Einige wenige Studien haben sich bisher intensiv mit der Entflechtung von Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit auseinandergesetzt (vgl. Abschn. 3.4.2). Die Ergebnisse legen nahe, dass islambezogene und muslim*innenbezogene Items in der Tat unterschiedliche Dimensionen eines zwei- (oder sogar mehr-) dimensionalen Konstrukts abbilden (vgl. Diekmann 2017, 2020b; Frindte & Dietrich 2017; Uenal 2016; Uenal et al. 2021). In einem ersten Schritt geht es daher nun darum zu überprüfen, ob Ähnliches auch für die vorliegenden Daten gilt.

5.1 PCA und CFA: Extrahierung unterschiedlicher Dimensionen

Die Analysen im Rahmen der PCA und der CFA basieren aus methodischen Gründen auf den Daten der Befragten aus Fragebogenversion C, da nur dieser Gruppe sowohl die islam- und als auch die muslim*innenbezogenen Items vorgelegt wurden. Insgesamt wurden für die vorliegende Studie 36 Items zur Messung von Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit erhoben (18 Items mit dem Wording Islam, 18 Items mit dem Wording Musliminnen und Muslime, vgl. Abschn. 4.1.3). Diese Items stellten eine Auswahl der in der Forschungspraxis verwendeten Items dar, die zusätzlich die Bedingung erfüllen mussten, dass sich das entsprechende Item sowohl mit dem Wording Islam als auch mit dem Wording Musliminnen und Muslime sinnvoll formulieren ließ. In die Faktorenanalyse werden aus diesem Pool nun neun Items inkludiert. Die Auswahl der Items orientiert sich strikt an der Verwendung der Items in der Forschungspraxis, sodass für diesen ersten Schritt zunächst nur jene Items berücksichtigt wurden, die in der Praxis auch tatsächlich Verwendung findenFootnote 1 und ausschließlich im Zusammenhang mit dem Wording Islam oder mit dem Wording Musliminnen und Muslime in Erscheinung treten.Footnote 2 Nur so können diejenigen Instrumente getestet werden, die auch tatsächlich im Rahmen der empirischen Sozialforschung zu Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit eingesetzt werden und durch deren undifferenzierten und unreflektierten Einsatz Wissenschaftler*innen Gefahr laufen, nicht ausreichend zwischen den Adressat*innen der formulierten feindlichen Einstellungen zu unterscheiden und in der Folge die Vielschichtigkeit des Phänomens – so die Hypothese (H1) dieser Studie – zu übersehen.

Ein Beispiel: Das Item „Der Islam ist rückständig und verweigert sich neuen Realitäten“ rekurriert auf das gängige Vorurteil der Rückständigkeit des Islams und gehört in dieser oder einer abgewandelten Form zum Standardrepertoire bei der Erfassung von Islamfeindlichkeit. Das Item findet sich so oder ähnlich formuliert in zahlreichen Studien (vgl. Abschn. 4.1.3), nie jedoch mit wörtlichem Bezug zu Muslim*innen (etwa: Muslim*innen sind rückständig). Da dieses Item zwar erhoben wurde, um in den nächsten Schritten direkte Vergleiche anstellen zu können, in der Forschungspraxis außerhalb dieser Arbeit jedoch nicht existent und daher für eine erste Differenzierung im oben beschriebenen Sinne nicht relevant ist, wird für die Faktorenanalyse in diesem ersten Schritt lediglich das tatsächlich eingesetzte Item mit Bezug zum Islam inkludiert.

Tabelle 5.1 Ausgewählte Items für die Hauptkomponentenanalyse (eigene Darstellung)

Einige Items, beispielsweise im Zusammenhang mit der wahrgenommenen Bedrohung oder der vermuteten Unterstützung von islamistischen Terrorist*innen, werden in der Praxis sowohl mit Bezug zum Islam als auch mit Bezug zu Muslim*innen verwendet – zum Teil sogar mit Bezug auf Moscheen („Moscheen unterstützen den islamistisch gerechtfertigten Terror“, Bitterer et al. 2019). Diese Items lassen sich nicht eindeutig zuordnen und wurden daher in diesem Analyseschritt ebenfalls ausgeklammert. Tabelle 4.2 in Abschn. 4.1.3 gibt einen Überblick über die tatsächliche Verwendung der Items im Feld. Basierend auf dieser Übersicht und anhand der zuvor erläuterten Kriterien verbleiben die in Tabelle 5.1 dargestellten, in der Praxis thematisch eindeutig entweder dem Islam oder Muslim*innen zuzuordnenden Items für die Faktorenanalyse.

Das Item „Der Islam lehnt Homosexualität grundsätzlich ab.“ ist zwar durchaus eindeutig zuzuordnen und wird in der Praxis verwendet, dieses Item wurde jedoch aufgrund zu geringer Korrelationen mit den anderen Items exkludiert (vgl. Tabelle 5.2). Die Ausreißer-Position dieses Items zeigt sich auch an der hohen Anzahl fehlender Werte. Kein anderes Item wurde von den Befragten so häufig nicht beantwortet wie dieses. Eine Exklusion aus der Faktorenanalyse liegt daher nahe.

Tabelle 5.2 Korrelationsmatrix der eindeutig zuzuordnenden Items (eigene Darstellung)

Von den neun verbleibenden Items beziehen sich vier wörtlich auf den Islam und fünf auf Muslim*innen. Fünf Items beinhalten eine negative Darstellung des Islams bzw. von Muslim*innen (‒), vier Items sind positiv (+) formuliert. Nach Exklusion aller Personen mit einer fehlenden Angabe bei mindestens einem der sieben schlussendlich verbleibenden ItemsFootnote 3 ergibt sich für die Analysen im Rahmen der PCA und der CFA eine Stichprobengröße von n = 111.

Tabelle 5.3 Deskription der Stichprobe für PCA und CFA (eigene Darstellung)

Da die Stichprobe in diesem Kapitel von der in Abschn. 4.3 beschriebenen Gesamtstichprobe abweicht, zeigt Tabelle 5.3 die Verteilungen bzw. Mittelwerte und Standardabweichungen der wichtigstenFootnote 4 soziodemographischen Merkmale der Befragten für die hier genutzte Teilstrichprobe (n = 111). Insgesamt ergibt sich jedoch ein ähnliches Bild wie in der Gesamtstichprobe, was aufgrund der randomisierten Zuordnung der Befragten zu einer der drei Fragebogenversionen wenig überraschend ist. Die meisten Befragten sind hoch gebildet und eher jung; Frauen sind überrepräsentiert.

