Der in der Einleitung zu diesem Buch formulierte Anspruch war, Übersetzungsarbeit zwischen zwei Bereichen sozialwissenschaftlicher Forschung zu leisten: Der zeitgenössischen, nur durch ihren Gegenstandsbezug integrierten, empiristischen Polizeiforschung auf der einen Seite und einigen stärker theorieorientierten Bereichen soziologischer Forschung auf der anderen Seite. Realisiert wurde dieser Anspruch in der Durchführung von Analysen von Polizei als Organisation und Polizeiarbeit als professioneller Arbeit. Diese Analysen wiederum wurden vorbereitet und gerahmt durch die Diskussion und Entwicklung von Konzepten wie demjenigen der „Grenzrolle“ oder der „misstrauischen Sozialsysteme“ sowie des Äquivalenzfunktionalismus als Methode soziologischer Analyse, Begriffsbildung und Kritik. Jedes Kapitel enthält eigene, in sich relativ abgeschlossene Argumentationen, die hier abschließend noch einmal im Zusammenhang in Erinnerung gerufen werden sollen.

Im einleitenden Kapitel 1 habe ich die Diagnose einer institutionellen Isolation und disziplinären Heimatlosigkeit der gegenwärtigen (deutschsprachigen) Polizeiforschung formuliert und daran anschließend skizziert, inwiefern die Perspektive der älteren englischsprachigen Polizeisoziologie dazu beitragen könnte, die empirische Erforschung von Polizei(arbeit) enger mit Konzepten und Fragestellungen theorieorientierter Sozialforschung zu verbinden. In dieser Hinsicht geeignet ist erstens der Ansatz, Polizei als Instanz sozialer Kontrolle neben anderen zu analysieren, die Einzigartigkeit von Polizei(arbeit) und ihren Einfluss auf den Zustand der gesamtgesellschaftlichen Ordnung also systematisch zu relativieren und zweitens die Beschreibung von Polizeiarbeit als ein an Zuständen orientiertes „Peacekeeping“ (Bittner 1967) im Unterschied zu einer rein konditional programmierten bloßen Rechtsanwendung. Damit geht als dritter zentraler Aspekt der Perspektive der frühen Polizeisoziologie die Betonung der sachlogisch notwendigen Grenzen der rechtlichen Programmierbarkeit und Technisierbarkeit von Polizeiarbeit einher, aus der sich wiederum das Interesse am „second code“ des Rechts (MacNaughton-Smith 1975), an der Ermessensausübung im Polizeidienst als wichtiges empirisches Forschungsfeld ergibt. Ein vierter und gewissermaßen übergeordneter Gesichtspunkt, der in vielen Texten der frühen Soziologie der Polizei eher implizit mitgeführt wird, ist die Analyse von Polizeien als organisierten Sozialsystemen in einer differenzierten Umwelt und die damit zusammenhängende Spannung zwischen Regeltreue und Erfolg als zentralem Systemproblem von Polizeien.

In dem auf diese Einleitung folgenden zweiten Teil des Buches („Ausgangspunkte und Perspektiven. Die (Kriminal-)Polizei als misstrauisches Sozialsystem und Polizeiarbeit als Arbeit an den Grenzen des Rechts“) habe ich theoretische Konzepte diskutiert und entwickelt, die geeignet sind, Kontakte zwischen empirischer Polizeiforschung und theorieorientierter Soziologie zu initiieren und die in dieser Funktion auch für meine eigenen Analysen zentral waren. Zunächst (Kapitel 2) habe ich in Anschluss vor allem an Georg Simmels (1908a) Soziologie des Geheimnisses, Niklas Luhmanns (1968c, 2001) Arbeiten zu Vertrauen sowie Erving Goffmans (1969) Analyse geheimdienstlicher Spionagearbeit vorgeschlagen, das Konzept der „misstrauischen Sozialsysteme“ zur Bezeichnung und Analyse solcher Sozialsysteme zu verwenden, die erstens auf die Gewinnung von Informationen spezialisiert sind und zweitens gute Gründe haben, damit zu rechnen, dass Sozialsysteme und Personen in ihrer Umwelt ein Interesse daran haben, die gesuchten Informationen zu verbergen oder das ermittelnde System gar durch Täuschung in die Irre zu führen. Deshalb müssen misstrauische Sozialsysteme wie beispielsweise Polizeien, Geheimdienste, Abteilungen für interne Ermittlungen in Organisationen oder Gruppen von investigativ recherchierenden Journalisten den ihnen zugänglichen Informationen in höherem Maße misstrauisch begegnen als andere Sozialsysteme. Daraus ergibt sich für misstrauische Sozialsysteme neben der Gewinnung schwer zugänglicher Informationen als zweites spezifisches Systemproblem die Organisation und Begrenzung von Misstrauen gegenüber Umweltkontakten und auch gegenüber den ebenfalls in ihrer Loyalität und Zuverlässigkeit einschätzungsbedürftigen eigenen Systemmitgliedern.

