„But people who identify as Muslims (like those who identify with any other religion) do not identify only or always as Muslims, and they may not identify primarily as Muslims, though some of course do“ (Brubaker 2013: 6)

Wie in diesem Zitat von Rogers Brubaker angedeutet, gibt es zahlreiche unterschiedliche Identifizierungsangebote für Individuen, von denen die Religionszugehörigkeit nur ein einziges ist. Die Idee multipler Gruppenzugehörigkeiten von Menschen, die unter anderem Muslim*innen sind, wird in diesem Kapitel entwickelt und im Kontrast zum deutlich abstrakteren Islam als Religion diskutiert.

Den Ausgangspunkt dieses Kapitels bilden dabei Theorien zur Entstehung von Intergruppenkonflikten, das heißt theoretische Ansätze, die Vorurteile und Diskriminierung zwischen Gruppen erklären können (Social Identity Approach, Abschn. 2.2). Intergruppenkonflikte, also konfliktäre Auseinandersetzungen zwischen unterschiedlichen Gruppen, manifestieren sich auf der Einstellungsebene in Vorurteilen bzw. feindlichen Einstellungen, auf der Verhaltensebene in der Diskriminierung der Outgroup (vgl. Bonacker & Wagner 2003). Um die grundlegenden und insbesondere im alltagssprachlichen Gebrauch nicht immer klar abgegrenzten Begriffe und Konzepte für diese Arbeit zu definieren, ist dem Kapitel zur Theorie der Sozialen Identität ein erläuterndes Kapitel zu Stereotypen, Vorurteilen und DiskriminierungFootnote 1 vorgeschaltet (Abschn. 2.1).

Die Theorie der Sozialen Identität gibt Aufschluss über die Entstehung intergruppaler Konflikte als Folge einer negativen sozialen Identität und Strategie der Erlangung einer positiven Distinktheit. Ihre Weiterentwicklung in Form der Selbstkategorisierungstheorie liefert darauf aufbauend wichtige Einblicke in Bezug auf die Determinanten der Salienz sozialer Kategorien, welche wiederum eine wichtige Rolle für die in Abschn. 2.2 besprochenen Kategorisierungsprozesse spielt. In Abschn. 2.3 geht es um die Möglichkeit der Reduzierung von Intergruppenkonflikten mit besonderem Blick auf die Kontakthypothese sowie Mehrfachzugehörigkeiten. Unter Berücksichtigung des theoretischen Rahmens werden anschließend die Weichen gestellt, um das zentrale Argument zur Legitimierung und Plausibilisierung einer differenzierten Betrachtung von Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit zu entfalten (Abschn. 2.4). Schließlich folgt eine kurze Einführung in den Frame-Begriff sowie eine knappe Darstellung zur Wahrnehmung von Islam und Muslim*innen in den Medien, da dieser theoretische Ansatz zentral ist für die Analysen in Kap. 7 (Abschn. 2.5).

2.1 Stereotype, Vorurteile, Diskriminierung

Eine bis heute vielfach rezipierte Definition des Vorurteils stammt aus den 1950er Jahren von Gordon W. Allport. Obwohl bereits viele Jahrzehnte alt, benennt sie einige Charakteristika des Vorurteils, die auch heute noch relevant erscheinen:

„[P]rejudice is an antipathy based upon a faulty and inflexible generalization. It may be felt or expressed. It may be directed toward a group as a whole, or toward an individual because [s/]he is a member of that group“ (Allport 1954: 9).

Besonders wichtig für die Eingrenzung des Begriffs ist die Generalisierung. Erst die generalisierende Abwertung ganzer Gruppen oder Individuen aufgrund ihrer vermuteten oder tatsächlichen Gruppenzugehörigkeit in Abgrenzung zu individuellen Bewertungen einzelner Personen macht das Urteil zum Vorurteil (vgl. Zick 2017: 42). Durch Vorurteile werden eine Distanz und ein Feindschaftsverhältnis zwischen einer Ingroup und einer Outgroup ausgedrückt (vgl. ebd.: 40). Die Differenz zwischen Gruppen wird hervorgehoben oder zumindest werden positive Zuschreibungen nur zurückhaltend geäußert – das sogenannte subtile Vorurteil (vgl. ebd.: 49). Allport spricht in seiner Definition von Antipathie, in dieser Arbeit werden Vorurteile jedoch allgemeiner als (negative) Einstellungen bezeichnet, die sich aus drei Komponenten zusammensetzen (vgl. Dovidio et al. 2010)Footnote 2:

  1. 1)

    Kognitive Ebene: Die kognitive Ebene bezieht sich auf sozial geteilte Vorstellungen über Charakteristika bestimmter Gruppen bzw. Personen auf Basis ihrer Gruppenzugehörigkeit. Diese kognitiven Strukturen werden Stereotype genannt:

    „Stereotypes represent a set of qualities perceived to reflect the essence of a group. Stereotypes systematically affect how people perceive, process information about, and respond to, group members. They are transmitted through socialization, the media and language and discourse. […] [W]e define stereotypes as associations and beliefs about the characteristics and attributes of a group and its members that shape how people think about and respond to the group.“ (ebd.: 8)

    Stereotype sind erlernte Vorstellungen von Charakteristika von Gruppen(mitgliedern), die einen Einfluss darauf ausüben, wie wir bestimmte Gruppen wahrnehmen und auf sie reagieren. Bestimmte Eigenschaften oder Verhaltensweisen von Gruppen können besonders gut zugänglich sein, da wir diese basierend auf unseren Stereotypen erwarten würden. Stereotype dienen der Komplexitätsreduktion, erfüllen also die Funktion der Simplifizierung einer komplexen Umwelt (vgl. ebd.: 7).

  2. 2)

    Affektive Ebene: Durch das Hinzuziehen der affektiven Komponente geht das Vorurteil über das Stereotyp hinaus. Die vorgenommenen Kategorisierungen werden mit Emotionen verknüpft und – zum Teil unabhängig von konkreten Erfahrungen – mit Bewertungen versehen.

  3. 3)

    Konative Ebene: Die konative Ebene bezieht sich auf Verhaltens- bzw. Diskriminierungsintentionen.

Das Vorurteil, verstanden als Einstellung auf individueller Ebene, beinhaltet somit bereits eine Komponente, die auf das Verhalten rekurriert. Verhaltensintentionen, die in der konativen Ebene Berücksichtigung finden, sind jedoch zu unterscheiden von tatsächlichem Verhalten (vgl. auch Abschn. 5.2.2) und auch Diskriminierungsintentionen sind abzugrenzen von tatsächlicher Diskriminierung, da letztere zum einen nicht zwingend intentional sein muss und zum anderen nicht ausschließlich auf individueller Ebene anzusiedeln ist. In dieser Arbeit wird zwischen drei verschiedenen Formen der Diskriminierung unterschieden, die jedoch durchaus in Kombination auftreten und sich gegenseitig bedingen können.

  1. 1)

    Individuelle Diskriminierung: Individuelle Diskriminierung bezieht sich auf diskriminierende Handlungen durch Individuen bzw. Angehörige einer Gruppe – in Abgrenzung etwa zu institutioneller oder struktureller Diskriminierung – und meint „[the] behavior that creates, maintains, or reinforces advantage for some groups and their members over other groups and their members“ (ebd.: 10).

  2. 2)

    Institutionelle Diskriminierung: Institutionelle Diskriminierung meint die (Re-)Produktion von Diskriminierung in einem institutionellen bzw. organisatorischen Rahmen, beispielsweise in Schulen, Unternehmen oder auch in unorganisierten Institutionen wie der Familie (vgl. Gomolla & Radtke 2007: 43). Institutionelle Diskriminierung ist von individueller Diskriminierung insofern abzugrenzen, als dass diskriminierende Wirkungen hier vordergründig durch anonyme Operationen hervorgebracht werden (vgl. ebd.). Diskriminierungsmuster können in Strukturen von Institutionen bzw. Organisationen eingeschrieben sein, weshalb „[i]nstitutional discrimination does not require the active support of individuals, their intention to discriminate, or awareness that institutional practices have discriminatory effects.“ (Dovidio et al. 2010: 10). Institutionelle Diskriminierung kann losgelöst sein von konkreten Personen und Absichten und geht damit deutlich über individuelle Handlungen hinaus.

