangen von Mitgliedern der algerischen GIA (Groupe Islamique Armé) in den 1980er und 90er Jahren in Frankreich und Belgien, standen ausschließlich mit der politischen Situation in Algerien in Zusammenhang. Sie waren demnach primär mit einer lokalen Zielsetzung verknüpft und richteten sich vorwiegend gegen Gegner einer islamistischen Machtübernahme in Algerien (vgl. Nesser 2004, S. 11 f.). Erst im Jahr 2000 lässt sich die erste geplante Gewalttat auf westeuropäischem Boden identifizieren, die von einer international orientierten islamistischen Ideologievariante, nämlich der von Al Qaida, getragen wird (vgl. Nesser 2008, S. 925). Diese Variante umfasst eine internationale Zielsetzung und richtet sich explizit gegen den Westen als Feind und Verantwortlichen.

Das Jahr 2013 bildet den Schlusspunkt des Untersuchungszeitraums, da die in dieser Studie verwendete Datenbank von Petter Nesser (2008; 2014), welche die Grundlage für die Auswahl relevanter Fälle bildet, nur bis zu diesem Jahr reicht. Ein größerer zeitlicher Abstand zwischen den zu untersuchenden Taten und der Analyse ist m. E. aber ohnehin sinnvoll, da viele Erkenntnisse zu einer Tat oft erst mit einiger zeitlicher Distanz zu dieser, manchmal auch erst Jahre später, aufgedeckt werden (z. B. im Rahmen einer Gerichtsverhandlung). Diese neuen Informationen können einen Fall und dessen Zustandekommen dann in einem völlig anderen Licht erscheinen lassen (vgl. Nesser 2015, S. 20). Zudem sind viele Informationen, die kurz nach der Tat im Umlauf sind, fehlerhaft, was sich aber oft erst nach einiger Zeit herausstellt (vgl. Hegghammer & Nesser 2015, S. 19).

Der breite Zeitrahmen der Studie ist notwendig, weil die obigen theoretischen Annahmen neben Befunden aus anderen Kriminalitätsbereichen und islamistischen Gewalttaten in anderen westlichen Ländern (Nordamerika sowie Australien/Neuseeland), z. T. auch auf Grundlage von Erkenntnissen aus Studien zu einzelnen Fällen aus Westeuropa gebildet wurden (z. B. Clutterbuck & Warnes 2011; Malthaner & Hummel 2012; Nesser 2015). Durch die Betrachtung aller Fälle in diesem Zeitraum kann die Gefahr einer Zirkularität abgemildert werden.

6.3.1 Definition Plot

Ein Plot liegt vor, sofern erstens eine Intention zur Begehung einer konkreten ideologie-basierten Gewalttat in Westeuropa besteht und zweitens spezifische Tatvorbereitungshandlungen diesbezüglich unternommen werden (vgl. Crenshaw & LaFree 2017, S. 74 f.; Strom et al. 2017, S. 470 ff.). Ein bestimmtes Zielobjekt (z. B. Zivilisten oder ein Politiker) und/oder ein spezifischer modus operandi (z. B. ein Selbstmordanschlag oder ein Angriff im Mumbai-Stil) müssen dabei noch nicht endgültig festgelegt worden sein.

Ob tatsächlich eine Gewaltintention vorlag, lässt sich am besten anhand der getätigten Kommunikation der jeweiligen Person bestimmen. Allerdings reichen ausschließlich öffentliche Verlautbarungen, einen Anschlag begehen zu wollen, nicht aus, um von einem Plot sprechen zu können. Zudem darf aus dem Abstreiten einer gewalttätigen Handlungsabsicht, etwa vor Gericht, nicht automatisch geschlussfolgert werden, dass keine Tat geplant war.

Die zusätzliche Überprüfung, ob die Person/Gruppe Tatvorbereitungshandlungen unternommen hat, kann dann als Indiz für das Vorliegen eines Plots hinzugenommen werden. Als Vorbereitungshandlungen, die als Indikator für das Bestehen eines Plots herangezogen werden können, können u. a. Planungen bzgl. der Tatbegehung, die Rekrutierung von Mittätern, die Aneignung notwendiger Kompetenzen zur Tatrealisierung, die Beschaffung notwendiger finanzieller Ressourcen, das Ausspähen eines möglichen Zielobjekts, Übungen/Testläufe sowie die Beschaffung bzw. Herstellung notwendiger Materialien gelten (vgl. Clutterbuck & Warnes 2011; Crenshaw & LaFree 2017, S. 79; Smith et al. 2017). Problematischerweise lässt sich aber nicht immer sicher bestimmen, ob es sich bei einer vollzogenen Handlung tatsächlich um eine Tatvorbereitungshandlung gehandelt hat oder nicht. Denn oft fehlen notwendige Informationen zu einem Fall und können auch nicht beschafft werden, insbesondere bei nicht-realisierten Plots (vgl. Strom et al. 2017, S. 469). Häufig kann nur vermutet werden, dass eine ideologie-basierte Gewalthandlung geplant war.

Der Untersuchungsgegenstand soll sowohl realisierte als auch nicht-realisierte (abgebrochene, fehlgeschlagene oder vereitelte) Taten bzw. Plots in Westeuropa umfassen. Eine alleinige Fokussierung auf erfolgreich umgesetzte Anschläge würde ein unvollständiges Bild liefern (vgl. Crenshaw & LaFree 2017, S. 2 f.). Denn gerade die Analyse fehlgeschlagener oder abgebrochener Fälle kann einerseits Auskunft über die Bedingungen für die erfolgreiche Umsetzung eines Tatplans geben und andererseits Erkenntnisse darüber liefern, wie Anschläge verhindert werden können (vgl. Strom et al. 2017, S. 468 f.).

Als realisiert sollen Fälle gelten, bei denen der intendierte modus operandi umgesetzt wurde, also bei einem geplanten Bombenanschlag etwa die Bombe am beabsichtigten Zielobjekt explodiert ist oder bei einem Messerangriff ein bestimmtes oder unbestimmtes Opfer durch den Messereinsatz körperlich geschädigt wurde. Ob die vom Täter gewünschten Folgen tatsächlich eingetreten sind (z. B. ob durch die Bombenexplosion Personen getötet wurden oder die durch den Messerangriff viktimisierte Person gestorben ist), ist dabei irrelevant.

Als abgebrochen sollen Plots gewertet werden, die von Seiten der Täter aufgegeben wurden, etwa aufgrund von moralischen Bedenken oder technischen Schwierigkeiten, beispielsweise beim Bombenbau.

Als fehlgeschlagen sollen Plots gelten, bei denen der intendierte modus operandi entweder aufgrund von Fehlern auf Seiten der Täter (z. B. Versäumnissen bei der Konstruktion einer Bombe, die dazu führten, dass sie zu früh oder gar nicht explodiert ist) oder aufgrund anderweitiger technischer Probleme (z. B. Ladehemmungen bei einer Schusswaffe) nicht erfolgreich umgesetzt werden konnte (vgl. Crenshaw & LaFree 2017, S. 77).

Als vereitelt werden Plots definiert, bei denen eine externe Intervention für die Nicht-Realisierung verantwortlich ist (vgl. Crenshaw & LaFree 2017, S. 77). Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang erstens das Eingreifen der Strafverfolgungsbehörden, welches dazu führen kann, dass die Täter ihren Plan nicht umsetzen können. Zweitens können Interventionen oder Hinweise aus dem persönlichen Umfeld der Täter für eine Verhinderung verantwortlich sein. Drittens können auch Personen, die in der konkreten Tatsituation anwesend sind, die Tatrealisierung vereiteln.

6.3.2 Definition Täterschaft

Die zu untersuchenden Taten können sowohl von Männern oder Frauen als auch von Einzeltätern oder Gruppen begangen worden sein. Im Falle der Einzeltäter ist zudem auf die besondere Unterkategorie der sogenannten Lone Wolves hinzuweisen. Im Gegensatz zu anderen Einzeltätern, die materielle Unterstützung für ihre Tat und/oder direkte Anweisungen von anderen Personen erhalten, handeln Lone Wolves bei ihrer Tatplanung, Vorbereitung und Durchführung auf sich allein gestellt (vgl. Nesser 2015, S. 5 f.).

Um im Rahmen der Analyse entscheiden zu können, ob eine Person in den Untersuchungsbereich fällt oder nicht, muss festgelegt werden, ab wann jemand als Täter in einem Plot zu werten ist. Als Täter sollen Personen gelten, die an der Realisierung des Tatplans mitgewirkt haben und dessen konkrete Umsetzung auch tatsächlich gewollt haben (vgl. Crenshaw & La Free 2017, S. 75 f.). Eingeschlossen in den Untersuchungsgegenstand sind folglich all jene Personen, ohne deren aktiven Beitrag (z. B. Ausspähen des Zielobjekts, finanzielle Unterstützung, Beschaffung von Materialien, Tatplanungen) die spezifische Tat nicht hätte stattfinden können. Ausgeschlossen sind hingegen einerseits Personen, die ausschließlich als Auftraggeber in Erscheinung getreten sind, ohne jedoch selbst bei den Tatvorbereitungen in Europa geholfen zu haben. Andererseits sind Personen ausgeschlossen, die zwar Unterstützungsleistungen für die Tat getätigt haben, aber nicht wussten, dass es sich um eine ideologie-basierte Gewalttat handelt. Beispielhaft hierfür sind einige Beteiligte der Madrid-Anschläge vom März 2004, die bei der Sprengstoff-Beschaffung geholfen haben, ohne über seine spätere Verwendung Bescheid zu wissen.

6.3.3 Fallzahlen

Als Datenbank für die Auswahl relevanter Fälle wurde die Chronologie Jihadist Terrorism in Europe von Petter Nesser (2008; 2014) verwendet. Warum wurde diese Datenbank anderen gegenüber bevorzugt? Erstens umfasst sie sowohl realisierte als auch nicht-realisierte Fälle sowie Taten von Einzelpersonen und Gruppen. Zweitens berücksichtigt sie bei der Fallsuche eine breite Palette an Informationsquellen, um möglichst alle relevanten Taten erfassen zu können. Drittens nutzt Nesser (2008, S. 926) das gleiche Definitionskriterium für einen Plot, das auch in dieser Untersuchung verwendet wird.

Im Zuge der Informationsrecherche zu den einzelnen Gewalttaten bin ich zudem auf weitere Fälle gestoßen, die den o.g. Kriterien (islamistisch motivierte oder gerahmte, lebensbedrohliche Gewalttat; begangen bzw. intendierte Ausführung in Westeuropa zwischen 2000–2013; männlicher oder weiblicher Täter, von Einzelperson oder in Gruppe begangen) entsprechen, jedoch nicht in der Datenbank von Nesser (2008; 2014) registriert sind. Sie wurden dann ebenfalls aufgenommen. Die letztendliche Grundlage der Analyse umfasst schließlich 121 Fälle mit 655 Tätern. Eine Liste aller Fälle und identifizierten Täter befindet sich in Anhang 1 im elektronischen Zusatzmaterial. Die Suche nach Informationen zu den Fällen basiert auf den Täternamen. Dieser konnte nicht bei allen der insgesamt 655 Täter ermittelt werden. Bei 454 Personen liegt der Name vor. Die unidentifizierten Personen konnten nicht in der Studie berücksichtigt werden.

Trotz der sorgfältigen Fallrecherche kann aber angesichts der dürftigen Informationslage in diesem Forschungsbereich nicht davon ausgegangen werden, dass diese Fallzahl der tatsächlichen Anzahl der Taten in Westeuropa entspricht. Denn auf der einen Seite kann, insbesondere bei nicht-realisierten Gewalttaten, bezweifelt werden, dass alle in der Planung befindlichen Fälle den Ermittlungsbehörden auch tatsächlich bekannt werden. So können einige intendierte Taten beispielsweise schon vor dem Bekanntwerden von den Tätern selbst aufgegeben worden sein (vgl. Fischer & Pelzer 2015, S. 86 ff.). Zudem ist es möglicherweise so, dass die Ermittlungsbehörden einige aufgedeckte und vereitelte Anschlagsplanungen gar nicht erst öffentlich bekannt geben, etwa aus geheimdienstlichen Gründen (vgl. Crenshaw & La Free 2017, S. 73). Die tatsächliche Gesamtfallzahl ist demzufolge unbekannt.

Auf der anderen Seite ergeben sich ähnliche Zweifel bei der ermittelten Anzahl der Täter. Auch hier kann nicht sicher davon ausgegangen werden, dass in jedem Fall alle beteiligten Täter ermittelt wurden. Einige Personen sind u. U. schon frühzeitig aus den Anschlagsvorbereitungen einer Gruppe ausgestiegen, wieder andere hingegen wurden bei Vernehmungen durch die Strafverfolgungsbehörden evtl. gar nicht erst von ihren Komplizen als Mittäter erwähnt.

6.4 Erhebung des Datenmaterials zu den Fällen

6.4.1 Informationsquellen

In der vorliegenden Studie wurde die Wahl einer geeigneten Methode zur Erhebung von Informationen in erheblichem Maße von den Eigenarten des speziellen Untersuchungsgegenstandes beeinflusst. Informationen über islamistische Gewalttäter und das Zustandekommen ihrer Tat zu erheben, ist mittels der herkömmlichen Forschungsmethoden, wie etwa Interviews, Beobachtungen oder Fragebögen, meist nur schwer möglich.

Der Versuch einer direkten Kontaktaufnahme mit extremistischen Gewalttätern erweist sich aus mehreren Gründen als problematisch. Erstens nehmen sie ihre gruppenexterne Umwelt als ihnen feindlich gesonnen wahr, weshalb sie eher nicht bereit sein werden, mit außenstehenden Wissenschaftler*innen zusammenzuarbeiten und Einblicke zu gewähren (vgl. Dalgaard-Nielsen 2010, S. 811 f.). Zweitens bereiten sie ihre Taten in der Regel im Geheimen vor und versuchen alles, damit ihr gewaltsames Vorhaben unentdeckt bleibt (vgl. Boyd 2017, S. 77 f.). Sie werden deshalb weder gewillt sein, Auskunft über ihre derzeitigen Aktivitäten zu geben, noch ihre Gruppenprozesse von Externen beobachten zu lassen. Drittens ist ebenso der Zugang zu inhaftierten extremistischen Gewalttätern, die möglicherweise etwas kooperationsbereiter sind, etwa aufgrund von im Gefängnis einsetzenden Distanzierungsprozessen von der Ideologie, schwierig (vgl. Hamm & Spaaji 2017, S. 211). Forschungstätigkeiten hängen hier von Genehmigungen der zuständigen staatlichen Behörden ab. Dafür müssen jedoch bestimmte Bedingungen erfüllt sein, die der Verfasser dieser Arbeit nicht erfüllt. Diese drei Zugangsprobleme machen verständlich, warum es bislang nur wenig Forschung im Bereich der Tatbedingungen ideologie-basierter Gewalt gibt.

Da in diesem Forschungsvorhaben ein direkter Zugang zu den Tätern selbst nicht realisierbar war, wurden als Alternative hierzu frei zugängliche Informationsquellen als Möglichkeit der Informationsgewinnung zu den einzelnen Fällen gewählt. Als Quellen dienten Medienberichte (journalistische Berichte, Dokumentationen), Dokumente von staatlichen Behörden (Untersuchungsberichte, Gerichts- und Ermittlungsakten) sowie wissenschaftliche Publikationen speziell zu einzelnen Fällen. Anhand der Informationen aus diesen Quellen soll versucht werden, die Tatbedingungen der jeweiligen Fälle zu untersuchen.

6.4.2 Vor- und Nachteile der genutzten Informationsquellen

Medienberichten wird oft vorgeworfen, dass sie ungenau und sensationsorientiert seien (vgl. Nesser 2014, S. 441). So besteht z. B. die Gefahr, dass Journalist*innen ihre Informationen einfach aus anderen Artikeln oder Quellen übernommen haben, ohne zu überprüfen, ob diese überhaupt der Wahrheit entsprechen. Des Weiteren fokussieren sich Medien bei ihrer Recherche und Berichterstattung möglicherweise bevorzugt auf spektakuläre Fälle und lassen kleinere Taten ohne größere Konsequenzen, insbesondere gescheiterte Taten, eher außer Acht oder berichten nur wenig über sie (vgl. Morris & LaFree 2017, S. 95 f.).

Trotz dieser Nachteile von medialen Quellen darf allerdings auch nicht außer Acht gelassen werden, dass einige Journalist*innen aufgrund ihres Wissens in diesem Bereich als Terrorismusexpert*innen bezeichnet werden können (vgl. Nesser 2015, S. 19). Hinzu kommt, dass Journalist*innen manchmal Zugang zu Ermittlungs- oder Gerichtsakten erhalten oder Gespräche mit Ermittler*innen, die ihnen vertrauliche Informationen zukommen lassen, oder sogar den Gewalttätern selbst führen können. Diese Vorteile machen Medienberichte zu einer unverzichtbaren Quelle.

Die gravierendste Problematik bei wissenschaftlichen Publikationen ist, dass sie nur selten neue Informationen zu Taten erheben, sondern sich zumeist bereits erhobener Daten durch die beiden anderen Quellenarten, Medienberichte und staatliche Dokumente, bedienen (vgl. Schuurman 2014, S. 62). Dies erklärt sich durch die eingangs beschriebenen Hürden bei der Durchführung von Forschungsprojekten in diesem Bereich. Dennoch ist die Nutzung dieser Quellenart sinnvoll, da Wissenschaftler*innen in einigen Fällen Informationen aus staatlichen Quellen, etwa Gerichtsakten, zitieren, die aufgrund von Zugangsbeschränkungen andernfalls nicht einsehbar wären.

Dokumente von staatlichen Behörden, allen voran Ermittlungs- und Gerichtsakten, stellen eine besonders wertvolle und zuverlässige Informationsquelle dar. Sie können nämlich Aussagen von den Tätern selbst bzw. Zeugen im Rahmen von Vernehmungen oder Gerichtsverfahren, Beobachtungsprotokolle von Ermittler*innen oder sogar Aufzeichnungen abgehörter Gespräche zwischen den Tätern während der Tatvorbereitungsphase umfassen. Insbesondere letzteres vermag interessante Einblicke in interne Gruppenprozesse zu geben. Die Beschreibungen der Tat und ihrer Hintergründe im Rahmen eines Gerichtsverfahrens bieten zudem eine relativ detaillierte Rekonstruktion des Geschehens vor, während und nach der Tat bzw. Verhaftung.

Das größte Problem bei einer beabsichtigten Nutzung von Ermittlungs- und Gerichtsakten sind die Hürden beim Zugang zu diesen. Ein weiteres Problem mit Ermittlungs- und Gerichtsakten ist, dass sie primär ermittlungs- bzw. verurteilungsrelevante Aspekte thematisieren und andere Aspekte, die für diese Untersuchung relevant sein könnten, möglicherweise außer Acht gelassen werden (vgl. Schuurman et al. 2014, S. 65 f.). Schließlich besteht im Falle von Untersuchungsberichten die Gefahr, dass deren Inhalte durch parteipolitische Interessen beeinflusst sind.

6.4.3 Vorgehen bei der Erhebung

Bei der Suche nach Informationen im Kontext der verschiedenen Quellenarten wurde wie folgt vorgegangen:

a) Medienberichte

Im Hinblick auf die journalistischen Informationsquellen war es angesichts der nicht zu bewältigenden Anzahl von Artikeln zu den einzelnen Fällen notwendig, sich auf eine Auswahl von Quellen zu beschränken. Entscheidend hierbei ist es, die Kriterien für die Auswahl so festzulegen, dass einerseits keine wichtigen Informationen, insbesondere solche, die den theoretischen Annahmen widersprechen, übersehen werden und andererseits bestimmte Verzerrungen in der Berichterstattung, etwa aufgrund politischer Einstellungen, die Analyse nicht systematisch beeinflussen. Letzteres sollte durch die Diversität der genutzten Quellen vermieden werden. Zu jedem Fall wurden sowohl deutsche und britische Medienberichte als auch ggfs. Berichte aus dem westeuropäischen Land, in dem der Anschlag vorbereitet und/oder realisiert wurde bzw. werden sollte, herangezogen. In einem Fall waren es z. B. Quellen aus 4 Ländern, da die Zelle neben einem Anschlag in Italien auch Taten in anderen europäischen Ländern verüben wollte. War eine Tat hingegen nur in Deutschland oder Großbritannien geplant, wurden nur Medienberichte aus zwei Ländern (Deutschland & Großbritannien) berücksichtigt.

Um der anderen Problematik, dem Übersehen relevanter Informationen, entgegenzuwirken, wurden erstens ausschließlich überregionale Tageszeitungen mit den größten Auflagen in ihrem jeweiligen Land einbezogen.Footnote 2 Es wird davon ausgegangen, dass diese großen Zeitungen mehr Ressourcen für eigene Recherchen zur Verfügung haben und daher nicht nur Informationen von anderen Zeitungen übernehmen müssen oder sie ggfs. sogar Mitarbeiter*innen beschäftigen, die eine besondere Expertise im Bereich ideologie-basierter Gewalt und/oder über besondere Kontakte, z. B. in Ermittler*innenkreise, verfügen. Zweitens wurden wöchentlich oder monatlich erscheinende Politmagazine aus den jeweiligen Ländern bei der Informationssuche genutzt, da auch hier ein Mitarbeiter*innenstab mit besonderer Expertise und Kontakten vermutet wurde.

Aufgrund der Sprachkompetenzen des Autors konnten ausschließlich Artikel in deutscher, englischer oder französischer Sprache analysiert werden. Es wurden aus diesem Grund nur Zeitungen und Magazine bei der Erhebung miteinbezogen, die auch Artikel in diesen Sprachen veröffentlichen. Eine Übersetzung anderssprachiger (italienisch, spanisch, dänisch usw.) Artikel kam aus Kostengründen nicht in Frage. Ebenso konnten wg. finanziellen Einschränkungen nur Artikel berücksichtigt werden, die kostenfrei zugänglich waren.

Diese Auslassungen werfen die Frage auf, ob dadurch nicht wichtige Informationen unberücksichtigt bleiben. Diese Befürchtung muss z. T. leider bejaht werden. In manchen Fällen, insbesondere einigen frühzeitig gescheiterten Taten, existieren ausführliche Tat- und Täterbeschreibungen in kostenpflichtigen Zeitungsartikeln oder nur in anderssprachigen Artikeln, weil sie in der deutsch-, englisch- oder französisch-sprachigen Medienbericht-erstattung kaum bis gar nicht thematisiert wurden. Nicht abschließend geklärt werden kann, ob dies nur auf einige wenige Taten zutrifft oder ob durch die oben erwähnten Einschränkungen bei der Mehrzahl der untersuchten Fälle relevante Informationen fehlen. Relativierend diesbezüglich wirkt aber die Tatsache, dass die Mehrheit der großen überregionalen Tageszeitungen und Politmagazine ein frei zugängliches Informationsangebot zu den meisten der untersuchten Fälle bietet und dadurch erlaubt, eine umfassende Tatanalyse anzufertigen.

Die Suche nach relevanten Artikeln zu den Taten erfolgte über die Online-Archive der ausgewählten Zeitungen und Magazine mittels Google. Gesucht wurde mit Hilfe des identifizierten Namens eines Täters (Suchbefehl: „Name“ site:xy.com; z. B. „Mohammed Bouyeri“ site:welt.de). Dabei wurden unterschiedliche Schreibweisen des Namens (etwa aufgrund unterschiedlicher Übersetzungen des Namens aus dem Arabischen) sowie Alias-Namen und ggfs. der Name vor und nach einer Konvertierung berücksichtigt, indem sie ebenfalls in die Suche miteinbezogen wurden.Footnote 3 In einigen Fällen (z. B. Richard Reid) erschienen unter den Suchresultaten viele Artikel zu Personen, die denselben Namen wie der Täter tragen. Um dies zu unterbinden, wurde in diesen Fällen bei der Suchsyntax der Zusatz „terror“ bzw. bei französisch-sprachigen Zeitungen „terreur“ hinzugefügt (z. B. Suchbefehl: „Richard Reid“ terror site:dailymail.co.uk). In einem Fall, einem Anschlag auf einen schiitischen Geistlichen in Brüssel (Fallnr. 103), konnte der Name des Täters nicht identifiziert werden. Allerdings war der Name des Opfers bekannt. Um Informationen zur Tat zu sammeln, wurde daher mit Hilfe des Opfernamens gesucht.

b) wissenschaftliche Publikationen

Bei den wissenschaftlichen Quellen (Monographien, Aufsätze in Sammelbänden, Artikel in wissenschaftlichen Zeitschriften oder Berichte von Forschungsinstituten) wurden nur solche Texte verwendet, die sich ausführlicher mit einer Tat beschäftigen, also umfassende Beschreibungen zu Tätern und/oder Tatumständen lieferen und die Tat nicht bloß am Rande thematisieren.

Für das Finden entsprechender Literatur in deutscher, englischer oder französischer Sprache wurde zum einen die Forschungsdatenbank Google Scholar genutzt. Diese Datenbank wurde gewählt, weil sie sich in anderen Untersuchungen als besonders fruchtbar erwiesen hat (vgl. z. B. Bouhana & Wikström 2011, S. 89 f.; Frindte et al. 2016, S. 5). Um mögliche Defizite bei der Nutzung von Google Scholar zu kompensieren, wurde zusätzlich die Datenbank KrimDok (www.krimdok.uni-tuebingen.de) verwendet. Auch im Falle der Recherche nach wissenschaftlicher Literatur erfolgte die Suche anhand der Täternamen.

