1 Patientenzufriedenheit

Wie im Rahmen der Ergebnisdarstellung gezeigt, liegen bei der Gesamtzufriedenheit der Patientinnen und Patienten hohe Zufriedenheitswerte mit der Prämedikationsleistung vor. Über 70 % sind insgesamt zufrieden und 68,4 % würden die Ambulanz sogar weiterempfehlen. In diesem Kontext sollte noch einmal betont werden, dass es sich um eine Prämedikationsambulanz an einem großen deutschen Universitätsklinikum und Maximalversorger handelt.

In Bezug auf die soziodemographische Struktur findet sich in der Studienpopulation eine leicht schief verteilte Altersstruktur hin zu den jüngeren Jahrgängen, mit einem Altersdurchschnitt von 48,3 Jahren. Dies entspricht auf den ersten Blick nicht der Erwartung des vermuteten Patientenklientels an einem Maximalversorger. Erklärbar ist der relative Überhang an jüngeren Patienten aber durch die Ein- und Ausschlusskriterien der Erhebung (siehe Unterkapitel 10.5). Ausgeschlossen waren u. a. alle Patienten, die nicht selbstständig in die Ambulanz kommen konnten, also bettlägerige und körperlich stark eingeschränkte Patienten. Ebenfalls wurden kognitiv eingeschränkte Patienten mit Erkrankungen wie z. B. einer Demenz ausgeschlossen. Beide beschriebenen Patientencharakteristika sind mit einem höheren Lebensalter assoziiert.

Bei den Faktoren Geschlecht, Bildungsniveau und Familienstand ist eine Normalverteilung feststellbar. Mit einem Anteil von 57 % überwiegt das weibliche Geschlecht erwartungsgemäß. Der Versicherungsstatus in der Studienpopulation ist jedoch auffällig, da es einen überproportional hohen Anteil an PKV-Patienten (17 %) und Patienten mit privater Zusatzversicherung (19 %) gibt. So ist immerhin ein Drittel der Patientinnen und Patienten in einer dieser Versicherungsmodalitäten zu finden. Für die Studie ist diese Begebenheit vorteilhaft, weil u. a. auch der Versicherungsstatus und dessen Einfluss auf die Patientenzufriedenheit untersucht wurde.

Die ‚hohen‘ Werte der Patientenzufriedenheit, mit 71 % globaler Zufriedenheit, aber auch die differenzierten Werte der einzelnen Qualitätsdimensionen (wahrgenommene Qualität) mit absoluten Werten von minimal 5,62 bis 6,09 – der maximale Punktwert kann 7 betragen – und die größte Differenz von Erwartung zu Erlebten von 0,38, fügen sich in die bestehende Studienlandschaft ein und sind sogar eher am unteren Pol angesiedelt (siehe Unterkapitel 6.8 Tabelle 6.4 und Tabelle 6.5).

Trotz der zunehmenden Ökonomisierung und Prozessoptimierung im Krankenhausbereich hat dies – zumindest bisher – noch keine Auswirkungen auf das Zufriedenheitsempfinden von Patientinnen und Patienten der Prämedikationsambulanz [505, 506]. Die Patientinnen und Patienten dieser Studie sind insgesamt zufrieden mit der angebotenen Leistung der Prämedikationsambulanz.

Inwieweit ein möglicherweise gesunkenes Erwartungsniveau der Patienten dafür verantwortlich ist, dass es zu keinen ‚großen Enttäuschungen‘ kommt, oder auch andere intrapersonelle Verarbeitungsprozesse eine Rolle spielen, bleibt offen.

So ist vorstellbar, dass Patienten mit einem niedrigen Erwartungsniveau, weil diese unter Umständen in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen gemacht haben, leichter eine höhere Zufriedenheit erreichen können als Patienten mit einem höheren Erwartungsniveau [125]. Hingegen könnten deutlich negative Narkoseerfahrungen in der Vergangenheit die Entstehung von Präoperativer Angst begünstigen oder fördern.

