Nachdem im vorangegangen Kapitel die Relevanz unterschiedlicher, insbesondere quer zueinander verlaufender Kategorisierungen aufgezeigt wurde, widmet sich dieses Kapitel Konjunkturen von Kategorisierungen und Begrifflichkeiten im Zusammenhang mit Islam und Muslim*innen sowie feindlichen und abwertenden Einstellungen, Verhaltensweisen und Strukturen ihnen gegenüber. Obwohl viele Muslim*innen bereits in den 1960er Jahren nach Deutschland migrierten, war die Kategorie Muslim*in bis in die 1990er Jahre hinein im öffentlichen Diskurs kaum von Bedeutung. Auch die wissenschaftliche Bearbeitung der Konzepte Islam-/Muslim*innenfeindlichkeit und antimuslimischer Rassismus fand zuvor kaum statt. In diesem Kapitel wird daher zunächst ein Blick zurück auf die letzten sechs Dekaden der Zuwanderung nach Deutschland und die Entstehung der Kategorie Muslim*in geworfenFootnote 1 (Abschn. 3.1). Darauf aufbauend folgt eine systematische Auseinandersetzung mit einzelnen Termini von Konzepten zur Abwertung von Islam und Muslim*innen sowie ihren Definitionen (Abschn. 3.2). Auffällig ist, dass die Diskussionen um adäquate Begriffe und Definitionen bisher primär auf theoretischer Ebene geführt werden und empirische Daten für die Argumentation nur eingeschränkt herangezogen werden (können). Auch eine eingehende Analyse der zugrundeliegenden Operationalisierung bleibt zumeist aus. Aus diesem Grund wird im Anschluss an die Auseinandersetzung mit Termini und Konzepten die empirische Praxis unter die Lupe genommen und ein näherer Blick auf die Ebene der konkreten Items zur Erfassung des Phänomens in Deutschland geworfen (Abschn. 3.3). Darüber hinaus wird in diesem Kapitel dargelegt, warum eine differenzierte Betrachtung in Bezug auf die Abwertung des Islams als Religion und von Muslim*innen als Menschen sinnvoll oder sogar notwendig ist. Dazu werden theoretische Argumente und empirische Befunde skizziert und verknüpft (Abschn. 3.4). Schließlich werden in Abschn. 3.5 gebündelt die aus den vorherigen Kapiteln abgeleiteten Hypothesen expliziert.

3.1 Islam – Migration – Integration: Amalgamierung zweier Debatten und Entstehung der Kategorie Muslim*innen

Als in der Bundesrepublik Deutschland (BRD)Footnote 2 Mitte der 1950er Jahre zunächst zahlreiche Anwerbeabkommen mit Ländern wie Italien, Griechenland oder Spanien und später auch mit muslimisch geprägten Ländern wie der Türkei (1961), Marokko (1963) und Tunesien (1965) abgeschlossen wurden, um dem damaligen Arbeitskräftemangel im Wirtschaftswunder der Nachkriegszeit zu begegnen, war die dauerhafte Migration in die BRD durch sogenannte ‚Gastarbeiter*innen‘ politisch weder vorhergesehen noch gewollt; politische Vorstellungen über eine Rückwanderung der Angeworbenen stellten sich als Illusion heraus (vgl. Oltmer 2016: 110).

Die Arbeitsmigrant*innen der 1950er und 1960er Jahre galten als temporäre Arbeitskräfte, deren Präsenz sich auf eine „subordinate role in the economic sphere“ (Zolberg & Long 1999: 17) beschränkte. Wie die Arbeitsmigrant*innen selbst, nahm auch ihre Religion in der Öffentlichkeit wenig Raum ein. Die Ausübung ihrer Religion erfolgte zu dieser Zeit größtenteils im Privaten und war wenig sichtbar für die (christlich geprägte) Dominanzgesellschaft. Dies änderte sich, als viele Arbeitsmigrant*innen beschlossen, nicht in ihr Herkunftsland zurückzukehren, sondern stattdessen dauerhaft in der BRD zu bleiben und ihre Familien ebenfalls nach Deutschland nachkommen zu lassen. Infolgedessen wurde der Islam im Alltag präsent, da er nicht mehr nur die Religion einiger temporärer Arbeiter*innen darstellte, sondern vieler Familien mit wachsender Verbleiborientierung und veränderten Bedürfnislagen (vgl. Ceylan & Kiefer 2016: 2). Die Gestaltung und Prägung des Islams ging damit nicht länger von einer vergleichsweise geringen Anzahl deutscher Muslim*innen aus, sondern wurde stattdessen in den Zuständigkeitsbereich von (vermeintlichen) ‚Ausländer*innen‘ verschoben, was zu einer bis heute anhaltenden Vermischung von Religion und Migration geführt hat (vgl. Rohe 2017: 67 f.).

Es verwundert daher nicht, dass die Kategorie Muslim*innen, so scheint es, erst in den 1990er Jahren zu existieren begann. Gewiss waren viele der Zuwanderer*innen seit den 1950er Jahren muslimischen Glaubens; die Salienz der Kategorie Religionszugehörigkeit war zu dieser Zeit jedoch gering. Stattdessen verliefen Kategorisierungen und Othering-Prozesse zunächst entlang der (nicht-deutschen) Staatsangehörigkeit (‚Ausländer*innen‘) bzw. ihrer (angenommenen) temporären Tätigkeit in Deutschland (‚Gastarbeiter*innen‘). Da Migrant*innen zunehmend die deutsche Staatsangehörigkeit besaßen und verschiedene Akteur*innen den Begriff der Gastarbeiter*innen ablehnten – im Fall der Wirtschaft etwa mit Blick auf ein Interesse an beständigen Arbeitsverhältnissen – waren beide Begriffe nur mehr begrenzt geeignet (vgl. Tezcan 2014). Später wurde zur Gruppenbildung bzw. Markierung das entsprechende Herkunftsland herangezogen (‚Türk*innen‘) (vgl. Rohe 2017: 259). In den 1990er Jahren, spätestens jedoch mit dem 11. September 2001, änderte sich dies schließlich und aus ‚Ausländer*innen‘, ‚Gastarbeiter*innen‘, ‚Türk*innen‘, ‚Marokkaner*innen‘ und ‚Tunesier*innen‘ wurde die bisweilen als homogen dargestellte Gruppe der ‚Muslim*innen‘. Die Grenzziehung zwischen ‚Wir‘ und ‚die Anderen‘ wurde nun vermehrt entlang der Religionszugehörigkeit vorgenommen (vgl. Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration 2015). In diesem Zusammenhang wird auch von einer Islamisierung der Integrationsdebatte in Deutschland (vgl. Hierl 2012) bzw. von „Islammigrationsdebatten“ (Spielhaus 2018: 137) gesprochen und das nicht ohne Folgen:

„Die Kombination aus zwei ungenauen Begriffen führt zu einem Verschmelzen von Migrationsanderen mit Religionsanderen, durch das sie dauerhaft von der so konstituierten Mehrheit der Gesellschaft getrennt werden.“ (ebd.: 133; Herv. i. Orig.).

Resultat einer etwaigen Vermischung von Kategorisierungen ist die immer wieder zu beobachtende, nicht disjunkte bzw. wenig trennscharfe Gegenüberstellung von Muslim*innen und Deutschen. Überlappende Kategorisierungen werden vollständig übersehen oder ignoriert. Stattdessen werden Muslim*innen – kategorisiert entlang der Religionszugehörigkeit – gleichgesetzt mit Nicht-Deutschen – kategorisiert entlang der Staatsangehörigkeit.

Deutlich werden die Konjunktur und die Entwicklung bestimmter Begriffe und Zuschreibungen auch mit Blick auf die Sprache im Bundestag. Eine Analyse aller 4216 Plenarprotokolle von 1949 bis zum 24. Juli 2019 ergibt, dass der Begriff Gastarbeiter seine Hochzeit in den 1960er und 1970er Jahren hatte. Für die 1980er und 1990er Jahre kann ein sehr hohes Aufkommen des Begriffs Ausländer beobachtet werden. Dieser wird um das Jahr 2005 deutlich weniger verwendet, stattdessen steigt das Reden über Migranten deutlich an. Muslime als Kategorie tauchen im Bundestag in nennenswertem Umfang erst um das Jahr 2000 auf.Footnote 3 Eine Analyse der Islamdebatten im Deutschen Bundestag zwischen 1990 und 2009 belegt die zunehmende Verquickung von Islam / Muslim*innen und Migration / Integration: „Während der Islam in der Asyldebatte 1993 noch die Rolle eines randständigen Themas spielte […], ist er 13 Jahre später im Rahmen des Integrationsdiskurses ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt.“ (Schlerka 2021: 298). Ob bewusst oder unbewusst: Die Diskurse und damit das Sprechen im Kontext von Migration und Integration haben sich im Laufe der letzten Jahrzehnte verändert. Oder um es mit den Worten Victor Klemperers zu sagen: „Was jemand willentlich verbergen will, sei es nur vor andern [sic!], sei es vor sich selber, auch was er unbewußt [sic!] in sich trägt: die [sic!] Sprache bringt es an den Tag“ (Klemperer 2015[1947]: 20). In der verstärkten Verwendung der Begriffe Muslime und Migranten seit Beginn der 2000er Jahre im Deutschen Bundestag manifestiert sich die Verschiebung von Kategorisierungen entlang der Staatsangehörigkeit hin zu Kategorisierungen, die vermehrt entlang von Religionszugehörigkeit und Migrationserfahrungen vorgenommen werden. Für muslimische und als muslimisch markierte Migrant*innen „macht die Reise der Begriffe vorläufig am Bahnhof Religion halt“ (Tezcan 2014: 199). Die Folge ist nicht selten eine Ethnisierung von Religionszugehörigkeit, die auch für die Vorurteils- und Rassismusforschung von Bedeutung ist. Die Zielgruppe von Rassismus und Feindlichkeit ist nicht unbedingt eine gänzlich neue, stattdessen wird „sich lediglich verstärkt solcher Begründungszusammenhänge bedient, die auf das Merkmal der Religion rekurrieren“ (Shooman 2014: 222).

Dass sich seit den 2000er Jahren „ein Wandel in der Adressierung der Migrant/innen und Migrationsthemen in religiösen Termini“ (Tezcan 2014: 199) vollzogen hat, äußert sich nicht allein in der Sprache des Deutschen Bundestags, sondern zeigt sich auch im veränderten wissenschaftlichen (Des-)Interesse in Bezug auf die Religionszugehörigkeit der nichtchristlichen-Bevölkerung. Bis in die 1990er Jahre wurde in standardisierten Befragungen primär das Konstrukt Migrationshintergrund bzw. die Staatsangehörigkeit erhoben und nur selten eine detaillierte Religionszugehörigkeit außerhalb der christlichen Religionsgemeinschaften erfasst (vgl. Rohe 2017: 76 f.). Mittlerweile wird etwa im Sozioökonomischen Panel auch die islamische Religionszugehörigkeit erfasst. Eine differenziertere Betrachtung der islamischen Religionszugehörigkeit, also beispielsweise die Antwortmöglichkeiten „sunnitische Religionsgemeinschaft“, „schiitische Religionsgemeinschaft“ oder „alevitische Religionsgemeinschaft“, ist allerdings lediglich im Migration Sample, welches seit 2013 primär Menschen mit Migrationshintergrund fokussiert, sowie im 2016 eingerichteten Refugee Sample gegeben.

Die Kategorie der Religionszugehörigkeit wird in der sozialwissenschaftlichen Forschung offenbar insbesondere im Zusammenhang mit Migration bedeutsam. Zentral ist dabei jedoch, „sich mit kategorialen Verwechslungen auseinanderzusetzen und ihnen zu widerstehen“ (Spielhaus 2018: 134). Für Forscher*innen stellt sich somit die Aufgabe einer kritischen Reflexion über Kategorien im Kontext der eigenen Fragestellung: Geht es um religionsbezogene oder um migrationsspezifische Kontexte? Gibt es hier tatsächlich eine Verbindung zwischen Religion und Migration? Das heißt nicht, dass es keine Verbindungen, Zusammenhänge oder Schnittmengen gibt oder diese nicht forschungsrelevant wären; es bedeutet nur, dass im Rahmen wissenschaftlicher Forschung verstärkt reflektiert werden muss, welche Phänomene im Zusammenhang mit Religion und welche im Zusammenhang mit Migration stehen (vgl. ebd.: 139). Es geht um die Gefahr, der Religionszugehörigkeit einen zentraleren Stellenwert zuzuschreiben, als sie tatsächlich hat. Ein Beispiel: Kategorisierungen entlang von Religionszugehörigkeit in einem Kontext, in dem es eigentlich um Fragen des sozioökonomischen Status geht, suchen bzw. bieten kulturelle Erklärungen für sozioökonomische Phänomene (vgl. Brubaker 2013: 5).

Heute, rund 50 Jahre nach den ersten Anwerbeabkommen mit muslimisch geprägten Ländern, migrieren nach wie vor Muslim*innen nach Deutschland (zwischen 2011 und 2015 etwa 1,2 MillionenFootnote 4), jedoch aus anderen Gründen (beispielsweise Fluchtmigration) und aus anderen Regionen der Erde (u. a. aus Staaten wie Syrien, dem Irak, Afghanistan, Eritrea oder Somalia). Die Gruppe der Muslim*innen in Deutschland wird im Zuge der aktuellen Fluchtmigration folglich noch heterogener als sie es vor den Konflikten im Nahen Osten und im Norden Afrikas bereits war; die Kategorie Muslim*innen wird noch ungenauer.

Insgesamt hat sich in den letzten gut 60 Jahren einiges verändert: Der Islam hat sich in Deutschland von einem durch die Dominanzgesellschaft kaum wahrgenommenen Randphänomen der Zeit der Arbeitsmigration hin zu einem vielfach diskutierten Thema und einem wichtigen, wenn auch nach wie vor im öffentlichen Diskurs nicht unumstrittenen Bestandteil der deutschen Gesellschaft entwickelt. Derzeit ist zunehmend eine strukturelle Integration und Partizipation von Muslim*innen und ihren Organisationen zu beobachten (vgl. Antes & Ceylan 2017: 151). Dies zeigt sich unter anderem anhand der Integrationsbemühungen im Zusammenhang mit der Einführung des islamischen Religionsunterrichts (vgl. Uslucan 2011), auch wenn dieser bisher nicht in allen Bundesländern angeboten wird und nicht flächendeckend und über alle Jahrgangsstufen hinweg etabliert ist (vgl. Yavuzcan 2017). Die Bemühungen manifestieren sich überdies in der Forderung nach einer muslimischen Wohlfahrtspflege, das heißt professioneller Sozialarbeit anstelle semi-professioneller Strukturen, wie sie aktuell aufgrund unzureichender Ressourcen häufig zu finden sind (vgl. Ceylan & Kiefer 2016).

Ein weiteres Beispiel für die strukturelle Integration des Islams und nicht zuletzt Voraussetzung sowohl für den islamischen Religionsunterricht durch qualifizierte Pädagog*innen als auch für eine professionelle (muslimische) Soziale Arbeit stellt die Gründung einiger Institute oder Zentren für Islamische Theologie in Deutschland dar. Mit der Einrichtung universitärer Institute für Islamische Theologie an den Standorten Tübingen, Münster, Osnabrück, Frankfurt/Gießen und Erlangen/Nürnberg wurde auf die Forderung des Wissenschaftsrats von 2010 reagiert, welcher die Ausbildung von Religionslehrer*innen, Religionsgelehrten im Kontext von Moscheegemeinden, professionellen Sozialarbeiter*innen sowie islamischen Theolog*innen in universitärer Forschung und Lehre forderte (vgl. Wissenschaftsrat 2010: 82). Neben der Integration und der Anerkennung des Islams geht mit dieser Maßnahme außerdem die Förderung einer „muslimische[n] scientific community“ einher (vgl. Antes & Ceylan 2017: 151).

Trotz intensivierter Bemühungen um eine strukturelle Integration des Islams sowie der Partizipation von Muslim*innen, sind Islam-/Muslim*innenfeindlichkeit bzw. antimuslimischer Rassismus weiterhin weit verbreitete Phänomene in Deutschland. Insbesondere seit dem Erstarken bzw. der verstärkten Medienpräsenz von islamistischen Terrororganisationen, verschiedener terroristischer Anschläge in Europa und den Vereinigten Staaten von Amerika sowie der anhaltenden Fluchtmigration aus muslimisch geprägten Ländern nach Deutschland erfahren rechtspopulistische, anti-islamische Bewegungen und Parteien wie Pegida oder die Alternative für Deutschland (AfD) viel Zuspruch.

Der Erfolg von Pegida und der AfD spiegelt sich auch in den Einstellungen der Bevölkerung, die in sozialwissenschaftlichen Befragungen gemessen werden, wider: Die Islam- bzw. Muslim*innenfeindlichkeit als eine Facette Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit ist heute nach wie vor auf einem hohen Niveau. In den Jahren 2020/21 und 2018/19 stimmte, wie auch ein den Jahren 2014 und 2016, knapp ein Fünftel der Bevölkerung abwertenden Aussagen über Muslim*innen „voll und ganz“ oder „eher“ (und im Fall des Jahres 2020/21 auch „teils/teils“) zu (vgl. Zick et al. 2019: 80; Zick 2021: 192). Unter Sympathisant*innen der AfD – einer Partei, die bei der Bundestagswahl 2017 insgesamt 12,6 Prozent der Stimmen erhalten hat und damit drittstärkste Kraft und 2021 mit 10,3 Prozent der Stimmen fünftstärkste Kraft geworden ist und die in allen ostdeutschen Bundesländern mit 27,5 Prozent (Sachsen, 2019) bzw. 23,5 Prozent (Brandenburg, 2019) bzw. 23,4 Prozent (Thüringen, 2019) bzw. 16,7 Prozent (Mecklenburg-Vorpommern, 2021) bzw. 20,8 Prozent (Sachsen-Anhalt, 2021) der Stimmen derzeit zweitstärkste Kraft ist – waren es im Jahr 2016 mit 43,5 Prozent mehr als doppelt so viele (vgl. Hövermann & Groß 2016: 174).

In sechs Dekaden muslimischer Zuwanderung nach Deutschland wurden verschiedene Kategorisierungen entlang unterschiedlicher Merkmale wie Staatsangehörigkeit, Migrationserfahrung oder Religionszugehörigkeit hervorgebracht. Auch wenn die einzelnen Gruppen nicht deckungsgleich sind, so kann doch beobachtet werden, dass das Sprechen über ‚Gastarbeiter*innen‘ und ‚Ausländer*innen‘ abgelöst wurde von einem Sprechen über ‚Migrant*innen‘ und zunehmend auch über ‚Muslim*innen‘. Ein Resultat des verschobenen Fokus auf Muslim*innen ist die Sensibilisierung im Kontext der Vorurteilsforschung für explizit islam- oder muslim*innenfeindliche Einstellungen. Sichtbar wird dies nicht zuletzt an der Herauslösung dieser spezifischen Facette aus einstigen eher breit gefassten Konzepten wie Xenophobie. Sprachlich findet sich diese Ausdifferenzierung bzw. Spezifikation zunächst im verwandten Begriff der Islamophobie wieder. Wie das folgende Kapitel zeigt, gibt es mittlerweile zahlreiche terminologische wie konzeptionelle Alternativen und Weiterentwicklungen, die auf Unschärfen einzelner Konzepte und Termini reagieren.