In der Analyse Berücksichtigung finden konnten aufgrund finanzieller Einschränkungen nur kostenfrei zugängliche Publikationen. Auch hier stellt sich die Frage, ob durch diese Limitationen relevante Informationen unberücksichtigt blieben. Die Mehrheit der Publikationen fokussiert sich auf größere, erfolgreich umgesetzte Gewalttaten mit vielen Opfern. Nur wenige beschäftigen sich intensiver mit kleinen und/oder nicht-erfolgreichen Taten. Zu den großen Fällen existieren ausreichend frei zugängliche Publikationen, weshalb hier das Risiko, dass wichtige Informationen außen vor bleiben könnten, geringer ist.

c) staatliche Dokumente

Bei der Suche nach staatlichen Informationsquellen wurden erstens die Internetseiten von relevanten Behörden (z. B. Justiz- und Innenministerium) nach für diese Forschungszwecke bedeutsamen Dokumenten zu den Fällen (z. B. Untersuchungsberichte) durchsucht.Footnote 4 Auch in diesem Zusammenhang wurde mit Hilfe der Täternamen gesucht. Bedingung für die Aufnahme in die Auswertung war, dass die Dokumente deutsch-, englisch- oder französisch-sprachig waren.

Zweitens war ursprünglich ebenfalls eine Analyse von Gerichtsakten (Anklage- und Urteilsschriften) zu den einzelnen Fällen geplant. Eine Anfrage bei der deutschen Generalbundesanwaltschaft bzgl. einer Einsichtnahme in die Akten wurde jedoch abgelehnt, u. a. weil der Verfasser über keine institutionelle Einbindung verfügt. Auf eine Anfrage bei den entsprechenden anderen westeuropäischen Behörden wurde angesichts dessen schon im Vorfeld verzichtet. Bei der Analyse in dieser Studie muss aus diesem Grund auf Beschreibungen von oder Zitaten aus Gerichtsverfahren bzw. -dokumenten zurückgegriffen werden, die in journalistischen oder wissenschaftlichen Quellen publiziert sind.

6.5 Auswertung des erhobenen Datenmaterials

6.5.1 Auswertungsmethode Qualitative Inhaltsanalyse

Die erhobenen Informationen zu den einzelnen Fällen wurden mit Hilfe der Qualitativen Inhaltsanalyse nach Philipp Mayring (2015) ausgewertet. Sie stellt eine besonders geeignete Auswertungsmethode für das vorliegende Forschungsvorhaben dar, da sie u. a. ermöglicht, sprachliches Material hinsichtlich der Häufigkeit bestimmter Elemente systematisch zu analysieren. Auf diese Weise lässt sich ermitteln, ob und wie häufig die theoretisch angenommenen Einflussfaktoren bei den einzelnen Fällen eine Rolle spielen. Zudem bietet diese Methode zahlreiche Vorteile. Auf der einen Seite gründet sie auf einem systematischen Vorgehen, d. h., die Analyse läuft nach expliziten Regeln ab und orientiert sich an einem im Vorfeld formulierten Ablaufmodell (vgl. Mayring 2015, S. 12 f.; Meier 2010, S. 106). Diese Regelgeleitetheit ermöglicht es, dass auch andere die Analyse nachvollziehen und überprüfen können. Auf der anderen Seite bietet die qualitative Inhaltsanalyse die Möglichkeit, die Ergebnisse anhand wissenschaftlicher Gütekriterien zu überprüfen (vgl. Mayring 2015, S. 53). Dies erlaubt Auskunft darüber zu geben, wie gut und aussagekräftig die Ergebnisse der Analyse sind.

Die Auswertung im Rahmen der Qualitativen Inhaltsanalyse folgt einem im Vorfeld festgelegten Ablaufmodell mit mehreren Analyseschritten, die spezifisch auf die jeweilige Fragestellung und das Material angepasst sind (vgl. Mayring 2015, S. 61):

I. Festlegung der Analyseeinheit

Im ersten Schritt wird bei einer Qualitativen Inhaltsanalyse mit einer deduktiven Kategorienanwendung die Analyseeinheit bestimmt. Dabei wird festgelegt, welche Textpassagen im erhobenen Datenmaterial überhaupt berücksichtigt werden müssen und welche außer Acht gelassen werden können. Die Festlegung dieser Analyseeinheit orientiert sich an der jeweiligen Fragestellung. In dieser Studie sollen dementsprechend alle Textpassagen Berücksichtigung finden, in denen von sozialen Einflussfaktoren berichtet wird, die eine konkrete Tatbegehung bedingt haben.

II. Zusammenstellung des Kategoriensystems

Der zweite Analyseschritt besteht in der Erstellung eines Systems von Kategorien, denen die extrahierten Textpassagen zugeordnet werden können. Die Kategorien werden dabei aus den theoretischen Konstrukten abgeleitet.

Die in dieser Studie verwendeten Kategorien und Unterkategorien umfassen zum einen die theoretisch angenommenen Einflussfaktoren im Rahmen der drei Stufen:

  • Angriffe auf die Person selbst, ihre Eigengruppe oder die Gruppenidentität

  • günstige Gelegenheiten zur politischen Einflussnahme

  • Aufrufe oder Befehle zu Gewalt

  • Anstiftungen zur Tatbeteiligung

  • Beeinflussung durch gewaltsame Vorbilder

  • direkte und indirekte Inspirationen durch Organisationen

  • Einschränkung von alternativen Mitteln

  • Eingreifen der Strafverfolgungsbehörden

    • befürchtete Entdeckung

    • Stand der Planungsphase

    • Abbruch oder Vorziehen der Tat

  • Gruppeneinflüsse

    • Zweifel eines Gruppenmitglieds

    • Bekräftigungen durch andere Mitglieder

    • Fortsetzen der Tatbeteiligung oder Ausstieg aus dem Tatvorhaben

Zum anderen wird zu jeder Stufe eine Restkategorie erstellt, in der soziale Einflussfaktoren eingeordnet werden können, die im Material berichtet werden, aber nicht in dem Erklärungsmodell aufgeführt sind. Auf diese Weise lässt sich das Erklärungspotential des Ansatzes ermitteln. Denn die Identifikation vieler Faktoren, die nicht im Modell erwähnt sind, deutet auf seine Unzulänglichkeit hin.

III. Erstellung eines Kodierleitfadens

Drittens werden die aufgestellten Kategorien im Rahmen eines Kodierleitfadens operationalisiert. Dieser besteht aus Definitionen der Kategorien, Ankerbeispielen und Kodierregeln (vgl. Mayring 2015, S. 97). Eine eindeutige Definition der Kategorien ist grundlegend, um entscheiden zu können, ob eine extrahierte Textpassage unter eine Kategorie fällt oder nicht. Unter den Ankerbeispielen für eine Kategorie werden konkrete Textstellen aufgeführt, die unter eine Kategorie fallen und so als Kodierbeispiel für die jeweilige Kategorie dienen können. Kodierregeln bezeichnen Vorgaben, mit deren Hilfe eine Textstelle zugeordnet werden kann. Diese können insbesondere bei möglichen Zuordnungsproblemen zwischen zwei Kategorien hilfreich sein. Der für diese Studie entwickelte Kodierleitfaden ist in Anhang 3 im elektronischen Zusatzmaterial zu finden.

IV. Materialdurchgang

Im vierten Schritt wird das erhobene Datenmaterial zu den einzelnen Fällen durchgearbeitet. Zuerst werden alle Textstellen im Material markiert, die der Definition der Auswertungseinheit (siehe Schritt 1) entsprechen. Das bedeutet, es werden alle Passagen gekennzeichnet, in denen über soziale Einflussfaktoren berichtet wird, die die jeweilige Tatbegehung bedingt haben. Im Anschluss daran werden diese Fundstellen dann auf Grundlage des entwickelten Kodierleitfadens den verschiedenen Kategorien zugeordnet.

V. Bestimmung der Güte der Ergebnisse

Es ist möglich, zuvor einen Probedurchlauf mit einem kleinen Teil des Datenmaterials vorzunehmen. Auf diese Weise kann überprüft werden, ob der Leitfaden gut anwendbar ist oder ob das Kategoriensystem und seine Definitionen überarbeitet werden sollten (vgl. Mayring 2015, S. 97 ff.). Hierfür können auch verschiedene wissenschaftliche Gütekriterien herangezogen werden. Diese geben Auskunft darüber, wie gut die verwendeten Messinstrumente sind. Die Gütekriterien können darüber hinaus verwendet werden, um die Aussagekraft der Analyseergebnisse zu bestimmen.

Im Zusammenhang mit der Qualitativen Inhaltsanalyse ist die Nutzung unterschiedlicher Gütekriterien möglich (vgl. Gläser-Zikuda 2013, S. 147 ff.; Mayring 2015, Kap. 7). Besonders sinnvoll ist eine Einschätzung durch die Intercoder-Reliabilität (vgl. Mayring 2015, S. 53 f.; Rössler 2017). Für ihre Ermittlung bearbeiten zwei oder mehrere Inhaltsanalytiker*innen unabhängig voneinander dasselbe Analysematerial und ordnen es den Kategorien zu. Das berechnete Ausmaß der Übereinstimmungen demonstriert, wie gut das entwickelte Kategoriensystem ist. Denn viele Nicht-Übereinstimmungen weisen daraufhin, dass das System schlecht konstruiert wurde, z. B. die Kategorien nicht genau genug definiert wurden. Leider war eine solche Überprüfung aus Kostengründen in dieser Studie nicht realisierbar.

VI. Ergebnisaufbereitung

Zu guter Letzt können die Ergebnisse der Auswertung, also die verschiedenen Kategorien mit den jeweiligen extrahierten Textpassagen aufgearbeitet werden. Beispielsweise können die einzelnen Kategorien zu Hauptkategorien zusammengefasst werden oder quantitative Analysen vorgenommen werden, etwa hinsichtlich der Frage, welche Kategorien besonders häufig vertreten sind.

6.5.2 Probleme bei der Auswertung und deren Lösung

Die Auswertung der Informationsquellen ist mit bestimmten Herausforderungen verbunden. Auf der einen Seite sind viele Informationen in diesem Gegenstandsbereich aufgrund ihres klandestinen Charakters nur vager Natur. Oft existieren z. B. keinerlei Aussagen von Seiten des Täters über den ausschlaggebenden Motivationsauslöser, sondern Angaben hierzu beruhen auf Spekulationen von dritten Personen, wie z. B. den Strafverfolgungsbehörden. Diese Unsicherheiten sollten bei der Auswertung und der späteren Interpretation der Ergebnisse Berücksichtigung finden. Der gewählte Lösungsweg hierfür ist, die extrahierten Informationen nach ihrem jeweiligen Gewicht des Belegs für die jeweilige Hypothese zu klassifizieren. Diese Gewichtung der Informationen orientiert sich dabei an einer festgelegten Rangfolge der Quellen, aus der die jeweiligen Informationen stammen (vgl. auch Sageman 2006, S. 124 f.).

An erster Stelle stehen Informationen aus Gerichtsurteilen. Die Rechtsstaatlichkeit westeuropäischer Länder erfordert, dass Verurteilungen auf gut abgesicherten Erkenntnissen basieren. Sie erhalten aus diesem Grund das höchste Gewicht und werden als starker Beleg für eine Hypothese gewertet.

Zweitens folgen Informationen der Ermittlungsbehörden (Polizei, Geheimdienste und Staatsanwaltschaft), die auf Ermittlungsergebnissen beruhen (z. B. aus Observationen, Abhörmaßnahmen oder Durchsuchungen). Diese sind oft nur vorläufig und werden häufig im Rahmen eines nachfolgenden Gerichtsverfahrens schließlich korrigiert. Sie werden daher als mittelstarker Beleg klassifiziert.

Dann kommen drittens Aussagen der Täter selbst (z. B. in Abschiedsbriefen oder Gerichtsverhandlungen). Bei ihnen schwingt stets Skepsis hinsichtlich des Wahrheitsgehalts mit. Täter können z. B. im Zuge einer Verteidigungsstrategie im Kontext einer Vernehmung oder Gerichtsverhandlung versuchen, ihr eigenes bereitwilliges Engagement bei der Tatvorbereitung herunterzuspielen und in besonderem Maße auf den angeblichen Gruppendruck verweisen, der sie oder ihn bei der Tatbeteiligung angeblich angetrieben hat (vgl. Neidhardt 1982a, S. 362 f.). Dies würde dann zu einer falschen Einschätzung bzgl. der Relevanz von Gruppenprozessen für das Tathandeln in diesem Fall führen. Täteraussagen werden aufgrund dessen ebenfalls als mittelstarker Beleg eingestuft.

An vierter Stelle sind Aussagen aus dem Umfeld des Täters (Familienangehörige, Freunde, Bekannte aber auch Strafverteidiger*innen) platziert, also Personen, die den Täter zwar kennen, jedoch nicht selbst an der Tat mitgewirkt haben. Aufgrund dieser fehlenden Tatbeteiligung fehlt ihnen zumeist ein Einblick in Gruppenprozesse usw. Ihre Aussagen zu den Tatbedingungen sind daher eher spekulativer Natur. Sie gelten deshalb als schwacher Beleg. Höheres Gewicht erhalten hingegen Informationen aus dem Umfeld, die direkte Aussagen der Täter selbst wiedergeben. In einigen Fällen haben Täter z. B. mit Personen aus ihrem Umfeld über ihre Beweggründe zur Tat, Gruppenprozesse usw. gesprochen. In solch einem Fall wird die Information aus dem Umfeld als mittelstarker Beleg gewertet.

Zu guter Letzt folgen fünftens Informationen, die ohne eine Angabe, woher diese stammen, veröffentlicht sind. Aufgrund der fehlenden Quellenangabe kann die jeweilige Information nicht verifiziert werden. Diese Kategorie von Informationen wird als schwacher Beleg bewertet. Gleiches gilt für Informationen, die lediglich als Vermutung geäußert werden, ohne klare Belege. Deren Inhalt ist somit mit einer gewissen Vorsicht anzunehmen. Diese schwachen Belege können nicht als wirkliche Bestätigung für die jeweilige Hypothese dienen. Sie können lediglich den Ausgangspunkt für weitere Nachforschungen bilden.

Auf der anderen Seite begegnet man in diesem Gegenstandsbereich oft unwahren oder widersprüchlichen Informationen. Beispielsweise kann eine Quelle den einen Faktor als ausschlaggebenden Motivationsauslöser benennen und eine wieder andere Quelle einen anderen Faktor. Um in Fällen, wo zwei oder mehrere Quellen von widersprüchlichen Informationen berichten, entscheiden zu können, welcher Information Vorrang zu geben ist, erfolgt erstens eine Orientierung an der gerade festgelegten Rangfolge der Informationsquellen. Gibt ein Täter beispielsweise einen Auslöser an, der laut Gerichtsurteil explizit nicht ausschlaggebend war, wird der Information des Gerichts bei der Auswertung der Vorrang gegeben, da Gerichtsurteile in der Regel als besonders reliabel gelten (vgl. Fischer & Pelzer 2015, S. 90 f.; Nesser 2004, S. 18).

Ein zweites Kriterium ist das Datum der Quelle. Bei Widersprüchen wird jüngeren Quellen älteren gegenüber der Vorrang gegeben, da davon auszugehen ist, dass anfänglich zu einem Fall viele falsche Informationen kursieren, die sich erst nach einiger Zeit, mit zeitlichen Abstand zum Geschehen, als unwahr herausstellen (vgl. Dugan & Distler 2017, S. 196; Nesser 2004, S. 16 f.).

6.5.3 Grenzen der Methode

Größtes Manko dieser Auswertungsmethode ist, dass durch dieses Vorgehen ein strenger Nachweis von Kausalität nicht möglich ist. Das bedeutet, es kann nicht zweifelsfrei ermittelt werden, ob die gefundenen Faktoren (Befehle, Einschränkungen, Gruppeneinflüsse usw.) tatsächlich die theoretisch beschriebenen Wirkungen entfaltet haben. Denn zum einen basieren die Einschätzungen einer kausalen Wirkung (z. B. eines Auslösers oder Modells) häufig auf externen Zuschreibungen, etwa durch die Strafverfolgungsbehörden oder Gerichtsurteile. In Fällen, wo die diesbezüglichen Angaben von den Tätern selbst stammen, schwingt wiederum stets Skepsis hinsichtlich des Wahrheitsgehalts mit. Zum anderen kann nicht in jedem Fall mit voller Sicherheit ausgeschlossen werden, ob nicht bereits vorher schon ein anderer Faktor den ausschlaggebenden Effekt bewirkt hat, ob z. B. nicht vorher schon ein anderer Auslöser am Werke war, der aber nicht in den Informationsquellen erwähnt wird. Man kann sich im Rahmen dieses methodischen Vorgehens dem Nachweis einer Wirkung lediglich annähern und durch schlüssige Interpretationen stützen.

Um sich dem Nachweis, dass ein bestimmtes Verhalten die Folge eines bestimmten Faktors ist, anzunähern, muss erstens ermittelt werden, ob es auch ohne den Faktor zur Tat gekommen bzw. nicht gekommen wäre. Zweitens muss versucht werden, alternative Erklärungen auszuschließen. Hierzu wird, wie oben beschrieben, im Zuge der Auswertung auch gezielt nach sozialen Einflüssen gesucht, die die Tatbegehung bedingt haben, aber nicht im Erklärungsmodell erwähnt sind. Wenn sich solche unberücksichtigten Faktoren bei einer Vielzahl von Fällen finden lassen, dann spricht dies gegen die Angemessenheit des Ansatzes, da er relevante Tatbedingungen zu übersehen scheint. Ein solches Vorgehen, ebenfalls nach Gegenargumenten zu suchen, ist auch deshalb sinnvoll, da es die Gefahr eines selektiven Vorgehens, bei dem man primär nach bestätigenden Informationen für die theoretischen Annahmen sucht und Abweichungen ausblendet, mindert.

6.6 Ergebnisse

Die Ergebnisse der Analyse werden in einem ersten Schritt getrennt für jeden einzelnen Fall beschrieben. So kann nachvollzogen werden, welche Einflussfaktoren bei welchem konkreten Fall eine Rolle gespielt haben. Dabei werden nur Fälle angeführt, zu denen für die Hypothesenprüfung relevante Informationen im Material vorfindbar waren. Dann folgt in einem zweiten Schritt die Präsentation der Gesamtergebnisse, die einen allgemeinen Überblick erlaubt.

6.6.1 Einzelergebnisse

Bei 62 der insgesamt 121 potentiell letalen islamstischen Gewaltstraftaten in Westeuropa zwischen 2000 und 2013 waren Informationen zu den jeweiligen sozialen Tatbedingungen verfügbar. Somit waren bei 59 Fällen entweder keine für die Hypothesenprüfung relevanten Informationen vorhanden oder aber überhaupt keine Informationen vorfindbar. Allerdings ist auch bei den auswertbaren Taten die Informationslage überwiegend lückenhaft. Einerseits existieren nicht bei allen Fällen Angaben zu allen drei Stufen (Motivationsauslöser, Intentionsbildung und Aufrechterhaltung des Tatentschlusses), sodass nicht immer ein vollständiges Bild des Umschlagens des Gewaltpotentials in reales Handeln rekonstruierbar ist. Andererseits liegen bei den allermeisten Fällen nur Informationen zu einem Teil der Gruppenmitglieder vor, insbesondere zu den Anführern und seltener zu den Randfiguren in einem Plot. Die Konsequenzen dieser dürftigen Informationslage für die Aussagekraft der Ergebnisse sollen im anschließenden Diskussionsteil (Abschnitt 6.6.3) thematisiert werden.

Die Darstellung der Einzelergebnisse ist wie folgt aufgebaut: die Fälle sind durchnummeriert, sortiert nach Datum. Im Titel steht, ob es sich um eine realisierte, gescheiterte oder lediglich geplante Tat handelte sowie wo sie realisiert wurde bzw. realisiert werden sollte. Zudem ist das Datum der Tatbegehung bzw. der Monat, in dem die Täter verhaftet wurden, angegeben. In einigen Fällen entwickelten sich aus einem Freundschaftsnetzwerk von Islamisten mehrere Tatgruppen, die unterschiedliche Gewalttaten planten. Die verschiedenen Plots wurden aber dennoch unter einer Fallnummer subsumiert, da es zumeist starke personelle Überschneidungen gab. Nach einer kurzen Fallskizzierung werden im Analyseabschnitt die gefundenen Informationen, getrennt nach den drei Stufen (Motivationsauslöser, Intentionsbildung und Aufrechterhaltung des Tatentschlusses), beschrieben. Dabei wird auch der Ursprung der Information erwähnt, um die Stärke des Belegs für die jeweilige Hypothese einschätzen zu können.

Fallnr. 002: geplanter Anschlag auf Weihnachtsmarkt in Straßburg (Dezember 2000)

Fallbeschreibung

Die Gruppe plante einen Anschlag auf den Weihnachtsmarkt um die Kathedrale Notre Dame in Straßburg im Dezember 2000. Kurz vor der Tatbegehung verhaftete die deutsche Polizei jedoch einen Teil der Zellenmitglieder in Frankfurt. Weitere Mitglieder wurden später in Frankreich festgenommen.

Analyse

Motivationsauslöser

Zu Beginn des Gerichtsverfahrens in Deutschland behaupteten die 5 angeklagten Gruppenmitglieder, dass die Politik Israels gegenüber den Palästinensern sie zum Handeln bewegt hat und sich ihr Anschlag aus diesem Grund ausschließlich gegen ein jüdisches Ziel in Frankreich richten sollte.Footnote 5 Der zuständige Richter folgte dieser Darstellung jedoch nicht und konfrontierte die Angeklagten während des Verfahrens u. a. mit der Aufnahme eines abgehörten Gesprächs, in der sich die Täter über einen Anschlag auf den Weihnachtsmarkt und die Kathedrale in Straßburg unterhielten. Einer der Täter, Aeroubi Beandali, räumte schließlich ein, dass nicht jüdische Einrichtungen, sondern die Kathedrale und der Weihnachtsmarkt die Ziele waren.Footnote 6

Es ist nicht zu klären, ob sich die Täter selbst zur Tat entschieden haben oder ob sie von einer Organisation hierzu beauftragt wurden. Laut deutschem Richter erhielten sie vermutlich einen Auftrag von einer islamistischen Organisation um den Prediger Abu Doha in London.Footnote 7 Es werden hierfür aber keine Belege angegeben. Das französische Gericht, das über einen anderen Teil der Gruppenmitglieder zu urteilen hatte, mutmaßte wiederum, die Gruppe hätte unabhängig, ohne Auftrag agiert und die Tat eigenständig während eines Aufenthalts in einem Trainingslager in Afghanistan entwickelt.Footnote 8 Aber auch hier werden keine Belege angeführt. Dieser Widerspruch zwischen beiden Gerichtsurteilen führt dazu, dass keine Hypothese belegt oder bestätigt werden kann.

Täter Beandali gab an, dass er zur Tatbeteiligung überredet wurde, eine Anstiftung also Auslöser für seine Tatbeteiligung war (mittelstarker Beleg für Hypothese Anstiftung).Footnote 9

Intentionsbildung

Durch eigene Angaben bestätigt ist hingegen, dass Boukhari ursprünglich in Tschetschenien kämpfen wollte, nachdem er Videos über Gräueltaten gegen Muslim*innen gesehen hatte.Footnote 10 Hierzu reiste er zuerst nach Afghanistan in ein Trainingslager, um sich ausbilden zu lassen. Den Plan, anschließend nach Tschetschenien zu reisen, konnte er, laut Angaben in einem Interview, allerdings nicht realisieren, weil externe Beschränkungen, in diesem Fall Interventionen Russlands, ihn davon abhielten (mittelstarker Beleg für Hypothese Einschränkungen).Footnote 11 Was genau ihn dann jedoch in Richtung eines Anschlags in Frankreich lenkte, ist nicht bekannt.Footnote 12

Aufrechterhaltung des Tatentschlusses

Schließlich tauchten einige Gruppenmitglieder (wenigstens vier sind namentlich bekannt: Said Arif, Mabrouk Echiker, Jamir Karimu & Mohammed Bensakhria) unter, nachdem sie von den Verhaftungen einiger ihrer Mittäter erfuhren.Footnote 13 Es kam nicht zu einem Vorziehen der Tat. Wie Durchsuchungen der Polizei belegen, waren die notwendigen Vorbereitungen zur Tatdurchführung, in diesem Fall der Bau der Bombe, noch nicht abgeschlossen (4 × mittelstarker Beleg für Hypothese Abbruch).Footnote 14

Fallnr. 005: geplanter Anschlag auf US-Botschaft in Paris oder US-Stützpunkt Kleine Borgel (September/Oktober 2001)

Fallbeschreibung

Die Zelle um Anführer Djamel Beghal plante Anschläge auf US-amerikanische Einrichtungen in Europa. Laut Aussage von Mittäter Nizar Trabesli, war er für einen Selbstmordanschlag auf den US-Luftwaffenstützpunkt Kleine Borgel in Belgien vorgesehen. Anderen Gruppenmitgliedern zufolge waren hingegen Anschläge auf die US-Botschaft in Paris geplant.

