Nachdem theoretisch hergeleitet geworden ist, dass Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit als zwei Dimensionen eines übergeordneten Phänomens verstanden werden können (im Sinne von Abschn. 3.2 als zwei Säulen innerhalb des antimuslimischen Rassismus) und empirisch belegt worden ist, dass diese beiden Dimensionen nicht identisch, aber auch nicht völlig unabhängig voneinander sind und in unterschiedlicher Weise von den untersuchten Prädiktoren charakterisiert werden können, steht im Folgenden die nicht minder zentrale Frage nach dem AusmaßFootnote 1 feindlicher Einstellungen gegenüber dem Islam und gegenüber Muslim*innen im direkten Vergleich im Fokus. Durch die identische Formulierung der Aussagen zu Islam und Muslim*innen und die daraus resultierende gleiche Stärke der Items lassen sich Zustimmungswerte zu islam- und muslim*innenfeindlichen Aussagen direkt miteinander vergleichen. Um Verzerrungen zu vermeiden, erfolgte die Zuordnung der Befragten zu den einzelnen Fragebogenversionen randomisiert. Mit diesem Vorgehen wird auf vorangegangene Forschung reagiert, in der eine gleich starke Formulierung der Items noch nicht gegeben und ein direkter Vergleich nicht möglich war (vgl. Diekmann 2017, 2020b; Frindte & Dietrich 2017; Leibold & Kühnel 2003, 2006). Dieser komparative Ansatz ermöglicht Aussagen über Niveauunterschiede und soll Aufschluss darüber geben, ob Vorurteile gegenüber dem Islam stärker ausgeprägt sind als Vorurteile gegenüber Muslim*innen oder umgekehrt. Basierend auf den Überlegungen zu vorurteilsreduzierenden Mechanismen (persönlicher Kontakt, multiple Gruppenzugehörigkeiten) sowie mit Blick auf die Darstellung des Islams in den Medien wurde die Hypothese formuliert, dass Vorurteile gegenüber Muslim*innen weniger stark ausgeprägt sind als Vorurteile gegenüber dem Islam (H8).

Das primäre Ziel dieses Kapitels ist die Kontrastierung der Mittelwerte (M) von islam- und muslim*innenbezogenen Items, um Aussagen über das Ausmaß islamfeindlicher Einstellungen im direkten Vergleich zu muslim*innenfeindlichen Einstellungen tätigen zu können. Der direkte Mittelwertvergleich dieser Items bietet darüber hinaus weitere sich anschließende Analysemöglichkeiten: Zum einen können Items identifiziert werden, die besonders hohe oder besonders niedrige Zustimmungswerte aufweisen. Selbstverständlich ist auch hier die Komparabilität der Werte eingeschränkt, da einige Items sehr viel drastischer formuliert sind als andere. Allerdings kann ein Vergleich zwischen besonders hohen oder niedrigen Mittelwerten unter den islambezogenen Items einerseits und muslim*innenbezogenen Items andererseits ebenfalls lohnend sein, um Unterschiede identifizieren zu können – etwa, wenn ein bestimmtes Item unter den islambezogenen Items die höchste Zustimmung erfährt, dasselbe Item unter den muslim*innenbezogenen Items jedoch in Bezug auf die Zustimmungswerte nur im Mittelfeld angesiedelt ist. Zum anderen eröffnet das besondere Design der Studie die Möglichkeit, Abweichungen im Antwortverhalten in Abhängigkeit der Fragebogenversion näher zu beleuchten. Der Vergleich der beiden Versionen offenbart also Unterschiede zwischen dem Antwortverhalten im Experimental-Kontrollgruppen-Design (Versionen A und B) verglichen mit dem Design der bewussten Entscheidung (Version C).

Einige spannende Aspekte aus beiden Bereichen werden in diesem Kapitel aufgegriffen und andiskutiert, da sie entweder in mehr oder weniger direktem Zusammenhang mit der Fragestellung stehen oder wertvolle, darüber hinausgehende Erkenntnisse im Bereich der Erfassung von Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit liefern, die hier als impulsgebend für weiterführende Forschung zu verstehen sind. Eine Auseinandersetzung mit jedem einzelnen Item würde jedoch weit über die Fragestellung hinausgehen und wäre mit Blick auf das Kernanliegen der Arbeit nicht zielführend.

6.1 Mittelwertvergleich der gesamten Stichprobe

Im Folgenden werden die Mittelwerte (inklusive Standardabweichungen (SD)) der 18 abgefragten Items jeweils in Bezug auf den Islam und in Bezug auf Muslim*innen abgebildetFootnote 2 und miteinander verglichen. Die Mittelwerte basieren auf den Ergebnissen aller nicht-muslimischen Befragten.Footnote 3 Tabelle 6.1 veranschaulicht die Ergebnisse der Items mit dem Wording Islam (Varianten A und C-I) im Vergleich zu den Items mit dem Wording Musliminnen und Muslime (Varianten B und C-M). Durch eine entsprechende Recodierung gilt für alle Items unabhängig von ihrer positiven oder negativen Formulierung: Je höher der Mittelwert auf einer Skala von 1 bis 5, desto stärker ausgeprägt ist das Vorurteil.

Alle Mittelwerte der islambezogenen Items liegen im Bereich zwischen 1,70 (SD = 1,09) und 3,69 (SD = 1,08), wobei 3,69 der Mittelwert für das Item „Der Islam lehnt Homosexualität grundsätzlich ab.“ ist, welches mit Abstand die meisten Missings aufweist. Mittelwerte höher als 3 finden sich darüber hinaus bei den Items „Der Islam erkennt grundsätzlich andere Religionen als gleichberechtigt an.“ (3,30; SD = 1,21) und „Der Islam ist frauenfeindlich.“ (3,17; SD = 1,12), wobei ersteres ebenfalls vergleichsweise viele Missings enthält. Interessanterweise handelt es sich bei diesen drei Items mit der geringsten Zustimmung um solche, die in der Praxis ausschließlich mit dem Wording Islam verwendet werden und die sich – ähnlich wie die Items in der PCA (vgl. Abschn. 5.1) – auf Werte wie Gleichberechtigung beziehen. Dass die Ablehnung hier besonders hoch ist, deckt sich mit früheren Ergebnissen, die darauf hindeuten, dass dies insbesondere dann der Fall ist, wenn „Muslim practices [are] perceived to pose a threat to Western liberal and secular values“ (van der Noll et al. 2018: 299). Die beiden Items „Der Islam lehnt Homosexualität grundsätzlich ab.“ und „Der Islam erkennt grundsätzlich andere Religionen als gleichberechtigt an.“ wurden auch bei Leibold & Kühnel (2008) zusammen mit einem dritten Item zur Erfassung kritischer Einstellungen zum Islam verwendet, dessen Formulierung sich nicht ohne weitere Anpassungen auf Muslim*innen ummünzen ließ und daher in der vorliegenden Studie unberücksichtigt blieb („Im Islam müssen Gesetze den religiösen Vorschriften entsprechen.“, Leibold & Kühnel 2008: 103). Diese Items erfuhren ähnlich wie in dieser Arbeit auch im Rahmen der GMF-Studien auffällig viel Zustimmung (vgl. Leibold & Kühnel 2008: 103).

