1 Historische Einordnung

Patientenzufriedenheit ist in den letzten Jahren immer mehr in den Fokus der Forschung gerückt [105]. War am Anfang der Entwicklung die Patientenzufriedenheit nur ein Surrogat-Parameter für ökonomische und Outcome-relevante Größen, ist sie heute Forschungsgegenstand und Prämisse ihrer selbst wegen [106]. Neben einer qualitativ hochwertigen Therapie und Behandlung stellt sie ein Hauptziel der Leistungserbringer im deutschen Gesundheitssystem dar [4, 107].

Die folgende Grafik gibt einen Überblick über die bei Pubmed gelisteten Veröffentlichungen bei Eingabe des Suchbegriffs ‚patient satisfaction‘ (Suchparameter: „patient satisfaction“[MeSH Terms] OR („patient“[All Fields] AND „satisfaction“[All Fields]) OR „patient satisfaction“[All Fields]) (Abbildung 6.1):

Abbildung 6.1
figure 1

(Eigene Abb.)

Anzahl der Publikationen bei Eingabe des Suchbegriffs „patient satisfaction“.

In den 1950er Jahren finden sich erste wissenschaftliche Veröffentlichungen, die sich mit diesem Thema beschäftigen. Thematisiert werden dabei Fragen der Effizienz in der Versorgung aber auch die Beziehung von medizinischem Personal – anfänglich insbesondere der Mitarbeiter der Pflege – zum Patienten [108].

Doch nicht nur das Verhältnis zwischen Patienten und Pflege wird zunehmend beleuchtet, sondern auch die Arzt-Patienten-Beziehung ist mehr und mehr Gegenstand der Forschung; paternalistisch geprägte Beziehungsmodelle werden indes kritischer gesehen [109].

In den 1960er und 1970er Jahren schreitet die Entwicklung der Medizinischen Soziologie als ein eigenständiges Fachgebiet voran. Der Qualitätsbegriff hält auch im medizinischen Setting Einzug und Donabedian entwickelt in seiner Milestone-Arbeit die Konstrukte der Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität [110]. Bei Donabedian bezeichnet die Patientenzufriedenheit bereits einen wesentlichen Teilaspekt der Ergebnisqualität medizinischer Leistungen [110].

Anfang der 1980er Jahre nimmt besonders die ökonomisch getriggerte Forschung bezüglich der Patientenzufriedenheit zu. Im angloamerikanischen Sprachraum wird der Patient zunehmend auch als Kunde betrachtet [111]. Betriebswirtschaftliche Konstrukte wie Kundenbindung und Kundenzufriedenheit werden auf den Patienten übertragen [112]. Die empirische Soziologie liefert Instrumente und Fragebögen zur systematischen Erfassung der Patientenzufriedenheit [113].

In den 1990er Jahren lässt sich ein Trend hin zur systematischen Erfassung der Zufriedenheit der Patienten erkennen. Die empirische Forschung versucht, die Patientenzufriedenheit in allen medizinischen Leistungsbereichen zu messen [114]. Das sich entwickelnde Qualitätsmanagement in deutschen Kliniken führt Management-Tools ein, um diese Zufriedenheit aktiv positiv beeinflussen zu können [115]. Insgesamt ändert sich das Arzt-Patienten-Verhältnis allmählich von einer durch benevolenten Paternalismus geprägten Beziehungsstruktur hin zu einem partizipativen Entscheidungsmodell [116].

In den 2000er und 2010er Jahren nimmt die Patientensicherheit besonders auch in der Anästhesiologie einen großen Stellenwert ein [117]. Der zunehmende Konkurrenzdruck der Leistungserbringer und die deutlich sichtbare Ökonomisierung – als große Zäsur die Einführung des Fallpauschalensystems in Deutschland – machen die Patientenzufriedenheit und deren Messung wichtig für das erfolgreiche Bestehen am Gesundheitsmarkt [107]. Der Gesetzgeber setzt gezielt Anreize, um die Rolle des Patienten hin zu einer Kundenrolle mit allen Rechten zu stärken [118, 119].

2 Patientenzufriedenheit und ihre Definition(en)

Ähnlich wie bei der Definition des Qualitätsbegriffes in der Medizin wird nach Recherche und Studium der Literatur deutlich, wie vielfältig und uneinheitlich die Definitionen des Begriffes Patientenzufriedenheit ausfallen, in Abhängigkeit davon, aus welchem wissenschaftlichen Kontext diese betrachtet werden [120]. Eine allgemeingültige Definition kann es daher nicht geben. Nichtsdestoweniger muss festgehalten werden, was Patientenzufriedenheit im Detail bedeutet.

In einer Arbeit von Neubauer und Porst beschäftigen sich die Autoren ausführlich mit der wissenschaftlichen Einordnung des Konstruktes ‚Patientenzufriedenheit‘ innerhalb der wissenschaftlichen Community [105].

Die Autoren stellen ihrer Analyse folgende Definition von Zufriedenheit voran [121]:

„Zufriedenheit wird im Allgemeinen als emotionale Reaktion auf das Ergebnis eines kognitiven Soll-/Ist-Vergleichs bezeichnet. Diesem Vergleich liegt die Bewertung der subjektiv wahrgenommenen Anbieterleistung (Istzustand) gegenüber einer erwarteten Leistung (Sollzustand) zugrunde. Dieser Vergleich hat entweder eine Bestätigung oder eine Nichtbestätigung als Ergebnis, woraus sich der Grad der Zufriedenheit determiniert.“

Der Gesundheitswissenschaftler Karl Blum entwickelt folgende Definition [122]:

„Patientenzufriedenheit ist ein multidimensionaler Begriff, der verschiedene Aspekte und Komponenten des Versorgungsprozesses betrifft und zugleich bestimmt wird von keineswegs einheitlichen Maßstäben, die Patienten an ihre Behandlung anlegen. Obwohl ihre Erwartungen weitgehend vom ‚medizinischen System‘ selbst […] geprägt werden, variieren sie je nach Individuum, Situation, Versorgungsbedarf – alle Patienten wollen zu Recht gute Qualität, aber worin sie besteht und worauf es dabei ankommt, ist nicht für alle gleich […].“

Kontrovers und vielfältig gestalten sich hingegen die Einflussfaktoren auf das Ergebnis des Soll-Ist-Vergleiches [123, 124]. Erwartungen an ein- und dieselbe Behandlung können mitunter grundverschieden sein, sodass der direkte Vergleich zwischen Erwartung und Ist-Zustand unterschiedlich ausfallen kann [125].

Weiterhin ist Gegenstand der Diskussion, welche Variablen und Einflussgrößen – unter der Prämisse eines konstanten Behandlungsergebnisses – den Grad der Zufriedenheit beeinflussen [126]. Es wird eruiert, welche Faktoren die Erwartungshaltung der Patientinnen und Patienten beeinflussen und wie diese gewichtet sind [127].

Es wird kontrovers beurteilt, ob sozidemographische Faktoren wie Alter, Geschlecht, Ausbildungsstand und Vorerfahrungen mit medizinischen Behandlungen Störgrößen für die originäre Zufriedenheit darstellen oder obligate Komponenten der Patientenzufriedenheit sind [126, 128]. So vertreten die Autoren Hall und Dornan die Auffassung, dass eine Studie, die nur geringe Einflüsse soziodemographischer Faktoren auf die Zufriedenheit feststellt, wertiger sei als Studien, die starke Einflüsse finden [126].

Die Patientenzufriedenheit auf einen reinen Soll-Ist-Vergleich zu kondensieren scheint nach Studienlage nicht sinnvoll zu sein [129]. Ein objektiv schlecht bzw. falsch behandelter Patient müsse nicht unbedingt unzufrieden sein und im Gegenzug müsse ein nach objektiven Gesichtspunkten tadellos therapierter Patient nicht zwangsläufig hoch zufrieden sein [130].

3 Patientenzufriedenheit und ihre Ursprünge

In der Zusammenschau wird die Genese oder vielmehr das theoretische Fundament der Patientenzufriedenheit ersichtlich. Es handelt sich dabei keineswegs um einen originären und selbständig entwickelten Begriff der Gesundheitswissenschaften; vielmehr sind Grundgedanken und theoretische Überlegungen zur Patientenzufriedenheit auf die Arbeitszufriedenheit und die Kundenzufriedenheit zurückzuführen [131, 132].

Die Anfänge der Kundenzufriedenheitsforschung fasst Bösener komprimiert zusammen [133]:

„Erste Forschungsbeiträge zur Kundenzufriedenheit finden sich bereits in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts (z. B. Cardozo, 1965), in deren Folge mit zahlreichen Arbeiten (z. B. Anderson, 1973; Czepiel & Rosenberg, 1977; Fornell, 1992; Oliver, 1977; Oliver, 1981; Olshavsky & Miller, 1972) der Grundstein für die Kundenzufriedenheitsforschung als wesentlichem Element im Marketing geschaffen wurde. Das zunächst rein kognitiv geprägte Konstrukt erfuhr in den darauffolgenden Jahren eine sukzessive Erweiterung um affektive Elemente (z. B. Oliver, 1993; Westbrook, 1987). Aus dieser Berücksichtigung affektiver Komponenten resultierte schließlich – stark geprägt durch den Beitrag von Oliver et al. (Oliver et al., 1997) – das Konstrukt Kundenbegeisterung, welches vor allem in den vergangenen Jahren vermehrt in den Fokus wissenschaftlicher Arbeiten rückte (Bartl et al. 2013; Finn, 2005, 2012; Wang, 2011).“

Ein Modell, das sich gerade in der Ökonomie zur Erklärung von Kundenzufriedenheit etabliert hat, ist das sogenannte Konfirmations-Diskonfirmations-Paradigma, das häufig als C/D-Paradigma abgekürzt wird [134]. Da dieses Modell zusammen mit dem ServQual-Modell (Service Quality) nach Parasuraman auch die theoretische Basis der durchgeführten Studie bildet, wird auf beide Modelle in diesem Kapitel explizit eingegangen [135].

Die Ursprünge der Entwicklung des Konstruktes der Patientenzufriedenheit sind aus drei Einzelströmungen erwachsen:

  1. 1.

    (Medizin-)Soziologie

    Die Beschäftigung mit der Rolle des Patienten, seinen Bedürfnissen und deren Einfluss auf den Therapieprozess ist zweifelsohne eine soziologisch intendierte Sichtweise. Die sich Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelnde Medizinsoziologie beschäftige sich gezielt mit Fragen der Interaktion der Beteiligten im Gesundheitswesen und deren Einflüssen auf die Salutogenese [136]. Die Rolle des Patienten im Krankheits- und Heilungsprozess wurde dabei systematisch untersucht, wobei der Forschung im Bereich der Compliance eine Schlüsselrolle zugesprochen wurde [137]. Hier konnten direkte Auswirkungen des Verhaltens von Patienten auf den Therapieerfolg beobachtet werden [138].

  2. 2.

    Medizinische Psychologie

    Auch die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Arzt-Patienten-Beziehung sowie der Arzt-Patienten-Kommunikation beleuchtete das Thema der Patientenzufriedenheit [139]. Ursprünglich geprägte paternalistisch-autoritäre Kommunikationsstrukturen zwischen Arzt und Patient sprachen den Bedürfnissen, Wünschen und Sorgen der Patienten keine Bedeutung zu [140]. Gesellschaftlich verursachte Änderungen der Rollenbilder – sowohl von Ärzten als auch von Patienten – sorgten für alternative Kommunikationsstrukturen und Beziehungsmodelle [140]. Eine Assoziation mit erhöhter Patientenzufriedenheit wurde gezogen [141]. Partizipative Beziehungsmodelle und ‚Shared Decision Making‘ wurden intensiv auf ihre Auswirkungen bezüglich des Outcomes und der Patientenzufriedenheit untersucht [142].

  3. 3.

    (Gesundheits-)Ökonomie

    Einen Anteil an der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Thema Patientenzufriedenheit haben auch die Wirtschaftswissenschaften. Dabei konnten schon vorhandene Theorien und Ergebnisse der Kundenforschung auf den Patienten übertragen werden, was teilweise kontrovers diskutiert wurde [112, 143]. Aber auch Forschungen im Bereich der Qualität und des Qualitätsmanagements stammen ursprünglich aus der Betriebswirtschaftslehre [144]. Messinstrumente für Patientenzufriedenheit wurden originär aus der ökonomischen Forschung abgeleitet und für den medizinischen Bereich modifiziert [145].