5.1.1 Hauptkomponentenanalyse

In einem ersten Schritt wurde eine Hauptkomponentenanalyse durchgeführt mit dem Ziel, eine Struktur im Sinne eines „Sammelbegriff[s]“ (vgl. Backhaus et al. 2018: 393) für die verwendeten Items zu finden. Die PCA mit diesen neun Items ergibt – basierend auf dem Kaiser-Kriterium – eine zweifaktorielle Lösung mit dem Eigenwert 4,77 für den ersten Faktor und dem Eigenwert 1,07 für den zweiten Faktor (vgl. Tabelle 4.1 im Anhang im elektronischen Zusatzmaterial). Zwei der neun Items zeigen keine Faktorladungen >0,5. Dabei handelt es sich zum einen um ein positiv formuliertes Item mit Bezug zum Islam („Der Islam hat eine bewundernswerte Kultur hervorgebracht.“), zum anderen um ein positiv formuliertes Item mit Bezug zu Muslim*innen („Wir sollten Musliminnen und Muslimen mehr Anerkennung entgegenbringen.“). Tabelle 5.4 zeigt das Ergebnis der PCA nach einer obliquen Rotation für die verbleibenden sieben Items. Erneut ergibt sich eine zweifaktorielle Lösung, in diesem Fall mit einem Eigenwert von 3,82 für den ersten Faktor und einem Eigenwert von 1,07 für den zweiten Faktor. Diese sieben Items mit einer Faktorladung >0,5 zeichnen ein interessantes Muster: Die drei Aussagen mit Islambezug laden auf den Faktor 2, die vier Aussagen mit dem Wording Musliminnen und Muslime laden auf den Faktor 1. Crossloadings, also hohe Ladungen auf beide Faktoren, sind in diesem Modell nicht zu beobachten. Die Ladungen der positiv formulierten Items fallen deutlich geringer aus als die Ladungen der negativ formulierten Items, was bedeutet, dass letztere stärker mit der jeweiligen Komponente korrelieren. Negativ formulierte Items scheinen folglich als Indikatoren für Islam-/Muslim*innenfeindlichkeit noch besser geeignet zu sein als (umcodierte) positiv formulierte Items. Allerdings weisen auch die positiv formulierten Items gemäß der Konvention ausreichend hohe Ladungen auf, sodass sie eindeutig einem Faktor zugeordnet werden können.

Tabelle 5.4 Ergebnisse der Hauptkomponentenanalyse (oblique oblimin Rotation) (eigene Darstellung)

Basierend auf den Faktorladungen lässt sich nun pro identifiziertem Faktor ein gewichteter additiver IndexFootnote 5 bilden (islambezogene Items: α = 0,8312; muslim*innenbezogene Items: α = 0,8082), der Aufschluss über die Korrelation der beiden Dimensionen gibt. Die Itemsummenkorrelation, also die Korrelation der beiden neu generierten Variablen Islamfeindlichkeit und Muslim*innenfeindlichkeit, beträgt 0,5562. Islamfeindlichkeit und Muslim*innenfeindlichkeit korrelieren also erwartungsgemäß durchaus miteinander (vgl. u. a. Diekmann 2017, 2020b; Frindte & Dietrich 2017); die Differenz zu 1 zeigt jedoch auch, dass beide Dimensionen eben nicht identisch sind.

Es lässt sich zusammenfassend konstatieren, dass sich die in der Praxis eindeutig im Zusammenhang mit dem Islam oder mit Muslim*innen in Verbindung gebrachten Items entlang dieses Wordings (Islam / Musliminnen und Muslime) zu zwei Komponenten zusammenfassen lassen. Damit schlägt die PCA eine Datenreduktion im Sinne von H1 vor: eine zweifaktorielle Lösung, wobei ein Faktor die islambezogenen und der andere Faktor die muslim*innenbezogenen Items bündelt. Sowohl die zweifaktorielle Lösung der PCA als auch die von 1 abweichende Itemsummenkorrelation sprechen für eine Differenzierung von Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit. In einem nächsten Schritt geht es nun darum, die Hypothese einer notwendigen Differenzierung basierend auf den Erkenntnissen der PCA mithilfe eines strukturprüfenden Verfahrens, genauer der konfirmatorischen Faktorenanalyse, zu testen.

5.1.2 Konfirmatorische Faktorenanalyse

Im Rahmen der CFA wird nun untersucht, ob die zuvor ermittelte Struktur in Form der von der PCA vorgeschlagenen zweifaktoriellen Lösung, die sich mit den theoretischen Annahmen dieser Arbeit deckt (vgl. Abschn. 2.4, Abschn. 3.4, Abschn. 3.5), die vorliegenden Daten besser abbildet als die einfaktorielle Variante, bei welcher alle manifesten Variablen als Indikatoren desselben übergeordneten Konstrukts behandelt werden – mit der Folge, dass nicht zwischen Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit unterschieden wird. Anders ausgedrückt: Werden die Daten besser durch zwei Faktoren (einerseits Islamfeindlichkeit und andererseits Muslim*innenfeindlichkeit) abgebildet oder bilden Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit einen einzigen Faktor? Das einfaktorielle Modell bildet die in der Forschungspraxis insbesondere auf Ebene der manifesten Variablen häufig zu beobachtende mangelnde Trennschärfe von Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit ab.

Abbildung 5.1
figure 1

Einfaktorielles Modell mit standardisierten Faktorladungen (eigene Darstellung)

*p<0,05 / **p<0,01 / ***p<0,001

Für die vorliegende Studie wurden die sieben Variablen mit ausreichend hohen Faktorladungen aus der PCA verwendet und eine zweifaktorielle Lösung vorgegeben, bei welcher alle islambezogenen Items dem einen und alle muslim*innenbezogenen Items dem anderen Faktor zugeordnet wurden. Dieses zweifaktorielle Modell (vgl. Abbildung 5.2) wurde einem einfaktoriellen Modell (vgl. Abbildung 5.1) mit den gleichen Indikatorvariablen gegenübergestellt. Tabelle 5.5 zeigt die Werte der Goodness-of-Fit-Maße, die zur vergleichenden Bewertung der beiden Modelle herangezogen werden können.