3.2 Terminologie und Konzeptionalisierung: Entwicklung, Etablierung, Kritik

„‘Islam’ as a religion was the enemy in the past: in the crusades or the reconquista. It is not the enemy now […]. The attack now is against not Islam as a faith but Muslims as a people, the latter grouping together all, especially immigrants, who might be covered by the term. […] the enemy is not a faith or a culture, but a people. Hence the more accurate term is not ‘Islamophobia’ but ‘anti-Muslimism’.“ (Halliday 1999: 898)

Wie Halliday bereits 1999 deutlich gemacht hat, ist der Begriff Islamophobie eigentlich irreführend und somit ungeeignet, wenn es um die Abwertung von Muslim*innen geht, da diese sich sprachlich im Islamophobie-Begriff nicht repräsentiert sehen. Diese Unschärfe sowie der häufig anzutreffende Widerspruch zwischen Definition und Terminus ist ein zentraler Aspekt der vorliegenden Arbeit, weshalb dieses Kapitel die Entwicklung von und kritische Auseinandersetzung mit einzelnen Begriffen und zugrundeliegenden Konzepten nachzeichnet.

Terminologische Vielfalt

Im Zusammenhang mit der Abwertung von Muslim*innen und/oder dem Islam ist mittlerweile eine Vielzahl von Begriffen geläufig. Das Angebot umfasst dabei im deutschen Sprachgebrauch Termini wie Islamfeindlichkeit, Islam(o)phobie, Muslim*innenfeindlichkeit oder Antimuslimismus. Das scheinbare Überangebot an Bezeichnungen ist jedoch kein Alleinstellungsmerkmal für den deutschsprachigen Raum. Auch der englischsprachige Diskurs ist ausgestattet mit Begriffen wie Islamophobia, anti-Muslim hatred, anti-Muslim bigotry, anti-Muslim sentiment, anti-Muslim prejudice oder der Wortneuschöpfung Islamoprejudice (vgl. Imhoff & Recker 2012) und bietet somit ein ähnlich breites Spektrum an Ausdrücken für feindliche Einstellungen gegenüber Muslim*innen und/oder dem Islam. Bei all diesen Begriffen, deren Auflistung hier sicherlich nicht erschöpfend ist, handelt es sich um Umschreibungen für Vorurteile bzw. feindliche Einstellungen und/oder Verhaltensweisen gegenüber dem Islam, Muslim*innen oder als Muslim*innen markierte Menschen.

Die einzelnen Begriffe beziehen sich auf unterschiedliche Adressat*innen: zum einen auf Menschen, die entlang der Religion des Islams konstruiert werden, zum anderen auf die Religion des Islams als solche. Oftmals scheinen die Begriffe Islam und Muslim*innen gleichgesetzt oder zumindest synonym verwendet zu werden, sodass eine mangelnde Trennschärfe beklagt werden muss (vgl. Pfahl-Traughber 2012a: 21). Auf theoretischer Ebene wird diese Problematik in den letzten Jahren zunehmend benannt und diskutiert (vgl. Allen 2010; Attia 2009, 2013; Bielefeldt 2010; Bielefeldt 2012; Bühl 2010; Çakır 2014; Dietrich 2017; Elahi & Khan 2017; Häusler 2019; Hernández Aguilar 2017; Pfahl-Traughber 2012a; Shooman 2014; Wolf & Halm 2017) bzw. explizit zwischen Islam und Muslim*innen als Adressat*innen von Abwertung unterschieden und ihre Beziehung zueinander thematisiert (vgl. Shooman 2014; Zick et al. 2016a).

Die Vielzahl der Begriffe sowie die Benennung unterschiedlicher Adressat*innen, die auf terminologischer Ebene abgebildet werden, machen es schwer, von einem einzigen Phänomen zu sprechen und dieses zu definieren. Aktuell finden sich dementsprechend viele Definitionen, die mal mehr, mal weniger adäquat abbilden, worauf sie sich wörtlich beziehen. Eine Abgrenzung zu anderen Begriffen und Konzepten ist dabei nicht immer gegeben. Der Runnymede Trust beispielsweise definierte Islamophobia 1997 nicht etwa, wie eine wörtliche Interpretation suggerieren würde, als Angst vor dem Islam, sondern als Feindlichkeit gegenüber dem Islam sowie in der Folge als Diskriminierung von Muslim*innen – wohlwissend, dass dieser Terminus für diese Definition nicht ideal ist (vgl. Conway 1997: 4). Dieses Beispiel als eins von vielen verdeutlicht die Herausforderungen im Umgang mit Begriffen und Definitionen, wenn es im weitesten Sinne um die Abwertung von Muslim*innen und Vorbehalte gegenüber dem Islam geht. In Groß-Britannien führte dies im Jahr 2017 zur Gründung der All Party Parliamentary Group on British Muslims (APPG), die sich intensiv mit diesem Thema beschäftigt und es sich zur Aufgabe gemacht hat, eine Arbeitsdefinition zu entwickeln (vgl. APPG 2018).

Für ein Phänomen, das in den letzten Jahr(zehnt)en politisch wie wissenschaftlich an Aufmerksamkeit gewonnen hat, mangelt es folglich sowohl an einer eindeutigen Terminologie als auch an einer präzisen und trennscharfen Definition. Für einen Überblick über die geläufigen, mehr oder weniger etablierten Begriffe ist die folgende Skizzierung der aktuellen Debatte unerlässlich.

Anerkennung einer neuen „Konfliktlinie“

Vorurteile gegenüber Muslim*innen bzw. dem Islam wurden zunächst unter Begriffe wie Xenophobie oder Fremdenfeindlichkeit subsumiert. Das Konzept der Vorurteile der autochthonen Bevölkerung gegenüber Angehörigen der allochthonen Bevölkerung im Allgemeinen wurde jedoch als unpassend empfunden, da es zu unspezifisch ist und die eigentlichen Phänomene – die Abwertung von Personen aufgrund ihres (vermuteten oder zugeschriebenen) muslimischen Glaubens sowie der Religion selbst – nicht adäquat abbildet. Um auch auf begrifflicher Ebene einer möglicherweise neuen „Konfliktlinie“ (Leibold & Kühnel 2003: 100) zu begegnen, folgte eine sprachliche Präzisierung. Die Adressat*innen der Abwertungen (Muslim*innen, Islam) konnten nun eindeutiger benannt werden (vgl. Leibold 2010: 149). Durch die Spezifizierung wurde ein Fokus auf die Religionszugehörigkeit gelegt, wodurch nun Vorurteile und Diskriminierungen im Zusammenhang mit bzw. unter dem Deckmantel der (islamischen) Religionszugehörigkeit separat betrachtet und auch sprachlich von anderen Formen und Adressat*innen von Abwertungen abgegrenzt werden können. Eine solche Präzisierung ist wichtig und einer breit angelegten Kategorie vorzuziehen, da die Einstellungen gegenüber einer recht heterogenen Gruppe wie beispielsweise Ausländer*innen durchaus unterschiedlich ausfallen können, je nachdem welche Subgruppe für die Befragten besonders salient ist und primär assoziiert wird, weshalb „measures of attitudes either towards specific sub-groups of foreigners, or towards a more explicitly defined attitude object may be preferable.“ (Wallrich et al. 2020). Terminologiebasierte Unschärfen gilt es daher zu vermeiden.

Islam(o)phobie

Im englischen Sprachgebrauch ist seit den 1990er Jahren der an das Wort Xenophobie (Xenophobia) angelehnte Neologismus Islamophobia besonders populär. Auch wenn der tatsächliche Ursprung des Begriffs umstritten ist, so hat er sich doch spätestens seit seiner Verwendung durch den britischen Think Tank Runnymede Trust im gleichnamigen Bericht aus dem Jahr 1997 im englischen Sprachgebrauch etabliert und bezieht sich nun auf Ressentiments gegenüber Muslim*innen und dem Islam (vgl. Allen 2010; Conway 1997). Auch sein deutsches Pendant – Islam(o)phobie – ist durchaus verbreitet, sodass beide Begriffe auch im wissenschaftlichen Kontext immer wieder Verwendung finden (vgl. u. a. Allen 2010; Botsch et al. 2012Footnote 5; Heitmeyer 2003; Sayyid 2014). Aufgrund der Einschätzung als politisches Schlagwort bzw. als Kampfbegriff, mit dem u. a. Islamist*innen legitime Kritik an islamischen Praktiken mit dem Verweis auf Rassismus abschmettern, wird die Eignung dieses Begriffs als Kategorie in der sozialwissenschaftlichen Vorurteilsforschung und sein analytisches Potential jedoch infrage gestellt (vgl. Kahlweiß & Salzborn 2012; Pfahl-Traughber 2012: 14 f.). Wörtlich bezieht sich der Terminus ähnlich wie Islamfeindlichkeit und Islamfeindschaft auf den Islam als Religion, wobei im sprach- und kognitionswissenschaftlichen Kontext mitunter die Haltung vertreten wird, bei Islam handele es sich um ein Metonym für Muslim*innen (vgl. Wehling 2017: 156).

Der Begriff ist auch auf anderer Ebene umstritten. Der zweite Wortteil, Phobie, stammt aus dem Altgriechischen und bedeutet im Deutschen so viel wie Furcht oder Schrecken. Er tritt daher zumeist im Zusammenhang mit Angststörungen in Erscheinung, beispielsweise der Angst vor öffentlichen Plätzen (Agoraphobie), vor Spinnen (Arachnophobie), vor Höhen (Akrophobie), vor Clowns (Coulrophobie) oder der Angst, lebendig begraben zu werden (Taphephobie). Diese Liste ließe sich problemlos fortführen, wobei die Zielobjekte mannigfaltig sind: Die Ängste können sich gegen Tiere, Dinge, Situationen und vieles mehr richten.

Abgesehen davon, dass eine Fokussierung auf Gefühle von Angst das Phänomen nur unterkomplex beschreiben und dieses empirisch nachgewiesen auch mit Gefühlen wie Wut oder Ekel in engem Zusammenhang steht (vgl. Uenal et al. 2021), ergibt sich hier eine weitere Problematik: Der Phobie-Begriff impliziert eine „zwanghafte Angst, […] eine krankhafte, nicht selbstbestimmte Aversion gegenüber Personen oder Kollektiven“ (Bühl 2010: 289), mit der „nicht notwendigerweise eine gesellschaftliche Relevanz im Sinne von negativen Folgen für Muslime als Minderheit“ (Pfahl-Traughber 2012: 18) einhergeht. Dies ist problematisch, da dieser Begriff den Kern – pauschalisierende und generell ablehnende Einstellungen – nicht trifft bzw. die Ursache des Verhaltens auf eine Krankheit zurückführt und das Problem damit pathologisiert. Mitunter wird dieses Problem auch gesehen und die Definition für Islamophobie breiter gefasst, indem der Begriff Islamophobie als Synonym zu Vorurteilen gegenüber Muslim*innen betrachtet wird:

„Islamophobia is a phobic reaction of non-Islamic people toward Muslims, as well as feelings of negative emotions such as anger and contempt toward Islam and Muslims. The term is derived from the Greek word phobos, denoting overanxiety in relation to an object […]. In social psychology, the meaning of the term is even broader; it may refer to rejection and devaluation of Islam and Muslim people and may be synonymous with prejudice against Muslim people.“ (Wagner & Leibold 2010: 486; Herv. i. Orig.).

Aus sprach- und kognitionswissenschaftlicher Perspektive kann in diesem Zusammenhang jedoch von einer „sprachliche[n] Fehlbesetzung“ (Wehling 2017: 155) gesprochen werden. Der Phobie-Begriff aktiviert einen FrameFootnote 6, der suggeriert, bei islam- und muslim*innenfeindlichen Haltungen handele es sich um eine klinische Angststörung. Diese macht die vorurteilsbehafteten Personen zu Opfern, Muslim*innen hingegen zu bedrohlichen Täter*innen (Täter*innen-Opfer-Umkehr). Wehling (2017) spricht hier von einer „frame-semantischen Rollenverteilung“ (ebd.: 158):

„Phobie-Patienten sind Opfer einer Angststörung, an der sie ‚leiden‘. Es gibt einen Auslöser, der die phobische Reaktion des Opfers hervorruft. Wenn das Opfer mit dem Auslöser konfrontiert wird, zieht es sich in Panik zurück. […] Der durch den Begriff ‚Islamophobie‘ erweckte Frame erzählt demnach folgende Geschichte: Muslime jagen panische Angst ein, man zieht sich zurück und meidet sie. Sie selbst spüren keine Auswirkung der phobischen Reaktion, außer vielleicht die des Gemieden-Werdens.“ (ebd.).

Muslim*innen werden so zum Angstauslöser gemacht; feindliche Haltungen gegen diese Gruppe werden bagatellisiert, legitimiert, als etwas Natürliches betrachtet. Die ‚Islamophoben‘ werden als vermindert zurechnungsfähig präsentiert und ein Stück weit von der Verantwortung für ihr Handeln freigesprochen (vgl. ebd.). Außerdem blendet der Phobie-Frame wichtige Aspekte völlig aus:

„Herabwürdigung, Ausgrenzung, tätliche Übergriffe und andere Formen sozialer oder zwischenmenschlicher Aggression, die Tatsache, dass weder anti-muslimische Haltungen noch Verhaltensmuster aus einem Affekt heraus geschehen und, nicht zuletzt, der Umstand, dass Muslime nicht essenziell angsteinflößend und damit ‚schuldhafter‘ Auslöser einer Angstreaktion sind.“ (ebd.).

Islam- und muslim*innenfeindliche Einstellungen und Verhaltensabsichten werden im Rahmen des Begriffs Islamophobie verharmlost und als bloße Emotionen präsentiert. Ein Fokus auf die Angst birgt zudem die Gefahr der Verschiebung der ‚Schuld‘ im Sinne einer Täter*innen-Opfer-Umkehr (Victim Blaming). Die weite Verbreitung des Islamophobie-Begriffs im deutschen wie auch im englischen Sprachgebrauch ist daher durchaus problematisch. Mit dem Argument der Anschlussfähigkeit trägt jedoch die fortgeschrittene Etablierung des Begriffs oftmals zu seiner Reproduktion bei (vgl. APPG 2018: 10). Trotz seiner etablierten Position insbesondere im englischsprachigen Diskurs werden zahlreiche Alternativen für den umstrittenen Terminus diskutiert.

Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit

Ein im deutschen Sprachgebrauch besonders weit verbreiteter Terminus ist der Begriff Islamfeindlichkeit (vgl. u. a. Bühl 2010; Çakır 2014; Heitmeyer 2012a; Kaddor et al. 2018; Schneiders 2010; Zick & Klein 2014) bzw. (seltener) Islamfeindschaft (vgl. u. a. Decker et al. 2012), bei welchem der sprachlichen Fokus ähnlich wie im Fall des Islam(o)phobie-Begriffs auf der Religion selbst und weniger auf den mit ihr verbundenen Menschen liegt. Aber auch der entsprechende Begriff mit Bezug auf die von der Abwertung betroffenen Menschen, sprich Muslim*innenfeindlichkeit,Footnote 7 ist in der Literatur zunehmend zu finden (vgl. u. a. Bielefeldt 2012; Decker & Brähler 2018; Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft 2018; Zick & Preuß 2014; Zick et al. 2016). Die Deutsche Islam Konferenz entschied sich ebenfalls für diesen Begriff und gegen Begriffe wie Islamfeindlichkeit oder Islamophobie, mit der Begründung, dass Muslim*innenfeindlichkeit auf terminologischer Ebene deutlich macht, „dass es nicht etwa um Ressentiments gegenüber einer Religion geht, sondern um eine feindselige Haltung gegenüber einer bestimmten Gruppe von Menschen“ (Fritsche 2012: 9). Im deutschen Sprachgebrauch sind darüber hinaus weitere terminologische Variationen zu finden, so beispielsweise der Begriff Antimuslimismus (anti-Muslimism), der als Synonym für Muslim*innenfeindlichkeit verstanden werden kann (vgl. Halliday 1999; Pfahl-Traughber 2012) oder der Begriff Muslimabwertung (vgl. Logvinov 2017: 8).

Antimuslimischer Rassismus

Ein im Phänomenbereich mittlerweile ebenfalls weit verbreiteter Begriff ist bisher unerwähnt geblieben: antimuslimischer Rassismus (vgl. u. a. Attia 2009; Attia 2013; Bröse 2018; Bühl 2010; Elahi & Khan 2017; Shooman 2014). Die bisher fokussierten Begriffe bzw. Konzepte beziehen sich auf Vorurteile und feindliche Einstellungen und lassen sich damit in der Vorurteilsforschung verorten. Im Kontext des antimuslimischen Rassismus wird nun jedoch eine andere Perspektive eingenommen; der Begriff steht für eine andere „Schule“ (Hafez 2017), denn das Konzept des antimuslimischen Rassismus knüpft nicht an die Vorurteilsforschung, sondern an die postkoloniale Theorie an. Während Vorurteile als Einstellungen auf individueller Ebene verstanden werden (vgl. auch Abschn. 2.1), beziehen sich Vertreter*innen des Konzepts des antimuslimischen Rassismus wie Iman Attia oder Yasemin Shooman in Anlehnung an die kritische Rassismusforschung und die postkoloniale Theorie auf die strukturelle Ebene. Antimuslimischer Rassismus wird nicht verstanden als ein individuelles „Bewusstseinsproblem, sondern als ein diskursiv konstituiertes soziales Verhältnis“ (Biskamp 2016: 57).

Aus rein terminologischer Perspektive liegen die Vorteile dieses Begriffs einerseits in der Benennung von Muslim*innen (bzw. als solche Attribuierte) als Betroffene von rassistischer Diskriminierung,Footnote 8 zum anderen in der guten Anschlussfähigkeit an den englischsprachigen Diskurs (anti-Muslim racism). Die Etablierung des Begriffs ist auch außerhalb der Wissenschaft zu beobachten, etwa im Bereich der politischen Bildung (siehe beispielsweise die Tagung „Von Blicken und Brandbomben. Antimuslimischer Rassismus heute“ der Bundeszentrale für politische Bildung, vgl. Diekmann & Greschner 2019) sowie im Bereich des Engagements gegen die Diskriminierung von Muslim*innen und als Muslim*innen gelesene Menschen (siehe beispielsweise den Tag gegen antimuslimischen Rassismus am 01. Juli oder die Aktionswoche gegen antimuslimischen Rassismus). Im Zusammenhang mit den Aktionstagen und -wochen gegen antimuslimischen Rassismus werden jedoch auch die Begriffe Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit genannt, denn diese Aktionen richten sich gegen „Islam- und Muslimfeindlichkeit und antimuslimische[n] Rassismus, die sich zunehmend in gewalttätigen Übergriffen äußern.“Footnote 9 Auch wenn diese Auflistung auf den ersten Blick gedoppelt wirken mag, so ist sie doch alles andere als redundant. Inwiefern Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit empirisch betrachtet zwei unterschiedliche oder zumindest nicht identische Phänomene sind, ist in dieser Arbeit noch zu klären. Die Konzepte Feindlichkeit und Rassismus zielen jedoch eindeutig auf unterschiedliche Ebenen ab und stehen oftmals für unterschiedliche Forschungsperspektiven. Beide Ansätze bergen Vor- und Nachteile und können durchaus auch als Ergänzung zueinander statt als Gegensatz begriffen werden (vgl. Biskamp 2016; 2019).