Erst Anfang der 1990er Jahre entwickelte sich in Deutschland mit dem Sektor Public Health ein eigenständiges Fachgebiet, das aus der interdisziplinären Arbeitsweise heraus (soziologisch, psychologisch, gesundheitsökonomisch, politologisch) die Patientenzufriedenheit multimodal und differenziert betrachten [146]. Auswirkungen durch eine Änderung auf der Makroebene werden bis zur direkten Arzt-Patienten-Interaktion im Bereich der Versorgungsforschung untersucht [147, 148].

Das Fachgebiet Public Health schließt damit die ursprünglichen Einzelströmungen ein, wobei der ökonomische Aspekt weiterhin einen eigenen Schwerpunkt bildet, der am ehesten dem Fachbereich der Gesundheitsökonomie zuzuordnen ist [149]. Dieser Bereich beschäftigt sich vornehmlich mit Kosten-Nutzen-Rechnungen und den Auswirkungen der Patientenzufriedenheit auf betriebswirtschaftliche Parameter [150].

3.1 Modell nach Bruggemann

Mitte der 1970er Jahre entwickelte Agnes Bruggemann ein differenziertes Modell zur Zufriedenheit von Arbeitern, dessen grundlegendes Element ein Soll-Ist-Vergleich ist [151]. Dabei beinhaltet das ‚Soll‘ die individuellen Wünsche und Erwartungen und das ‚Ist‘ die vorgefundene Realität. Von besonderem Interesse sind dahingehend die von Bruggemann in sechs unterschiedliche Zufriedenheitszustände differenzierten Folgen einer Differenz des Soll-Ist-Vergleiches [152] (Abbildung 6.2).

Abbildung 6.2
figure 2

(Eigene Darstellung, modifiziert nach [152])

Zufriedenheitszustände von Arbeitern.

Das zentrale Element dieses Modells zur Erklärung von Zufriedenheit und Unzufriedenheit bildet der Soll-Ist-Abgleich. Nicht in der Grafik aufgezeigt ist der Mechanismus, der nach diesem Soll-Ist-Abgleich nach Bruggemann eintritt. Das Anspruchsniveau des Individuums wird aufrechterhalten, gesenkt oder erhöht, was dann zu Zufriedenheit bzw. Unzufriedenheit und konsekutiv zu sechs verschiedenen Phänotypen der Zufriedenheit führt [153].

Das Modell nach Bruggemann steht exemplarisch für eine Vielzahl weiterer theoretischer Überlegungen zur Erklärung von Zufriedenheit. Das auf motivationstheoretischen Annahmen basierende Zwei-Faktoren-Modell von Herzberg sowie das Modell von Porter und Lawler sind weitere Beispiele [154, 155].

Klar wird, dass die Aufarbeitung grundlegender Aspekte und Prozesse der Zufriedenheitsentstehung ihre Wurzeln u. a. in der Forschung zur Arbeitszufriedenheit hat.

3.2 Konfirmations-Diskonfirmations-Paradigma

Basis dieses kognitiv geprägten Modells, das in den 1980er Jahren maßgeblich von Oliver entwickelt wurde, ist der Soll-Ist-Vergleich [156]. Ex-ante – also vor dem eigentlichen Kontakt mit der Dienstleistung bzw. dem Konsumgut – besteht eine Erwartungshaltung seitens des Kunden, wie die Dienstleistung bzw. das Produkt sein sollten [156]. Dass das ‚Soll‘ eine relevante Größe darstellt, scheint nachvollziehbar. Wie das Anspruchsniveau eines Kunden beschaffen ist bzw. wodurch es sich verändert, bildet eine wissenschaftliche Fragestellung für sich.

Bösener identifiziert in ihrer ausführlichen Analyse des C/D-Paradigmas hinsichtlich der Erwartungen – also dem ‚Soll‘ – zwei Typen [157]:

  • Prädiktive Erwartungen

  • Normative Erwartungen

Des Weiteren unterscheidet sie bei der prädiktiven Erwartung zwei Ausprägungsformen: das antizipierbare Leistungsniveau, das darauf beruht, dass der Konsument bereits Erfahrungen mit dem Anbieter bzw. dem Produkt gesammelt hat und dessen Erwartungshaltung dadurch beeinflusst ist; und das wahrscheinliche Leistungsniveau, das eine noch konkretere Ausgestaltung des antizipierbaren Leistungsniveaus darstellt [157].

Hinsichtlich der normativen Erwartungen existieren ebenfalls unterschiedliche Ausprägungen, die ein unterschiedliches Erwartungsniveau hervorrufen können [157].

Insgesamt betrachtet bietet die Erwartungshaltung einen großen Freiraum für individuelle Maßstäbe, wobei gleichzeitig eine gewisse wiederkehrende Struktur in der Forschung beobachtet wird, die zu den gerade angerissenen Eingruppierungen führt.

Bösener fasst zusammen [158]:

„Die Vielzahl an möglichen Vergleichsstandards, die ein Kunde zur Beurteilung einer Leistung heranziehen kann, ist mit einigen Problemen verbunden (Stauss, 1999, S. 7). Sofern verschiedene Studien unterschiedliche Vergleichsstandards zugrunde legen, sind die Ergebnisse nicht vergleichbar. Wird die Erwartungskomponente nicht direkt gemessen, bleibt darüber hinaus ungeklärt, welchen Erwartungstyp der jeweilige Kunde als Vergleichsstandard zugrunde gelegt hat, was wiederum die Interpretation der Ergebnisse erschwert. Daher wird mittlerweile weitestgehend darauf verzichtet, die Vergleichsstandards direkt zu messen und vielmehr unterstellt, dass die Bewertung der Leistung die Erwartungen in verarbeiteter Form bereits enthält (Faullant, 2007, S. 23).“

Bruhn systematisiert die in der Literatur vorkommenden unterschiedlichen Erwartungstypologien folgendermaßen [159]:

  • Reine Annahme über das Niveau der Servicequalität („Forecasted Performance“)

  • Gewünschtes Niveau der Servicequalität („Desired Performance“)

  • Angemessenes Niveau der Servicequalität („Equitable Performance“)

  • Mindestniveau der Servicequalität („Minimum Performance“)

  • Idealniveau der Servicequalität („Ideal Performance“)

  • Ausdruck der Wichtigkeit dieser Dimension der Servicequalität für den Kunden („Service Attribute Importance“)

Um den Soll-Ist-Vergleich zu komplettieren, kommt nun die ‚Ist-Komponente‘ hinzu. Dabei handelt es sich um die wahrgenommene Realität, die jedoch keine objektive Größe darstellt [157]. ‚Wahrgenommen‘ impliziert den subjektiven Charakter, der durch vielfältige kognitive und psychologische Prozesse verändert werden kann [157]. Die objektive Güte einer Leistung oder eines Produktes kann somit in unterschiedlich wahrgenommenen Ist-Niveaus bei den Konsumenten resultieren [157].

4 Patientenzufriedenheit und ihre Abstraktion in Modellen

In einer Literaturübersicht zum Thema Patientenzufriedenhit von Neugebauer & Porst wird insbesondere auf zwei Primärquellen abgestellt, die, nach Meinung der Autoren, das theoretische Fundament der Patientenzufriedenheit sind [105].

In der Arbeit von Wüthrich-Schneider wird eine Klassifikation der theoretischen Modelle zur Patientenzufriedenheit in fünf Kategorien vorgeschlagen und näher erläutert [160]:

  1. 1.

    Soziale Vergleichstheorie

    Mit diesem Modellansatz wird pointiert, dass sich die Zufriedenheit einer Person maßgeblich aus dem Vergleich mit anderen Individuen und Personengruppen rekrutiert. Dabei gibt es zwei maßgebliche Mechanismen. Zum einen kann der direkte Vergleich mit Personen unternommen werden, denen es schlechter geht als einem selbst. Dieser sogenannte ‚abwärtsgerichtete Vergleich‘ bewirkt bei der Person eine Zufriedenheit, weil es ihr im Vergleich zur Bezugsperson gleich gut bzw. sogar besser geht. So kann z. B. trotz einer ungünstigen Diagnose die Erkenntnis beim Erkrankten erwachsen, dass andere mit der gleichen Erkrankung aber in einem weniger leistungsfähigen Gesundheitssystem schlechtere Heilungschancen haben. Folgerichtig existiert auch ein ‚aufwärtsgerichteter Vergleich‘. Bei diesem wird gezielt ein Vergleich zu einer Person gesucht, die im entsprechenden Merkmal bevorteilt ist. Hierbei sucht sich ein Erkrankter klassischerweise Patienten mit der gleichen Erkrankung, die aber bereits eine erfolgreiche Therapie absolviert haben. Diese dienen ihm dann geradezu als Ansporn und Motivation, die eigene Situation zu bewältigen und zufriedener zu sein (vgl. [160]).

  2. 2.

    Adaptationstheorie

    Hierbei wird Zufriedenheit mit einer konkreten Situation in Beziehung zu bereits Erlebtem gesetzt. Der Maßstab, an dem sich die Zufriedenheit in einer aktuellen Situation ausrichtet und bemisst, entsteht aus den eigenen Vorerfahrungen und Erinnerungen. Im Gegensatz zum Modell des ‚Sozialen Vergleiches‘ bestimmt hier allein die psychische Konstitution das Ergebnis des Vergleichsprozesses zwischen Vergangenheit und Erlebtem. Ein Aspekt dieser Theorie legt nahe, dass die negativen Ausreißer in der medizinischen Behandlungsqualität umso relativer eingeschätzt werden (im Sinne eines Gewöhnungseffektes), je mehr ein Patient in seinem Leben schon erlebt hat. Tatsächlich kann in vielen empirischen Studien festgestellt werden, dass ältere Patienten generell eine höhere Zufriedenheit im medizinischen Bereich angeben als jüngere Patienten (vgl. [160]).

  3. 3.

    Anspruchsniveautheorie

    Dieses Modell geht davon aus, dass Zufriedenheit die Differenz aus Erwartung und Ergebnis ist. Was aus anderen angloamerikanischen Modellen als der Soll-Ist-Vergleich bekannt ist, wird bei Wüthrich-Schneider mit dem Begriff Anspruchsniveau belegt. So einfach und mathematisch dieses Modell ist, so schwierig gestaltet sich die Beantwortung der Frage, welche Faktoren das Anspruchsniveau jedes einzelnen Patienten beeinflussen. Schlussendlich bestimmt in diesem Modell die Höhe des Anspruchs die Zufriedenheit entscheidend. Da das Behandlungsergebnis in seinem Erreichungsgrad nicht mehr fehlerfrei bzw. optimal sein kann, erlangt die Höhe des Anspruchsniveaus signifikanten Einfluss auf den Zufriedenheitsgrad. Je niedriger das Anspruchsniveau des Patienten, desto höher ist die potenzielle Zufriedenheit mit dem Erlebten – vorausgesetzt, das Behandlungsergebnis ist akzeptabel (vgl. [160]).

  4. 4.

    Kompetenztheoretischer Ansatz

    Kompetenz beinhaltet bei diesem Ansatz die Fähigkeit des Patienten, in seinem Behandlungsprozess eine aktive Mitgestaltung zu erleben und selbst agieren zu können. Die Zufriedenheit steigt demnach mit dem Gefühl des Patienten, nicht nur passiv Duldender zu sein, sondern seine Situation mitbeeinflussen zu können. Diese Form der Zufriedenheitsgenese ist bekannt aus dem Bereich des ‚Shared Decision Making‘ (vgl. [160]).

  5. 5.

    Kognitive Dissonanztheorie

    Bei diesem sozialpsychologischen Ansatz sorgt ein Widerspruch zwischen Erwartungen und der tatsächlichen Realität für intrapersonale Spannungen. Werden Wünsche und Erwartungen des Patienten überhaupt nicht oder nur unzureichend in der realen Situation befriedigt, kann dies in einer psychischen und physischen Erregung resultieren, die Unzufriedenheit bedingen kann. Trotz dieser banal anmutenden Aussage erweist sich das theoretische Konstrukt hinter diesem Modell als weitreichend. Die Inkongruenz zwischen Erwartungen und der tatsächlichen Situation ist, wie zu vermuten, prinzipiell mit negativen Folgen assoziiert. Dies muss aber nicht zwangsläufig der Fall sein, da im Modell der ‚Kognitiven Dissonanz‘ auch vielfältig beschriebene ‚Konfliktlösungsstrategien‘ existieren. So ist beispielsweise eine Verknüpfung zur Anspruchsniveautheorie möglich, da bei einer starken Inkongruenz zwischen den Wünschen des Patienten und der realen Situation eine mögliche Konfliktlösung darin bestehen könnte, unterbewusst die Ansprüche zu senken. Neben diesem Mechanismus besteht zudem die Möglichkeit einer selektiveren Wahrnehmung, die die ‚Missstände‘ dadurch geringfügiger erscheinen lässt. Insgesamt sollte mit diesen kurzen Ausführungen deutlich werden, dass ein Ungleichgewicht zwischen Erwartung und Realität nicht obligat auch eine verminderte Zufriedenheit bewirken muss (vgl. [160]).