Analyse

Motivationsauslöser

Der Gruppenführer Djamel Beghal erhielt, laut eigener Aussage, während eines Aufenthalts in Afghanistan einen Auftrag von Al Qaida, einen Anschlag in Frankreich zu begehen (mittelstarker Beleg für Hypothese Befehl).Footnote 15 Die Art und Weise entsprach jedoch eher nicht einem klassischen Befehl, wo eine Ablehnung nicht vorgesehen ist, sondern glich vielmehr einer Anfrage. Beghal wurde von einem Anführer gefragt, ob er sich bereit für die Durchführung eines Anschlags fühle.Footnote 16 Zurück in Europa stiftete Beghal, gemaß eigenen Angaben, dann mehrere Freunde und Bekannte in seinem Umfeld (wenigstens zwei sind namentlich bekannt: Kamel Dauodi und Johan Bonte) an, sich an dem Vorhaben zu beteiligen (2 × mittelstarker Beleg für Hypothese Anstiftung).Footnote 17

Intentionsbildung

Bei einem der Haupttäter Nizar Trabelsi war, dessen Darstellungen zufolge, das Schauen von Videos über Gewalttaten gegen Muslim*innen Auslöser für den Entschluss, sich im Rahmen eines Selbstmordanschlags außerhalb Westeuropas zu opfern.Footnote 18 Er meldete sich daraufhin freiwillig bei Al Qaida als Märtyrer und erhielt etwas später die Erlaubnis der Organisation hierzu. Bin Laden überredete ihn schließlich, einen Anschlag in Westeuropa zu verüben (mittelstarker Beleg für Hypothese Inspiration).Footnote 19

Aufrechterhaltung des Tatentschlusses

In diesem Fall tauchte wenigstens eines der Gruppenmitglieder (namentlich bekannt: Kamel Daoudi) unter, nachdem er von der Verhaftung des Gruppenanführers Beghal erfuhr.Footnote 20 Es kam also nicht zu einem Vorziehen der Tat. Das notwendige Bombenmaterial war, wie Aussagen von Beghal demonstrieren, noch nicht fertig gestellt (mittelstarker Beleg für Hypothese Abbruch).Footnote 21

Fallnr. 008: gescheiterter Anschlag während Flug von Paris nach Miami (22. Dezember 2001)

Fallbeschreibung

Die beiden Täter Richard C. Reid und Saajid Badat wollten an Bord transatlantischer Flüge eine Bombe zünden, die in ihren Schuhen versteckt war. Badat brach kurz vor der Tatumsetzung ab, Reid hingegen wurde während des Fluges von Paris nach Miami von Crew-Mitgliedern und anderen Passagieren an der Realisierung gehindert.

Analyse

Motivationsauslöser

Bei Badat war der Auslöser für die Beteiligung am gewaltsamen Jihad, laut eigenen Angaben, das Leid der Muslim*innen auf dem Balkan während der dortigen Konflikte Mitte der 90er Jahre.Footnote 22 Er reiste aus diesem Grund nach Afghanistan, wo er sich als Ausbilder für den Umgang mit Sprengstoff am Jihad beteiligte.Footnote 23 Ende 2001 wurde er dann, eigenen Aussagen zufolge, von Al-Qaida-Anführern gefragt, ob er bereit wäre, einen Selbstmordanschlag in Europa zu begehen (mittelstarker Beleg für Hypothese Befehl).Footnote 24

Bei Richard Reid waren keine Informationen bzgl. relevanter Auslöser vorfindbar. Es existieren lediglich Aussagen von ihm, dass er mit dieser Tat die Militärintervention der USA in Afghanistan vergelten wollte.Footnote 25 Ob diese Intervention allerdings auch seine initiale Handlungsmotivation auslöste, ist unklar. Durch die Aussagen von Reid bekannt ist hingegen, dass er ursprünglich den Anschlag mit der Schuhbombe in einem israelischen Flugzeug verüben wollte, er nach den Bombenangriffen der USA auf die Taliban in Afghanistan jedoch das Anschlagsziel auf ein amerikanisches Flugzeug umänderte.Footnote 26 Es lässt sich leider nicht klären, ob dies auf einer eigenen Entscheidung basierte oder auf eine Beeinflussung durch die Al-Qaida-Führung zurückzuführen ist.

Aufrechterhaltung des Tatentschlusses

Insbesondere der Entscheidungsprozess von Badat ist relativ gut dokumentiert, da er sich zu guter Letzt gegen die Realisierung des Tatplans entschied.Footnote 27 Es sind daher mehrere Informationen verfügbar, die ermöglichen zu rekonstruieren, wie es hierzu kam. Ausschlaggebend für den Abbruch der Tatumsetzung war, laut Täter, der Einfluss der Eltern.Footnote 28 Während eines Besuchs äußerten sowohl VaterFootnote 29 als auch MutterFootnote 30, dass sie ihren Sohn ablehnen würden, wenn er einen Terroranschlag begehen würde (nicht erwähnter Einflussfaktor). Angesichts dieser negativen Folgen entschied er sich, eigenen Angaben zufolge, gegen die Realisierung. Badat teilte kurz darauf hin seinen Auftraggebern in Afghanistan mit, dass er aussteigen will.Footnote 31 Es sind keine Versuche der Auftraggeber oder des Mittäters dokumentiert, ihn umzustimmen und zum Weitermachen zu bewegen.

Fallnr. 011: geplante Angriffe auf jüdische Ziele in Deutschland (April 2002)

Fallbeschreibung

Die Täter planten Anschläge auf verschiedene jüdische Ziele in Deutschland. Die deutsche Polizei verhaftete die Täter allerdings vor einer möglichen Tatrealisierung.

Analyse

Motivationsauslöser

Laut Richter, erhielten die Zellenmitglieder einen Befehl, einen Anschlag in Deutschland zu begehen, von Organisationsführer Abu Musal al-Zarqawi (4 × starker Beleg für Hypothese Befehl).Footnote 32 Auch die Aussagen der Täter Abu Dhess und Abdullah bestätigen dies.Footnote 33

Aufrechterhaltung des Tatentschlusses

Während der Tatvorbereitungen kam es zum Einmarsch der US-Armee in Afghanistan. Einer der Täter, Abu Dhess, kontaktierte in Folge dessen seinen Auftraggeber al-Zarqawi in Afghanistan telefonisch, was von den Ermittlungsbehörden abgehört wurde, und bat ihn darum, die Vorbereitungshandlungen abbrechen zu dürfen und nach Afghanistan auszureisen, um dort gegen die Amerikaner zu kämpfen.Footnote 34 Al-Zarqawi lehnt dieses Angebot allerdings ab und bestärkte ihn weiterzumachen, vermutlich weil seine Funktion in Deutschland zu wichtig für die Organisation war (nicht erwähnter Einflussfaktor).

Fallnr. 012: geplanter Anschlag auf US- und britische Kriegsschiffe vor Gibraltar (Mai 2002)

Fallbeschreibung

Die Zelle plante Selbstmordanschläge auf US- und britische Kriegsschiffe, die in der Straße von Gibraltar lagen. Die Täter wurden zuvor von der marokkanischen Polizei verhaftet.

Analyse

Motivationsauslöser

Laut einer Quelle, erhielten al-Tbaiti sowie zwei Mittäter vermutlich von dem hochrangigen Al-Qaida-Mitglied Abu Zubaydah den Auftrag, einen Anschlag in Westeuropa vorzubereiten (3 × schwacher Beleg für Hypothese Befehl).Footnote 35 Die drei Personen flogen dann nach Marokko und rekrutierten hier weitere Mittäter.Footnote 36 Diese sollten zuerst in ein Trainingslager in Afghanistan reisen, um sich dort die notwendigen Kompetenzen für die Tatbegehung anzueignen. Wie viele Personen genau rekrutiert wurden und ob die rekrutierten Personen aus dem persönlichen Umfeld der Rekrutierer stammen, ist unklar.

Fallnr. 018: geplanter Anschlag auf russische Botschaft in Paris (Dezember 2002)

Fallbeschreibung

Die Gruppe beabsichtigte zuerst unterschiedliche Ziele in Frankreich zu attackieren, lenkte ihren Fokus aber nach mehreren Schlägen Russlands gegen Islamisten in Tschetschenien schließlich auf russische Ziele in Frankreich. Die Zelle wurde jedoch zuvor von der französischen Polizei verhaftet.

Analyse

Intentionsbildung

Laut mehrerer Quellen, reiste die Gruppe im Sommer 2001 ins Ausland, um sich jihadistischen Kämpfern in Tschetschenien im Kampf gegen russische Soldaten anzuschließen.Footnote 37 Wieso die Gruppe dann nach Frankreich zurückkehrte, ist nicht ganz klar. Gemäß Informationen des CIA, die sich auf ein Verhör des hochrangigen Al-Qaida-Mitglieds Abu Zubaydah stützen, hat der Ausbilder Abu Atiya in Georgien die Männer zu einem Anschlag in Europa überredet.Footnote 38 Laut Aussage von Abu Atiya selbst, hat eine solche Beeinflussung hin zu einem Anschlag nicht stattgefunden.Footnote 39 Auch die französischen Ermittler vermuten, dass die Täter auf eigene Initiative hin gehandelt haben.Footnote 40

Aufrechterhaltung des Tatentschlusses

Eine Quelle berichtet, dass einer der Täter, Mourad Merabet, Beweismaterial vernichtete, nachdem er erfuhr, dass einige Mittäter verhaftet wurden.Footnote 41 Es sind keine Informationen bekannt, dass er oder andere Gruppenmitglieder das Tatvorhaben fortsetzen wollten, weshalb zu vermuten ist, dass sie ihre Intention aufgaben (schwacher Beleg für Hypothese Abbruch).

Fallnr. 019: geplanter Giftanschlag in London (Januar 2003)

Fallbeschreibung

Die britische Polizei vermutet, dass die Gruppe den Giftstoff Rizin herstellen wollte, um damit Anschläge in Europa zu verüben. Die Beteiligten wurden allerdings vorher festgenommen. Bei der Festnahme tötete eines der Gruppenmitglieder, Kamel Bourgass, einen Polizeibeamten durch Messerstiche.

Analyse

Motivationsauslöser

Gemäß Aussage von Mohamed Meguerba, erhielt er von Bin Laden den Auftrag zu einem Terroranschlag in Großbritannien während eines Aufenthalts in einem Al-Qaida-Trainingslager in Afghanistan (mittelstarker Beleg für Hypothese Befehl).Footnote 42 Einige Quellen melden allerdings Zweifel an dieser Aussage an und gehen eher davon aus, dass Meguerba und Bourgass die Tat eigenständig, ohne Auftrag von einer Organisation durchführten.Footnote 43 Sie liefern allerdings keine Belege hierfür.

Meguerba gibt zudem an, dass sein Mittäter ebenfalls in einen Al-Qaida-Trainingslager in Afghanistan für Terroranschläge ausgebildet wurde.Footnote 44 Die Polizei vermutet daher, dass er ebenfalls einen Auftrag von Al-Qaida erhielt, Anschläge in Europa durchzuführen.Footnote 45 Es sind allerdings keine Belege angeführt (schwacher Beleg für Hypothese Befehl).

Aufrechterhaltung des Tatentschlusses

Täter Bourgass war untergetaucht, nachdem der Plot aufgeflogen war.Footnote 46 Wie Durchsuchungen der Polizei zeigen, war das notwendige Giftmaterial für den geplanten Anschlag zu diesem Zeitpunkt noch nicht fertiggestellt (mittelstarker Beleg für Hypothese Abbruch).Footnote 47

Fallnr. 025: Versendung vergifteter Briefe in Belgien (Juni 2003)

Fallbeschreibung

Ein Islamist in Belgien sandte mehrere Briefe mit giftigen Substanzen u. a. an den belgischen Premierminister sowie amerikanische Einrichtungen in Belgien.

Analyse

Motivationsauslöser

Laut einer Quelle, war der Gerichtsprozess gegen die Zelle um Beghal (Fallnr. 005) Auslöser für die Tat.Footnote 48 Konkrete Belege hierfür sind allerdings nicht angegeben (schwacher Beleg für Hypothese Angriff).

Fallnr. 026: geplanter Anschlag auf französischer Insel Reunion (Juni 2003)

Fallbeschreibung

Die Zelle plante einen Anschlag auf der französischen Ferieninsel Reunion, sie wurde allerdings vorher von der Polizei festgenommen.

Analyse

Motivationsauslöser

Täter Karim Mehdi berichtet, dass er selbst Ganczarski in sein eigens initiiertes Vorhaben eingeweiht und ihn überredet hat, daran teilzunehmen (mittelstarker Beleg für Hypothese Anstiftung).Footnote 49 Ganczarski hat dann wiederum auf Empfehlung von Mehdi hin Uwe D. angestiftet (mittelstarker Beleg für Hypothese Anstiftung).Footnote 50

Intentionsbildung

Mehdi zufolge, haben ihn der Selbstmordanschlag auf westliche Touristen in Bali im Oktober 2002 und dessen positive Folgen inspiriert (mittelstarker Beleg für Hypothese Modellwirkung).Footnote 51 Die Tat brachte ihn auf die Idee, einen solchen Anschlag auf Touristen ebenfalls in Westeuropa zu verüben.

Aufrechterhaltung des Tatentschlusses

Ganczarski floh im November 2002 aus Deutschland nach Saudi Arabien aufgrund von Ermittlungen (auch wg. anderer Delikte) gegen ihn.Footnote 52 Die Vorbereitungen waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen. Trotz dieser Flucht ins Ausland beteiligte er sich aber weiterhin an den Tatvorbereitungen und brach nicht ab (Widerspruch zur Hypothese Abbruch).

Fallnr. 028: geplanter Anschlag auf Costa del Bravo (November 2003)

Fallbeschreibung

Die Täter planten vermutlich einen Anschlag in der spanischen Ferienregion Costa del Bravo, wurden aber vorher von der Polizei daran gehindert.

Analyse

Intentionsbildung

Laut Hamburger Verfassungsschutz, versuchte Mahdjoub im März 2003 von Hamburg in den Irak zu reisen, um dort an Kampfhandlungen teilzunehmen.Footnote 53 Die Realisierung dieses gewalttätigen Vorhabens scheiterte jedoch, da er in Damaskus festgenommen wurde. Es wird allerdings nur vermutet, dass er sich an Gewalthandlungen im Ausland beteiligen wollte (schwacher Beleg für Hypothese Einschränkung). Wie er dann auf die Idee kam, einen Anschlag in Westeuropa zu verüben, ist nicht bekannt.

Fallnr. 031: geplante Anschläge in London (Februar 2004)

Fallbeschreibung

Die sog. Crawley-Gruppe plante Bombenanschläge in London. Sie wurde im Februar 2004 von der britischen Polizei verhaftet.

Analyse

Motivationsauslöser

Laut Aussage eines Zeugen, sollte ein Mann für den Selbstmordanschlag rekrutiert werden, der im Londoner U-Bahn-Netz arbeitete.Footnote 54 Dieser lehnte den Anstiftungsversuch aber ab, weil er die Fähigkeiten der Gruppe zur Tatrealisierung bezweifelte (Widerspruch zur Hypothese Anstiftung).

Intentionsbildung

Bei diesem Fall sind fast ausschließlich Informationen über Gruppenführer Omar Khyam verfügbar. Der ausschlaggebende Auslöser für Khyam aktiv zu Handeln war, laut eigener Aussage, die Invasion des Iraks durch westliche Länder, die seiner Ansicht nach einen Angriff auf den Islam darstellte.Footnote 55 Den ausgelösten Wunsch nach Rache wollte Khyam, gemäß eigenen Angaben, ursprünglich durch den Kampf in Afghanistan gegen die dort stationierten westlichen Truppen realisieren.Footnote 56 Er reiste aus diesem Grund im Sommer 2003 nach Pakistan. Dort traf er auf das hochrangige Al-Qaida-Mitglied Abdul Hadi al-Iraqi sowie den Al-Qaida-Rekrutierer Waheed Mahmood, die Khyam vermutlich davon überzeugten, dass ein Anschlag in Großbritannien sinnvoller für den Jihad ist als ein Kampf im Ausland.Footnote 57 Es ist allerdings unklar, woher diese Informationen stammen (schwacher Beleg für Hypothese Inspiration).

Aufrechterhaltung des Tatentschlusses

Bei einem Gruppenmitglied, Nabeel Hussain, sind Zweifel an der Tatrealisierung überliefert. In einem abgehörten Gespräch äußerte er moralische Bedenken darüber, einen Anschlag gegenüber Zivilisten zu verüben.Footnote 58 Es sind allerdings keine Bestärkungsversuche durch andere Gruppenmitglieder oder Versuche des Täters, aus dem Tatvorhaben auszusteigen, bekannt.

Von einem Täter, Waheed Mahmood, wird berichtet, dass er Beweismaterial vernichtete, nachdem er von der bevorstehenden Aufdeckung erfuhr.Footnote 59 Es sind keine Informationen bekannt, ob er das Tatvorhaben fortführen wollte, weshalb zu vermuten ist, dass er das Tatvorhaben aufgab (schwacher Beleg für Hypothese Abbruch).

Fallnr. 032: geplanter Anschlag auf Anti-Kriegsdemonstration in Berlin (März 2004)

Fallbeschreibung

Die Täter planten einen Anschlag auf eine Anti-Kriegsdemonstration in Berlin. Das Vorhaben wurde durch die Verhaftung der Mitglieder vereitelt.

Analyse

Motivationsauslöser

Laut einem Bericht der BKA-Staatsschutzabteilung, erhielt Garnaoui in einem afghanischen Trainingslager, wo er als Ausbilder tätig war, einen Auftrag von Al-Qaida, einen Anschlag in Deutschland zu verüben und hierfür Mittäter zu rekrutieren.Footnote 60 Auch das zuständige Strafgericht ist davon überzeugt, dass er von Al Qaida beauftragt wurde (starker Beleg für Hypothese Befehl).Footnote 61

Aufrechterhaltung des Tatentschlusses

Gemäß Ermittlungen gab es Streit in der Zelle hinsichtlich der Legitimität des geplanten Vorhabens.Footnote 62 Täter Kamouss teilte Mittäter Garnaoui mit, dass er moralische Bedenken bzgl. der Tat hatte. Es sind allerdings keine Bestärkungsversuche durch andere Mitglieder überliefert.

Fallnr. 033: Madrid-Anschläge auf Personenzüge (11. März 2004)

Fallbeschreibung

Die Zelle verübte am 11. März 2004 mehrere simultane Bombenanschläge auf Passagierzüge in Madrid. Dabei starben 191 Zivilisten und mehr als 1.600 Menschen wurden verletzt. Die Tat fand drei Tage vor der Parlamentswahl in Spanien statt. Drei Wochen später sprengte sich ein Teil der Täter in einem Wohngebäude im Madrider Vorort Leganes in die Luft, als die Polizei das Gebäude stürmen wollte.

Analyse

Motivationsauslöser

Ausgangspunkt für das Vorhaben war der Tatentschluss Amer Azizis, einen Anschlag in Spanien zu begehen.Footnote 63 Seine zugrundliegende Tatmotivation, Rache an Spanien zu üben, wurde, laut einer Quelle, vermutlich durch die Zerschlagung der Unterstützungszelle von Abu Dahdah und die Inhaftierung ihrer Mitglieder durch die spanische Polizei im November 2001 ausgelöst (schwacher Beleg für Hypothese Angriff).Footnote 64 Aziz war Teil dieser Zelle, konnte aber einer Verhaftung entgehen.

Aziz erteilte dann im Dezember 2001 Abdelatif Mourafik den Befehl, eine Zelle aufzubauen und Mittäter in Spanien zu rekrutieren (schwacher Beleg für Hypothese Befehl).Footnote 65 Letzterer gab diesen Auftrag dann an Mustafa Maymouni weiter (schwacher Beleg für Hypothese Befehl).

Bei vielen Tätern dieses Falles geht die Tatbeteiligung auf Anstiftungen durch Freunde und Familienangehörige zurück.Footnote 66 Insbesondere Anführer Fahket rekrutierte viele Personen.Footnote 67 So wird berichtet, allerdings ohne Quellen zu nennen, dass Fakhet u. a. AhmidanFootnote 68 sowie ZougamFootnote 69 zur Beteiligung am Vorhaben anstiftete (2 × schwacher Beleg für Hypothese Anstiftung). Ahmidan wiederum stiftete mehrere Personen aus seinem kriminellen Netzwerk zur Beteiligung an.Footnote 70 Er stiftete die Brüder Rachid und Mohamed Oulad Akcha an (2 × schwacher Beleg für Hypothese Anstiftung).Footnote 71 Rachid Oulad Akcha rekrutierte zudem Abdenabi Kounjaa, der dann wiederum Saed el Harrak zur Teilnahme anstiftete (2 × schwacher Beleg für Hypothese Anstiftung).Footnote 72 Des Weiteren rekrutierte Ahmidan seine beiden Cousins Hamid Ahmidan und Hicham AhmidanFootnote 73 sowie Othman el Gnaoui und Rachid AglifFootnote 74 (4 × schwacher Beleg für Hypothese Anstiftung).

Aufrechterhaltung des Tatentschlusses

Die Gruppe plante nach dem Anschlag in Madrid noch weitere Bombenanschläge in Spanien, um den politischen Druck auf die Regierung aufrechtzuerhalten und sie zum Truppenabzug zu bewegen.Footnote 75 Es sollte eine ganze Terrorkampagne folgen.Footnote 76 Das Bombenmaterial war, laut Ermittlungen, bereits fertig gestellt.Footnote 77 Zuvor wurde der Kern der Gruppe (insgesamt 7 Personen: Lamari, Fakhet, Ahmidan, Anwar, Kounjaa sowie Rachid und Mohamed Oulad Akcha) jedoch in seinem Versteck in einem Wohnhaus in Leganes von der Polizei entdeckt und umstellt. Die Gruppe entschied sich dann das fertig gestellte Bombenmaterial, das, wie von den Ermittlungsbehörden gefundene Unterlagen am Tatort beweisen, eigentlich für einen Anschlag auf ein Einkaufszentrum vorgesehen war, zu nutzen, den Anschlag also vorzuziehen, und die anwesenden Polizisten mit in den Tod zu reißen (7 × mittelstarker Beleg für Hypothese Vorziehen).Footnote 78

Fallnr. 037: Hofstad-Gruppe (Juni/Juli 2004 und weitere Daten)

Fallbeschreibung

Mehrere Mitglieder der sog. Hofstad-Gruppe, einem niederländischen Freundesnetzwerk von Islamisten, das aus mindestens 38 Personen bestand, planten bzw. verübten eine Reihe von unterschiedlichen ideologie-basierten Gewaltdelikten in Europa. U.a.:

Tat I: Im Oktober 2003 wurden mehrere Personen (u. a. Samir Azzouz, Jason Walters, Redouan al-Issar, Zine Labidine Aourghe) des Netzwerks festgenommen. Es wird angenommen, dass sie einen Anschlag in den Niederlanden planten.

Tat II: Drei Personen des Netzwerks (u. a. Nourredine el Fahtni & Mohamed el Morabit) wollten vermutlich den ehemaligen portugiesischen Ministerpräsidenten Barroso während der EM 2004 in Portugal töten. Auch hier vereilte die Polizei das Vorhaben.

Tat III: Wenigstens eine Person (Samir Azzouz) plante Anschläge gegen verschiedene Ziele in den Niederlanden. Mögliche Zielobjekte waren der Flughafen Schiphol in Amsterdam, der niederländische Geheimdienst AIVD sowie ein Nuklear Reaktor. Die Polizei nahm Azzouz allerdings zuvor im Juni 2004 fest.

Tat IV: Die einzig realisierte Tat: Mohammed Bouyeri attackierte und ermordete Islamkritiker Theo van Gogh am 2. November 2004 in Amsterdam.

Tat V: Ein Teil der Personen (u. a. Ismail Akhnikh, Jason Walters) wollte vermutlich kurz nach der Attacke Bouyeris eine Folgetat verüben: sie beabsichtigten, die Islamkritikerin Ayann Hirsi Ali sowie andere niederländische Politiker zu töten. Die Personen wurden im November 2004 verhaftet. Dabei kam es am 10. November zu einem Feuergefecht zwischen der Polizei und den Zellenmitgliedern Akhnikh sowie Walters.

Analyse

Tat I

Intentionsbildung

Quellen berichten, dass Azzouz im Januar 2003 versuchte nach Tschetschenien auszureisen, um dort an Kämpfen teilzunehmen.Footnote 79 Er scheiterte allerdings bei diesem Vorhaben, weil er vorher in der Ukraine aufgehalten und von den dortigen Behörden zurückgeschickt wurde. Woher diese Information stammt, ist nicht bekannt (schwacher Beleg für Hypothese Einschränkung). In jedem Fall versuchte er dann als Alternative, um am Jihad teilzunehmen, einen Anschlag in den Niederlanden zu begehen.

Zwei Personen des Netzwerks (Jason Walters und Ismail Akhnikh) gelang es jedoch im September 2003 nach Pakistan auszureisen, um im Ausland zu kämpfen.Footnote 80 Sie kehrten allerdings einige Wochen später wieder in die Niederlande zurück. Vermutungen des niederländischen Geheimdienstes AIVD zufolge, wurde einer der Personen von einem dortigen Organisationsführer zu einem Engagement in Europa überredet.Footnote 81 Laut einer Quelle, handelte es sich dabei wahrscheinlich um einen Anschlag (schwacher Beleg für Hypothese Inspiration).Footnote 82

Tat IV

Motivationsauslöser

Auslöser für die Handlungsmotivation von Mohammed Bouyeri war, laut Angaben des Täters, die Beleidigung des Islams und des Religionsgründers Mohammed durch das Opfer van Gogh (mittelstarker Beleg für Hypothese Angriff).Footnote 83 Van Gogh hatte Islamgründer Mohammed unter anderem als Vergewaltiger bezeichnetFootnote 84 und einen islamkritischen Film veröffentlicht.Footnote 85 Bouyeri sah es, ihm zufolge, als religiöse Pflicht und den Willen Gottes an, jeden zu töten, der den Islam beleidigt.Footnote 86

Intentionsbildung

Es sind nur vage Hinweise darüber bekannt, wie Bouyeri auf die Idee kam, van Gogh durch gerade dieses Verhaltensmittel zu bestrafen. Wie Nesser (2012, S. 69) anmerkt, begann Al-Qaida im Irak (AQI) im selben Jahr der Tatbegehung das Mittel der Entführung und öffentlichen Enthauptung der jeweiligen Geisel einzusetzen.Footnote 87 Die veröffentlichten Enthauptungsvideos dieser Taten im Internet könnten, gemäß Nesser, Bouyeri inspiriert haben, ebenfalls dieses Mittel zu nutzen, um van Gogh zu bestrafen (schwacher Beleg für Hypothese Modellwirkung).