Am wenigsten Zustimmung erhalten die Items „Es sollte besser keinen Islam in Deutschland geben.“ (1,70; SD = 1,09) sowie „Ich fühle mich durch den Islam bedroht.“ (1,90; SD = 1,08). Eine pauschale Ablehnung im Sinne einer Exklusion des Islams aus Deutschland erfährt demnach die geringste Unterstützung unter den Befragten. Auch das Bedrohungsgefühl ist gering. Dies mag zu einem gewissen Teil mit der spezifischen, überdurchschnittlich hoch gebildeten Stichprobe zusammenhängen, die sich möglicherweise zumindest auf einer sozioökonomischen Ebene (realistic threat, vgl. Stephan & Stephan 2000) insgesamt wenig bedroht fühlt. Dieser Befund deckt sich mit neueren Forschungsergebnissen, die suggerieren, dass Gefühle von Angst ein weniger starker Prädiktor für Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit in Deutschland sind als beispielsweise Wut oder Ekel (vgl. Uenal et al. 2021).

Die Mittelwerte der muslim*innenbezogenen Items haben eine Spannweite von 1,37 (SD = 0,85) bis 3,24 (SD = 1,12), wobei letzterer auch in diesem Fall dem Item „Musliminnen und Muslime lehnen Homosexualität grundsätzlich ab.“ zuzuordnen ist, welches ein hohes Maß an Missings aufweist. Außerdem ist dieser Wert der einzige über 3 und damit gewissermaßen ein Ausreißer. Besonders wenig Zustimmung findet – ähnlich wie im Fall des Islams – die Aussage „Es sollte besser keine Musliminnen und Muslime in Deutschland geben.“ Auch hier fällt auf, dass Items, die Muslim*innen unterstellen, sich gegen vermeintlich ‚westliche‘ WerteFootnote 4 und Gleichberechtigung zu wenden (Homophobie, Frauenfeindlichkeit, Ungleichbehandlung anderer Religionen) besonders hohe Mittelwerte aufweisen. Items hingegen, die eine generelle Exklusion von Muslim*innen beinhalten, erfahren vergleichsweise wenig Zustimmung. Das Item „Es sollte besser keine Musliminnen und Muslime in Deutschland geben.“ findet sich in leicht abgewandelter Form („Es sollte besser gar keine Muslime in Deutschland geben.“) auch bei Leibold & Kühnel (2006), wird hier allerdings interessanterweise als Indikator für „offene Islamfeindlichkeit“ verwendet – basierend auf dem Wording der beiden verwendeten Items müsste es eher offene Muslim*innenfeindlichkeit heißen. Nichtsdestotrotz zeigen sich sowohl bei Leibold & Kühnel (2006) als auch in den hier diskutierten Daten eher niedrige Zustimmungswerte zu diesem sehr drastisch formulierten und auf eine vollständige Exklusion von Muslim*innen aus Deutschland rekurrierenden Item. Interessanterweise wird die vollständige Exklusion von Muslim*innen zwar von einem großen Teil der Befragten abgelehnt, gleichzeitig sind jedoch viele Befragte der Meinung, Muslim*innen passten nicht zu Deutschland. Auch dieses Item zur Passung wurde in abgewandelter Form in verschiedenen Studien von Leibold & Kühnel (2003, 2006, 2008) aufgegriffen („Die muslimische Kultur paßt [sic!] durchaus in unsere westliche Welt.“ / „Der Islam paßt [sic!] durchaus in unsere westliche Welt.“). Dieses Item misst nicht „offene Islamfeindlichkeit“, sondern eine „kulturelle Abwertung des Islams“. Es entsteht der Eindruck, die Befragten äußerten sich nicht explizit gegen die Existenz des Islams bzw. von Muslim*innen in Deutschland, nehmen aber eine gewisse Distanz, ein ‚Wir vs. die Anderen‘-Gefühl wahr.

Tabelle 6.1 Vergleich der Mittelwerte aller Befragten (A/C-I vs. B/C-M) (eigene Darstellung)

Die Standardabweichungen der einzelnen islambezogenen Items liegen zwischen 1,08 und 1,30, die der muslim*innenbezogenen Items zwischen 0,85 und 1,21. Items mit dem Wording Islam weisen in der Tendenz eine stärkere Streuung auf als Items mit dem Wording Musliminnen und Muslime. Die Antworten der Befragten zu islambezogenen Items gehen somit weiter auseinander als die Antworten zu muslim*innenbezogenen Items. Dass die Streuung zwischen islam- und muslim*innenbezogenen Items unterschiedlich ausfällt, spricht gegen eine Austauschbarkeit der Items und in der Folge für eine Differenzierung von Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit.

Sowohl für die islam- als auch für die muslim*innenbezogenen Items kann eine weitere interessante Beobachtung gemacht werden: Wie bereits ausgeführt, erfährt das Item „Ich fühle mich durch den Islam [Musliminnen und Muslime] bedroht.“ vergleichsweise wenig Zustimmung. Dem Item „Der Islam bedroht [Musliminnen und Muslime bedrohen] die Freiheiten und Rechte der Menschen.“ hingegen wird deutlich häufiger zugestimmt. Es stellt sich die Frage, wie dies zu erklären ist, wo doch beide Items eine Bedrohung formulieren. Interessant ist hier sicherlich zweierlei. Zum einen stellt letzteres Item einen direkten Bezug zu liberalen Werten her, indem scheinbar universelle „Freiheiten und Rechte der Menschen“ angesprochen werden, ohne jedoch näher auszuführen, was damit genau gemeint ist. Dieses Item ist damit einerseits recht unspezifisch und beschreibt keine konkreten Freiheiten oder Rechte, etwa mit Blick auf die Freiheit der sexuellen Orientierung oder Geschlechtergerechtigkeit, wie es andere Items tun. Dadurch bietet das Item einen großen Interpretationsspielraum für die Befragten und eine Zustimmung wird aufgrund der individuellen Auslegung erleichtert. Gleichzeitig ist die Formulierung dieses Items jedoch durchaus konkret im Vergleich zur Formulierung des Items „Ich fühle mich durch den Islam [Musliminnen und Muslime] bedroht.“, welches die Form der Bedrohung nicht weiter spezifiziert und in dieser Absolutheit möglicherweise eher abgelehnt wird. Zudem beschreibt das Item „Ich fühle mich durch den Islam [Musliminnen und Muslime] bedroht.“ eine subjektive Wahrnehmung und bewegt sich auf der affektiven Ebene. Daher liegt die Vermutung nahe, dass viele Befragte durchaus ein von Muslim*innen und dem Islam ausgehendes gesellschaftliches Bedrohungspotential wahrnehmen – insbesondere mit Blick auf Freiheiten und Rechte –, sich persönlich jedoch in viel geringerem Maße tatsächlich bedroht fühlen und dem entsprechenden Item daher weniger zustimmen. Hier muss folglich unterschieden werden zwischen der Konstatierung, dass der Islam bzw. Muslim*innen eine Bedrohung darstellen, und dem eigenen subjektiven Bedrohungsempfinden.