Nach Blum werden die vorhandenen theoretischen Konstrukte zur Patientenzufriedenheit grundlegend in zwei Kategorien unterteilt [161]:

  1. 1.

    Evaluationsmodell

  2. 2.

    Diskrepanzmodell

Die beiden Modelle sollen im Rahmen dieser Arbeit kurz erläutert werden [161]:

Nach dem Evaluationsmodell ist eine medizinische Behandlung oder Prozedur negativ oder positiv bewertet. Diese Bewertung bezieht sich alleinig auf die ‚Ist-Komponente‘. Der entscheidende Unterschied zum Diskrepanzmodell besteht im nicht vorhandenen Einbezug der ‚Soll-Komponente‘ und genau dieser Fakt stellt einen Problembereich dar, da das Anspruchsniveau des Patienten nicht berücksichtigt wird bei der Messung und individuell unterschiedlich ausfallen kann (vgl. [161]).

Das Diskrepanzmodell erinnert an das C/D-Modell der Kundenzufriedenheit. Der Autor nuanciert hier insbesondere die ‚behandlungsunabhängigen Erwartungen‘ (Soll-Komponente) und deren Übereinstimmungsgrad mit der wahrgenommenen Leistung (Ist-Komponente) (vgl. [161]).

Differenziert unterteilt der Autor die Soll-Komponente in drei Einzelaspekte [162]:

  • Erwartung

  • Anspruch

  • Wert

Unter Erwartung wird die subjektiv empfundene Wahrscheinlichkeit verstanden, ein bestimmtes Qualitätsniveau der Behandlung/Intervention auch zu erreichen. Der Terminus Anspruch wird als die subjektiv gewünschte Qualität eines Einzelaspektes der medizinischen Behandlung definiert. Der Wert priorisiert die einzelnen Behandlungsaspekte nach ihrer Wichtigkeit (vgl. [162]).

Diese qualitativen Einzeldimensionen der Ist-Komponente sind durchaus nachvollziehbar und erwähnenswert. Eine empirische Relevanz oder gar Messung scheint jedoch nicht möglich zu sein. Vielmehr gibt der Autor zu verstehen, dass das Individuum die Soll-Komponente in einem fließenden Prozess unterbewusst verändert, weshalb diese nicht losgelöst von der Ist-Komponente zu sehen ist. Vielmehr findet eine wechselseitige Beeinflussung beider Komponenten statt (vgl. [162]).

Die Ist-Komponente kann durch eine modifizierte Wahrnehmung auch im Nachhinein noch anders ausfallen und die Soll-Komponente ist ebenfalls durch retrograde Prozessierung nach Wahrnehmung der Ist-Komponente veränderbar. Hier kommen nach der Theorie Mechanismen der Kognitiven Dissonanz, der Anspruchsniveautheorie und der Adaptationstheorie zum Tragen, die zuvor schon beschrieben wurden (vgl. [162]).

Der Aspekt ‚Wert‘ steht für eine Hierarchie der Wichtigkeit der Einzelkomponenten der Qualität und potenziert die möglichen Ergebnisse des Soll-Ist-Vergleiches. Eine hohe Diskrepanz zwischen Soll- und Ist-Komponente muss demnach nicht zu einer am Ende niedrigen Gesamtzufriedenheit führen, wenn es sich um einen Aspekt mit geringer Wichtigkeit für den Patienten handelt. Andersherum kann schon eine kleine Abweichung des Soll- vom Ist-Wert in einem schlechten Zufriedenheitsergebnis resultieren, wenn es sich dabei um einen für den Patienten zentralen Qualitätsbaustein der medizinischen Gesamtleistung handelt (vgl. [162]).

5 Mehrdimensionalität der Patientenzufriedenheit

Dass die Patientenzufriedenheit nicht mit einer einzigen Theorie allumfassend beschrieben werden kann, ist bereits deutlich geworden. In den vorangegangenen Abschnitten hat sich gezeigt, dass das theoretische Fundament zur Erklärung von Patientenzufriedenheit – aus unterschiedlichsten Wissenschaftsrichtungen kommend – ebenfalls vielfältig, unterschiedlich und teilweise auch synergistisch ist. Eine einheitliche, allumfassende Theorie der Patientenzufriedenheit existiert nicht (siehe Unterkap. 6.3, 6.4).

Mit einem Blick auf die psychologisch, soziologisch und behavioristisch nuancierten Erklärungsmodelle lassen sich viele nachvollziehbare und sich teilweise ergänzende Erklärungsansätze erkennen [160]. Empirisch nahezu unmöglich zu erfassen sind die intrapsychischen Verarbeitungsvorgänge, die unbewusst und individuell ablaufend das Zufriedenheitsurteil maßgeblich mitbestimmen [105].

Der Ansatz ist daher, die externen Einflussfaktoren der erlebten Zufriedenheit der Patienten zu ermitteln [163]. Bei dieser Frage ist es entscheidend, zu klären, ob sich durch Studien ermittelte verlässliche abhängige Einflussfaktoren identifizieren lassen, die statistisch betrachtet in ihrer Gesamtheit eine akzeptable Varianz zur Erklärung von Zufriedenheit bzw. Unzufriedenheit bieten [19].

In den 1980er Jahren fand erstmals die systematische Erforschung von Einflussgrößen auf die Patientenzufriedenheit statt [164, 165]. Hall et al. beschäftigen sich mit der hauptsächlich empirisch gestützten Ermittlung von abhängigen Variablen für die Zufriedenheit von Patientinnen und Patienten [165].

Die Arbeitsgruppe Hall & Dornan führte eine Metaanalyse durch, die 221 Studien zum Thema Patientenzufriedenheit mit medizinischen Leistungserbringern und den mutmaßlichen Einflussgrößen einschloss [165]. Davon analysieren 107 Studien mindestens zwei (oder auch mehrere) Variablen hinsichtlich ihres Einflusses auf die Zufriedenheit mit insgesamt über 150.000 eingeschlossenen Patienten [165]. Als Ergebnis der Metaanalyse werden zwölf Dimensionen identifiziert, die statistisch gesehen einen Einfluss auf die Gesamtzufriedenheit der Patienten haben [165]. In dem korrespondierenden Ranking nach der Häufigkeit der Nennung in den Studien sind Dimensionen wie Menschlichkeit, Informationsgehalt und Kompetenz auf den vorderen Plätzen zu finden [165]. Damit wurde erstmalig ein Grundgerüst von möglichen Größen aufgestellt, die die Zufriedenheit beeinflussen können.

2009 veröffentlichten Santuzzi et al. eine Fragebogenstudie, bei der im Jahr 2006 über 1400 Fragebögen zur Patientenzufriedenheit per E-Mail verschickt wurden, wovon schlussendlich 446 Fragebögen (Rücklaufquote 30 %) mit über 1000 Kommentaren ausgewertet werden konnten [166]. Aus dieser Einzelstudie konnten zehn Parameter, die Einfluss auf die Patientenzufriedenheit haben, abgeleitet werden [166] (Tabelle 6.1).

Tabelle 6.1 Einflussgrößen auf die Patientenzufriedenheit.

Neben den von Hall & Dornan erstmals publizierten Einflussgrößen beschäftigten sich Santuzzi et al. auch mit der Frage, welche Rolle die Arzt-Patienten-Interkation in Bezug auf das Zufriedenheitserlebnis der Patienten spielt [165, 166]. Dies stellt neben den sozioökonomischen Einflussfaktoren eine neue Dimensionsklasse dar, die die direkte Interaktion zwischen Arzt und Patient bzw. Pflege und Patient betrifft [166].

Exkurs

Wie tiefgründig von der psychologisch-soziologischen Warte aus diese Fragestellung sein kann, soll an dem nachfolgenden Beispiel einer weiteren Studie von Hall et al. verdeutlicht werden [167]:

Mittels Videoaufnahmen und einer Patientenbefragung wurden das patientenzentrierte Interaktionsverhalten von männlichen und weiblichen Ärzten sowie dessen Auswirkungen auf die Zufriedenheit der Patienten untersucht. Dabei wurden 71 Medizinerinnen und Mediziner und 497 Patienten eingeschlossen. Die erste, nicht unerwartete Feststellung bestand darin, dass Ärztinnen häufiger patientenzentrierte Interaktionsmuster anwendeten als ihre männlichen Kollegen. Weiterhin stieg die Patientenzufriedenheit mit dem Maß an patientenorientierter Interaktion, Empathiebereitschaft und Partizipation. Ein überraschendes Ergebnis lieferte indes der direkte Vergleich von männlichen und weiblichen Medizinern, die eine patientenzentrierte Kommunikations- und Interaktionsform anwendeten, und deren direktem Einfluss auf die Zufriedenheit der Patienten. Was bei der weiblichen Kollegin nur zu einer minimalen Verbesserung der Zufriedenheitswerte führte, wurde bei dem männlichen Kollegen mit einer deutlichen Steigerung der Patientenzufriedenheit honoriert.

Bei weiblichen Medizinerinnen wurde von den Patienten ein empathisches und patientenorientiertes Interaktionsmuster antizipiert und demnach die Erfüllung der Erwartung nicht sonderlich wertgeschätzt, wohingegen der männliche Arzt mit seinem patientenzentrierten Zugang eine entscheidende Verbesserung der Patientenzufriedenheit erreichen konnte.

Anhand dieses Exkurses wird deutlich, dass hinsichtlich der empirischen und testtheoretischen Erfassung aller einflusshabenden Variablen auf die Zufriedenheit Grenzen bestehen, die zahlenmäßig und statistisch nicht sauber erfasst werden können. Hall & Dornan und Santuzzi et. al haben durch ihr quantitatives bzw. qualitatives Studiendesign brauchbare Einflussgrößen der Patientenzufriedenheit zur Disposition gestellt [165, 166].

Um das Bild noch zu erweitern, werden im Folgenden die Ergebnisse der sogenannten Picker-Befragung aus dem Jahr 2013 hinzugenommen [168]. Es handelt sich dabei um eine systematische postalische Befragung, die 2013 über 111.000 Patienten einschloss (Abbildung 6.3).

Abbildung 6.3
figure 3

(Eigene Abb., modif. nach [168])

Picker-Report aus dem Jahr 2013.

Zusätzlich zu den bisher bekannten Einflussvariablen auf die Zufriedenheit liefert der Picker-Report neue Einflussgrößen auf die Patientenzufriedenheit [168].

In Bezug auf die testtheoretischen Gütekriterien stellt der Picker-Report aus dem Jahr 2013 ein valides und reliables Instrument dar und ist mit über 110.000 eingeschlossenen Patienten, bis dato, eine der größten Patientenbefragungen [168]. Er hilft zudem mit seiner Aktualität und seiner auf Deutschland ausgerichteten Erhebung ein Bild zu generieren, welches ein realistischeres Umfeld des deutschen Gesundheitswesens und des deutschen Patienten inkludiert. Seit der Metanalyse von Hall & Dornan, aus den 1988er Jahren und mit Daten aus den USA, hat sich die Struktur des Gesundheitssystems, u. a. Vergütung, Trend zur Ökonomisierung, aber auch das Rollenverständnis von Patientinnen und Patienten und die Arzt-Patienten-Beziehung deutlich verändert [169].

Die Publikationen von Hall & Dornan und Santuzzi et al. stellen in ihrem Umfang und ihrer methodischen Güte zwei herausragende Publikationen dar, die quantitativ bzw. qualitativ, Patientenzufriedenheit als ein zusammengesetztes Konstrukt verstehen und die Einzelkomponenten empirisch belegen wollen [165, 166]. Die Daten von Hall & Dornan sind allerdings nicht als aktuell zu bezeichnen; sie stammen aus den 1980er Jahren. Dieser Umstand stellt nicht per se ein Qualitätsdefizit dar, zeigt aber, dass bezüglich der grundlagenwissenschaftlichen Durchdringung von Patientenzufriedenheit in den letzten 30 Jahren kaum neue Erkenntnisse hervorgebracht wurden.

In der Metaanalyse von Hall & Dornan fällt die hohe Anzahl von über 150.000 eingeschossenen Patientinnen und Patienten auf [170]. In der Fragebogenstudie von Santuzzi et al. sind es immerhin über 440 Fragebögen, mit über 1000 Freitextkommentaren, die ausgewertet werden konnten [166]. Die Rücklaufquote ist mit 30 % eher schwach, der Ansatz ein qualitativer [166].