  3. 3)

    Strukturelle Diskriminierung: Während sich institutionelle Diskriminierung auf Ebene der Organisationen bewegt, meint strukturelle Diskriminierung eine „historische und sozialstrukturelle Verdichtung von Diskriminierungen, die nicht mehr klar auf bestimmte Institutionen zurückgeführt werden können, z. B. wenn sich Vorurteilsstrukturen im Alltag zu einem face-to-face-Rassismus verdichten, der zu massiven Diskriminierungen auf dem privaten Wohn- und Arbeitsmarkt sowie zu persönlichen Gewaltverbrechen führt“ (Gomolla 2017: 148 f.). Strukturelle Diskriminierung ist folglich gesamtgesellschaftlich verankert und kann sich etwa auf diskursiver Ebene manifestieren.

Vorurteile und Diskriminierung sind trotz dieser wichtigen Unterschiede eng miteinander verbunden. Während einerseits Vorurteile das Fundament für Diskriminierung bilden, da sie Ungleichwertigkeitsvorstellungen manifestieren und Machtverhältnisse legitimieren (vgl. Zick et al. 2011a: 311 f.), können andererseits Diskriminierungspraxen bestehende Vorurteile weiter verfestigen und reproduzieren. Aufgrund des Zusammenspiels von diskriminierenden Praxen und Vorurteilen berücksichtigen neuere Definitionen des Vorurteils explizit das hierarchische Verhältnis zwischen Gruppen und die Funktion, die Vorurteile erfüllen, nämlich diese Hierarchien zu schaffen oder aufrechtzuerhalten:

„Prejudice is an individual-level attitude (whether subjectively positive or negative)Footnote 3 toward groups and their members that creates or maintains hierarchical status relations between groups.“ (Dovidio et al. 2010: 7)

In dieser Arbeit werden Vorurteile und Diskriminierung als verwandte Konzepte verstanden, die in wechselseitiger Beziehung zueinander stehen. Die Logik von Vorurteilen als Einstellungen auf individueller Ebene (Mikroebene), die sich aus den drei vorgestellten Komponenten konstituieren, und Diskriminierung als strukturelles Element (Makroebene) wird insbesondere in Abschn. 3.2 im Zusammenhang mit der Legitimierung der Terminologie in dieser Arbeit relevant, wenn es um die Gegenüberstellung von Islam-/Muslim*innenfeindlichkeit im Sinne feindlicher Einstellungen und antimuslimischem Rassismus im Sinne eines Strukturmerkmals geht. Wie sich zeigt, können beide Ansätze durchaus zusammengedacht werden.

2.2 Entstehung von Intergruppenkonflikten und situative Salienz sozialer Kategorien: der Social Identity Approach

Im Rahmen des Social Identity Approach (vgl. Tajfel & Turner 1979; Tajfel & Turner 1986; Turner 1985) können die Abwertung und Diskriminierung anderer Gruppen als Ergebnis konflikthafter Ereignisse im Sinne einer negativen sozialen Identität verstanden werden. Das folgende Kapitel beschäftigt sich daher mit dem Verhalten zwischen Gruppen und bearbeitet die Fragen, was eine soziale Identität ist, wie sie entsteht und warum daraus die Abwertung einer anderen Gruppe resultieren kann.