Abbildung 5.2
figure 2

Zweifaktorielles Modell mit standardisierten Faktorladungen (eigene Darstellung)

*p<0,05 / **p<0,01 / ***p<0,001

Gemäß der in Abschn. 4.4.1 festgelegten Cutoff-Werte kann konstatiert werden, dass das zweifaktorielle Modell den Anforderungen an ein gutes Modell im Großen und Ganzen entspricht. Der RMSEA-Wert könnte im Idealfall noch niedriger sein, liegt mit 0,079 aber in einem akzeptablen Rahmen. Das einfaktorielle Modell ist hier keine gute Lösung, da RMSEA und SRMR zu hoch und TLI und CFI zu niedrig ausfallen. Außerdem ist der χ2-Test signifikant, was bedeutet, dass die Nullhypothese – das Modell passt gut zu den Daten – verworfen werden muss. Neben der deskriptiven Inspektion der genannten Indizes zeigt auch der Blick auf den niedrigeren BIC im Falle des zweifaktoriellen Modells unter zusätzlicher Berücksichtigung der Parsimonität des Modells einen besseren Fit für die Zwei-Faktor-Lösung (vgl. Aichholzer 2017: 131; Urban & Mayerl 2014: 222). Der Modellvergleich im Rahmen der konfirmatorischen Faktorenanalyse legt nahe, dass ein zweifaktorielles Modell die Daten besser abbildet als das einfaktorielle Modell. Das spricht für die Betrachtung von Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit als differente (wenn auch nicht vollständig voneinander unabhängige) Dimensionen.

Tabelle 5.5 Goodness-of-Fit-Maße des einfaktoriellen und des zweifaktoriellen Modells im Vergleich (eigene Darstellung)

Ein Blick auf den Parameter Level Fit des zweifaktoriellen Modells zeigt darüber hinaus, dass alle Faktorladungen signifikant sind (p<0,001). Die standardisierten Faktorladungen bewegen sich zwischen 0,9265 („Der Islam ist frauenfeindlich“) und 0,6119 („Ich stehe Musliminnen und Muslimen genauso offen gegenüber wie Angehörigen anderer Religionen.“) und sind damit insgesamt recht hoch (vgl. Tabelle 5.6). R2 (Equation Level Fit) ist ebenfalls recht hoch und variiert – korrespondierend mit den standardisierten Faktorladungen – zwischen 0,8584 („Der Islam ist frauenfeindlich“) und 0,3744 („Ich stehe Musliminnen und Muslimen genauso offen gegenüber wie Angehörigen anderer Religionen.“). Die Anteile erklärter Varianz sind ebenso wie die Faktorladungen tendenziell im zweifaktoriellen Modell höher als im einfaktoriellen Modell (vgl. Tabelle 5.6). Die Zwei-Faktor-Lösung, in welcher islambezogene und muslim*innenbezogene Items je einen Faktor bilden, scheint somit die vorliegenden Daten gut abzubilden.

Insgesamt wurden sieben Items für die PCA und die CFA verwendet. Durch einen genaueren Blick auf diese sieben Items offenbart sich darüber hinaus ein weiteres Muster. Die drei islambezogenen Items haben nicht nur das Wording Islam gemeinsam, sondern weisen zudem inhaltliche Parallelen auf. Die Aussagen beziehen sich auf das, was oftmals als ‚liberale‘ Werte bezeichnet wird, und gerne ‚dem Westen‘ zugeschrieben wird,Footnote 6 also etwa Gleichheit bzw. Gleichberechtigung. Im Fall der negativ formulierten Items wird postuliert, der Islam richte sich gegen diese Werte, genauer er sei rückständig und frauenfeindlich. Beide Items bilden weitverbreitete Vorurteile gegenüber dem Islam ab und beinhalten drastische Formulierungen („rückständig“, „verweigert“, „frauenfeindlich“). Im Fall des positiv formulierten Items bezieht sich die Aussage auf die Gleichberechtigung unterschiedlicher Religionen und die Anerkennung derselben durch den Islam.

Tabelle 5.6 Faktorladungen und erklärte Varianz der einzelnen Items in Abhängigkeit des Modells (eigene Darstellung)

Interessant ist, dass sich alle hier untersuchten islambezogenen Items auf der Ebene von Werten bewegen und Zuschreibungen vornehmen, wie der Islam (vermeintlich) ist – etwa wenn es um Gleichberechtigung oder moderne Weiterentwicklung geht. Die muslim*innenbezogenen Items hingegen beschreiben nicht, wie Muslim*innen (vermeintlich) sind, sondern formulieren eher persönliche Haltungen ihnen gegenüber – drei der vier Items beinhalten beispielsweise das Wort ich, ein Wort, das in den islambezogenen Items gänzlich fehlt. In diesen Items werden keine Urteile über Zustände und Werte vorgenommen, sondern Gefühle und Haltungen beschrieben (Fremdheit, Ablehnung, Misstrauen, Offenheit). Wenig verwunderlich ist dann auch, dass weniger drastische Formulierungen, sondern im Gegenteil mitunter sogar Pauschalisierungen abmildernde Formulierungen zu finden sind („manchmal“, „besser“). Grammatikalisch betrachtet ist das Subjekt des Satzes in den muslim*innenbezogenen Items meistens ich, in einem Fall es. Das grammatikalische Subjekt der islambezogenen Items ist immer der Islam. Während in den islambezogenen Items mit dem Finger auf andere („den Islam“) gezeigt und ein vermeintlicher ‚Fakt‘ über ‚den Islam‘ beschrieben wird, geht es in den muslim*innenbezogenen Items letztendlich um die Befragten selbst bzw. um ihr Verhältnis zu etwas oder jemandem. Implizit steht bei den Items mit ich-Formulierung die Beziehung der Befragten zu Muslim*innen im Vordergrund; es geht um das Verhältnis zwischen Menschen, die unter Berücksichtigung der hier dominanten Kategorisierung entlang von Religionszugehörigkeit unterschiedlichen Gruppen angehören. Die muslim*innenbezogenen Items bewegen sich inhaltlich auf einer sehr viel persönlicheren Ebene und fokussieren die Positionierung der Befragten gegenüber Muslim*innen, statt sie zu Pauschalurteilen über einen Zustand, eine Beschaffenheit oder – im Fall von Muslim*innen – Charaktereigenschaften zu zwingen. Anders gesagt: Im Fall der islambezogenen Items soll die Sache als solche (‚der Islam‘) bewertet werden – hier insbesondere mit Blick auf Werte wie Gleichheit bzw. Gleichberechtigung – wohingegen im Fall der muslim*innenbezogenen Items die eigene Beziehung zu einer Sache (bzw. in diesem Fall einer Gruppe von Menschen – Muslim*innen) bewertet werden soll. Die Beurteilung des Islams steht somit der Beurteilung der eigenen Positionierung gegenüber Muslim*innen gegenüber, wodurch in der Praxis für die muslim*innenbezogenen Items eine persönliche, zwischenmenschliche Ebene hinzugefügt wird und offenbar der direkten Beurteilung von Muslim*innen vorgezogen wird.

