In diesem Kapitel soll Angst, im Rahmen von operativen Eingriffen und im Speziellen im Vorfeld einer derartigen Prozedur besprochen werden. Dabei sollen sowohl die Definitionen, die Genese, die Auswirkungen und die Messung detailliert betrachtet werden.

1 Angst und ihre Definition(en)

Payk fasst Angst wie folgt zusammen [264]:

„Das Empfinden von Angst […] kennzeichnet einen – unterschiedlich intensiven – unangenehmen und unlustbetonten Gefühlszustand bei Erwartung oder Wahrnehmung tatsächlicher oder vermeintlicher Gefährdung. Typisch ist ein Erleben von Beunruhigung, Beklemmung, Bedrohung und Hilflosigkeit bis hin zum Entsetzen mit begleitenden ängstlichen Phantasien […]. Stets zeigen sich körperliche Begleiterscheinungen in Form vegetativer und hormoneller Stressreaktionen. […] Die frei flottierende (objektlose, generalisierte Angst) ist von der gebundenen (Real)-Angst als Furcht vor realer Bedrohtheit zu unterscheiden (z. B. in Form einer Phobie).“

Bruch definiert Angst folgendermaßen [265]:

„Angst ist ein beengendes, mit vegetativen Erscheinungen verbundenes Unlustgefühl, das entsteht, wenn man einer unüberwindlichen Bedrohung gegenübersteht oder sich diese vorstellt. Im Gegensatz zur Furcht oder Phobie ist sie ein nicht-objektgerichtetes, diffuses, schwer faßbares Gefühl existenzbedrohenden Unheils, dem man gegenübersteht.“

Netter arbeitet ist seinem Artikel „Erklärungsmodelle der Angst aus der Sicht der Biopsychologie und Pharmakopsychologie“ vier Teilaspekte des Angstkonstruktes heraus [266]:

Angst wird zunächst unterteilt in eine Zustandsangst, also eine situative Reaktion auf eine reale oder angenommene Bedrohung, und weiterhin als Eigenschaftsangst, also die Form der Angst, die quasi als charakterliches Merkmal unterschiedlich und hochindividuell ausgeprägt sein kann. Ähnlich wie beim Schmerzempfinden wird davon ausgegangen, dass zumindest die Eigenschaftsangst zu einem großen Anteil genetisch determiniert ist [266].

Eine zusätzliche Unterscheidung ist hilfreich, wenn es um die Differenzierung von gerichteter und ungerichteter Angst geht [266]. Gerichtete Angst bedeutet in diesem Zusammenhang eine reale bzw. mögliche Bedrohung, wohingegen die ungerichtete Angst ohne einen direkten Bezug zu einer Bedrohung zu verstehen ist und treffender als Furcht bezeichnet wird [266].

Als einen dritten Aspekt kommt der Prozesscharakter der Angst hinzu, bei dem die Begrifflichkeiten der proximalen und distalen Antezedenzien sowie der proximalen und distalen Konsequenzen eingeführt werden [266].

Einen vierten und damit letzten Einzelaspekt der Angst sieht Netter in den Angstreaktionskomponenten nach Janke [266]. Janke unterscheidet dabei eine Erlebniskomponente, eine kognitive Komponente, eine Verhaltenskomponente, eine somatische Komponente und eine Ausdruckskomponente und unterstreicht damit einmal mehr den Konstrukt-Charakter der Angst [267].

Die Fragmentierung des Angsterlebnisses in mehrere Teilprozesse bedeutete in der Angstforschung einen wesentlichen Fortschritt, da nun einzelne Komponenten gezielten Interventionen ausgesetzt werden können.

Mit diesen Modellvorstellungen über Angst lässt sich Angst als ein biopsychologisches Konstrukt verstehen. Andere eher psychoanalytisch und tiefenpsychologisch orientierte Modellansätze sollen hier unberücksichtigt bleiben (Tabelle 7.1).

Tabelle 7.1 Komponenten der Angst, [267]

2 Neurobiologie der Angst

Lange bekannt und experimentell gut belegt sind die vegetativen und neuroendokrinen Grundlagen und Auswirkungen von Angst und Furcht [268].

Unterschieden werden kann dabei zum einen eine vegetative und konsekutive neuroendokrine Komponente, die unwillkürlich – repräsentiert durch eine Steigerung der Aktivität des Sympathischen Nervensystems und eine Aktivierung der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden Achse (HHNR) – ausgelöst wird und zu den typischen somatischen Reaktionen bei Angst und Furcht führt [268]. Zum anderen existieren kortikale und subkortikale Verarbeitungsprozesse, die über den sensorischen Input der Sinnesorgane zunächst den Thalamus und dann über thalamo-amygdaläre Bahnen die Amygdala erreichen [268].

Die Amygdala stellt eine zentrale subkortikale Region für Angst- und Furchtreaktionen dar [268]. Sie wird sowohl über den Thalamus und den Hippocampus als auch über neokortikale Afferenzen gespeist [268]. Die Verarbeitung in der Amygdala ist entscheidend für die Weiterleitung an den Hypophysenvorderlappen und die Aktivierung der HHNR-Achse [268]. Darüber hinaus gehen Efferenzen zum Gyrus cinguli, der funktional dem limbischen System zugeordnet wird und zum ventromedialen Frontalkortex gehört [268].

Aus Forschungen an Affen aber auch verhaltensphysiologischen Untersuchungen an Menschen ist bekannt, dass eine bilaterale Zerstörung der Amygdala zur Unfähigkeit führt, Gefahren zu erkennen und darauf entsprechend zu reagieren [269]. Ein Brand oder eine instabile Brücke werden plötzlich nicht mehr als Bedrohung empfunden [269]. Die typische Reaktion von Furcht und das Meiden der Situation treten nicht auf [269]. Dies unterstreicht die erstaunlich mechanistische Generierung von Gefühlen und Emotionen aus neurophysiologischen Prozessen heraus [268].

Die Sympathikusaktivierung wird neurobiologisch auch als Fluchtreaktion beschrieben [268]. Sie diente evolutionär dazu, eine maximale körperliche und geistige Leistungssteigerung zu induzieren, um einer Gefahrensituation erfolgreich entkommen zu können [268]. Dies beinhaltet eine Steigerung der Herzfrequenz, des Herzminutenvolumens und des Blutdrucks [268].

