In der Einleitung zu diesem Buch habe ich im Zuge der Diskussion klassischer Texte der Polizeisoziologie einen systempluralistischen und funktionalistisch gebildeten Begriff von Polizei vorgeschlagen. Wie andere systemtheoretische Begriffe, etwa derjenige des Rechts oder der Öffentlichkeit eines sozialen Systems, kann dieser Begriff von Polizei nicht nur auf die moderne Gesellschaft mit Polizei als formaler Organisation, sondern auch auf andere soziale Systeme bezogen werden, die wie einfache Gesellschaften, Interaktionen, Familien, Gruppen, Protestbewegungen oder Organisationen typisch nicht über ausdifferenzierte Polizeiorgane im üblichen Sinne des Wortes verfügen. Als funktional-problembezogen gebildeter BegriffFootnote 1 geht dieser Polizeibegriff nicht von bestimmten Merkmalen von ‚Polizei‘ – etwa die Ausdifferenzierung und Institutionalisierung der Berufsrolle des Polizisten oder den Bezug von Polizei auf Staat, Strafrecht und Gewaltmonopol – sondern von bestimmten Bezugsproblemen aus, für deren Bearbeitung polizierende Einheiten in einem sozialen System Zuständigkeit beanspruchen. Mein Vorschlag war, hier zwei Problemlagen gleichberechtigt nebeneinander aufzunehmen: Zum einen ‚Peacekeeping‘ in Form der Eindämmung und Sanktionierung offener Normverstöße mit dem Ziel, einen gewissen Zustand systemöffentlicher (Un)Ordnung zu erhalten, zum anderen ‚Ermittlungsarbeit‘ in Form der Rekonstruktion und Aufklärung von Normverstößen.

In Kapitel 5 habe ich nun drei verschiedene Konstellationen des Polizierens auf gesellschaftlicher Ebene untersucht. Gemeinsam ist den betrachteten polizierenden Einheiten – den Thief-takern, Constables und Bow Street Runners in England im 17. und 18. Jahrhundert, Vidocq und seinen Mitarbeitern in Paris zu Beginn des 19. Jahrhunderts und schließlich den Kriminalisten der Berliner Kriminalpolizei während der Weimarer Republik, dass sie im Auftrag einer Dritten Partei – den Opfern einer Straftat, einer Gemeinde oder einer staatlichen Instanz – im Feld der Strafverfolgung agieren. Jede dieser Instanzen hat also den offiziellen Auftrag, Informationen zu begangenen oder geplanten Straftaten zusammenzutragen, die der jeweils beauftragenden Partei so nicht ohne weiteres zugänglich sind. Die Form, in der dieser Auftrag bearbeitet wird, unterscheidet sich dabei in den drei betrachteten Konstellationen deutlich: Die Constables im England des 17. und 18. Jahrhunderts können zwar als ausdifferenzierte Rollen auf dem Feld der Strafverfolgung beschrieben werden, weisen in ihrem Handeln aber gegenüber der umfassenden Sozialstruktur der jeweiligen Gemeinde nur ein geringes Maß an Autonomie auf. Die Constables können sich in ihrem Handeln nicht weit von den in der Gemeinde institutionalisierten Normen und Hierarchien entfernen und eine eigenständige Ermittlungsarbeit ist typisch auch nicht erforderlich, da die Sanktionierung von Normverstößen und die Funktion sozialer Kontrolle, das Verhalten der Gemeindemitglieder erwartbar zu machen, nicht von einem ausdifferenzierten Teilsystem, sondern von der durch diffuse Rollenzusammenhänge gekennzeichneten Gemeindestruktur insgesamt übernommen wird.

Im Vergleich zu den Constables agieren die Thief-taker, die Bow Street Runners und auch die Mitarbeiter der von Eugène François Vidocq aufgebauten und geleiteten Pariser Behörde zu Beginn des 19. Jahrhunderts dann durchaus schon als relativ autonome Ermittler, sind also auf die Gewinnung von Informationen über begangene Straftaten spezialisiert und in ihrem Handeln weniger stark durch die gesamtgesellschaftliche Ordnung bestimmt. Zugänglich sind diesen frühen Ermittlern die benötigten Informationen typisch durch eigene andere Rollen oder etablierte Kontakte in Grenz- bzw. Zwischensysteme.Footnote 2 Dies gilt für Vidocq und die übrigen Mitglieder der Sûreté Nationale als Seitenwechsler ebenso wie für die Thief-taker und Bow Street Runners, die etwa in Kneipen, Bordellen oder günstigen Pensionen arbeiten und so Kontakt zu den Milieus pflegen, aus denen heraus ein Großteil der Eigentumsdelikte ihrer Zeit begangen wird.