Mehr als terminologische Unterschiede: zum Verhältnis von feindlichen Einstellungen und Rassismus

Die Begriffe Islam-/Muslim*innenfeindlichkeit und antimuslimischer Rassismus sind in der Literatur nicht als Synonyme zu verstehen. Stattdessen beziehen sie sich auf unterschiedliche zugrundeliegende Konzepte und lassen sich in unterschiedlichen Forschungstraditionen verorten. Auch wenn die Unterscheidung von feindlichen Einstellungen und Rassismus nicht das zentrale Thema dieser Arbeit darstellt, soll sie dennoch nicht unberücksichtigt bleiben, da sie elementar ist, um die beiden unterschiedlichen Ansätze und letztendlich auch die Perspektive dieser Arbeit zu verstehen.

Im Unterschied zu feindlichen Einstellungen, die als (individuelle) Reaktion auf gesellschaftliche Verhältnisse aufgefasst werden können, wird (antimuslimischer) Rassismus selbst als Strukturmerkmal begriffen (vgl. Attia 2013), genauer als ein soziales Dominanzverhältnis. Im Fokus stehen Machtverhältnisse innerhalb einer Gesellschaft, die bestimmte Gruppen privilegieren und andere Gruppen benachteiligen. Rassistische Praxen legitimieren und reproduzieren diese Machtverhältnisse. Zentral sind dabei Prozesse der Naturalisierung, Homogenisierung, Polarisierung und Hierarchisierung (vgl. Rommelspacher 2009: 29). Es geht weniger um individuelle Vorurteile als vielmehr um die Legitimation gesellschaftlicher Hierarchien auf Basis sozial konstruierter Gruppen (vgl. ebd.). Diese Gruppen werden entlang eines (einzelnen) tatsächlich vorhandenen oder vermuteten bzw. zugeschriebenen Merkmals, hier beispielsweise der Religionszugehörigkeit, sozial konstruiert, jedoch als natürliche Gruppen betrachtet und anderen Gruppen diametral gegenübergestellt. Die Darstellung der Gruppen als natürlich gegebene und damit unumstößliche Entitäten dient der Legitimierung von Privilegien, das heißt, bestehende Machtverhältnisse sollen weiter gefestigt werden (Dominanz) (vgl. Attia 2013: 7):

„In essenzialisierender Weise wird der Islam also als unterscheidendes Merkmal betont, indem verschiedenste Phänomene, Verhaltensweisen und Verhältnisse mit dem Islam begründet werden in einer Weise, die Beziehungen zwischen den dichotomisierten Gruppen und die Komplexität der Situation insgesamt ignoriert werden. Diese Simplifizierung hat eine Funktion, nämlich sich aus der Verantwortung zu ziehen, um weiterhin von jenen Privilegien, die mit der Essenzialisierung einhergehen, zu profitieren.“ (ebd.: 11).

Die beiden Konzepte Islam-/Muslim*innenfeindlichkeit und antimuslimischer Rassismus beziehen sich auf unterschiedliche Bereiche, hängen jedoch eng miteinander zusammen. Vorurteile sind Einstellungen, (antimuslimischer) Rassismus ist ein gesellschaftliches Verhältnis:

„Beim Rassismus handelt es sich also nicht einfach um individuelle Vorurteile, sondern um die Legitimation von gesellschaftlichen Hierarchien, die auf der Diskriminierung der so konstruierten Gruppen basieren. In diesem Sinn ist Rassismus immer ein gesellschaftliches Verhältnis.“ (Rommelspacher 2009: 29).

Die individuelle und die strukturelle Ebene sind nicht vollständig voneinander abgrenzbar in dem Sinne, dass es keine Berührungspunkte und wechselseitigen Einflüsse gäbe. Einstellungen sind zwar auf der Ebene der Individuen angesiedelt, sie entstehen jedoch nicht in einem luftleeren Raum ohne Bezug zu rassistischen und diskriminierenden Strukturen. Einerseits können Vorurteile zu Stigmatisierung und Diskriminierung führen bzw. eine maßgebliche Vorbedingung für Diskriminierung darstellen, da sie Ungleichwertigkeitsvorstellungen manifestieren und Machtverhältnisse legitimieren (vgl. Zick et al. 2011a: 311 f.). Gleichzeitig können Diskriminierungspraxen und struktureller Rassismus bestehende Vorurteile weiter verfestigen und reproduzieren.

Eine genaue Bestimmung der Begriffe Muslim*innenfeindlichkeit bzw. Islamfeindlichkeit und antimuslimischer Rassismus und die Differenzierung der Konzepte ist sowohl aus wissenschaftlicher Sicht äußerst wichtig und eine notwendige Voraussetzung zur Adressierung des Phänomens (vgl. Shooman 2019: 16) als auch für die Praxis von nicht zu unterschätzender Relevanz, um entsprechende Handlungsempfehlungen ableiten zu können (vgl. u. a. Attia 2013; Güvercin & Karahan 2019). Je nach Verständnis ergeben sich unterschiedliche Implikationen für die Praxis. Wenn die Präventionsarbeit auf die individuelle Einstellungsebene (Islam-/Muslim*innenfeindlichkeit) abzielt, bietet sich eine Veränderung ebendieser Einstellungen durch gezielte Bildungs- und Aufklärungsarbeit an; um institutionellem und strukturellem Rassismus begegnen und Machtverhältnisse verändern zu können, bedarf es zusätzlicher Änderungen in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen und Institutionen, wie etwa den Medien, dem Bildungswesen, der Polizei, der Justiz, der Politik und der Wirtschaft (vgl. Güvercin & Karahan 2019).

Im Zusammenhang mit der Bezeichnung antimuslimischer Rassismus führen Kritiker*innen zunächst häufig die Frage an, inwiefern es sich bei der Abwertung von Muslim*innen um Rassismus handeln könne, da es doch eigentlich um Religion ginge und nicht um (vermeintlich) biologische Merkmale (‚Rasse‘). Demzufolge müsste Rassismus auf vermeintlich biologisch determinierten, das heißt ‚naturgegebenen‘ und ‚unumstößlichen‘, Unterschieden zwischen Gruppen basieren. Die moderne Rassismusforschung bezieht sich jedoch allgemeiner auf das Zusammenleben von Angehörigen der Dominanzgesellschaft und Angehörigen marginalisierter Gruppen mit besonderem Fokus auf die Macht- und Ressourcenverteilung (vgl. Mecheril & Scherschel 2009: 39), also das hierarchisch strukturierte Verhältnis von dominanter und herabgewürdigter Gruppe und die Legitimierung eines unterschiedlichen Zugangs zu ökonomischen, politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Ressourcen. Rassismus wird dann als soziale Praxis verstanden, welche mitunter vorgibt, sich auf ‚natürliche‘ Begebenheiten zu beziehen, letztendlich aber immer das Resultat von Definitionsprozessen und sozial konstruierten Kategorien ist (vgl. ebd.: 42).

In diesem nicht ausschließlich biologistischen Verständnis von Rassismus können dann eben auch Muslim*innen oder als muslimisch Markierte von Rassismus betroffen sein. Shooman (2014) drückt das wie folgt aus:

„Aus einer dominanten gesellschaftlichen Position heraus werden sie unabhängig von einem individuellen Glaubensbekenntnis als eine homogene und quasi-natürliche Gruppe in binärer Anordnung zu weißen christlichen/atheistischen Deutschen bzw. Europäern konstruiert und mit kollektiven Zuschreibungen versehen; es wird ein Wissen über sie und ihr Wesen als Gruppe erzeugt, und sie gelten anhand verschiedener Merkmale als ‚identifizierbar‘.“ (Shooman 2014: 64 f.).

Begriffe wie Kultur oder Religion haben in heutigen rassistischen Weltbildern also eine ähnliche Funktion wie der biologistische ‚Rasse‘-Begriff:

„Auch der gegenwärtige antiislamische Rassismus funktioniert nach der altbekannten rassistischen ‚Logik‘, nutzt aber vermehrt kulturalistische Argumentationen. ‚Ethnie‘ oder ‚Kultur‘ dienen als Ersatzbegriffe für einen diffamierten genetischen ‚Rasse‘ begriff und versuchen, den darin zugrunde liegenden Macht- und Herrschaftsanspruch zu verschleiern.“ (Merz 2015: 372; Herv. i. Orig.).

Aus diesem Grund wird auch von einer „Rassifizierung“ von Muslim*innen gesprochen (Shooman 2014: 81). Rassismus meint in diesem Sinne einen Prozess der Rassifizierung – Differenzkonstruktionen, die entlang von Differenzlinien wie Kultur oder Religion ein ‚Wir vs. die Anderen‘ herstellen und festigen. Oftmals ist im Kontext dieses kulturellen Rassismus auch die Rede von „Neo-Racism“ (Balibar 1991: 17) oder einem „Rassismus ohne ‚Rassen‘“ (Hall 1989: 913). Die Forschung zu antimuslimischem Rassismus kann somit im Bereich der rassismuskritischen Forschung verortet werden.

„Islamophobia is anti-Muslim racism“

Insbesondere im englischsprachigen Kontext hat sich die Perspektive auf Islamophobia als eine Form des kulturellen Rassismus bereits durchgesetzt und eine synonyme Verwendung der beiden am weitesten verbreiteten Begriffe Islamophobia und anti-Muslim racism kann beobachtet werden (vgl. Lewicki 2019; Shooman 2019). Dies wird unter anderem an der Weiterentwicklung der Islamophobia-Definition des Runnymede Trust deutlich. Als eine der populärsten Definitionen von Islamophobia formulierte der Runnymede Trust 1997:

„The term Islamophobia refers to unfounded hostility towards Islam. It refers also to the practical consequences of such hostility in unfair discrimination against Muslim individuals and communities, and to the exclusion of Muslims from mainstream political and social affairs“ (Conway 1997: 4).

Die Definition aus dem Jahr 1997 umfasste sowohl Vorurteile / feindliche Einstellungen gegenüber dem Islam als auch die strukturelle Diskriminierung von Muslim*innen mit dem Resultat verringerter Partizipationschancen. In dieser Definition finden sich beide in dieser Arbeit berücksichtigten Adressat*innen: Die Religion des Islams sowie potentiell von feindlichen Einstellungen und Diskriminierung betroffene Menschen (tatsächlichen oder zugeschriebenen) muslimischen Glaubens. 2017 wurde die Definition angepasst. Islamophobie wurde nun gleichgesetzt mit antimuslimischem Rassismus („Islamophobia is anti-Muslim racism“; Elahi & Khan 2017: 7). Ausführlicher schreiben die Autor*innen:

„Islamophobia is any distinction, exclusion, or restriction towards, or preference against, Muslims (or those perceived to be Muslims) that has the purpose or effect of nullifying or impairing the recognition, enjoyment or exercise, on an equal footing, of human rights and fundamental freedoms in the political, economic, social, cultural or any other field of public life.“ (ebd.).

Der Fokus liegt 20 Jahre nach dem ersten Report des Runnymede Trust verstärkt auf Muslim*innen und weniger auf der Religion des Islams. Die APPG on British Muslims entwickelte im Jahr 2018 eine neue Arbeitsdefinition von Islamophobia aus einer politisch-praktischen Perspektive, um der Forderung nach Präzisierung – zumindest im britischen Kontext – gerecht zu werden und gleichzeitig einen möglichst breiten Konsens unter Expert*innen und anderen Personen und Organisationen, die mit diesem Thema in Verbindung stehen, zu erreichen.

„Islamophobia is rooted in racism and is a type of racism that targets expressions of Muslimness or perceived Muslimness.“ (APPG 2018: 11).

Auch in ihrer Definition ist der Zusammenhang von Islamophobie und Rassismus verankert. Ebenso wurden auch vermeintliche Muslim*innen, also als muslimisch markierte Menschen, in die Definition aufgenommen.

Conclusio: Verortung und Implikationen

Es kann konstatiert werden, dass eine Vielzahl von Begriffen zur Beschreibung der Abwertung und Diskriminierung von Islam und Muslim*innen bzw. als muslimisch markierten Menschen zur Verfügung steht und auch aktiv in Politik, Wissenschaft und Praxis verwendet wird. Die zuvor diskutierten Begriffe und Konzepte richten sich gegen die Religion des Islams und/oder gegen Muslim*innen und als Muslim*innen attribuierte Personen. Neben der Unterscheidung der Adressat*innen – Islam und Muslim*innen –, welche den Schwerpunkt dieser Arbeit bildet, wurden darüber hinaus auch weitere, vorwiegend konzeptionelle Unterschiede deutlich, die über die reine Begriffsebene hinausgehen. Im wissenschaftlichen Diskurs scheint sich zuletzt ein Wandel hin zu einem reflektierten Umgang mit den einzelnen Begriffen sowie einer differenzierteren Betrachtungsweise dieser Termini anzudeuten. Die Vielzahl unterschiedlicher Begrifflichkeiten sowie möglicherweise damit einhergehender Konzepte wird ebenso diskutiert wie Vor- und Nachteile einzelner Termini (vgl. u. a. Attia 2013; Elahi & Khan 2017; Logvinov 2017; Pfahl-Traughber 2012; Schiffer 2011).

Was folgt nun aus der zuvor skizzierten Debatte um unterschiedliche Begriffe und Konzepte für diese Arbeit? Der häufig verwendete Begriff Islamophobie transportiert eine Vorstellung des Phänomens als Angststörung im Sinne einer Krankheit. Die Islamophoben werden als Opfer von Bedrohungen durch Muslim*innen und den Islam gezeichnet. Der hervorgerufene Frame ist gefährlich und schlichtweg nicht zutreffend, sodass dieser Begriff abzulehnen und zu vermeiden ist. Dies gilt umso mehr für den deutschsprachigen Raum, wo mit dem Begriff Islamfeindlichkeit ein weniger problematisches Wort zur Verfügung steht und bereits geläufig ist, sodass auch die Anschlussfähigkeit an den Diskurs gegeben ist. Die Begriffe Antimuslimismus, Muslim*innenfeindschaft und Muslim*innenabwertung werden als Synonyme von Muslim*innenfeindlichkeit verstanden und finden aufgrund ihrer marginalen Verbreitung im Vergleich zu den anderen hier diskutierten Termini keine weitere Berücksichtigung. Islam-/Muslim*innenfeindlichkeit wie auch antimuslimischer Rassismus sind weit verbreitete Begriffe, die jedoch, wie zuvor erläutert, für unterschiedliche Konzepte stehen und daher nicht ohne weiteres synonym verwendet werden können.

Die vorliegende Arbeit versucht, beide Forschungsstränge zusammenzudenken und geht in der Konsequenz nicht von sich diametral und unvereinbar gegenüberstehenden Ansätzen aus, sondern vielmehr von einem Zusammenhang zwischen feindlichen Einstellungen bzw. Vorurteilen und rassistischen Gesellschaftsstrukturen. Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit hängen in diesem Sinne eng mit antimuslimischem Rassismus zusammen, sind ein elementarer Bestandteil desselben, stehen jedoch für eine andere Perspektive bzw. eine andere Betrachtungsebene: Islam-/Muslim*innenfeindlichkeit nimmt die individuelle Einstellungsebene sowie Verhaltensintentionen und weniger gesamtgesellschaftliche Strukturen und Machtverhältnisse in den Blick. Letztendlich manifestiert sich an diesem Beispiel die in der Soziologie bekannte Problematik der Verbindung von Mikro- und MakroebeneFootnote 10: „Es muß [sic!] für die Lösung der Aufgaben der Soziologie – die Erklärung sozialer Zusammenhänge und Prozesse – eine Verbindung zwischen den Strukturen der Gesellschaft und dem Handeln der Menschen geben“ (Esser 1999: 5; Herv. i. Orig.). Was hier als Handeln bezeichnet wird, lässt sich für die Ungleichheitsforschung übertragen in Identitätskonstruktionen (vgl. Winker & Degele 2009: 18). Trotz einer dominierenden mikrosoziologischen Perspektive, das heißt eines primären Fokus auf die individuelle Ebene, liegt dieser Arbeit die Auffassung zugrunde, dass beide hier diskutierten Forschungstraditionen wichtige Ansätze und Impulse für die Erforschung von religionsbezogener Diskriminierung und Ungleichheit liefern und alle Ebenen – individuell, institutionell, strukturell – wechselseitig aufeinander einwirken. Der antimuslimische Rassismus beschreibt dann ein System, rassistische Strukturen und Diskurse, in denen Muslim*innen oder als solche Wahrgenommene diskriminiert und als ‚anders‘ markiert werden. Ein entscheidendes Zahnrad in diesem Gefüge sind gegen Muslim*innen und den Islam gerichtete Vorurteile, die auf individueller Ebene an der Legitimation und Reproduktion bestehender Hierarchien und Ungleichheiten mitwirken. Gleichzeitig sind feindliche Einstellungen, die sich gegen den Islam und Muslim*innen richten, in ihrer Genese nicht unabhängig von rassistischen Strukturen und werden in diesen reproduziert. In dieser Logik können Islamfeindlichkeit, also feindliche Einstellungen gegenüber der Religion des Islams, sowie Muslim*innenfeindlichkeit, also feindliche Einstellungen gegenüber Menschen aufgrund ihres tatsächlichen oder zugeschriebenen muslimischen Glaubens, als zwei Säulen im Rahmen des antimuslimischen Rassismus verstanden werden, welcher hier als gesellschaftliches Verhältnis gedacht wird.

Was also resultiert aus dieser theoretischen Perspektive für die Terminologie der vorliegenden Studie? Die Fragestellung der Arbeit bewegt sich auf der Einstellungsebene und beschäftigt sich mit der Messung von Vorurteilen und Verhaltensintentionen gegenüber Muslim*innen und dem Islam in standardisierten Befragungen. Aufgrund der primären Orientierung an der Vorurteilsforschung und dem Interesse an der Erfassung feindlicher Einstellungen gegenüber einer spezifischen Gruppe werden im weiteren Verlauf dieser Arbeit die Begrifflichkeiten Islamfeindlichkeit und Muslim*innenfeindlichkeit verwendet, sofern nicht explizit andere Studien zitiert werden, die andere Termini verwenden. Durch die Terminologie Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit wird der Fokus dieser Arbeit auf Einstellungen auf individueller Ebene und ihre Erfassung im Rahmen von Surveys betont – in dem gleichzeitigen Wissen, dass diese nicht losgelöst von gesellschaftlichen Strukturen und Machtverhältnissen existieren. Der Begriff des antimuslimischen Rassismus wird nicht abgelehnt; er geht weit über individuelle feindliche Einstellungen hinaus und ist für umfassende Analysen des Phänomens auf struktureller Ebene unabdingbar. Sobald es um (strukturelle) Diskriminierung geht, ist dieser Begriff zu bevorzugen. Wenn in dieser Arbeit Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit als unterschiedliche Dimensionen eines übergeordneten Phänomens bezeichnet werden, kann dieses übergeordnete Phänomen als antimuslimischer Rassismus begriffen werden, in dessen Rahmen feindliche Einstellungen eine von vielen tragenden Säulen sind.