Eine ähnliche Beobachtung findet sich auch in der vergleichenden Betrachtung der beiden Items „Der Islam ist [Musliminnen und Muslime sind] mir fremd.“ und „Durch den Islam [Musliminnen und Muslime] fühle ich mich manchmal wie eine Fremde/ein Fremder im eigenen Land.“ Beide Items beziehen sich auf Fremdheit, betonen jedoch unterschiedliche Aspekte. Das eine Item postuliert, der Islam bzw. Muslim*innen seien fremd, die Fremdheit wird also externalisiert, ‚den Anderen‘ zugeschrieben. Das andere Item beschreibt nicht ‚die Anderen‘ als fremd, sondern fragt nach eigenen Gefühlen der Fremdheit. Letzteres erfährt deutlich weniger Zustimmung durch die Befragten. Während der Islam / Muslim*innen also durchaus als fremd wahrgenommen werden, resultiert dies nicht automatisch in einem Gefühl eigener Fremdheit.

Ein Blick auf die Differenzen der Mittelwerte zwischen islambezogenen und muslim*innenbezogenen Items zeigt, dass für einige Aussagen besonders stark zwischen dem Islam und Muslim*innen unterschieden wird – das gilt allen voran für die Aussage „Der Islam will seine [Musliminnen und Muslime wollen ihre] Macht vergrößern.“, aber auch für die Items „Der Islam ist [Musliminnen und Muslime sind] rückständig und verweigert [verweigern] sich den neuen Realitäten.“ und „Die islamistischen Terroristinnen und Terroristen finden starken Rückhalt im Islam [bei Musliminnen und Muslimen].“ Diesen Items ist gemein, dass sie etwas Negatives beschreiben, gängige Vorurteile bedienen, sich im Gegensatz zu anderen Items nicht auf der affektiven Ebene eigener Gefühle zum Islam und zu Muslim*innen bewegen und eher auf eine politische als auf eine religiöse Dimension rekurrieren. Letzteres stellt durch die sprachliche Nähe von islamistisch und Islam eine weitere Besonderheit dar. Eine negativere Bewertung des Islams ist hier möglicherweise auch auf diese sprachliche Nähe zurückzuführen. Befragte scheinen insbesondere dann, wenn Items Bezüge zur politischen Sphäre, etwa in Form von Extremismus oder Macht(ausdehnung), aufweisen, Menschen muslimischen Glaubens sehr viel positiver zu bewerten als die Religion als solche. Einem eher abstrakten Glaubenssystem gegenüber sind die Befragten somit sehr viel vorurteiliger eingestellt und beziehen insbesondere politische Aspekte eher auf die Religion oder vermeintliche Ideologie selbst als auf (konkrete) Menschen, die nicht nur, aber auch zur Gruppe der Muslim*innen gehören. Es scheint, es fällt den Befragten leichter, pauschalisierende feindliche Einstellungen gegenüber der Religion des Islams zu äußern als gegenüber Menschen, zu denen der Großteil der Befragten zumindest gelegentlich Kontakt pflegt.

Insgesamt ist erkennbar, dass die Mittelwerte der Items mit dem Wording Musliminnen und Muslime deutlich niedriger ausfallen als dies für die Items mit dem Wording Islam der Fall ist. In allen 18 Fällen liegt der Mittelwert des islambezogenen Items über dem Mittelwert des muslim*innenbezogenen Items. Konsequenterweise gilt dies ebenfalls für den Mittelwert des additiven Index Islamfeindlichkeit – ein Index, der sich aus allen 18 Einzelitems zusammensetzt und der bereits in den Regressionsanalysen in Abschn. 5.2 verwendet wurde – im Vergleich zum Mittelwert des additiven Index Muslim*innenfeindlichkeit. Der Islam wird von den Befragten also tendenziell negativer bzw. weniger positiv bewertet als Muslim*innen. Ob die Mittelwerte signifikant voneinander verschieden sind, lässt sich jedoch designbedingt erst im Rahmen eines direkten Vergleichs der Gruppen A und B bzw. C-I und C-M feststellen. Ein differenzierter Blick auf die Mittelwertvergleiche der einzelnen Versionen ist daher für die Einschätzung der Signifikanz der Mittelwertunterschiede unerlässlich.

6.2 Mittelwertvergleich für das Experimental-Kontrollgruppen-Design (A vs. B)

Im Folgenden geht es nun um eine differenzierte Auswertung der Mittelwerte in Abhängigkeit der Fragebogenversion. Anders gesagt: Wie fallen die Ergebnisse für die Gruppe A (Fragebogenversion A) im Vergleich zu Gruppe B (Fragebogenversion B) aus, also für diejenigen Befragten, die nicht über die Kontrollgruppe im Sinne der alternativen Fragebogenvariante in Kenntnis gesetzt wurden, und wie fallen die Ergebnisse in Gruppe C (Fragebogenversion C) aus, das heißt für Befragte, die diese Aussagen bewusst sowohl für den Islam also auch – im direkten Vergleich – für Muslim*innen bewerten sollten.

In Tabelle 6.2 sind die Mittelwerte (inklusive Standardabweichungen) für islambezogene Items aus Version A und muslim*innenbezogene Items aus Version B dargestellt. Es handelt sich hierbei um zwei unterschiedliche, nicht verbundene Stichproben, da ein Drittel der Befragten zufällig ausgewählt wurde, Variante A (Islam) zu bearbeiten, während ein anderes Drittel zufällig ausgewählt wurde, Variante B (Muslim*innen) zu bearbeiten. Variante C, welche sowohl die Items zum Islam als auch zu Muslim*innen beinhaltet, wurde von einem weiteren Drittel der Befragten ausgefüllt. Variante C ist in Tabelle 6.2 jedoch zunächst nicht dargestellt, sodass lediglich diejenigen Befragten verglichen werden, die nicht explizit auf eine Unterscheidung von Islam und Muslim*innen aufmerksam gemacht wurden und die nicht über die Existenz unterschiedlicher Item-Varianten informiert waren. Aufgrund der Unabhängigkeit der Stichproben wurde ein ungepaarter t-Test durchgeführt.