Den anschließend am Fall der Berliner Kriminalisten der Weimarer Republik betrachteten professionalisierten und formal organisierten Ermittlern fehlt im Vergleich zu den frühen Ermittlern der Zugang zu einem zuverlässigen Informationsfluss durch eigene andere Rollen oder durch die Einbettung in eine lokale Gemeinschaft. Die Analyse dieser Konstellation hat eine Verlagerung von den zuvor an Einzelpersonen hängenden Formen der Kooperation zwischen polizierenden und polizierten Akteuren auf die Ebene formaler Organisationen – Polizei und Ringvereine – gezeigt. Während im England des 17. und 18. Jahrhunderts die Thief-taker als Grenzrolle, als vermittelndes und übersetzendes Element zwischen Justiz, Tätern und Opfern von Eigentumsdelikten agieren, wird die Funktion eines vermittelnden Grenz- oder Zwischensystems in den 1920er Jahren in Berlin von den Ringvereinen als formal organisierten Zusammenschlüssen von ehemaligen Gefängnisinsassen und aktiven Straftätern übernommen. Wie die Thief-taker gewinnen auch die Ringvereine ihren Einfluss dadurch, dass sie verschiedenen Umweltpartnern Leistungen anzubieten haben: Den in ihnen organisierten Straftätern bieten sie Schutz vor Strafverfolgung und ein geringes Niveau an Konkurrenz auf den illegalen Märkten; den Betreibern von Kneipen und Bordellen und deren Besuchern bieten sie ein geringes Maß an Gewalt; und der Polizei bieten sie neben ihrem Beitrag zu einem geringen Niveau öffentlich sichtbarer Normbrüche immer wieder auch Hinweise auf Straftaten, die von nicht in den Vereinen organisierten Personen begangen worden sind.

Fallübergreifend haben die Analysen veranschaulicht, dass die bloße Übernahme von Informationen der jeweiligen Umweltpartner in die eigenen Entscheidungen durch polizierende Einheiten – also der Verzicht auf eine eigenständige Ermittlungsarbeit – zu einer Reproduktion von Umweltstrukturen beiträgt. Das gilt für die Weimarer Zeit, in der die Polizei zu einer Reproduktion der Struktur illegaler Märkte beiträgt, wenn sie in Folge der von den Ringvereinen übermittelten Informationen gegen nicht organisierte Einzeltäter aktiv wird, ebenso wie für die von Vidocq geleitete Pariser Behörde, die weiterhin stark auf Denunziationen durch Einzelpersonen angewiesen ist und nur begrenzte Mittel hat, die Anzeigen auf ihre Glaubwürdigkeit zu überprüfen. Diese auf Denunziation basierenden Systeme der Strafverfolgung bleiben in hohem Maße von den im „Ursprungssystem des Normbruchs“ (Luhmann 1972, S. 275) institutionalisierten Normen und Hierarchien abhängig und sind deshalb kaum dazu in der Lage, Informationen über die ranghohen und etablierten Straftäter zu erlangen, da deren Denunziation für potenzielle Informanten mit zu hohen Folgekosten verbunden ist. In anderer Hinsicht gilt es auch für das auf der Initiative von Privatpersonen basierende System der Strafverfolgung im England des 17. und 18. Jahrhunderts, das stark durch die Schichtungsstruktur der umfassenden Gesellschaft geprägt war und zu ihrer Reproduktion beigetragen hat.