Die zweifaktorielle Lösung der PCA, welche durch die CFA noch einmal unterstützt wurde, zeigt in Übereinstimmung mit H1, dass für die ausgewählten Items eine zweifaktorielle Struktur zu bevorzugen ist. Die Ergebnisse sprechen für eine differenzierte Betrachtung von Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit und eine Sensibilisierung für unterschiedliche Adressat*innen von Feindlichkeit im Rahmen der verwendeten manifesten Variablen zur Erfassung dieser latenten Konstrukte. Überdies wurde in den Analysen ein Muster bezüglich des inhaltlichen Gehalts der Items sichtbar: Die inhaltliche Ausrichtung der Items scheint zu korrelieren mit ihrem Wording in Bezug auf die Adressat*innen. Pauschalisierte Zuschreibungen über vermeintliche Werte und Zustände werden für die Religion des Islams gemessen, wohingegen eher subjektivierte, auf persönliche Haltungen und Gefühle ausgerichtete Items im Zusammenhang mit Muslim*innen abgefragt werden. Die Frage, zu welchen Teilen nun das Wording oder die inhaltliche Ausrichtung der Items für die entdeckte Struktur verantwortlich ist, liegt nahe, ist letztendlich aufgrund der beobachteten Kongruenz in der empirischen Praxis jedoch zweitranging. Sollte die zweifaktorielle Lösung vor allem auf die inhaltliche Dimension zurückzuführen sein, so schließt sich die legitime Frage an, warum sich islambezogene und muslim*innenbezogene Items in der Forschungspraxis in ihrer inhaltlichen Ausrichtung so sehr voneinander unterscheiden. Warum beziehen sich Items mit dem Wording Musliminnen und Muslime so viel stärker auf die Beziehungsebene? Warum geht es im Zusammenhang mit dem Islam so häufig um direkte Zuschreibungen, oftmals im Zusammenhang mit Ungleichheit und Ungleichwertigkeit? Und warum unterscheiden viele Forscher*innen schließlich doch nicht zwischen Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit, wenn den verwendeten Items derart unterschiedliche Bewertungsobjekte zugrunde liegen (der Islam vs. die eigene Haltung zu Muslim*innen) und diese sich auf so unterschiedlichen Ebenen bewegen (vermeintliche Sachebene vs. affektive Ebene). Möglicherweise kann der dritte Analyseschritt (vgl. Kap. 7) diesbezüglich erste vorsichtige Antworten liefern.

Um weitere Hinweise auf eine notwendige Differenzierung der beiden Phänomene zu erlangen, werden in einem nächsten Schritt unterschiedliche Prädiktoren von Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit miteinander verglichen.

5.2 Regressionsanalysen: Prädiktoren und Effekte

Nachdem im vorangegangenen Kapitel der mehrdimensionale Charakter des in dieser Arbeit betrachteten Phänomens offengelegt wurde, werden nun verschiedene Prädiktoren von Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit miteinander verglichen (zur Operationalisierung vgl. Abschn. 4.1.3). Dieses Vorgehen schließt an ähnliche Studien an, in denen Aussagen über die Differenzierung von Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit über unterschiedliche Prädiktoren abgeleitet werden (vgl. u. a. Diekmann 2017, 2020b; Uenal et al. 2021). Hierzu werden bezogen auf die unabhängigen Variablen identische Regressionsmodelle gerechnet; die abhängige Variable variiert (Islam- oder Muslim*innenfeindlichkeit). Zusätzlich werden die Effekte von Islamfeindlichkeit und Muslim*innenfeindlichkeit auf Verhaltensintentionen gegenüber Muslim*innen miteinander verglichen. In diesen beiden Modellen ist die abhängige Variable identisch, die wichtigste unabhängige Variable – Islam- bzw. Muslim*innenfeindlichkeit – hingegen variiert. Designbedingt variiert zudem die Stichprobe (vgl. Abschn. 4.1.1). Tabelle 5.7 zeigt die Verteilungen bzw. Mittelwerte aller in diesen Schritt involvierten Variablen in Abhängigkeit der jeweiligen Stichprobe.

Tabelle 5.7 Deskription der Stichprobe für die Regressionsmodelle (eigene Darstellung)

Insgesamt zeigen sich ähnliche Muster in den beiden für dieses Kapitel relevanten Stichproben. Dies war zu erwarten, da sich die Stichproben auf die unterschiedlichen Fragebogenversionen zurückführen lassen und die Zuordnung zu diesen randomisiert erfolgte. Zur Erinnerung: Die Modelle zu Islamfeindlichkeit enthalten die Befragten der Fragebogenversionen A und C; die Modelle zu Muslim*innenfeindlichkeit enthalten die Befragten der Fragebogenversionen B und C. Zum Teil überschneiden sich die Stichproben damit personell (Version C). Die Stichproben A und B weisen hinsichtlich der Merkmale Geschlecht, Alter und Bildung keine signifikanten Unterschiede auf (vgl. Abschn. 4.4.1).Footnote 7

5.2.1 Kontakt und allgemeine Religionskritik

H2 bezieht sich auf den Zusammenhang zwischen Kontakten zu Muslim*innen und Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit. Spezifischer wird angenommen, dass dieser Zusammenhang ein negativer ist (je mehr Kontakt, desto weniger Vorurteile). In H3 wird postuliert, dass zwischen der allgemeinen Religionskritik und Islam- bzw. Muslim*innenfeindlichkeit ein positiver Zusammenhang besteht, ein hohes Maß an Religionskritik also zu stärkeren Vorurteilen gegenüber dem Islam und gegenüber Muslim*innen führt. Weiterhin wird angenommen, dass Kontakte zu Muslim*innen ein wichtigerer Prädiktor für Muslim*innenfeindlichkeit sind als die allgemeine Religionskritik (H4), wohingegen für Islamfeindlichkeit die allgemeine Religionskritik im Vergleich zu Kontakten zu Muslim*innen den wichtigeren Prädiktor darstellt (H5).