Dafür verantwortlich sind die endogenen Katecholamine Adrenalin und Noradrenalin [268]. Insgesamt wird die Durchblutung des Darms und der inneren Organen zu Gunsten der Muskulatur und des Gehirns reduziert, es findet eine Dilatation der Bronchien statt, um eine bessere Sauerstoffversorgung zu erreichen, die Pupillen erweitern sich, und weiterhin steigert sich die Schweißreaktion, um einer Überwärmung des Organismus zu entgegnen [268]. Glykogenreserven werden mobilisiert und die Glukoneogenese wird gesteigert, mit der Folge eines steigenden Blutzuckerspiegels, um eine eventuelle Muskelaktivität zu ermöglichen [268].

Eine zusätzliche neuroendokrine Reaktion ist die Freisetzung des Adrenokortikotropen Hormons (ACTH) aus dem Hypophysenvorderlappen [268]. Dabei handelt es sich um ein klassisches Stresshormon, das sowohl bei physikalischen als auch bei psychischen Stimuli freigesetzt wird. Da es zudem laborchemisch gut erfassbar ist, wird es in der Stress- und Angstforschung häufig als Surrogatparameter für diese Gefühle verwendet [268].

3 Präoperative Angst im perioperativen Setting

Die Notwendigkeit einer operativen Therapie und im Besonderen die Zeitperiode vor dem avisierten Eingriff stellt für die Präoperative Angst von Patientinnen und Patienten eine besondere Situation dar, mit einer insgesamt hohen Inzidenz von Präoperativer Angst in einer Größenordnung von 60 bis 80 %, unabhängig von der stetigen Weiterentwicklung operativer Therapien und der Operativen Medizin insgesamt [29]. Der Anästhesiologe nimmt in diesem operativ-chirurgischen Therapieprozess eine zentrale Moderatorenrolle ein [87].

Den ersten Kontakt mit dem ‚chirurgischen Patienten‘ hat der Anästhesist in der Regel bei der Prämedikationsvisite, entweder im Patientenzimmer oder häufiger in der Prämedikationsambulanz [67]. Der Besuch des Patienten in dieser Ambulanz und das eigentliche Prämedikationsgespräch sind individuell für den Patienten nicht ‚nur‘ eine Dienst- und Serviceleistung des Narkosearztes; vielmehr nehmen das Prämedikationsgespräch als solches wie auch dessen Zeitpunkt – in der Regel einige Tage vor der operativen Prozedur – eine Schlüsselposition für das Erkennen, Vorbeugen bzw. die Intervention der Präoperativen Angst ein [37, 270]

In Bezug auf die operative Angst besteht eine große Bandbreite, insbesondere in Krankenhäusern der Maximalversorgung mit den unterschiedlichsten medizinischen Konstellationen, Diagnosen und Therapien; angefangen bei der elektiven Exzision eines Lipoms (gutartiger Tumor des Fettgewebes) bis hin zum Ersatz der Aortenklappe in einer mehrstündigen Operation und unter Einsatz der Herzlungenmaschine. Dennoch ist die schiere Größe, Länge und Invasivität der operativen Therapie nicht entscheidend für die Präoperative Angst des Patienten [271–273].

So kann eine Herztransplantation – eine sowohl operativ als auch anästhesiologisch maximal invasive Therapie mit hohen Risiken und vielen möglichen Komplikationen, einer sich anschließenden monatelangen Rekonvaleszenz und einer lebenslangen engmaschigen ärztlichen Betreuung – subjektiv sogar positiv und mit Vorfreude bewertet werden [274]. In diesem Kontinuum der unterschiedlichen subjektiven Einordnung durch den Patienten selbst bewegt sich auch die Dignität eines Tumors. Bei einem malignen Prozess sieht sich der Einzelne unter Umständen einer massiven existenziellen Bedrohung ausgesetzt [275].

So unterschiedlich wie die medizinische Gesamtkonstellation sein kann, so unterschiedlich sind Krankheitswahrnehmung und Coping jedes Einzelnen [276, 277]. Hinzu kommen die offensichtlichen soziodemographischen und intrapersonellen Besonderheiten. Die empfundene Angst ist somit deutlich stärker von der subjektiv empfundenen Bedrohung als dem objektiven Ausmaß der Gefährdung bestimmt [5, 278, 279].

Klassischerweise lässt sich die Präoperative Angst in drei Dimensionen unterteilen; Dony differenziert zwischen Anästhesie- und Operationsängsten sowie sonstigen Ängsten [280].

Anästhesieängste sind im klinischen Alltag weit verbreitet [281]. Die Angst der Patienten, die Narkose könnte nicht tief genug sein und sie würden während der Operation erwachen und Schmerzen erleiden, fällt unter das Phänomen der intraoperativen Awareness [281]. Andersherum gibt es teilweise auch Befürchtungen seitens der Patienten vor einer zu tiefen Narkose und dem nicht mehr Erwachen daraus. Ursprung dieser Ängste ist vermutlich die Abstraktheit der neurobiologischen Wirkungen der Narkose [281]. Selbst in der Anästhesiologie sind die letztendlichen zellulären und elektrophysiologischen Vorgänge, die zur Hypnose des Patienten führen, nicht abschließend geklärt [282, 283].

Die Angst vor dem operativen Eingriff ist, im Gegensatz zur Anästhesieangst, statistisch betrachtet evidenter. Die operationsbedingte Mortalität beträgt z. B. in der Allgemeinchirurgie 6 ‰ [284]. Bei Hochrisikoeingriffen sind noch deutlich höhere Mortalitätsraten zu erwarten. Hingegen ist die anästhesiebedingte Mortalität 100-fach geringer und bewegt sich – im Bereich der Allgemeinchirurgie – um gerade einmal 0,06 ‰ [284].

Trotz dieser klaren Risikoverteilung zwischen anästhesiebedingter und operationsseitiger Mortalität existiert in der täglichen Praxis oft ein irrationales Missverhältnis zwischen der empfundenen Anästhesieangst und der wesentlich wahrscheinlicheren chirurgischen Mortalität [281, 285].