Aufrechterhaltung des Tatentschlusses

Bouyeri erfährt im Oktober 2004 von einem Maulwurf aus den Reihen des AIVD, dass ihm die Polizei auf der Spur ist.Footnote 88 Er befand sich zu dieser Zeit vermutlich schon in der Vorbereitungsphase zu seiner Tat. Doch statt zu fliehen oder die Tat vorzuziehen, ergriff er Gegenmaßnahmen, um eine Aufdeckung zu verhindern (Widerspruch zur Hypothese Abbruch). So nutzte er etwa ab dem 21. Oktober, also drei Wochen vor der Tat, sein Handy nicht mehr.Footnote 89

Tat V

Aufrechterhaltung des Tatentschlusses

Nach der Tat Bouyeris war den restlichen Mitgliedern des Netzwerks bewusst, dass die Polizei sie verhaften würde.Footnote 90 Eigentlich intendierten die Täter, gemäß Vermutungen des AIVD, Anschläge auf niederländische Politiker zu verüben. Zwei der Mitglieder, Walters und Akhnikh, entschieden aber, anstelle dessen die an ihrer Wohnung eintreffenden Polizisten zu töten (2 × schwacher Beleg für Hypothese Vorziehen). Sie warfen hierzu eine Handgranate auf die Polizeibeamten.

Fallnr. 038: geplante Anschläge in Großbritannien (August 2004)

Fallbeschreibung

Die Zelle plante Anschläge in Großbritannien. Die Polizei nahm die Täter allerdings im August 2004 fest.

Analyse

Motivationsauslöser

Für die Umsetzung des Vorhabens rekrutierte Gruppenführer Barot, gemäß Gerichtsurteil, wenigstens 7 verschiedene Personen aus seinem persönlichen Umfeld (7 × starker Beleg für Hypothese Anstiftung).Footnote 91

Intentionsbildung

Ursprünglich erhielt Anführer Barot vermutlich den Auftrag, einen Anschlag in den USA zu verüben. Laut einem US-amerikanischen Ermittlungsbericht zu den Anschlägen des 11. Septembers 2001, erteilte der Al-Qaida Chefplaner für Anschläge, Khalid Sheikh Mohammed, auf Anweisung von Bin Laden hin Barot den Auftrag, Vorbereitungen hierfür zu treffen (z. B. mögliche Ziele auszukundschaften).Footnote 92 Nach den Anschlägen vom 11. September wurden diese Pläne allerdings auf Anweisung der Organisation erst einmal auf Eis gelegt (schwacher Beleg für Hypothese Einschränkung).Footnote 93 Barot begann nun anstelle dessen damit, Vorbereitungen für einen Anschlag in Großbritannien zu treffen. Wie er nun auf die Intention kam, ausgerechnet in Westeuropa eine Gewalttat zu begehen, ist unklar. In jedem Fall reiste er dann im Frühling 2004 nach Pakistan, um Al-Qaida-Führern seine Tatplanungen vorzustellen und ihre Genehmigung für sein Vorhaben in Europa einzuholen.Footnote 94

Aufrechterhaltung des Tatentschlusses

Von einem Täter, Tarmohammed, ist durch seinen Anwalt überliefert, dass er Anführer Barot mitteilte, dass er aus dem Vorhaben aussteigen will.Footnote 95 Allerdings ist nichts über Bestärkungsversuche der anderen Gruppenmitglieder oder darüber, ob er wirklich ausgestiegen ist, bekannt.

Fallnr. 039: geplanter Anschlag auf Spain Twin Towers (September 2004)

Fallbeschreibung

Die Zelle beabsichtigte einen Anschlag auf ein Einkaufszentrum und die Zwillingstürme in Barcelona. Die Täter wurden zuvor von der Polizei festgenommen.

Analyse

Motivationsauslöser

Laut einer Quelle, erhielt Anführer Afzaal vermutlich von einem hochrangigen Al-Qaida Mitglied Anfang 2004 in Dubai den Auftrag, Anschläge in Westeuropa vorzubereiten (schwacher Beleg für Hypothese Befehl).Footnote 96

Fallnr. 041: geplanter Anschlag auf spanischen Supreme Court (Oktober/November 2004)

Fallbeschreibung

Die Gruppe wollte einen Bombenanschlag auf den spanischen Supreme Court in Madrid begehen. Das Vorhaben wurde durch die spanische Polizei vereitelt.

Analyse

Motivationsauslöser

Laut Richter, initiierte Anführer Achraf die Tat vermutlich während eines Gefängnisaufenthalts und stiftete dabei auch fast 20 Personen an, sich an seinem Vorhaben zu beteiligen (schwacher Beleg für Hypothese Anstiftung).Footnote 97 Die genaue Anzahl der angestifteten Mittäter ist nicht angegeben, weshalb die Information nur als einmaliger Beleg gewertet wird.

Fallnr. 042: geplanter Anschlag auf irakischen Premierminister in Deutschland (November 2004)

Fallbeschreibung

Die Gruppe plante einen Anschlag auf den irakischen Premierminister Ijad Allawi während seines Deutschlandbesuchs in Berlin 2004. Die Polizei nahm die Täter vorher fest.

Analyse

Motivationsauslöser

Auslöser für den Plot war der anstehende Besuch des irakischen Premierministers Ijad Allawi in Berlin. Nachdem der Islamist Rafik M. Yousef von dessen Kommen erfuhr, begann er, laut eigenen Beschreibungen, die von einem Spitzel berichtet wurden, mit den Anschlagsvorbereitungen, um den Politiker zu töten.Footnote 98 Er wollte eigenen Angaben zufolge diese Gelegenheit nutzen, um die zum damaligen Zeitpunkt junge Demokratie im Irak massiv zu schwächen (mittelstarker Beleg für Hypothese Gelegenheit).Footnote 99 Die Vorbereitungen begannen damit, dass er eine Erlaubnis für den Anschlag in Deutschland bei der Organisation, der er angehörte, einholte.Footnote 100 Er rief aus diesem Grund bei Organisationsführer Mazen A. Hussein an und bat ihn um grünes Licht.

Yousef versuchte zudem verschiedene Personen in seinem Umfeld anzustiften, sich an der Tat zu beteiligen und ihm bei den Vorbereitungen, insbesondere der Herstellung von Sprengstoff, zu helfen.Footnote 101 Ob diese Rekrutierungsversuche allerdings fruchtbar waren, ist nicht überliefert.

Aufrechterhaltung des Tatentschlusses

Kurz vor dem Besuch des Ministerpräsidenten teilte Hussein Initiator Yousef in einem abgehörten Telefongespräch mit, dass es aufgrund von Zweifeln bzgl. der Umsetzbarkeit besser sei, das Projekt abzubrechen, da, laut Hussein, der Vorbereitungszeitraum zu kurz war.Footnote 102 Yousef versucht ihn darauf hin zum Weitermachen zu bestärken, indem er auf die günstige Gelegenheit verwies. Der Verlauf des Telefonats deutet aber eher daraufhin, dass sich Hussein nicht überzeugen lässt (Widerspruch zur Hypothese Bestärkung). Ob es aber tatsächlich, zu einem endgültigen Abbruch gekommen wäre, lässt sich nicht feststellen, da die Verdächtigen kurze Zeit später verhaftet wurden.

Fallnr. 045: London-Anschläge (7. Juli 2005)

Fallbeschreibung

Am 7. Juli 2005 verübten 4 Selbstmordattentäter simultane Anschläge auf U-Bahnzüge und einen Bus in London. Dabei wurden 52 Menschen getötet und mehrere Hunderte verletzt.

Analyse

Motivationsauslöser

Laut Ermittlern ist davon auszugehen, dass Gruppenführer Khan wenigstens zwei weitere Gruppenmitglieder zur Tatbeteiligung angestiftet hat.Footnote 103 Hierfür liegen allerdings keine Belege vor (2 × schwacher Beleg für Hypothese Anstiftung).

Ein Zeuge, Imran Patel, gibt an, dass Anführer Khan ihn ebenfalls versucht habe zur Teilnahme an dem Plot anzustiften.Footnote 104 Patel hat dies aber abgelehnt (Widerspruch zur Hypothese Anstiftung).

Intentionsbildung

Laut Martin Gilbertson, der mit den Tätern und ihrem Umfeld in Kontakt stand, veranlasste der Wahlsieg der Labour-Partei 2004, die, obwohl sie für den Einmarsch in den Irak verantwortlich war, die Unterhaus-Wahl gewann, die Täter dazu tätig zu werden.Footnote 105 Khan und Tanweer beabsichtigten ursprünglich gegen westliche Truppen in Afghanistan zu kämpfen.Footnote 106 Khan verfasste vor ihrer Abreise nach Pakistan im November 2004 sogar ein Abschiedsvideo an seine 6 Monate alte Tochter, da er davon ausging, dass die beiden dort als Märtyrer im Kampf sterben würden.Footnote 107 In Pakistan angekommen, schienen sich die Pläne der beiden jedoch schnell geändert zu haben. Schon Ende November informierte Khan seine Frau in Großbritannien, dass er im Februar wiederkehren würde.Footnote 108 Zurück in Großbritannien im Februar 2005 begann die Gruppe dann mit den Tatvorbereitungen vor Ort.Footnote 109 Ermittler des britischen Geheimdienstes MI5 vermuten, dass Khan und Tanweer in Pakistan von einem Al-Qaida-Anführer zu einem Anschlag in London statt des Kampfes in Afghanistan überredet wurden (2 × schwacher Beleg für Hypothese Inspiration).Footnote 110 Die Ermittlungsergebnisse deuten darauf hin, dass dies während eines Treffens mit den hochrangigen Al-Qaida-Mitgliedern al-Kuwaiti und Abd al-Hadi al-Iraqi geschah.Footnote 111 Der pakistanische Geheimdienst wiederum mutmaßt, dass Al-Qaida-Chefplaner Abu Ubaida al-Masri die Täter von dem alternativen Vorhaben überzeugt hat.Footnote 112 Auch die Aussage von Rashid Rauf, einem hochrangigen Al-Qaida-Mitglied, legt nahe, dass al-Masri Khan und Tanweer hin zu einer Gewalttat in Großbritannien lenkte.Footnote 113

Fallnr. 046: gescheiterter Anschlag auf U-Bahnen und Bus in London (21. Juli 2005)

Fallbeschreibung

Am 21. Juli 2005 versuchten mehrere der Gruppenmitglieder Selbstmordanschläge auf die U-Bahn und einen Bus in London zu verüben. Der Sprengstoff zündete allerdings nicht und die Täter versuchten zu fliehen. Eines der Mitglieder brach hingegen schon kurz vor der Realisierung ab.

Analyse

Motivationsauslöser

Drei der Mittäter berichten, dass sie sich aufgrund von Zwang an der Tat beteiligt haben (3 × nicht erwähnter Einflussfaktor). Osman gab zuerst an, dass Ibrahim ihn durch das Zeigen von Videos über Gewalttaten gegen Muslim*innen im Irak dazu angestiftet hat, sich zu beteiligen.Footnote 114 Später in Haft teilte er dann einem Gefängniswärter mit, dass Ibrahim ihn gezwungen hätte, teilzunehmen.Footnote 115 Auch Ramzi Mohammed sagt, er sei zur Teilnahme gezwungen worden.Footnote 116 Schließlich berichtet ebenfalls Asiedu, sich aufgrund von Zwang beteiligt zu haben.Footnote 117

Intentionsbildung

Die Belege deuten darauf hin, dass Anführer Ibrahim nach einer Beeinflussung durch den Londoner Islamistenprediger Abu Hamza ins Ausland reisen wollte, um sich dort im Rahmen des gewaltsamen Jihads zu engagieren.Footnote 118 Zur Vorbereitung hierfür besuchte er daher ab 2003 mehrere Trainingslager.Footnote 119 Im Dezember 2004 reiste er dann nach Pakistan, laut Staatsanwaltschaft, wahrscheinlich um dort zu kämpfen oder zu trainieren.Footnote 120 Es wird vom pakistanischen Geheimdienst vermutet, dass Al-Qaida-Planer al-Masri Gruppenführer Ibrahim, genau wie die zwei Täter der London-Anschläge am 7.7.2005 auch, davon überzeugte anstelle eines Kampfes im Ausland einen Anschlag daheim zu begehen (schwacher Beleg für Hypothese Inspiration).Footnote 121 Die Täter der verschiedenen Plots erhielten wahrscheinlich sogar die gleiche Ausbildung, was an der starken Ähnlichkeit der konstruierten Bomben ersichtlich wird.Footnote 122 Auch der zuständige Richter des Strafverfahrens gegen die Täter geht von einer Koordinierung beider Taten durch Al-Qaida aus.Footnote 123

Nach der Rückkehr aus Pakistan im März 2005 begann Ibrahim, dem Staatsanwalt zufolge, dann mit den Tatvorbereitungen vor Ort.Footnote 124 Auch dies spricht gegen die Annahme eines Nachahmungseffektes der Tat vom 7.7. auf die Intentionsbildung, so wie Anführer Ibrahim sie geschildert hat.Footnote 125 Er hatte, laut einer Quelle, beispielsweise schon vorher eine Liste mit Personen erstellt, die er anstiften könnte, sich an einem Selbstmordanschlag zu beteiligen.Footnote 126 Eine weitere Quelle berichtet, dass Ibrahim bereits in Pakistan sein Abschiedsvideo verfasste.Footnote 127

Aufrechterhaltung des Tatentschlusses

Von Täter Asiedu ist durch seinen Anwalt überliefert, dass er kurz vor der geplanten Tatumsetzung aus dem Selbstmordvorhaben ausstieg und seinen Sprengstoffgürtel entsorgte.Footnote 128 Er erfuhr erst kurz vor der Tat, dass er als Selbstmörder fungieren sollte und sein Leben verlieren würde. Laut eigener Aussage, wollte er dies aber nicht, traute sich aber nicht offen mitzuteilen, dass er aussteigen möchte, da er Gewaltsanktionen durch die Gruppe befürchtete.Footnote 129 Erst nachdem er allein, außerhalb der Kontrolle der anderen war, brach er ab.Footnote 130 Die antizipierten negativen Reaktionen der anderen Gruppenmitglieder trieben ihn also dazu an, sich weiter zu beteiligen.

Fallnr. 047: geplante Anschläge in Frankreich (September 2005)

Fallbeschreibung

Die Zelle plante vermutlich Anschläge auf Ziele in Frankreich. Mögliche Zielobjekte waren das Hauptquartier des französischen Geheimdiensts DST, die Pariser Metro und der Flughafen Paris-Orly.

Analyse

Motivationsauslöser

Ursprünglich war die Gruppe um Anführer Bourada in Frankreich nur auf Unterstützungsleistungen für den Jihad im Ausland (z. B. Geldbeschaffung, Rekrutierung von Auslandskämpfern) fokussiert. Laut Ermittlern, führte dann vermutlich der Befehl einer islamistischen Organisation, Anschläge in Frankreich zu begehen, dazu, dass die Gruppe nun selbst gewaltsam aktiv wurde.Footnote 131 Hintergrund war, dass Gruppenmitglied Benyamina Anfang 2004 in Syrien auf Mohamed al-Tounsi, den Anführer einer islamistischen Organisation in Syrien, traf, der ihm wahrscheinlich den Auftrag erteilte, eine Zelle zusammenzustellen und Anschläge in Frankreich zu verüben (schwacher Beleg für Hypothese Befehl).Footnote 132 Al-Tounsi wiederum wurde, laut US-Geheimdienstinformationen, vermutlich von AQI-Anführer Al-Zarqawi dazu beauftragt, Anschläge in Europa vorzubereiten.Footnote 133 Ende 2004 reisten dann, laut Ermittlern, mehrere Gruppenmitglieder zu Trainingslagern im Ausland, um sich die notwendigen Kompetenzen für die Anschläge anzueignen.Footnote 134

Fallnr. 051: Messerangriff auf Welt-Redakteur (20. März 2006)

Fallbeschreibung

Am 20. März 2006 versuchte der Einzeltäter Amer Cheema den Chef-Redakteur der Zeitung die Welt, Roger Köppel, in Berlin durch einen Messerangriff zu töten. Die Polizei konnte den Tätern aber vor Ort überwältigen.

Analyse

Motivationsauslöser

Auslöser für die Handlungsmotivation des Gewaltvorhabens waren, laut Täter, die Veröffentlichungen der Mohammed-Karikaturen durch die Zeitung die Welt im Februar 2006 (mittelstarker Beleg für Hypothese Angriff).Footnote 135 Der Täter gab in Vernehmungen an, gezielt am 20. März nach Berlin gereist zu sein, um den verantwortlichen Chef-Redakteur hierfür zu bestrafen.Footnote 136 Ihm zufolge sei es eine Pflicht jeden Muslims eine solche Beleidigung zu rächen.

Fallnr. 054: gescheiterter Kofferbombenanschlag auf Passagierzüge in Deutschland (31. Juli 2006)

Fallbeschreibung

Am 31. Juli 2006 hinterließen die beiden Täter Youssef Muhammad al-Hajdib und Jihad Hamad zwei Kofferbomben in Regionalzügen am Kölner Hauptbahnhof. Die Bomben explodierten allerdings aufgrund von Konstruktionsfehlern nicht. Die Täter wurden später von der Polizei festgenommen.

Analyse

Motivationsauslöser

Laut Jihad Hamad, war Mittäter al-Hajdib Initiator der Tat.Footnote 137 Motivationsauslösend wirkten bei al-Hajdib, dem Gerichtsurteil zufolge, die Veröffentlichungen der Mohammed-Karikaturen in deutschen Zeitungen, welche er als Angriff des Westens auf den Islam interpretierte (starker Beleg für Hypothese Angriff).Footnote 138

Al-Hajdib stiftete dann Hamad an, sich an einem Anschlag zur Vergeltung für diese Beleidigungen zu beteiligen.Footnote 139 Diese Darstellung Hamads wird auch im deutschen Gerichtsurteil bestätigt (starker Beleg für Hypothese Anstiftung).Footnote 140 Die Anstiftung zur Tat erfolgte dabei mit dem Verweis auf die Beleidigungen und die Betonung der Notwendigkeit, nicht untätig zu bleiben (starker Beleg für Hypothese Angriff).Footnote 141 Des Weiteren versuchte al-Hajdib Hamad zur Beteiligung zu überreden, indem er anhand von Fatwas (Gutachten islamischer Gelehrter) die moralische Pflicht zu einer solchen Bestrafungsaktion belegte.Footnote 142

Schließlich soll nicht unerwähnt bleiben, dass die deutschen Ermittler darüber spekulierten, ob nicht vielleicht doch ein ganz anderer Faktor motivationsauslösend wirkte.Footnote 143 Diese alternative Erklärung sollte auch deshalb thematisiert werden, weil sie nicht in dem zu überprüfenden Erklärungsmodell erwähnt wird. Die Ermittler vermuten, dass die Anschläge als Initiationstest dienen sollten, der durch ein Al-Qaida-Mitglied aufgetragen wurde. Durch die erfolgreiche Durchführung der Tat sollten die beiden Täter nachweisen, dass sie qualifiziert genug dafür sind, in den Irak auszureisen, um dort gegen westliche Truppen zu kämpfen. Für diese These liegen allerdings nur wenige Belege vor und auch der zuständige Richter folgt dieser Version nicht.

Fallnr. 055: geplanter Selbstmordanschlag in Flugzeugen in Großbritannien (August 2006)

Fallbeschreibung

Die Gruppe plante Anschläge auf Transatlantikflüge, die vom Londoner Flughafen Heathrow starteten. Hierzu sollte flüssiger Sprengstoff in Getränkeflaschen an Bord geschmuggelt werden. Die Täter wurden allerdings zuvor im August 2006 von der britischen Polizei verhaftet.

Analyse

Motivationsauslöser

Laut Gerichtsurteil, stiftete Anführer Ali wenigstens 3 Personen (namentlich bekannt: Savant, Khan und Zaman) aus seinem Freundes- und Bekanntenkreis an, sich an seinem gewaltsamen Vorhaben zu beteiligen (3 × starker Beleg für Hypothese Anstiftung).Footnote 144

Intentionsbildung

Die Ermittler vermuten, dass Gruppenführer Ali von Al-Qaida-Anführern dazu überredet wurde, einen Anschlag in Großbritannien zu begehen (schwacher Beleg für Hypothese Inspiration).Footnote 145 Laut einer Quelle, wollte Ali ursprünglich an Kämpfen in Afghanistan teilnehmen.Footnote 146 Es wird sogar spekuliert, dass die gleichen Personen (entweder al-Masri oder al-Iraqi) einen Einfluss ausübten, die schon die Anführer der London-Anschläge vom 7.7.2005 und 21.7.2005 von einer Gewalttat daheim überzeugten.Footnote 147

Aufrechterhaltung des Tatentschlusses

Anführer Ali berichtet, dass er im Juli 2006 vermutete von der Polizei überwacht zu werden.Footnote 148 Wie ein abgehörtes, aber verschlüsseltes Gespräch zwischen ihm und einer Person in Pakistan (möglicherweise ein Al-Qaida-Planer) offenbart, will er sein Vorhaben nicht abbrechen.Footnote 149 Ein Gespräch mit einem Mittäter deutet eher darauf hin, dass er das Vorhaben erst einmal auf Eis legen will und möglicherweise zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal aufnehmen möchte (Widerspruch zur Hypothese Abbruch).Footnote 150

Fallnr. 059: geplante Entführung und Tötung eines britischen Soldaten (Januar 2007)

Fallbeschreibung

Die Täter planten die Entführung eines britisch-muslimischen Soldaten in Großbritannien. Die anschließende Enthauptung des Soldaten sollte vor laufenden Kameras stattfinden und im Internet veröffentlicht werden. Die Täter wurden allerdings zuvor im Januar 2007 festgenommen.

Analyse

Motivationsauslöser

Zellenführer Khan hat, wie abgehörte Gespräche belegen, versucht wenigstens zwei Personen zur Teilnahme anzustiften. Bei Gassama scheint die Anstiftung jedoch nicht funktioniert zu haben (Widerspruch zur Hypothese Anstiftung).Footnote 151 Khan versuchte im Anschluss Mahmood zur Beteiligung zu überreden. Wie von der Polizei aufgezeichnete Gespräche demonstrieren, schien dieser dann tatsächlich bei den Vorbereitungen zu helfen (mittelstarker Beleg für Hypothese Anstiftung).Footnote 152

Intentionsbildung

Khan war ursprünglich für Unterstützungsleistungen in Großbritannien zuständig.Footnote 153 Er sandte Material und Geld zu islamistischen Kämpfern in Afghanistan, die dort gegen westliche Truppen kämpften. Diese Unterstützungsrolle reichte Khan aber nach einiger Zeit nicht mehr, er wollte selbst in Afghanistan gegen Soldaten kämpfen.Footnote 154 Er bat daher seinen Organisationsführer in Pakistan um Erlaubnis hierfür. Dieser lehnte diese Bitte, laut Staatsawaltschaft, allerdings ab, da Khans Unterstützungsleistungen in Großbritannien zu wertvoll für die Organisation waren.Footnote 155 Es liegen allerdings keine Belege vor, aus denen eine solche Ablehnung hervorgeht (schwacher Beleg für Hypothese Einschränkung). Khan kam dann als Alternative hierzu auf die Idee, einen Soldaten in Großbritannien zu entführen und zu enthaupten, vermutlich, wie die Ermittlungsbehörden annehmen, inspiriert durch Vorbilder im Irak, wie z. B. die Entführung und Ermordung von Ben Kingsley (schwacher Beleg für Hypothese Modellwirkung).Footnote 156

Fallnr. 061: gescheiterter Anschlag der Doktor-Zelle in London (29. Juni 2007)

Fallbeschreibung

Am 29. Juni 2007 positionierten die Täter, zwei davon Ärzte, Autobomben vor Diskotheken in London. Diese zündeten allerdings nicht. Zwei der Täter versuchten dann einen Tag darauf am Flughafen in Glasgow sich selbst und andere mit einer Autobombe zu töten.

Analyse

Motivationsauslöser

Anführer Abdulla stiftete, laut einer Quelle, seinen Freund Ahmed an, sich an seinem gewaltsamen Vorhaben zu beteiligen.Footnote 157 Konkrete Belege sind nicht angegeben (schwacher Beleg für Hypothese Anstiftung).

Intentionsbildung

Abdulla wollte sich ursprünglich im Rahmen des Widerstands im Irak gewaltsam gegen westliche Truppen engagieren und meldete sich, Ermittlungsbehörden zufolge, vermutlich freiwillig für einen Selbstmordanschlag im Irak.Footnote 158 Seine Organisationsführer im Irak überredeten ihn, gemäß Behörden, jedoch anstelle dessen nach Großbritannien zurückzukehren und dort einen Anschlag zu begehen.Footnote 159 Gestützt wird diese Annahme durch ein gefundenes Testament von Abdulla, in dem er angibt, durch einen Emir nach Großbritannien gesandt worden zu sein (mittelstarker Beleg für Hypothese Inspiration).Footnote 160 Ermittlungsbehörden spekulieren darüber, ob es sich dabei um AQI-Führer al-Zarqawi handelt.Footnote 161

Aufrechterhaltung des Tatentschlusses

Nachdem ihre Tat fehlgeschlagen war, war den Tätern bewusst, dass aufgrund ihrer hinterlassenen Spuren an den nicht detonierten Autobomben eine Verhaftung kurz bevor steht.Footnote 162 Ursprünglich planten die Täter eine Welle von weiteren Taten und hatten hierfür auch schon die notwendigen Materialen zur Verfügung, auch wenn sie noch nicht vollständig vorbereitet waren.Footnote 163 Sie entschieden sich aber, laut zuständigem Richter, die geplanten Taten vorzuziehen, wahrscheinlich in Form eines Selbstmordanschlags. Sie unternahmen noch in der gleichen Nacht die letzten Vorbereitungshandlungen und verübten dann am nächsten Tag, einen Tag nach dem fehlgeschlagenen Anschlag, ihr Attentat am Flughafen in Glasgow (2 × starker Beleg für Hypothese Vorziehen).Footnote 164

Fallnr. 063: geplanter Bombenanschlag der Glasvej-Zelle (September 2007)

Fallbeschreibung

Die Zelle bereitete Bombenanschläge in Dänemark vor. Ein konkretes Zielobjekt ist nicht bekannt. Die Gruppe wurde vor einer möglichen Tatrealisierung verhaftet.