Für Items mit dem Wording Islam bewegen sich die Mittelwerte im Bereich zwischen 1,67 (SD = 1,00; „Es sollte besser keinen Islam in Deutschland geben.“) und 3,74 (SD = 1,03; „Der Islam lehnt Homosexualität grundsätzlich ab.“). Dies entspricht dem Befund aus Tabelle 6.1 und damit den Ergebnissen für die gesamte Stichprobe. Die muslim*innenbezogenen Items weisen eine etwas geringere Spannweite der Mittelwerte von 1,34 (SD = 0,82; „Es sollte besser keine Musliminnen und Muslime in Deutschland geben.“) bis 3,26 (SD = 1,13; „Musliminnen und Muslime lehnen Homosexualität grundsätzlich ab.“) auf. Insgesamt befinden sich die Mittelwerte der islambezogenen Items auf einem höheren Niveau als die Mittelwerte der muslim*innenbezogenen Items. Für alle 18 Items gilt, dass jeweils der Mittelwert des islambezogenen Items über dem Mittelwert seines Pendants mit dem Wording Musliminnen und Muslime liegt. In 15 dieser 18 Fälle ist der Unterschied statistisch signifikant. Das bedeutet, dass der Islam in den allermeisten Fällen signifikant negativer bzw. im Falle der positiv formulierten Items weniger positiv bewertet wird als Muslim*innen. Auch für die additiven Indizes offenbart sich ein signifikant höherer Mittelwert für Islamfeindlichkeit (2,62; SD = 0,85) als für Muslim*innenfeindlichkeit (2,12; SD = 0,75) und damit eine negativere Bewertung des Islams verglichen mit Muslim*innen über alle Items hinweg. Die Standardabweichungen der einzelnen islambezogenen Items variieren zwischen 1,00 und 1,27, die der muslim*innenbezogenen Items zwischen 0,82 und 1,21. Die unterschiedlich starke Streuung bei islam- und muslim*innenbezogenen Items ist ein weiteres Indiz dafür, dass Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit nicht identisch sind.

Der einzige Unterschied zwischen den in den Fragebogenversionen A und B eingesetzten Items liegt bei ansonsten identischer Formulierung im Wording Islam vs. Musliminnen und Muslime. Die Ergebnisse sind umso bemerkenswerter unter Berücksichtigung der Tatsache, dass es sich hierbei um ein Experimental-Kontrollgruppe-Design handelt und nicht um eine bewusst unterschiedliche Bewertung von Islam und Muslim*innen. Einzig und allein das Wording führt zu einer signifikant unterschiedlichen Bewertung, die eindeutig zu Ungunsten des Islams ausfällt. Oder anders ausgedrückt: Die Vorurteile gegenüber Menschen, die entlang ihrer Religionszugehörigkeit kategorisiert werden (Muslim*innen), fallen deutlich geringer aus als die Vorurteile gegenüber der Religion selbst (Islam).

Tabelle 6.2 Vergleich der Mittelwerte der Befragten der Variante A (Islam) und der Variante B (Muslim*innen) (eigene Darstellung)

Bei näherer Betrachtung der einzelnen Items werden insbesondere im Falle des Rückständigkeit unterstellenden Items, welches ein gängiges Vorurteil gegenüber dem Islam abbildet, sowie im Falle des Items mit einem Fokus auf eine Vergrößerung der Macht große Unterschiede zwischen islam- und muslim*innenbezogenem Item sichtbar (>0,8). Eher geringe oder gar keine signifikanten Mittelwertunterschiede finden sich hingegen auffällig häufig bei positiv formulierten Items, etwa „Der Islam hat [Musliminnen und Muslime haben] eine bewundernswerte Kultur hervorgebracht.“ Eine Ausnahme bilden hier die positiv formulierten Items mit einem inhaltlichen Fokus auf Passung und Zugehörigkeit, welche durchaus größere signifikante Mittelwertunterschiede verzeichnen. Eine Erklärung für die unterschiedliche Bewertung liegt möglicherweise in der Vorbelastung dieser Items. Insbesondere der Satz „Der Islam gehört zu Deutschland“ ist regelmäßig Gegenstand politischer Debatten. Verschiedene Politiker*innen haben in der Vergangenheit immer wieder einen Unterschied zwischen Islam und Muslim*innen hergestellt, sodass diese Aussage möglicherweise mehr als jede andere in diesem Fragebogen an eine explizite Differenzierung zwischen Islam und Muslim*innen in der Politik und der Praxis erinnert und entsprechenden Konnotationen bei den Befragten mitschwingen. Anders gesagt: Gerade im Kontext von Aushandlungsprozessen um Zugehörigkeit wurde in Deutschland immer wieder eine feine Linie zwischen der Religion des Islams und Muslim*innen als Anhänger*innen dieser Religion gezogen (vgl. Abschn. 1.2). Dass der Aussage „Musliminnen und Muslime gehören zu Deutschland.“ signifikant stärker zugestimmt wird als der Aussage „Der Islam gehört zu Deutschland.“, ist daher wenig verwunderlich, wenn nicht sogar Resultat der politischen Grenzziehungen zwischen Islam und Muslim*innen, wobei sich eine Kausalität hier nicht direkt ableiten lässt.

Das Item „Durch den Islam [Musliminnen und Muslime] fühle ich mich manchmal wie eine Fremde/ein Fremder im eigenen Land.“ ist das einzige negativ formulierte Item ohne signifikanten Mittelwertunterschied zwischen der islambezogenen und der muslim*innenbezogenen Variante. Dieses Item ist interessant, da es eines der am häufigsten eingesetzten Items zur Messung von Muslim*innenfeindlichkeit und in leicht abgewandelter FormFootnote 5 Teil der GMF-Kurzskala ist. Inhaltlich bearbeitet dieses Item u. a. den Aspekt der Fremdheit, in diesem Fall des ‚Sich-Selbst-Fremd-Fühlens‘, es hat also eine affektive Komponente, die auch bereits in Abschn. 6.1 angedeutet wurde. Für die Befragten scheint es keinen Unterschied zu machen, ob das Item auf ein ‚Sich-Fremd-Fühlen‘ durch den Islam oder durch Muslim*innen abzielt. Für diesen Befund kann es unterschiedliche Erklärungsansätze geben. Inhaltlich betrachtet steht die Formulierung „im eigenen Land“ im Kontrast zum anderen, fremden, stellt also unterschwellig einen Gegensatz zu einem anderen, fremden Land (Ausland) her und aktiviert dadurch möglicherweise Assoziationen aus dem Kontext der Migration und Integration. Gleichzeitig birgt diese Formulierung das Potential, Besitzansprüche zu evozieren, da der Begriff eigen oftmals das Possessivpronomen ersetzt oder verstärkt. Dadurch wird der Eindruck erweckt, Muslim*innen bzw. der Islam seien ‚fremd‘ und ‚anders‘ und Deutschland eben nicht ihr ‚eigenes‘ Land, das ihnen gehört oder dem sie angehören. Das Item fragt also nicht einfach nach Gefühlen von Fremdheit, sondern zeichnet durch entsprechende Formulierungen bereits selbst ein Bild von fremden Muslim*innen bzw. einem fremden Islam. Die starke Rahmung dieses Items von Islam und Muslim*innen als fremd und nicht zugehörig sowie die Evokation einer Positionierung von Islam und Muslim*innen außerhalb Deutschlands führt möglicherweise dazu, dass Islam und Muslim*innen in gleichem Maße als Erklärung für ein eigenes ‚Sich-Fremd-Fühlen‘ herangezogen werden und es hier keine signifikanten Mittelwertunterschiede gibt. Gleichzeitig offenbart dieser Versuch einer Dekonstruktion die Vielzahl der in diesem Item enthaltenen Stimuli und Deutungsmöglichkeiten. Zu große Komplexität, Suggestionen und doppelte Stimuli sollten im Rahmen der Fragebogenkonstruktion, wenn möglich, vermieden werden, um auch tatsächlich belastbare Informationen zu erhalten (vgl. Porst 2014). Da dieses Item im Gegensatz zu nahezu allen anderen Items dieser Studie keinen signifikanten Mittelwertunterschied aufweist, kann durchaus die Validität des Items infrage gestellt werden. Uneindeutigkeiten und zu viele Stimuli sowie daraus resultierend unterschiedliche Interpretationen des Items durch die Befragten erklären so möglicherweise den Befund der kaum (und nicht signifikant) voneinander abweichenden Mittelwerte. Schließlich könnte eine weitere Erklärung in der insgesamt niedrigen Zustimmung zu diesem Item liegen, die möglicherweise weniger Spielraum für Abweichungen lässt. Gegen diese Annahme sprechen jedoch die Ausprägungen anderer Items mit ebenfalls niedrigen Zustimmungswerten, die sehr wohl signifikante Unterschiede zwischen islam- und muslim*innenbezogenem Item aufweisen. Gleichzeitig fällt auf, dass diese Items in Bezug auf die Standardabweichung variieren, während die Standardabweichung bei den Items „Durch den Islam fühle ich mich manchmal wie eine Fremde/ein Fremder im eigenen Land.“ (SD = 1,18) und „Durch Musliminnen und Muslime fühle ich mich manchmal wie eine Fremde/ein Fremder im eigenen Land.“ (SD = 1,17) nahezu identisch ist.