Ein Erklärungsansatz für dieses Phänomen kann das mangelnde Wissen der Patienten über das Fachgebiet der Anästhesiologie als solches und die Aufgaben des Anästhesisten im Speziellen sein [286, 287]. Patienten ordnen die Funktion des Klinischen Anästhesisten während einer Operation als die bloße Erzeugung einer Narkose mit Verlust des Bewusstseins und der Schmerzempfindung ein [73, 77]. Die Tatsache, dass die Induktion und Aufrechterhaltung beispielsweise einer Allgemeinanästhesie nur einen automatisierten Teilprozess darstellen und die Hauptaufgabe in der Behandlung aller operativ bedingter Komplikationen und Beeinträchtigungen (z. B. Blutverlust, Herzrhythmusstörungen, pulmonale und hämodynamische Komplikationen) besteht, ist den meisten Patienten nicht bewusst [56].

Der Klinische Anästhesist ist eher als ein perioperativer Internist und Neurologe zu verstehen, der alle Störungen der relevanten Organsysteme, die durch die operative Prozedur verursacht werden, diagnostiziert und behandelt. Die Patientenedukation über die Rolle des Anästhesisten im Allgemeinen und nicht nur die Aufklärung über die Narkose an sich kann folglich einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, anästhesiespezifische Ängste abzubauen und im besten Fall sogar Angst in ein positives Gefühl verwandeln, dass eine Person zugegen ist, die den Patienten überwacht [73, 74, 288].

Bruch nimmt in seinem Artikel „Die Angst des Menschen vor der Operation“ eine Kondensierung der Kernproblematik vor [289]:

„Allein der Zustand des, ‚Hinausgeworfenseins‘ aus dem täglichen Leben, wie es Matter ausdrückt, darf in seinen seelischen Auswirkungen nicht unterschätzt werden, denn der moderne Mensch begibt sich, wenn er erkrankt und eine chirurgische Klinik aufsuchen muß, von der ihm vertrauten Welt in einen völlig neuen, fremden und ungewissen Raum. Während die vertraute Welt geprägt ist von materiellen Werten wie Leistung, gesellschaftlicher Stellung, Erfolg oder Einkommen, wird der Patient mit einer anderen Welt konfrontiert. Kaum hat sich die Pforte des Krankenhauses hinter dem Eintretenden geschlossen, wird er auf Zustandswerte zurückgeworfen, die den Menschen vergangener Zeiten vertraut waren und als selbstverständlich galten: die Fähigkeit zu leiden, die Kraft, mit Not und Einsamkeit fertigzuwerden oder die Tugend durchzuhalten. Sich Ziele zu setzen, diese zu erstreben und damit im glücklichsten Falle gesund zu werden, waren fest verankert.“

Dieser abstrakten Erklärung von sich entwickelnder Präoperativer Angst stehen aber auch reale und konkrete Einflüsse gegenüber.

Sauer fasst in seinem Buch „Der angstfreie Operationssaal“ diese Einzelfaktoren wie folgt zusammen [290]:

  • Kontrollverlust und Beeinträchtigung der körperlichen Integrität bzw. der Intimsphäre“

    „Gefühl des Ausgeliefertseins und der Abhängigkeit von Anderen, Verlust des Intimabstandes (ggf. teil- und zeitweise Nacktheit), Verbot von Make-up und Schmuck, Zwang zum Verzicht auf Gebiss, Seh- und Hörhilfen, Klaustrophobie (bei bestimmten Eingriffen)“

  • „Körperliches Unwohlsein im Zusammenhang mit dem Eingriff“

    „Schmerzen, Zwang zum regungslosen Stillliegen (insbesondere bei Regionalanästhesien), Hunger und Durst (Nüchternheitsgebot), Langeweile, Frieren (sowohl ‚körperlich‘ als auch ‚seelisch‘)“

  • „Angst vor Begleitumständen und Folgen des Eingriffs“

    Angst vor Schmerzen, Übelkeit und Erbrechen, vor schicksalhaften Diagnosen oder Befunden, postoperativen Beeinträchtigungen (z. B. bei Amputationen) oder Entstellungen, Angst vor dem Misslingen des Eingriffs oder der Narkose“

  • „Externe Faktoren: Beklemmende und ‚stressige‘ Umgebung sowie ungewöhnliches Verhalten der Behandler“

    „Auf reine Funktionalität ausgerichtete Raumgestaltung (Fabrikatmosphäre), ungewohntes Aussehen (Haube und Maske), Verhalten (z. B. Verweigerung des Handschlags) und Sprechen (Verwendung von Fachausdrücken, aber insbesondere auch Streiten untereinander) der an der Behandlung Beteiligten, Lärm und unangenehme – ggf. als bedrohlich assoziierte – Geräusche“

Die physiologischen Auswirkungen dieser Angst werden im Unterkapitel 7.5.1 ausführlich besprochen. Aber auch abseits von hämodynamischen Beeinträchtigungen, einem höheren Risiko von Wundheilungsstörungen und einer verlängerten Rekonvaleszenz ist die alleinige Tatsache, dass Patienten Angst und Furcht erleiden, ein ärztlicher Behandlungsauftrag; Gefühle von Unsicherheit, Furcht und Angst sind quälend und rufen psychisches Leid der Patienten hervor [279, 291].

In einer Untersuchung von Sauer et. al wurden die Stressniveaus von 40 Patienten gemessen, die sich einer Operation im Bereich der Hals-Nasen-Ohrenheilkunde unterzogen [292]. Es stellte sich heraus, dass das Angstniveau eine Stunde vor dem geplanten Operationszeitpunkt deutlich anstieg und seinen Höhepunkt dann in der Narkoseeinleitung, insbesondere bei der Anlage des periphervenösen Katheters und kurz vor Induktion der Anästhesie erreichte [292].

Generell beschreibt eine über das normale Maß hinausgehende Präoperative Angst ein ubiquitäres Phänomen in der Anästhesiologie [273].

Die größte Aufmerksamkeit dieser Thematik widmete die Klinische Anästhesie allerdings viele Jahrzehnte traditionsgemäß nur dem Teilbereich der Kinderanästhesie; dort ist die empirische Forschung schon seit den 1960er Jahren aktiv [293, 294]. Eine Vielzahl medikamentöser Therapien – psycho-pharmakologischen Regimes und galenischen Varianten (intramuskulär, intravenös, bukkal, sublingual, rektal, transdermal, intranasal) – wurden evaluiert [295–297]. Zudem sind wirksame Interventionsstrategien insbesondere mit neobehavioristischen, neuropsychologischen und verhaltenstherapeutischen Ansätzen gesucht worden, mit dem Ziel, eine angstfreie und entspannte perioperative anästhesiologische Versorgung der ‚kleinen‘ Patienten zu ermöglichen [298–301].