Daran anschließend (Kapitel 3) habe ich vorgeschlagen, Polizeiarbeit als einen Fall von Grenzrollenarbeit zu analysieren, Polizisten also insofern in eine Reihe mit Verkäufern, Ärzten, Journalisten, Kellnern, Lektoren, Diplomaten oder Pressesprechern zu stellen, als an die Träger all dieser und vieler weiterer Grenzrollen regelmäßig die Erwartung gestellt wird, im Auftrag, Dienst oder Interesse ihres Entsendesystems in Kontakt zu Nichtmitgliedern des Entsendesystems zu treten – etwa zu Kunden, Bürgern oder Patienten, zu Vertretern eines Zulieferbetriebs oder einer Lobbyorganisation, zu aktuellen oder neu zu gewinnenden Autoren eines Buchverlags, zu wichtigen Anzeigekunden einer Zeitung oder zu Informanten, deren Informationen in der Redaktion zu einer Reportage verarbeitet werden sollen. Diese und andere Kontakte zwischen einer Grenzrolle und ihrem jeweiligen Gegenüber zeichnet aus, dass der Erfolg an der Grenze der Organisation und damit auch der Organisationserfolg selbst auf die nicht erzwingbare und nur bedingt beeinflussbare Kooperationsbereitschaft des Nichtmitglieds angewiesen ist. Dies gilt im Fall des Polizisten, der in der Vernehmung auf einen nicht zur Aussage verpflichteten Beschuldigten trifft ebenso wie im Fall des Verkäufers, der im Verkaufsgespräch einem nicht zum Kauf verpflichteten Kunden begegnet oder im Fall des Lektors, der einen prominenten Autor von einem aus Sicht des Verlags erfolgsversprechenden Buchprojekt zu überzeugen versucht.

Ausgehend von einem Blick zurück auf die seit den 1960er Jahren verstreut publizierten Texte zum Thema habe ich vier zentrale Systemfunktionen von Grenzrollen unterschieden, nämlich i) den Vollzug von Systemleistungen an und vor Nichtmitgliedern sowie ii) Informationsgewinnung, iii) Repräsentation und iv) Vermittlung. Als zentrales Strukturmerkmal von Grenzrollen habe ich ihre Doppelmitgliedschaft in Entsendesystem und Grenzsystem und als zentrales Strukturmerkmal von Grenzsystemen die aus Sicht der Grenzrolle problematische Freiheit ihres Publikums zum Verzicht auf Kooperation herausgearbeitet. Diese beiden Strukturmerkmale stehen in engem Zusammenhang zu den Charakteristika des Handelns an Systemgrenzen, namentlich zu dem Technologiedefizit der Grenzarbeit, zu einem strukturell angelegten Misstrauen in den Grenzrollenträger sowie zu Grenzrollenarbeit als Machtquelle eigener Art.