Tabelle 5.8 Prädiktoren von Islamfeindlichkeit ohne Kontrollvariablen (eigene Darstellung)

Tabelle 5.8 und Tabelle 5.9 zeigen die unterschiedlichen Regressionsmodelle mit der abhängigen Variable Islamfeindlichkeit, wobei die Modelle I1 und I2 in Tabelle 5.8 jeweils lediglich den interessierenden Prädiktor enthalten, in die Modelle I3 und I4 in Tabelle 5.9 zusätzlich die Kontrollvariablen Bildung, Alter, Geschlecht und selbstberichtete Religiosität integriert wurden und Modell I5 beide Prädiktoren und die Kontrollvariablen enthält. Zunächst zeigt sich, dass sowohl der Kontakt zu Muslim*innen (β = ‒0,26; p<0,01) als auch die allgemeine Religionskritik (β = 0,35; p<0,001) einen signifikanten Einfluss auf Islamfeindlichkeit hat.

Während Kontakt zu Muslim*innen jedoch mit einem reduzierten Ausmaß der Islamfeindlichkeit einhergeht, geht ein hohes Ausmaß an Religionskritik bei den Befragten mit stärkeren Vorurteilen gegenüber dem Islam einher. Dieser Effekt bleibt unter Berücksichtigung der Kontrollvariablen bestehen: Auch bei gleicher Bildung, gleichem Geschlecht, gleichem Alter sowie gleicher selbstberichteter Religiosität geht Kontakt mit verringerten (β = ‒0,25; p<0,01) und allgemeine Religionskritik mit verstärkten (β = 0,49; p<0,001) Vorurteilen einher.

Tabelle 5.9 Prädiktoren von Islamfeindlichkeit mit Kontrollvariablen (eigene Darstellung)

Die Kontrollvariablen selbst zeigen nur schwach signifikante Effekte in einzelnen Fällen. In Modell I3, in dem die selbstberichtete Religiosität nicht berücksichtigt wird, geht eine hohe Bildung im Vergleich zu niedriger Bildung mit einer geringeren Islamfeindlichkeit einher (β = ‒0,28; p<0,05). In den Modellen I4 und I5 kann ein ebenfalls schwach signifikanter, wenn auch in seiner Effektstärke (β) vergleichsweise starker Zusammenhang zwischen der selbstberichteten Religiosität und Islamfeindlichkeit beobachtet werden (β = 0,72 bzw. β = 0,77; p<0,05). Dieses Ergebnis findet sich in jenen Modellen, in denen die allgemeine Religionskritik konstant gehalten wird. Bei einem gleichen Maß an Religionskritik gilt somit: Je ausgeprägter die selbstberichtete Religiosität, desto ausgeprägter die islamfeindlichen Einstellungen.

Tabelle 5.10 und Tabelle 5.11 zeigen nun die gleichen Modelle wie Tabelle 5.8 und Tabelle 5.9 mit dem Unterschied, dass Muslim*innenfeindlichkeit anstatt Islamfeindlichkeit als abhängige Variable fungiert. Beide Prädiktoren weisen modellübergreifend einen signifikanten Zusammenhang in der erwarteten Richtung auf (β = ‒0,26; p<0,01 für Kontakt bzw. β = 0,16; p<0,05 für Religionskritik).

Tabelle 5.10 Prädiktoren von Muslim*innenfeindlichkeit ohne Kontrollvariablen (eigene Darstellung)

Kontakte zu Muslim*innen gehen unter Kontrolle von Geschlecht, Alter, Bildung und selbstberichteter Religiosität mit einer signifikant geringeren Muslim*innenfeindlichkeit einher (β = ‒0,25; p<0,001), wohingegen ein hohes Maß an allgemeiner Religionskritik mit verstärkten Vorurteilen gegenüber Muslim*innen einhergeht (β = 0,29; p<0,01). Auch hier zeigen sich einzelne signifikante Effekte der Kontrollvariablen, von denen an dieser Stelle zunächst eine hervorgehoben werden soll: Die selbstberichtete Religiosität korreliert signifikant mit Muslim*innenfeindlichkeit, sofern auch die Variable Religionskritik ins Modell integriert wird. Der quadrierte Term (Religiosität2) ist ebenfalls signifikant, was die ursprüngliche Vermutung eines nicht-linearen Zusammenhangs unterstützt. In diesem Fall kann ein glockenförmiger Zusammenhang beobachtet werden. Das bedeutet, muslim*innenfeindliche Einstellungen steigen mit zunehmender Religiosität zunächst an, verringern sich dann jedoch wieder. Anders gesagt: Gar nicht oder stark religiöse Personen zeigen geringere feindliche Einstellungen gegenüber Muslim*innen als teilweise religiöse Personen. Besonders spannend macht diese Beobachtung die Tatsache, dass der quadrierte Term in den Modellen I3–I5 nicht signifikant ist. Für Islamfeindlichkeit scheint sich ein Abfall der Feindlichkeit bei sehr religiösen Befragten in dieser Form nicht zu zeigen. Stattdessen gilt: je religiöser, desto islamfeindlicher. Dass die Kurve im Fall muslim*innenfeindlicher Einstellungen für besonders religiöse Befragte wieder abfällt, ist insbesondere vor dem Hintergrund der Ideen zu Rekategorisierung und Ähnlichkeit (vgl. Abschn. 2.3.2) interessant, in welchen von einer Vorurteilsreduzierung durch Gemeinsamkeiten bzw. durch sehr inklusive Kategorisierungen (Religiosität als solche, unabhängig von der konkreten Religionszugehörigkeit) ausgegangen wird. Dieser durchaus interessante Nebenbefund soll jedoch mit Blick auf das Kerninteresse dieser Arbeit nicht davon ablenken, dass die vorliegenden Ergebnisse die Hypothesen H2 und H3 sowohl für Islamfeindlichkeit als auch für Muslim*innenfeindlichkeit stützen: Kontakte zu Muslim*innen gehen mit geringerer, allgemeine Religionskritik mit verstärkter Feindlichkeit einher.