Hierzu sei angemerkt, dass in englischsprachigen ebenso wie in einigen deutschsprachigen Studien zur Dimensionalisierung des Phänomens eine Subsumierung der unterschiedlichen Dimensionen unter dem Oberbegriff Islamophobia bzw. Islamophobie weit verbreitet ist (vgl. u. a. Leibold & Kühnel 2003, 2006; Uenal 2016; Uenal et al. 2021). Aus den zuvor genannten Gründen wird in dieser Arbeit auf den (Ober-)Begriff Islamophobie verzichtet. Stattdessen werden Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit als Säulen des antimuslimischen Rassismus interpretiert. Durch die zunehmend zu beobachtende Gleichsetzung von Islamophobia und anti-Muslim racism im englischsprachigen Raum ist der Unterschied möglicherweise bisweilen nur mehr ein terminologischer, der jedoch nach wie vor auf unterschiedliche Forschungstraditionen verweist. Studien zur Dimensionalisierung scheinen eher in der Vorurteilsforschung denn in der rassismuskritischen Forschung verortet zu sein, was die Verwendung des Begriffs Islamophobia erklärt. Die unterschiedlichen Traditionen, in denen diese Begriffe stehen, können jedoch nicht vollständig außer Acht gelassen werden. Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit als Elemente auf individueller Ebene (Mikroebene) innerhalb gesamtgesellschaftlicher Strukturen (Rassismus, Makroebene) zu begreifen, ist daher durchaus ein innovativer Ansatz. Für diese Arbeit löst er das Problem, das ‚übergeordnete Phänomen‘, von welchem Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit potentiell zwei unterschiedliche Dimensionen bzw. Säulen sind, zu benennen und Mikro- und Makroebene miteinander zu verbinden.

Die Entscheidung bei der Wahl der Terminologie für die Begriffe Islamfeindlichkeit und Muslim*innenfeindlichkeit bringt zudem auf sprachlicher Ebene einen großen Vorteil mit sich: Der Feindlichkeitsbegriff existiert sowohl in der Kombination mit dem Begriff Islam als auch mit dem Begriff Muslim*innen und kann sich damit sowohl auf die Religion als auch auf Menschen beziehen, was in dieser Form für den Begriff des antimuslimischen Rassismus nicht gilt. Rassismus bezieht sich auf Menschen und die strukturellen Bedingungen, in denen sie leben, und bietet daher kein Pendant für eine ablehnende Haltung gegenüber Religionen, Ideologien oder Ähnlichem. Die Begriffe Islamfeindlichkeit und Muslim*innenfeindlichkeit hingegen lassen sich gut gegenüberstellen. Die Unterscheidung von Religion und Menschen als Adressat*innen feindlicher Einstellungen wird hier besonders akzentuiert, da es keine Variation in Bezug auf das zugrundeliegende Konzept gibt (wie es etwa bei der Gegenüberstellung von Islamfeindlichkeit und antimuslimischem Rassismus der Fall wäre). Das zentrale Anliegen dieser Arbeit besteht darin, feindliche Einstellungen gegenüber Muslim*innen (‚Muslim*innenfeindlichkeit‘) von feindlichen Einstellungen gegenüber dem Islam (‚Islamfeindlichkeit‘) zu unterscheiden und zu prüfen, inwiefern sich auf empirischer Ebene Evidenz für eine Differenzierung der beiden Phänomene findet, weshalb die Akzentuierung von Islam und Muslim*innen bei der Wahl der Terminologie für die Fokussierung auf die Forschungsfrage sehr förderlich ist und keine Nebenschauplätze im Sinne einer Gegenüberstellung unterschiedlicher Konzepte aufmacht.

Exkurs: Abgrenzung Islamkritik

In nicht immer eindeutiger Abgrenzung zu den zuvor diskutierten Termini stehen Begriffe, die auf eine „menschenrechtlich orientierte Kritik am Islam und den Muslimen“ (Pfahl-Traughber 2012: 14) abzielen. Laut Pfahl-Traughber muss unterschieden werden zwischen einer „pauschalen Verdammung der Religion als Ausdruck von Gewalt und Verderbnis“ und berechtigter Kritik mit Verweis auf den Islam, beispielsweise im Bereich der Gleichstellung von Mann und Frau.Footnote 11 Islamkritik bezieht sich somit auf legitime, aufgeklärte Religionskritik und nicht auf ressentimentgeladene Feindlichkeit gegenüber Muslim*innen (vgl. Decker et al. 2012). Der Begriff Islamkritik selbst ist jedoch nicht unproblematisch, da diese Wortneuschöpfung kein Pedant hat – etwa Christentumskritik oder Hinduismuskritik (vgl. Shooman 2019: 18). Der Grat zwischen legitimer Kritik an einer Religion und als ‚Islamkritik‘ getarnter Ressentiments (Umwegkommunikation) ist oft schmal (vgl. ebd.).

Im bereits im Jahr 1997 veröffentlichten Bericht des Runnymede Trust wird zwischen open views und closed views auf den IslamFootnote 12 unterschieden. Islamophobia wird hier vor allem in Abgrenzung zu legitimer Kritik am Islam konzeptionalisiert. Zur Unterscheidung von Vorurteilen bzw. Feindlichkeit und legitimer Kritik nennt der Bericht acht Aspekte:

  1. „1.

    Whether Islam is seen as monolithic and static, or as diverse and dynamic.

  2. 2.

    Whether Islam is seen as other and separate, or as similar and interdependent.

  3. 3.

    Whether Islam is seen as inferior, or as different but equal.

  4. 4.

    Whether Islam is seen as an aggressive enemy or as a cooperative partner.

  5. 5.

    Whether Muslims are seen as manipulative or as sincere.

  6. 6.

    Whether Muslim criticisms of ‘the West’ are rejected or debated.

  7. 7.

    Whether discriminatory behavior against Muslims is defended or opposed.

  8. 8.

    Whether anti-Muslim discourse is seen as natural or as problematic.“ (Conway 1997: 4).

Insgesamt gibt es Überschneidungen dieses Verständnisses von Islam-/Muslim*innenfeindlichkeit und anderen zuvor skizzierten Definitionsversuchen, etwa die wahrgenommene Höherwertigkeit der Ingroup oder pauschalisierende Äußerungen und damit die Homogenisierung der Outgroup.

Circa 20 Jahre später finden sich in der Literatur insbesondere drei Punkte immer wieder, wenn es um die Enttarnung von Islam-/Muslim*innenfeindlichkeit im Vergleich zu legitimer und differenzierter Kritik an Religion(en) im Allgemeinen und dem Islam im Speziellen geht.

  1. 1.

    Handelt es sich um generalisierende Zuschreibungen? Ist die Rede von ‚allen‘ oder ‚den meisten‘ Muslim*innen? Fehlt eine differenzierte Betrachtung? Werden Muslim*innen und/oder der Islam als monolithischer Block gezeichnet? Homogenisierungen von Islam und/oder Muslim*innen sind ein erstes wichtiges Indiz für das Vorliegen feindlicher Einstellungen im Gegensatz zu legitimer und differenzierter Kritik (vgl. Shooman 2019: 17). Damit einher geht die Annahme, der Islam stelle für Muslim*innen die wichtigste und einzige Identitätsquelle dar (vgl. Decker et al. 2012: 89; vgl. auch Abschn. 2.3.2).

  2. 2.

    Welche Intention wird verfolgt? Geht es wirklich um die Sache, sollen aktuelle Verhältnisse tatsächlich verbessert werden? Oder handelt es sich vielmehr um eine Instrumentalisierung zur Legitimierung von Ausgrenzungspraxen, etwa wenn es um Geschlechtergerechtigkeit im Islam geht (vgl. Shooman 2019: 18)?

  3. 3.

    Haben wir es mit dem „für Vorurteile typische[n] doppelte[n] Standard [zutun], der existierende Ungleichwertigkeitsvorstellungen in der eigenen Kultur und Religion ausblendet und der eigenen Kultur und Religion Veränderungspotenzial zubilligt, der von Muslimen jedoch nicht“ (Zick et al. 2016a: 39)? Oder findet eine „Selbstreflexion über die eigene Gesellschaft“ (Decker et al. 2012: 91) statt? So wird beispielsweise die Rolle der Frau im Islam häufig als Argument herangezogen, um Ressentiments zu legitimieren, ohne eigene reaktionäre Frauenbilder zu thematisieren und zu hinterfragen (vgl. Shooman 2019: 18). Zur Legitimierung von Rassismus wird der eigene Sexismus also externalisiert (vgl. ebd. 2014: 78). Diese Strategie des ‚Gendernationalismus‘ versucht, Geschlechtergleichheit als Maßstab zu setzen, um zu definieren, wer dazugehört und wer nicht (vgl. Dahinden et al. 2018). Dabei werden Migrant*innen im Allgemeinen und Muslim*innen im Speziellen als rückständig und gefährlich im Vergleich zur eigenen vermeintlichen Fortschrittlichkeit in Bezug auf die Gleichstellung der Geschlechter präsentiert (vgl. Schutzbach 2018: 101). Das Messen mit zweierlei Maß bzw. der „doppelte Standard“ (Zick et al. 2016a: 39) kann als drittes wichtiges Merkmal zur Erkennung von Vorurteilen im Vergleich zu differenzierter und legitimer Kritik angesehen werden.

    Im Rahmen empirischer Studien gibt es immer wieder Versuche der Operationalisierung von Islamkritik, etwa mit Blick auf die Differenzierung von Islam-/Muslim*innenfeindlichkeit und legitimer Kritik am Islam (vgl. Decker et al. 2012; Imhoff & Recker 2012). Die Messung von Islamkritik auf manifester Ebene ist jedoch alles andere als trivial, was sich nicht zuletzt an einigen durchaus problematischen und mitunter suggestiven Items wie etwa „Der vom Islam vorgeschriebenen rigiden Geschlechtertrennung sollte – ob im Gesundheitswesen oder im Sportunterricht – nicht nachgegeben werden.“ (Decker et al. 2012: 92) ablesen lässt. Instrumente zur Messung von Islamkritik enthalten aber auch Aussagen, die sich auf Religionen und Kritik an Religionen im Allgemeinen beziehen, etwa „Religion should be [a] private matter; to use one’s own religious convictions and feelings as a measure of how others should behave is undemocratic.“ (Imhoff & Recker 2012: 815). Wieder andere Items bemühen sich um eine Differenzierung von fundamentalistischem und nicht-fundamentalistischem Islam („One can fight against the political ideology of Islamic fundamentalism without having anything against non-fundamentalist Muslims.“; ebd.). Letzteres Item ist zudem mit Blick auf die Fragestellung dieser Arbeit interessant, da hier eine (fundamentalistische) Ideologie (nicht-fundamentalistischen) Menschen gegenübergestellt wird. Die Items sind zudem problematisch, da sie zum Teil sehr unterschiedliche Bereiche abdecken und die Zustimmung zu den Items bzw. ihre Ablehnung durchaus unterschiedlich interpretiert werden kann. Inwiefern tatsächlich eine islam- bzw. religionskritische Haltung gemessen wird, ist daher mindestens diskussionswürdig (auch wenn eine entsprechende tiefergehende Diskussion an dieser Stelle nicht möglich ist, da sie den Rahmen dieses Exkurses sprengen würde).

    Auch wenn am Begriff der Islamkritik aufgrund eines fehlenden Pendants in anderen Religionen durchaus Kritik geübt wird, gibt es immer wieder mal mehr, mal weniger erfolgreiche Bemühungen, Islamkritik theoretisch und empirisch von Islam-/Muslim*innenfeindlichkeit abzugrenzen. Diese Abgrenzung ist zwar nicht das zentrale Anliegen der vorliegenden Arbeit, im Kontext der Unterscheidung zwischen legitimer Kritik an einer Religion und Diskriminierung von Menschen gibt es jedoch immer wieder thematische Berührungspunkte und Überlappungen (vgl. hierzu Abschn. 3.4.1).

3.3 Messung von Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit: Operationalisierung und empirische Praxis in Deutschland

Während Kritik an einzelnen Begriffen häufig zu finden ist – dem Islamophobie-Begriff beispielsweise eine Pathologisierung des Problems (vgl. u. a. Bühl 2010; Wehling 2017) und der Islamfeindlichkeit eine terminologische Verhaftung auf der Einstellungsebene ohne Berücksichtigung struktureller Diskriminierung und eine rassismustheoretische Einordnung (vgl. Attia 2013) vorgeworfen wird – ist die Operationalisierung des Konzepts, also die Übersetzung des theoretischen Konstrukts auf die manifeste Ebene, deutlich seltener Gegenstand wissenschaftlicher oder gar politischer Debatten. Die zuvor skizzierten Diskussionen werden bei der konkreten Messung des Phänomens nur eingeschränkt berücksichtigt. Ein Grund für die nur langsam voranschreitende Anpassung der Erhebungsinstrumente in der quantitativen Forschung liegt in dem Dilemma, auf der einen Seite zwar Diskurse berücksichtigen und neue, angepasste Indikatoren entwickeln zu wollen, auf der anderen Seite jedoch eine größtmögliche Konstanz der Erhebungsinstrumente gewährleisten zu müssen, um vergleichende Analysen – etwa im Zeitverlauf oder zwischen verschiedenen Ländern oder Personengruppen – sicherstellen zu können (vgl. Dietrich 2017: 38). Nichtsdestotrotz haben entsprechende Diskurse mittlerweile zu Veränderungen in der Erforschung von islam-/muslim*innenfeindlichen Einstellungen auf manifester Ebene beigetragen. Dass die zuvor beschriebenen Diskussionen über theoretische Überlegungen hinausgehen und mittlerweile zu konkreten Konsequenzen in der empirischen Praxis geführt haben, wird zum Beispiel an den im Folgenden nachgezeichneten definitorischen und terminologischen Anpassungen im Rahmen der GMF- und Mitte-Studien deutlich.Footnote 13 Darüber hinaus gibt dieses Kapitel einen tabellarischen Überblick über weitere Formen der Operationalisierung von Islam- bzw. Muslim*innenfeindlichkeit in Deutschland. Diese sollen einen allgemeinen Eindruck gängiger Operationalisierungspraxen vermitteln, werden jedoch nicht in demselben Detailreichtum ausgeführt wie zuvor die GMF- und Mitte-Studien.

3.3.1 Operationalisierungspraxen in populären Studien

Veränderungen von Messinstrumenten lassen sich am besten im Zeitverlauf beobachten. Aus diesem Grund eignen sich insbesondere die longitudinalen GMF- und Mitte-Studien zur Illustration der dynamischen Entwicklung von Terminologien, Definitionen und Operationalisierungen im Zusammenhang mit Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit.

Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit Footnote 14

Die Langzeitstudie zum Syndrom Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit widmet sich der Analyse von (Zusammenhängen zwischen) feindlichen Einstellungen gegenüber Menschen aufgrund ihrer faktischen, vermuteten oder zugeschriebenen Gruppenzugehörigkeit (vgl. Heitmeyer 2003a: 14). Eine der untersuchten Facetten bezieht sich auf die Abwertung von Muslim*innen (vgl. Abschn. 1.3) und wird zunächst als Islamphobie (später: Islamophobie, Islamfeindlichkeit) bezeichnet. Unter Islamphobie verstehen die Autor*innen „Bedrohungsgefühle und die ablehnenden Einstellungen gegenüber der Gruppe der Muslime, ihren Ritualen und öffentlich-politischen wie religiösen Aktivitäten“ (ebd.: 15). Operationalisiert wird diese Facette in der ersten Welle überwiegend über zwei Items (vgl. ebd. 2002a: 26):

„Die Muslime in Deutschland sollten das Recht haben, nach ihren eigenen Glaubensgesetzen zu leben.“

„Es ist alleine Sache der Muslime, wenn sie über Lautsprecher zum Gebet aufrufen.“

Auf manifester Ebene verbergen sich hinter Islamphobie demnach die Ablehnung der Religionsausübung von Muslim*innen sowie die Ablehnung des Muezzinrufs, also die „Intoleranz gegenüber islamischen Praktiken“ (Leibold & Kühnel 2003: 101). Die Korrelation mit anderen Facetten Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit ist nicht besonders stark, sodass die Autor*innen der Studie eine Sonderstellung für das Konstrukt Islamphobie konstatieren (vgl. Heitmeyer 2002a: 25). In der zweiten Welle werden zwei weitere Items als Indikatoren für Islamphobie eingeführt (vgl. ebd. 2003a: 22):

„Muslimen sollte die Zuwanderung nach Deutschland untersagt werden.“

„Durch die vielen Muslime hier fühle ich mich manchmal wie ein Fremder im eigenen Land.“

Die neuen Items beziehen sich nicht auf religiöse Praktiken, sondern können als generelle Ablehnung gegenüber Muslim*innen in Deutschland zusammengefasst werden (vgl. Leibold & Kühnel 2003: 103). Islamphobie korreliert nun mit anderen Facetten Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, insbesondere mit der Facette Fremdenfeindlichkeit (Faktorkorrelationen: 0,91 in Westdeutschland bzw. 0,94 in Ostdeutschland) (vgl. Heitmeyer 2003a: 19). Dies ist wenig verwunderlich, da sich die neuen Items auf Zuwanderung und Fremdheit konzentrieren. Die Aussagen beziehen sich nun viel stärker auf eine geographisch-nationalstaatliche Dimension und zeichnen ein Bild von muslimischen Immigrant*innen. Sich durch Muslim*innen „wie ein Fremder im eigenen Land“ zu fühlen, suggeriert, dass Muslim*innen fremd sind und Deutschland nicht ‚ihr‘ Land ist. In der dritten Welle im Jahr 2004 wird Islamphobie entsprechend dem englischen Begriff in Islamophobie umbenannt. Die Operationalisierung mit den vier oben genannten Items wird jedoch beibehalten (vgl. ebd. 2005a: 15). Ab der vierten Welle wird schließlich primär mit der neuen, 2003 eingeführten Kurzskala zur Messung von Islamophobie gearbeitet (vgl. ebd. 2006a: 28). In der fünften Welle kommt es bei gleichbleibender Operationalisierung und gleicher Terminologie zu einer leichten Neujustierung der Definition von Islamophobie:

„Islamophobie umfaßt [sic!] die Ablehnung und Angst vor Muslimen, ihrer Kultur und ihren politischen und religiösen Aktivitäten.“ (ebd. 2007a: 17).