Beim Erwachsenen beschränkte sich die Prämedikationsleistung viele Jahre auf die pharmakologische Therapie der somatischen Komponenten der Angst, wie etwa Ein- und Durchschlafstörungen und vegetativ-sympathische Agitiertheit [35, 302]. Psychologische Aspekte sowie die Schulung und Verbesserung von Gesprächsführung und -techniken wurden lange Zeit vernachlässigt, unter der Prämisse, dass die kognitive Angstbewältigung durch den Patienten und die bloße Informationsvermittlung ausreichend seien [30, 87]. Während bei Kindern wie selbstverständlich darauf geachtet wurde, externe Stressoren wie Lautstärke, Kälte und Schmerz zu vermeiden, mit Kuscheltieren und dem Beisein der Eltern im Operationssaal für Ablenkung zu sorgen und vor allem mit einer empathischen und liebevollen Art und Weise auf die Kinder einzugehen, wurde mit den Erwachsenen eher ein technischer und antizipierend vernunftorientierter Umgang gepflegt [303, 304]

Zudem werden die klassischen anxiolytisch wirkenden Benzodiazepine, die viele Jahrzehnte wie selbstverständlich zur Prämedikation verordnet wurden, zunehmend kritischer hinterfragt [305]. Aus der Intensivmedizin kommend, zeigen zahlreiche Studien, dass die Medikamentengruppe der Benzodiazepine ein erhöhtes Risiko für Delir und eine postoperative kognitive Dysfunktion (POCD) mit sich bringen [306, 307]. Zudem haben mit einem Benzodiazepin prämedizierte Patienten einen herabgesetzten Muskeltonus [305]. Das Risiko für Stürze, z. B. beim Aufsuchen der Toilette, ist folglich erhöht [308, 309]. Ein weiteres Problem stellt die paradoxe Reaktion auf eine Benzodiazepingabe dar: Gruppenspezifisch können Benzodiazepine die komplett gegenteilige Wirkung, die eigentlich erwünscht ist, hervorrufen – d. h. der Patient ist agitiert, aggressiv, unruhig und desorientiert [310].

4 Angst und Emotionen im Bereich der Klinischen Anästhesie

Wie im vorangegangenen Abschnitt beschrieben stellt das Prämedikationsgespräch, neben der chirurgischen Indikationsstellung und Aufklärung, einen wichtigen zeitlichen Bezugspunkt der präoperativen Phase dar. Anästhesiespezifische Ängste werden hier im besten Falle gemildert und abgebaut, im schlechtesten Falle aktiviert und verstärkt. Dabei begegnet dem Anästhesisten jedoch nicht ‚nur‘ die Angst, er ist auch mit zahlreichen anderen Emotionen sowie den dazugehörigen körperlichen und verhaltenstypischen Phänotypen konfrontiert, die von Narkoseärztinnen und -ärzten gedeutet werden müssen.

Als konkretes Beispiel sei an einen 20-jährigen männlichen Patienten gedacht. Der erfahrene Anästhesist beobachtet bei diesem eine vordergründig präsentierte Gelassenheit, die auf Grund der extremen Inkongruenz zu Körpersprache, Verhalten und den Vitalparametern eine hohe Zustandsangst vermuten lässt [311]. Auf Grund dessen wird das Verhalten bzw. die medizinische Therapie des Anästhesisten in der Regel adäquat angepasst, da der Einfluss eines hohen Angstniveaus und einer daraus folgenden starken neuronalen Aktiviertheit aus Erfahrung bekannt ist [311, 312].

Besagter Patient benötigt zur Narkoseinduktion, also dem Herstellen einer tiefen Hypnose, wahrscheinlich eine deutlich höhere Dosierung als die Standarddosierung aus dem Lehrbuch [313]. Ein häufig eingesetztes Injektionshypnotikum ist Propofol; eine typische Nebenwirkung ist der teilweise deutliche Injektionsschmerz, ein Brennen [314]. Ohne die eigenen Gedanken in Bezug auf Präoperative Angst und neuronale Aktiviertheit zu rationalisieren, würden viele Anästhesisten bei dem gerade beschriebenen Patienten zum einen eine deutlich höhere Dosierung wählen und eine Aggravierung der Angst vor und während des Einschlafens vermeiden, indem z. B. der Injektionsschmerz durch Behandlung mit einem Lokalanästhetikum, das die Venenwand betäubt, reduziert bzw. gänzlich ausgeschaltet wird [315].

Der Anästhesist hat demnach mehrere implizite Schlüsse aus den emotionalen Reaktionen des Patienten gezogen. Er hat die demographischen Charakteristika des Patienten zur Risikostratifizierung benutzt, eine Prädisposition für Präoperative Angst angenommen und diese durch die Beurteilung von körperlichen und psychischen Variablen verifiziert. Therapeutisch wurden zusätzliche Stressoren wie der Injektionsschmerz von Propofol reduziert und die Dosierung des Einleitungshypnotikums wurde erhöht.

Wie komplex die Auswirkungen von Angst und Emotionen auf den Behandlungsverlauf und die Nebenwirkungen einer Narkose teilweise sind, zeigt eine Übersichtsarbeit von Huppe et al. [312]. Im Rahmen der prä-, intra- und postoperativen Phase haben die Gefühlslage und Emotionen der Patientinnen und Patienten konkrete Auswirkungen auf beispielsweise den Bedarf an Hypnotikum während der Narkoseeinleitung, die Aufenthaltsdauer im Aufwachraum und den Analgetikabedarf (Tabelle 7.2).

Tabelle 7.2 Einfluss von Emotionen in der Klinischen Anästhesie, modifiziert nach [312]

5 Präoperative Angst und ihre Folgen

“After adjusting for potential confounders, high preoperative anxiety was remained independently predictive of postoperative mortality or major morbidity (odds ratio 5.1, 95 % confidence interval 1.3 to 20.2; p = 0.02). In conclusion, although high levels of anxiety were present in few patients anticipating cardiac surgery, this conferred a strong and independent heightened risk of mortality or major morbidity.” [6]

Obiges Zitat stammt aus einer Studie, die im Jahr 2013 durchgeführt wurde, um den Einfluss der Präoperativen Angst auf die Mortalität und Morbidität von herzchirurgischen Patienten zu untersuchen [6]. Dabei wurden fast 150 Patienten eingeschlossen und die Autoren fanden bei dem Vorliegen einer erhöhten Präoperativen Angst mehr Komplikationen und eine höhere Wahrscheinlichkeit des Versterbens [6].