Tabelle 5.11 Prädiktoren von Muslim*innenfeindlichkeit mit Kontrollvariablen (eigene Darstellung)

Die Hypothesen H4 und H5 beziehen sich auf die Wichtigkeit der Prädiktoren für die Erklärung von Islamfeindlichkeit einerseits und Muslim*innenfeindlichkeit andererseits. Zur Bestimmung der ‚Wichtigkeit‘ kann, wie in Abschn. 3.5 angedeutet, die Effektstärke – gemessen über den β-KoeffizientenFootnote 8 und die erklärte Varianz (R2)Footnote 9 – herangezogen werden. In den Modellen I1 und I2 sowie in den Modellen I3 und I4 wird deutlich, dass allgemeine Religionskritik deutlich mehr Varianz erklärt als Kontakt zu Muslim*innen (R2 = 0,0658 bzw. R2 = 0,1358 für Kontakt, R2 = 0,1249 bzw. R2 = 0,1999 für allgemeine Religionskritik). Auch zeigt sich anhand der standardisierten Koeffizienten (β) in den Modellen I1–I5, dass der Effekt der allgemeinen Religionskritik auf Islamfeindlichkeit sehr viel stärker ausfällt als der Effekt von Kontakt zu Muslim*innen. Dieser Befund stützt die Hypothese H4.

Im Vergleich zu den Modellen I1–I4 ergibt sich mit Blick auf die Erklärungsleistung der Modelle M1–M4 ein umgekehrtes Bild: In den Modellen mit der unabhängigen Variable Kontakt (M1 bzw. M3) ist die erklärte Varianz höher (R2 = 0,0663 bzw. R2 = 0,1932) als in jenen mit der unabhängigen Variable Religionskritik (M2 bzw. M4; R2 = 0,0266 bzw. R2 = 0,1747). Für Muslim*innenfeindlichkeit erklärt Kontakt zu Muslim*innen somit mehr Varianz als die allgemeine Religionskritik. Der β-Koeffizient hingegen indiziert einen etwas stärkeren Effekt für allgemeine Religionskritik (β = 0,29; p<0.01) verglichen mit Kontakt zu Muslim*innen (β = ‒0,25; p<0,001) auf Muslim*innenfeindlichkeit. Die Diskrepanz der Effektstärke ist in diesem Fall jedoch sehr viel geringer als im Fall der Modelle I1–I5. H5 findet somit nur bedingt Unterstützung.

Eine weitere Auffälligkeit in den Modellen M3–M5, auf die abschließend eingegangen werden soll, stellt die Kontrollvariable Geschlecht dar. Die Variable Geschlecht hängt in allen drei Modellen signifikant mit Muslim*innenfeindlichkeit zusammen (β = ‒0,28; p<0.001 bzw. β = ‒0,23; p<0.01 bzw. β = ‒0,26; p<0.001). Gleiches konnte in den Modellen I3–I5 nicht beobachtet werden. Frauen weisen signifikant weniger Vorurteile gegenüber Muslim*innen auf als Männer, wohingegen sich keine signifikanten Geschlechterunterschiede in Bezug auf Vorurteile gegenüber dem Islam nachweisen lassen. Die repräsentativen Daten der Mitte-Studie legten in der Vergangenheit bereits nahe, dass Männer stärkere Vorbehalte gegenüber Muslim*innen hegen als Frauen (vgl. Zick et al. 2019: 87); für den letzten Erhebungszeitraum 2020/21 wurde jedoch kein signifikanter Unterschied zwischen Männern und Frauen beobachtet. Interessant ist, dass sich die 2019 beobachteten stärkeren Vorurteile bei männlichen Befragten zumindest für die vorliegende Stichprobe für Vorbehalte gegenüber dem Islam nicht ohne weiteres zu bestätigen scheinen. Die Tendenz der in Tabelle 5.9 zu beobachtenden Effekte ist zwar dieselbe wie jene in Tabelle 5.11, jedoch ist der Effekt im Zusammenhang mit Islamfeindlichkeit nicht signifikant und darüber hinaus überaus schwach, sobald die allgemeine Religionskritik in das Modell aufgenommen wird. Eine mögliche Erklärung hierfür könnte in der oftmals mit dem Islam assoziierten Unterdrückung von Frauen liegen (vgl. hierzu auch Kap. 7). Die verglichen mit Männern positivere Haltung von Frauen gegenüber Muslim*innen beschränkt sich dann lediglich auf die Menschen muslimischen Glaubens, bezieht sich jedoch nicht auf die Religion des Islams mit ihrer zugeschriebenen Benachteiligung von Frauen. Auch wenn über die Ursachen für diese Zusammenhänge nur spekuliert werden kann, so stellt das Geschlecht doch eine Einflussgröße dar, der zuvor wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde und die in Zukunft tiefergehend untersucht werden sollte. Das Geschlecht ist möglicherweise ein weiterer Prädiktor, der deutlich macht, dass Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit nicht identisch sind und nicht mit denselben Variablen korrelieren.

5.2.2 Verhaltensintentionen gegenüber Muslim*innen

Nachdem nun Kontakt zu Muslim*innen und allgemeine Religionskritik als zwei Prädiktoren von Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit unter die Lupe genommen wurden, geht es in einem nächsten Schritt um Effekte von islam- und muslim*innenfeindlichen Einstellungen – konkret um Auswirkungen auf Verhaltensintentionen gegenüber Muslim*innen. In den fünf verwendeten Items (vgl. Abschn. 4.1.3) geht es um konkrete Verhaltensweisen, die direkt oder indirekt auf Interaktionen mit und/oder die Repräsentation von Muslim*innen abzielen. Aus diesem Grund liegt es nahe, anzunehmen, dass Einstellungen gegenüber Muslim*innen die geäußerten Verhaltensintentionen gegenüber Muslim*innen in erheblichem Maße beeinflussen. Es ist anzunehmen, dass auch Einstellungen zum Islam die Verhaltensintentionen gegenüber Muslim*innen beeinflussen, denn die Kategorisierung von Menschen entlang der Religionszugehörigkeit (‚Muslim*innen‘) basiert auf breit geteilten Vorstellungen über die Kategorie Religion als solcher (‚Islam‘). H6 geht daher davon aus, dass eine ausgeprägte Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit mit negativen Verhaltensintentionen gegenüber Muslim*innen einhergeht.

Die Befunde aus Abschn. 5.1.1 zeigen, dass Muslim*innen- und Islamfeindlichkeit nicht vollständig voneinander losgelöst sind. Die beiden Dimensionen korrelieren miteinander. Abschn. 5.1 konnte darüber hinaus jedoch auch zeigen, dass ein feiner Unterschied zwischen beiden Dimensionen besteht und diese empirisch nachweisbar voneinander verschieden sind. Beim Islam handelt es sich um eine Religion und damit nicht unmittelbar um die konkret in den verhaltensbezogenen Items benannten Menschen. Aufgrund der analogen Adressierung von Muslim*innen im Falle der Muslim*innenfeindlichkeit sowie im Fall der Verhaltensintentionen gegenüber Muslim*innen, postuliert H7, dass Einstellungen gegenüber Muslim*innen ein stärkerer Prädiktor für Verhaltensintentionen gegenüber Muslim*innen sind als Einstellungen gegenüber dem Islam.