Zur gesellschaftlichen Wirklichkeit von Polizeiarbeit: Peacekeeping statt Verbrechensbekämpfung

Die hier vorgeschlagene Charakterisierung des Verhältnisses von polizierenden Einheiten zu Milieus mehr oder weniger stark organisierter Straftäter weist einige Parallelen zu einer älteren Einsicht der Polizeisoziologie auf, die ich bereits in der Einleitung dieses Buches diskutiert habe. Unter dem Schlagwort „Peacekeeping“ (Bittner 1967) wird seit den Anfängen der Polizeisoziologie betont, dass die Arbeit von Polizeien seitens der Öffentlichkeit ebenso wie seitens der Politik typisch an Zuständen (dem sichtbaren Zustand der ‚öffentlichen Sicherheit und Ordnung‘) oder Ergebnissen (Aufklärungsquote) gemessen wird, und, dass ein häufig notwendiges Mittel auf dem Weg zu erfolgreichen Ergebnissen gerade in dem Verzicht auf eine konsequente Durchsetzung von Rechtsnormen liegt. Die auch heute von Politikern typisch geforderte Strategie der ‚Null-Toleranz‘ gegenüber dem Verbrechen – in der Bundesrepublik der späten 2010er und frühen 2020er Jahre etwa gegenüber der so genannten ‚Clan-Kriminalität‘Footnote 3 – ist aus Sicht dieser soziologischen Literatur nicht nur eine selten vorkommende, sondern darüber hinaus auch eine selten sinnvolle Strategie.

Klassisch formuliert worden ist dieses Argument in den 1960er Jahren unter anderem von Egon Bittner, der in Anschluss an eine von Michael Banton (1964, S. 6 f., S. 127 ff.) vorgeschlagene Unterscheidung die Frage aufwirft, ob Streifenpolizisten eher als „law officers“ oder als „peace officers“ beschrieben werden sollten. Bittners zentrales Argument ist, dass Polizisten im Streifendienst so gut wie nie eine Maßnahme ergreifen, weil sie durch ein konditional programmiertes Strafrecht dazu verpflichtet sind, etwa einen Betrunkenen festnehmen und zur Wache bringen, weil der Konsum von Alkohol in der Öffentlichkeit untersagt ist. Vielmehr liege das zentrale Ziel der Streifenpolizisten darin, für Ruhe und Ordnung, für möglichst wenig offen ausgetragene Konflikte in ihrem Bezirk zu sorgen. Wenn sie den Eindruck haben, dass eine Festnahme einer Person das dafür am besten geeignete Mittel ist, dann ‚aktivieren‘ Polizisten das Recht. Polizisten setzen Recht also nicht in Form eines Konditionalprogramms um, sondern setzen es selektiv dann ein, wenn es ihres Eindrucks nach zur Herstellung bestimmter Zustände der öffentlichen Sicherheit dient (‚keeping the peace‘). Vom Rechtssystem aus beurteilt handelt es sich dabei um ein abweichendes Verhalten, weil die Frage der Schuld des Einzelnen (hat die Person eine Straftat begangen oder nicht) in den Hintergrund rückt: Die Polizisten „are more interested in reducing the aggregate total of troubles in the area than in evaluating individual cases according to merit“; „Thus, it could be said that patrolmen do not really enforce the law, even when they invoke it, but merely use it as a resource to solve certain pressing practical problems in keeping the peace“ (Bittner 1967, S. 714, S. 710).

Ein anschauliches Beispiel für diese Spannung zwischen ‚rigider Rechtsdurchsetzung‘ und ‚Peacekeeping‘ lässt sich einer Analyse William F. Whytes entnehmen, die auf Material beruht, das er für seine Monographie zur ‚Street Corner Society‘ (1943) erhoben hat. Whyte beschreibt das Verhältnis von Streifenpolizisten in Boston zu Inhabern von Geschäften und Bars, in deren Hinterzimmern zuweilen illegales Glücksspiel betrieben wird und formuliert die These, dass es zwei grundlegend verschiedene Möglichkeiten gibt, Polizeiarbeit in diesem Viertel zu betreiben. Der Polizist könne entweder eine konsequente Rechtsdurchsetzung anstreben oder für sich um Konfliktregulierung im Viertel bemühen:

„The policemen who takes a strictly legalistic view of his duties cuts himself off from the personal relations necessary to enable him to serve as a mediator of disputes in his area. The policemen who develops close ties with local people is unable to act against them with the vigor prescribed by the law. (Whyte 1974, S. 125)