Das Label Islamophobie wir fortgeführt – und in der neuen Definition taucht nun auch erstmals tatsächlich der Begriff der Angst auf, welcher den Begriff der Bedrohungsgefühle ersetzt. Weiterhin wird unter diesem Phänomen jedoch sowohl die Ablehnung von Muslim*innen als Menschen als auch die Ablehnung der islamischen Kultur und religiöser Aktivitäten verstanden. Islamophobie bezieht sich folglich nach wie vor auf beide Ebenen: Menschen und Religion. Die letzte Veränderung findet schließlich in der zehnten und finalen Welle der Langzeitstudie von Heitmeyer und Kolleg*innen statt. Im Jahr 2012 wird aus Islamophobie Islamfeindlichkeit. Der umstrittene Phobie-Begriff wird nicht länger verwendet. Das neue Label löst nun zwar die Probleme des Phobie-Begriffs, bezieht sich wörtlich jedoch ebenfalls auf den Islam, während die Definition wie auch die Operationalisierung weiterhin explizit von Muslim*innen spricht. Die zugrundeliegende Operationalisierung für diese Facette der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit bleibt in der zehnten Welle unverändert.

Mitte-Studien des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung

Seit 2014 gibt die Friedrich-Ebert-Stiftung in Kooperation mit dem Institut für Interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld alle zwei Jahre die Mitte-Studie heraus. Die Ideen zum Syndrom Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit werden hier wieder aufgegriffen und weiterverfolgt. Auch die Abwertung von Muslim*innen wird mittels der zuletzt verwendeten GMF-Kurzskala in der Mitte-Studie erfasst (vgl. Zick & Klein 2014). Im Jahr 2014 wird die interessierende Facette noch – wie in der zehnten Welle der GMF-Studien – Islamfeindlichkeit genannt. Um nun entsprechend der Operationalisierung den Fokus auf Muslim*innen (anstelle des Islams) auch auf sprachlicher Ebene hervorzuheben, wird zwei Jahre später reagiert: In der Mitte-Studie 2016 findet sich erstmals der Oberbegriff „Muslimfeindlichkeit“ sowie eine umfassendere, sowohl den Islam als auch Muslim*innen berücksichtigende Definition (vgl. Zick et al. 2016a). Der Begriff Muslim*innenfeindlichkeit bildet die verwendeten Items adäquater ab als die Begriffe Islam(o)phobie und Islamfeindlichkeit. Definiert wird Muslim*innenfeindlichkeit in der Mitte-Studie wie folgt:

„Muslimfeindlichkeit bezeichnet eine generalisierende Abwertung von Menschen, […] die tatsächlich oder nur vermutet Muslime sind. Der hierbei mitschwingende Rassismus artikuliert sich insbesondere in Verweisen auf Kultur und Religion, oft vermittelt über eine Abwertung des Islams, die dann zur Rechtfertigung der pauschalisierten Abwertung von Muslimen dient“ (ebd.: 39).

Die Autor*innen verweisen explizit auf die Möglichkeit der Abwertung von Muslim*innen über den Umweg der Abwertung des Islams. Die Betonung dieser Umwegkommunikation indiziert, dass zwischen feindlichen Einstellungen gegenüber dem Islam und feindlichen Einstellungen gegenüber Muslim*innen unterschieden wird. Zumindest in der Theorie werden beide separat benannt und zueinander in Verbindung gesetzt. Die Definition umfasst darüber hinaus Aussagen zu Manifestationen von Muslim*innenfeindlichkeit:

„Ausgedrückt wird dies durch die Unterstellung von Bedrohungen durch ihre Zugehörigkeit zum Islam, durch ihre Kultur oder ihre öffentlich-politischen wie religiösen Aktivitäten und Verhaltensweisen, die nicht selten unhinterfragt der Religion zugeschrieben werden, statt veränderbaren und sich verändernden (regionalen) Ausprägungen. Insbesondere der Verweis auf fehlende Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern wird nicht selten undifferenziert der Religion insgesamt zugeschrieben, um dann als Legitimation für eine pauschalisierte Abwertung herangezogen zu werden“ (ebd.).

Die undifferenzierte Beurteilung einer Religion kann sowohl in der Abwertung derselben als auch in der Abwertung ihrer Anhänger*innen münden und steht nicht selten in starker Abgrenzung zur eigenen Religion. Unzulänglichkeiten der eigenen Religion werden ausgeblendet. Gleichzeitig wird ihr ein Veränderungspotential zugebilligt, das dem Islam abgesprochen wird (vgl. ebd.).

In der Mitte-Studie 2018/2019 gibt es keine Veränderung in der Benennung des Phänomens („Muslimfeindlichkeit“; ebd. 2019), ebenso wenig in der Operationalisierung (GMF-Kurzskala). Die zugrundeliegende Definition ähnelt jener aus dem Jahr 2016:

„Muslimfeindlichkeit beschreibt im Kern die Abwertung von Menschen, weil sie Muslime sind, bzw. […] eine Abwertung von Menschen, die als Mitglieder einer bestimmten Gruppe, des Islams, kategorisiert werden. […] Das Vorurteil zeigt sich insbesondere in einer unterstellten Bedrohung durch den Islam, durch Kultur bzw. durch öffentliche, politische oder auch private Verhaltensweisen, die unhinterfragt der Religion zugeschrieben werden bzw. über alle Muslime so generalisiert werden, als wenn dies ihre Natur sei. In der Muslimfeindlichkeit verbirgt sich auch ein kultureller Rassismus, der über eine Abwertung des Islams und bestimmter kultureller Praktiken der pauschalen Abwertung von Muslimen dient“ (ebd.: 60).

Muslim*innen als Anhänger*innen des Islams werden (auch) über den Umweg des Islams abgewertet. Zuschreibungen zum Islam werden über Muslim*innen generalisiert und naturalisiert. Die Definition von 2018/19 zeigt, dass der Islam als Religion und Muslim*innen als Menschen zwar schwer voneinander zu trennen sind, der Komplexität des Verhältnisses von Islam und Muslim*innen in Bezug auf Abwertungsmechanismen jedoch mittlerweile mehr Rechnung getragen wird als dies in früheren Definitionen der Fall war.

Die aktuelle Mitte-Studie aus dem Jahr 2020/2021 enthält keine Definition für Muslim*innenfeindlichkeit. Die Terminologie – „Muslimfeindlichkeit“ – bleibt erhalten, die Operationalisierung hingegen erfährt nach mehr als 15 Jahren eine Veränderung. Trotz einer gewissen Stabilität von Vorurteilen passen sich Vorurteile dem Zeitgeist an und unterliegen damit im Zeitverlauf einem stetigen Wandel (vgl. Zick 2021: 185). Aus diesem Grund kann eine Aktualisierung der Operationalisierung notwendig werden. Auch weiterhin werden zwei Items als Indikatoren für muslim*innenfeindliche Einstellungen herangezogen, allerdings ersetzt das Item „Die Mehrheit der Muslime findet islamistischen Terrorismus gerechtfertigt.“ nun das Item „Durch die vielen Muslime hier fühle ich mich manchmal wie ein Fremder im eigenen Land.“ (Zick 2021: 188). Die neue Kurzskala legt damit einen stärkeren Schwerpunkt auf Terrorismus und verzichtet auf die Erfassung subjektiver Gefühle von Fremdheit. Zudem enthält die Mitte-Studie 2020/21 eine neue Skalierung in Form einer fünften Antwortoption, eine sogenannte Mittelkategorie (teils/teils), die erstmals 2018/19 parallel zur vierstufigen Antwortskala eingesetzt wurde und diese nun vollständig ablöst. Bedingt durch die neue Skalierung sowie den Itemwechsel sind Vergleiche zum Ausmaß von Muslim*innenfeindlichkeit zwischen 2020/21 und früheren Jahren nur noch eingeschränkt möglich.

Mitte-Studien / Autoritarismus-Studien der Universität Leipzig

Vor der Kooperation der Friedrich-Ebert-Stiftung ab 2014 mit dem Institut für Interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld wurde die Mitte-Studie von 2006 bis 2012 ebenfalls alle zwei Jahre an der Universität Leipzig durchgeführt. Islamfeindlichkeit taucht in diesem Zeitraum erstmals in der Erhebung von 2010 auf. Operationalisiert wurde die Facette zu diesem Zeitpunkt über zwei Items (Decker & Brähler 2010: 134):

„Ich kann es gut verstehen, dass manchen Leuten Araber unangenehm sind.“

„Für Muslime in Deutschland sollte die Religionsausübung erheblich eingeschränkt werden.“

Die für den antimuslimischen Rassismus typische Ethnisierung der Kategorie Muslim*in zeigt sich auch im ersten Item, welches sich nicht auf Muslim*innen, sondern auf Araber*innen bezieht. Zwei Jahre später heißt das Phänomen Islamfeindschaft und wird über eine Vielzahl von Items operationalisiert (Decker et al. 2012: 92):

„Die islamische Welt ist rückständig und verweigert sich den neuen Realitäten.“

„Der Islam ist eine archaische Religion, unfähig sich an die Gegenwart anzupassen.“

„Ich denke, dass die Nähe von Islam und Terrorismus schon im Islam selber und seinen aggressiven Seiten angelegt ist.“

„Jegliche Kritik von Vertretern des Islam an der westlichen Welt ist übertrieben und ungerechtfertigt.“

„Muslime und ihre Religion sind so verschieden von uns, dass es blauäugig wäre, einen gleichen Zugang zu allen gesellschaftlichen Positionen zu fordern.“

Diese Items umfassen unterschiedliche Facetten von Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit. Sie beziehen sich neben dem Islam, welcher explizit als Religion benannt wird, auch auf Zugangschancen von Muslim*innen zu gesellschaftlichen Positionen. Dieses Item geht über Religiosität und Religionsausübung von Muslim*innen weit hinaus und bezieht auch andere gesellschaftliche Bereiche ein. Darüber hinaus gibt es ein Item, das sich auf „die islamische Welt“ bezieht und damit offenlässt, was hier im Einzelnen gemeint ist.

Seit 2014 verwendet die Leipziger Mitte-Studie zur Operationalisierung von Islamfeindschaft (bzw. seit 2018 Muslimfeindschaft) ebenfalls die GMF-Kurzskala, bestehend aus den Items „Durch die vielen Muslime hier fühle ich mich manchmal wie ein Fremder im eigenen Land.“ und „Muslimen sollte die Zuwanderung nach Deutschland untersagt werden.“ Die Begriffe Islam oder Religion tauchen anders als in der Erhebung von 2012 nun nicht mehr auf. Stattdessen beziehen sich beide Items verstärkt auf Muslim*innen. Genau genommen beziehen sich diese Items nicht bloß auf muslimische Menschen als solche, sondern zeichnen Muslim*innen als (zugewanderte) Fremde.

Die systematische Darstellung der terminologischen und definitorischen Anpassungen im Rahmen der GMF- bzw. Mitte-Studien hat gezeigt, dass Argumentationen aus den theoretischen Debatten aufgenommen, das Phänomen differenzierter betrachtet und Änderungen für eine bessere Adäquanz von latenter und manifester Ebene vorgenommen wurden. Ein ähnlicher Prozess lässt sich auch im Rahmen der Autoritarismus-Studie 2018 aus Leipzig beobachten, die, wie zuvor geschildert, ebenfalls auf die GMF-Kurzskala zurückgreift. Während in den vorangegangenen Studien seit 2010 von Islamfeindlichkeit bzw. von Islamfeindschaft die Rede war, passten die Autor*innen ihre Terminologie im Jahr 2018 auf Basis der oben skizzierten Argumentation an und nannten das untersuchte Phänomen fortan Muslimfeindschaft:

„Wir folgen mit dem Begriff Muslimfeindschaft Pfahl-Traughber (2012), der den Begriff Muslimfeindlichkeit vorgeschlagen hat. Den Begriff Islamophobie verwenden wir aus mehreren Gründen nicht mehr. Zum einen enthält der von uns adaptierte Fragebogen der Studiengruppe ‚Deutsche Zustände‘ zwei Aussagen, die sich gegen Muslima und Muslime wenden, während der Islam als Religion nicht Thema ist. Die Aussagen bilden das Ressentiment gegenüber den Angehörigen dieser religiösen Gruppe ab und nicht etwa Vorbehalte gegenüber der Religion, wie es die Bezeichnung Islamophobie nahelegt. Zum anderen wird durch die begriffliche Präzisierung dem immer wieder vorgebrachten Argument begegnet, Islamkritik als Religionskritik werde durch die Bezeichnung Islamophobie stigmatisiert. Religionskritik gehört zu den Aufgaben der Wissenschaft selbst; und Religionsfreiheit im Sinne der Aufklärung meint nicht zuletzt das Recht auf Freiheit von der Religion. Wir messen in unserer Erhebung aber keine Religionskritik, sondern Ressentiments.“ (ebd.: 67; Herv. i. Orig.).

Um die Fokussierung auf Ressentiments (im Gegensatz zu Religionskritik) auch sprachlich zu verdeutlichen, wurde daher der erste Wortteil Islam durch das Wort Muslim ersetzt, welches nun konsequenterweise das tatsächlich mit Ressentiments konfrontierte Subjekt in den (sprachlichen) Mittelpunkt rückt.

Die primäre Funktion dieses Kapitels war die Verfolgung der Entwicklung von Operationalisierungspraxen zur Verdeutlichung der Bezugnahme auf theoretische Diskurse in der empirischen Forschungspraxis einerseits sowie der Flexibilität der Kombinationen, um nicht zu sagen Austauschbarkeit, von Terminologien, Definitionen und Operationalisierungen im Zusammenhang mit der Erfassung von Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit andererseits. Zur Erreichung dieses Ziels eignete sich am besten ein Blick auf Langzeitstudien und die verschiedenen Anpassungen im Zeitverlauf. Exemplarisch wurden hierzu die Entwicklungen in den eng zusammenhängenden Studien zur Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit sowie den Mitte-Studien der Universitäten Bielefeld und Leipzig nachgezeichnet. Es dürfte deutlich geworden sein, dass eine Adäquanz von manifester und latenter Ebene in der Forschung zu Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit nicht immer gegeben war, jedoch zunehmend diskutiert und angestrebt wird.

3.3.2 Weitere Formen der Operationalisierung

Es gibt weitere Studien und Datensätze, die sich ausschließlich oder am Rande, etwa in Form einzelner Fragen(blöcke), mit Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit befassen. Tabelle 3.1 vermittelt einen Eindruck der in Deutschland verwendeten Items zur Erfassung von Einstellungen gegenüber dem Islam und gegenüber Muslim*innen. Die entsprechenden Studien werden an dieser Stelle nicht im Detail erläutert, auf die meisten finden sich jedoch zahlreiche Verweise in dieser Arbeit. Auf einige wird darüber hinaus in Abschn. 3.4.2 näher eingegangen.

Tabelle 3.1 Übersicht der in Deutschland verwendeten Items zur Erfassung von Einstellungen gegenüber dem Islam und gegenüber Muslim*innen (eigene Darstellung)

Tabelle 3.1 zeigt die vielfältigen Möglichkeiten, islam- und muslim*innenfeindliche Einstellungen sowie verwandte Komponenten, etwa mit Bezügen zu Themen wie Moscheebau, Kopftuch, religiöse Rechte, Islamismus, Verschwörungserzählungen, Segregation oder Zuwanderung, quantitativ zu erfassen. Die dargestellten Studien beschäftigen sich zum Teil durchaus mit unterschiedlichen Facetten von Islam-/Muslim*innenfeindlichkeit, jedoch nicht immer auch mit der Unterscheidung zwischen Islamfeindlichkeit und Muslim*innenfeindlichkeit, das heißt mit den Adressat*innen der feindlichen Einstellungen. Auffällig ist ein unterschiedliches Maß an Gleichsetzung von Islam und Muslim*innen innerhalb der einzelnen Studien. Beim ALLBUS 2016 beispielsweise werden „Einstellungen zum Islam in Deutschland“ erfasst. Drei der sechs verwendeten Items beziehen sich jedoch auf Muslim*innen (vgl. GESIS 2017). Auch bei Zick et al. (2011b) adressieren zwei von drei Items zur Erfassung von Islamfeindlichkeit Muslim*innen. In derartigen Fällen scheinen Muslim*innen unter die Kategorie Islam zu fallen. Bitterer et al. (2019) hingegen unterscheiden durchaus zwischen den Adressat*innen der feindlichen Einstellungen, indem sie zwischen dem Faktor Islam und dem Faktor Muslim*innen unterscheiden. Darüber hinaus bilden sie thematische Blöcke und betrachten separat Einstellungen zu Objekten wie dem Kopftuch oder (dem Bau von) Moscheen als Symbole der islamischen Religion. Auch in anderen Studien wird auf manifester Ebene explizit zwischen Einstellungen gegenüber dem Islam und gegenüber Muslim*innen unterschieden (vgl. Diekmann 2017, 2020b; Frindte & Dietrich 2017; Uenal 2016; Uenal et al. 2021). Insgesamt verdeutlicht Tabelle 3.1 die Vielfältigkeit gängiger Operationalisierungen und die Vielschichtigkeit des Phänomens.

3.3.3 Kritik der Operationalisierung von Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit in der quantitativen Forschung

Abschn. 3.3 konnte bisher einen guten Überblick über gängige Operationalisierungen von Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit in der Forschungspraxis geben. Die Erfassung von Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit im Rahmen quantitativer Befragungen mithilfe verschiedener Items, wie sie zuvor expliziert wurde, ist zwar weit verbreitet, jedoch nicht frei von Kritik.

Eine zentrale Kritik lautet, dass Hintergründe und Motivationen für ein bestimmtes Antwortverhalten nicht erfasst werden. Es bleibt beispielsweise unklar, ob eine Zustimmung zum Item „Der Islam ist frauenfeindlich“ aus einer rassistischen Haltung resultiert und der Islam hier instrumentalisiert wird (vgl. Exkurs in Abschn. 3.2) oder ob feministische Ansprüche zugrunde liegen. Genauso unklar ist oftmals, ob atheistische oder allgemein religionskritische Motive ausschlaggebend für die Bewertung eines Items sind, etwa wenn es um kopftuchtragende Lehrerinnen oder den Bau einer Moschee in der Nachbar*innenschaft geht. Kurz gesagt: Es geht um das Verkennen differenter Motive (vgl. Kahlweiß & Salzborn 2012: 259). Kritisiert werden kann bisweilen auch die Vermischung von Meinungen (Einstellungen) und Wissen (vgl. ebd.: 261). Items etwa, die auf die Unterscheidung verschiedener islamischer Glaubensrichtungen abzielen, müssen nicht zwingend Pauschalisierungen und Homogenisierungen messen, wie es etwa bei Leibold & Kühnel (2006) der Fall ist, sondern können schlichtweg Ergebnis von Unkenntnis sein. Dies könnte beispielsweise auf das Item „Der Islam hat [Musliminnen und Muslime haben] eine bewundernswerte Kultur hervorgebracht.“ zutreffen. In diesem Fall kann unter Umständen zur genaueren Erfassung eine „weiß nicht“-Option integriert werden, die jedoch möglicherweise zu einigen Ausfällen im Sinne fehlender Werte führt. Auch die Unterscheidung von Meinungen bzw. (feindlichen) Einstellungen und Beschreibungen der Wirklichkeit lässt laut Kahlweiß & Salzborn (2012) oftmals die nötige Trennschärfe vermissen. In der Regel sind die Items jedoch überaus pauschalisierend formuliert, sodass eine Zustimmung in dieser pauschalisierenden Art und Weise einer Beschreibung der Wirklichkeit nicht nahekommt und per definitionem als Vorurteil interpretiert werden kann. Differenziertere Items finden sich tendenziell eher, wenn es um die Erfassung islamkritischer Haltungen geht (vgl. Imhoff & Recker 2012).