Tabelle 5.12 zeigt die nahezu identischen Modelle V1 und V2 sowie V3 und V4 mit der abhängigen Variable Verhaltensintentionen gegenüber Muslim*innen im direkten Vergleich. In den Modellen V3 und V4 wird zusätzlich für den Einfluss von Bildung, Geschlecht, Alter und selbstberichteter Religiosität auf Verhaltensintentionen gegenüber Muslim*innen kontrolliert. Der wichtige Unterschied besteht im Austausch der unabhängigen Variable Islamfeindlichkeit in den Modellen V1 und V3 durch die unabhängige Variable Muslim*innenfeindlichkeit in den Modellen V2 und V4 (und damit zudem in einer veränderten Stichprobe). Sowohl Islamfeindlichkeit (β = 0,74; p<0,001) als auch Muslim*innenfeindlichkeit (β = 0,83; p<0,001) ist wie erwartet ein starker Prädiktor für Verhaltensintentionen gegenüber Muslim*innen: Je stärker die feindliche Haltung ausgeprägt ist, desto größer die Vorbehalte bezüglich Interaktionen mit Muslim*innen bzw. desto stärker ausgeprägt die gegen Muslim*innen gerichteten Verhaltensintentionen.

Tabelle 5.12 Zusammenhang von Islam- bzw. Muslim*innenfeindlichkeit und Verhaltensintentionen gegenüber Muslim*innen im Vergleich (eigene Darstellung)

Dieser Befund ändert sich auch unter Hinzunahme der Kontrollvariablen Bildung, Geschlecht, Alter und selbstberichtete Religiosität nur marginal. Weiterhin korrelieren Islamfeindlichkeit (β = 0,73; p<0,001) und Muslim*innenfeindlichkeit (β = 0,81; p<0,001) stark mit Verhaltensintentionen gegenüber Muslim*innen. Die Ergebnisse unterstützen damit H6. Ein genauerer Blick auf die standardisierten Regressionskoeffizienten zeigt, dass der Einfluss von Muslim*innenfeindlichkeit auf Verhaltensintentionen gegenüber Muslim*innen größer ist als im Fall von Islamfeindlichkeit. Auch die erklärte Varianz, die in allen Modellen ohnehin sehr hoch ist, fällt mit R2 = 0,6882 (bzw. R2 = 0,6992 mit Kontrollvariablen) im Vergleich zu R2 = 0,5433 (bzw. R2 = 0,5963 mit Kontrollvariablen) für Muslim*innenfeindlichkeit noch einmal deutlich höher aus als für Islamfeindlichkeit. Basierend auf diesen Erkenntnissen kann H7 ebenfalls angenommen werden.

Insgesamt weisen die Analysen auf zweierlei hin: Zum einen sind Einstellungen gegenüber Islam und Muslim*innen eng verbunden mit den bekundeten Verhaltensintentionen. Selbstverständlich ist zu berücksichtigen, dass es sich hierbei lediglich um Absichtserklärungen handelt, nicht um konkrete, tatsächlich stattfindende Handlungen oder Verhaltensweisen. Insbesondere mit Blick auf sozial erwünschtes Antwortverhalten liegt die Vermutung nahe, dass es Divergenzen zwischen der simplen, theoretischen Zustimmung zu verhaltensbezogenen Items im Rahmen eines Surveys und den in der Praxis tatsächlich realisierten Handlungsentscheidungen der Befragten gibt. Mittels experimenteller Designs, wie Korrespondenztests oder der Lost Letter-Technik, ist die Erfassung diskriminierenden Verhaltens durchaus möglich (vgl. hierzu u. a. Ahmed 2010; Weichselbaumer 2020). Für Surveys ist dies in einer solchen Form designbedingt nicht möglich, sodass sich der Aussagegehalt der vorliegenden Ergebnisse auf Intentionsbekundungen beschränkt. Zumindest zwischen derartigen Bekundungen und islam- sowie muslim*innenfeindlichen Einstellungen besteht jedoch empirisch nachweisbar ein starker Zusammenhang. Einstellungen sind somit ein wichtiger Prädiktor für Verhaltensintentionen.

Die Problematik der fehlenden Daten zum Einfluss von Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit auf konkrete (diskriminierende) Handlungen und Verhaltensweisen ist für die zweite Erkenntnis, die aus den Befunden abgeleitet werden kann, wenig relevant. Die Ergebnisse zeigen deutlich, dass Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit nicht identisch sind, denn sie wirken sich different auf Verhaltensintentionen aus. Der Vorteil des verwendeten Kontroll-Experimentalgruppen-Designs liegt in der direkten Vergleichbarkeit: Wären Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit identisch, das heißt der Wortlaut Islam / Muslim*innen in Items austauschbar, so müsste sich in beiden Modellen das gleiche Muster finden. Stattdessen ist erkennbar, dass Einstellungen gegenüber Muslim*innen noch stärker als Einstellungen gegenüber dem Islam auf Verhaltensintentionen gegenüber Menschen muslimischen Glaubens wirken und Modell V2 (bzw. V4) über eine höhere erklärte Varianz verfügt als Modell V1 (bzw. V3).

5.3 Zwischenfazit: Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit als differente, aber korrelierende Dimensionen

Ziel dieses ersten Analyseschritts war die Überprüfung von Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit als empirisch nachweisbar voneinander zu unterscheidende Dimensionen. Dieses Forschungsinteresse leitete sich aus der oftmals synonymen und wenig differenzierten Verwendung einzelner Termini und Konzepte im Zusammenhang mit Vorurteilen gegenüber Menschen muslimischen Glaubens und der Religion des Islams ab. Um die Frage nach einer notwendigen Differenzierung zu beantworten, wurden methodologisch betrachtet zwei unterschiedliche, sich ergänzende Ansätze gewählt.