Der Vorteil des eingesetzten ServQual-Instrumentes ist die fragmentierte und detaillierte Analyse der Zufriedenheit. Bei den untersuchten Dimensionen (Annehmlichkeiten, Zuverlässigkeit, Reaktionsfähigkeit, Empathie, Leistungskompetenz) findet sich der höchste Erwartungswert bei der Leistungskompetenz, gefolgt von der Empathie. Interessant ist, dass der Bereich ‚Annehmlichkeiten‘, der u. a. die Räumlichkeiten und die Ausstattung umfasst, in seinem Erwartungswert von allen fünf Qualitätsdimensionen am niedrigsten ausfällt. Den Patientinnen und Patienten sind nach diesen Daten folglich die fachlich-medizinische Qualität und eine wohlwollende und mitfühlende Interaktion besonders wichtig.

Auf der Seite der erlebten Wirklichkeit liegen die Punktwerte sehr nah beieinander – Punktwerte von 5,62, 5,92, 5,97 6,09, 5,93 – und es gibt über alle vier Qualitätsdimensionen keine Ausreißer. Somit wird die Lücke zwischen ‚Erwartung‘ und ‚Wahrnehmung‘ vornehmlich über die Höhe der Erwartung bestimmt, was abermals die Vermutung nahelegt, das nicht die wirklich erlebte Qualität die Höhe der Zufriedenheit determiniert, sondern die Höhe der erwarteten Qualität [125].

Diese Vermutungen sollen in der Zusammenschau mit den noch folgenden varianzanalytischen Auswertungen zur Patientenzufriedenheit und zur Präoperativen Angst später abschließend beurteilt werden.

Ein weiterer Aspekt ist die Zufriedenheit der Ärztinnen und Ärzte mit der erbrachten Prämedikationsleistung. Während bei den Patientinnen und Patienten eine Gesamtzufriedenheit von 70,9 % festzustellen ist, findet sich bei den prämedizierenden Ärzten ein signifikant geringerer Zufriedenheitswert von 56,7 %. In einer bivariaten Korrelationsanalyse wurden beide ‚Zufriedenheiten‘ korreliert. Dabei stellt sich eine positive Beziehung dar, d. h. die Zufriedenheit der Patientinnen und Patienten korreliert proportional mit den Zufriedenheiten der Ärztinnen und Ärzte.

Zwar wurde in dieser Studie nicht primär die Mitarbeiterzufriedenheit erforscht, jedoch fällt der deutliche Unterschied zwischen den Zufriedenheitswerten der Patienten und der ärztlichen Mitarbeiter auf. Bei den Ärztinnen und Ärzten sind eine hohe Arbeitslast und ein starker Zeitdruck bei der Leistungserbringung durchaus vorstellbar [599]. In der Konsequenz scheint diese ‚Unzufriedenheit‘ der behandelnden Ärzte jedoch nicht in gleichem Maße bei den Patientinnen und Patienten anzukommen.

Mit der durchgeführten Regressionsanalyse wurde eine nochmals detailliertere Aufschlüsselung des Kriteriums Zufriedenheit angestrebt. Neben der Bestimmung der globalen Patientenzufriedenheit sollten auch soziodemographische und biographische Faktoren auf ihren expliziten – negativen oder positiven – Einfluss auf die Zufriedenheit hin untersucht werden.

Insbesondere Patientinnen und Patienten, die in der Vergangenheit schon positive Erfahrungen mit Narkosen gemacht hatten, waren signifikant zufriedener mit dem Prämedikationsgespräch. Eine ähnlich starke Korrelation zeigte sich für den Aspekt der ‚Narkosevorerfahrungen‘. Je häufiger Patienten eine Narkose erlebt hatten, desto höher fiel auch die Zufriedenheit aus. Die ebenfalls untersuchte Variable ‚Alter‘ zeigte, dass ältere Patienten zufriedener waren als jüngere.

Die Auswirkungen auf die Zufriedenheit aller drei Variablen – Narkoseerfahrungen, Narkosehäufigkeiten und Alter – lassen sich u. a. mit der Adaptations- und Anspruchsniveautheorie erklären.