Ein Grund für die Unsicherheit darüber, ob das Item misst, was es messen soll, kann die konzeptionelle Unschärfe sein, die der Operationalisierung zugrunde liegt. Abschn. 3.2 hat gezeigt, dass die Konzeptionalisierung von Islam-/Muslim*innenfeindlichkeit alles andere als trivial ist, nicht zwingend ein Konsens darüber besteht, was hierunter genau verstanden werden kann und noch dazu konzeptionelle Weiterentwicklungen beobachtet werden können (etwa das Gleichsetzen von Islamophobia und anti-Muslim racism im englischsprachigen Raum), die nicht unbedingt zur Schärfung der Konzepte beitragen. Die zuvor genannten Kritikpunkte sind wichtig und sollten innerhalb der quantitativen Forschung zu Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit diskutiert werden. Für die vorliegende Arbeit ist diese Diskussion jedoch nur von sekundärer Bedeutung, da explizit Items aus der Praxis verwendet werden. Es ist legitim und sogar notwendig, die Verwendung einzelner Items zu kritisieren, für die vorliegende Forschung ist jedoch kein Handlungsspielraum bei der Auswahl der Items gegeben, da hier gewissermaßen aus einer Metaperspektive auf die Erforschung von Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit geblickt und die aktuell stattfindende Forschung in diesem Bereich als Referenzpunkt genutzt wird. Anders gesagt: Diese Arbeit orientiert sich an dem, was in der Forschungspraxis da ist, also tatsächlich zum Einsatz kommt, und untersucht anhand populärer Items die Differenzierung von Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit.

Darüber hinaus können verschiedene Items aus vielfältigen anderen Gründen, die bereits angeklungen sind, problematisch sein. Das in dieser Studie nicht verwendete, aber weit verbreitete Item „Muslim*innen sollte die Zuwanderung nach Deutschland untersagt werden.“ etwa setzt Muslim*innen mit Migrant*innen gleich und reproduziert damit einerseits jene Amalgamierung, die in Debatten immer wieder zu beobachten ist (vgl. Abschn. 3.1), andererseits birgt diese Vermengung Probleme mit Blick auf die Abgrenzung zu anderen Facetten Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit wie etwa Fremdenfeindlichkeit. Wieder andere Items können problematisch sein, weil sie stark vorbelastet sind („Der Islam gehört zu Deutschland.“, vgl. Abschn. 1.2).

Ein weiterer Kritikpunkt, mit dem sich insbesondere die Vorurteilsforschung konfrontiert sieht, betrifft – zu Recht – die Reproduktion von Kategorien und Vorurteilen im Rahmen standardisierter Verfahren zur Messung ebendieser Vorurteile. Um Zustimmungswerte zu bestimmten Aussagen messen zu können, müssen diese Aussagen notwendigerweise zunächst reproduziert werden. Da das Ziel von Vorurteilsforschung nicht sein kann, entsprechende Vorurteile oder Narrative weiter zu verfestigen und möglicherweise sogar zu einer Verstärkung beizutragen, wurde zuletzt versucht, auf eine ausgewogenere Nutzung positiver und negativer Items zu achten. Auch die Ablehnung oder geringere Zuschreibung von positiven Attributen kann als Vorurteil gewertet werden (subtiles Vorurteil, vgl. Abschn. 2.1). Auch hier gilt, dass sich die vorliegende Arbeit an der Forschungspraxis orientiert, allerdings wurde darauf geachtet, dass insbesondere auch positiv formulierte Items aufgenommen wurden – in diesem Fall sind es sieben Items, die ein positives Bild vom Islam bzw. von Muslim*innen zeichnen.

Es gibt darüber hinaus andere, sogenannte implizite Verfahren, die Reaktionszeiten und damit verbundene Automatismen des kognitiven Systems untersuchen (vgl. Degner & Wentura 2008: 153), also beispielsweise die Zuordnung bestimmter Attribute zu bestimmten Namen oder Bildern. In der vorliegenden Forschung geht es jedoch um explizite Einstellungen, die mithilfe eines standardisierten Fragebogens erfasst werden. Auch wenn eine gewisse Vorsicht und kritische Betrachtung im Zusammenhang mit den in diesem Kapitel skizzierten Items sicherlich angebracht ist und Hintergründe, Motive und Ursachen oftmals unklar bleiben, so können die Items doch einen Eindruck über vorherrschende Einstellungen gegenüber dem Islam und Muslim*innen in Deutschland geben. Ein standardisierter Fragebogen ist oftmals die einzige sich bietende Möglichkeit, um verallgemeinerbare Aussagen über Einstellungen treffen zu können. Daher müssen neben den Grenzen dieses Verfahrens auch die Potentiale realistisch betrachtet und der oftmals gegebene Mangel an Alternativen anerkannt werden. Insbesondere mit Blick auf die gängige Praxis einerseits und den Forschungsschwerpunkt dieser Arbeit andererseits – die Differenzierung und der direkten Vergleich von Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit – erscheint der methodologische Ansatz einer standardisierten Befragung und damit verbunden die Verwendung entsprechender Items zur Beantwortung der Forschungsfrage angemessen zu sein.

Nach dem allgemeinen Einblick in die Praxis der Operationalisierung von Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit sowie der kritischen Einordnung dieses Verfahrens widmet sich das nun folgende Kapitel explizit der Frage nach der Differenzierung von Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit und weist damit einen verengten Fokus auf die Entflechtung der Adressat*innen der Abwertung auf.

3.4 Differenzierung von Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit: theoretische Argumentationen und empirische Befunde

„The conflation of Muslims and Islam, in other words, mixing the social identity category Muslim with the category Islam (as culture and religion), reduces two distinct social categorizations to one and other“ (Uenal 2016: 68).

Nach einem ersten Überblick über gängige Operationalisierungspraxen zur Erfassung von Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit verengt sich der Fokus in diesem Kapitel auf die explizite Differenzierung der beiden Konstrukte: Richten sich feindliche Einstellungen und Abwertungen gegen ein Objekt, namentlich die Religion des Islams, oder gegen Subjekte, nämlich Muslim*innen oder als muslimisch gelesene Menschen? Die Beschäftigung mit einer potentiellen Mehrdimensionalität des Konzepts ist im wissenschaftlichen Diskurs zunehmend zu finden. Die Differenzlinien verlaufen dabei nicht immer primär, wie in dieser Arbeit untersucht, entlang der Adressat*innen von feindlichen Einstellungen. Versuche, verschiedene Facetten von Islam- bzw. Muslim*innenfeindlichkeit zu ermitteln, zielen beispielsweise auf inhaltliche Dimensionen (vgl. Leibold & Kühnel 2003, 2006) bzw. Narrative (vgl. Kaddor et al. 2018), auf die Abgrenzung von Vorurteilen gegenüber säkularer Kritik (vgl. Imhoff & Recker 2012), auf eine Auffächerung verschiedener Bedrohungsformen (symbolisch, realistisch, terroristisch; vgl. Uenal 2016) oder auf die Demarkation von feindlichen Einstellungen und muslim*innenbezogenen Verschwörungstheorien (vgl. Uenal et al. 2021) ab. Immer wieder finden sich auch Versuche, verschiedene Skalen zur Erfassung von islam- und muslim*innenfeindlichen Einstellungen zu etablieren, etwa die Islamophobia Scale (vgl. Lee et al. 2009; Lee et al. 2013), den Attitude toward Muslim Proximity Index (vgl. Brockett et al. 2009), die Attitudes Toward Muslims Scale (vgl. Aschauer 2016); die Tripartite Islamophobia Scale (vgl. Uenal et al. 2021) oder – aus Sicht der Betroffenen – die Perceived Islamophobia Scale (vgl. Kunst et al. 2013).

Nach wie vor sind einschlägige Studien zur Differenzierung zwischen Islamfeindlichkeit und Muslim*innenfeindlichkeit im wörtlichen Sinne, also zur expliziten Unterscheidung der Adressat*innen, Mangelware, obwohl diese wichtige Erkenntnisse liefern und die sehr wohl existenten theoretischen Argumentationen empirisch untermauern (oder widerlegen) könnten. Aus den vorhandenen Studien, die sich mit einer differenzierten Messung von Islam-/Muslim*innenfeindlichkeit auseinandersetzen, lassen sich jedoch implizit oder explizit zahlreiche Schlüsse ableiten, die in Richtung einer notwendigen Differenzierung der Adressat*innen deuten (vgl. Diekmann 2017, 2020b; Frindte & Dietrich 2017; Lee et al. 2009; Leibold & Kühnel 2003, 2006; Uenal 2016; Uenal et al. 2021).

3.4.1 Theoretische Argumentationen

Bevor die einzelnen Studien und ihre Bedeutung für die Differenzierung von Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit skizziert werden, lohnt ein Blick auf theoretische Argumente für eine Unterscheidung der beiden Konzepte, die in den vergangenen Jahren insbesondere von Armin Pfahl-Traughber und Heiner Bielefeldt vorgebracht wurden. Pfahl-Traughber (2012) prangert die mangelnde Differenzierung von Islam als Glaubenssystem und Muslim*innen als Anhänger*innen einer Religion und damit als Individuen an. Religionskritik oder auch eine ablehnende Haltung gegenüber dem Islam gehen ihm zufolge nicht automatisch mit der Ablehnung und Diskriminierung von muslimischen Menschen einher (vgl. Häusler 2019: 11; Pfahl-Traughber 2012: 17). Halliday (1999) unterscheidet in diesem Zusammenhang zwischen Menschen, mit denen in einen Dialog getreten werden kann (hier: Muslim*innen), und religiösen Praktiken, die Gegenstand legitimer Kritik sein dürfen und sollten (vgl. Halliday 1999: 899). Atheist*innen oder Andersgläubige haben laut Pfahl-Traughber (2012) durchaus das Recht, die Religion des Islams abzulehnen. Diese Form der Ablehnung ist dann nicht zwingend islamspezifisch, sondern resultiert aus einer Aversion gegenüber Religion(en) im Allgemeinen. Dies bedeutet jedoch nicht zwangsläufig, so der Autor, dass diese Personen auch muslim*innenfeindlich sind (vgl. Pfahl-Traughber 2012: 17). Zumindest für die Kontrastierung von legitimer Kritik („Secular Islam Critique“) und Vorurteilen sowohl gegenüber dem Islam als auch gegenüber Muslim*innen („Islamoprejudice“) gibt es tatsächlich empirische Evidenz, dass diese beiden Dimensionen kaum miteinander korrelieren (r = 0,1; vgl. Imhoff & Recker 2012).

Nicht immer bleibt es jedoch bei Religionskritik oder Ablehnung der Religion, in diesem Fall der Ablehnung des Islams. Häufig kommt es vor, dass feindliche Einstellungen Muslim*innen oder jene, die als Muslim*innen markiert werden, treffen. In diesem Fall richten sie sich explizit gegen Menschen, die aufgrund ihres (tatsächlichen oder zugeschriebenen) Glaubens als ungleichwertig wahrgenommen und abgewertet werden. In diesem Fall können Vorurteile und feindliche Einstellungen einhergehen mit struktureller Diskriminierung wie beispielsweise verringerten Zugangschancen oder schlechteren Partizipationsmöglichkeiten für Muslim*innen (antimuslimischer Rassismus, vgl. Abschn. 3.3).

Die Vermischung von Praktiken und Symbolen des Islams mit Menschen muslimischen Glaubens kann speziell mit Blick auf die Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit äußerst problematisch sein, geht es hier doch

„um eine Diskriminierungsideologie gegen eine bestimmte Menschengruppe in Gestalt der Muslime. Deren Abwertung und Benachteiligung aufgrund dieser Identität und Zugehörigkeit kann damit unabhängig von einer Einschätzung oder Kritik des Islams erfasst werden“ (Pfahl-Traughber 2012: 21).

Islamfeindlichkeit kann ohne Muslim*innenfeindlichkeit stattfinden und umgekehrt. Beide können, müssen aber nicht zwangsläufig kongruent sein. Mit Blick auf eine adäquate Terminologie (vgl. Abschn. 3.2) lässt sich daraus ableiten, dass dem häufig als Oberbegriff für beide Praktiken verwendete Terminus Islamfeindlichkeit unter der Prämisse der potentiellen Independenz beider Phänomene die nötige Trennschärfe fehlt. Aus diesem Grund bevorzugt der Autor den Begriff Muslim*innenfeindschaft, sobald es um ablehnende Haltungen gegenüber Muslim*innen als Menschen, aber mit konkretem Bezug auf ihre religiöse Orientierung geht (vgl. ebd.: 24). Als synonym zu verstehende Termini wie Muslim*innenfeindschaft oder Muslim*innenfeindlichkeit bieten daher eine Ergänzung zum Begriff Islamfeindlichkeit, um die Ablehnung der islamischen Religion nicht pauschal mit der Ablehnung von Muslim*innen gleichzusetzen und weniger die Haltung zur Religion selbst als vielmehr zu den der Religion anhängenden Menschen (auch sprachlich) in den Mittelpunkt zu rücken (vgl. Häusler 2019: 11). Die Beschreibung von Menschen als ‚Anhänger*innen einer Religion‘ macht deutlich, dass hier die Religionszugehörigkeit die saliente und zur Gruppenbildung herangezogene Kategorie ist. Wie Abschn. 2.3.2 gezeigt hat, ist die Kategorisierung von Menschen entlang ihrer Religionszugehörigkeit zwar möglich, jedoch darf die Pluralität von Zugehörigkeiten und daraus resultierender Identitäten nicht übersehen werden. Ein Fokus auf Muslim*innen meint daher im Gegensatz zu einem Fokus auf den Islam auch, den Fokus auf Menschen zu richten, die zwar auch, aber eben nicht ausschließlich und vollumfassend Muslim*innen sind:

„Es ist dies die Einsicht, dass Menschen auch hinsichtlich ihrer religiösen Einstellungen und Praktiken handelnde Subjekte sind. Menschen sind nicht nur ‚Angehörige‘ einer Religion, deren Vorgaben sie passiv übernehmen, sondern sie verändern und entwickeln sich in ihren religiösen Mentalitäten und Identitäten – sei es durch bewusste Auseinandersetzung, sei es (vermutlich sehr viel öfter) durch alltägliche lebenspraktische Lernprozesse“ (Bielefeldt 2010: 184 f.).

Bielefeldt (2012) argumentiert überdies aus einer menschrechtlich orientierten Perspektive, denn Menschenrechte richten sich – wie der Name zweifelsfrei sagt – an Menschen, nicht aber an Religionen als solche. Er unterscheidet zwischen der Wahrheit oder Reputation einer Religion und Menschen als Träger*innen von Menschenrechten mit einem Anspruch auf Würde, Freiheit, Gleichberechtigung, gesellschaftliche Solidarität und staatlichen Schutz (vgl. ebd. 2012: 23). Aus dem Anspruch der Menschenrechte auf Universalität, Egalität und Unteilbarkeit folgt das Recht jedes einzelnen Menschen auf Gedanken-, Gewissens-, Religions- und Weltanschauungsfreiheit. Geschützt werden hierdurch der Mensch und seine Rechte, nicht jedoch die Religion(en) selbst:

„Menschenrechtlich durch den Staat geschützt ist nicht die Wahrheit der Religion, sondern die freie Wahrheitssuche der Menschen, nicht die Heiligkeit des göttlichen Gesetzes, sondern selbst-bestimmte religiöse Lebensführung von Individuen und Gemeinschaften, nicht die Ehre der Propheten, sondern die Möglichkeit der Menschen, öffentlich für ihre eigenen Überzeugungen einzutreten“ (ebd.: 26).

Und dies ist der entscheidende Punkt, sowohl für die Umsetzung der Menschenrechte als auch für die Vorurteilsforschung: In dem Moment, in dem die Abwertung des Islams nicht bei der Ablehnung der Religion bleibt, sondern sich auf seine (tatsächlichen oder zugeschriebenen) Anhänger*innen überträgt und auswirkt, werden zwei Ebenen vermischt. Die zuvor angeführte Definition der Muslim*innenfeindlichkeit von Zick et al. (2016a) hat bereits berücksichtigt, dass die Abwertung des Islams als Legitimation für die Abwertung von Muslim*innen fungieren kann, mit der Konsequenz, dass diese dann zur Projektionsfläche für Islamfeindlichkeit (im wörtlichen Sinne) werden. In diesem Fall werden Vorurteile gegenüber der Religion des Islams herangezogen und auf die Ebene der Menschen transportiert. Muslim*innen werden dann über den Umweg des Islams abgewertet und es wird missachtet, dass Muslimisch-Sein nur eine von zahlreichen Kategorisierungs- und Identifikationsmöglichkeiten ist:

„Die Abwertung und Ablehnung des islamischen Glaubens hat vor allem dann Konsequenzen für als Muslim*innen markierte Menschen, wenn der Begriff der Religion in einer deterministischen Art und Weise verwendet wird und ihr gesamtes, insbesondere negatives Verhalten vor dem Hintergrund der tatsächlichen oder zugeschriebenen Religionszugehörigkeit gedeutet wird. Dann münden die ‚Wesenseigenschaften‘, die am Islam kritisiert werden, ohne größere Argumentationsbrüche in Vorstellungen über einen Kollektivcharakter ‚der Muslim*innen‘“ (Shooman 2018).

In diesem Fall haben wir es mit einer Wahrnehmung von Muslim*innen als monolithischer Block zutun, dessen einzige Identitätsquelle der Islam darstellt (vgl. Decker et al. 2012). Andere potentielle Identitäten – beispielsweise auf Basis des Berufs, des Geschlechts, der politischen Einstellung, des Alters oder des Musikgeschmacks – werden ausgeblendet. Und selbst in den seltenen, mitunter unfreiwilligen Situationen, in denen der Islam die einzige Identitätsquelle ist, bleibt zu berücksichtigen, dass auch der Islam kein monolithischer Block ist, sondern es im Gegenteil zahlreiche Strömungen und Variationen innerhalb des Islams gibt, die in die muslimische Identität einfließen können oder auch nicht (vgl. Abschn. 1.1):

„There may therefore be occasions on which ‘Islam’ is the main or sole identity, not least when people are attacked on that basis: but such occasions are rare. ‘Islam’ tells us only one part of how these peoples live and see the world: and that ‘Islam’ may vary greatly.“ (Halliday 1999: 897).

Weitestgehend außer Acht gelassen wurden dabei bisher die konkreten Konsequenzen, die feindliche Einstellungen auf Muslim*innen oder als solche Attribuierte haben können. Die Folgen von Vorurteilen, Abwertung und Diskriminierung auf eine Religion zu beziehen, ist schwierig. Für Menschen, die im Kontext dieser Religion agieren oder denen eine entsprechende Zugehörigkeit (un)berechtigterweise zugeschrieben wird, ergeben sich jedoch im Gegensatz dazu mitunter gravierende Folgen: Vorurteile und Diskriminierung können soziale Folgen sowie Folgen für die psychische und physische Gesundheit für die Betroffenen mit sich bringen (vgl. u. a. Pascoe & Smart Richman 2009; Quent et al. 2016; Schmitt et al. 2014).