Der programmatische Vorschlag des Kapitels war, dass das Konzept der Grenzrolle nicht wie bislang üblich auf Mitglieder organisierter Sozialsysteme wie Unternehmen, Verwaltungen oder Parteien beschränkt werden muss, sondern auch für die Analyse der Mitglieder nicht formal organisierter sozialer Einheiten wie Kleingruppen, Protestbewegungen, Familien, wissenschaftliche Disziplinen oder auch „professionelle Arbeitsbündnisse“ (Ulrich Oevermann) etwa zwischen einem Patienten und seinem Therapeuten oder einem Mandanten und seinem Strafverteidiger genutzt werden kann. In diesem Buch habe ich diese Erweiterung des Konzeptes zum einen genutzt, um die verschiedenen Typen von Polizeiinformanten (Gelegenheitsinformanten, V-Leute, unbeteiligte Dritte) als Beispiel von Rollenträgern zu behandeln, die Grenzrollenfunktionen erfüllen, ohne Mitglied des entsprechenden Sozialsystems zu sein und zum anderen, um die Kontaktstellen nicht organisierter sozialer Gebilde wie netzwerkförmig verbundenen Zusammenhängen von Straftätern zur Polizei als Grenzrollen dieser Zusammenhänge zu analysieren.

Im letzten Kapitel des zweiten Buchteils (Kapitel 4) habe ich schließlich den Vorschlag formuliert, den soziologischen Äquivalenzfunktionalismus in Anschluss insbesondere an die Arbeiten Robert King Mertons (1957, S. 17–82) und Niklas Luhmanns (1962, 1964a, 2010a) nicht exklusiv als Methode der vergleichenden empirischen Analyse (etwa in der Analyse funktional äquivalenter Möglichkeiten der Bearbeitung des Problems der Gewinnung schwer zugänglicher Informationen durch soziale Systeme) zu verstehen und zu verwenden, sondern darüber hinaus auch als Methode problembezogener Begriffsbildung (etwa im Zuge der Explikation des systempluralistischen Polizeibegriffs oder des Begriffs professioneller Arbeit) sowie der soziologisch disziplinierten Kritik (etwa als Kritik an der bloßen Skandalisierung polizeilicher Berufsgruppensolidarität oder an der rein legalistischen Ablehnung von Kooperationsbeziehungen zwischen Polizeien und Angehörigen von Milieus mehr oder weniger stark organisierter Kriminalität).

Anhand der zugespitzten Fragestellung, „ob und wann die (Kriminal-)Polizei das Recht brechen sollte, um es durchzusetzen“ habe ich dafür geworben, die systemtheoretisch-funktionalistische Perspektive auf „brauchbare Illegalität“ bzw. „funktionale Devianz“ in Organisationen ihrerseits auf den Prüfstand zu stellen. Ein Ergebnis dieser Diskussion war, dass die systemtheoretische Soziologie gut beraten wäre, häufiger und deutlicher als bislang üblich herauszuarbeiten und zu reflektieren, dass die den eigenen Analysen zugrunde liegende Wahl von Systemreferenzen eine zwar nicht beliebige, aber doch kontingente Entscheidung ist, in die regelmäßig auch außerwissenschaftliche Werte einfließen (vgl. Weißmann 2020). Eine solche Reflexion trägt dazu bei, den Zusammenhang von deskriptiver Analyse und normativer Kritik in der systemtheoretisch-funktionalistischen Soziologie sichtbar zu machen und dann auch der plausiblen Forderung Howard S. Beckers („whose side are we on?“) zu genügen, die Leserinnen soziologischer Analysen darüber zu informieren, aus welchem „Blickwinkel“ (Becker 1967, S. 21) die jeweilige Analyse (und Kritik) verfasst worden ist. Im Fall der Analyse (und Kritik) von Polizeiarbeit dürfte diese Forderung besonders große Plausibilität haben, da sich die Themen und Thesen hier deutlich in Abhängigkeit von der Frage unterscheiden, ob die zentrale (System-)Referenz der Analyse das Rechtssystem der Gesellschaft, eine lokale Polizeibehörde, das für sie zuständige Ministerium, die Interaktionssituation der polizeilichen Beschuldigtenvernehmung oder bestimmte Kategorien von Nichtmitgliedern der Polizei sind, die etwa als Demonstranten, Beschuldigte, Informanten oder Opfer von Eigentumskriminalität in Kontakt mit Polizeibehörden geraten.