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass durch verschiedene Studien, seit den 1980er Jahren, zahlreiche Einflussgrößen auf die Patientenzufriedenheit ermittelt wurden; die theoretische Grundlage ist hauptsächlich das Diskonfirmationsparadigma mit einem Abgleich von Erwartung und Erlebten (Soll-Ist-Vergleich).

In jedem Fall können zwei Ebenen unterschieden werden: zum einen das theoretische Modell, das zur Erklärung der Genese von Patientenzufriedenheit postuliert wird, und zum anderen das Messinstrument, also in der Regel der Fragebogen, der bei angenommener Validität und Reliabilität Zufriedenheit in Zahlenwerten ausdrücken soll. Was die Messbarkeit anbetrifft entziehen sich per definitionem intrapsychische Vorgänge der direkten Überprüfung. Aber auch personenbezogene Variablen, bspw. sozioökonomische Größen, bedingen ein Problem für die objektive Erfassung der Patientenzufriedenheit, sind deren Einflüsse auf die Zufriedenheitsgenese bei den Patientinnen und Patienten behandlungs- und einrichtungsunabhängig [106, 171]. Zudem stellt sich die Frage, ob jeder Einzelfaktor, der eine Rolle bei der Patientenzufriedenheit spielt, tatsächlich erfasst werden muss, um die reale Zufriedenheit ermitteln zu können.

Beginnend mit den Einflussfaktoren auf die Zufriedenheit ist es an dieser Stelle jedoch essenziell, eine Systematik von Kategorien und Termini zu etablieren, um bei der Vielzahl an möglichen Einflussfaktoren eine zu kleinteilige und unvollständige Argumentation zu vermeiden.

Der Autor Blum extrahiert und kategorisiert, aus der bis dato vorhanden Literatur, acht Qualitätsdimensionen [161]:

  • Technische Versorgungsqualität

  • Psychosoziale Versorgungsqualität

  • Organisation und Infrastruktur

  • Räumlich-technische Ausstattung

  • Behandlungsergebnis

  • Versorgungskontinuität

  • Finanzierung

  • Verfügbarkeit

Neugebauer & Porst schlagen eine dreiteilige Kategorisierung vor [105]:

  • Pflegerische Betreuung

  • Ärztliche Betreuung

  • „Hotelleistungen“

Im Gesamtüberblick der Studien von Hall & Dornan, Santuzzi et al. und den Arbeiten von Blum und Neugebauer & Porst erweist sich eine Unterscheidung in extrinsische und intrinsische Faktoren auf die Patientenzufriedenheit als eine sinnvolle Vereinfachung [105, 166, 167] (Abbildung 6.4):

Abbildung 6.4
figure 4

(Eigene Abb.)

Einflussfaktoren der Patientenzufriedenheit.

5.1 Extrinsische Faktoren

Die extrinsischen Faktoren auf die Patientenzufriedenheit sollen im Folgenden weiter erläutert und systematisiert werden. Gemeint sind damit, aus rein definitorischer Perspektive, alle Einflussgrößen, die unabhängig vom und außerhalb des Individuums zu finden sind. Diese Einflussgrößen sind i. d. R. objektiv, z. B. durch Kennzahlen und Qualitätsindikatoren, messbar [172]. Ein weiteres Kriterium ist die Beeinflussbarkeit dieser Faktoren durch den Leistungserbringer, in Abgrenzung zu den nicht-veränderbaren intrinsischen Einflussgrößen. Der Autor Blum verwendet u. a. die Begrifflichkeiten „technische“ und „psychosoziale Versorgungsqualität“, die in dieser Arbeit als Kategorien der zweiten Gliederungsebene von extrinsischen Einflussfaktoren vorgeschlagen werden [161].

Der Ausdruck ‚technische Qualität‘ soll im Modell dieses Werkes zu dem Terminus ‚technisch-funktionale Qualität‘ erweitert werden [161]. Bei dem Begriff ‚funktionale Qualität‘ handelt es sich um einen Fachbegriff aus den Wirtschaftswissenschaften, der sich auf die Art und Weise der Dienstleistungserstellung bezieht und u. a. die fachliche Kompetenz und Höflichkeit des Personals inkludiert [173]. Inhaltlich liegen die technische Qualität, bspw. das Behandlungsergebnis, und der funktionale Aspekt, wie die Leistung erbracht wurde, nah beieinander. In Bezug auf Donabedian wäre die Entsprechung der technischen Qualität am ehesten die Struktur-, Ergebnisqualität und die funktionale Qualität am ehesten die Prozessqualität [110].

Die technisch-funktionale Qualität ist in der nachfolgenden Abbildung in medizinische, pflegerische, organisatorische, logistische Einzeldimensionen separiert; die baulich-technische Ausstattung und sogenannte Hotelleistungen – ein Bezug zu Neugebauer & Porst – werden ebenfalls dieser Kategorie zugeordnet (Abbildung 6.5) [105]. In der konkreten Ausprägung sind damit u. a. ärztliche und pflegerische Fachkompetenz, Wartezeiten, Aufnahme-, Entlassprozess Zugänglichkeit und Erreichbarkeit, technische Ausstattung, Modernität, Unterbringung und Essen gemeint.

Die Begrifflichkeit der psychosozialen Qualität beinhaltet alle Interaktionsprozesse des Personals mit dem Patienten, das Auftreten und das Einfühlungsvermögen, allerdings nur auf der Seite des Personals, weil Empathie und emotionale Kompetenz, bezogen auf den Patienten, einen intrinsischen Faktor darstellen würden [161].

Unter Berücksichtigung der Studien von Hall & Dornan, Santuzzi et al. und den Arbeiten von Blum, Neugebauer & Porst und dem Picker-Report, aus den im vorangegangenen Abschnitt erörterten Einzeldimensionen der Qualität, wird die nachfolgende Kategorisierung in dieser Arbeit verwendet [105, 166, 167]:

Der Mehrwert ist die, bei der Vielzahl an vorhandenen Einflussfaktoren, mögliche Vereinfachung und Standardisierung der Begrifflichkeiten, unabhängig davon, ob in der dritten Gliederungsebene noch weitere Faktoren, je nach Studie und Messinstrument, eingeordnet werden könnten. Daher sind insbesondere die der technisch-funktionalen und psychosozialen Qualität nachgeordneten Einflussgrößen keineswegs als vollständig bzw. unabdingbar anzusehen.

Abbildung 6.5
figure 5

(Eigene Abb.)

Extrinsische Faktoren der Patientenzufriedenheit.

5.2 Intrinsische Variablen

Bei den intrinsischen Faktoren unterscheidet das, auf Grundlage der Studien von Hall & Dornan, Santuzzi et al., Blum, Neugebauer & Porst und dem Picker-Report, eigens entwickelte Modell drei Kategorien [105, 166, 167]:

Zuerst sind die soziodemographischen Variablen zu nennen, die sich objektiv erfassen lassen. Inwieweit soziodemographische Parameter wie Alter, Geschlecht, Ausbildungsstand, sozioökonomischer Status, Versicherungsstatus usw. unabhängige Einflussgrößen auf die Patientenzufriedenheit darstellen, wird vom Forschungsstand heterogen bewertet [106, 126]. Im nachfolgenden Abschnitt 6.5.3 wird auf diese Größen nochmals gesondert eingegangen.

Die zweite Kategorie beinhaltet die intrapersonalen Prozesse, die einen großen Teil zum Zufriedenheitsbildungsprozess beitragen und deutlich von den messbaren Kategorien abgegrenzt werden sollten. Verweisend auf das Kapitel ‚Patientenzufriedenheit und ihre Abstraktion in Modellen‘ sind hier verschiedene intrapersonale Prozesse möglich; beispielhaft seien diesbezüglich die Kognitive Dissonanztheorie oder die Adaptationstheorie genannt (Unterkapitel 6.4). Da diese Vorgänge unbewusst ablaufen und sich der Messbarkeit entziehen, ist es – pragmatisch gesehen – nicht von Bedeutung, um welche Prozesse es sich dabei handelt [160]. Entscheidend ist die Erkenntnis, dass es einen Anteil am Prozess der Zufriedenheitsgenese der Patienten gibt, der sich durch keinen Fragebogen erfassen lässt und der somit auch nicht beeinflussbar ist [160].

Die dritte Kategorie vereint die biographischen Variablen. Konkret werden darunter die Vorerfahrungen im medizinischen Setting verstanden. Die Hypothese, dass sowohl positive als auch negative Vorerfahrungen einen Einfluss auf die Zufriedenheit mit einer ähnlichen Situation haben, ist u. a. im Rahmen der Anspruchsniveautheorie aber auch dem Diskrepanzmodell angesprochen worden (Unterkapitel 6.4). Bei beiden Theoriemodellen ist die Erwartung bzw. der Soll-Zustand entscheidend für die Höhe der Zufriedenheit. Die biographischen Variablen, insbesondere die bisherigen Erfahrungen im Gesundheitssystem haben aber nicht zu vernachlässigende Überschneidungen mit den soziodemographischen und intrapersonalen Variablen. Man kann annehmen, dass mit zunehmenden Alter der Erfahrungspool der Patientinnen und Patienten immer umfänglicher wird, wobei dem Alter für sich schon eigenständige Wirkungen auf die Zufriedenheit zugesprochen werden [174]. Die Annahme, dass gemachte Erfahrungen in der Vergangenheit auch die Erwartungen des Einzelnen verändern können lässt die Überschneidung mit den intrapersonalen Prozessen deutlich werden [175, 176].

Die Prozesse, die zur Verarbeitung der Erfahrungen im Krankenhausbereich führen, sind als intrapersonal zu kategorisieren und deren Auswirkungen werden mit teilweise divergierenden theoretischen Konstrukten beschrieben (Unterkapitel 6.4).

Aus diesen drei übergeordneten Dimensionen – soziodemographisch, biografisch und intrapersonal – wird das nachfolgende Modell für die intrinsischen Einflussfaktoren aufgestellt. Es basiert, wie eingangs schon klargestellt, auf den empirischen Daten einer Auswahl an Studien und soll für eine einheitliche Terminologie und die notwendige Abstraktion des mehrdimensionalen Konstruktes Patientenzufriedenheit in dieser Arbeit sorgen [105, 166, 167] (Abbildung 6.6).

Abbildung 6.6
figure 6

(Eigene Abb.)

Intrinsische Faktoren der Patientenzufriedenheit.

5.3 Soziodemographische Variablen

Soziodemographische Faktoren und deren Einfluss auf die Patientenzufriedenheit sind vom Beginn der Zufriedenheitsforschung bis heute ein viel diskutiertes Thema. Die Frage, ob es sich bei diesen Größen um unabhängige personengebundene Größen handelt, die die Patientenzufriedenheit beeinflussen, oder gar um Confounder-Variablen, die die wirklichen Zusammenhänge verschleiern oder verzerren, scheint noch immer nicht klar beantwortet zu sein [106, 171].

In der Arbeit von Zinn „Personengebundene Einflussgrößen auf die Patientenzufriedenheit“ wird die Studienlage im Hinblick auf die Faktoren Alter, Geschlecht, Bildung, Einkommen, sozioökonomische Klasse, Familienstand, Familiengröße sowie ethnische Zugehörigkeit analysiert [172]. Die meisten untersuchten Faktoren zeigen die komplette Bandbreite ihres möglichen Einflusses auf die Zufriedenheit, nämlich keinen Zusammenhang und positive oder negative Korrelationen auf die Zufriedenheit, je nach durchgeführter Studie [172]. Das Alter ist beispielsweise ein sehr häufig untersuchter Parameter in Bezug auf die Patientenzufriedenheit. In der Analyse findet der Autor Studien, in denen ältere Patientinnen und Patienten sowohl zufriedener, als auch unzufriedener sind als Jüngere; zusätzlich gibt es Untersuchungen die keinerlei Einfluss finden [177].

Ähnlich verhält es sich beim sozioökonomischen Status, konkret dem Einkommen und dessen Auswirkungen auf die Zufriedenheit [178]. So gibt es zum einen Studien, die keinen Zusammenhang zwischen der Höhe des Einkommens und der Patientenzufriedenheit finden, und zum anderen Studien, die ein höheres Einkommen mit einer höheren Zufriedenheit korreliert sehen [178]. Wieder andere Studie postulieren, dass ein höheres Einkommen – ganz im Gegenteil – mit einer niedrigeren Patientenzufriedenheit verbunden ist [178].