Viele Studien und ihre Ergebnisse bezüglich Stress Response, induziert durch Präoperative Angst, zeigen die weitreichenden und größtenteils negativen Auswirkungen für die chirurgischen Patienten [316]. Im Weiteren werden die klinisch-pathophysiologischen und sozialmedizinischen Folgen besprochen.

5.1 Klinisch-pathophysiologische Folgen

Die neuroendokrinen und humoralen Reaktionen bei Angst wurden bereits im Abschnitt ‚Neurobiologie der Angst‘ angesprochen (siehe Unterkapitel 7.2). Vertiefend sollen nun die konkreten klinischen Auswirkungen näher betrachtet werden.

Zunächst sind die durch den erhöhten Sympathikotonus hervorgerufenen Nebenwirkungen von Angst zu nennen [317]. Eine erhöhte Herzfrequenz und ein gesteigerter Blutdruck führen gerade bei kardial vorbelasteten Patienten zu einem erhöhten Risiko von kardialen Ischämien, einem perioperativen Herzinfarkt oder Schlaganfall [318]. Patienten, die an Gefäßaussackungen, sogenannten Aneurysmata, die meistens die Aorta oder intrakranielle Blutgefäße betreffen, leiden, haben bei einem extensiv erhöhten Blutdruck ein Risiko der Gefäßruptur, die mit einer hohen Mortalität verknüpft ist [319, 320].

Schon seit vielen Jahren ist bekannt, dass erhöhte Kortisolspiegel, ein durch die Angstreaktion ausgeschüttetes Glukokortikoid, negative Auswirkungen auf die Immunfunktion der Patienten haben [321, 322]. Erhöhte Kortisolspiegel wirken immunsuppressiv und können unter Umständen zur Folge haben, dass bei einem onkologischen Eingriff Mikrometastasen weniger effektiv vom körpereigenen Immunsystem eliminiert werden [321, 322]. Generell birgt die Stress Response, u. a. verursacht durch Präoperative Angst und das operative Trauma, ein erhöhtes Risiko für postoperative Infektionen, Neoplasien und Metastasisierungen [321, 322].

Weitere relevante pathophysiologische Korrelate einer erhöhten präoperativen Stressantwort – nämlich erhöhte Kortisol- und Katecholaminspiegel – führen zu einer vermehrten Resistenz gegenüber Insulin und damit zu einem steigenden Blutglukosespiegel [323]. Der Eintritt einer katabolen Stoffwechsellage wird begünstigt, was direkte Auswirkungen auf die postoperative Wundheilung hat [323].

ACTH und Kortisol haben des Weiteren Auswirkungen auf das Renin-Angiotension-Aldosteron-System (RAAS). Diese Hormonachse übernimmt wesentliche Funktionen im Wasser- und Elektrolythaushalt [324]. Negative Folgen sind die Wasserretention und die Ausbildung von Ödemen. Auch hierdurch entstehen diverse ungünstige Effekte; so wird beispielsweise das kardiovaskuläre System vermehrt belastet und bei Einlagerung von Wasser in Körpergewebe verschlechtert sich zudem die Wundheilung [325].

Gut untersucht sind die Effekte der Präoperativen Angst auf den postoperativen Schmerzverlauf [37]. Sowohl die maximale Schmerzstärke als auch die Länge und Ausprägung des Schmerzes werden durch eine verstärkte Präoperative Angst direkt beeinflusst, so z. B. gezeigt in einer Studie an operativ versorgten Patienten in der Hals-Nasen-Ohrenheilkunde [326]. Interessant ist eine prospektive Studie an über 1000 Patientinnen, die sich einem Kaiserschnitt unterzogen [327]. Patientinnen mit einem präoperativ erhöhten Angstniveau hatten dabei postoperativ verstärkte Schmerzen [327].

Insgesamt betrachtet lassen sich eindeutige klinische Auswirkungen der Präoperativen Angst auf das Outcome der Patienten feststellen. Tangiert werden davon die hämodynamische Stabilität, die Immunfunktion, die Wundheilung und der postoperative Schmerz.

5.2 Sozialmedizinische Folgen

Die rein körperlichen Auswirkungen von vermehrter Präoperativer Angst bringen auch sozialmedizinische Konsequenzen mit sich. Dabei lassen sich zwei Zieldimensionen ausmachen: Dort, wo der Patient postoperative Komplikationen in Form von Wundheilungsstörungen, postoperativen Schmerzen und Kreislaufinstabilität erleidet, steigt dementsprechend auch die Krankenhausverweildauer; dies verursacht Kosten und erhöht konsekutiv abermals das Risiko von weiteren postoperativen Komplikationen [37, 328, 329]. Der Krankenhausaufenthalt selbst stellt einen eigenen Risikofaktor dar, z. B. für die Infektion mit multiresistenten Keimen oder die Entwicklung einer Thrombose [330, 331].

In einer Studie aus dem Jahr 2016 wurden die direkt verursachten Kosten durch postoperativ bedingte Komplikationen auf Grund von vermehrter Präoperativer Angst untersucht [332]. Präoperative Angst wurde als ein Prädiktor für postoperative Komplikationen erkannt und die dadurch entstandenen Kosten bei Patienten, die eine Knieendoprothese erhielten, wurden auf über 3400 Dollar beziffert [332].

Postoperative Komplikationen bewirken zudem Unzufriedenheit seitens der Patienten und oftmals auch einen Vertrauensverlust in den behandelnden Arzt [333]. Das Arzt-Patienten-Verhältnis wird unter Umständen geschädigt und im schlimmsten Fall verschlechtert sich die Compliance der Patienten im Hinblick auf die operative Nachsorge und Therapie, was wiederum neue Komplikationen zur Folge haben kann [333, 334].

6 Messung der Präoperativen Angst

Die Untersuchung der präoperativen Befindlichkeit und die Objektivierung von relevanter Präoperativer Angst ist angesichts der negativen Auswirkungen von Angst im Kontext einer operativen Therapie, wie zuvor geschildert, verständlich.