Bei der Adaptationstheorie wird die Zufriedenheitsgenese maßgeblich von den in der Vergangenheit gesammelten Erfahrungen, die eine Referenz bilden, bestimmt (siehe Unterkapitel 6.3). Konkret bedeutet dies, dass die Summe der gemachten Erfahrungen mit Klinik- oder Ambulanzbesuchen die Erwartungen bei einem zukünftigen Besuch einer Ambulanz modulieren. Es lässt sich antizipieren, dass das Spektrum der vorgefundenen Leistungsgrade – von exzellent bis unzureichend – umso breiter ist, je häufiger medizinische Einrichtungen, Sprechstunden und Ambulanzen in der Vergangenheit in Anspruch genommen wurden (vgl. [105]). Umso relativer wird die Sicht auf zukünftige, ähnliche Dienstleistungen.

Im Gegensatz zur Adaptationstheorie bedient sich die Anspruchsniveautheorie nicht explizit der biographischen Vorerfahrungen (siehe Unterkapitel 6.3). Dabei entsteht Zufriedenheit hauptsächlich durch die Höhe des Anspruchsniveaus, wobei hier keine konkreten Faktoren, die dieses Anspruchsniveau beeinflussen, genannt werden (siehe Unterkapitel 6.3). Der Grundgedanke dieses Modells ist es, dass weniger die erbrachte Dienstleistungsqualität, die nicht besser als optimal ausfallen kann, über die Höhe der Zufriedenheit entscheidet, sondern vielmehr die Höhe des Anspruchs.

Auf der Modellebene lassen sich beide Theorien zwar differenzieren, in der Praxis sind Analogie und Überlappung jedoch nicht übersehbar (vgl. [105]). Es ist denkbar, dass Vorerfahrungen das Anspruchsniveau durchaus in die eine oder andere Richtung verändern können.

Für die Variablen ‚Alter‘ und ‚Narkosehäufigkeiten‘ stellen beide Theorien mögliche Erklärungen dar. Die Erfahrungen bereits erlebter Narkosen – und somit auch der vorherige Besuch der Prämedikationsambulanz – lassen eine gewisse Bandbreite des erfahrenen Leistungsniveaus vermuten. Kritisch anzumerken ist gleichwohl, dass Alter und Narkosehäufigkeiten auch eine eigene positive Korrelation untereinander aufweisen. In der Regel steigt mit fortschreitendem Alter die Wahrscheinlichkeit, eine Narkose zu benötigen. Weiterhin ist die Variable ‚Narkoseerfahrungen‘, die die qualitative Bewertung bisher erlebter Narkosen in einem Spektrum von negativ bis positiv erfasst und eine signifikant positive Korrelation mit der Patientenzufriedenheit zeigt, nicht kompatibel mit der Adaptationstheorie. Denn diese positive Korrelation zwischen der qualitativen Bewertung von Narkosen in der Vergangenheit mit der aktuellen Zufriedenheit des Besuchs der Prämedikationsambulanz sagt aus, dass positive Narkoseerfahrungen in der Vergangenheit mit einer höheren Zufriedenheit bei einem Besuch der Prämedikationsambulanz in der Gegenwart assoziiert sind.

Nach der klassischen Vorstellung der Adaptationstheorie würden eher negative Erfahrungen in der Vergangenheit zu einer höheren Patientenzufriedenheit mit der gegenwärtigen Situation führen, im Sinne einer Relativierung des Soll-Wertes. Nach diesem Mechanismus hätte der Korrelationskoeffizient eine negative Ausrichtung erhalten müssen, was in der Studie jedoch gegenteilig ausfiel.

Sowohl die Anspruchsniveautheorie als auch die Adaptationstheorie sind Modelle über intrapsychische unbewusste Vorgänge und weisen eine stark vereinfachte und mechanistische Sicht auf die Realität auf (siehe Unterkapitel 6.3).