Analyse

Motivationsauslöser

Der Staatsanwaltschaft zufolge, stiftete Gruppenführer Khurshid nach seiner Rückkehr aus Pakistan in Dänemark seinen Freund Tohki an, sich an seiner Tat zu beteiligen.Footnote 165 Es ist allerdings unklar, woher diese Information stammt (schwacher Beleg für Hypothese Anstiftung).

Intentionsbildung

Gemäß Aussagen von Khurshid, wollte er ursprünglich in Afghanistan gegen die dort stationierten NATO-Truppen kämpfen und reiste aus diesem Grund 2007 nach Pakistan.Footnote 166 Gemäß Staatsanwaltschaft, wurde er aber in einem Trainingslager in Pakistan dazu überredet, nach Dänemark zurückzukehren und dort einen Anschlag zu verüben.Footnote 167 Woher diese Informationen stammen, ist unklar (schwacher Beleg für Hypothese Inspiration). Der US-Geheimdienst vermutet hinter der Beeinflussung das hochrangige Al-Qaida-Mitglied al-Masri.Footnote 168 In jedem Fall begann die Zelle nach der Rückkehr des Täters aus Pakistan mit Tatvorbereitungshandlungen.Footnote 169

Fallnr. 064: geplante Anschläge der Sauerland-Zelle auf US-Ziele in Deutschland (September 2007)

Fallbeschreibung

Die Gruppe plante Anschläge auf US-amerikanische Ziele in Deutschland. Die Zelle wurde zuvor im Sauerland von der Polizei verhaftet.

Analyse

Motivationsauslöser

Mittäter Mevlüt K. wurde, Ermittlungen des BKA zufolge, durch Selek angestiftet, sich an der Tat zu beteiligen und notwendige Unterstützungsleistungen zu tätigen.Footnote 170 Konkrete Belege hierfür liegen allerdings nicht vor (schwacher Beleg für Hypothese Anstiftung).

Intentionsbildung

Gelowicz, Yilmaz und Selek wollten, gemäß eigenen Aussagen, ursprünglich im Ausland kämpfen, zuerst im Irak, dann als Alternative hierzu in Tschetschenien.Footnote 171 Diese beiden Versuche scheiterten allerdings, einerseits aufgrund mangelnder Kompetenzen und andererseits aufgrund fehlender Kontakte, die bei einer Ausreise hätten helfen können.Footnote 172 Doch anstatt dann in Folge dieser Einschränkungen alternativ einen Anschlag in Deutschland ins Auge zu fassen, hielten sie an ihrer Verhaltensintention, im Ausland zu kämpfen, fest und versuchten es erneut (3 × Widerspruch zur Hypothese Einschränkung). Sie reisten schließlich in ein Trainingslager in Pakistan, um sich die notwendigen Fähigkeiten anzueignen. Im Anschluss daran wollten sie dann eigentlich in Afghanistan oder Tschetschenien kämpfen und hier u. U. sogar einen sogenannten Märtyrertod sterben.Footnote 173 Ebenfalls bei Mittäter Schneider war die ursprüngliche Verhaltensintention, im Ausland zu kämpfen.Footnote 174 Auch er gelangte zuvor aber in das gleiche Camp, wie die anderen drei Mittäter.

Der Anführer der Islamischen Jihad-Union (IJU), welche das Trainingslager betrieb, überredete die vier Personen, laut Aussagen der Täter, allerdings anstelle dessen einen Anschlag in Europa zu verüben (4 × mittelstarker Beleg für Hypothese Inspiration).Footnote 175 Die vier Täter waren jedoch anfangs etwas zögerlich, weil sie es vorzogen in Afghanistan zu kämpfen und da sie zweifelten, ob sie einen solchen Anschlag überhaupt schaffen würden.Footnote 176 Gelowicz zufolge, überzeugte sie der Anführer der IJU schließlich aber doch, indem er darauf verwies, dass ein Anschlag in Europa effektiver für den Jihad ist als ein Kampf im Ausland.Footnote 177

Aufrechterhaltung des Tatentschlusses

Die Gruppe wusste, dass sie von den Ermittlungsbehörden überwacht wird.Footnote 178 Bereits in der frühen Vorbereitungsphase erfuhren sie z. B. von einem Informanten, dass sie vom Geheimdienst observiert werden.Footnote 179 Doch statt ihr Vorhaben abzubrechen, legten sie eine Pause ein und nahmen die Vorbereitungen etwas später wieder auf (4 × Widerspruch zur Hypothese Abbruch). Zudem reagierten sie mit einer verstärkten Verwendung von Verdeckungsmaßnahmen.Footnote 180 Beispielsweise tauchte die Gruppe ins Sauerland unter, um die benötigten Bomben herzustellen.Footnote 181 Diese Maßnahmen gaben ihnen vermutlich ein Gefühl der Sicherheit, dass ihr Tatvorhaben unentdeckt bleiben wird.Footnote 182 Laut Aussage von Gelowicz, waren sie von den Verhaftungen überrascht gewesen, da sie niemals geglaubt hätten, dass das Vorhaben aufgedeckt würde.Footnote 183

Bei wenigstens zwei Personen, Schneider und Selek, ist das Aufkommen von Zweifeln im Laufe der Tatvorbereitung überliefert.Footnote 184 Bei Selek basierten die Zweifel nicht auf moralischen Bedenken, sondern drehten sich darum, ob ein Attentat überhaupt die beabsichtigten Konsequenzen haben würde sowie um die Befürchtung von der Polizei überwacht zu werden.Footnote 185 Bei Selek sorgte zuerst insbesondere ein interner Faktor, nämlich die Loyalität zu Anführer Gelowicz, dafür, dass er sich trotz Zweifeln weiter beteiligte.Footnote 186 Zu guter Letzt entschied sich Selek aber doch für einen Ausstieg und teilte dies Gruppenführer Gelowicz mit.Footnote 187 Letzterer bestärkte ihn aber, laut Aussage von Gelowicz selbst, noch eine letzte Aktion für die Gruppe durchzuführen, nämlich die benötigten Zünder für die Bomben zu besorgen, was Selek auch tat (mittelstarker Beleg für Hypothese Bestärkung).Footnote 188

Bei dem zweifelnden Mittäter Schneider spielten, laut eigener Aussage, gegenseitige Bekräftigungen innerhalb der Gruppe eine bedeutsame Rolle dafür, dass er sich weiter beteiligte (mittelstarker Beleg für Hypothese Bestärkung).Footnote 189

Das Informationsmaterial deutet zudem darauf hin, dass auch die Organisationsführung im weit entfernten Pakistan einen relevanten Einfluss darauf ausübte, dass die Täter ihre Tatvorbereitungen in Deutschland fortsetzten und nicht abbrachen (nicht erwähnter Einflussfaktor).Footnote 190 Aus abgefangenen Nachrichten der IJU-Führung geht hervor, dass sie Druck auf die Mitglieder ausübten, damit diese das Tatvorhaben endlich realisieren.

Fallnr. 066: geplanter Selbstmordanschlag auf U-Bahn in Barcelona (Januar 2008)

Fallbeschreibung

Die Zelle plante Selbstmordanschläge auf das U-Bahnsystem in Barcelona. Die Täter wurden zuvor festgenommen.

Analyse

Motivationsauslöser

Einer der Täter, Hafeez Ahmed, der als Kronzeuge auftrat, wurde, laut eigener Aussage, vom Anführer der pakistanischen Islamistenorganisation Tehrik-i-Taliban Pakistan (TTP) zu einem Anschlag in Westeuropa ausgewählt (mittelstarker Beleg für Hypothese Befehl).Footnote 191

Aufrechterhaltung des Tatentschlusses

Täter Ahmed erfuhr erst kurz vor der Tatrealisierung, dass es sich bei dem Tatvorhaben um einen Selbstmordanschlag handeln sollte.Footnote 192 Er war aber nicht bereit, sich selbst zu opfern, und gab deshalb die Entscheidung zur Tatrealisierung auf und informierte die französischen Behörden.Footnote 193 Es ist nicht überliefert, ob es Bestärkungsversuche von Seiten der Gruppe gab.

Fallnr. 069: gescheiterter Bombenanschlag in Exeter (22. Mai 2008)

Fallbeschreibung

Der Einzeltäter Nicky Reilly versuchte mehrere Bomben in einem Restaurant in Exeter zu zünden, scheiterte dabei aber. Die darauf hin eintreffende Polizei nahm ihn dann fest.

Analyse

Motivationsauslöser

Motivationsauslöser waren, laut Aussage des Täters bei Vernehmungen, verschiedene Gewalttaten gegen Muslim*innen weltweit (mittelstarker Beleg für Hypothese Angriff).Footnote 194 Ausschlaggebend scheint demnach nicht so sehr ein einzelnes Ereignis gewesen zu sein, sondern die Kumulation mehrerer Viktimisierungserfahrungen.

Intentionsbildung

Anfang 2008 kam der Täter dann, dem zuständigen Richter zufolge, über seinen YouTube-Account in Kontakt mit zwei Islamisten.Footnote 195 Wie Chatprotokolle demonstrieren, überzeugten diese ihn mittels Kommunikation über das Internet, einen Anschlag in Großbritannien zu begehen (mittelstarker Beleg für Hypothese Inspiration). Zudem berieten sie ihn z. B. hinsichtlich der Zielwahl und bestärkten ihn darin, die Gewalttat zu realisieren.Footnote 196 Auswertungen der Textnachrichten des Täters durch die Polizei demonstrieren, dass er sogar noch kurz vor der Tat von den Internet-Kontakten darin ermutigt wurde, die Tat durchzuführen.Footnote 197

Fallnr. 071: gescheiterter Brandanschlag auf Verleger in England (27. September 2008)

Fallbeschreibung

Die drei Täter versuchten einen Brandanschlag auf das Haus des Verlegers eines Buches, das aus ihrer Sicht den Islam beleidigt, zu verüben. Sie scheiterten während der Tatdurchführung.

Analyse

Motivationsauslöser

Angaben des Strafverteidigers von Täter Beheshti zufolge, wurde die Motivation zur Tat durch die Veröffentlichung des Buches The Jewel of Medina durch das Opfer ausgelöst.Footnote 198 Das Buch wurde von den Tätern als Beleidigung des Islams wahrgenommen. Ob diese Angabe auf direkten Aussagen der Täter basiert oder auf Vermutungen, ist allerdings unklar (schwacher Beleg für Hypothese Angriff).

Fallnr. 072: gescheiterter Anschlag auf Polizisten in Köln (23. September 2008)

Fallbeschreibung

Die Täter wollten Polizisten in einen Hinterhalt locken, sie töten und deren Waffen entwenden. Mit den gestohlenen Waffen wollten sie dann im Anschluss US-Soldaten in Heidelberg angreifen. Der Überfall auf die Polizisten misslang allerdings.

Analyse

Motivationsauslöser

Initiator Emre S. stiftete, laut eigener Aussage bei der Polizei, seinen Bruder und einen Freund an, sich an seinem gewalttätigen Vorhaben zu beteiligen (2 × mittelstarker Beleg für Hypothese Anstiftung).Footnote 199

Fallnr. 075: geplante Ermordung von Karikaturist in Schweden (März 2009)

Fallbeschreibung

Die Zelle plante die Ermordung des schwedischen Karikaturisten Lars Vilks, dessen Mohammed-Karikatur 2007 in verschiedenen Zeitungen veröffentlicht wurde.

Analyse

Motivationsauslöser

Die beiden beteiligten US-amerikanischen Frauen LaRose und Paulin-Ramirez wurden, laut Quellen, durch Damache über das Internet zur Tatbeteiligung angestiftet.Footnote 200 Es ist allerdings nicht bekannt, woher diese Informationen stammen (2 × schwacher Beleg für Hypothese Anstiftung). Die beiden Frauen reisten für die Vorbereitung der Tat dann von den USA nach Irland.Footnote 201

Wie bei Damache die Tatmotivation ausgelöst wurde ist unklar. Bekannt ist, dass er in Kontakt mit Islamisten in Pakistan stand.Footnote 202 Ob er von diesen z. B. einen Befehl zur Tat erhielt, ist aber unbekannt.

Aufrechterhaltung des Tatentschlusses

Laut Staatsanwaltschaft, stieg LaRose nach kurzer Zeit aus dem gemeinsamen Tatvorhaben aus.Footnote 203 Dies geschah nicht in Folge von moralischen Bedenken, sondern aufgrund von Zweifeln, die sich um die Selbstwirksamkeit der Gruppe drehten. Sie glaubte nicht mehr daran, dass eine erfolgreiche Umsetzung des Tatplans mit den beiden Mittätern möglich war. Es ist nicht überliefert, ob es Bestärkungsversuche zum Weitermachen durch die anderen Gruppenmitglieder gab oder LaRose versuchte, das Vorhaben auf eigene Faust umzusetzen.

Fallnr. 076: geplante Selbstmordanschläge in Manchester (April 2009)

Fallbeschreibung

Diese Zelle ist Teil eines größeren Anschlagskomplotts, koordiniert von Al Qaida. Neben ihr gibt es zwei weitere Zellen, eine in New York und eine weitere in Oslo (Fallnr. 85). Die britische Zelle plante Selbstmordanschläge auf zivile Ziele, wie ein Einkaufszentrum, einen Bahnhof und einen Nachtclub in Manchester.

Analyse

Motivationsauslöser

Britischen und US-amerikanischen Ermittlern zufolge, wurde Gruppenführer Naseer von Al-Qaida als Attentäter ausgewählt und erhielt den Befehl, getarnt als Student von Pakistan nach Großbritannien zu reisen und dort einen Anschlag zu verüben.Footnote 204 Konkrete Nachweise hierfür werden allerdings nicht erwähnt (schwacher Beleg für Hypothese Befehl). Laut einer Quelle, erhielt er den Auftrag vom Al-Qaida-Chef für externe Operationen Saleh al-Somali.Footnote 205 Mit diesem stand er auch während seines Aufenthalts in Großbritannien in regelmäßigem Kontakt.Footnote 206

Es ist unklar, ob und, wenn ja, wie viele seine Mittäter ebenfalls einen solchen Befehl in Pakistan erhielten und dann nach Großbritannien einreisten und wie viele der beteiligten Täter erst in Großbritannien rekrutiert wurden.Footnote 207

Fallnr. 078: gescheiterter Anschlag auf US-Basis in Mailand (12. Oktober 2009)

Fallbeschreibung

Täter Mohammed Game versuchte in eine US-Kaserne in Mailand einzudringen und zündete hierzu einen Sprengsatz am Eingang der Kaserne. Dabei verletzte er sich selbst schwer und einen anwesenden Soldaten leicht.

Analyse

Motivationsauslöser

Laut einer Quelle, war der Protest von Islamkritikern vor einer Moschee in Mailand und eine darauf folgende gewaltsame Konfrontation mit den Islamkritikern Motivationsauslöser.Footnote 208 Wie Ermittlungen demonstrieren, begann Täter Game nach diesem Ereignis mit Tatvorbereitungshandlungen (mittelstarker Beleg für Hypothese Angriff).

Fallnr. 079: geplanter Anschlag auf Jyllands-Posten (Oktober 2009)

Fallbeschreibungen

Die Täter planten einen Bombenanschlag auf die dänische Zeitung Jyllands-Posten. Sie hatte 2005 mehrere Mohammed-Karikaturen veröffentlicht.

Analyse

Motivationsauslöser

Im Oktober 2008 entschied sich die pakistanische Islamistenorganisation Lashkar e-Taiba (LeT), einen Anschlag auf die Zeitung Jyllands-Posten in Dänemark zu verüben, als Bestrafung für die von ihr veröffentlichten Mohammed-Karikaturen.Footnote 209 Laut US-Ermittlungen, setzten sie Headley hiervon in Kenntnis und beauftragten ihn mit den Vorbereitungen für einen solchen Anschlag.Footnote 210 Worauf diese Einschätzung basiert, ist nicht angegeben (schwacher Beleg für Hypothese Befehl). Er reiste in Folge dessen u. a. nach Dänemark, um das Zielobjekt, die Zeitungsredaktion, auszuspähen.

Aufrechterhaltung des Tatentschlusses

Nach den Mumbai-Anschlägen im November 2008 wollte die LeT das Projekt aber erst einmal auf Eis legen, da das Entdeckungsrisiko aus Sicht der Organisation zu hoch war. Die Organisation befahl Headley daher, die Vorbereitungen zu beenden (nicht erwähnter Einflussfaktor).Footnote 211 Headly wollte das Tatvorhaben aber nicht abbrechen und entschied sich dann mit Hilfe einer anderen islamistischen Organisation in Pakistan unter der Führung von Ilyas Kashmiri, der in Verbindung mit der Al-Qaida-Führung stand, die Umsetzung des Tatplans fortzuführen.Footnote 212

Fallnr. 080: geplanter Anschlag auf Kaserne in Frankreich (Oktober 2009)

Fallbeschreibung

Täter Adlène Hicheur diskutierte online mit einem AQIM-Mitglied Anschläge auf zivile und militärische Einrichtungen in Frankreich. Zu weiteren Vorbereitshandlungen kam es aber nicht, denn die Polizei verhaftete den Täter bereits in einer sehr frühen Phase.

Analyse

Motivationsauslöser

Hicheur kam über das Internet in Kontakt mit Mustapha Debchi in Algerien, einem Mitglied der Organisation Al-Qaida im Islamischen Maghreb (AQIM).Footnote 213 Auslöser für das Tatvorhaben war, wie aufgezeichnete Gespräche der beiden per eMail demonstrieren, die Anfrage von Debchi, sich an einem Anschlag zu beteiligen (mittelstarker Beleg für Hypothese Befehl).Footnote 214 Debchi teilte Hicheur im Februar 2009 mit, dass er Anschläge in Frankreich verüben möchte, und fragte ihn aus diesem Grund, ob er sich daran beteiligen würde. Hicheurs Antwort ist eher ausweichend, weshalb Debchi ihn im Juni 2009 erneut per Email-Kommunikation fragt. Dieses Mal antwortete Hicheur mit einem Ja. Er lehnte jedoch die Begehung eines Selbstmordanschlages aus Effektivitätsgründen ab.Footnote 215

Laut französischen Ermittlungsbehörden kam es noch nicht zu fortgeschrittenen Vorbereitungshandlungen, wie etwa der Beschaffung von notwendigen Materialien.Footnote 216 Hicheur schlug lediglich potentielle Zielobjekte vor, wie z. B. einen Angriff auf das französische Militär als Bestrafung für deren Afghanistan-Einsatz.Footnote 217

Fallnr. 081: gescheiterter Anschlag während Flug von Amsterdam nach Detroit (25. Dezember 2009)

Fallbeschreibung

Der Täter schmuggelte einen Sprengsatz an Bord eines Fluges von Amsterdam nach Detroit. Der Sprengsatz zündete aber nicht richtig, sodass lediglich der Täter verletzt wurde.

Analyse

Motivationsauslöser

Der Täter reiste 2009 in den Yemen. Es gibt keine Hinweise, dass er zu diesem Zeitpunkt bereits die Intention zu einer konkreten Gewalthandlung entwickelt hatte. Er wollte sich, eigenen Angaben zufolge, lediglich am Jihad gegen die USA beteiligen.Footnote 218 Motivationsauslöser für das konkrete Gewaltvorhaben war, gemäß Aussagen des Täters, ein Befehl von AQAP-Anführer al-Awlaki im Yemen zu einem Anschlag (mittelstarker Beleg für Hypothese Befehl).Footnote 219

Fallnr. 083: geplanter Bombenanschlag auf Flugzeug in Großbritannien (Februar 2010)

Fallbeschreibung

Die Zelle wollte Sprengstoff an Bord eines Transatlantikfluges schmuggeln. Die Täter wurden aber zuvor verhaftet.

Analyse

Motivationsauslöser

Gruppenführer Karim stiftete, laut einer Quelle, zwei Personen, einer davon Shahzada Khan, zur Mittäterschaft an.Footnote 220 Konkrete Belege hierfür liegen aber nur im Falle einer Person vor, nämlich in Form von abgefangenen Emails (1 × mittelstarker Beleg für Anstiftung, 1 × schwacher Beleg für Hypothese Anstiftung).

Intentionsbildung

Anführer Karim war ursprünglich mit Propaganda- und Unterstützungsaktivitäten für die islamistische Organisation Jamaat-ul-Mujahideen Bangladesh (SMB) in Großbritannien befasst.Footnote 221 Im Laufe der Zeit wurde er jedoch unzufrieden mit diesen Tätigkeiten, da sie aus seiner Sicht nur wenig bewirkten.Footnote 222 Er wollte nun selbst gewaltsam aktiv werden. Wodurch dies ausgelöst wurde, ist unklar. Ursprünglich war es die Verhaltensabsicht Karims, in den Yemen oder Afghanistan auszureisen und dort zu kämpfen.Footnote 223 Durch seinen Bruder kam Karim aber zuvor in Kontakt mit AQAP-Anführer al-Awlaki. Al-Awlaki überredete ihn dann in Großbritannien zu bleiben und fragte ihn, da er von Karims Bruder wusste, dass Karim bei British Airways arbeitete, ob er bereit wäre, bei einem Anschlag auf ein Flugzeug mitzuwirken.Footnote 224 Wie der von den Ermittlungsbehörden protokollierte Email-Verkehr demonstriert, stimmte Karim dieser Anfrage zu (mittelstarker Beleg für Hypothese Inspiration).Footnote 225

Fallnr. 084: Messerangriff einer weibliche Täterin auf Abgeordneten in Großbritannien (14. Mai 2010)

Fallbeschreibung

Die Einzeltäterin stach während einer offenen Sprechstunde mit einem Messer auf den britischen Parlamentsabgeordneten Stephen Timms ein. Dieser überlebte die Attacke.

Analyse

Motivationsauslöser

Auslöser für die Handlungsmotivation war, laut Aussagen der Täterin während der polizeilichen Vernehmung, ein Internetvideo von Abdullah Azzam, einem wichtigen Ideologen der islamistischen Bewegung, in dem er jeden Muslim dazu aufruft, andere Muslim*innen gegen Angriffe zu verteidigen und gegen die Angreifer zu kämpfen (mittelstarker Beleg für Hypothese Aufruf).Footnote 226 Bislang war die Täterin nämlich der Ansicht, dies sei ausschließlich Aufgabe der Männer. Sie war aus diesem Grund nicht bereit, selbst zu kämpfen.

Intentionsbildung

Dass die Täterin auf die Idee kam, ausgerechnet eine Gewalttat in Großbritannien zu verüben, um dem Aufruf Azzams zum Kampf gerecht zu werden, ist das Resultat einer Beeinflussung über das Internet. Angaben der Täterin zufolge, wurde sie zu dieser Verhaltensabsicht durch Darstellungen auf einer islamistischen Propaganda-Website inspiriert (mittelstarker Beleg für Hypothese Inspiration).Footnote 227 Auf dieser Internetseite wurden Messerangriffe auf Parlamentsabgeordnete, die den Irak-Krieg befürworteten, als Anschlagsmittel empfohlen sowie detaillierte Informationen zu diesen Abgeordneten veröffentlicht.

Fallnr. 085: geplanter Anschlag in Norwegen oder gegen Jyllands-Posten/Kurt Westergaard (Juli 2010)

Fallbeschreibung

Die Zelle plante einen Anschlag auf Ziele in Norwegen oder Dänemark, möglicherweise auf die dänische Zeitung Jyllands-Posten oder den Karikaturisten Kurt Westergaard. Die Täter wurden zuvor festgenommen. Es gab Verbindungen zu einer Zelle in Manchester (Fallnr. 76).

Analyse

Motivationsauslöser

Zellenführer Davud war zwischen 2008 und 2009 in einem Trainingslager in Pakistan und traf dort u. a. auf den Al-Qaida-Verantwortlichen für externe Operationen Salah al-Somali.Footnote 228 Laut US-Ermittlungsbehörden, erteilte al-Somali ihm den Befehl, einen Anschlag in Europa zu begehen.Footnote 229 Konkrete Belege hierfür sind allerdings nicht angeführt (schwacher Beleg für Hypothese Befehl).

Laut einer Quelle, stiftete Anführer Davud dann zwei Mittäter zum Aufbau einer Zelle an.Footnote 230 Konkrete Belege sind allerdings nicht erwähnt (2 × schwacher Beleg für Hypothese Anstiftung).

Aufrechterhaltung des Tatentschlusses

Von einem Mittäter, Jakobsen, wird berichtet, dass er aus dem Tatvorhaben ausstieg und die Polizei informierte.Footnote 231 Ob andere Gruppenmitglieder versucht haben, ihn zum Weitermachen zu überreden, ist nicht bekannt.

Fallnr. 087: geplante Anschläge im Mumbai-Stil in verschiedenen europäischen Ländern (September 2010)

Fallbeschreibung

Die Zelle beabsichtigte Anschläge im Mumbai-Stil in Großbritannien, Frankreich und Deutschland. Einer der Gruppenführer wurde allerdings zuvor während eines US-Drohnenangriffs in Pakistan getötet.