Aufregung im Vorfeld einer Operation bzw. einer Narkose ist als ein normales Verhalten zu bezeichnen. Gemeint ist hier allerdings ein Angstlevel, das über das normale Maß hinaus erhöht ist, mit sowohl psychischen als auch physischen negativen Folgen für die Patientinnen und Patienten. An diesem Punkt gestaltet es sich jedoch schwierig, objektive, reliable und valide Daten zu erheben. Surrogatparameter wie Blutdruck, Herzfrequenz und Hautwiderstand sind zu stark beeinflusst, interindividuell hochvariabel und nicht skalierbar, um reproduzierbar einen ‚Angstwert‘ korrelieren zu können [335]. Kortisol- und ACTH-Spiegel werden im experimentellen Setting häufig angewandt, erweisen sich in der klinischen Praxis aber nicht als hilfreich; die erfassbaren Komponenten der Angst liegen im somatischen, verbalen und psychischen Bereich [336–338].

Bei der Messung von Präoperativer Angst sind psychometrische Testbatterien der Goldstandard [339, 340]. Testtheoretisch werden hier Verfahren der Selbst- und der Fremdbeurteilung unterschieden [312]. Während Fremdbeurteilungsverfahren den äußeren Zustand wie etwa Mimik, Gestik und verbale Äußerungen erfassen, zielt der Selbstbeurteilungsansatz auf den inneren Zustand des Patienten ab [312]. Beide Verfahren weisen Limitationen auf und sollen nachfolgend detaillierter betrachtet werden [312].

6.1 Fremdbeurteilungsverfahren

Im Rahmen von Fremdbeurteilungsverfahren wird der Patient von extern beurteilt. In der Regel sind das im operativen Umfeld sowohl die Stationspflege, häufiger aber die Anästhesiepflege und der behandelnde Anästhesist [341]. In den meisten Fällen wird dabei die Angst nur am Rande mituntersucht. Vielmehr werden Surrogatparameter wie die Sedierungstiefe und somatische Größen wie Blutdruck, Muskeltonus, Zittern, Mundtrockenheit und Schweißbildung eingeschlossen, weil diese objektiv und relativ einfach messbar sind [41, 342].

Ein Beispiel für ein breit angewendetes Instrument zur Messung der Sedierungstiefe ist der Ramsay Score [343]. Hierbei handelt es sich um ein ursprünglich aus der Intensivmedizin kommendes Instrument, das anhand des Verhaltens der Patienten einen Punktwert und ein Sedierungsniveau vergibt [343]. Die Sedierungstiefe ist dabei aber nur ein Teilaspekt und hat mit Präoperativer Angst im engen Sinne auch nichts zu tun. Vielmehr wird impliziert, dass ein entspannt wirkender und müder Patient kein pathologisches Angstlevel haben könne [312]. Dass dieser Rückschluss nicht immer so einfach getroffen werden kann, wird im nächsten Abschnitt beleuchtet.

Fremdbeurteilungsverfahren von Angst kommen größtenteils bei Patienten zum Einsatz, die sich nicht adäquat äußern können, beispielsweise bei Kleinkindern, Notfall- und Intensivpatienten [312, 344].

6.2 Probleme der Fremdbeurteilungsverfahren

Die Fremdbeurteilung des Angstniveaus der Patienten durch den Anästhesisten ist jedoch ein Verfahren, das ungenau und mit großer Varianz behaftet ist [312]. Erschwerend hinzu kommt die Problematik, dass geeignete Instrumente und Skalen bei adulten Patienten fehlen. Die implizite Generierung eines vermuteten Angstlevels durch die Beobachtung von Mimik sowie hämodynamischen und vegetativen Parametern führt nicht zu objektiven und reliablen Werten von Angst [312].

Schlussendlich ist die direkte Frage nach der empfundenen Angst als das effektivste Mittel zu bezeichnen, wobei auch hier unterschiedliche Charaktere und Persönlichkeiten der entsprechenden Patienten dazu führen können, dass die Antwort unter Umständen nicht eindeutig ist [312]. Aus dem klinischen Alltag ist der Patiententyp bekannt, der angibt, keine Angst zu haben, wobei der Anästhesist aus der Fremdbeurteilung heraus durchaus ein erhöhtes Stress- und Angstlevel vermutet.

Eine Schwierigkeit besteht auch in der Fokussierung von Anästhesiologen auf den Sedierungsgrad und Schmerzen [345, 346]. Anästhesisten lernen im Laufe ihres Berufslebens, im Sinne einer Fremdbeurteilung Schmerzintensitäten und den Grad der Sediertheit von Patienten einzuschätzen und diese in numerische Skalen zu übertragen [312]. Da Anästhesisten jedoch keine psychiatrische und psychologische Zusatzausbildung aufweisen, ist die Diagnostik von Angst, Angststörungen und Depressionen nicht deren Kernkompetenz. Vielmehr wird häufig der Grad der Sedierung als Analogon zum Angstniveau gewertet [312]. Ein ruhiger, sedierter Patient hat nach dieser Sichtweise auch keine Angst.

Als klassisches Beispiel wird hierzu in der Literatur häufig der ‚Thalamonal-Irrtum‘ angeführt [347]. Thalamonal war ein Kombinationspräparat aus einem starken Schmerzmittel (Fentanyl) und einem Neuroleptikum (Droperidol), das insbesondere in den 1980er Jahren häufig als Prämedikation eingesetzt wurde [348, 349]. Die Ratio dahinter bestand darin, eine präemptive Analgesie und eine Beruhigung vor der Operation zu bewirken. Die Patienten wirkten in der Einleitung ruhig, schläfrig und teilnahmslos. Der innerliche Zustand der Patienten war jedoch gegensätzlich: Die Patienten verspürten starke Ängste, Panik und Furcht, die teilweise in einer Flucht aus der Narkoseeinleitung mündeten [347]. Diese extreme Inkongruenz von extern beobachteter Ruhe und Gelassenheit des Patienten und der vom Patienten tatsächlich empfundenen Emotion ist ein Hinweis darauf, dass innerer und äußerer Zustand nicht zwangsläufig gleich sein müssen [347].