In den Kapiteln des dritten Teils des Buches („Zur Soziologie der Polizei“) habe ich Themen und Einsichten der Polizeiforschung mit den zuvor diskutierten und weiteren Konzepten der theorieorientierten Soziologie in Kontakt gebracht. Der generelle Ansatz war dabei, den jeweiligen Gegenstand als besonderen Fall einer breiteren Serie von Phänomenen aus dem Gegenstandsbereich der Soziologie zu analysieren, also etwa die Ausdifferenzierung und Organisationswerdung polizierender Einheiten als besonderen Fall des allgemeineren Phänomens der Ausdifferenzierung sozialer Kontrolle und der Verorganisierung gesellschaftsbezogener Funktionen (Kapitel 5), den Kontakt zwischen Polizisten und ihren Informanten als besonderen Fall des allgemeineren Phänomens organisierter Informationsgewinnung (Kapitel 6), die polizeiliche Beschuldigtenvernehmung als besonderen Fall des allgemeineren Phänomens der Informationsgewinnung in strategischen Interaktionen (Kapitel 8) oder den polizeilichen Korpsgeist als besonderen Fall des allgemeineren Phänomens der (Berufs-)Gruppensolidarität (Kapitel 9).

Das Thema von Kapitel 5 ist das ambivalente, Elemente von Kampf und Kooperation umfassende Verhältnis von mehr oder weniger stark ausdifferenzierten und organisierten polizierenden sozialen Einheiten zu mehr oder weniger stark ausdifferenzierten und organisierten kriminellen Milieus. Behandelt wird dieses Thema vor allem in Form der Analyse von drei Episoden aus der europäischen Geschichte der Kriminalpolizei. Ein zentrales theoretisches Interesse ist dabei die Rekonstruktion verschiedenartiger Lösungen für Informationsprobleme der Polizei in Form eines Vergleichs der eher gesellschaftlich eingebetteten Variante von Polizeiarbeit in England im 17. und 18. Jahrhundert mit der stärker ausdifferenzierten Variante, wie sie in Ansätzen in der Analyse zu der vom ehemaligen Gefängnisinsassen Eugène François Vidocq aufgebauten und geleiteten Pariser Kriminalpolizei zu Beginn des 19. Jahrhunderts und weiter vorangeschritten in der Analyse der Berliner Kriminalpolizei in ihrem Verhältnis zu den Ringvereinen während der Weimarer Republik sichtbar geworden ist.

Im für die moderne Gesellschaft typischen Fall von Polizei als staatlicher Behörde betont die manifeste Darstellung des Verhältnisses gegenüber dem Umweltsegment der mehr oder weniger organisierten Kriminalität Verbrechensbekämpfung und Misstrauen als primäre Umwelteinstellungen. Auch diese ausdifferenzierten und formal organisierten Polizeien müssen aber – so eine zentrale These des Kapitels – zur Bearbeitung ihres gesellschaftlichen Auftrags selektiv kooperative und vertrauensvolle Beziehungen zu Mitgliedern des eigentlich zu bekämpfenden Umweltsegments aufbauen. Rollentheoretisch formuliert: Die modernen, professionellen Ermittler sind zwar weniger als die ehrenamtlichen Constables und die von Privatleuten engagierten Thief-taker im England des 17. und 18. Jahrhunderts oder die ehemaligen Gefängnisinsassen, aus deren Reihen das Personal der Pariser Kriminalpolizei zu Beginn des 19. Jahrhunderts rekrutiert wurde, durch eigene andere Rollen in ihrer Autonomie als Ermittler beschränkt. Gerade als Professionellen fehlt den modernen Ermittlern aber auch der durch diese eigenen anderen Rollen ermöglichte Kontakt in die Milieus hinein, aus denen und über die sie Informationen zu erlangen suchen.