Bei der terminologischen Differenzierung von Islamfeindlichkeit – verstanden als ablehnende Haltungen und Abwertungen, die sich explizit gegen den Islam als Religion richten – sowie Muslim*innenfeindlichkeit – verstanden als Abwertung von Menschen auf Basis ihrer zugeschriebenen oder tatsächlichen Religionszugehörigkeit – geht es nicht um Haarspalterei oder „Begriffsfetischismus“ (Bielefeldt 2012: 23). Stattdessen wird auf sprachlicher Ebene eine Möglichkeit für trennscharfe Konzepte angeboten und damit der oftmals fehlenden Differenzierung begegnet, indem die Adressat*innen von Ablehnung und Feindlichkeit eindeutig benannt werden.

Dieses Kapitel hat gezeigt, dass feindliche Einstellungen gegenüber dem Islam und gegenüber Muslim*innen zusammenhängen können, etwa wenn die Ablehnung des Islams auf (vermeintliche) Muslim*innen übertragen wird, Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit jedoch mitnichten deckungsgleich sind. Eine differenzierte Betrachtungsweise würde die potentielle Unabhängigkeit der beiden Phänomene anerkennen. Zudem ermöglicht erst eine differenzierte Betrachtung, Zusammenhänge zwischen beiden zu erkennen und beispielsweise feindliche Einstellungen gegenüber Muslim*innen, die über feindliche Einstellungen gegenüber dem Islam transportiert werden, in dieser Trennschärfe zu benennen, zu analysieren und in der Folge auch zu bearbeiten.

Das Nachzeichnen des Diskurses um negative Haltungen gegenüber Muslim*innen und dem Islam macht sowohl die Vagheit des Konzepts an sich als auch seinen Facettenreichtum deutlich sichtbar. Für die wissenschaftliche Forschung und letztendlich ebenso für die praktische Präventions- und Interventionsarbeit scheint eine differenzierte Betrachtungsweise, das heißt die Dimensionalisierung des Konzepts, für das Verstehen und Erklären des Phänomens sowie für die Erarbeitung von Lösungsansätzen für diesen sozialen Konflikt eine entscheidende Rolle zu spielen (vgl. APPG 2018: 10; Logvinov 2017: 3). Dazu gehört auch, klar abgrenzbare und konkrete Instrumente zu entwickeln, die die adäquate Erfassung eines Vorurteils erst möglich machen (vgl. Zick et al. 2017).

3.4.2 Empirische Befunde

Erste Schritte in diese Richtung wurden in Form empirischer Studien zur Differenzierung von Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit in den vergangenen Jahren bereits unternommen. Das in dieser Studie verwendete Design des faktoriellen Surveys, welches einen direkten Vergleich der Stärke der feindlichen Einstellungen ermöglichen würde, findet sich bisher nahezu überhaupt nicht in einschlägigen Studien. Lediglich eine Untersuchung des Instituts für Demoskopie Allensbach aus dem Jahr 2012 erfragt die Zustimmung zu den beiden Items „Der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland wie das Christentum.“ sowie „Die Muslime, die hier leben, gehören zu Deutschland.“ Auch wenn es einige Variationen gibt, etwa den Vergleich zum Christentum im ersten Item, so weisen die beiden Items doch einen ähnlichen Inhalt auf. Der Studie zufolge begreifen 22 Prozent der Befragten den Islam und 29 Prozent der Befragten Muslim*innen als zu Deutschland zugehörig. Noch deutlicher wird es, wenn es um die Ablehnung dieser Aussagen geht: 64 Prozent der Befragten lehnen eine Zugehörigkeit des Islams zu Deutschland ab, ersetzt man Islam durch Muslim*innen sind es ‚nur noch‘ 47 Prozent (vgl. Petersen 2012). Neben den Ergebnissen, die ein Indiz dafür liefern, dass die Begriffe Islam und Muslim*innen mitnichten austauschbar sind, ist auch die Differenzierung zwischen Islam und Muslim*innen seitens der Forscher*innen interessant. Diese fällt an anderer Stelle weniger deutlich aus und kann somit als Indikator für ein zunehmendes Bewusstsein für die Notwendigkeit der Unterscheidung von Islam und Muslim*innen gewertet werden.

Mit Ausnahme der Annäherungen über zwei ähnlich formulierte Items bei Petersen (2012) gibt es keine faktoriellen Surveys zur Differenzierung von Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit, sodass insbesondere Aussagen zum Ausmaß der feindlichen Einstellungen im direkten Vergleich bisher kaum möglich sind und die vorliegende Studie in dieser Hinsicht ein Novum darstellt. Es gibt jedoch Studien, die sich implizit oder explizit mit unterschiedlichen Facetten von Islam-/Muslim*innenfeindlichkeit beschäftigt und das Phänomen als mehrdimensional betrachtet haben.

In der zweiten Welle der Studien zur Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit etwa wurden unterschiedliche Dimensionen von Islamphobie in Hinblick auf ihre Korrelationen mit anderen Facetten Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit untersucht. Leibold & Kühnel weisen bereits zu diesem Zeitpunkt darauf hin, dass es verschiedene Aspekte von Islamphobie gibt. Sie nennen dabei die Intoleranz gegenüber islamischen Praktiken, die generelle Ablehnung von Muslim*innen, die kulturelle Abwertung des Islams sowie distanzierende Verhaltensabsichten gegenüber Muslim*innen (vgl. Leibold & Kühnel 2003: 101). Durch die Aspekte der generellen Ablehnung von Muslim*innen und der kulturellen Abwertung des Islams wird hier bereits zwischen der Abwertung des Islams und der Abwertung von Muslim*innen unterschieden. Die generelle Abwertung von Muslim*innenFootnote 15 korreliert dabei recht stark mit den anderen Facetten, insbesondere mit der Fremdenfeindlichkeit. Die Korrelationen des Syndroms mit der kulturellen Abwertung des IslamsFootnote 16 hingegen fallen „vergleichsweise moderat“ aus (ebd.: 105). Dieser Befund spricht für eine Differenzierung von Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit und entspricht den Erwartungen, dass Muslim*innenfeindlichkeit (generelle Ablehnung von Muslim*innen) als eine Facette, die Menschen fokussiert, stärker mit anderen Facetten Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit zusammenhängt als Islamfeindlichkeit (kulturelle Abwertung des Islams). Letztere bezieht sich – anders als die anderen Facetten – auf eine Religion bzw. eine Kultur und ist somit als Facette Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit mindestens diskutabel.

Auch zeigt sich, dass die kulturelle Abwertung des Islams einen Einfluss auf die generelle Ablehnung von Muslim*innen hat. Die generelle Ablehnung von Muslim*innen wiederum führt zu distanzierenden Verhaltensabsichten gegenüber Muslim*innen. Modelle, die die generelle Ablehnung von Muslim*innen bzw. die kulturelle Abwertung des Islams erklären sollen, weisen höchst unterschiedliche Werte für die erklärte Varianz auf: Während die autoritäre Aggression, soziale Dominanzorientierung und ideologische Selbstpositionierung sowie die kulturelle Abwertung des Islams und die distanzierenden Verhaltensabsichten gegenüber Muslim*innen knapp 76 Prozent (alte Bundesländer; neue Bundesländer: knapp 80 Prozent) der Varianz für die generelle Ablehnung von Muslim*innen erklären, liegt die erklärte Varianz im Fall der kulturellen Abwertung des Islams im selben Modell (Ausnahme: generelle Ablehnung von Muslim*innen nun als abhängige Variable anstatt kulturelle Abwertung des Islams) bei lediglich knapp 29 Prozent (alte Bundesländer; neue Bundesländer: knapp 26 Prozent) (vgl. ebd.: 110). Die Autor*innen beschreiben dies wie folgt:

„Mit 75,9% in den alten und 79,5% in den neuen Bundesländern bei der generellen Ablehnung können wir einen großen Teil der Unterschiede zwischen den Befragten erklären. Zurückzuführen sind diese ausgesprochen hohen Werte darauf, daß [sic!] Personen, die die islamische Kultur abwerten und als fremd ablehnen, auch mit hoher Wahrscheinlichkeit der muslimischen Gruppe abwehrend gegenüberstehen. So ist denn die Gesamterklärung der kulturellen Abwertung mit 28,7% (Westen) und 25,9% (Osten) deutlich geringer, aber immer noch recht beachtlich.“ (ebd.: 113).

Die Abwertung des Islams könnte demzufolge die Voraussetzung für die Abwertung von Muslim*innen sein. Die Abwertung von Muslim*innen ohne eine Abwertung des Islams wäre unwahrscheinlich; es muss jedoch nicht zwingend auf jede Abwertung des Islams auch die Abwertung von Muslim*innen folgen. Die empirischen Ergebnisse von Leibold & Kühnel (2003) können als Hinweis auf das Vorhandensein zweier Dimensionen verstanden werden, die durchaus miteinander korrelieren und aufeinander aufbauen, aber nicht deckungsgleich sind und daher als eigenständige Dimensionen anerkannt werden müssen.

Während in der zweiten Welle lediglich die beiden Facetten „generelle Ablehnung von Muslim*innen in Deutschland“ und „kulturelle Abwertung des Islams“ in den Blick genommen und zur Erklärung einer dritten Komponente (distanzierende Verhaltensabsichten gegenüber Muslim*innen) herangezogen wurden, zeichnen die Autor*innen in der vierten Welle ein detaillierteres Bild. Islamophobie wird nun in drei Komponenten abgebildet: Zusätzlich zu den beiden oben genannten wurden nun Daten für die „Offene Islamfeindlichkeit“ erhoben, wobei die „Offene Islamfeindlichkeit“ sich auf manifester Ebene jedoch auf Muslim*innen und nicht auf den Islam beziehtFootnote 17 (vgl. ebd. 2006: 142). Darüber hinaus sind in der vierten Welle nicht nur Aussagen über islamophobe, sondern auch über homogenisierende Haltungen (subjektive DifferenzierungskompetenzFootnote 18, unterstellte SegregationsneigungFootnote 19, unterstellte Sympathien für Terrorist*innenFootnote 20) möglich. Die Autor*innen können in diesem Zusammenhang eine große Nähe der offenen Islamfeindlichkeit zur generellen Ablehnung von Muslim*innen feststellen (r = 0,63; vgl. ebd.: 137, 152). Die Unterschiede zwischen diesen beiden Komponenten sehen die Autor*innen darin, dass „die generelle Ablehnung auf dem Boden von politisch legitimen Forderungen und emotionalem Unbehagen bleibt“ (ebd.: 137), während die offene Islamfeindlichkeit darüber hinausgeht und im Grundgesetz verankerten Menschenrechten widerspricht. Es geht folglich um offene Feindlichkeit vs. generelle Ablehnung, nicht jedoch – wie die Namen der einzelnen Komponenten vermuten lassen würde – um unterschiedliche Einstellungen zu Muslim*innen einerseits und dem Islam andererseits. Tatsächlich findet sich hier sogar ausdrücklich eine Gemeinsamkeit: „Die Gemeinsamkeit liegt darin begründet, daß [sic!] in allen Formulierungen die Anwesenheit von Muslimen abgelehnt wird.“ (ebd.). Die verwendeten Items beziehen sich alle wörtlich auf Muslim*innen und nur in einem Item geht es um die Religionsausübung.

Ein Blick auf unterschiedliche Determinanten islamophober Einstellungen (u. a. Bildung, Kontaktintensität, Differenzierungskompetenz, religiöser Überlegenheitsglaube) zeigt nun eine deutlich höhere Erklärungskraft der Modelle für die generelle Ablehnung von Muslim*innen und die offene Islamfeindlichkeit (welche sich im Wortlaut gegen Muslim*innen richtet und somit eigentlich offene Muslim*innenfeindlichkeit heißen müsste) verglichen mit der kulturellen Abwertung des Islams (vgl. ebd.: 147). Feindliche Einstellungen gegenüber Muslim*innen lassen sich, wie auch aus den Befunden der zweiten Welle zur Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit hervorging, zu einem deutlich höheren Prozentsatz durch die berücksichtigten Prädiktoren erklären als die kulturelle Abwertung des Islams. Dies kann als weiterer Hinweis darauf verstanden werden, dass Islamfeindlichkeit und Muslim*innenfeindlichkeit zwar bis zu einem gewissen Maße überlappen, in anderen Punkten jedoch durchaus voneinander abweichen.

Diese Tendenz wird ein weiteres Mal anhand der GMF-Daten bestärkt. Eine Untersuchung der beiden zu Beginn angesprochenen Facetten „generelle Ablehnung von Muslimen in Deutschland“ und „kulturelle Abwertung des Islams“ über drei Wellen (2003–2005) hinweg kommt zu einem interessanten Ergebnis: Während die erste Facette in diesem Zeitraum konstant geblieben ist, hat die Zustimmung zu Items der Facette „kulturelle Abwertung des Islams“ über die Jahre zugenommen (vgl. Kühnel & Leibold 2007: 138). Je nach Fokus auf entweder Muslim*innen oder den Islam lassen sich daraus unterschiedliche Entwicklungen im Zeitverlauf ablesen. Die Autor*innen haben darüber hinaus untersucht, inwiefern diese beiden ausgemachten Dimensionen Inkonsistenzen im Antwortverhalten der Befragten in Bezug auf die Gleichstellung der Geschlechter sowie die Trennung von Staat und Kirche erklären. Sie stellen fest, dass die untersuchten Zusammenhänge lediglich über die generelle Ablehnung von Muslim*innen, nicht aber über die kulturelle Abwertung des Islams vermittelt werden. Insgesamt deuten ihre Ergebnisse darauf hin, dass die beiden ermittelten Faktoren „als zwei Dimensionen des Konstrukts Islamophobie aufgefasst werden“ können (ebd.: 141). Einmal mehr zeigen sich Unterschiede zwischen Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit – hier bezüglich der Entwicklung im Längsschnitt sowie als Prädiktoren für inkonsistente Einstellungen.

Die Arbeiten von Leibold, Kühnel und anderen im Rahmen der GMF-Studien belegen, dass die Eindimensionalität des Konstrukts immer wieder infrage gestellt wurde und es in der Vergangenheit stets Versuche gab, die Komplexität von Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit durch die Extraktion unterschiedlicher Facetten anzuerkennen und sichtbar zu machen.

Über die GMF-Daten hinaus gab es weitere Versuche, unterschiedliche Dimensionen von Islam-/Muslim*innenfeindlichkeit zu determinieren. So fanden etwa Imhoff & Recker (2012) empirische Evidenz für die Unterscheidung von Islam-/Muslim*innenfeindlichkeit und säkularer Kritik am Islam. In derselben Studien differenzierten die Autor*innen das Konstrukt Islam-/Muslim*innenfeindlichkeit weiter aus. Basierend auf den acht Dimensionen von Islam-/Muslim*innenfeindlichkeit, die der Bericht des Runnymede Trust 1997 formulierte (vgl. Abschn. 3.2, Exkurs: Abgrenzung Islamkritik), fassen die Autor*innen der Studie ihre Items in folgende thematische Blöcke zusammen: Islam als rückständiger monolithischer Block, Islam als das Andere, Islam als minderwertig, Islam als gewalttätig, Islam als bloße politische Ideologie, Ablehnung jeglicher Kritik durch den Islam, Rechtfertigung diskriminierender Praktiken gegenüber Muslim*innen sowie die Akzeptanz von Muslim*innenfeindlichkeit (vgl. Imhoff & Recker 2012: 814; vgl. auch Abschn. 3.3.2). Empirisch werden diese Dimensionen dann jedoch als Islamoprejudice zusammengefasst und der Itembatterie zu säkularer Kritik am Islam gegenübergestellt. Eine explizite Differenzierung der Adressat*innen – Islam oder Muslim*innen – findet hier trotz eines ersten Versuchs einer terminologischen Bündelung von Items auf empirischer Ebene noch nicht statt.

Van der Noll et al. (2018) stützen ihre Studie ebenfalls auf die Idee der Differenzierung von Feindlichkeit und legitimer Kritik, allerdings wird der Fokus hier stärker auf eine potentielle Trennung von Personen und Praktiken / Ideen / Werten gelegt. Um zu testen, inwiefern es sich bei Islamophobia um die generelle Ablehnung von Muslim*innen oder um eine Ablehnung bestimmter Werte und Praktiken, die mit sogenannten liberalen Werten in Konflikt stehen, handelt, wurden zwei experimentelle Designs durchgeführt. Das Ergebnis: Muslim*innen wurden weniger unterstützt, wenn ihre Handlung als mit liberalen Werten in Konflikt stehend gilt (zum Beispiel Teilnahme an einer Demonstration gegen gleichgeschlechtliche Ehe in London) als im Falle wertneutraler Handlungen (zum Beispiel der Besuch des Bruders in London). Bei wertneutralen Handlungen wurden Muslim*innen und Nicht-Muslim*innen von den Teilnehmenden gleichermaßen unterstützt. Bei nicht-wertneutralen Handlungen fanden die Autor*innen jedoch Hinweise, dass Muslim*innen weniger unterstützt wurden als Nicht-Muslim*innen und vermuten daher „a subtle form of discrimination that appears when there seems to be a legitimate justification for prejudice“ (van der Noll et al. 2018: 296). Insgesamt zeigen die Ergebnisse, dass die Teilnehmer*innen durchaus bis zu einem gewissen Maße zwischen Personen und Praktiken / Werten / Ideen unterscheiden (können).

Bei Lee et al. (2009) liegt der Fokus nicht explizit bei der Unterscheidung der Adressat*innen von feindlichen Einstellungen, jedoch lassen die Ergebnisse deutliche Muster erkennen, die für eine entsprechende Differenzierung sprechen. Die Autor*innen identifizieren zwei Dimensionen des Konstrukts Islamophobia: zum einen „avoidance oriented behaviors and the emotional discomfort associated with the notion of being near Muslims“, zum anderen „the belief that Islam is a harmful religion“ (Lee et al. 2009: 97, 100). Die erste Dimension bezieht sich auf die affektive und die Verhaltensebene, die zweite Dimension hingegen bezieht sich auf die kognitive Ebene. Neben dieser Unterscheidung fällt jedoch ein weiteres Kriterium beim Blick auf die manifeste Ebene auf. Während sich sieben der acht Items der ersten Dimension auf Muslim*innen beziehen (und auch das achte Item wörtlich Bezug zu Muslim*innen nimmt, inhaltlich jedoch die Einstellung zu Moscheen abfragt), beziehen sich sechs der acht Items der zweiten Dimension auf den Islam als Religion (vgl. ebd.: 98). Die inhaltlichen Dimensionen sind hier in der Tendenz an die Adressat*innen feindlicher Einstellungen geknüpft, weshalb diese Studie zumindest implizit eine Dimensionalisierung des Konstrukts entlang der Adressat*innen (Islam / Muslim*innen) nahelegt.