Analyse

Motivationsauslöser

Laut US-Geheimdienst, erhielt Gruppenführer Jabbar den Befehl, Anschläge in Europa auszuführen, während eines Treffens mit Al-Qaida-Mitgliedern, das vom Geheimdienst überwacht wurde (mittelstarker Beleg für Hypothese Befehl).Footnote 232 Bei dem Tatvorhaben handelte es sich vermutlich um ein gemeinsames Projekt verschiedener islamistischer Organisationen.Footnote 233

Mehreren Geheimdiensten zufolge, haben die Täter bereits versucht, Mittäter in Europa zur Teilnahme anzustiften.Footnote 234 Es ist allerdings nicht bekannt, ob und in wie vielen Fällen diese Rekrutierungsversuche erfolgreich waren.

Fallnr. 088: geplante Anschläge in Europa (Oktober 2010)

Fallbeschreibung

Die Zelle wurde in Pakistan von Al-Qaida mit Unterstützungsleistungen und der Vorbereitung von Anschlägen in Westeuropa beauftragt. Die Täter wurden allerdings vor ihrer Rückreise nach Europa verhaftet bzw. in einem Fall durch einen Drohnenangriff getötet.

Analyse

Intentionsbildung

Die ursprüngliche Verhaltensintention der Täter war es von Deutschland nach Pakistan zu reisen, um dann im benachbarten Afghanistan gegen US-Truppen zu kämpfen.Footnote 235 Die Täter waren Teil der sog. Hamburger Reisegruppe, einer Gruppe von 11 Personen (9 Männern und 2 Ehefrauen), die sich in Afghanistan am gewaltsamen Jihad gegen die USA beteiligen wollten.

Von wenigstens zwei Personen (Makanesi und Sidiqi) ist bekannt, dass sie mit den Bedingungen in Pakistan nicht zurechtkamen und zurück nach Deutschland wollten.Footnote 236 Zuvor trafen die beiden Personen sowie Meziche und Dashti allerdings mit dem hochrangigen Al-Qaida-Mitglied Younis al-Mauretani zusammen. Er erzählte ihnen, er plane mit der Genehmigung von Bin Laden, Anschläge in Europa zu realisieren und suche hierfür geeignete Akteure. Laut Aussagen sowohl von Makanesi als auch von Sidiqi, überredete er die vier sich daran zu beteiligen (4 × mittelstarker Beleg für Hypothese Inspiration).Footnote 237 Die beiden Täter sollten nach Deutschland zurückkehren, dort eine Zelle aufbauen und auf weitere Anweisungen warten.Footnote 238

Fallnr. 093: geplante Anschläge auf verschiedene Ziele in Großbritannien (Dezember 2010)

Fallbeschreibung

Dieser Tatkomplex umfasst unterschiedliche Zellen aus verschiedenen Städten (London/Cardiff-Gruppe und Stoke-Gruppe), die miteinander in Verbindung standen und mehrere Gewalttaten, unabhängig voneinander planten:

Tat I: Die London/Cardiff-Gruppe (Mohammed Chowdhury, Shah Rahman, Gurukanth Desai und Abdul Malik Miah) plante Briefbomben an Synagogen in London sowie das Londoner Scientology-Hauptquartier zu versenden.

Tat II: Die London/Cardiff-Gruppe plante ebenfalls einen Bombenanschlag auf die Londoner Börse und im Anschluss daran eine Attacke im Mumbai-Stil.

Tat III: Die Stoke-Gruppe (Mohammed Shahjahan, Usman Khan, Mohibur Rahman und Nazam Hussain) beabsichtigte Anschläge auf Pubs und Nachtclubs in Stoke.

Analyse

Tat I

Intentionsbildung

Im Falle des Vorhabens, Briefbomben zu versenden, wurden die Täter, laut Staatsanwaltschaft, vermutlich durch Darstellungen im Onlinemagazin Inspire beeinflusst.Footnote 239 Darin wird der gescheiterte Anschlagsversuch von AQAP-Anführer al-Awlaki, Paketbomben an Adressen in den USA zu versenden, beschrieben. Diesen Versuch wollten die Täter offensichtlich nachahmen (4 × schwacher Beleg für Hypothese Inspiration & 4 × schwacher Beleg für Hypothese Modellwirkung).

Tat II

Aufrechterhaltung des Tatentschlusses

Abgehörte Gespräche demonstrieren, dass bei einem Mitglied der London/Cardiff-Gruppe, Miah, Zweifel aufkamen, die sich um die Selbstwirksamkeit der Gruppe drehten.Footnote 240 Er war sich unsicher, ob die Gruppe das Vorhaben in so kurzer Zeit umsetzen kann. Es ist aber nicht bekannt, ob Miah ausstieg oder es Bestärkungsversuche gab.

Schließlich wird berichtet, dass die gesamte Gruppe bereits zu Beginn der Vorbereitungsphase befürchtete von der Polizei überwacht zu werden.Footnote 241 Doch statt ihr Vorhaben abzubrechen, verhielten sie sich konspirativer (9 × Widerspruch zur Hypothese Abbruch).

Fallnr. 095: geplanter Angriff auf Jyllands-Posten (Dezember 2010)

Fallbeschreibung

Die Zelle plante einen Angriff im Mumbai-Stil auf die dänische Zeitung Jyllands-Posten. Die Täter wurden zuvor verhaftet.

Analyse

Motivationsauslöser

Laut Aussage eines Gruppenmitglieds, erhielt Anführer Dhahri während eines Aufenthalts in Pakistan den Auftrag, einen Anschlag in Dänemark zu begehen (mittelstarker Beleg für Hypothese Befehl).Footnote 242 Dharhi erhielt vermutlich zwischen 2008 und 2010 Training in PakistanFootnote 243 und stand, wie abgehörte Gespräche demonstrieren, während der Vorbereitungsphase in Kontakt mit einer Verbindungsperson in Pakistan.Footnote 244 Einer Quelle zufolge, war möglicherweise Organisationsführer Ilyas Kashmiri der Auftraggeber.Footnote 245 Dieser hatte schon einmal einer Gruppe von Islamisten den Auftrag erteilt, einen Anschlag auf die Jyllands-Posten-Redaktion in Dänemark zu verüben (siehe Fallnr. 79).

Intentionsbildung

Gemäß schwedischen Ermittlungsbehörden, reisten wenigstens drei Gruppenmitglieder (Awad, Dhahri und Zalouti) nach Pakistan.Footnote 246 Es ist allerdings unklar, ob sie die Absicht hatten, sich dort am gewaltsamen Jihad zu beteiligen. Zwei der Personen wurden in jedem Fall schon kurz nach der Ankunft in Pakistan verhaftet und nach Schweden zurückgeschickt. Lediglich Dhahri gelang es zu bleiben und vermutlich ein Trainingslager zu besuchen.

Aufrechterhaltung des Tatentschlusses

Von einem Täter, Zalouti, ist überliefert, dass er kurz vor der Tatrealisierung aus dem Vorhaben ausstieg.Footnote 247 Es ist nicht bekannt, ob es zuvor Bestärkungsversuche durch die anderen Gruppenmitglieder gab.

Fallnr. 096: Angriff auf US-Soldaten in Frankfurt (2. März 2011)

Fallbeschreibung

Der Einzeltäter Arid Uka griff mit einer Schusswaffe mehrere US-Soldaten am Frankfurter Flughafen an, die kurz vor dem Abflug nach Afghanistan waren. Dabei tötete er zwei Soldaten und verwundete mehrere.

Analyse

Motivationsauslöser

Motivationsauslöser waren, laut Täter selbst, zum einen verächtliche Aussagen von US-amerikanischen Soldaten über die afghanische Bevölkerung, die er im Zuge seiner beruflichen Tätigkeit am Frankfurter Flughafen gehört hat, und zum anderen ein islamistisches Propagandavideo, das er am Abend vor der Tat im Internet gesehen hat.Footnote 248 Das Video zeigt eine vermeintliche Vergewaltigung eines muslimischen Mädchens durch US-Soldaten in Afghanistan sowie den Aufruf eines Organisationsführers, solche Taten zu verhindern (mittelstarker Beleg für Hypothese Angriff & mittelstarker Beleg für Hypothese Aufruf). Das Ziel des Täters war es, ihm zufolge, das Wohl der afghanischen Bevölkerung zu schützen, indem er die angegriffenen US-Soldaten daran hindert, nach Afghanistan zu reisen und dort Verbrechen an der Zivilbevölkerung zu begehen.Footnote 249

Fallnr. 097: geplanter Bombenanschlag in Deutschland (April 2011)

Fallbeschreibung

Die Täter planten einen Bombenanschlag in Deutschland. Ein Teil der Zelle wurde zuvor festgenommen. Einer der Personen konnte der Verhaftung entgehen und versuchte dann eigenständig eine Gewalttat zu verüben.

Analyse

Motivationsauslöser

Der deutschen Staatsanwaltschaft zufolge, stiftete Gruppenführer El-Kebir wenigstens drei Personen (Simsek, Chaabi und Seddiki) an, sich an der Tat zu beteiligen.Footnote 250 Konkrete Nachweise hierfür sind allerdings nicht angegeben (3 × schwacher Beleg für Hypothese Anstiftung).

Intentionsbildung

Anführer El-Kebir wollte ursprünglich am gewaltsamen Jihad in Afghanistan teilnehmen und reiste aus diesem Grund im Januar 2010 von Deutschland aus in ein Trainingslager in Pakistan.Footnote 251 Laut Staatsanwaltschaft, wurde er aber dann von dem hochrangigen Al-Qaida-Mitglied Younis al-Mauretani dazu überredet, anstelle dessen eine Terrorzelle in Deutschland aufzubauen und dort einen Anschlag zu begehen.Footnote 252 Woher diese Information stammt, ist nicht angegeben (schwacher Beleg für Hypothese Inspiration).

Aufrechterhaltung des Tatentschlusses

Bereits in der frühen Vorbereitungsphase (die Bombe war noch nicht fertiggestellt) wurden drei der Gruppenmitglieder verhaftet.Footnote 253 Das vierte Mitglied, Simsek, konnte der Verhaftung entgehen. Doch statt das Tatvorhaben aufzugeben und unterzutauchen, entschied er sich mit dem Vorhaben, einen Anschlag zu begehen, fortzufahren (Widerspruch zur Hypothese Abbruch).Footnote 254 Ausschlaggebend hierfür: der Täter nahm nach den Verhaftungen Kontakt zur Al-Qaida-Führung auf, die ihn vermutlich darin bestärkte, das Anschlagsvorhaben fortzusetzen (nicht erwähnter Einflussfaktor).Footnote 255 Allerdings änderte er den modus operandi des Vorhabens, statt eines Bombenanschlags intendierte er nun einen Angriff mit Schusswaffen.Footnote 256 Zudem nutzte er nun in verstärktem Maße Verschleierungsmaßnahmen, um unentdeckt zu bleiben.Footnote 257 Diese bestärkten ihn vermutlich ebenfalls darin weiterzumachen, da sie ihm ein Gefühl von Sicherheit verliehen.

Fallnr. 098: geplanter Anschlag in Europa (Mai 2011)

Fallbeschreibung

Die beiden Täter wurden in Pakistan von Al-Qaida dazu beauftragt, Anschläge in Europa vorzubereiten. Sie wurden allerdings vor einer möglichen Umsetzung von der Polizei verhaftet.

Analyse

Motivationsauslöser

Dem Urteil des Berliner Gerichts zufolge, erhielten die beiden Täter von dem hochrangigen Al-Qaida-Mitglied Younis al-Mauretani den Auftrag, in Europa eine Zelle aufzubauen und dort auf weitere Anweisungen für die Begehung eines Anschlags zu warten (2 × starker Beleg für Hypothese Befehl).Footnote 258 Ein konkretes Ziel stand allerdings noch nicht fest.Footnote 259

Die beiden Täter hatten aber bereits begonnen, Mittäter anzustiften. Yusuf O. versuchte Bekannte von Masqood L. in Wien zu rekrutieren, gleichzeitig unternahm Mittäter L. das gleiche in Berlin innerhalb des Bekanntenkreises von O.Footnote 260 Allerdings lehnten alle Befragten eine Tatbeteiligung ab, vermutlich weil der Anstifter eine fremde Person war und eine persönliche Bindung samt Vertrauen fehlte (Widerspruch zur Hypothese Anstiftung).

Intentionsbildung

Es wird vermutet, dass sich Yusuf O. zuvor an Kampfhandlungen gegen das US-Militär in Afghanistan beteiligt hat.Footnote 261 Die islamistische Organisation Deutsche Taliban Mudschaheddin (DTM), der er zu diesem Zeitpunkt angehörte, zerfiel allerdings, weshalb er sich Al-Qaida anschloss.Footnote 262 Ob er ursprünglich in Afghanistan weiterkämpfen wollte und dann zu einem Anschlag in Europa überredet wurde, ist allerdings nicht überliefert. Es wird aus diesem Grund davon ausgegangen, dass erst der Befehl von al-Mauretani die Absicht zu einer konkreten Gewalttat auslöste und sie nicht schon vorher bestand.

Fallnr. 099: geplanter Anschlag in Deutschland (September 2011)

Fallbeschreibung

Die Täter beabsichtigten einen Anschlag in Deutschland zu verüben. Sie wurden aber zuvor von der Polizei festgenommen.

Analyse

Intentionsbildung

Täter Samir M. versuchte, wie deutsche Ermittlungsbehörden vermuten, ursprünglich nach Afghanistan auszureisen, um sich den dortigen Kämpfen anzuschließen. Seine beiden Ausreiseversuche wurden allerdings von den Behörden vereitelt (schwacher Beleg für Hypothese Einschränkung).Footnote 263 Er versuchte dann anstelle dessen einen Anschlag in Deutschland zu begehen.

Bei Mittäter Hani N. vermuten die Behörden, dass er in einem Trainingslager am Hindukusch eine Ausbildung erhielt.Footnote 264 Es ist aber nicht bekannt, ob er in diesem Lager einen Befehl zu einem Anschlag in Deutschland erhielt.

Fallnr. 100: geplante Selbstmordanschläge in Großbritannien (September 2011)

Fallbechreibung

Die Zelle plante die Begehung einer Reihe von Selbstmordanschlägen in Großbritannien. Die Täter wurden zuvor inhaftiert.

Analyse

Motivationsauslöser

Die beiden Anführer, Naseer und Khalid, stifteten, laut zuständigem Richter des Strafverfahrens, nach ihrer Rückkehr aus einem Trainingslager in Pakistan zuerst Ashik Ali zur Tatbeteiligung an (starker Beleg für Hypothese Anstiftung).Footnote 265

Das Trio rekrutierte dann, gemäß Richter, wenigstens acht weitere Personen im Familien- und Freundeskreis (8 × starker Beleg für Hypothese Anstiftung).Footnote 266

Intentionsbildung

In einem abgehörten Gespräch teilt Anführer Naseer einem Mittäter mit, dass er ins verhasste Großbritannien zurückgekehrt sei, weil die Begehung eines Anschlags in England effektiver für den Jihad ist als ein Kampf im Ausland.Footnote 267 Vermutlich wollte er demnach ursprünglich im Ausland kämpfen. Spekulationen der Ermittlungsbehörden zufolge, überredeten Al-Qaida-Anführer sowohl Naseer als auch Khalid während ihres Aufenthalts in einem Trainingslager in Pakistan dazu, nach Großbritannien zurückzureisen und dort einen Anschlag zu verüben, da sie aufgrund diverser körperlicher Einschränkungen ungeeignet für einen Auslandskampf waren (2 × schwacher Beleg für Hypothese Inspiration).Footnote 268 Khalid selbst gibt in mitgeschnittenen Gesprächen an, dass sie für das hochrangige Al-Qaida-Mitglied Abu Zaid al-Kuwaiti arbeiten.Footnote 269

Aufrechterhaltung des Tatentschlusses

Abgehörte Gespräche der Gruppenmitglieder demonstrieren, dass sie vermuteten von der Polizei überwacht zu werden und mit einer bevorstehenden Razzia der Strafverfolgungsbehörden rechneten.Footnote 270 Die Gruppe befand sich zu diesem Zeitpunkt noch in einer frühen Vorbereitungsphase. Doch statt das Vorhaben abzubrechen, entschieden sie sich die Sicherheitsmaßnahmen zu verstärken, um eine Aufdeckung zu verhindern (11 × Widerspruch zur Hypothese Abbruch).

Vier Zellenmitglieder (Mujahid Hussain, Naweed Ali, Ishaaq Hussain und Shahid Khan) wurden von den Gruppenanführern zum Training nach Pakistan geschickt, um sich dort die notwendigen Kompetenzen für einen Anschlag anzueignen.Footnote 271 Als deren Familien jedoch von dem Aufenthalt in Pakistan erfuhren, übten sie Druck auf die Ausreiser aus, um sie zur Rückkehr nach Großbritannien zu bewegen.Footnote 272 Drei der vier Personen entschieden sich dann ihr Vorhaben abzubrechen und nach Großbritannien zurückzureisen (nicht erwähnter Einflussfaktor).Footnote 273 Der vierte Täter, Khan, wurde von Familienangehörigen in Pakistan unter Hausarrest gestellt und so an weiteren Tatvorbereitungen gehindert.Footnote 274

Fallnr. 102: Angriff auf Soldaten und jüdische Schule in Frankreich (11. März 2012 und weitere Daten)

Fallbeschreibung

Täter Mohamed Merah erschoss zuerst mehrere franzözisch-muslimische Soldaten an unterschiedlichen Tatorten. Der Versuch, einen weiteren Soldaten zu ermorden, misslang allerdings. Er entschied sich dann spontan, eine Attacke auf eine jüdische Schule zu verüben, und erschoss dabei drei Schulkinder und einen Lehrer. Nachdem die Identität des Täters aufgedeckt wurde, umstellte die Polizei seine Wohnung und es kam zu einem Schusswechsel, bei dem Merah starb.

Analyse

Motivationsauslöser

Der Täter teilte im Zuge der Verhandlungen mit der Polizei während der Belagerung seiner Wohnung mit, dass er von Al-Qaida zu einem Anschlag in Frankreich beauftragt wurde (mittelstarker Beleg für Hypothese Befehl).Footnote 275 Während seines Aufenthalts in einem Trainingslager in Pakistan schlug ihm die Organisation vor, einen Selbstmordanschlag in Pakistan oder Paris zu begehen, was der Täter allerdings ablehnte. Er akzeptierte aber die Begehung eines Anschlags in seiner Heimatregion Toulouse.

Fallnr. 103: Brandanschlag auf schiitische Moschee in Brüssel (12. März 2012)

Fallbeschreibung

Ein namentlich unbekannter Islamist drang mit einer Axt bewaffnet in eine schiitische Moschee in Brüssel ein und verübte daraufhin einen Brandanschlag. Dabei wurde der Imam Abdallah Dadou getötet und weitere Personen verletzt.

Analyse.

Motivationsauslöser.

Den Angaben des Täters während der Vernehmung zufolge, haben ihn die Bilder des zum damaligen Zeitpunkt herrschenden Bürgerkriegs in Syrien zum Handeln motiviert.Footnote 276 Der Täter sah die Schiiten als Verantwortliche für die negative Situation der Sunniten in Syrien, mit denen er sich solidarisch fühlte (mittelstarker Beleg für Hypothese Angriff).

Fallnr. 104: geplanter Anschlag auf Militäreinrichtung in Großbritannien (April 2012)

Fallbeschreibung

Die Zelle plante einen Bombenanschlag mit Hilfe eines ferngesteuerten Modellautos auf eine Kaserne in Großbritannien. Die Täter wurden zuvor verhaftet.

Analyse

Motivationsauslöser

Laut Staatsanwaltschaft, stiftete Täter Ahmed wenigstens zwei weitere Mittäter, Arshad und Hussain, zur Teilnahme an.Footnote 277 Woher diese Informationen stammen, ist allerdings nicht angegeben (2 × schwacher Beleg für Hypothese Anstiftung).

Intentionsbildung

Iqbal und Ahmed wollten ursprünglich in Afghanistan gegen die dortigen westlichen Koalitionstruppen kämpfen.Footnote 278 Doch sie konnten dieses Vorhaben nicht realisieren, weil sie, wie der von den Ermittlungsbehörden untersuchte Internetverkehr der Täter demonstriert, den Kontakt zu einem Al-Qaida-Verbindungsmann in Pakistan verloren (2 × mittelstarker Beleg für Hypothese Einschränkung).Footnote 279

Gemäß Staatsanwaltschaft bildete sich dann, inspiriert durch das Al-Qaida-Onlinemagazin Inspire, die Intention, anstelle einer Ausreise einen Sprengstoffanschlag in Großbritannien zu begehen.Footnote 280 Konkrete Belege hierfür sind allerdings nicht angegeben (2 × schwacher Beleg für Hypothese Inspiration).

Aufrechterhaltung des Tatentschlusses

Den Ausführungen des zuständigen Richters zufolge, war den beiden Tätern, spätestens nachdem ihre Wohnungen durchsucht wurden, bewusst, dass sie von den Ermittlungsbehörden überwacht wurden.Footnote 281 Doch statt ihr Vorhaben abzubrechen, fuhren sie mit den Vorbereitungshandlungen fort (2 × Widerspruch zur Hypothese Abbruch).

Fallnr. 106: gewalttätige Ausschreitungen bei Pro-NRW Demonstration (5. Mai 2012)

Fallbeschreibung

Ein Islamist griff während einer Demonstration der Partei Pro-NRW in Bonn mehrere Polizisten mit einem Messer an. Dabei wurden zwei Polizisten schwer verletzt.

Analyse

Motivationsauslöser

Auslöser für den Messerangriff war, laut Täter, das Zeigen der Mohammed-Karikaturen durch die Pro-NRW-Demonstranten (mittelstarker Beleg für Hypothese Angriff).Footnote 282 Dabei hatte der Täter selbst die Karikaturen gar nicht gesehen, er hat lediglich von anderen gehört, dass diese zur Schau gestellt würden.Footnote 283

Unklar ist, ob er ursprünglich versuchte zu den Pro-NRW-Demonstranten zu gelangen oder ob er von vornherein die Polizisten attackieren wollte. In jedem Fall aber bewertete er, eigenen Aussagen zufolge, die Polizisten als ein legitimes Zielobjekt, da sie zum Staat gehören.Footnote 284 Ebenso uneindeutig ist, ob die Tat bereits im Vorfeld geplant oder spontan war.Footnote 285 Denn der Täter wusste vermutlich bereits im Vorfeld, dass Mohammed-Karikaturen während der Demonstration gezeigt würden.Footnote 286 Der Täter selbst bestreitet jedoch eine Tatplanung im Vorfeld.Footnote 287

Fallnr. 107: gescheiterter Anschlag auf rechtsextreme EDL (Juni 2012)

Fallbeschreibung

Die Zelle plante einen Anschlag auf eine Kundgebung der anti-islamischen English Defence League (EDL) in Dewsbury. Die Täter trafen allerdings zu spät am intendierten Zielort ein, da die Versammlung vorzeitig endete. Bei der Rückfahrt fiel die Gruppe der Polizei dann zufällig im Rahmen einer Verkehrskontrolle auf.

Analyse

Motivationsauslöser

Laut Anwalt von Täter Khan, wurde die Motivation für das Tatvorhaben durch Beleidigungen des Islams durch Mitglieder der English Defence League (EDL) ausgelöst.Footnote 288 Es ist allerdings unklar, bei wie vielen Tätern dies der ausschlaggebende Motivationsauslöser war, weshalb diese Information nur als einfacher Beleg gewertet wird (schwacher Beleg für Hypothese Angriff). Die Täter selbst haben keinerlei Aussagen darüber gemacht, was genau motivationsauslösend wirkte. In dem Bekennerschreiben zur Tat geben sie allerdings an, dass das Ziel der Tat Vergeltung für die Beleidigung von Religionsgründer Mohammed war.Footnote 289

Fallnr. 108: geplanter Angriff auf Geheimdienstmitarbeiter in England (Juli 2012)

Fallbeschreibung

Die Gruppe wollte Geheimdienstmitarbeiter des MI5 und MI6 in Royal Wootton Bassett ermorden. Die Täter wurden zuvor festgenommen.

Analyse

Intentionsbildung

Dart und Alom sind im Sommer 2011 nach Pakistan gereist, um dort Training zu erhalten.Footnote 290 Laut Aussage von Dart, war seine Intention gegen NATO-Soldaten in Afghanistan zu kämpfen.Footnote 291 Beide scheiterten jedoch daran, Training zu erhalten, da sie, laut einer Quelle, vermutlich die hierfür notwendigen Kontakte nicht knüpfen konnten (2 × schwacher Beleg für Hypothese Einschränkung).Footnote 292

Zurück in Großbritannien nahm Dart dann Kontakt mit Mahmood auf, der bereits ein Trainingslager in Pakistan besucht hatteFootnote 293, um von ihm Ratschläge diesbezüglich zu erhalten.Footnote 294 Die beiden diskutierten nun aber auch die Möglichkeit eines Anschlags in Großbritannien.Footnote 295 Wie sie auf die Idee hierzu kamen, ist unklar.

Fallnr. 111: Anschlag auf jüdische Bäckerei und weitere geplante Taten (19. September 2012 und weitere Daten)

Fallbeschreibung

Aus dem Freundschaftsnetzwerk Cannes-Torcy bildeten sich mehrere islamistische Tatgruppen heraus:

Tat I: Am 19. September kam es durch Jeremie Sidney, Jérémy Bailly und eine weitere unbekannte Person zu einem Angriff mit einer Handgranate auf eine jüdische Bäckerei.

Tat II: Ein Teil der Personen (u. a. Jeremie Sidney, Jérémy Bailly, Kevin Phan und Selim K. plante einen Anschlag auf eine McDonalds-Filiale in Lognes am 3. Oktober 2012. Dieses Vorhaben scheiterte jedoch.

Tat III: Eine Tatgruppe (u. a. mit Maher Oujani) plante einen Anschlag auf eine Kaserne in Südfrankreich am 19. Juni 2013.

Tat IV: Ein anderer Teil (u. a. Ibrahim Boudina & Abdelkader Tliba) kehrte nach einem Auslandskampf in Syrien zurück nach Frankreich und plante vermutlich einen Anschlag auf das Karnevalfest in Nizza 2014. Die Tat liegt somit außerhalb des Untersuchungszeitraums der Studie.