In der ausdifferenzierten Variante von Polizeiarbeit müssen diese Kontakte deshalb nicht auf dem Weg der Personalrekrutierung, sondern auf dem Weg der organisational angeleiteten Rekrutierung von Informanten hergestellt werden (Kapitel 6). Es kommt also zu einer Entstehung von Kontaktsystemen zwischen Organisation und Nichtmitgliedern und auch die nach allen Regeln der Kunst vorgehende moderne Polizeiarbeit kommt nicht um das Dilemma herum, dass die konsequente Erfüllung des manifesten Auftrags der Durchsetzung öffentlichen Rechts dazu führen kann, die für langfristig erfolgreiche Polizeiarbeit notwendigen Kontaktsysteme zu belasten. Und umgekehrt: Die Schonung von Kontaktsystemen in deviante Milieus hinein mag den Mitgliedern des „social control systems“ (Skolnick und Woodworth 1967, S. 99) regelmäßig als nicht verzichtbares Mittel zur Erfüllung ihres gesellschaftlichen Auftrags erscheinen, widerspricht aber der für die formale Programmierung von Polizeiarbeit in Rechtsstaaten zentralen Pflicht zur Strafverfolgung. Aus der Angewiesenheit der Polizei auf die Kooperationsbereitschaft formal unverpflichteter Nichtmitglieder folgt also auch in diesem Fall eine Grenze möglicher Rechtsdurchsetzung. Diese These und die in diesem Buch entwickelte Perspektive auf Polizeiorganisationen und Polizeiarbeit im Spannungsfeld von Regeltreue und Erfolg habe ich in der „Synthese zu Kapitel 5 und 6“ nochmals zusammengefasst.

Die zu Beginn von Kapitel 6 vorgeschlagene Typologie der Informanten der Polizei und anderer „misstrauischer Sozialsysteme“ beruht auf einer durch zwei aufeinander bezogene Unterscheidungen konstituierten Kreuztabelle: Stammt der Informant aus dem Kontext, über den er informiert und ist insofern ein legitimer Mitwisser und Geheimnisverräter – oder wurde er vom ermittelnden System zum Zweck der Informationsbeschaffung als Spion in diesen Kontext entsendet? Und: Handelt es sich um einen einmaligen Kontakt oder sind Ermittler und Informant Teilnehmer eines auf Wiederholung angelegten Kontaktsystems? In Anschluss an diese Typologie rekonstruiert das Kapitel die typischen Versuche von Polizeien, potenzielle Informanten durch Tausch, Drohmacht oder die Zusicherung von Anonymität zur Zusammenarbeit zu motivieren und zeigt, dass die den Informanten zugeschriebenen Motive zur Kooperation die zentrale Grundlage für die ihren Aussagen zugeschriebene Glaubwürdigkeit sind. Als am stärksten glaubwürdig gelten typischerweise diejenigen Informanten, gegen welche die Polizisten eine Quelle von Drohmacht in der Hand haben, während die Polizisten den tauschförmig motivierten Informanten ebenso wenig trauen wie denjenigen Informanten, die angeben, ihre Information ohne Eigeninteresse und aus bloßer Treue zum Rechtsstaat zu übermitteln.

Neben dem in den Kapiteln 5 und 6 thematisierten Kontakt zu Informanten ist der Kontakt zu Personen, die seitens der Ermittler verdächtigt werden, Straftaten begangen zu haben, eine zweite wichtige Informationsquelle der Kriminalpolizei. Kapitel 8 hat mit der polizeilichen Beschuldigtenvernehmung die moderne und formalisierte Form dieses Kontakttyps zum Gegenstand und verfolgt das Ziel, auf Grundlage der vorliegenden rechts- und sozialwissenschaftlichen Fallstudien zur Vernehmungspraxis der Polizei eine Beschreibung der typischen Interaktionsordnung polizeilicher Beschuldigtenvernehmungen anzufertigen. Mein Vorschlag ist, die zentrale interaktive Herausforderung des Vernehmers darin zu sehen, das ihm durch seine Rolle aufgetragene Misstrauen in die Selbstdarstellung des Beschuldigten zu praktizieren, den Beschuldigten mithin taktlos zu behandeln, ohne dadurch den von der Rechtsordnung zugestandenen und von den Interessen des Beschuldigten her gesehen naheliegenden Abbruch der Interaktion durch den Beschuldigten zu provozieren. Die in Anschluss an die Theorie organisationaler Grenzkontakte formulierte und am empirischen Material, welches zahlreichen Untersuchungen zu polizeilichen Beschuldigtenvernehmungen insbesondere in Deutschland, Großbritannien und den USA entnommen ist, entfaltete These lautet, dass Ermittler diese Aufgabe vor allem dann bewältigen können, wenn sie ihre Grenzstellung zur Staatsanwaltschaft und zum Strafrecht in der Vernehmungsinteraktion ausbeuten. Die im Text rekonstruierte interaktionelle Ausbeutung der strukturellen Einbettung der polizeilichen Beschuldigtenvernehmung als Grenzsystem zwischen Beschuldigtem und Justiz durch die Vernehmer beinhaltet etwa, dass die Polizisten dem Beschuldigten die Möglichkeit eines Tausches von Kooperationsbereitschaft gegen Einfluss auf die Staatsanwaltschaft oder auf die Art der Formulierung des Aussageprotokolls suggerieren, dass sie ihre Skepsis bezüglich der Aussagen des Beschuldigten als Dienst an dessen möglichst plausibler Darstellung vor der Anklagebehörde inszenieren oder, dass sie dem Beschuldigten im Gespräch eine Version des zu protokollierenden Tatverlaufs anbieten, die seine moralische und rechtliche Schuld (vermeintlich) reduziert.