Zunächst gaben PCA und CFA Aufschluss über Muster in der Datenstruktur. Die PCA konnte zeigen, dass sich die verwendeten Items im Sinne einer Datenreduktion zu zwei Komponenten zusammenfassen lassen. Alle islambezogenen Items bildeten dabei die eine Komponente, alle muslim*innenbezogenen Items die zweite Komponente. Mithilfe einer CFA konnte auf dieser Basis schließlich das ermittelte zweidimensionale Modell mit einem eindimensionalen Modell, das in weiten Teilen den Umgang mit Items in der aktuellen Forschungspraxis widerspiegelt, hinsichtlich seiner Passung und Parsimonität verglichen werden. Alle Goodness-of-Fit-Maße sprechen für ein zweidimensionales Modell. Eine differenziertere Betrachtung im Sinne einer Entflechtung von Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit beschreibt die vorliegenden Daten somit besser als ein eindimensionales Modell, in dem islam- und muslim*innenbezogene Items zu einem einzigen Faktor zusammengefasst werden. Neben der zweifaktoriellen Lösung konnte die PCA außerdem zeigen, dass beide Komponenten erwartungsgemäß miteinander korrelieren. In Kap. 3 wurde herausgearbeitet, dass Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit als zwei einstellungsbezogene Dimensionen im Rahmen des komplexen Phänomens des antimuslimischen Rassismus gedacht werden können. Vor diesem Hintergrund ist eine Korrelation zwischen beiden Komponenten absolut plausibel. Aus der Anerkennung von Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit als eigenständige Dimensionen von Abwertung statt als synonyme Begriffe für dasselbe Phänomen lässt sich die Notwendigkeit einer separaten Erfassung von Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit im Rahmen der Vorurteilsforschung ableiten. Aufgrund ihrer Überschneidungen bzw. Zusammenhänge sollten beide Dimensionen jedoch idealerweise in Ergänzung zueinander erfasst und interpretiert werden.

In diesem Schritt ist zudem eine Kongruenz zwischen Wording (Islam / Musliminnen und Muslime) und Inhalt der einzelnen Items sichtbar geworden. Items, die in der Praxis lediglich im Zusammenhang mit dem Islam verwendet werden, enthalten einerseits tendenziell drastischere Formulierungen als muslim*innenbezogene Items und zielen auf die Sachebene ab. Die islambezogenen Items fordern eine Bewertung des Islams, sie enthalten Zuschreibungen und beziehen sich oftmals auf Ungleichheit und Ungleichwertigkeit. Die muslim*innenbezogenen Items hingegen stellen die eigene Haltung oder Beziehung zu Muslim*innen zur Bewertung, was nicht zuletzt grammatikalisch über das Subjekt ich ausgedrückt wird. Die Ausrichtung der Items ist hierdurch eine völlig andere. Muslim*innenbezogene Items enthalten eine sehr viel persönlichere Ebene und stellen die Beziehung zwischen Muslim*innen und den nicht-muslimischen Befragten in den Vordergrund. Die Befragten sind involviert und gewissermaßen selbst Bestandteil der Bewertung, wohingegen in allen islambezogenen Items ‚der Islam‘ das Subjekt darstellt, wodurch eine größere Distanz zum Bewertungsobjekt aufgebaut wird als in den muslim*innenbezogenen Items mit dem Subjekt ich. Als Nebeneffekt der Dimensionalisierung der Items entlang ihres Wordings offenbarten sich folglich auch inhaltliche Dimensionen, die mit dem Wording Islam / Musliminnen und Muslime kongruent sind und unbedingt berücksichtigt werden sollten.

Daran anschließend wurden Regressionsmodelle gerechnet, um Abweichungen bezüglich der Korrelationen mit einzelnen Variablen zwischen Islam- und Muslim*innenfeindlichkeitFootnote 10 identifizieren zu können. Tatsächlich zeigt sich, dass sowohl Kontakte zu Muslim*innen als auch allgemein eher religionskritische Einstellungen signifikant mit Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit zusammenhängen. Kontakte zu Muslim*innen gehen dabei in beiden Fällen mit reduzierten, eine religionskritische Haltung mit verstärkten Vorurteilen einher. Bei genauerem Hinsehen sind jedoch Unterschiede bezüglich der Wichtigkeit der einzelnen Prädiktoren zwischen Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit erkennbar. Eine religionskritische Haltung stellt – gemessen über den standardisierten Regressionskoeffizienten (β) und die erklärte Varianz – einen wichtigeren Prädiktor für Islamfeindlichkeit dar als Kontakt zu Muslim*innen. Für Muslim*innenfeindlichkeit hingegen scheinen beide Prädiktoren ähnlich wichtig zu sein. Damit ergibt sich mit Blick auf die Prädiktoren ein abweichendes Muster zwischen Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit, was für eine Differenzierung von Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit spricht.

Als weiterer wichtiger Prädiktor für Muslim*innenfeindlichkeit, der auf Islamfeindlichkeit jedoch überhaupt keinen signifikanten Einfluss hat, konnte zudem das Geschlecht ermittelt werden. Frauen sind demnach signifikant weniger muslim*innenfeindlich eingestellt als Männer. Für feindliche Einstellungen zum Islam ergeben sich keine signifikanten Unterschiede zwischen Männern und Frauen. Inwiefern die dem Islam oftmals unterstellte Unterdrückung von Frauen hier eine Erklärung liefern kann, wäre allenfalls Spekulation. Für weiterführende Forschung im Phänomenbereich könnte das Geschlecht jedoch zukünftig ein interessanter Prädiktor sein.

Im Zusammenhang mit Verhaltensintentionen gegenüber Muslim*innen deuten die Ergebnisse darauf hin, dass Muslim*innenfeindlichkeit hier ein stärkerer Prädiktor ist als Islamfeindlichkeit, auch wenn die Korrelationskoeffizienten und erklärte Varianz in beiden Modellen recht hoch ausfallen. Dass die Korrelation in beiden Fällen derart stark ausfällt, liegt möglicherweise nicht zuletzt an der Tatsache, dass lediglich Intentionen abgefragt wurden und entsprechende Verhaltensbekundungen insbesondere unter einem wahrgenommenen Druck sozial erwünschten Antwortverhaltens recht simpel zu äußern und noch dazu wenig folgenreich sind, sodass bloße Absichtserklärungen in einem Survey nicht mit tatsächlichen Handlungen und Verhaltensweisen gleichzusetzen sind. Nichtsdestotrotz variieren die Ergebnisse für Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit, was einmal mehr untermauert, dass beide Phänomene nicht identisch sind.

Im Folgenden geht es nun um die Frage, die sich an den Befund zweier differenter Konstrukte anschließt: Unterscheiden Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit sich auch hinsichtlich ihres Ausmaßes voneinander und falls ja, finden islamfeindliche oder muslim*innenfeindliche Items mehr Zustimmung unter den Befragten?