Whytes These lässt sich gut in die Sprache der in Kapitel 3 dargestellten Theorie der Grenzrollen und Grenzsysteme übersetzen: Die Grenzrolle in Gestalt des Kontrolleurs, der vor allem darauf bedacht ist, die Normen seines Entsendesystems, hier also das Strafrecht, durchzusetzen, wird von seinem Gegenüber, in diesem Fall von den Betreibern der Kneipen im Viertel, nicht als möglicher Kooperationspartner, sondern als lästige Störung wahrgenommen und hat keine Chance auf den Aufbau einer guten Beziehung. Eine solche gute Beziehung aber wäre notwendig, um zwei der anderen in Kapitel 3 explizierten Funktionen von Grenzrollen zu erfüllen: Die Beschaffung bedeutsamer Informationen und die Gewährleistung von Frieden an der Grenze. Der Polizist, der auf eine rigide Durchsetzung des Glücksspielverbots verzichtet, mag im Austausch dafür vom Kneipier über polizeilich relevante Entwicklungen im Viertel und vertrauliche Gespräche im Hinterzimmer informiert werden und kann diese Informationen einsetzen, um aus seiner Sicht bedeutsamere Straftaten zu verhindern oder aufzuklären. Die von Whyte beschriebenen Polizisten müssen also wählen, ob sie in erster Linie gemäß ihres manifesten Auftrags konsequente Durchsetzung öffentlichen Rechts betreiben wollen, oder ob sie in mehr oder weniger deutlicher Abweichung von diesem Auftrag als Streitschlichter und Lieferanten schwer zugänglicher Informationen agieren wollen. Wie in allen anderen Fällen von Grenzrollenarbeit auch ist diese Wahl zwischen Regeltreue und Erfolg nicht in erster Linie oder jedenfalls nicht exklusiv durch die individuellen Normen des Rechtsanwenders, sondern vielmehr durch die in seinem Entsendesystem institutionalisierten Normen bestimmt, also insbesondere auch durch die informalen Erwartungen der Kollegen und Vorgesetzten und übergreifend durch die Frage, für welche Umweltsegmente – nur für die Kollegen? Auch für die Vorgesetzten? Auch für eine organisationsexterne Öffentlichkeit? – der fragliche Normbruch überhaupt sichtbar zu werden verspricht.

Eine neuere Schilderung dieses Musters im Feld der Ermittlungsarbeit der Kriminalpolizei findet sich in der Monographie von Dick Hobbs (2001, S. 203 f.), der eine Zusammenkunft eines Polizisten mit zwei Informanten aus kleinkriminellen Milieus in einer Londoner Bar beschreibt. Ein Mann, offensichtlich ein Bekannter der beiden Informanten, tritt an die Gruppe heran und berichtet allen Anwesenden davon, dass er eine Lastwagenladung gestohlener Schallplatten zu verkaufen hat. Ohne zu zögern wendet sich der Polizist von der Gruppe ab und fordert Hobbs auf, mit ihm an die Bar zu wechseln und beginnt ein Gespräch über Fußball. Nun offenbaren die beiden Informanten ihrem Bekannten die Identität des Polizisten und des Soziologen, woraufhin der Bekannte den vier Männern ein Getränk spendiert und die Bar verlässt. Durch glückliche Fügung konnte der Soziologe also einen spontanen Fall des üblichen Tauschmusters beobachten: Ein Polizist entschließt sich dazu, auf eine Strafverfolgung im Einzelfall zu verzichten, um eine aus seiner Sicht für den Erfolg seiner Arbeit insgesamt bedeutsamere Sozialbeziehung, hier den Kontakt zu seinen beiden Informanten, zu schonen oder auch zu verbessern.