Dem Vernehmer, der sich als neutraler Rechtsberater des Beschuldigten inszeniert, gelingt so die unwahrscheinliche Kombination von praktiziertem taktlosem Misstrauen gegenüber einzelnen Aussagen des Beschuldigten und der Darstellung nüchtern-wohlwollender Komplizenschaft. Akzeptiert der Beschuldigte die Rollendefinition des Polizisten als eines Verfahrensbeteiligten, der ohne eigene Interessen den Auftrag vollzieht, Informationen zur Sache zusammenzutragen, um Dritten (der Staatsanwaltschaft) Informationen für eine noch nicht feststehende Entscheidung über die Anklageerhebung zu übermitteln, so grenzt er damit auch den Raum möglicher eigener Selbstdarstellungen ein. Das komplementär zu dieser Rolle passende Verhalten des Beschuldigten ist in seinem Stil ebenfalls nüchtern und frei von offen dargestelltem Misstrauen in den Polizisten. Die damit skizzierte Haltung des Vernehmers gegenüber dem Beschuldigten habe ich als „vertrauensvolles Misstrauen“ und „wohlwollende Zweifel“ bezeichnet. Erfasst werden soll mit diesen Formulierungen eine Haltung Egos (des Vernehmers) gegenüber Alter (dem Beschuldigten), die sich durch eine nicht aufgelöste, sondern auf Dauer gestellte Kombination von Vertrauen und Misstrauen auszeichnet. Diese Kombination ist insofern unwahrscheinlich, als ja gerade – wie ausführlich in Kapitel 2 begründet – die letztlich nicht rationalisierbare Entscheidung für Misstrauen oder Vertrauen als generalisierte Haltung gegenüber unseren Kommunikationspartnern eigene Handlungen trotz Ungewissheit bezüglich zukünftiger Handlungen anderer ermöglicht. Dem Polizisten in der Vernehmung wird die Einnahme dieser für den Vernehmungserfolg entscheidenden Gesprächshaltung – so eine zentrale These des Kapitels – durch den Charakter der Vernehmungsinteraktion und des Ermittlungsverfahrens als Grenzsystemen zwischen Beschuldigtem und Strafjustiz deutlich erleichtert. Die Darstellung vertrauensvollen Misstrauens ist dem Vernehmer somit auch ohne übermäßiges Geschick im Umgang mit anspruchsvollen Interaktionssituationen möglich und kann deshalb als allgemeine Rollenerwartung institutionalisiert werden.

Die Vorgehensweise dieses Buches, die ich insbesondere in den Kapiteln 4 und 10 charakterisiert habe, hat eine ihr immanente Tendenz zum Vergleich von Polizei(arbeit) mit anderen Organisationen und anderen Formen beruflicher Arbeit. Beispielsweise legt sie nahe, Solidaritätsnormen unter Polizisten mit Solidaritätsnormen in anderen (Berufs-)Gruppen zu vergleichen. In Bezug auf dieses Thema habe ich in Kapitel 9 vor allem die Frage diskutiert, welche Eigenschaften polizeilicher Arbeit es sind, die die in der empirischen Forschung lediglich konstatierte und oft skandalisierte besondere Stärke von Solidaritätsnormen unter Polizisten erklären können. Die von mir ausgearbeitete Antwort auf diese Frage verweist darauf, dass sich polizeiliche Einsatzsituationen wie die Schlichtung eines Familienstreites oder die Durchführung einer Verfolgungsfahrt durch eine Kombination von Problemlagen auszeichnen, die in der Soziologie als für die Arbeit professioneller Berufsgruppen wie Ärzten oder Strafverteidigern charakteristisch angesehen wird: Handlungszwang unter Bedingung knapper Zeit, ohne vollständige Informationen und mit gesellschaftlich als hoch bedeutsam eingeschätzten und irreversiblen Folgen, oft für das Wohlergehen von Personen.Footnote 1