Der Autor argumentiert, dass die Studien, die ein höheres Einkommen mit einer verbesserten Zufriedenheit in Verbindung bringen, aus den USA stammen, wo es, anders als in Europa und Deutschland, keine gesetzliche Pflichtversicherung gibt, also viele Patienten gar nicht versichert sind und die, die es sind, eine private Krankenversicherung abgeschlossen haben [178]. Unter diesen Umständen ist verständlicherweise derjenige Patient, der sich eine private Krankenversicherung leisten kann, per se zufriedener, weil er Zugang zum Gesundheitssystem hat [178]. Hingegen wird dieser Effekt in Deutschland, nach der Vermutung von Zinn, nivelliert, da es hierzulande eine Selbstverständlichkeit ist, medizinische Leistungen kostenlos in Anspruch nehmen zu können; dafür ist niemand schon im Vorhinein dankbar [178].

Neben den inkonsistenten Ergebnissen von soziodemographischen Determinanten und ihrem Einfluss auf die Patientenzufriedenheit identifiziert Zinn in seiner Literaturrecherche noch ein weiteres Problemfeld: Denn selbst, wenn Studien signifikante Zusammenhänge zwischen soziodemographischen Determinanten und der Zufriedenheit finden ist ihr erklärender Varianzanteil an der Gesamtvarianz klein oder aber die statistische Güte der Beziehung zwischen Determinante und Zufriedenheit, in Form des Bestimmtheitsmaßes R2, fällt gering aus [179].

Ein beachtenswertes Review aus dem Jahr 2016 untersuchte zudem systematisch alle Studien zum Thema ‚Patientenzufriedenheit und Soziodemographie‘ aus den Jahren 1980 bis einschließlich 2014; 109 Studien konnten in die Auswertung eingeschlossen werden [106]. Die Autoren systematisieren insgesamt 22 Einflussfaktoren auf die Zufriedenheit, welche als anbieterbezogen (‚health care provider-related‘) bzw. patientenseitig (‚patient-related‘) kategorisiert werden [106]. Bei den klassischen personenbezogenen Variablen wie beispielsweise Alter, Geschlecht und sozioökonomischer Status kommen die Autoren zu dem Schluss, dass es sich um eigenständige Determinanten und Störgrößen zugleich handelt [106]. Den Variablen ‚subjektiv empfundener Gesundheitszustand‘ (‚patient’s perceived health status‘) und ‚Erwartungen‘ (‚patient’s expectations‘) der Patientinnen und Patienten wird ein relevanter Einfluss auf die Patientenzufriedenheit zugesprochen [106].

In einer retrospektiven Analyse einer amerikanischen Zufriedenheitsbefragung bezüglich Anästhesie, mit über 50.000 eingeschlossenen Patienten, konnte in der multivariablen Regressionsanalyse weder Alter noch Geschlecht in eine Beziehung zur Gesamtzufriedenheit gesetzt werden [180].

Insgesamt wird der Einfluss und die Beziehung soziodemographischer Variablen auf die Patientenzufriedenheit – qualitativ und quantitativ – heterogen und kontrovers in der Studienlandschaft bewertet.

6 Patientenzufriedenheit – Wie messen?

Unabhängig von der kontroversen Datenlage bezüglich der Einflussgrößen auf die Patientenzufriedenheit soll in diesem Abschnitt die eigentliche Messung in den Vordergrund gerückt werden.

Die Erfassung der Patientenzufriedenheit sowie das angewandte Testinstrument und dessen statistische Güte bilden das Fundament jeder durchgeführten Studie. Gibt es hier eklatante Schwächen, sind auch die Ergebnisse als fragwürdig einzuordnen.

Bei Neugebauer und Porst findet sich eine komprimierte Analyse der Ausgangssituation [181]:

„Die entscheidende Frage lautet: Wer befragt welche und wie viele Patienten wie, wo, wann und womit? Anders ausgedrückt haben wir uns zu beschäftigen mit

  • der Einrichtung, die die Patientenbefragung durchführt und auswertet

  • der Bestimmung der Zielgruppe (Population)

  • der Anzahl und Art der Auswahl der Befragungsteilnehmer

  • dem Modus der Befragung

  • dem Ort der Befragung

  • dem Zeitpunkt der Befragung

  • und dem Fragebogen.“

Nachfolgend soll nicht auf jeden einzelnen Punkt dezidiert eingegangen werden, jedoch werden grundsätzliche Überlegungen zur Methodik der Patientenzufriedenheitsmessung näher beleuchtet.

6.1 Modus der Befragung

In der Praxis existieren drei verschiedene Modi, um die Patientenzufriedenheit zu ermitteln [105]:

  • Fragebogen (schriftlich, postalisch, webbasiert)

  • Interview

  • Telefonische Befragung

Der schriftliche Fragebogen ist in der Patientenzufriedenheitsmessung der etablierteste Modus zur Datengewinnung [182]. Es handelt sich um ein im Gegensatz zum Interview und der telefonischen Befragung kostengünstiges, effektives, schnelles und personalschonendes Verfahren [105]. In einer Studie von Sitzia und Kollegen wurden 195 Studien aus dem Jahr 1994 zum Thema Patientenzufriedenheit näher untersucht. Davon nutzten 64 % zur Datenerhebung einen Fragebogen, 28 % führten ein strukturiertes Interview durch und 5 % der Studien wendeten ein freies Interview an [183].

Bevor die methodischen Besonderheiten des Fragebogens in der Datenerhebung genauer betrachtet werden, ist zunächst ein Blick auf das Interview und die telefonische Befragung zu richten.

Mündlich geführte Interviews weisen methodisch einige Schwierigkeiten auf. Beispielsweise sind sie zeitlich und personell aufwendig, da ein Interviewer benötigt wird [105]. Der Interviewer und die Interaktion mit dem Befragten stellen eine weitere Besonderheit dar, da hierdurch Verzerrungen der Antworten des Befragten hervorgerufen werden können [105]. Auch wenn der Befragte seinen Namen nicht nennen muss, ist das subjektive Gefühl, wirklich anonym zu sein, bei einem Interview von einer anderen Qualität als beim Ausfüllen eines Fragebogens [105].

Mögliche Störgrößen bei mündlichen Befragungen sind Effekte der sozialen Erwünschtheit, Dankbarkeit und des verminderten Anspruchsniveaus [184]. Gerade im medizinischen Bereich kann der Patient durch die Inkongruenz zwischen Behandler und ihm selbst, was Wissen und Expertise anbetrifft, aber auch durch die Ressourcenverteilung, die durch den Behandler erfolgt, unter Umständen eingeschüchtert sein [184].

Doch selbst eine anonyme schriftliche Befragung im medizinischen Setting ist nicht frei von Effekten der sozialen Erwünschtheit. In einer Studie aus dem Jahr 1995 mit 200 chronischen Schmerzpatienten wurde herausgefunden, dass die soziale Erwünschtheit einen direkten Einfluss auf die Ergebnisse schriftlicher Testinstrumente hatte, die den Grad bzw. die Höhe von Angst, Depressivität und Schmerz ermitteln sollten [185]. Teilweise wurden Werte über- und unterschätzt [185].

In einem Review über die methodische Qualität zur Ermittlung der Patientenzufriedenheit in der Anästhesie aus dem Jahre 2001 wurde 14 Studien eigenschlossen [186]. In keiner der Studien wurde der Einfluss sozialer Erwünschtheit, als Störfaktor, kontrolliert; bei vier Untersuchungen war die Anonymität der Befragten nicht vollumfänglich erfüllt bzw. durch Anwesenheit des behandelnden Anästhesisten gänzlich aufgehoben [186].

Webbasierte Befragungen sind in den letzten Jahren immer häufiger im Einsatz und bieten viele logistische Vorteile [187]. Die Vermutung, dass ein webbasierter Fragebogen ein noch stärkeres subjektives Anonymitätsempfinden seitens des Patienten produziert und damit die Effekte der sozialen Erwünschtheit maximal reduziert konnte jedoch nicht bestätigt werden. Tatsächlich widerlegt eine Metaanalyse mit über 22.000 Patienten diese Vermutung [188]. Ein Online-Fragebogen fördert diesen Bias nicht mehr oder weniger als der schriftlich ausgefüllte Fragebogen [188]. Ein webbasierter und ein klassisch handschriftlich ausgefüllter Fragebogen sind hinsichtlich ihres Bias der sozialen Erwünschtheit als gleichwertig anzusehen [188].

Die telefonische Befragung erweist sich in ihrer Durchführung als anspruchsvoll und ein Selektionsbias liegt hier auf der Hand [189]. Die Frage der Erreichbarkeit, der Uhrzeit der Befragung u. v. m. birgt die Gefahr von Verzerrungen [189]. Der Effekt der sozialen Erwünschtheit kann auch hier auftreten, wobei die Studienlage dahingehend uneindeutig ist [190, 191]. Dass die Patienten bei einem persönlichen Anruf zu Hause nicht die Schutzwirkung der Anonymität empfinden, stellt auch hier wieder ein grundlegendes Problem dar.

Bei der Datengewinnung im Rahmen der Patientenzufriedenheit ist der Fragebogen, ob nun schriftlich oder webbasiert, das am häufigsten eingesetzte Verfahren [183, 189, 192].

Entscheidender als der Modus der Datenerhebung ist allerdings das Instrument, mit dem diese durgeführt wird. Dabei sind hohe Maßstäbe an die Testgüte anzulegen. Der Test muss objektiv, reliabel und valide sein. Er muss also unabhängig von demjenigen sein, der den Test durchführt, und so präzise wie möglich messen, was er vorgibt zu messen [129, 193].

6.2 Kritische Bewertung

Die Vielfalt an Fragebögen zur Patientenzufriedenheit ist groß [183, 194, 195]. Grund dafür ist die Tatsache, dass es den einen einheitlichen Fragebogen für jedes Umfeld und Einsatzgebiet im Krankenhaus schwerlich geben kann [129]. Zwar lässt sich mit einem global fragenden Instrument die Zufriedenheit mit dem Krankenhaus insgesamt erfragen. Die Aussagekraft ist dabei jedoch begrenzt, denn als Mittel des Qualitätsmanagements sollen durch die Patientenzufriedenheitsbefragung vielmehr Schwachstellen im Detail aufgedeckt werden [19]. Ein schlechtes Ergebnis einer allgemeinen Zufriedenheitsbefragung nach Beendigung des stationären Aufenthaltes wäre unbefriedigend, wenn sich nicht detektieren ließe, an welcher Stelle oder welcher Abteilung die Unzufriedenheit entsteht.

1999 veröffentlichte Sitzia eine Auswertung von Studien zur Patientenzufriedenheit aus dem Jahr 1994 [183]. Eingeschlossen waren 195 Studien, veröffentlicht in 139 unterschiedlichen Journalen [183]. Der Autor untersuchte alle Studien auf ihre Methodik und ihre statistischen Gütekriterien. Dies ist die bisher aufwendigste und größte Studie, die sich explizit mit der statistischen Qualität von Veröffentlichungen zur Patientenzufriedenheit auseinandersetzt [183].

Die Ergebnisse der Studie sind nachfolgend kondensiert, in prozentuale Werte umgewandelt und in tabellarischer Form zusammengefasst [183] (Tabelle 6.2):

Tabelle 6.2 Statistische Charakteristika von Studien zur Patientenzufriedenheitsmessung.

Auffällig ist, dass die Mehrheit der Studien einen quantitativen Ansatz verfolgte. Des Weiteren haben über 80 % der Studien einen neuen Fragebogen angewandt. Angesichts der Tatsache, dass gerade einmal gut die Hälfte der Forscher eine Validitätsprüfung durchführten und nur knapp 20 % die Reliabilität untersuchten, ist hier von einem eklatanten Qualitätsdefizit bei den durchgeführten Studien zu sprechen.

Zurückblickend auf das Ausgangsstatement und die kritische Frage, wie valide, reliabel und objektiv die eingesetzten Instrumente zur Patientenzufriedenheit mit Schwerpunkt auf den Fragebogen sein können, stellt die Autorin Wüthrich-Schneider für die Schweiz fest [160]:

„Bemerkenswert ist, dass nicht immer die größten Institutionen die besten Instrumente anwenden. Auch kleinere, hausintern entwickelte Instrumente sind oft sehr gut und durchdacht.“

Ein Blick nach Großbritannien zeigt zudem beispielhaft, dass Testinstrumente, nur weil diese weit verbreitet sind, nicht frei sind von qualitativen Mängeln. In einer Studie von Hankins und Kollegen aus dem Jahr 2007 analysiert dieser zwei landesweit eingesetzte Zufriedenheitstools [196]: den Improving Practices Questionnaire (IPQ) und den General Practice Assessment Questionnaire (GPAQ) [196]. Beide sollen die Zufriedenheit von hausärztlich behandelten Patienten in Großbritannien ermitteln [196].