Das Item „Durch den Islam [Musliminnen und Muslime] fühle ich mich manchmal wie eine Fremde/ein Fremder im eigenen Land.“ zeigt zwar, wie beschrieben, keinen signifikanten Unterschied in den Mittelwerten von islambezogenem und muslim*innenbezogenem Item, das explizit nach Fremdheit fragende, den Islam und Muslim*innen aber nicht unterschwellig als fremd rahmende Item „Der Islam ist [Musliminnen und Muslime sind] mir fremd.“ hingegen weist interessanterweise einen beachtlichen, auf dem 0,1 Prozent-Niveau signifikanten Unterschied auf: Der Islam wird signifikant stärker als fremd wahrgenommen als Muslim*innen. Dieses Ergebnis ist vor dem Hintergrund der Kontakthypothese plausibel (vgl. Abschn. 2.3.1). Dass der Islam als fremder wahrgenommen wird als Muslim*innen, könnte an verringerten Kontaktmöglichkeiten mit dem Islam verglichen mit Muslim*innen sowie qualitativ unterschiedlichen Wissensbeständen zu Islam und Muslim*innen liegen. Forschung in diesem Bereich zeigt, dass eher abstraktes Allgemeinwissen über islamische Glaubenslehren anti-muslimische Vorurteile nicht signifikant verringert, Kenntnisse über die Lebensrealität von Muslim*innen hingegen sehr wohl (vgl. Janzen et al. 2019). Kontaktsituationen können das Wissen über die Mitglieder der Outgroup fördern und diese in der Folge als weniger fremd erscheinen lassen. Die Befragten empfinden eine Religion, der sie selbst nicht angehören, als fremder als die Angehörigen dieser Religion, zu denen die allermeisten Befragten im Alltag in irgendeiner Form Kontakt haben. Abschn. 2.3.2 hat darüber hinaus deutlich gemacht, dass die vielfältigen Identitäten von Muslim*innen durch De-, Kreuz- oder Rekategorisierung in Kontaktsituationen sichtbar und bekannt werden können, Muslim*innen also nicht länger nur über ihre Religionszugehörigkeit definiert werden. Möglicherweise finden sich sogar Gemeinsamkeiten, die quer zur Religionszugehörigkeit liegen, sodass entlang anderer Heterogenitätsmarker andere Gruppengrenzen gezogen werden und Muslim*innen bei entsprechender Salienz anderer Kategorisierungen plötzlich zur Ingroup und nicht länger zur (als fremd empfundenen) Outgroup gehören. Durch Kontakte und Bekanntschaften mit Muslim*innen erfährt das muslim*innenbezogene Item also möglicherweise weniger Zustimmung als das islambezogene Item, da die Pauschalisierung für Muslim*innen (‚alle Muslim*innen sind fremd‘) für die Befragten weniger zutrifft und ihre Lebensrealität weniger abbildet als die Pauschalisierung für den Islam (‚der Islam ist im Allgemeinen fremd‘).

Gleichzeitig ist zu beachten, dass ähnlich wie für die Gesamtübersicht (Abschn. 6.1) auch für den Versionenvergleich A-B gilt, dass das Item „Der Islam ist [Musliminnen und Muslime sind] mir fremd.“ insgesamt höhere Zustimmung erfährt als das Item „Durch den Islam [Musliminnen und Muslime] fühle ich mich manchmal wie eine Fremde/ein Fremder im eigenen Land.“ Dies lässt den Schluss zu, dass die Befragten andere Religionen oder Menschen durchaus als fremd wahrnehmen bzw. ihnen Fremdheit zuschreiben, sich aber in viel geringerem Ausmaße selbst fremd fühlen.

Es fällt auf, dass die einzelnen islambezogenen Items sortiert nach der Stärke der Zustimmung ein ähnliches Muster aufweisen wie die muslim*innenbezogenen Items, mit dem Unterschied, dass die muslim*innenbezogenen Items insgesamt weniger Zustimmung erhalten. Alles in allem wird der Islam deutlich negativer bewertet als Muslim*innen – unabhängig von der inhaltlichen Ausrichtung der Items. Die Befragten scheinen dem Islam gegenüber misstrauischer zu sein, sehen in ihm stärkeren Rückhalt für islamistische Terrorist*innen, erachten ihn als frauenfeindlicher und weniger zu Deutschland passend und sehen in ihm eine stärkere Bedrohung für die Rechte und Freiheiten der Menschen, um nur einige Beispiele zu nennen. Diese Unterschiede sind signifikant, was nicht nur inhaltlich interessant ist, sondern auch sichtbar macht, dass eine synonyme Verwendung bzw. das willkürliche Austauschen der Begriffe Islam und Muslim*innen auf manifester Ebene in standardisierten Befragungen zu verzerrten Ergebnissen führen kann.