Die These des Kapitels war dann, dass die Genese und Stabilität von Solidaritätsnormen unter Polizisten am besten und primär als Reaktion auf das geteilte Risiko der einzelnen Polizisten erklärt werden kann, im Zuge der Durchführung entgleisender polizeilicher Einsätze Straftaten wie Hausfriedensbruch, Nötigung, Freiheitsberaubung, Körperverletzung oder Strafvereitelung im Amt zu begehen. Wenn jede Polizistin davon ausgehen muss, im Zuge ihres Berufslebens Straftaten dieser Art vor den Augen ihrer Kolleginnen zu begehen, weiß sie, dass sie auf das stumme Einverständnis der Dienstgruppe bezüglich der Unvermeidbarkeit und Akzeptabilität unrechtmäßiger polizeilicher Maßnahmen angewiesen ist. Angesichts der skizzierten, für Polizeiarbeit charakteristischen Kombination von Problemlagen wird die (Zwangs-)Mitgliedschaft in dieser informal-illegalen kollegialen Versicherungsgemeinschaft aus Sicht der einzelnen Polizistin zur schwer verzichtbaren Voraussetzung, um ihrer Arbeit nachgehen zu können.

Diese von mir mit dem Konzept der Berufsgruppe als einer „Versicherungsgemeinschaft“ formulierte Analyse der Genese und Stabilität sowie der Funktionen und Folgeprobleme von Solidaritätsnormen in Berufsgruppen vom Typ Polizei soll auch die Erklärungskraft des in den Sozialwissenschaften an dieser Stelle normalerweise genutzten Konzepts der „Gefahrengemeinschaft“ relativieren, welches – so meine These – in Hinblick auf die Genese von Solidaritätsnormen unter Polizisten die Bedeutsamkeit der physischen Bedrohung von Polizisten über- und die Bedeutsamkeit des Risikos für Polizisten als Rechtssubjekte unterschätzt. Die aus rechtsstaatlicher Perspektive besonders problematische Eigenschaft polizeilicher Dienstgruppen als informaler Versicherungsgemeinschaften ist, dass sie regelmäßig nicht nur unrechtmäßige Polizeiarbeit decken, die im Zuge solcher Polizeieinsätze anfällt, die mit besten Absichten der Polizisten begonnen werden und dann entgleisen, sondern auch das intentional unrechtmäßige Handeln etwa im Fall des rassistisch motivierten Handelns von Polizisten, im Fall exzessiver Polizeigewalt oder im Fall von Korruption.

Aus dieser Analyse der Genese und Stabilität von Berufsgruppensolidarität unter Polizisten sowie den übrigen in diesem Buch vorgelegten Beiträgen zur Soziologie der Polizei folgen selbstverständlich keine unmittelbaren normativen Ratschläge zur Verbesserung von Polizeiarbeit, sei es in Hinblick auf ihre Effektivität oder ihre Rechtsstaatlichkeit. Ich hoffe aber, in den Kapiteln dieses Buches auch gezeigt zu haben, dass soziologische Analysen durchaus Relevanz für normative Fragestellungen haben können und auch dazu in der Lage sind, gesellschaftlich vorliegende Bewertungsalternativen beispielsweise bezüglich der Möglichkeiten und Grenzen der externen und internen Kontrolle von Polizeiarbeit ihrerseits einer Beurteilung zu unterziehen.Footnote 2 Insofern ist die Soziologie als wissenschaftliche Disziplin nicht auf ein steriles Ideal der Werturteilsfreiheit festgelegt, sondern lediglich dazu aufgefordert, die in ihre Wertungen einfließenden Prämissen immer wieder selbstkritisch auf den Prüfstand zu stellen.