Plausibel und nachvollziehbar sind empirisch beide Varianten: Negative Erfahrungen in der Vergangenheit können in der Tat eine relativierte und ‚gelassenere‘ Erwartungshaltung für die Zukunft entstehen lassen. Negative Erfahrungen können aber auch zu einer überkritischen, angstvollen Erwartung hinsichtlich der Zukunft führen. Welche Konsequenz diese ‚negative Erfahrung in der Vergangenheit‘ schlussendlich nach sich zieht, hängt entscheidend vom Kontext und vom Inhalt der Erfahrung ab und ist sehr wahrscheinlich multifaktoriell und individuell determiniert (vgl. [105, 125]).

Der Einfluss auf das Zufriedenheitserleben mit der Prämedikationsambulanz in Bezug auf Vorerfahrungen mit eben dieser Dienstleistung ist in der Studie deutlich geworden. Rückblickend auf Unterkapitel 6.3 in dem die Modelle der Zufriedenheitsentstehung besprochen wurden, ist hierbei an die kognitive Dissoziation und die Anspruchsniveautheorie zu denken.

Vor diesem Hintergrund ist jedoch zu konstatieren, dass Theorien insbesondere in Bezug auf unbewusste psychische Vorgänge nur eine vereinfachte Sichtweise darstellen. Die Richtung, in der vergangene Erfahrungen eine zukünftige Bewertung beeinflussen, scheint dabei nicht sicher festgelegt zu sein.

Auch der Versicherungsstatus wurde auf seine Beziehung zur Patientenzufriedenheit untersucht. Dabei fand sich eine signifikant negative Korrelation mit der Zufriedenheit, sowohl bei PKV-Patienten als auch bei GKV-Patienten mit privater Zusatzversicherung. Der Versicherungsstatus hat nach dieser Analyse einen Einfluss auf die Patientenzufriedenheit. Privat Krankenversicherte sind insgesamt unzufriedener, gefolgt von GKV-Versicherten mit einer privaten Zusatzversicherung.

Analog zur Anspruchsniveautheorie ist vorstellbar, dass das deutlich monetär geprägte Kunden-Dienstleistungsverhältnis bei Patientinnen und Patienten der Privaten Krankenversicherung zu einem erhöhten Anspruchsniveau und damit zu einer kritischeren Bewertung der erhaltenen Leistung führt.

Für GKV-Versicherte ist die medizinische Behandlung per se kostenlos, weshalb gut vorstellbar ist, dass sich dies auch in einem geringeren Anspruchsniveau niederschlägt und teilweise sogar Phänomene das Moral Hazard auftreten [600].

Eine weitere signifikante Korrelation besteht zwischen dem Herkunftsland des Patienten und dessen Zufriedenheit. So sind Patientinnen und Patienten aus südeuropäischen Ländern unzufriedener mit der Prämedikationsleistung als z. B. Patienten aus Deutschland.

Einen möglichen Erklärungsansatz hierfür können interkulturelle Unterschiede darstellen. Das Kommunikationsverhalten, Mündlichkeit und Schriftlichkeit, das Distanzverhalten im Sinne der Proxemik, das Geschlechterverhältnis usw. divergieren teilweise stark zwischen Nord- und Südeuropäern.

Es liegt daher nahe, dass deutschstämmige Patienten vertrauter und konvergenter mit den Umgangsformen und der Interaktion in einer Prämedikationsambulanz in Deutschland sind, da sie den gleichen kulturellen Hintergrund aufweisen; sie wissen also eher, was sie erwarten können, und sind deshalb auch weniger stark enttäuscht.

Hingegen können interkulturelle Unterschiede zwischen Patientinnen und Patienten aus südeuropäischen Heimatländern und Mitarbeitern der Ambulanz mit deutscher Herkunft durchaus eine Diskrepanz von Patientenerwartung und erlebter Dienstleistung verursachen [601, 602].

2 Präoperative Angst

In der vorliegenden Studie ist eine Prävalenz der relevanten Präoperativen Angst von nahezu 60 % zu beobachten, wobei das weibliche Geschlecht überwiegt. Es geht hierbei keinesfalls um eine normale Aufgeregtheit, Anspannung oder auch Angstgefühle, die vor einem operativen Eingriff, der einer Narkose bedarf, eine natürliche Reaktion darstellen; gemeint ist vielmehr ein pathologisches Angstniveau, das über das ‚normale‘ Maß hinausgeht (vgl. Unterkapitel 7.6.5).