6.3 Mittelwertvergleich für das Design der bewussten Entscheidung (C-I vs. C-M)

In einem nächsten Schritt werden die Antworten der Befragten aus Fragebogenversion C miteinander verglichen. Die Besonderheit dieser Gruppe besteht darin, dass die Respondent*innen sowohl die Aussagen zum Islam als auch zu Muslim*innen bewertet haben. Durch das parallele Vorlegen beider Formulierungen wurde die Unterscheidung für die Teilnehmer*innen explizit gemacht, sodass diese sich bewusst entscheiden konnten, ob sie zu einer gleichen oder unterschiedlichen Bewertung der Aussagen kommen wollen. Sie konnten sich beispielsweise explizit mit der Frage auseinandersetzen, ob bzw. inwiefern sie sich durch den Islam bedroht fühlen und ob das in diesem Ausmaß auch für Muslim*innen zutrifft oder ob sie der Aussage, der Islam gehöre zu Deutschland, in gleichem Maße zustimmen wie der Aussage, Muslim*innen gehörten zu Deutschland. Da es sich in den Varianten C-I und C-M um dieselbe Stichprobe handelt, wurde ein gepaarter t-Test durchgeführt. Die signifikanten Unterschiede in den Mittelwerten deuten darauf hin, dass die Befragten Islam und Muslim*innen nicht nur in einem Experimental-Kontrollgruppen-Design (Versionen A und B, vgl. Abschn. 6.2) anders bewerten, sondern auch im Rahmen einer bewussten Entscheidung unterschiedliche Bewertungen vornehmen.

In Tabelle 6.3 sind die Mittelwerte (inklusive Standardabweichungen) für die islambezogenen und muslim*innenbezogenen Items der Variante C dargestellt. Ähnlich der Varianten A und B weist auch hier das Item „Es sollte besser keinen Islam [keine Musliminnen und Muslime] in Deutschland geben.“ den niedrigsten Mittelwert auf. Im Fall des Islams liegt dieser bei 1,72 (SD = 1,18), im Fall von Muslim*innen signifikant niedriger bei 1,38 (SD = 0,87). Auch die Streuung fällt für das muslim*innenbezogene Item deutlich geringer aus. Am meisten Zustimmung erfährt erneut das Item zur Ablehnung von Homosexualität, wobei auch hier ein signifikanter Unterschied zwischen der Islam-Variante (3,64; SD = 1,16) und der Muslim*innen-Variante (3,30; SD = 1,10) zu beobachten ist. 16 von 18 Items weisen signifikante Unterschiede auf. In allen 16 Fällen fällt das Urteil über den Islam dabei negativer bzw. weniger positiv aus als das Urteil über Muslim*innen. Die Streuung variiert bei islambezogenen Items zwischen 1,02 und 1,34, bei muslim*innenbezogenen Items zwischen 0,85 und 1,22. Erneut zeigt sich eine in der Tendenz stärkere Streuung bei islambezogenen Items.

Auch ein Blick auf die additiven Indizes zeigt, dass der Mittelwert des Konstrukts Islamfeindlichkeit signifikant höher ist als der Mittelwert des Konstrukts Muslim*innenfeindlichkeit, was gleichbedeutend ist mit einer signifikant negativeren Bewertung des Islams verglichen mit Muslim*innen. Anders als im Vergleich zwischen den Versionen A und B ist in Version C nun auch der Mittelwert des Items „Der Islam erkennt grundsätzlich andere Religionen als gleichberechtigt an.“ signifikant höher als der Mittelwert des Items „Musliminnen und Muslime erkennen grundsätzlich andere Religionen als gleichberechtigt an.“ Bei einem bewussten, direkten Vergleich der Formulierung stimmen somit signifikant mehr Befragte der Aussage zu, Muslim*innen würden andere Religionen als gleichberechtigt anerkennen, als dies für den Islam der Fall ist.

Auffällig ist zudem, dass die positiv formulierten Items, die im Mittelwertvergleich der Versionen A und B zwar signifikante, jedoch keine hochsignifikanten Unterschiede zeigten, bei diesem Vergleich allesamt auf dem 0,1 Prozent-Niveau signifikant sind („Vom Islam [Von Musliminnen und Muslimen] kann man viel lernen.“ / „Ich stehe dem Islam [Musliminnen und Muslimen] genauso offen gegenüber wie anderen [Angehörigen anderer] Religionen.“ / „Wir sollten dem Islam [Musliminnen und Muslimen] mehr Anerkennung entgegenbringen.“). Unverändert bleiben allerdings die nicht-signifikanten Mittelwertunterschiede im Falle der Items „Durch den Islam [Musliminnen und Muslime] fühle ich mich manchmal wie eine Fremde/ein Fremder im eigenen Land.“ sowie „Der Islam hat [Musliminnen und Muslime haben] eine bewundernswerte Kultur hervorgebracht.“ Insbesondere bei letzterem Item ist dieses Ergebnis wenig verwunderlich, da die hervorgebrachte Kultur möglicherweise als dieselbe betrachtet wird, unabhängig davon, wer sie hervorgebracht hat. Dieses Item fragt nur indirekt nach dem Islam bzw. nach Muslim*innen; der Fokus liegt auf der durch diese Akteur*innen hervorgebrachten Kultur. Auch wenn die Akteur*innen in den beiden Items unterschiedliche sind, so unterscheiden die Befragten hier offensichtlich wenig und bewerten stattdessen das erzeugte Resultat, das heißt die Kultur – wobei „Kultur“ hier nicht näher erörtert wird und das Item offenlässt, was darunter im Einzelnen zu verstehen ist und daher viel Raum für eigene Deutungen lässt.

Tabelle 6.3 Vergleich der Mittelwerte der Befragten der Variante C (Islam bzw. Muslim*innen) (eigene Darstellung)

Resümierend lässt sich festhalten, dass die Ergebnisse aus dem Vergleich der Variante C-I und der Variante C-M den Befunden aus dem Vergleich zwischen den Varianten A und B ähneln. Sowohl im Rahmen einer bewussten Entscheidung als auch in einem Experimental-Kontrollgruppen-Design wird der Islam negativer bzw. weniger positiv bewertet als Muslim*innen. Die zuvor formulierte Hypothese H8 wird folglich durch die Daten in beiden Designs gestützt.

6.4 Experimental-Kontrollgruppen-Design und Design der bewussten Entscheidung im Vergleich

Eine weitere Beobachtung ergibt sich aus dem Vergleich der unterschiedlichen Designs (Experimental-Kontrollgruppen-Design vs. Design der bewussten Entscheidung). Die Idee hinter den unterschiedlichen Designs war es, unterschiedliche Bewertungsszenarien für die Befragten zu schaffen: zum einen im Sinne einer Kontrollgruppe, das heißt, die islam- und muslim*innenbezogenen Items werden in unterschiedlichen Stichproben getestet und die Befragten sind sich der alternativen Variante nicht bewusst, zum anderen im Sinne eines direkten und bewussten Vergleichs, bei dem die Befragten selbst differenzieren können. Dieses parallele Vorgehen mit unterschiedlichen Designs sollte Erkenntnisse darüber liefern, ob sich Unterschiede in der Bewertung von Islam und Muslim*innen unterschiedlich deutlich zeigen, je nachdem in welchem Design der Fragebogen vorliegt. Derartige Erkenntnisse sind aus methodologischer Perspektive höchst interessant und zentral für die Erfassung von Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit mittels standardisierter Befragungen, weshalb im Folgenden die zuvor beschriebenen Ergebnisse der einzelnen Designs miteinander verglichen werden.