In keiner mit diesen Testinstrumenten durchgeführten Studie wurde die Validität untersucht, weder die Kriteriums- noch die Konstruktvalidität [196]. Die Autoren konnten auch ansonsten keine Veröffentlichungen finden, die die Validität der Tools zuvor schon einmal ermittelt hatten [196]. Selbst die Reliabilität wurde in den untersuchten Veröffentlichungen nicht untersucht; lediglich bei einer Vorläuferversion des GPAQ wurde in der Literatur ein Cronbachs Alpha von 0,69 bis 0,95 gefunden [196].

Neben den klassischen testtheoretischen Gütekriterien wie Validität und Reliabilität hat auch die Rücklaufquote bei schriftlichen Befragungen einen Einfluss auf die Qualität der gewonnen Ergebnisse [197]. Zu diesem Aspekt veröffentlichte Sitzia 1998 eine Studie, bei der er 210 Studien, alle im Jahr 1994 zum Thema Patientenzufriedenheit erschienen, auf ihre Rücklaufquoten analysierte [189]. Gerade bei quantitativen Fragebogenerhebungen kann eine zu geringe Rücklaufquote zu Verzerrungen und Fehleinschätzungen führen. Weniger als die Hälfte (48 %) der Studien gaben eine Rücklaufquote in der Veröffentlichung an; diese lag dann im Durchschnitt bei 72,1 % [189]. Der Autor mahnt jedoch das scheinbar mangelnde Bewusstsein für die methodische Integrität und Stabilität bei Erhebungen zur Patientenzufriedenheit an [189].

7 Patientenzufriedenheit – Warum messen in der Anästhesiologie?

Bevor der Fokus auf die Messung der Patientenzufriedenheit in der Anästhesiologie gerichtet wird, folgen zunächst einige grundlegende Betrachtungen zu den Gründen für eine solche Messung.

Die Autoren Neugebauer und Porst haben in einer Auswertung von 20 Veröffentlichungen folgendes Ranking (nach Häufigkeiten der Nennung) ermittelt [198] (Tabelle 6.3):

Tabelle 6.3 Gründe zur Patientenzufriedenheitsmessung, nach [198]

Anhand dieser Auflistung wird deutlich, weshalb die Messung der Patientenzufriedenheit für den medizinischen Leistungserbringer von Bedeutung ist; Patientenzufriedenheit ist ein elementarer Bestandteil des modernen Qualitätsmanagements im Krankenhaus [199–201]. Anders als andere Instrumente des Qualitätsmanagements wird hier die Leistung des Krankenhauses aus der subjektiven Perspektive des Patienten bewertet [202]. Nur dieser nimmt unfraktioniert die Gesamtperformance des stationären Leistungserbringers wahr: Von der Anreise zum Krankenhaus, über das Finden des Parkplatzes, die Anmeldung und den gesamten Behandlungsprozess bis hin zur Entlassung ist der Patient die einzige Person, die bei allen Prozessen anwesend und auch beteiligt ist [201].

Das Fach Anästhesiologie hat sie sich in den letzten Jahrzehnten zu einem zentralen Fach der Operativen Medizin entwickelt; sie betreut den Patienten vor der Operation, während der Operation und nach der Operation [56]. Aus diesem Grund und ist sie dafür prädestiniert, sich neutral im Bereich der Prozess- und Ergebnisqualität zu engagieren, das große Ganze im Blick zu behalten und zunächst nur aus dem eigenen Fachgebiet heraus Patientenzentrierung, Patientenzufriedenheit und Patientensicherheit zu leben und damit wesentliche Impulse für den gesamten operativen Behandlungsprozess zu geben [55, 61, 203].

Die Messung der Patientenzufriedenheit im Bereich der Anästhesiologie dient in erster Linie dazu, zu eruieren, wie gut die anästhesiologische Behandlungsqualität vom Patienten bewertet wird; häufig untersuchte Parameter sind dabei Angst, Schmerz, Übelkeit und Erbrechen [204, 205]. Eine technisch differenzierte und gute Narkose durch den Anästhesisten allein muss jedoch nicht automatisch auch für die größte Zufriedenheit bei den Patienten sorgen [206]. Wird nur der rein technisch-medizinische Maßstab an eine Behandlung angelegt, fehlt etwas Wesentliches, denn insbesondere Faktoren wie Informiertheit, Versorgungskontinuität, Freundlichkeit und Empathie haben nachweislich einen relevanten Einfluss auf die Zufriedenheit mit der anästhesiologischen Betreuung [204, 207].

Ausgehend von einer Abteilung für Anästhesiologie, die Patientenzufriedenheit als wichtig erachtet und misst, entwickelt diese nach und nach auch eine andere Leitkultur [208]. Die Arbeit wird auf die Bedürfnisse des Patienten zentriert, Entscheidungen werden vornehmlich durch die Patientinnen und Patienten getroffen, was einer im Vorhinein adäquaten Informationsvermittlung bedarf und ein partnerschaftliches Arzt-Patienten-Verhältnis impliziert [204, 209, 210].

Eine weitere Entwicklungsstufe stellt gewissermaßen die Vorbildfunktion und Sogwirkung dar, die von einer patientenzentrierten Arbeitsweise einer Klinik für Anästhesiologie induziert werden kann [211, 212]. Die vielfältigen flankierend tätigen medizinischen Disziplinen werden mit der Zeit von der gerade beschriebenen Leitkultur, die den Patienten und seine Bedürfnisse in den Mittelpunkt der Arbeit stellt, beeinflusst [211, 212].

Die möglichen Wirkungen der Patientenzufriedenheitsmessung in der Anästhesiologie lassen sich wie folgt zusammenfassen:

  • Die Fremdbeurteilung der Behandlungs- und Ergebnisqualität durch den Patienten – Patientenzufriedenheit

  • Das Bestreben, den Patienten in den Mittelpunkt der täglichen Arbeit zu stellen – Patientenzentriertheit

  • Der Einfluss und die Außenwirkung dieser Messungen auf die gesamte Operative Medizin und Beteiligten – Patientenzentrierte Arbeitskultur

8 Patientenzufriedenheit – Wie messen in der Anästhesiologie?

Nach den zuvor vermittelten methodischen Grundlagen soll nun die Zufriedenheitsmessung im Bereich der Klinischen Anästhesie genauer beleuchtet werden. Die Bereiche Schmerztherapie, Notfallmedizin und Intensivmedizin sind hier bewusst ausgeklammert, um den empirischen Kern dieser Arbeit fokussieren zu können.

In einem 1998 veröffentlichten Review beschäftigen sich Fung und Cohen intensiv mit dem Forschungsstand der Patientenzufriedenheitsmessung in der Anästhesiologie [194]. Dabei werden Studien, beginnend in den 1970er Jahren bis in die Mitte der 1990er Jahre hinein, berücksichtigt auf das Studiendesign und die angewandte Methodik hin untersucht [194].

Der Großteil der eingesetzten Testinstrumente zur Ermittlung der Patientenzufriedenheit im Rahmen einer Anästhesie sind selbst entwickelt und neu [194]. Die Mehrheit der durchgeführten Studien setzt auf quantitative Verfahren, meistens eine Fragebogenerhebung. Interviews, telefonisch oder im direkten Kontakt, sind zwar vertreten, werden aber eher selten angewandt [194]. Auffallend ist, dass nahezu alle Studien aus dem anglo-amerikanischen Raum stammen – Großbritannien, USA, Kanada, Australien – mit Ausnahme einer Studie aus den Niederlanden [194]. Verschafft man sich einen groben Überblick über die Studien, sind relevante deutsche Erhebungen zur Patientenzufriedenheit in der Anästhesie erst ab dem neuen Jahrtausend zu finden [213].

Ein weiterer beachtenswerter Punkt ist die sehr hohe Zufriedenheit, die nahezu in allen durchgeführten Studien ermittelt wird [194]. In der Tat sind hohe Zufriedenheitswerte auch heute noch in der Anästhesie festzustellen [214] (Tabelle 6.4).

Tabelle 6.4 Studienübersicht von 1971 bis 1997.

Heidegger et al. untersuchen in ihrer Übersichtarbeit die Zufriedenheitsforschung in der Anästhesie und die methodischen Aspekte für den Zeitraum von 1996 bis 2011 [204]. Darin sind hauptsächlich europäische Studien zu finden, wobei es sich ausnahmslos um selbst entwickelte psychometrische Tests in Form eines Fragebogens handelt [204].

Die Autoren der eingeschlossenen Studien halten schon bei der Fragebogenkonstruktion hohe Standards in Bezug auf die testtheoretische Güte der eingesetzten Instrumente ein: Ausführliche Item-Analysen, Expertengruppen mit Psychologen und Sprachwissenschaftlern, Confounderanalysen, Kognitives Pretesting, explorative und konfirmatorische Faktorenanalysen und viele weitere Maßnahmen sichern eine adäquate Inhalts-, Kriteriums- und Konstruktvalidität [204]. Teilweise werden diese Voruntersuchungen sogar multizentrisch durchgeführt [204]. Die hohe Anzahl der eingeschlossenen Patienten – allein für den Pretest – fällt positiv auf [230–233]. Das französische Forscherteam um Auquier schloss ausschließlich zur Validierung eines neu entwickelten Instrumentes zur Zufriedenheitsmessung in der Anästhesie 874 Patienten in acht unterschiedlichen Kliniken ein, wovon vier Universitätskliniken waren [232]. Drei externe Tests wurden allein zur Bestimmung der Paralleltest-Reliabilität bzw. der Konstrukt- und Kriteriumsvalidität herangezogen [232].

Die Autoren des Reviews nehmen eine eigene Studienarbeit des Hauptautors Heidegger mit auf [233]. In der Studie aus dem Jahre 2002 wurde ein eigens entwickelter und validierter Fragebogen zur Patientenzufriedenheit an über 2000 Patienten in sechs verschiedenen schweizerischen Krankenhäusern angewandt [233] (Tabelle 6.5).

Tabelle 6.5 Studienübersicht 1996 bis 2011.

Ähnlich wie im Review von Fung & Cohen werden in den meisten Studien hohe Zufriedenheitswerte ermittelt. Die extrem hohen Zufriedenheitswerte bei Fung & Cohen, die zum Großteil deutlich über 90 % und teilweise sogar bei 100 % liegen, werden bei Heidegger aber nicht mehr gefunden. Zudem fällt auf, dass in der Auswahl der Studien von Heidegger die Autoren der Einzelstudien einen Schwerpunkt auf die Testkonstruktion und die testtheoretische Qualität der entwickelten psychometrischen Instrumente legen.

Während Sitzia et al. bei 195 publizierten Studien aus dem Jahr 1994 gerade einmal 2 bzw. 4 % von Studien fanden, die überhaupt die Kriteriums- oder Konstruktvalidität der eingesetzten Instrumente untersuchten bzw. nur 17 % der Forschergruppen auf eine innere Konsistenz achteten, haben sich die Studienlage und der Fokus heute sichtbar verändert [183]. An dieser Stelle kommt die Frage, ob dieser Fokus auf die Qualität der eingesetzten Instrumente Ende der 1990er Jahre und dem Beginn des neuen Jahrtausends einen systematischen Trend darstellt.

Unbestritten bleibt indes, dass es länderspezifische Aspekte gibt, die in einem Fragebogen berücksichtigt werden müssen, sind doch die Gesundheitssysteme, aber auch die kulturellen Einflüsse sehr divers.

In Bezug auf das Fachgebiet Anästhesiologie wurde eingangs schon betont, dass es durchaus problematisch sein kann einen universellen ‚Anästhesiologie-Zufriedenheitsfragebogen‘ zu entwickeln, da die Bereiche der Klinischen Anästhesie, Intensivmedizin, Notallmedizin und Schmerztherapie inhaltlich sehr unterschiedlich sind. Selbst bei der Beschränkung auf einen einzelnen Bereich, z. B. auf die Klinische Anästhesie, ergeben sich Herausforderungen. Denn innerhalb der Klinischen Anästhesie gibt es die präoperative Phase mit dem Prämedikationsgespräch und der Aufklärung, die perioperative Phase direkt vor der Einleitung und nach der Operation im Aufwachraum sowie die postoperative Phase, bei der mögliche Komplikationen der Narkose und die postoperative Schmerztherapie zu beachten sind. Ein Fragebogen, der alle drei Teilbereiche umfasst, ist aber durchaus möglich.

Der Berufsverband Deutscher Anästhesisten (BDA) hat einen solchen Fragebogen, der alle drei Teilbereiche der Klinischen Anästhesie abbildet, 2008 veröffentlicht [236]. Der sogenannte ‚Evaluierte Fragebogen Anästhesie‘ besteht aus 33 Einzelfragen, die mit einer 4-stufigen Likert-Skala bewertet werden, wobei Validität und Reliabilität des Instrumentes als angemessen und ausreichend bewertet werden.