Anders, als vielleicht der klinische Alltag nahebringt, sind es dann doch die Frauen, die von dieser pathologischen Angst stärker betroffen sind als die Männer, was konkludent mit aktuellen Studien ist [360, 603]. Auch konnte die oftmals bestehende Vorannahme, Patienten hätten generell mehr Angst vor der Narkose als vor dem operativen Eingriff, nicht bestätigt werden; in der Untersuchung überwog die Angst vor der Operation.

Eine mögliche Erklärung ist, dass Prozesse und Abläufe, die nicht antizipierbar sind und bei denen kein Vergleich mit ähnlichen – alltäglichen – Situationen vorhanden ist, mit Unsicherheit und Angst assoziiert sind [279]. Im Besonderen stellen der operative Eingriff und die Narkose Maßnahmen dar, die die Autonomie und die Selbstbestimmung jedes Einzelnen maximal verletzen [279]. Vor allem die Narkose und das ‚Ausschalten des Bewusstseins‘ sind für viele Menschen ein Mysterium [72, 287]. Dies beinhaltet sogar eine Rationale; denn selbst in der anästhesiologischen Grundlagenforschung existiert noch immer keine alleingültige und umfassende Theorie zur Erklärung des Hypnotika-induzierten Bewusstseinsverlustes [604].

Der Erklärungsansatz, dass Präoperative Angst dadurch entsteht, dass in der breiten Bevölkerung ein mangelndes Wissen und eine unzureichende Nachvollziehbarkeit über die operative Therapie mit Narkose existieren, wird durch die Interferenzstatistik von soziodemographischen Faktoren auf die Präoperative Angst gestützt [72, 78]. Es zeigt sich, dass Patientinnen und Patienten, die noch nie eine oder nur maximal drei Narkosen und Operationen erlebt haben, signifikant mehr Angstfälle aufweisen als Patientinnen und Patienten, die bisher schon mehr als drei Narkosen erlebt haben. In dieser letzten Gruppe gibt es signifikant weniger Angstpatienten.

Auch die qualitative Bewertung der in der Vergangenheit erlebten Narkosen wirkt sich auf die Angstentstehung aus. Negative Erfahrungen bewirken einen signifikant höheren Anteil von Präoperativer Angst, wohingegen positive Erfahrungen zu signifikant weniger Angstfällen führen.

Eine mögliche Erklärung für diese Phänomene kann die kognitionspsychologische Angsttheorie liefern, bei der eine Bestimmtheit und fehlende Kompetenz zu einem Kontrollverlust und zu einer vermehrten Angst führen [605, 606]. Bestimmtheit bedeutet in diesem Zusammenhang die Möglichkeit Ereignisse voraussagen, mögliche Ausgangsszenarien antizipieren zu können [606]. Kompetenz bedeutet im kognitionspsychologischen Kontext die Fähigkeit zu Handeln, zu Modulieren, zu Verändern [606].

Im Rahmen einer Narkose und einer nachfolgenden Operation wird klar, dass eben genau diese beiden Grundbedürfnisse nach ‚Bestimmtheit‘ und ‚Kompetenz‘ in der perioperativen Situation unbefriedigt bleiben oder zumindest stark eingeschränkt sind [605, 606]. Gerade die Vollnarkose, aber auch die stattfindende operative Intervention, heben die Kompetenz und die Selbstwirksamkeit der Patientinnen und Patienten vollends auf [279].

Je geringer der Grad der Bestimmtheit ist, also die Fähigkeit des Patienten einschätzen und voraussehen zu können, was in der Phase vor der Narkoseinduktion passiert (Einschleusung, Lagerung auf dem OP-Tisch, Monitoring der Vitalzeichen usw.) desto mehr wird durch aktive Wahrnehmung versucht, vertraute Muster erkennen zu können [606]. Auf die klinische Praxis übertragen scheint dies durchaus plausibel, sind doch ein häufiges Nachfragen, zahlreiche Blickwechsel oder gar ein Aufsetzen, Anzeichen für eine gesteigerte psychomotorische Erregung und Angst und den Versuch, durch eine vermehrte Aufnahme von Sinneseindrücken, die Unsicherheit zu reduzieren.