Die Ergebnisse aus dem Vergleich der Versionen A und B sowie C-I und C-M weisen auf ähnliche Unterschiede hin. Die t-Tests zwischen den islambezogenen Versionen A und C-I bzw. den muslim*innenbezogenen Versionen B und C-M (vgl. Tabelle 4.2 und Tabelle 4.3 im Anhang im elektronischen Zusatzmaterial) zeigen, dass es hier keine signifikanten Unterschiede gibt. Für die Einstellungen zum Islam bzw. zu Muslim*innen spielt es folglich keine Rolle, ob diese im Rahmen eines Experimental-Kontrollgruppen-Designs erhoben wurden oder ob die Befragten bewusst beide Items (Islam und Muslim*innen) vorgelegt bekamen. Diese Erkenntnis ist auch mit Blick auf Kap. 7 relevant, in welchem primär zwischen Assoziationen zum Islam und Assoziationen zu Muslim*innen unterschieden wird und der Fragebogenversion, der die jeweiligen Antworten entstammen, eher eine untergeordnete Bedeutung zukommt.

Kleine Auffälligkeiten zwischen den beiden Designs fallen jedoch ins Auge. Zum einen erzeugt der Vergleich zwischen den Varianten A und B höhere Differenzwerte als der Vergleich zwischen den Varianten C-I und C-M. Während Tabelle 6.2 zwei Differenzwerte >0,8 zeigt, liegt der höchste Differenzwert in Tabelle 6.3 bei 0,60. Im Rahmen des Experimental-Kontrollgruppen-Designs fällt die Differenz zwischen der Bewertung von Islam und Muslim*innen folglich stellenweise deutlich höher aus. Insbesondere da hier keine bewusste Entscheidung getroffen wurde, stellt sich die Frage, wie es zu einem solchen Unterschied kommen kann und welche Deutungsrahmen abgerufen werden, wenn die Befragten entweder den Begriff Islam oder Musliminnen und Muslime lesen. Diese Frage kann anhand der bisherigen Analysen nicht beantwortet werden. Daher folgt in Kap. 7 die Auswertung offener Angaben der Befragten zu ihren Assoziationen. Gleichzeitig fällt jedoch auf, dass im Rahmen der Variante C insgesamt 16 statt 15 Items signifikante Mittelwertunterschiede zeigen und diese Unterschiede darüber hinaus in einigen Fällen hochsignifikant werden (***p<0,001). Die beobachteten Mittelwertunterschiede zwischen islambezogenen und muslim*innenbezogenen Items sind folglich in Variante C mit noch größerer Sicherheit nicht zufällig.

Einige Items weisen außerdem versionenabhängig einige Unterschiede in der Höhe der Differenzen der Mittelwerte auf. So gilt beispielsweise für das Item „Der Islam will seine Macht vergrößern.“ und in noch stärkerem Maße für das Item „Der Islam ist rückständig und verweigert sich den neuen Realitäten.“, dass die Differenz zwischen den Mittelwerten für das islambezogene Item einerseits und das muslim*innenbezogene Item andererseits im Experimental-Kontrollgruppen-Design sehr viel höher ausfällt. Die unterschiedliche Bewertung ist also besonders hoch, wenn die Befragten nicht explizit zwischen Islam und Muslim*innen unterscheiden. Eine mögliche Erklärung hierfür könnte sein, dass beides gängige Vorurteile im Zusammenhang mit dem Islam sind und Narrative eines politischen Islams bedienen. Diese Aussage ist daher möglicherweise im Zusammenhang mit dem Islam für die Befragten leichter zugänglich und erfährt in der Folge mehr Zustimmung als im Zusammenhang mit Muslim*innen. Bei einer bewussten Entscheidung entfällt der leichtere Zugang zu diesem Item möglicherweise ein Stück weit, da hier explizit abgewogen werden kann, wie die Zustimmung zu diesem Item für den Islam einerseits und für Muslim*innen andererseits ausfällt. Gleichzeitig gibt es Beispiele, die einen gegenteiligen Effekt zeigen: Die Mittelwertunterschiede der Items „Vom Islam [von Musliminnen und Muslimen] kann man viel lernen.“ sowie „Der Islam erkennt [Musliminnen und Muslime erkennen] grundsätzlich andere Religionen als gleichberechtigt an.“ werden in Variante C größer bzw. im Fall des zweiten Items überhaupt erst signifikant. Hier scheinen die Befragten eher einen Unterschied zu machen, wenn sie beide Optionen kennen und diese bewusst ins Verhältnis setzen können. Beide Items sind positiv formuliert, was die Vermutung nahelegt, dass möglicherweise insbesondere solche Items bei einer bewussten Unterscheidung zu stärkeren Differenzen führen, die dem Islam bzw. Muslim*innen positive Eigenschaften zusprechen.

Das Item „Der Islam erkennt [Musliminnen und Muslime erkennen] grundsätzlich andere Religionen als gleichberechtigt an.“ ist von den positiv formulierten Items sowohl mit dem Wording Islam als auch mit dem Wording Musliminnen und Muslime das am negativsten bewertete. Ein signifikanter Unterschied der Mittelwerte zwischen islambezogenem Item und muslim*innenbezogenem Item findet sich jedoch ausschließlich im Vergleich zwischen den Varianten C-I und C-M. Im Rahmen einer bewussten Unterscheidung schreiben die Befragten Muslim*innen in stärkerem Maße zu, andere Religionen als gleichberechtigt anzuerkennen, als der Religion des Islams als solcher. Dieses Item zielt auf die Anerkennung der Gleichberechtigung verschiedener Religionen ab und lehnt damit indirekt eine Hierarchisierung bzw. eine Superiorität einer Religion über andere Religionen ab. Diejenigen Befragten, die explizit zwischen beiden Items unterscheiden und beide Aussagen bewerten konnten, nehmen den Islam als signifikant weniger tolerant und als sich selbst als überlegener begreifend wahr als Muslim*innen. Anders ausgedrückt: Der Religion des Islams wird die Ungleichbehandlung von Religionen und damit im weiteren Sinne eine Ideologie der Ungleichwertigkeit (vgl. Abschn. 1.3) in stärkerem Maße zugeschrieben als den dieser Religion angehörenden Menschen, in diesem Fall Muslim*innen. Auch an diesem Item lässt sich die wahrgenommene bessere Kompatibilität von Muslim*innen mit ‚westlichen‘ Werten im Vergleich zum Islam ablesen. Interessant ist, dass dieser Unterschied im Experimental-Kontrollgruppen-Design nicht signifikant ist, wenn auch die Tendenz dieselbe ist. Das deutet darauf hin, dass die Befragten durchaus einen Unterschied machen zwischen einer Religion und ihren Anhänger*innen und letztere mit Blick auf ihre Toleranz anderen Religionen gegenüber bewusst positiver bewerten.