Festzuhalten ist, dass sich zumindest in Deutschland bisher kein Instrument zur Patientenzufriedenheitsmessung in der Anästhesie unisono durchgesetzt hat. Nichtsdestoweniger weisen die Instrumente, die eingesetzt und zum Großteil neu entwickelt werden, mittlerweile ein hohes Maß an statistischer Güte auf und produzieren demzufolge auch verlässliche Aussagen.

9 ServQual-Instrument

9.1 Methodologische Einordnung

Da es, wie im vorherigen Abschnitt 6.8 pointiert, kein einheitliches und sich in breiter Anwendung befindendes Instrument für den Bereich der Klinischen Anästhesie gibt, musste, für die in dieser Arbeit geplante empirische Studie zur Patientenzufriedenheitsmessung in der Anästhesie – und dort im Speziellen zur Erfassung der Dienstleistungsqualität des Prämedikationsgespräches – ein geeignetes Messinstrument gefunden werden. Das Instrument sollte dabei uneingeschränkt reliabel und valide die zu untersuchende Patientenzufriedenheit messen können. Zudem wurde ein quantitativer Ansatz im Modus einer Fragebogenerhebung gewählt.

Dabei hat sich die ServQual-Methode (Service Quality) von Parasuraman aus dem Jahr 1988 als geeignet und sinnvoll herauskristallisiert [135]. Es handelt sich hierbei um das meistzitierte und meistverwendete Instrument zur Erfassung von Dienstleistungsqualität und Kundenzufriedenheit; zudem ist die Validität und Reliabilität des Instrumentes in zahlreichen Anwendungen bestätigt worden [237, 238].

Da es sich bei dem Instrument um ein universelles Werkzeug zur Messung der Dienstleistungsqualität handelt, fehlen zunächst der eindeutigen Bezüge zur Patientenzufriedenheit und die Anwendbarkeit für die spezifischen Fragestellungen in dieser Arbeit, die jedoch in den nachfolgenden Unterkapiteln hergestellt werden sollen.

Aus diesem Grund soll ein kurzer Exkurs die methodischen Grundlagen der Kundenzufriedenheitsmessungen darstellen und im Besonderen das ServQual-Instrument systematisch einordnen:

Zunächst wird eine Unterteilung in die Kategorien objektive und subjektive Messerverfahren vorgenommen [144]. Objektive Verfahren spielen in der Kundenzufriedenheitsmessung nahezu keine Rolle, da sie Zufriedenheit mit rein ökonomischen Kennzahlen wie z. B. dem Umsatz oder der Wiederkaufsrate abzubilden versuchen, was das Ziel, die Zufriedenheit von Kunden reliabel und valide zu erfassen, verfehlt [144]. Subjektive Messverfahren stellen damit die wesentliche Gruppe der Messerverfahren zur Zufriedenheitsmessung dar [144]. Dabei werden merkmalsorientierte, ereignisorientierte und problemorientierte Verfahren unterschieden [144].

Ereignisorientierte Verfahren beziehen sich auf ein in der nahen Vergangenheit liegendes Ereignis, das durch den Kunden im Nachhinein bewertet wird [144]. Problemorientierte Verfahren wie z. B. das Problem Detecting registrieren die Häufigkeit und den Schweregrad von unerwünschten Ereignissen [144]. Merkmalsorientierte Verfahren, zu denen auch das ServQual-Instrument gezählt wird, gehen davon aus, dass ein Produkt bzw. eine Dienstleistung aus vielfältigen Einzelmerkmalen besteht und der Kunde erst im Verlauf der erhaltenen Dienstleistung bzw. der Nutzung des Produktes Zufriedenheit bzw. Unzufriedenheit entwickelt [144]. Die angesprochenen Einzelmerkmale werden bei den merkmalsorientierten Verfahren teilweise mit übergeordneten Qualitätsdimensionen versehen. Dabei kann es im einfachsten Fall eine Dimension geben oder eben ein Vielfaches [239]. Mit den Begrifflichkeiten eindimensional und mehrdimensional wird dieser Umstand nochmals systematisiert [239].

Zusätzlich findet sich in der Literatur die Klassifikation der multiattributiven Verfahren [239]. Damit ist gemeint, dass sich die Gesamtzufriedenheit aus merkmalsspezifischen Teilzufriedenheiten rekrutiert [144].

Des Weiteren wird bei den merkmalsorientierten Verfahren zwischen expliziten und impliziten Ansätzen differenziert [240]. Bei einer impliziten Messung wird die Kundenzufriedenheit direkt gemessen, wobei keine Unterscheidung zwischen der Erwartung (Soll) und dem Erlebten (Ist) getroffen wird [240]. Eine andere Vorgehensweise weisen indes die expliziten Verfahren auf; hier werden Erwartung und Leistung separat gemessen [240].

Zusätzlich zu den schon besprochenen Kategorien der Kundenzufriedenheitsmessung erweist sich angesichts ihrer praktischen Relevanz auch die Unterscheidung in direkte und indirekte Messverfahren als sinnvoll [144]. Bei der direkten Messung werden sowohl die Erwartung als auch die erlebte Leistung nach Beendigung zeitgleich z. B. in einer Doppelskala erfasst [144]. Somit handelt es sich um eine ex-post Bestimmung der resultierenden Zufriedenheit [144]. Im Gegensatz dazu erfasst die indirekte Messung die Erwartung und die Leistung sequenziell, also zeitversetzt und getrennt voneinander [144]. Die Erwartung wird ex-ante, also vor der Leistungserbringung, der Ist-Zustand ex post, also nach der Leistungserbringung, erhoben [144]. Die Kundenzufriedenheit ergibt sich demnach erst durch eine nachträgliche Berechnung des erhobenen Erwartungs- und Leistungsniveaus [144] (Abbildung 6.7).

Abbildung 6.7
figure 7

(Eigene Darstellung, modifiziert nach [241])

Systematik der Messung von Kundenzufriedenheit.

Zusammengefasst handelt es sich demnach beim ServQual-Verfahren um ein subjektives, merkmalsorientiertes, mehrdimensionales, multiattributives, explizites und – in dieser Studie – indirektes Messverfahren zur Bestimmung der Kunden- bzw. Patientenzufriedenheit.

9.2 Gap-Modell

Das theoretische Grundgerüst des ServQual-Instrumentes stellt das 1985 von Parasuraman, Zeithaml und Berry veröffentliche Gap- oder auch Lücken-Modell dar [242]. Das Ziel bestand darin, ein branchenunabhängiges respektive branchenuniverselles Modell der Dienstleistungsqualität zu entwickeln, mit der Prämisse, dass es losgelöst von der Dienstleistung bzw. dem Dienstleister einen grundlegenden Mechanismus der Zufriedenheitsgenerierung geben müsse [242]. Ein solches Basismodell würde es methodisch erleichtern, die zahlreichen und zunächst augenscheinlich sehr unterschiedlichen Dienstleister objektiver, einfacher und mit einer gleichen Methode auf ihre Dienstleistungsqualität zu untersuchen und insbesondere zu vergleichen [242].

Dazu wählten die Wissenschaftler einen qualitativen Ansatz der Sozialforschung, indem sie jeweils drei Fokusgruppeninterviews mit Vertretern aus vier Dienstleistungsbranchen durchführten [242]. Sie inkludierten als Modell-Dienstleister Banken (nur Privatkundengeschäft), Kreditkartenanbieter, Wertpapierhändler sowie Wartungs- und Reparaturfirmen, wobei die bankenlastige Auswahl der Dienstleister mit der Tätigkeit der Forscher im Bereich Marketing und Ökonomie zu erklären ist [242].

Tatsächlich kamen die Autoren bei ihrer Auswertung zu der Erkenntnis, dass es trotz der branchentypischen Spezifika grundlegende Prozesse gibt, die die Servicequalität ausmachen [242]:

“Remarkably consistent patters emerged from the four sets of executive interviews. While some perceptions about service quality were specific to the industries selected, commonalities among the industries prevailed. The commonalities are encouraging for they suggest that a general model of service quality can be developed.”

Die Autoren subsummieren selbst [242]:

“A Set of key discrepancies or gaps exists regarding executive perceptions of service quality and the tasks associated with service delivery to consumers. These gaps can be major hurdles in attempting to deliver a service which consumers would perceive as being of high quality.” (Abbildung 6.8)

Abbildung 6.8
figure 8

(Eigene Darstellung, modifiziert nach [243])

GAP-Modell.

Lücke 1: Wahrnehmungslücke

Bei der ersten Lücke besteht eine Diskrepanz zwischen den Vorstellungen des Managements eines Dienstleisters und den Erwartungen der Kunden [244]. Ist das Verständnis von Servicequalität der Geschäftsführung divergent zu dem, was die Kunden des Betriebes als besonders relevant erachten, führt dies zu Problemen [244]. Da diese Lücke auch die nachfolgenden Lücken direkt beeinflusst, handelt es sich bei einer relevanten Diskrepanz nach diesem Modell um ein grundlegendes Problem [244].

Lücke 2: Entwicklungslücke

GAP 2 ist dadurch charakterisiert, dass die Wahrnehmung der Kundenerwartungen durch das Management, die, wie bei GAP 1 gesehen, bereits fehlerhaft sein kann, zu den falschen Schlussfolgerungen und Aktionen seitens des Managements führt [244]. Trotz des Wissens um eine nicht optimale Erfüllung der Kundenerwartungen kann es vielfältige Gründe dafür geben, dass eine Geschäftsleitung diesen Missstand nicht durch Modifikationen an der Dienstleistungsqualität behebt [244]. So können mangelnde finanzielle Ressourcen und Kapazitätsengpässe, aber auch die kurzfristige Gewinnmaximierung Gründe dafür sein, warum es zur GAP 2 kommen kann [244].

Lücke 3: Leistungslücke

Bei dieser Lücke wird die vom Management angestrebte Veränderung in der Dienstleistungsqualität nicht von den ausführenden Mitarbeitern umgesetzt, weshalb der vom Management detektierte Mangel bei der Dienstleistungsqualität trotz der Veränderungsabsicht der Geschäftsleitung weiterhin bestehen bleibt, weil die seitens dieser initiierten Maßnahmen von den Mitarbeitern nicht umgesetzt werden [244]. Hierfür können unterschiedliche Gründe vorliegen. Denkt man z. B. an Freundlichkeit und Höflichkeit des Dienstleistungspersonals, kann selbst bei einer starken Absicht des Managements, diese verbessern zu wollen, ein Misserfolg eintreten, da die entsprechenden Mitarbeiter eine andere Sichtweise und auch eine andere Motivation besitzen [244].

Lücke 4: Kommunikationslücke

Diese Lücke tritt auf, wenn die durch die Geschäftsführung getätigten Aussagen an den Kunden über die Art und Weise der Dienstleistungsqualität und die tatsächlich vom Kunden vorgefundene Realität nicht zusammenpassen [244]. Als klassisches Beispiel ist diesbezüglich die Werbung aufzuführen. Die Erwartungen des Kunden generieren sich zu einem Großteil aus den vom Unternehmen vorgetragenen Leistungscharakteristika der Dienstleistung [244]. Werden in der Werbung jedoch Erwartungen beim Kunden geweckt, die nicht oder nur teilweise eingehalten werden können, führt dies zu GAP 4 [244].

Lücke 5: Kundenlücke

Die Kundenlücke ist als die zentrale Lücke des Modells zu bezeichnen [244]. Sie beschreibt die Differenz zwischen der vom Kunden erwarteten Dienstleistungsqualität und der tatsächlich vom Kunden erlebten Realität [244]. Die Lücke wird von allen vier vorherigen Einzelgaps mitbeeinflusst. Vice versa führt die Optimierung der Lücken 1 bis 4 dazu, die Lücke 5 möglichst klein werden zu lassen [244]. Auf der Lücke 5 fußt der sogenannte ServQual-Ansatz [244]. Der dort aufgezeigte Soll-Ist-Vergleich aus der Kundenperspektive wird im ServQual-Verfahren durch insgesamt 22 Einzelitems und fünf Qualitätsdimensionen operationalisiert, die nachfolgend näher besprochen werden sollen [244].

9.3 Erweitertes GAP-Modell

Das von Parasuraman und Zeithaml als Grundlage für deren ServQual-Instrument entwickelte GAP-Modell wurde 2002 von Luk und Layton durch zwei weitere Lücken sinnvoll ergänzt [245]. Ein Merkmal von Dienstleistungen ist der direkte Kunden-Mitarbeiter-Kontakt, der im originären Modell aus den 1980er Jahren nur indirekt bedacht wird [245] (Abbildung 6.9).