Auch die fehlende Kompetenz (Liegen auf einem OP Tisch, Bekleidung nur durch ein OP-Hemd, Sicherheitsgurt des OP-Tisches usw.) lassen kognitionspsychologisch als Ausweg ein verstärktes Bindungsverhalten entstehen [606]. Aus der praktischen Erfahrung scheinen sich auch diese theoretischen Überlegungen zu bestätigen, sind doch ein Großteil der Patientinnen und Patienten sehr empfänglich für Körperkontakt, in Form von Hand halten oder drücken.

Die Erkenntnis aus den Daten der empirischen Studie, dass es zu weniger Präoperativer Angst kommt, wenn schon Narkosen in der Vergangenheit stattfanden und die Erfahrungen nicht negativ belastet waren lässt das Maß der Bestimmtheit höher werden, kann doch ein vorbestehender Erfahrungspool das Wiedererkennen von Situationen und eine gewisse Vertrautheit zur Folge haben [606].

Bei den weiteren untersuchten soziodemographischen Faktoren zeigen sich signifikant mehr Angstfälle bei Patientinnen und Patienten der PKV als bei gesetzlich Versicherten; auch ein höherer Bildungsabschluss resultiert in einer signifikant häufiger auftretenden Präoperativen Angst.

Zu Bedenken ist, dass diese zwei Variablen (Versicherungsstatus und Bildungsgrad), bei denen eine Korrelation zur Präoperativen Angst gefunden wurde, abhängig voneinander sind, da ein höherer Bildungsabschluss auch mit einer höheren Wahrscheinlichkeit der PKV-Mitgliedschaft verbunden ist [607].

Kognitionspsychologisch lässt sich der Befund, dass ein höheres Bildungsniveau zu einer vermehrten Präoperativen Angst führt jedoch nicht schlüssig erklären. Aus dieser Perspektive würde man eher das Gegenteil erwarten, ginge man doch davon aus, dass ein höherer Bildungsabschluss, z. B. in Form einer akademischen Ausbildung, zu einer höheren intellektuellen Durchdringung der indifferenten perioperativen Situation führt – z. B. durch vermehrte Informationsbeschaffung – und somit dann ein erhöhtes Maß an Bestimmtheit generiert. In Bezug auf Angststörungen und Depression ist allgemeiner Konsens, dass ein niedrigerer sozioökonomischer Status mit einer höheren Inzidenz von Angststörungen und Depression korreliert ist [608, 609].

Ein Ausweg ist die Annahme, das ‚Bestimmtheit‘ und ‚Kompetenz‘ zwar Grundbedürfnisse für jedes Individuum darstellen, die Höhen zur Befriedigung dieser Grundbedürfnisse jedoch unterschiedlich sind, abhängig von eben diesen soziodemographischen Faktoren [606]. So ist vorstellbar, dass für einen Patienten mit einem beispielsweise akademischen Schulabschluss und konsekutiv einer beruflichen Tätigkeit in einer Führungsposition, das Bedürfnis nach Selbstwirksamkeit, Effizienz und Kompetenz erst bei einem überdurchschnittlich hohen Erreichungsgrad gestillt wird [606].

Von der soziologisch und medizin-psychologischen Perspektive ist das Bedürfnis nach Mitbestimmung, des Verstehens der beabsichtigen Maßnahmen – Shared Decision Making und Partizipative Entscheidungsfindung – bei vielen Patienten die Ausgangsprämisse im Arzt-Patienten-Verhältnis; dies wurde detailliert im Unterkapitel 9.4 besprochen [15, 555].