6.3 Selbstbeurteilungsverfahren

Selbstbeurteilungsverfahren im Kontext von Angst und Depression bilden in der Psychologie und Psychiatrie die am häufigsten eingesetzten Verfahren [350]. Sie erfassen in Form von Fragebögen (z. B. dem State Trait Anxiety Inventory von Spielberger (STAI) oder visuellen Analogskalen (ein- oder mehrdimensional) die Qualität und Quantität von Angst [312, 351].

Psychometrische Verfahren können valide und reliabel Angst und pathologische Angstzustände ermitteln [312]. Das präoperative Setting – ein in der Einleitung liegender Patient, teilweise pharmakologisch sediert, ohne Hilfsmittel wie Brille oder Hörgerät – schränkt jedoch auf Grund der Praktikabilität die Länge und Ausführlichkeit der Instrumente ein [5, 279, 312]. Zudem sind die zeitlichen Abläufe in der Operativen Medizin eng getaktet. Daher wurden für die psychometrische Erfassung von Präoperativer Angst im perioperativen Umfeld angepasste Instrumente benötigt [312].

Das oben angesprochene State Trait Anxiety Inventory ist seit den 1970er Jahren im Einsatz und diskriminiert Angst als Zustand (state) und Eigenschaft (trait) [352]. Insbesondere das Trait-Konzept, welches die Ängstlichkeit als Persönlichkeitsmerkmal postuliert ist die Basis für viele nachfolgend entwickelte Selbstbeurteilungsinstrumente der Angst gewesen [353]. Mit einer Itemanzahl von 20 wird eine Bearbeitungszeit von fünf bis zehn Minuten geplant [312].

Bei der Multiple Affect Adjective Check List (MAACL) handelt es sich um ein Instrument, das mehrdimensional Angst, Depression und Feinseligkeit untersucht [354]. Mit 132 Items und einer veranschlagten Bearbeitungszeit von bis zu 20 Minuten ist das MAACL eher für den Einsatz im Rahmen wissenschaftlicher Studien sinnvoll [312].

Die Visuelle Analogoskala (VAS) ist demgegenüber ein eindimensionales, semiquantitatives und zeitökonomisches Verfahren zur Ermittlung von Empfindungen, wie u. a. Schmerz, Erregung oder Angst [355]. Ein differenzierte Betrachtung der Angst ist methodisch mit diesem Instrument nicht möglich. Die Einfachheit und schnelle Durchführbarkeit werden allgemein als Vorteile betrachtet [312].

Die nachfolgende Tabelle listet Instrumente, nach dem Selbstbeurteilungsprinzip, zur Angstmessung, im Rahmen von Studien, mit Bezug zur Anästhesiologie auf (Tabelle 7.3).

Tabelle 7.3 Selbstbeurteilungsverfahren zur Erfassung von Angst im Kontext der Anästhesiologie. (Eigene Darstellung, modif. nach [312])

6.4 Probleme der Selbstbeurteilungsverfahren

Hüppe bringt die Grundproblematik bei Selbstbeurteilungsverfahren zur Erfassung von Angst aus methodischer Sicht wie folgt auf den Punkt [356]:

„Selbstbeurteilungsverfahren haben das grundsätzliche Problem, daß sie willentlich ‚verfälschbar‘ sind. Möglicherweise reflektieren sie nur das aktuelle Selbstbild der Patienten. Selbstbeurteilungsverfahren setzen außerdem einen Grad an Kooperationsbereitschaft und Leistungsfähigkeit voraus, der nicht bei allen Patienten gegeben sein muß. Weiteres Problem ist, daß Antworttendenzen (‚response-sets‘) auftreten können, die auch von demographischen Variablen (z. B. Alter) abhängen.“

Der ideale Test zur Erfassung von pathologischen Angstzuständen sollte im Bereich der Klinischen Anästhesie praktikabel, also kurzweilig und breit anwendbar sein und den testtheoretischen Gütekriterien entsprechen [312]. Insbesondere muss der Test eine zufriedenstellende Validität aufweisen. Dies ist deshalb von Bedeutung, da die Patienten im Bereich der Anästhesie und vor dem Beginn der Narkose häufig schon eine medikamentöse Prämedikation erhalten haben [357]. Ein Test zur Erfassung der Präoperativen Angst muss Sedierung und Angst klar voneinander trennen können [312, 337]. Ansonsten entsteht der Trugschluss, einen angstfreien Patienten zu haben, der in Wirklichkeit ‚nur‘ sediert aber trotzdem ein hohes Angstniveau aufweist.

Ein Selbstbeurteilungsverfahren, das spezifisch für die Bedürfnisse der Klinischen Anästhesie und der Präoperativen Angst entwickelt wurde und zudem den Besonderheiten der präoperativen Situation angepasst ist, wird im nächsten Abschnitt vorgestellt.

6.5 Amsterdam Preoperative Anxiety and Information Scale (APAIS)

Die erstmals 1996 von der niederländischen Arbeitsgruppe um Moerman vorgestellte Amsterdam Preoperative Anxiety and Information Scale (APAIS) besteht aus vier Fragen zu Art und Ausmaß der Präoperativen Angst und zwei Fragen zum präoperativen Informationsbedürfnis [7]. Es handelt sich dabei um ein Messinstrument, das mit geringstem Zeitaufwand eine Identifizierung besonderer Risikopatienten erlaubt, die einer intensiveren Zuwendung bedürfen. Das psychometrische Instrument besteht aus zwei Einzelskalen, zum einen der Angst-Skala und zum anderen der Informations-Skala [7].

Ziel war es ein Instrument zu entwickeln, das Präoperative Angst erfassen kann und dabei den Anforderungen des perioperativen Settings besser Rechnung trägt als die bisher etablierten Verfahren, die zu lang und zu aufwendig waren, um sie tatsächlich klinisch außerhalb einer Studie einsetzen zu können [7].

Für die Entwicklung und Überprüfung des neuen Instrumentes wurden in der initialen Studie 320 Patienten eingeschlossen [7]. Als Vergleichsmaßstab zur APAIS wurde der Goldstandard zur Messung von Angst, das Stait-Trait Angstinventar nach Spielberger (STAI), herangezogen. Sowohl die Konstrukt- als auch die Kriteriumsvalidität – der APAI-Skala – wiesen akzeptable Werte auf [7]. Die Reliabilität der beiden Einzelskalen erreichten dabei Cronbachs Alpha Werte von 0,86 (Angstskala) bzw. 0,68 (Informationsskala) [7].