Analyse

Tat I

Motivationsauslöser

Bei dem Anschlag auf die jüdische Bäckerei in Sarcelles am 19. September 2012 handelte es sich vermutlich um eine spontane Tat. Denn zu dieser Zeit war die Gruppe bereits mit der Planung einer komplexeren Tat beschäftigt, einem Bombenanschlag auf ein McDonalds-Restaurant in Lognes.Footnote 296 Auslöser für den Angriff auf die Bäckerei war, laut einer Quelle, vermutlich die Veröffentlichung eines islamfeindlichen Mohammed-Videos in den USA.Footnote 297 Es ist allerdings unklar, bei wie vielen Tätern dies der ausschlaggebende Motivationsauslöser war, weshalb diese Information lediglich als einfacher Beleg gewertet wird (schwacher Beleg für Hypothese Angriff). Auffällig ist auch, dass sich die Tat am gleichen Tag ereignete, an dem das französische Satire-Magazin neue Mohammed-Karikaturen veröffentlichte.Footnote 298

Fallnr. 112: gescheiterter Bombenanschlag am Bonner Bahnhof und geplantes Attentat auf Pro-NRW-Vorsitzenden (10. Dezember 2012 und weitere Daten)

Fallbeschreibung

Der Fall umfasst zwei unterschiedliche Tatvorhaben:

Tat I: Islamist Marco G. versuchte eigenständig am 10. Dezember einen Bombenanschlag am Bonner Hauptbahnof zu begehen. Der dort deponierte Sprengsatz zündete aber nicht.

Tat II: Im Dezember 2012 entschied sich Marco G. dann zusammen mit anderen, Angriffe auf Pro-NRW-Mitglieder zu verüben.

Analyse

Tat I

Motivationsauslöser

Bei dem Vorhaben von Marco G., einen indiskriminierten Bombenanschlag am Bonner Hauptbahnhof zu begehen, war der ausschlaggebende Motivationsauslöser, laut Gerichtsurteil, die Zurschaustellung von Mohammed-Karikaturen durch Pro-NRW-Anhänger während mehreren Demonstrationen im Frühjahr 2012 (starker Beleg für Hypothese Angriff).Footnote 299 Sein Tatziel war es, die gesamte Gesellschaft dafür zu bestrafen, dass die Demonstranten diese Karikaturen öffentlich zeigen durften.Footnote 300

Tat II

Motivationsauslöser

Nach dem gescheiterten Bombenanschlag schloss sich Marco G. dann im Dezember 2012 mit drei weiteren Personen zusammen, um eine weitere Gewalttat zu begehen. Anlass für dieses zweite Tatvorhaben (die gezielte Tötung des Pro-NRW-Vorsitzenden) war dem Gerichtsurteil zufolge, ein Aufruf der Organisation Islamische Bewegung Usbekistan (IBU) im Mai 2012 über das Internet.Footnote 301 In der Audiobotschaft mit dem Titel „Tod der Pro-NRW“ rief ein Organisationsmitglied alle Muslim*innen in Deutschland dazu auf, Mitglieder von Pro-NRW zu ermorden, weil die Partei im Wahlkampf Mohammed-Karikaturen zeigte (4 × starker Beleg für Hypothese Aufruf & 4 × starker Beleg für Hypothese Angriff).Footnote 302

Fallnr. 116: Angriff auf Soldaten in Woolwich (22. Mai 2013)

Fallbeschreibung

Zwei Islamisten töteten den Soldaten Lee Rigby in Woolwich. Die Täter warteten in der Nähe einer Kaserne auf ein geeignetes Opfer. Als sie sahen, wie Rigby die Straße überquerte, überfuhren sie ihn und stachen anschließend mehrmals mit Stichwaffen auf ihn ein.

Analyse

Motivationsauslöser

Nach der Tat haben Ermittlungen ergeben, dass Adebowale über das Internet in Kontakt mit einem AQAP-Führungsmitglied im Yemen stand.Footnote 303 Im Dezember 2012 teilte Adebowale ihm seine Absicht mit, einen Soldaten töten zu wollen. Sein Internetkontakt bestärkte ihn darin und gab ihm Empfehlungen hinsichtlich des Vorgehens. Es ist allerdings unklar, ob das Organisationsmitglied möglicherweise einen diesbezüglichen Befehl erteilt hat oder ihn in seiner Intentionsbildung beeinflusste.

Adebolajos Familie vermutet, dass ihn der psychische Druck des Geheimdienstes MI5, der versuchte, ihn als Informant anzuwerben, zur Tat getrieben hat.Footnote 304 Ein diesbezüglicher staatlicher Bericht des Intelligence and Security Committee (ISC) negiert einen solchen Wirkungszusammenhang jedoch.Footnote 305

Intentionsbildung

2010 versuchte Adebolajo nach Somalia auszureisen, um sich, laut Ermittlungsbehörden, dort vermutlich der islamistischen Organisation Al-Shabbab anzuschließen und mit ihnen zu kämpfen.Footnote 306 Er wurde jedoch zuvor von der kenianischen Polizei verhaftet und zurück nach Großbritannien geschickt (schwacher Beleg für Hypothese Einschränkung).Footnote 307

Fallnr. 117: Angriff auf Soldaten in Frankreich (27. Mai 2013)

Fallbeschreibung

Der Einzeltäter Alexandre Dhaussy attackierte einen patroullierenden Soldaten in Paris mit einem Messer. Das Opfer wurde durch den Angriff schwer verletzt.

Analyse

Intentionsbildung

Gemäß Aussage des Täters während einer Vernehmung, bestand die Handlungsmotivation zur Begehung einer ideologie-basierten Gewalttat bereits vor dem Anschlag auf einen Soldaten in Woolwich (Fallnr. 116).Footnote 308 Was der genaue Auslöser war, ist unklar. Die Tat in Großbritannien inspirierte ihn aber, laut Polizei und Täter selbst, ebenfalls einen Angriff auf Soldaten zu verüben (mittelstarker Beleg für Hypothese Modellwirkung).Footnote 309

Fallnr. 119: geplanter Anschlag auf Bahnhof oder Kaserne in Italien (Juni 2013)

Fallbeschreibung

Einzeltäter Anas El Abboubi plante einen Anschlag entweder auf einen Bahnhof oder eine Kaserne in Brescia. Er wurde zuvor von der Polizei inhaftiert.

Analyse

Intentionsbildung

Laut einer Quelle, wollte El Abboubi Ende 2012 vermutlich nach Syrien reisen, um dort zu kämpfen.Footnote 310 Wie Ermittlungen demonstrieren, nahm er aus diesem Grund Kontakt zu verschiedenen islamistischen Personen und Organisationen auf, die ihm bei einer Ausreise helfen sollten. Diese Versuche der Kontaktaufnahme scheiterten jedoch (mittelstarker Beleg für Hypothese Einschränkung). Ab Mai 2013 begann er dann, laut Ermittlern, als Alternative zu einer Ausreise mit Vorbereitungshandlungen für einen Anschlag.Footnote 311 Es ist nicht überliefert, was ihn auf die Idee hierzu brachte.

Fallnr. 120: geplanter Anschlag mit Modellflugzeugen in Deutschland (Juni 2013).

Fallbeschreibung

Die Täter planten Bombenanschläge mittels Modellflugzeugen in Deutschland. Sie wurden aber im Vorfeld festgenommen.

Analyse

Intentionsbildung

Laut einer Quelle, diente den Tätern die Tat eines US-Islamisten im Jahr 2011 als Vorbild (2 × schwacher Beleg für Hypothese Modellwirkung).Footnote 312 Dieser wollte Minibomben in symbolträchtige Gebäude in den USA, wie das Washingtoner Kapitol und das Pentagon, steuern. Konkrete Belege für eine solche Vorbildwirkung werden aber nicht genannt.

6.6.2 Gesamtergebnisse

Im Folgenden werden die Befunde der einzelnen Fälle zusammengefasst und in einer Gesamtschau, getrennt nach den jeweiligen Hypothesen, dargestellt (Tabelle 6.1). Diese rein deskriptive Auswertung der Ergebnisse bezieht sich dabei auf die Täterebene. Zu 164 der insgesamt 454 namentlich identifizierten Tätern waren Informationen zu den jeweiligen sozialen Tatbedingungen vorfindbar. Allerdings waren bei vielen Personen nur Informationen zu einer einzigen Stufe verfügbar. Eine umfassende Rekonstruktion des Prozesses der Täterwerdung war also nicht immer möglich. Auch zwischen den verschiedenen Stufen unterscheidet sich die Informationsdichte. Die meisten Informationen lagen bei den Motivationsauslösern vor. Hier gab es bei 108 Personen Angaben. Bei den sozialen Einflüssen auf die Intentionsbildung hingegen standen bei nur 44 Tätern Informationen zur Verfügung, bei den Einflussfaktoren auf die Aufrechterhaltung des Tatentschlusses existierten bei 53 Personen Angaben.

Tabelle 6.1 Die Tabelle gibt einen quantitativen Überblick über die Anzahl der Belege und Widersprüche zu den verschiedenen Hypothesen sowie die Anzahl von in dem Erklärungsmodell nicht-erwähnten Faktoren

Hinsichtlich der Motivationsbildung wurde im Rahmen der Hypothese 1a davon ausgegangen, dass konkrete Angriffe auf die Person selbst, die Eigengruppe oder ihre Identität eine Handlungsmotivation für eine ideologie-basierte Gewalttat in Westeuropa auslösen. Bei 7 Tätern fand sich ein starker Beleg für diese Annahme im erhobenen Datenmaterial, bei 7 Tätern ein mittelstarker Beleg und bei 5 Tätern ein schwacher Beleg. Insbesondere die Mohammed-Karikaturen und anderweitige Angriffe auf den Islam kristallisierten sich dabei als sehr bedeutsam heraus (7 × starker Beleg, 4 × mittelstarker Beleg und 3 × schwacher Beleg). Physische Angriffe auf andere Muslim*innen (3 × mittelstarker Beleg) sowie Sanktionierungen anderer Islamisten durch die Strafverfolgungsbehörden (2 × schwacher Beleg) waren in nur einigen Fällen relevant. Viktimisierungen der eigenen Person (z. B. durch körperliche Gewalterfahrungen) waren hingegen in keinem der Fälle von Bedeutung.

In Hypothese 1b wurde angenommen, dass günstige Gelegenheiten, um viel politischen Einfluss auszuüben und Veränderungen herbeiführen zu können, einen relevanten Motivationsauslöser im Kontext islamistischer Gewalt in Westeuropa darstellen. Diese Hypothese bestätigte sich bei nur einem Täter in Form eines mittelstarken Belegs. Bei dieser Gelegenheit handelte es sich um den Besuch des irakischen Premierministers in Deutschland, der getötet werden sollte.

Gemäß Hypothese 1c fungieren konkrete Befehle oder allgemeine Aufrufe zu Gewalt von Organisationsführern als Auslöser für eine Handlungsmotivation einer ideologie-basierten Gewaltstraftat. Im Hinblick auf die Rolle von Befehlen wiesen bei 7 Personen starke, bei 9 Personen mittelstarke und bei 11 Personen schwache Belege auf deren Relevanz hin. Bei der Mehrheit der Fälle (insgesamt 15 Täter) gibt es Hinweise, dass Al Qaida der ausschlaggebende Befehlsgeber war. In den restlichen Fällen traten andere islamistische Organisationen im Ausland als Befehlsgeber auf. Weniger Belege waren wiederum im Falle der Aufrufe vorfindbar. Hier gab es 4 starke und 2 mittelstarke Belege. All diese motivationauslösenden Aufrufe zu Gewalt waren in Internetvideos veröffentlicht. In zwei der drei Fälle (insgesamt 5 Personen) handelte es dabei um Propagandavideos der Organisation Islamische Bewegung Usbekistan (IBU). In dem dritten Fall (1 Person) beinhaltete das Video die Predigt eines bedeutsamen islamistischen Ideologen.

Schließlich wurde in der Hypothese 1d davon ausgegangen, dass eine Person durch Kontakte im näheren Umfeld zur Beteiligung an einer Gewalttat motiviert werden kann. Für die Relevanz von Anstiftungen gab es bei 20 Tätern einen starken Beleg, bei 9 Tätern einen mittelstarken Beleg und bei 26 Tätern einen schwachen Beleg. Bei den meisten Tätern erfolgte die Anstiftung durch Freunde, bei den restlichen Personen durch Familienangehörige oder Partner. In einigen Fällen bestätigte sich die Hypothese allerdings nicht. Im Datenmaterial fanden sich 4 Personen, die den Vorschlag zu einer Tatbeteligung ablehnten. Eine dieser Personen folgte der Anstiftung nicht, da sie an den Kompetenzen der Gruppe zweifelte. In einem weiteren Fall wurden die Anstiftungen aufgrund fehlender Bindungen und fehlenden Vertrauens abgelehnt. Bei den zwei anderen Personen sind die Gründe für die Ablehnung unbekannt.

Darüber hinaus ergaben die Tatanalysen, dass in einigen Fällen Auslöser maßgeblich waren, die nicht im Erklärungsmodell aufgeführt sind. So berichten drei Täter, dass sie sich aufgrund von Zwang an der Tat beteiligt haben. Bei einigen Tätern war zudem eine Kombination von Motivationsauslösern vorfindbar. Bei einem Täter löste nicht ein einzelner Angriff eine Handlungsmotivation aus, sondern erst die Kumulation mehrerer gewaltsamer Angriffe auf Muslim*innen wirkte bei ihm motivationsauslösend. In weiteren Fällen wurden Aufrufe (5 Personen) bzw. Anstiftungen (1 Person) mit einem Verweis auf Angriffe auf die Eigengruppe verknüpft, vermutlich um die Folgebereitschaft zu erhöhen.

Im Zusammenhang mit der Intentionsbildung wurde in der Hypothese 2a angenommen, dass eine vorherige ideologie-basierte Gewalttat eine bereits motivierte Person auf die Idee bringen kann, ebenfalls dieses Mittel in Westeuropa zu nutzen, um ihr jeweiliges Ziel zu realisieren. Zu dieser Hypothese gab es bei 2 Personen einen mittelstarken und bei 8 Personen einen schwachen Beleg. Bei den Modellen handelte es sich ausschließlich um Gewalttaten von anderen Islamisten. Nicht-ideologische Gewalttaten oder Gewaltten aus anderen Extremismusbereichen wirkten demnach in keinem der Fälle inspirierend auf die untersuchten Täter. Bei der Mehrheit der Modelle handelte es sich um islamistische Gewalttaten im außereuropäischen Ausland, nur bei einer Person wirkte eine begangene Tat in Europa intentionsbeeinflussend.

Zweitens dienen, laut Hypothese 2b, islamistische Organisationen direkt oder indirekt als Inspirationsquelle bei der Intentionsbildung. Für die Annahme einer direkten Inspiration durch eine Organisation, also mit anderen Worten einer Überredung hin zur Begehung einer ideologie-basierten Gewalttat in Westeuropa statt, wie ursprünglich intendiert, im Ausland zu kämpfen, gab es 12 mittelstarke und 10 schwache Belege. In den meisten Fällen wurden die Täter zu einer Gewalthandlung in Europa überredet, als sie sich bereits im Ausland befanden (insgesamt 20 Personen). Diese inspirierten Rückkehrer stifteten dann zumeist zurück in Westeuropa mehrere Mittäter in ihrem Umfeld an. Ausschlaggebende Organisation war in der Mehrheit der Fälle Al Qaida (13 Personen), bei den restlichen Fällen handelte es sich um andere Islamistenorganisationen im Ausland. Bei zwei Personen erfolgt die Überredung nicht von Angesicht zu Angesicht, sondern über das Internet (in einem Fall mittels Email-Verkehr, in dem anderen Fall über einen YouTube-Kanal). Bei nur wenigen Tätern waren indirekte Inspirationen, also z. B. Darstellungen in Online-Magazinen, verantwortlich dafür, dass die Täter eine Gewalttat in Westeuropa anderen Mitteln vorzogen. Hier gab es bei einer Person einen mittelstarken Beleg und bei 6 Personen schwache Belege. Eine dieser Personen wurde durch Gewaltdarstellungen auf einer islamistischen Internetseite inspiriert, in allen anderen Fällen wurden die Täter durch das AQAP-Online-Magazin Inspire beeinflusst (insgesamt 6 Personen).

Drittens wurde im Zuge der Hypothese 2c angenommen, dass die Einschränkung von alternativen Verhaltensoptionen durch externe Faktoren die Intentionsbildung beeinflusst und eine Person hin in Richtung Gewalt lenken kann. Bei 4 Tätern liegt ein mittelstarker Beleg für diese Annahme vor, bei 8 Tätern ein schwacher Beleg. In sämtlichen Fällen intendierten die Täter ursprünglich ins Ausland zu reisen, um dort zu kämpfen, scheiterten aber an diesem Vorhaben. Bei 4 Personen war eine Inhaftierung im außereuropäischen Ausland der ausschlaggebende Grund für das Scheitern, bei einer Person war es die Intervention von Behörden in Westeuropa. Bei 2 Personen untersagte es die zuständige Islamistenorganisation, der die jeweilige Person angehörte, eine Gewalttat im Ausland zu begehen. Schließlich erwiesen sich bei 5 Personen fehlende Kontakte, die bei einer Ausreise in ein Kampfgebiet hätten helfen können, als relevanter Einschränkungsfaktor. Es muss jedoch hervorgehoben werden, dass nicht jeder gescheiterte Ausreiser zum Gewalttäter in Westeuropa wird. Auch in dieser Analyse mündete bei insgesamt 3 Personen die gescheiterte Ausreise nicht unmittelbar in einer Tat in Europa, die Täter versuchten stattdessen erneut auf andere Weise ins Ausland zu gelangen, was auch gelang.

Alternative Einflussfaktoren auf die Intentionsbildung, die im Modell nicht erwähnt wurden, waren im Material nicht vorfindbar. Allerdings waren auch bei den Einflüssen auf die Intentionsbildung Kombinationen von Faktoren vorfindbar. Bei 4 Tätern bestand die inspirierende Darstellung in einem Online-Magazin aus einer konkreten vorherigen Gewalttat eines Islamisten.

Im Kontext der dritten Stufe wird zum einen davon ausgegangen, dass die Befürchtung einer Entdeckung durch die Strafverfolgungsbehörden einen relevanten Einflussfaktor auf die Aufrechterhaltung des Tatentschlusses darstellt. Dabei wird in diesem Erklärungsansatz die Ansicht vertreten, dass sich die Folgen jeweils nach dem Stand der Tatvorbereitungen unterscheiden. Gemäß Hypothese 3a führt die Entstehung der Erwartung einer Entdeckung durch die Strafverfolgungsbehörden in einer frühen Vorbereitungsphase zum Aufgeben des Entschlusses, eine Gewalttat in Westeuropa zu begehen. Für diese Annahme gab es bei 6 Personen einen mittelstarken Beleg und bei 2 Personen einen schwachen Beleg. Ein solcher Abbruch drückte sich beispielsweise durch das Zerstören von Beweismaterial oder einem Untertauchen aus. In mehreren Fällen machten die Täter (insgesamt 30 Personen), entgegen der Hypothese, weiter mit den Vorbereitungshandlungen und brachen nicht ab. Die Mehrheit der Täter (insgesamt 24 Personen) reagierte mit der Intensivierung von Counter-Surveilance-Maßnahmen, um ihr gewaltsames Vorhaben besser zu verschleiern. In zwei weiteren Fällen gaben die Täter (insgesamt 5 Personen) weder auf, noch setzten sie ihre Vorbereitungen unmittelbar fort, sondern legten das intendierte Gewaltvorhaben erst einmal auf Eis, um es zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal aufzugreifen. In einem wieder anderen Fall floh der Täter zwar ins Ausland, beteiligte sich aber von dort aus noch weiter an der Tatumsetzung.

Hypothese 3b zufolge führt die Entstehung der Erwartung einer Entdeckung durch die Strafverfolgungsbehörden in einer späten Vorbereitungsphase zu einem Vorziehen der geplanten islamistischen Gewalttat in Westeuropa. Hierfür gab es bei 2 Personen einen starken, bei 7 Personen einen mittelstarken und bei 2 Personen einen schwachen Beleg. Es war kein Widerspruch zu dieser Hypothese vorfindbar. In allen Fällen handelte es sich um kollektive Taten, d. h. die beteiligten Täter entschieden sich gemeinsam zu einem Vorziehen der Tat, keiner der Involvierten entschloss sich dazu, sich dieser kollektiven Aktion zu widersetzen und die Option des Aufgebens zu wählen. In zwei der Fälle waren die Täter (insgesamt 9 Personen) von der Polizei in ihren jeweiligen Wohnungen umzingelt, woraufhin sich die Täter entschieden, die anstürmenden Polizisten mit in den Tod zu reißen. Im dritten Fall entschieden sich die Täter (insgesamt 2 Personen) dazu, ihre zweite geplante Gewalttat vorzuziehen, nachdem sie mit ihrer ersten Tat gescheitert waren und eine Verhaftung befürchteten.

Zum anderen besteht in diesem Modell die Annahme, dass Einflüsse durch andere Gruppenmitglieder eine besonders wichtige Rolle bei der Aufrechterhaltung des Tatentschlusses spielen. Laut Hypothese 3c können Zweifel eines Gruppenmitglieds hinsichtlich der Umsetzung der intendierten Handlung durch Bekräftigungen anderer Mitglieder der Tatgruppe neutralisiert werden, sodass sich die zweifelnde Person weiter an den Tatvorbereitungen beteiligt. In nur drei Fällen wird von Bestärkungsversuchen durch andere Gruppenmitglieder berichtet, obwohl, wie das Material demonstriert, bei vielen der untersuchten Taten Täter Zweifel und Ausstiegsabsichten äußerten (insgesamt 13 Personen). Bei 2 der 3 Bestärkungsversuchen führten diese, wie in der jeweiligen Hypothese angenommen, zu einem Weitermachen der zweifelnden Person (2 × mittelstarker Beleg). In dem dritten Fall stieg die Person trotz Bestärkung aus dem gemeinsamen Tatvorhaben aus. Die Gründe, warum die Person sich nicht davon überzeugen ließ, weiter an dem Vorhaben mitzuwirken, sind nicht überliefert.

Die Analyse förderte aber auch soziale Einflussfaktoren auf die Aufrechterhaltung des Tatentschlusses zu Tage, die nicht im theoretischen Ansatz erwähnt sind. Auf der einen Seite waren bei 2 Fällen nicht andere Zellenmitglieder sondern nicht-tatbeteiligte Familienangehörige verantwortlich dafür, dass sich die involvierten Personen gegen die letztendliche Tatrealisierung entschieden. Auf der anderen Seite übte in 4 Fällen die im Hintergrund agierende Organisation einen ausschlaggebenden Einfluss auf die Aufrechterhaltung der Tatintention der jeweiligen Täter aus. Dieser Einfluss konnte sowohl bestärkender (3 Fälle) als auch hemmender Art (1 Fall) sein, die Täter also zu einem Abbruch veranlassen.

6.6.3 Diskussion der Ergebnisse

Bestätigung/Falsifikation der Hypothesen

Die Hypothesen fanden in unterschiedlichem Ausmaß Bestätigung. Im Grunde waren alle der theoretisch angenommenen Einflussfaktoren vorfindbar, allerdings in unterschiedlicher Häufigkeit. Sie scheinen demzufolge von unterschiedlicher Relevanz zu sein.

Drei Befunde der vorliegenden Untersuchung können aufgrund mehrerer starker und mittelstarker Belege als besonders gut absichert gelten. Dies trifft in besonderem Maße auf die Relevanz von Anstiftungen durch Personen aus dem nahen Umfeld, also Familie und Freunde, zu. Wen ein gewaltbereiter Islamist kennt, erhöht demnach das Risiko, dass er vom Gefährder zum Gewalttäter wird. Ohne den Kontakt zu einer Person, die eine Gewalttat plante, hätten die angestifteten Personen in dieser Studie von sich aus möglicherweise niemals eine gewalttätige Handlung begangen. Umgekehrt bedeutet dieser Befund, dass wenn eine Person eine Gewalttat begehen will und hierfür Unterstützung sucht, sie sich eher an Familienangehörige und Freunde wenden wird. Eine enge Bindung zu einer Person, die gerade eine Gewalttat vorbereitet, erhöht demzufolge die Wahrscheinlichkeit, dass man zur Tatbeteiligung angesprochen wird.

Zweiter wichtiger Befund dieser Studie: auf wen man trifft, ist ausschlaggebend für eine Täterwerdung. Eine Vielzahl von starken und mittelstarken Belegen demonstriert, dass viele der Akteure in den untersuchten Fällen erst eine Tatbegehung in Westeuropa beabsichtigten, nachdem sie im Ausland auf einen Organisationsführer trafen, der ihnen entweder einen diesbezüglichen Befehl erteilte oder aber sie dazu überredete, eine solche Gewalttat anstelle einer anderen Tat außerhalb Europas vorzuziehen. In nur wenigen Fällen erfolgte die Erteilung des Befehls oder die Überredung nicht von Angesicht zu Angesicht, sondern über das Internet.