Polizeiorganisationen zwischen Regeltreue und Erfolg

Bittner, Whyte und die neuere Polizeiforschung haben die These, Polizeiarbeit ziele weniger auf die konsequente Durchsetzung öffentlichen Rechts, sondern behandele Rechtsdurchsetzung taktisch-selektiv in Hinblick auf das Ziel ‚Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung‘ zumeist durch situative Erfordernisse in der Polizeiarbeit begründet und in der Form der Schilderung von Einzelfällen dargestellt. Mir ging es in diesem Kapitel darum, die These einer Spannung von Regeltreue und Erfolg, von konsequenter Rechtsanwendung und Peacekeeping, auf das Verhältnis von Polizeibehörden insgesamt zu der Welt des mehr oder weniger stark organisierten Verbrechens zu beziehen. Diese Spannung von Regeltreue und Erfolg, von Konditionierung und Effektivität (vgl. dazu allgemein auch Luhmann 1972, S. 231 f., S. 277 f.), ist charakteristisch für Polizeien gerade auch im Vergleich zu den übrigen primär im Rechtssystem der Gesellschaft verorteten Organisationen: Während im Recht insgesamt typisch eine legitime Indifferenz gegenüber den Folgen rechtlich richtiger Entscheidungen herrscht (Richter und Sachbearbeiter in der öffentlichen Verwaltung werden in der Regel nicht für die Folgen ihrer rechtlich richtigen Entscheidungen verantwortlich gemacht), gilt dies für Polizeien nicht gleichermaßen. In der öffentlichen Wahrnehmung und von Seiten der Politik werden sie typisch an beidem gemessen: An der Rechtmäßigkeit ihrer Maßnahmen und daran, ob diese Maßnahmen effektiv sind in Hinblick auf den ‚Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung‘.

Polizierende soziale Einheiten haben also eine spezifische Perspektive auf die Welt der Normbrüche, die gut von der Perspektive der Justiz unterschieden werden kann: Während die Justiz, in modernen Rechtssystemen vertreten durch Staatsanwaltschaften und Gerichte, Fälle bereits begangener Straftaten bearbeitet und dafür sehr spezifische Informationen benötigt, geht es Polizeien immer auch um den Erhalt bestimmter Zustände, um die ‚Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung‘. Deshalb haben Polizeien ein deutlich breiteres und unbestimmteres Interesse an Informationen über soziale Zusammenhänge, aus denen heraus Straftaten begangen oder geplant werden. Eine Orientierung an klar abgegrenzten Fällen, wie sie für die Justiz sinnvoll ist, würde das Wissen der Polizei aus ihrer Sicht zu sehr beschränken: Auf die einzelne Tat (und nicht auch auf ihren Kontext) und auf bereits begangene Straftaten (und nicht auch auf die Prävention zukünftiger Taten). Diese grundlegende Differenz der Perspektiven von Justiz und Polizei erklärt dann auch, warum sie im Einzelfall gegensätzliche Auffassungen bezüglich des richtigen Einsatzes von Milieuinformanten haben: Die Staatsanwaltschaft mag dafür optieren, die von einem Informanten gelieferten Informationen auch dann für eine Anklageerhebung zu nutzen, wenn dies die Anonymität des Informanten und damit den weiteren Informationsfluss aus dem Milieu gefährden würde, während die ermittelnde Polizeibehörde die Aussicht auf langfristig nutzbare Informations- und Einflusskanäle den Vorzug vor dem erfolgreich geführten einzelnen Strafverfahren geben würde (so eine der vielen interessanten Interpretationen zum Einsatz von Informanten in der US-amerikanischen Polizeiarbeit bei Natapoff 2009, S. 23).

In der Sprache der Systemtheorie (vgl. Luhmann 1968d, S. 101 ff.) lässt sich die damit herausgearbeitete zentrale Spannung im Umweltverhältnis polizeilicher Behörden auch durch den Hinweis ausdrücken, dass Polizeiarbeit zwar auf manifester Ebene durch Rechtsnormen weitestgehend konditional programmiert ist, faktisch aber immer auch an bezweckten Zuständen gemessen wird. Eine Folge dieser Spannung ist, dass die in diesem Buch anhand verschiedener historischer Kontexte rekonstruierte Schonung von Grenz- oder Zwischensystemen durch polizierende Einheiten, vor allem der Verzicht auf die Verfolgung begangener Straftaten, dem manifesten Auftrag der Behörden widerspricht und zugleich ein oft wirksamer Beitrag zur Regulierung des Niveaus öffentlich sichtbarer Kriminalität ist, an dem Polizeiarbeit öffentlich und politisch gemessen wird. Die systematische These lautet also, dass Elemente von Kooperation und Tausch im Verhältnis von Polizeien zu der Welt der Straftaten und ihrer mehr oder weniger stark organisierten Urheber entgegen der manifesten Programmierung und Selbstbeschreibung von Polizeiorganisationen regelmäßig notwendig sind, um ein von der Öffentlichkeit akzeptiertes Maß an öffentlicher Sicherheit und Ordnung zwar nicht herzustellen, aber doch wahrscheinlicher zu machen.