Trotz des unbestrittenen Wandels von einem ehemals mehrheitlich gelebten patriarchalischen zu einem partnerschaftlichen Verhältnis zwischen Arzt und Patient, bei dem die Begegnung auf Augenhöhe – obgleich der formalen und äußeren Inkongruenzen – Patientenautonomie, Patientenzentrierung und Mitbestimmung grundlegende Bestandteile darstellen, verursacht das perioperative Setting, selbst bei größten Anstrengungen seitens des medizinischen Personals, eine faktische Situation von Abhängigkeit, Ausgeliefertsein und Handlungsunfähigkeit, liegt der Patient nun einmal auf einem Operationstisch, in einer fremden Umgebung und erwartet eine Allgemeinanästhesie, welche das Bewusstsein komplett ausschaltet und eine nachfolgende Verletzung der körperlichen Integrität durch den operativen Zugang vorgesehen ist [118, 475].

Diese Beziehungsstruktur – patriarchalisch – ist in modernen, demokratischen und rechtstaatlichen Gesellschaften ungewohnt und mag, aus soziologischer Sicht, eine Erklärung für die hohe Prävalenz der Präoperativen Angst darstellen und insbesondere begründen, warum gerade Patientinnen und Patienten mit einem hohen Bildungsabschluss eine vermehrte Präoperative Angst aufweisen, impliziert man, dass diese Individuen ein überproportional starkes Bedürfnis an Mitbestimmung und Autonomie aufweisen.

Methodisch erwähnenswert sind die Ergebnisse der explorativen Faktorenanalyse des APAIS-D-Instrumentes. Obwohl es sich bei dem Instrument um ein direkt aus der Literatur übernommenes psychometrisches Instrument handelt und keinerlei Änderungen vorgenommen wurden, bringen die ermittelten Ergebnisse aus der EFA zumindest inhaltlich betrachtet eine Neuerung; sowohl die Eigenwerte der beiden Faktoren als auch die kumulative Varianz belegen die hohe statistische Wertigkeit der Ergebnisse.

Der entscheidende Unterschied zu den Validierungsstudien von Moerman und Berth liegt in der Tatsache, dass in der explorativen Analyse dieser Studie zwar auch zwei Faktoren zu finden sind, jedoch beinhalten diese die beiden Faktoren Anästhesie- und Chirurgie-assoziierte Angst [7, 364].

Zur Einordnung sei noch einmal wiederholt, dass die ursprüngliche Validierung der APAIS (englische Version) in der Veröffentlichung von Moerman et al. aus dem Jahr 1996 sowie die erste Validierungsstudie der deutschen Version aus dem Jahr 2007 jeweils eine Zwei-Faktoren-Struktur fanden, jedoch stellte ein Faktor die Angst allgemein – undiskriminiert zwischen Anästhesie- und Chirurgie-spezifischer Angst – und der andere Faktor das Informationsbedürfnis dar [7, 364].

Auch inhaltlich lassen sich plausible Argumente für diesen Lösungsansatz anführen. Bei der APAIS-D handelt es sich um ein Instrument mit gerade einmal sechs Einzelitems, die inhaltlich eng beieinanderliegen (siehe Unterkapitel 7.6.5). Ob das Informationsbedürfnis inhaltlich und statistisch tatsächlich so gut trennbar von der Angst der Patienten ist, bleibt diskussionswürdig.

Aus der klinischen Sicht als Anästhesist entsteht die Vermutung, dass Patientinnen und Patienten häufig sehr wohl ihre Angst diskriminieren können in Angst vor der Operation als solche und der Angst vor der Narkose. Teilweise überwiegt die Angst vor der Anästhesie, aus der praktischen Erfahrung heraus, den objektiv mit einer viel höheren Mortalität verbunden operativen Eingriff sogar [285, 610].

Sowohl aus der soziologischen, als auch der kognitionspsychologischen Perspektive heraus lassen sich die empirischen Ergebnisse einordnen, warum die gleiche Situation – Narkose und Operation – bei dem einen Individuum zu einer relevanten Präoperativen Angst führt und bei dem anderen Individuum nicht. Den Unterschied zu machen scheint nicht die physikalische Umwelt als solche, sondern die Verarbeitung, Interpretation und Bewertung der gewonnen Sinneseindrücke im neuronalen Netzwerk. Zusätzlich sind die mangelnde Erfahrung und Vertrautheit mit dieser Situation, aber auch die ungewohnte Beziehungsstruktur, zusätzliche Erklärungsansätze.