Abbildung 6.9
figure 9

(Eigene Darstellung, modifiziert nach [246])

Erweitertes GAP-Modell.

Lücke 6: Verständnislücke

Diese Lücke tritt auf, wenn die Erwartungen des Kunden und die von den direkten Servicemitarbeitern antizipierten Kundenerwartungen nicht übereinstimmen [244]. Ursächlich dafür ist die Fehleinschätzung des Mitarbeiters im direkten Kundenkontakt, die wiederum aus mangelnder Empathie und Desinteresse seitens des Servicemitarbeiters resultiert [244]. Aber auch eine starke Inkongruenz in der Kunden-Mitarbeiter-Interaktion z. B. durch die Notwendigkeit einer dezidierten Spezialisierung und spezifischem Know-how ist denkbar [244]. Lösungen für diese Lücke kann abermals die Marktforschung liefern, wie auch eine kundenzentrierte Interaktion, die den Kunden dazu animiert, seine Wünsche zu verbalisieren [244].

Lücke 7: Realitätslücke

Bei dieser Lücke besteht eine Diskrepanz zwischen den von der Geschäftsführung antizipierten Kundenerwartungen und den vermuteten Kundenerwartungen der Dienstleistungsersteller [244]. Im Ergebnis kann dieser Unterschied zu konträren und interferierenden Aktionen führen [244]. So können die Annahme der Geschäftsführung, dass eine möglichst kurze Wartezeit eine entscheidende Kundenerwartung sei, und die Ansicht der Dienstleistungsmitarbeiter, dass hingegen Sorgfalt und Empathie bei der Dienstleistungserstellung besonders relevant seien, für die Kunden gegensätzliche Maßnahmen hervorrufen [244].

Dabei ist noch nicht einmal geklärt, ob beide Parteien – Management und Dienstleistungsmitarbeiter – auch den wirklichen Kundenwunsch postulieren [244]. Darüber hinaus zeugt diese Lücke auch von einer mangelnden Kommunikation [244]. Auch hier können Instrumente der Marktforschung und Kundenzufriedenheitsbefragungen objektive Daten liefern, die nicht nur auf Vermutungen und Empirie beruhen [244]. Tritt diese Lücke auf, ist sie nicht per se ein Indiz für ein mangelndes Interesse an den Kundenwünschen, sondern zeigt eher die Komplexität der Kundenerwartungen auf, die nicht immer eindeutig und selbstverständlich sind [244].

9.4 Qualitätsdimensionen von ServQual

Das zuvor besprochene GAP-Modell und die fünfte Lücke aus der Veröffentlichung von 1985 bildeten die Arbeitsgrundlage und die Basis für die Entwicklung des ServQual-Instrumentes [242]. Parasuraman und Zeithaml starteten zunächst mit zehn Qualitätsdimensionen und 97 Einzelitems, die abermals an den Kunden – den schon bekannten Dienstleister Banken (nur Privatkundengeschäft), Kreditkartenanbietern, Wertpapierhändlern sowie Wartungs- und Reparaturfirmen – getestet wurden [135]. Zusätzlich wurden noch Kunden von Telefonanbietern für Überseeverbindungen befragt [135]. Insgesamt wurde eine Stichprobe von 200 Befragten gebildet [135].

Die sich anschließende Faktorenanalyse konnte die Dimensionen auf die Anzahl von sieben und die der Einzelitems auf 34 eingrenzen [135]. Mit dieser Modifikation wurden wiederum 200 Kunden aus den oben genannten fünf Branchen eingeschlossen, sodass die Autoren nach erneuter Faktorenanalyse schließlich ihren finalen Fragebogen mit fünf Einzeldimensionen und 22 Einzelfragen konstruieren und validieren konnten [135] (Abbildung 6.10).

Abbildung 6.10
figure 10

(Eigene Abb., nach [135])

Die fünf Qualitätsdimensionen des ServQual-Instrumentes.

Im Folgenden werden die einzelnen Qualitätsdimensionen vorgestellt und erläutert:

  • Materielles

    Hierbei geht es um Räumlichkeiten, Ausstattung, technisches Equipment und z. B. die Kleidung der Mitarbeiter [135]. Verständlicherweise spielt zunächst das äußere Erscheinungsbild eine zentrale Rolle für den ersten Eindruck, den der Kunde gewinnt [135]. Auf den Krankenhausbereich bezogen sind hiermit die Behandlungszimmer, aber auch die Patientenzimmer, Stationen, Funktionsbereiche und OP-Säle gemeint.

  • Zuverlässigkeit

    Ein klassisches Beispiel aus dieser Qualitätsdimension ist das Einhalten von Terminen und Absprachen für Untersuchungen, Aufnahmen und Operationen [135]. Zuvor besprochene Leistungsbeschreibungen sollten eingehalten werden [135].

  • Entgegenkommen

    Diese Dimension beinhaltet die Fähigkeit, Probleme oder unvorhersehbare Situationen adäquat und kundenzentriert zu lösen [135]. Ein bedeutender Faktor dabei ist die Bereitschaft der Mitarbeiter, flexibel zu sein und Verantwortung zu übernehmen [135].

  • Kompetenz

    Die Qualifikationen und Fähigkeiten der Mitarbeiter haben einen großen Anteil an der Gesamtqualität der Dienstleistung [135]. Aber auch Aspekte wie Höflichkeit und kundenorientiertes Verhalten gehören in dieses Feld [135].

  • Empathie

    Mit dieser Dimension werden das Einfühlungsvermögen und die Sensibilität der Mitarbeiter in der Interaktion mit dem Kunden beschrieben [135]. Die Bereitschaft der Servicemitarbeiter, sich individuell auf die unterschiedlichen Charaktere von Kunden einzulassen, trägt entscheidend dazu bei, ob bei dieser Qualitätsdimension eine entsprechende Zufriedenheit generiert wird [135].

Bruhn fasst die fünf Qualitätsdimensionen des ServQual-Modells nochmals in kompakterer Form zusammen und kategorisiert [247]:

  • Sachliche Dimensionen

  • Persönliche Dimensionen

  • Zwischenmenschliche Dimensionen

Schlussendlich postulieren die Arbeiten von Zeithaml und Parasuraman ein mehrfaktorielles Konstrukt von Dienstleistungsqualität, was Ausdruck dafür ist, dass ‚nur‘ eine indirekte Erfassung dieser Zielgröße empirisch möglich ist [135]. Als Ergebnis haben die Autoren fünf Qualitätsdimensionen mit 22 Einzelfaktoren bestimmt [135].

9.5 Messung

Die konkrete Messung des ServQual-Instrumentes findet für jeden Einzelfaktor mit einer siebenstufigen Doppelskala vom Likert-Typ statt. Das Kontinuum reicht dabei von ‚Stimme gar nicht zu‘ bis ‚Stimme voll zu‘ [135].

Die Besonderheit der Doppelskala besteht darin, dass ein spezifischer Faktor zeitgleich mit einer ‚So-sollte-es-sein‘-Frage und einem ‚So-ist-es‘-Statement bewertet wird [135]. Diese von Parasuraman und Zeithaml vorgeschlagene Auswertungsmethodik entspricht einem ex-post Ansatz, bei dem nach erhaltener Dienstleistung sowohl der Ist-Zustand als auch die vorausgegangene Erwartung des Kunden separat aber zeitgleich erfasst werden [135]. Der ermittelte Unterschied gibt zumindest für diesen Einzelfaktor den Erfüllungsgrad der Erwartung wieder [135].

9.6 Kritische Bewertung der Methodik

Die ursprüngliche Doppelskala, als ein Spezifikum der ServQual-Messmethode, wird indes kritisch bewertet. Bruhn fasst die Kritik an dieser einzeitigen Erfassung von Erwartung und Erlebtem kondensiert wie folgt zusammen [248]:

„Insbesondere bietet die zentrale Komponente der Doppelskala Anlass zu Vorbehalten. In diesem Zusammenhang sind Probleme der Fragenbeantwortung, der Anspruchsinflation, der Diskriminationsstärke und schließlich der Plausibilität der Grundüberlegung zu nennen.“

Hentschel warnt in seiner Analyse des ServQual-Modells sogar explizit vor den Gefahren der typischen Doppelskala und empfiehlt mindestens eine Modifikation und Anpassung des Verfahrens für die avisierte Branche und Untersuchung [248].

Die Kritik an der gleichzeitigen Erhebung von Soll- und Ist-Werten scheint durchaus einleuchtend; so liegt es nahe, eine Beeinflussung des gerade Erlebten auf die Erwartung und umgekehrt postulieren zu können. Hingegen ist fraglich, inwieweit der Proband, der den Fragebogen ausfüllt, im Nachhinein seine Erwartungen noch eindeutig von der erlebten Dienstleistungsqualität bzw. dem erfragten Einzelaspekt trennen kann (vgl. [248]).

Einen ‚Ausweg‘ aus dieser Problematik bieten die zeitlich getrennten Befragungen der Soll- und Ist-Komponente, die in dieser empirischen Studie auch bewusst gewählt wurden [249]. Doch selbst dieser ex-ante-/ex-post-Modus kann nicht per se gewährleisten, dass die Erwartungen und die Bewertungen des Kunden in Bezug auf eine Dienstleistung valide erfasst werden [249]. Als schwierig erweist sich in diesem Zusammenhang vor allem die Erfassung der Erwartungen [249].

Es macht einen Unterschied, ob es sich um eine Idealvorstellung des Kunden handelt oder eine auf die konkrete Dienstleistung und den spezifischen Anbieter ausgerichtete Antizipation von Servicequalität, gerade weil die Höhe dieser Erwartung rein mathematisch gesehen einen entscheidenden Einfluss auf das Berechnungsergebnis nimmt [249].

Bezugnehmend auf die vorgetragenen Kritikpunkte haben Anwender der ServQual-Methode sowohl den Inhalt der Fragen als auch die Dimensionierung der Likert-Skala dabei der jeweiligen Forschungsfrage angepasst [250–252]. Die ursprüngliche Doppelskala wird nur noch selten angewandt, mit der deutlichen Tendenz hin zu einer getrennten Erhebung von Soll- und Ist-Werten [253].

Das ServQual-Instrument von Parasuraman bleibt immer noch das am häufigsten eingesetzte Verfahren zur Messung der Dienstleistungsqualität über die letzten Jahrzehnte [254–256]. Sowohl die Konstrukt- als auch die Konvergenzvalidität wurden in zahlreichen Studien, in denen das ServQual-Instrument zur Anwendung kam, als gut bewertet [238].

9.7 Anwendbarkeit in der Gesundheitsbranche

Die ersten Einsätze des ServQual-Instrumentes im Gesundheitssektor finden sich Anfang der 1990er Jahre [257–259]. Da der medizinische Bereich der Privatwirtschaft im Hinblick auf Qualitätsmanagement und Kundenzufriedenheit erst nachfolgte, kam es zu diesem zeitversetzten Einsatz [260].

Einen wesentlichen Beitrag zur Etablierung des ServQual-Instrumentes leistete die Arbeitsgruppe um Babakus. In einer Studie aus dem Jahr 1992 wurde nicht nur die Anwendbarkeit des Instrumentes für den Gesundheitsbereich überprüft, sondern zudem für die besonderen Herausforderungen in dieser Branche modifiziert [261]. Methodisch führte Babakus zunächst ein Expert Panel durch, um den Inhalt der Fragen und deren Formulierungen auf den Krankenhausbereich anzupassen, danach erfolgte ein Pretest [261]. Die ursprüngliche Anzahl von 22 Items des Originalfragebogens von Parasuraman verkürzte sich auf 15, die siebenstufige Likert-Skala wurde auf fünf Dimensionen reduziert [261]. Die Rücklaufquote der Fragebogenstudie über die Patientenzufriedenheit in einem mittelgroßen amerikanischen Krankenhaus war mit 22 % gering [261]. Bei insgesamt über 2000 angeschriebenen Patienten konnten lediglich 443 Fragebögen ausgewertet werden [261]. Die Werte für Reliabilität und Validität waren hingegen hervorragend [261].

Seit den 1990er Jahren wird die ServQual-Methode regelmäßig national und international für Studien zur Messung der Patientenzufriedenheit in unterschiedlichen Bereichen der medizinischen Leistungserbringung eingesetzt (Suchparameter PubMed: „servqual“[All Fields]) (Abbildung 6.11).

Abbildung 6.11
figure 11

(Eigne Abb.)

Anzahl der Publikationen bei Eingabe des Suchbegriffs „servqual“.

Festzustellen ist, dass das Instrument für die meisten Fragestellungen eigens modifiziert und angepasst wird. Dabei sind die testtheoretischen Gütekriterien von Reliabilität und Validität stets akzeptabel bis hervorragend [252, 262, 263].