Die Resultate dieser Untersuchung machen aber ebenfalls deutlich, dass die Bezeichnung Befehl, der eine widerspruchlose Annahme wie beim Militär und einen unbedingten Gehorsam gegenüber dem Vorgesetzten implizieren, eher unpassend ist. In den untersuchten Fällen war es eher so, dass die hierarchisch höhergestellten Organisationsführer das jeweilige Mitglied fragten, ob es bereit wäre, einen Anschlag in Westeuropa zu verüben. Häufig war dies auch mit Überzeugungsarbeit von Seiten des Anführers verbunden, etwa mit Hilfe des Verweises auf die positiven Folgen, um die jeweilige Person zur Annahme des Befehls zu bewegen. Die Erteilung von Befehlen, um Personen zur Begehung von Gewalttaten zu veranlassen, ist aus Sicht der Organisation vermutlich ein eher unzuverlässiges Instrument, um eine Tatrealisierung sicherzustellen. Denn, wie erwähnt, muss der Tatentschluss in der Regel über einen längeren Zeitraum aufrechterhalten werden. Dass dies durch Zwang von Seiten der Organisation geschieht, die zumeist weit entfernt im Ausland sitzt, ist eher unwahrscheinlich. Wirkungsvoller für eine Aufrechterhaltung ist es, wenn die Beteiligten freiwillig einer Tatbegehung zustimmen. Denn eine solche Selbstverpflichtung bildet mutmaßlich eine solidere Basis für ein Festhalten am Tatentschluss bei möglichen Zweifeln.

Drittens hat sich in dieser Untersuchung der besondere Stellenwert von wahrgenommenen Angriffen als Motivationsauslöser herauskristallisiert. Auffällig dabei war, dass in keinem der Fälle eine eigene Opferwerdung ausschlaggebend war, sondern ausschließlich stellvertretende Viktimisierungen, also Schädigungen anderer Muslim*innen, und in besonderem Maße Angriffe auf die Identität der eigenen Gruppe, etwa in Form der Mohammed-Karikaturen, motivationsauslösend wirkten. Im Zuge der Radikalisierung scheint demnach für einige Islamisten das Wohl anderer Muslim*innen oder die Identität der eigenen Gruppe so wichtig zu werden, dass sie bereit sind, für ihre Verteidigung oder Vergeltung ihr eigenes Leben zu riskieren und zu töten.

Des Weiteren gibt es Hypothesen, die nur durch einige starke und/oder mittelstarke Befunde gestützt werden. Dies umfasst zum einen die motivationsauslösende Wirkung von Aufrufen zu Gewalt von Organisationsführern. Die in dieser Studie analysierten Aufrufe wurden allesamt im Rahmen von Internetvideos veröffentlicht. Ein möglicher Grund für diese geringe Relevanz ist die fehlende personale Komponente bei einem allgemeinen Gewaltaufruf. Aufgrund der fehlenden Bindung zwischen der aufrufenden Person und dem Rezipienten fallen eine Reihe von Faktoren, wie z. B. Vertrauen oder Loyalitätsverpflichtungen, die die Folgebereitschaft erhöhen könnten, weg.

Zum anderen liegen auch für die Annahme, dass die Einschränkung alternativer Mittel eine Person hin in Richtung Gewalt lenken kann, nur einige mittelstarke Belege vor. Wie die Befunde demonstrieren, haben all diese Täter ursprünglich versucht, sich an einem gewaltsamen Auslandseinsatz außerhalb Europas zu beteiligen. Gründe für das Scheitern dieses Plans waren Interventionen der Strafverfolgungsbehörden oder aber der verantwortlichen Islamistenorganisation sowie fehlende Kontakte, die bei einer Ausreise hätten helfen können. Daraus darf aber nicht geschlussfolgert werden, dass alle Islamisten, die an einer Ausreise scheitern, dann eine Gewalttat in Westeuropa begehen werden. Die Sauerland-Gruppe versuchte beispielsweise nach einem Fehlversuch erneut auszureisen. Nichtsdestoweniger kann eine Einschränkung angesichts der Befunde als Risikofaktor gewertet werden. Denn, wie mehrere Fälle in dieser Untersuchung veranschaulichen, können diese gescheiterten Personen nach alternativen Möglichkeiten des Engagements suchen und sich dann z. B. in Folge der Beeinflussung von Modellen oder Darstellungen im Internet zu einer Gewalttat in Westeuropa entscheiden.

Schließlich gibt es Hypothesen, für die nur wenige mittelstarke oder einige schwache Belege vorfindbar waren. Ihr Stellenwert für eine Täterwerdung scheint also eher gering zu sein. Dies trifft vor allem auf den Faktor günstige Gelegenheiten zur politischen Einflussnahme als Motivationsauslöser zu. Solche Chancen scheinen offenbar kein bedeutsamer Initiator dafür zu sein, dass gewaltbereite Islamisten plötzlich eine Gewalttat begehen wollen. Dieser Befund ist gerade im Zusammenhang mit Terrorismus, der ja in der Regel als Mittel der politischen Einflussnahme verstanden wird, überraschend, da man hier eigentlich vermuten würde, die Begehung solcher Gewaltdelikte würde gerade durch solche Gelegenheiten veranlasst. Hier sind aber anscheinend andere Auslöser vorrangig. Andererseits offenbaren die Tatanalysen aber auch, dass in vielen Fällen solche Möglichkeiten zur politischen Einflussnahme insbesondere bei der Wahl des Tatzeitpunktes von enormer Bedeutung sind. So sollten Anschläge etwa gezielt vor Wahlen oder Abstimmungen im Parlament realisiert werden (wie z. B. im Falle der Sauerland-Gruppe oder der Madrid-Anschläge im März 2004).

Eine ebenso geringe Relevanz hatten gewaltsame Vorbilder sowie indirekte Inspirationen von Organisationen, wie etwa Darstellungen in Online-Magazinen. Die schwache Bedeutung dieser Faktoren fußt möglicherweise, genau wie im Falle der allgemeinen Aufrufe zu Gewalt, auf der fehlenden persönlichen Komponente. Denn im Gegensatz zu Befehlen oder Überredungen, wo im Rahmen einer direkten face-2-face Interaktion die jeweilige Person von einer Tatbegehung überzeugt werden kann, fehlen bei diesen indirekten Einflussformen solche individuell angepassten Möglichkeiten, sowohl eine Handlungsmotivation als auch einen Tatentschluss hervorzurufen.

Im Hinblick auf die 3. Stufe, der Aufrechterhaltung des Tatentschlusses, weisen die Resultate der Analyse darauf hin, dass die Einflüsse und Wirkungen umfangreicher sind, als im Erklärungsmodell angenommen. Auf der einen Seite führt ein befürchtetes Eingreifen oder eine vermutete Überwachung durch die Strafverfolgungsbehörden in einer frühen Planungsphase nicht zwangsläufig zu einem Abbruch der Tat. Wie das erhobene Datenmaterial offenbart, reagierten die meisten Täter in solch einem Fall nicht mit dem Aufgeben des gewaltsamen Vorhabens, sondern mit der verstärkten Nutzung von Verschleierungstechniken. Eine weitere Reaktion war es, mit dem Vorhaben ersteinmal zu pausieren. In einem anderen Fall beteiligte sich der involvierte Täter weiter an der Tatrealisierung, nachdem er ins Ausland geflohen war.

Auf der anderen Seite nehmen nicht nur die eigene Tatgruppe und die Strafverfolgungsbehörden einen Einfluss auf die Aufrechterhaltung oder Aufgabe des Tatentschlusses, sondern ebenso die Familie des Täters sowie die beauftragende Organisation. Gerade die Beeinflussung durch die Organisation während der Tatvorbereitungsphase ist überraschend, da sie zum einen in der Regel weit entfernt im außereuropäischen Ausland sitzt und somit kaum einen face-2-face-Druck ausüben kann. Zum anderen, weil eine Kontaktaufnahme und Kommunikation mit der Tatgruppe äußerst riskant ist, da sie von den Strafverfolgungsbehörden registriert werden könnte.

Mehrere starke und mittelstarke Belege gab es wiederum für die Hypothese, dass es in einer späten Vorbereitungsphase zu einem Vorziehen der Tat kommen kann. In 2 der 3 Fälle waren die beteiligten Täter von der Polizei in ihrem Versteck umstellt worden und entschieden sich in Folge dessen, die Beamten mit in den Tod zu reißen. Im dritten Fall entschlossen sich die Täter nach einer gescheiterten ersten Tat, die geplante zweite Tat vorzuziehen. Auffällig ist, dass keiner der beteiligten Personen sich gegen den kollektiven Entschluss und damit gegen die Gruppe stellte und sich z. B. für ein Aufgeben entschied. Möglicherweise waren hierfür Loyalitätsgefühle und/oder gegenseitige Bestärkungen innerhalb der Gruppe verantwortlich.

Eine abschließende Beurteilung der Relevanz von Gruppenprozessen für die Aufrechterhaltung des Tatentschlusses ist leider nicht möglich. Zwar bestätigte sich die Annahme bei 2 von insgesamt 3 Personen, doch liegen einfach zu wenige Fälle vor, um diesen Befund als gut abgesichert bewerten zu können. Dass so wenige Fälle von gruppeninternen Bestärkungen im Material vorfindbar waren, bedeutet aber natürlich nicht zwangsläufig auch, dass solche Bekräftigungen durch andere Gruppenmitglieder in der Realität nur selten vorkommen. Diese geringen Fallzahlen hängen vermutlich eher damit zusammen, dass ein Einblick in tatgruppeninterne Kommunikationen nur schwer realisierbar ist.

Schließlich machen die Resultate der Untersuchung aber auch deutlich, dass die strikte analytische Trennung zwischen den und innerhalb der drei Stufen in der Realität nicht immer gegeben ist. Einerseits können Motivationsauslöser oder Intentionsbildungsfaktoren in Kombination auftreten. Beispielsweise kann bei Anstiftungen auf Angriffe auf die Eigengruppe verwiesen werden, um die angestiftete Person zur Teilnahme zu bewegen, oder im Rahmen von Darstellungen in Online-Magazinen kann auf konkrete erfolgreiche Modelle verwiesen werden. Andererseits sind ebenso Auslöser und Intentionsbildungsfaktoren oft miteinander vermischt. So sind etwa Gewaltaufrufe in Online-Magazinen zusammen mit Darstellungen von geeigneten Mitteln veröffentlicht.

Defizite der Studie

Ein besonderes Defizit dieser Untersuchung ist, dass nicht zweifelsfrei festgestellt werden kann, ob die im Datenmaterial vorgefundenen Einflussfaktoren tatsächlich ausschlaggebend waren. Verantwortlich hierfür ist einerseits, dass Aussagen über mögliche Motivationsauslöser usw. in vielen Fällen von dritten Personen stammen und nicht den Tätern selbst. Möglicherweise geben diese dritten Personen lediglich eigene Annahmen wieder. Und selbst wenn die diesbezüglichen Angaben vom Täter stammen, schwingt stets Skepsis hinsichtlich des Wahrheitsgehalts mit. Andererseits ist nicht in jedem Fall ausschließbar, ob nicht doch ein anderer als der gefundene Faktor initial beeinflussend wirkte, der aber nicht im Material Erwähnung findet. Diese Problematiken sollten sowohl durch ein offenes Kodieren als auch durch die Gewichtung der Informationsquellen abgemildert werden. Vollständig entschärft werden können sie allerdings nicht, insbesondere aufgrund der schweren Zugänglichkeit des Untersuchungsgegenstandes und der daraus resultierenden dürftigen Informationslage.

Ein zweites Manko ist die fehlende Verwendung eines Prüfkriteriums bei der Hypothesenprüfung, an dem man sich bei einer Entscheidung, ob die jeweilige Hypothese als bestätigt oder nicht-bestätigt gelten kann, hätte orientieren können. Die Nutzung statistischer Prüfverfahren ist in Anbetracht der geringen Fallzahlen nicht möglich. Es konnte nur angegeben werden, für welche Hypothesen viele (mehr als 10), einige (zwischen 3 und 10) oder nur wenige (weniger als 3) starke/mittelstarke/schwache Belege vorfindbar waren. Bei vielen starken und/oder mittelstarken Belegen wurde davon ausgegangen, dass die jeweilige Hypothese als gut abgesichert gelten kann. Viele schwache Belege wurden hingegen bei der Hypothesenprüfung ausgeklammert, da ihre Aussagekraft auf eher wackeligen Füßen steht. Sie können lediglich als Anhaltspunkt für weitere Nachforschungen dienen.

Grenzen der Studie

Auch wenn eine Reihe von Faktoren des Erklärungsmodells aufgrund mehrerer Belege als gut abgesichert gelten kann, ist anzunehmen, dass sich bei vielen gewaltbereiten Islamisten diese Wirkungen nicht entfalten. Im erhobenen Datenmaterial zeigten sich z. B. Fälle, wo Personen Anstiftungen nicht folgten, sich also keine motivationsauslösende Wirkung einstellte. Ebenso verleiten beispielsweise erfolgreiche Gewalttaten nicht per se zur Nachahmung und selbst Angriffe wie die Mohammed-Karikaturen wirken bei den meisten nicht gewaltauslösend, obwohl sie vermutlich wütend darüber sein werden. Grund hierfür ist zum einen, dass alle drei Stufen erfolgreich durchlaufen werden müssen. Viele dieser wütenden Personen entwickeln vielleicht eine Handlungsmotivation und die Intention, einen Anschlag zu begehen, geben ihr Vorhaben aber dann doch auf, weil sie z. B. erkennen, dass sie es nicht realisieren können. Zum anderen wurde bereits im Rahmen des Theoriekapitels deutlich gemacht, dass es verschiedene Bedingungen gibt, die eine motivationsauslösende Wirkung von Befehlen, Anstiftungen usw. bzw. eine intentionsbeeinflussende Wirkung von Online-Darstellungen, Modellen usw. wahrscheinlicher machen. Diese begünstigenden Faktoren konnten in der zugrundeliegenden Untersuchung aus Zeitgründen nicht überprüft werden. Hierfür hätten auch systematisch Fälle miteinbezogen werden müssen, wo Personen z. B. Anstiftungen oder Befehle abgelehnt haben oder trotz Einflussnahme durch ein Modell diesem nicht gefolgt sind. Die Sammlung solcher Vergleichsfälle ist jedoch äußerst diffizil, da sie aufgrund der fehlenden Tatvorbereitungshandlungen zumeist im Dunkelfeld bleiben.

In der vorliegenden Studie konnten zudem keine Aussagen über soziale Bestärkungsmechanismen gemacht werden, die bei Einzeltätern ausschlaggebend dafür sind, dass sie ihren Tatentschluss aufrechterhalten. Denn da sie alleine handeln, sind keine sozialen Einflüsse durch andere Gruppenmitglieder beobachtbar. Aber auch anderweitige soziale Beeinflussungen, außerhalb der theoretisch angenommenen Faktoren konnten nicht im Material festgestellt werden. Dies wirft die Frage auf, ob es bei ihnen alternative Faktoren gibt, die die getroffene Entscheidung zur Tatbegehung bestärken (vgl. Spaaij 2010, S. 855).

Im Rahmen der Analyse waren einige nicht-soziale Bestärkungsmechanismen für die Aufrechterhaltung des Tatentschlusses vorfindbar. In einem Fall (Fallnr. 117) neutralisierte ein Täter Zweifel durch Gebete.Footnote 313 In einem anderen Fall (Fallnr. 96) hörte der Täter bis kurz vor der Tatausführung islamistische Kampflieder, um sich aufzuputschen (vgl. Abou Taam et al. 2016, S. 18 f.). Bei einem anderen Tatvorhaben (Fallnr. 5) wollte ein Selbstmordattentäter während der Tatumsetzung das Bild eines durch israelische Soldaten getöteten palästinensischen Kindes bei sich tragen, um sich bis zum Schluss in Erinnerung rufen zu können, warum er sich opfert.Footnote 314 Eine systematische Suche nach solchen nicht-sozialen Faktoren erfolgte in dieser Studie aber nicht. Denkbar wäre es aber auch, dass bei Einzeltätern die Abbruchquote höher ist, weil gruppenbezogene Verstärkungsfaktoren fehlen.

In der Literatur werden zudem verschiedene Techniken thematisiert, die Organisationen oder Gruppen ihren Anhängern vermitteln bzw. nutzen, um zu verhindern, dass bei Einzeltätern/Gruppen überhaupt erst Zweifel entstehen.

Ein erstes Mittel ist die Tatgruppe von äußeren Einflüssen zu isolieren, die Bedenken kognitiv aktivieren könnten. Das bedeutet beispielsweise, die Mitglieder von Personen abzuschirmen, die keine islamistische Gesinnung vertreten oder Gewalt z. B. ablehnen und aus diesen Gründen Kritik an dem gewaltsamen Vorhaben äußern könnten (vgl. Schuurman & Taylor 2018, S. 15; Wildfang 2010, S. 200 ff.). Die Kommunikation wird auf die homogene Tatgruppe oder Gleichgesinnte beschränkt, sodass es eher zu gegenseitigen Bestärkungen kommt. So hat z. B. die Sauerland-Gruppe ihre Tatpläne vor ihrem salafistischen Umfeld, das Gewalttaten in Europa eher ablehnend gegenüberstand, geheim gehalten, vermutlich um kritischen Einflüssen vorzubeugen (vgl. Malthaner 2014, S. 648 f.). Ein ähnlicher Rückzug vom Umfeld im Zuge der Vorbereitungsphase zeigte sich beispielsweise auch bei den Madrid-Attentätern (vgl. Nesser 2015, S. 142 f.) sowie den London-Attentätern des 7. Juli 2005 (vgl. Kirby 2007, S. 423 f.). Ergänzend hierzu können, um das Aufkommen von Zweifeln zu unterbinden, kritische Informationen aus gruppenexternen Quellen abgewertet und als grundsätzlich falsch gebrandmarkt werden (vgl. Wildfang 2010, S. 190 f.).

Eine zweite Technik ist es, bestimmte Themenverbote in der Gruppe zu etablieren (vgl. Claessens & de Ahna 1982, S. 168). Das bedeutet, es darf in der Gruppe über bestimmte Aspekte, z. B. ob der Erfolg tatsächlich eintreten wird, nicht gesprochen werden, damit Zweifel bei den Mitgliedern gar nicht erst aufkommen können. Verstöße gegen diese Redeverbote sind mit Sanktionen belegt. Ein Gruppenklima, in dem Zweifel hinsichtlich potentieller negativer Konsequenzen oder moralische Bedenken offen geäußert werden können, begünstigt hingegen einen Abbruch (vgl. Lützinger 2010, S. 63).

Drittens vermitteln Organisationen ihren Kämpfern auch gezielt Techniken, mit denen sie verhindern können, dass Zweifel entstehen. So haben mehrere gewaltbereite islamistische Organisationen etwa Handbücher zur psychischen Vorbereitung auf Anschläge veröffentlicht, in denen u. a. verschiedene Möglichkeiten zur Ermutigung und Bekräftigung während der Tatvorbereitungsphase vorgestellt werden (vgl. Schneckener 2006, S. 133 ff.). In einem solcher Manuale, das auch bei mehreren Attentätern des 11. Septembers gefunden wurde, wird z. B. der Vorschlag unterbreitet, Gebete für den Beistand Gottes aufzusagen oder daran zu denken, dass der Eingang ins Paradies nahe ist, um das Aufkommen von Bedenken zu unterdrücken (vgl. Lincoln 2004, S. 41).

Beurteilung der Aussagekraft der Ergebnisse

Abschließend stellt sich die Frage, wie aussagekräftig die Resultate der Analyse sind. Dies ist vor allem deshalb von Bedeutung, weil aus den Erkenntnissen der Studie Empfehlungen zur Verhinderung künftiger Taten abgeleitet werden sollen.

Die Aussagekraft der Ergebnisse wird erstens durch die wenigen verfügbaren Informationen zu einem großen Teil der Fälle gemindert. So waren nur zu 62 der 121 Fälle und zu 164 der insgesamt 454 namentlich identifizierten Täter auswertbare Informationen verfügbar. Insbesondere bei Fällen Anfang der 2000er Jahre sowie bei frühzeitig gescheiterten/abgebrochenen Fällen ist die Informationslage prekär. Gleiches gilt für Randfiguren in einem Plot, da sich die Berichterstattung zumeist eher auf Gruppenführer fokussiert. Zudem sind bei den allermeisten Fällen nur wenige Angaben zu möglichen Gruppenprozessen im Rahmen der 3. Stufe verfügbar. Schließlich gibt es sicherlich auch einige Plots in dem Untersuchungszeitraum, die gar nicht erst in den Fokus der Strafverfolgungsbehörden gelangt sind und damit im Dunkelfeld blieben.

Diese geringe Informationsdichte ist äußerst problematisch für die Modellprüfung, denn möglicherweise umfassen gerade diese fehlenden Fälle Informationen, die die Hypothesen widerlegen, und/oder legen eine Reihe sozialer Einflussfaktoren auf die Tatbegehung offen, die nicht in dem Erklärungsmodell erwähnt sind. Umgekehrt könnten die Hypothesen aber ebenso Bestätigung finden. Dass vieles bei der Erforschung dieses Gegenstandsbereiches lückenhaft bleibt, ist aber u. a. aufgrund der geringen Aussagebereitschaft der Täter und ihres klandestinen Vorgehens leider kaum zu beheben. Möglich ist es aber, die Fälle, zu denen Angaben vorliegen, mit jenen ohne verfügbare Informationen hinsichtlich ihrer Merkmale zu vergleichen. Bei gravierenden Unterschieden zwischen diesen kann es angebracht sein, die Generalisierbarkeit der Befunde einzuschränken. Ein Vergleich der Taten anhand der Tatliste (siehe Anhang 1 im elektronischen Zusatzmaterial) demonstriert, dass es, abgesehen von einer geringen Informationsdichte Anfang der 2000er Jahre und zu frühzeitig gescheiterten Taten, zumindest was die äußerlichen Merkmale (Gruppen-/Einzeltat, Tatort, Zielobjekt) betrifft, keinerlei bedeutsame Unterschiede zwischen den fehlenden und den vorhandenen Fällen gibt.

Zweitens kann hinterfragt werden, ob die Erkenntnisse aus dieser Studie zu Fällen zwischen 2000–2013 auf aktuelle islamistische Gewalttaten übertragen werden können, vor allem in Anbetracht des stetigen Wandels des Gegenstandsbereiches. Ohne Zweifel wäre es wünschenswert gewesen, aktuelle Fälle zu analysieren. Doch dann besteht die Gefahr, dass man mit vielen inakkuraten Informationen arbeiten muss, die sich zu einem späteren Zeitpunkt als falsch herausstellen (vgl. Sageman 2006, S. 125). Beispielsweise wurde erst nach einigen Jahren bekannt, dass der Attentäter des Berliner Weihnachtsmarktes 2016 Anis Amri kein Einzeltäter war, sondern Mittäter hatte.

Einige neuere Studien deuten darauf hin, dass bei aktuelleren Fällen die direkte Einflussnahme durch Organisationen (in Form von Befehlen oder Überredungen) weniger wird und Gruppen als auch Einzeltäter vermehrt eigenständig agieren (vgl. z. B. Hegghammer & Nesser 2015; Jordan 2014). Die Abnahme dieser direkten Beeinflussungsarten ist vermutlich die Folge des weltweit erhöhten Verfolgungsdrucks auf islamistische Organisationen und der zunehmenden Anti-Terror-Maßnahmen nach dem 11. September 2001 sowie den diversen Anschlägen in Europa (vgl. Crenshaw & LaFree 2017, S. 106; Dechesne 2014, S. 423). Die Möglichkeiten für Organisationen wie Al Qaida, Anschläge zu planen und zu leiten, wurden dadurch massiv eingeschränkt. So wurden z. B. viele europäische Rekruten, die im Ausland von islamistischen Organisationen ausgebildet und von diesen beauftragt wurden, Anschläge in Europa zu verüben, bereits auf der Rückreise in ihre europäischen Heimatländer verhaftet (vgl. Steinberg 2013, S. 22). Dies führte zu einer Strategieerweiterung bei einigen Organisationen, in Form der Nutzung einer Strategie des individuellen Jihads (vgl. z. B. EUROPOL 2012, S. 17 f.; Nesser 2015, S. 253). In Anbetracht dessen gehen verschiedene Wissenschaftler*innen davon aus, dass sich islamistische Organisationen, wie z. B. Al Qaida oder der IS, heutzutage nicht mehr so sehr als planende Hintermänner und Befehlsgeber betätigen, sondern eher die Rolle des Ideengebers einnehmen (vgl. z. B. Böckler & Zick 2015, S. 100; Jordan et al. 2008, S. 24; Steinberg 2013, S. 20 ff.).

Weitere Hinweise auf mögliche Wandlungen der Tatbedingungen erlauben auch die EUROPOL-Berichte zu islamistischen Gewalttaten in Europa im Zeitraum von 2016 bis 2020, denn sie geben einen jährlichen Überblick über mehrere islamistische Terrorismusfälle innerhalb der europäischen Union (vgl. EUROPOL 2017–2021). Eine Durchsicht der hier erwähnten Fälle offenbart, dass direkte Einflussnahmen durch Organisationen, also Befehle und Überredungen, abnehmen und indirekte Beeinflussungen, in Form von Inspirationen im Internet, zunehmen. Es gibt zudem eine Zunahme von Einzeltätern, die eigenständig agieren. Allerdings weisen die Berichte auch darauf hin, dass direkte Beeinflussungen von Organisationen, wie etwa Al Qaida oder dem IS, in vielen Fällen immer noch präsent sind. Zudem zeigen sie, dass Angriffe auf den Islam nach wie vor relevante Motivationsauslöser bei islamistischen Gewalttaten sind. So führte z. B. eine Neuveröffentlichung der Mohammed-Karikaturen in Frankreich im September 2020 zu drei schweren Gewalttaten in dem Land (vgl. EUROPOL 2021, S. 45 f.). Die Resultate decken sich demnach weitestgehend mit den Ergebnissen der vorliegenden Untersuchung.

Auch in meiner Studie zeigt sich gegen Ende des Untersuchungszeitraums ab 2010 ein Einsetzen von indirekten Einflussformen (Aufrufe und Darstellungen in Online-Magazinen), allerdings stellen sie nur eine Minderheit dar. Zu bedenken ist aber, dass Aussagen über zeitliche Entwicklungen aufgrund der Informationslücken mit Vorsicht interpretiert werden müssen.