Mittlerweile deuten jedoch erste Studien auch explizit darauf hin, dass sich das Konzept der Islam-/ bzw. Muslim*innenfeindlichkeit (auch) entlang der Adressat*innen der Abwertung dimensionalisieren lässt, weshalb auf Basis dieser Erkenntnisse möglicherweise von zwei Konstrukten oder zumindest zwei Dimensionen eines übergeordneten Konstrukts gesprochen werden kann: Islamfeindlichkeit mit einem Fokus auf Abwertungen der Religion, Muslim*innenfeindlichkeit mit einem Fokus auf Abwertungen von Menschen, die (unter anderem) Muslim*innen sind oder als solche wahrgenommen und markiert werden. Eine Studie von Uenal (2016) mit Daten aus Deutschland legt nahe, dass neben den Dimensionen Realistic Threat, Symbolic Threat und Terroristic Threat auch die Dimensionen Anti-Islam Sentiment und Anti-Muslim Prejudice empirisch voneinander verschieden sind. In diesem Fall findet sich die Unterscheidung der Adressat*innen nicht nur in der Konstruktbezeichnung, sondern auch auf manifester Ebene, das heißt, die verwendeten Items beziehen sich im Fall des Anti-Islam Sentiment auf die Religion des Islams (Beispiel: „Islam is a violence-glorifying religion.“) und im Fall des Anti-Muslim Prejudice auf Muslim*innen (Beispiel: „Muslims are not trustworthy.“) (vgl. Uenal 2016: 76; vgl. auch Abschn. 3.3.2).

Auch Frindte & Dietrich (2017) identifizieren unterschiedliche Dimensionen – in diesem Fall die folgenden fünf Dimensionen: negative Einstellungen gegenüber dem Islam, negative Einstellungen gegenüber Muslim*innen, (Vermeidung von) Kontakt zu Muslim*innen, Angst vor dem Islam sowie Assoziationen von Muslim*innen und Terrorismus (vgl. Frindte & Dietrich 2017: 48 f.). Eine Faktorenanalyse zeigt zwei eindeutige Faktoren: negative Einstellungen gegenüber dem Islam und negative Einstellungen gegenüber Muslim*innen. Eine Differenzierung nach Adressat*innen erscheint auf Basis dieser Daten sinnvoll. Die anderen drei Dimensionen lassen sich anhand der verwendeten Items nicht abbilden, weshalb die Autor*innen im weiteren Verlauf ihrer Studie ausschließlich zwischen negativen Einstellungen gegenüber dem Islam und negativen Einstellungen gegenüber Muslim*innen unterscheiden. Die Autor*innen ermitteln zahlreiche Prädiktoren (zum Beispiel Alter, Geschlecht, Bildung, Einkommen, Autoritarismus, Soziale Dominanzorientierung etc.), welche sowohl für Islam- als auch für Muslim*innenfeindlichkeit signifikante Zusammenhänge zeigen. Zwar sind bezüglich der Prädiktoren insgesamt ähnliche Muster für negative Einstellungen gegenüber dem Islam und gegenüber Muslim*innen erkennbar, die Mittelwerte der islambezogenen Items liegen jedoch auf einem deutlich höheren Niveau als die Mittelwerte der muslim*innenbezogenen Items, was eine negativere Bewertung des Islams nahelegen würde. Allerdings sind auch hier die Items aufgrund ihrer ungleichen Stärke in den Formulierungen nicht direkt miteinander vergleichbar.

Eine weitere Studie aus Deutschland mit einem repräsentativen Sample für die Stadt Bielefeld kommt über die Anwendung einer Hauptkomponentenanalyse zu dem Ergebnis, dass islamfeindliche und muslim*innenfeindliche Einstellungen empirisch nicht identisch sind, auch wenn es einen statistischen Zusammenhang zwischen beiden Dimensionen gibt (vgl. Diekmann 2017, 2020b). Gleichzeitig konnte die Studien neben einigen gemeinsamenFootnote 21 auch einige unterschiedliche Prädiktoren für Islamfeindlichkeit und Muslim*innenfeindlichkeit identifizieren. Während beispielsweise Kontakte zu Muslim*innen im schulischen / universitären / beruflichen Umfeld zu einer signifikant verringerten und eine hohe selbstberichtete Religiosität zu einer signifikant höheren Muslim*innenfeindlichkeit führen, haben beide Faktoren keinen Einfluss auf feindliche Einstellungen gegenüber dem Islam. Die Präsenz von Muslim*innen in der Nachbar*innenschaft hingegen führt zu einem signifikanten Anstieg islamfeindlicher Einstellungen, hat jedoch keinen Einfluss auf das Ausmaß muslim*innenfeindlicher Einstellungen (Diekmann 2017: 31).

Eine aktuelle einschlägige Studie zum Thema stammt von Uenal et al. (2021). Die Autor*innen testen im Rahmen ihrer Studie eine dreiteilige Skala zur Erfassung von islam- und muslim*innenfeindlichen Einstellungen (Tripartite Islamophobia Scale). Sie unterscheiden hierzu die drei Komponenten Anti-Muslim Prejudice, Anti-Islam Sentiment und Conspiracy Beliefs. Das Ergebnis: das dreigliedrige Modell bildet die Daten besser ab als die Ein-Faktor-Lösung (vgl. Uenal et al. 2021: 279). Auch hier werden Items verwendet, die auf manifester Ebene eindeutig entweder den Islam bzw. die islamische Religion oder Muslim*innen adressieren. Die Ergebnisse dieser Studie können als besonders robust erachtet werden, da die Tripartite Islamophobia Scale in fünf verschiedenen Ländern validiert werden konnte (Deutschland, Frankreich, Indien, Polen, USA). Darüber hinaus konnte die Studie zeigen, dass Anti-Muslim Prejudice und Conspiracy Beliefs einen sehr viel stärkeren Einfluss auf „behavioral inclinations that promote the active and forceful oppression of Muslims and Islamic organizations (e.g., support for anti-Muslim policies)“ haben als Anti-Islam Sentiment (ebd.: 286). Die Autor*innen halten abschließend fest, dass

„Islamophobia manifest[s] itself in different ways: negative sentiments against the Islamic religion, prejudice against Muslim individuals, and conspiracy beliefs about Muslims as collective agents with malicious and deceptive intentions.“ (ebd.: 287).

Neben der zuvor skizzierten theoretischen Diskussion um eine Unterscheidung von Islamfeindlichkeit und Muslim*innenfeindlichkeit gibt es folglich auch erste empirische Befunde, die eine differenzierte Betrachtung der Phänomene nahelegen. Die Sichtung der existierenden Literatur zum Thema führt daher zu den im folgenden Kapitel skizzierten Hypothesen.

3.5 Hypothesen zur Differenzierung von Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit

In den Abschnitten 2 und 3 wurden theoretische Argumente und der aktuelle Stand der Forschung im Phänomenbereich dargelegt. Auf Basis dieser Ausführungen können verschiedene Hypothesen formuliert werden, die nun im Anschluss an theoretische Überlegungen und empirische Befunde aus Gründen der Übersichtlichkeit gebündelt expliziert werden. Um Redundanzen zu vermeiden, werden die Argumentationsgänge jedoch nicht erneut umfassend wiedergegeben; stattdessen wird auf die entsprechende(n) Kapitel bzw. Literatur verwiesen.

H1: Ein zweifaktorielles Modell mit den Dimensionen Islamfeindlichkeit und Muslim*innenfeindlichkeit beschreibt die Daten besser als eine einfaktorielle Lösung.

Die theoretischen Annahmen zur Entstehung von Intergruppenkonflikten ebenso wie zur Vorurteilsreduzierung beziehen sich primär auf soziale Gruppen, in diesem Fall also auf Muslim*innen (bzw. als solche Attribuierte) und Nicht-Muslim*innen. Es scheint daher legitim, wenn nicht sogar notwendig, die empirische (Un-)Abhängigkeit von Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit zu überprüfen. Die theoretischen Argumentationen aus Abschn. 3.4.1 unterstützen eine differenzierte Perspektive. Empirische Studien deuten auf ein mehrdimensionales Phänomen hin (vgl. u. a. Diekmann 2017, 2020b; Frindte & Dietrich 2017; Janzen et al. 2019; Lee et al. 2009; Leibold & Kühnel 2003, 2006; Uenal 2016; Uenal et al. 2021). Ähnlich wie in den empirischen Studien zur Differenzierung von Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit wird H1 mittels konfirmatorischer Faktorenanalyse getestet (Kap. 5).

H2: Wenn Kontakte zu Muslim*innen bestehen, fallen die Vorurteile sowohl gegenüber Muslim*innen als auch gegenüber dem Islam geringer aus.

Die Kontakthypothese postuliert einen Zusammenhang zwischen Kontakten zur Outgroup und dem Ausmaß der Vorurteile gegenüber dieser (vgl. Allport 1954). Zahlreiche Studien konnten seither belegen, dass Kontakte zur Outgroup mit reduzierten Vorurteilen einhergehen (vgl. Pettigrew & Tropp 2006). Dies gilt auch im Zusammenhang mit Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit: Kontakte zu Muslim*innen gehen mit verringerten Vorurteilen gegenüber Muslim*innen und gegenüber dem Islam einher (vgl. u. a. Dekker & van der Noll 2012; Diekmann 2017, 2020b; Müller et al. 2017; Öztürk 2021; Pickel & Öztürk 2018; Pickel & Yendell 2016; Schmidt et al. 2019; Yendell 2013). H2 wird mittels multipler linearer Regression getestet (Kap. 5).

H3: Je ausgeprägter die allgemeine Religionskritik, desto stärker die Vorurteile gegenüber Islam und Muslim*innen.

Es wird angenommen, dass ein hohes Maß an Religionskritik mit einem hohen Maß an feindlichen Einstellungen gegenüber Islam und Muslim*innen einhergeht, da beide einen Religionsbezug aufweisen. In der Forschung zeigt sich in der Tendenz, dass dieser Zusammenhang für Islamfeindlichkeit möglicherweise gegeben ist, für Muslim*innenfeindlichkeit hingegen zeichnet sich eher ein gegenteiliger Effekt ab – je kritischer eine Person, desto weniger muslim*innenfeindlich ist diese (vgl. Diekmann 2017, 2020b). Diese Effekte sind jedoch nicht signifikant, sodass zu prüfen sein wird, inwiefern überhaupt ein empirisch nachweisbarer Zusammenhang zwischen allgemeiner Religionskritik und Islam- bzw. Muslim*innenfeindlichkeit besteht. H3 wird mittels multipler linearer Regression getestet (Kap. 5).

H4: Kontakt zu Muslim*innen ist ein wichtigerer Prädiktor für Muslim*innenfeindlichkeit als die allgemeine Religionskritik.

Muslim*innenfeindliche Einstellungen richten sich gegen Menschen, die als Muslim*innen wahrgenommen werden. Kap. 2 hat deutlich gemacht, dass die (zugeschriebene) Religionszugehörigkeit von Menschen nicht immer salient sein muss und dass die Religionszugehörigkeit, in diesem Fall das Muslimisch-Sein, nur einen (mitunter kleinen) Teil der Identität eines Menschen ausmacht. Muslim*innen oder als solche Markierte können demzufolge in bestimmten Kontexten unabhängig von der Religion des Islams betrachtet werden. In diesem Sinne könnte eine religionskritische Haltung der Befragten nur dann zum Tragen kommen, wenn die Religionszugehörigkeit von Muslim*innen besonders salient ist und Religion eine wichtige Rolle spielt. Gleichzeitig können Kontaktsituationen vielfältige Gruppenzugehörigkeiten offenlegen und zu einer Vorurteilsreduzierung gegenüber der Outgroup (Muslim*innen) beitragen. Es ist belegt, dass Outgroup-Kontakte die Vorurteile gegenüber dieser Gruppe reduzieren (vgl. H.2). Daher wird angenommen, dass Kontakte zu Muslim*innen ein wichtigererFootnote 22 Prädiktor für Muslim*innenfeindlichkeit sind als eine religionskritische Haltung. H4 wird mittels multipler linearer Regression getestet (Kap. 5).

H5: Die allgemeine Religionskritik ist ein wichtigerer Prädiktor für Islamfeindlichkeit als Kontakte zu Muslim*innen.

Umgekehrt wird angenommen, dass im Falle der Islamfeindlichkeit die allgemeine Religionskritik im Vergleich zu Kontakten zu Muslim*innen den wichtigeren Prädiktor darstellt. Religionskritik richtet sich in erster Linie gegen die Religion als solche – und nicht selten speziell gegen die Religion des Islams (vgl. Abschn. 3.2; Abschn. 3.4.1). Ein Zusammenhang zwischen islamkritischen und islamfeindlichen Einstellungen liegt nahe. Gleichzeitig scheinen Kontaktsituationen mit Muslim*innen nicht in gleichem Maße mit einer verringerten Islamfeindlichkeit einherzugehen wie dies für Muslim*innenfeindlichkeit der Fall ist (vgl. ebd.). H5 wird mittels multipler linearer Regression getestet (Kap. 5).

H6: Je ausgeprägter die Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit, desto negativer die Verhaltensintentionen gegenüber Muslim*innen.

In Abschn. 2.1 konnte gezeigt werden, dass Vorurteile und Diskriminierung eng miteinander zusammenhängen und Vorurteile neben einer kognitiven und einer affektiven Ebene auch eine konative Ebene enthalten. Im Rahmen einer standardisierten Befragung lässt sich tatsächliche Diskriminierung nur schwer messen. Aus diesem Grund werden im Rahmen dieser Studie lediglich Verhaltensintentionen gegenüber Muslim*innen erfasst. Forschung in diesem Bereich zeigt, dass Muslim*innenfeindlichkeit mit distanzierenden Verhaltensabsichten gegenüber Muslim*innen einhergeht (vgl. Leibold & Kühnel 2003) und dass neben Kontakten zu Mitgliedern der Outgroup auch Bedrohungsgefühle durch den Islam mit Verhaltensintentionen gegenüber Muslim*innen zusammenhängen (vgl. Öztürk 2021). Es wird angenommen, dass sowohl Einstellungen gegenüber dem Islam als auch Einstellungen gegenüber Muslim*innen einen Einfluss auf die Verhaltensintentionen der Respondent*innen haben, wobei ausgeprägte Vorurteile gegenüber dem Islam und Muslim*innen mit negativen VerhaltensintentionenFootnote 23 einhergehen. H6 wird mittels multipler linearer Regression getestet (Kap. 5).

H7: Einstellungen gegenüber Muslim*innen sind ein stärkerer Prädiktor für Verhaltensintentionen gegenüber Muslim*innen als Einstellungen gegenüber dem Islam.

Da Einstellungen gegenüber dem Islam jedoch den Umweg über die eher abstrakte Form der Religion gehen und sich nicht direkt auf Menschen muslimischen Glaubens beziehen, wird ferner angenommen, dass Einstellungen gegenüber Muslim*innen ein besserer Prädiktor für Verhaltensintentionen gegenüber Muslim*innen sind als Einstellungen gegenüber dem Islam. Es liegt nahe, anzunehmen, dass Muslim*innenfeindlichkeit mehr Varianz der Variable Verhaltensintentionen gegenüber Muslim*innen erklärt als Islamfeindlichkeit, da sich Einstellungen und Verhaltensintentionen hier auf dieselben Adressat*innen beziehen: Muslim*innen. Forschung in diesem Bereich zeigt, dass anti-Muslim prejudice einen stärkeren Effekt auf Verhaltensabsichten hat als anti-Islamic sentiment (vgl. Uenal et al. 2021). H7 wird mittels multipler linearer Regression getestet (Kap. 5).

H8: Vorurteile gegenüber dem Islam sind stärker ausgeprägt als Vorurteile gegenüber Muslim*innen.

Es wird erwartet, dass der Islam in der vorliegenden Befragung negativer bewertet wird als Muslim*innen. Die theoretischen Überlegungen bieten dafür verschiedene Anhaltspunkte, so etwa die Möglichkeit des Agierens auf interpersonaler Ebene mit Muslim*innen. Interaktionen am interpersonalen Pol des Kontinuums (vgl. Abschn. 2.2.1) können den Distinktionsdruck in Hinblick auf die soziale Identität mindern und damit die Notwendigkeit eines sozialen Wettbewerbs im Sinne einer Abwertung der Outgroup reduzieren. Hinzukommt, dass Vorbehalte gegenüber Menschen möglicherweise geringer ausfallen als gegenüber einer nicht-personalen Entität, hier einem eher abstrakten System wie der Religion des Islams, da Letzteres schlechter zugänglich ist und Kontakte, die erwiesenermaßen Vorurteile reduzieren können, zwischen Menschen, also Nicht-Muslim*innen und Muslim*innen, stattfinden. Mit anderen Menschen gibt es möglicherweise Ähnlichkeiten oder Gemeinsamkeiten, es kann zu Kreuzkategorisierungen kommen, was wiederum zu einer Reduzierung von Vorurteilen führen kann. Darüber hinaus können auch mediale Darstellungen die Einstellungen gegenüber Islam und Muslim*innen beeinflussen (vgl. Müller et al. 2017: 147). Eine vergleichsweise negative Medienberichterstattung im Zusammenhang mit dem Islam (vgl. Kalwa 2013) lässt vermuten, dass der Islam negativer bewertet wird als Muslim*innen. H8 wird anhand von Mittelwertvergleichen (t-tests) überprüft (Kap. 6).

H9: Wenn negativ konnotierte Aspekte mit dem Islam bzw. mit Muslim*innen assoziiert werden, fallen die Vorurteile gegenüber dem Islam bzw. gegenüber Muslim*innen stärker aus.

Mittlerweile gibt es zahlreiche empirische Studien, die einen Zusammenhang zwischen Assoziationen und Einstellungen belegen (vgl. u. a. Asbrock et al. 2014; Spruyt et al. 2016; Wallrich et al. 2020). Es wird daher davon ausgegangen, dass sich eher negativ konnotierte Assoziationen in stärkerer Islam- bzw. Muslim*innenfeindlichkeit manifestieren. H9 wird mittels multipler linearer Regression getestet (Kap. 7).

H10: Wenn positiv konnotierte Aspekte mit dem Islam bzw. mit Muslim*innen assoziiert werden, fallen die Vorurteile gegenüber dem Islam und gegenüber Muslim*innen geringer aus.

Auch für eher positiv konnotierte Assoziationen wird ein Zusammenhang mit Einstellungen gegenüber dem Islam und gegenüber Muslim*innen angenommen. Personen mit eher positiv konnotierten Assoziationen zu Islam und Muslim*innen weisen demnach ein geringeres Maß an Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit auf als Personen ohne diese positiven Assoziationen. H10 wird mittels multipler linearer Regression getestet (Kap. 7).Footnote 24

Für jede Hypothese wurde das vorgesehene statistische Verfahren zu ihrer Überprüfung bereits angedeutet. Zum besseren Verständnis des method(olog)ischen Vorgehens in dieser Arbeit geht es im folgenden Kapitel nun um die Datenbasis sowie die konkreten Analyseverfahren der einzelnen Auswertungsschritte im Detail.