Für die ursprünglich in Niederländisch publizierte Amsterdam Preoperative Anxiety and Information Scale wurde 2002 die englische Version validiert und eingeführt; die deutschsprachige Version wurde 2007 veröffentlicht [358, 359]. Die Autoren Berth et al. testeten die deutsche Fassung an 68 Patienten. Dabei konnte die Zwei-Komponenten-Struktur – Angst- und Informationsbedürfnis – in der Faktorenanalyse bestätigt werden und es ließ sich eine hervorragende Reliabilität beider Skalen messen, mit Cronbachs-Alpha-Werten von 0,92 bzw. 0,86 [359] (Tabelle 7.4).

Tabelle 7.4 Fragen der englischen und deutschen Version der APAIS, modif. nach [358, 359]

6.5.1 Klinische Anwendung der deutschen Version der APAIS

Neben zahlreichen Anwendungen der englischen Version der APAIS ist die deutsche Version, die erst 2007 validiert wurde, bisher nur in acht PubMed-gelisteten Studien eingesetzt worden (Stand April 2021). Immerhin konnten in allen Studien zusammen über 3900 Patienten eingeschlossen werden, wobei die veröffentlichten Studien von Aust et al. bzw. Eberhardt et al. aus den Jahren 2016, 2018 und 2020 auf dieselbe Datenerhebung zurückgreifen [273, 276, 360].

In einer Studie aus dem Jahre 2011 von Goebel et al. wurde die deutsche Version des APAI Instrumentes erstmals in einer klinischen Studie zur Präoperativen Angst bei neurochirurgischen Patienten angewendet [361]. Im Gegensatz zur Originalpublikation von Moerman et al., wo eine Zwei-Faktoren-Struktur aus Angst und Informationsbedürfnis postuliert wird, finden die Autoren der Studie eine Drei-Faktoren-Struktur bestehend aus Chirurgie-assoziierter und Anästhesie-assoziierter Angst, als jeweils eigenständige Faktoren und dem Informationsbedürfnis [361]. In dieser Studie überwog die Chirurgie-assoziierte im Vergleich zur Anästhesie-assoziierten Angst [361].

In einer Studie von Laufenberg-Feldmann et al. sollte Präoperative Angst bei chirurgischen Patienten und mögliche Einflussgröße auf diese gefunden werden [362]. Die Autoren konnten eine Korrelation von Präoperativer Angst und der Eingriffsgröße feststellen [362].

2016 veröffentlichte die Arbeitsgruppe um Laufenberg-Feldmann eine Studie bei urologisch-chirurgischen Patienten [363]. In dieser Arbeit wurde der APAI Fragebogen ebenfalls eingesetzt diesmal aber zusammen mit einem weiteren psychometrischen Instrument zur Angstmessung der State-Trait Operation Anxiety Scale (STOA-S) [363]. Die Angstwerte des APAIS und der STOA-S korrelierten signifikant miteinander [363]. Der Cutt-off-Wert für die Einstufung zu einem Angstfall lag hier bei ≥ 12 [363].

In der zahlenmäßig am größten angelegten Studie von Aust et al. wurde das Coping-Verhalten chirurgischer Patienten in Bezug auf ihr Angstniveau untersucht [276]. Dabei wurde zur Messung der Angst das APAI Instrument und zwei visuelle Analogskalen zur Messung der Anästhesie-assoziierten und Chirurgie-assoziierten Angst eingesetzt und es zeigte sich eine signifikante und hohe Korrelation zwischen beiden Testinstrumenten [276].

Insgesamt finden alle deutschen Arbeitsgruppen beim Einsatz der deutschsprachigen APAI Skala übereinstimmend hohe Cronbachs Alpha Werte zwischen 0,81 und 0,94. In den Studien wo das APAI Instrument mit anderen Testverfahren gleichzeitig zur Anwendung kam zeigte sich eine signifikante Korrelation der Summenscores.

Methodisch wird von den Autoren die einfache, kurze und zeiteffektive Anwendung des Instrumentes hervorgehoben (Tabelle 7.5).

Tabelle 7.5 Studien mit der deutschen Version der APAIS. (Eigene Darstellung)

6.5.2 Kritische Bewertung der APAIS

Auffällig waren zunächst die niedrigeren Angstwerte von Männern gegenüber Frauen bei Anwendung des Instrumentes [273, 359, 360]. Ob diese Tatsache durch divergierende geschlechtsspezifische Coping-Stile erklärt werden kann und ob diese Ergebnisse mit dem perioperativen Outcome zu korrelieren sind, muss in künftiger Forschung eruiert werden. Die Evaluierung des Testverfahrens mit Hilfe des State Trait Anxiety Inventory (STAI) nach Spielberger ergab eine hohe Korrelation für die Angst und eine geringe Korrelation für die Informations-Skala [7, 358].

Als Screeningmethode zum Erfassen von präoperativen ‚Angstfällen‘ wurde ein erreichter Zahlenwert von ≥ 11 als Grenzwert mit hinreichender Sensitivität und Spezifität festgelegt [7, 29].

Die in der Originalpublikation von Moerman et al. postulierte Zwei-Faktoren-Struktur aus ‚Allgemeiner Angst‘ und ‚Informationsbedürfnis‘ ließ eine Unterscheidung zwischen anästhesie- und chirurgierelevanter Angst nicht zu, sodass die Präoperative Angst eher diffus als auf bestimmte Inhalte fokussiert verstanden werden musste [7]. In einer Studie an neurochirurgischen Patienten erbrachte die Faktorenanalyse jedoch eine Drei-Faktoren-Lösung, bei der eine Unterscheidung in anästhesie- und chirurgiebezogene Angst vorgenommen werden konnte [361].

Zusammenfassend haben aktuelle Studien belegt, dass die APAI-Skala ein zeitökonomisches und effektives Instrument darstellt, um Angstpatienten im Setting der Anästhesiologie recht spezifisch zu detektieren. Es liegen mittlerweile zahlreiche Studien vor, die die APAI-Skala erfolgreich für empirisch-klinische Fragestellungen eingesetzt haben, u. a. in Bereichen der Neurochirurgie, Urologie, Ophthalmologie und Klinischen Anästhesie [30, 361, 363, 365].