Alles in allem sind die Unterschiede zwischen den Versionen jedoch gering ausgeprägt und es gibt keine signifikanten Unterschiede zwischen den Mittelwerten der islambezogenen Items aus den Varianten A und C-I sowie zwischen den Mittelwerten der muslim*innenbezogenen Items aus den Varianten B und C-M, sodass für die folgende Analyse in Kap. 7 nur mehr zwischen islambezogener und muslim*innenbezogener Variable unterschieden wird und die Versionenzugehörigkeit von nun an eine untergeordnete Rolle spielt.

6.5 Zwischenfazit: designunabhängig negativere Bewertung des Islams

Versionenübergreifend lässt sich mit Blick auf die Mittelwertvergleiche zunächst ein zentrales Ergebnis festhalten: Die Befragten sind dem Islam gegenüber signifikant negativer eingestellt als gegenüber Muslim*innen. Dieses Ergebnis gilt für den Großteil der abgefragten Items und findet sich sowohl bei denjenigen, die beide Items bewerten sollten (16 von 18 Items mit signifikantem Mittelwertunterschied), als auch bei den beiden Gruppen, die die Aussagen unabhängig voneinander entweder für den Islam oder für Muslim*innen eingeschätzt haben (15 von 18 Items mit signifikantem Mittelwertunterschied). Da die Mittelwerte der islambezogenen Items in den Versionen A und C-I sowie die Mittelwerte der muslim*innenbezogenen Items in den Versionen B und C-M nicht signifikant voneinander verschieden sind, scheint das Design – Experimental-Kontrollgruppen-Design oder Design der bewussten Entscheidung – dieses Ergebnis nicht zu beeinflussen; es hat designübergreifend Bestand.

Dieses Ergebnis stützt die zuvor formulierte Hypothese (H8), dass der Islam negativer bewertet wird als Muslim*innen. Es deckt sich mit den spärlichen empirischen Erkenntnissen, die es bisher im Bereich eines direkten Itemvergleichs gibt (vgl. Petersen 2012), sowie den Tendenzen, die sich aus der Forschung zur Dimensionalisierung von Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit ableiten lassen, auch wenn die Autor*innen bisher nicht mit einem direkten Itemvergleich operierten (vgl. Leibold & Kühnel 2003, 2006, 2008).

Die Gründe für diese zum Teil stark ausgeprägten Niveauunterschiede von Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit, das heißt die stärkere Prävalenz islamfeindlicher Einstellungen verglichen mit muslim*innenfeindlichen Einstellungen, können vielschichtig sein. Die Literatur wie auch die Ergebnisse aus Abschn. 5.2.1 legen die Vermutung nahe, dass Kontakte zu Muslim*innen Vorurteile gegenüber Angehörigen dieser Outgroup verringern – möglicherweise gilt dies für Vorurteile gegenüber dem Islam nur in geringerem Umfang. Kontakt zu Muslim*innen führt unter anderem dazu, dass Wissen über diese Gruppe und über einzelne Individuen generiert wird, sodass Muslim*innen als Menschen mit multiplen Gruppenzugehörigkeiten und daraus resultierend als Menschen mit facettenreichen Identitäten und weniger als ‚homogene Masse‘ wahrgenommen werden. Es ist bekannt, dass insbesondere das Wissen über die Lebensrealität von Muslim*innen in Deutschland mit einer Reduzierung muslim*innenfeindlicher Einstellungen einhergeht; das abstrakte Allgemeinwissen über die Glaubenslehren des Islams hingegen hat keinen Einfluss auf muslim*innenfeindliche Einstellungen (vgl. Janzen et al. 2019). Die Analyse der einzelnen Items hat gezeigt, dass der Islam den Befragten fremder ist als Muslim*innen. Möglicherweise ist dies das Resultat von Kontaktsituationen, in denen zwar Kontakte zwischen Muslim*innen und Nicht-Muslim*innen stattfinden, der Kontext jedoch keinen Bezug zur Religion hat, die Religion bzw. religiöse Praktiken also nicht im Vordergrund stehen und gar nicht oder lediglich am Rande thematisiert werden. Dies könnten beispielsweise Kontakte im schulischen oder beruflichen Umfeld sein, ebenso wie Freizeitkontakte, etwa in Sportvereinen.

Selbstverständlich kann auch das mediale Bild, das von Muslim*innen auf der einen und dem Islam auf der anderen Seite vermittelt wird, zu einer unterschiedlichen Bewertung beitragen. Die sprachliche Einbettung in Zeitungsartikeln etwa variiert zwischen Islam und Muslim*innen mit Blick auf positiv oder negativ konnotierte Adjektive enorm (vgl. Kalwa 2013). Eine überwiegend negative Darstellung des Islams oder eine Berichterstattung, die den Islam primär in Kontexten wie Terror, Krieg, Gewalt und Unterdrückung verortet, zeichnet ein

„zugespitztes Gewalt- und Konfliktbild, das den Eindruck vermittelt, dass der Islam weniger eine Religion als vielmehr eine politische Ideologie und einen gesellschaftlichen Wertekodex darstellt, die mit den Moralvorstellungen des Westens kollidieren“ (Hafez & Richter 2007: 44).

Dies könnte eine Erklärung sein für die unterschiedliche Bewertung des Islams als Religion – oder für einige Befragte eben auch als politische Ideologie – auf der einen Seite und Menschen, die dieser Religion angehören und die damit letztendlich Subjekte sind, über welche religiöse Praktiken vermittelt und sichtbar werden können, denen die Befragten mitunter aber auch in areligiösen Kontexten begegnen und mit denen sie potentiell Gemeinsamkeiten teilen, auf der anderen Seite.

Insgesamt kann festgehalten werden, dass es durchaus von Bedeutung ist, ob ein Item sich wörtlich auf den Islam bezieht oder ob stattdessen nach den diese Religion angehörenden Menschen – Muslim*innen – gefragt wird. Da die Items ansonsten identisch sind, beispielsweise in beiden Fällen auf eine wahrgenommene Bedrohung, Misstrauen oder Zugehörigkeit abzielen, lässt sich hier direkt vergleichen, welchen Einfluss es bei einer standardisierten Befragung macht, ob sprachlich auf eine Religion als solche oder auf eine Gruppe von Menschen abgezielt wird. Das experimentelle Forschungsdesign ermöglicht durch eine identische Stärke der Items einen direkten Vergleich, der in dieser Form in der vorhandenen Literatur bisher nicht zu finden ist. Die präsentierten Ergebnisse hinsichtlich des unterschiedlichen Ausmaßes von Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit sind daher ein wichtiger und innovativer Schritt im Bereich der Forschung zur Differenzierung von islam- und muslim*innenfeindlichen Einstellungen. Offen bleibt nach diesem zweiten Auswertungsschritt, welche Ursachen hinter dem zentralen Befund der Analyse der Mittelwerte – die negativere Bewertung des Islams verglichen mit Muslim*innen durch die Befragten – liegen können. Um mögliche Ursachen zu eruieren, wird im Folgenden näher untersucht, welche Assoziationen bei den Befragten hinter den beiden Begriffen stehen.