2.2.1 Theorie der Sozialen Identität

Den Ausgangspunkt für die Erforschung von Intergruppenkonflikten – verstanden als Diskriminierung und Abwertung der Outgroup – und sozialer Identität bilden Tajfels Minimalgruppenexperimente (minimal group paradigm) (vgl. Tajfel 1970). Für diese Experimente wurden die Versuchspersonen in zwei willkürliche, psychologisch und sozial bedeutungslose Gruppen eingeteilt mit dem Ziel, ihr Verhalten hinsichtlich der Bevorzugung bzw. Benachteiligung der eigenen Gruppe (Ingroup) gegenüber der sogenannten FremdgruppeFootnote 4 (Outgroup) zu studieren. Im Rahmen der Minimalgruppenexperimente konnte eine Ingroup-Favorisierung nachgewiesen werden. Die Versuchspersonen bevorzugten jedoch nicht nur die eigene Gruppe gegenüber der Outgroup, sondern erachteten zudem eine maximale Differenz zwischen beiden Gruppen als erstrebenswerter als den maximal möglichen absoluten Profit der Ingroup (vgl. Tajfel & Turner 1986: 14). Zuvor hatte bereits Muzafer Sherif (Realistic Group Conflict Theory) das Verhalten zwischen sozialen Gruppen untersucht und konstatiert, dass Intergruppenkonflikte vor allem eine Folge realer Interessenkonflikte zwischen Gruppen sind (vgl. Sherif 1967). Disparate Ziele und limitierte Ressourcen führen demnach in kompetitiven Settings zu einer Benachteiligung der Outgroup. Tajfel verschärft diese These, indem er auf Basis seiner Minimalgruppenexperimente neue „minimal hinreichende Bedingungen für [eine] Ingroup-Favorisierung bzw. Outgroup Diskriminierung“ (Mummendey 1985: 190; Herv. i. Orig.) formuliert: Es bedarf weder eines realistischen Konflikts zwischen den Gruppen noch eines realen persönlichen Nutzens, um Mitglieder der Outgroup abzuwerten – bereits das Wissen um die Zugehörigkeit zur Outgroup genügt, um die Ingroup gegenüber der Outgroup zu bevorzugen.

Die Theorie der Sozialen Identität (Social Identity Theory) berücksichtigt nicht nur die Ebene der Individuen, sondern auch die Ebene der Gruppen. Das Verhalten zwischen Personen lässt sich nun auf einem Kontinuum mit den beiden Extremen ‚interpersonal‘ und ‚intergruppal‘ verorten. Interpersonales Verhalten ist einzig durch die persönliche Beziehung zwischen Individuen und nicht durch potentielle Gruppenzugehörigkeiten charakterisiert. Intergruppales Verhalten hingegen lässt individuelle Merkmale unberücksichtigt und wird bestimmt durch die jeweils vorherrschende Gruppenmitgliedschaft (vgl. Tajfel & Turner 1986: 8). Andere Ähnlichkeiten oder Unterschiede wie beispielsweise persönliche Interessen und Fähigkeiten, berufliche Positionen oder soziodemographische Faktoren werden ausgeblendet. Zumeist findet sich eine Mischform aus interpersonalem und intergruppalem Verhalten, da vollständig interpersonales Verhalten (etwa in Beziehungen, in denen sich die Interagierenden sehr gut kennen und die verschiedenen Gruppenmitgliedschaften in den Hintergrund treten und das Verhalten der Einzelnen nicht länger beeinflussen) wie auch vollständig durch die Gruppenzugehörigkeit dominiertes Verhalten (etwa Soldat*innen unterschiedlicher Armeen, Politiker*innen als Repräsentant*innen unterschiedlicher Parteien oder Fans unterschiedlicher Fußballvereine) Extreme sind, die in dieser Reinform in der Realität eher selten auftreten. Je weiter sich das Verhalten zwischen den Beteiligten am Pol des Intergruppen-Verhaltens bewegt, desto eher werden die Mitglieder der Outgroup als ‚homogene Masse‘ und als austauschbar wahrgenommen und desto weniger sichtbar wird ihre Individualität. Es kommt zur Stereotypisierung, Dehumanisierung, Depersonalisierung (vgl. Mummendey 1985: 194), verstanden als Wechsel von einer eher personalen hin zu einer eher sozialen Identität (vgl. Turner 1985: 100).

Es ist deutlich geworden, dass der Social Identity Approach über die individuelle Ebene hinausgeht und auch die Gruppenebene in die Überlegungen inkludiert. Wie lässt sich nun aber eine Gruppe im sozialpsychologischen Sinne charakterisieren? Diese Arbeit folgt der Definition der sozialen Gruppe von Tajfel und Turner, die auf einen subjektiven und objektiven Konsens über die (Bewertung der) Gruppenzugehörigkeit verweisen. Eine soziale Gruppe kann demnach verstanden werden als

„a collection of individuals who perceive themselves to be members of the same social category, share some emotional involvement in this common definition of themselves, and achieve some degree of social consensus about the evaluation of their group and of their membership in it“ (Tajfel & Turner 1986: 15).

Drei Komponenten sind entscheidend für die Wahrnehmung als soziale Gruppe: die kognitive Komponente (Wissen um die eigene Gruppenmitgliedschaft), die evaluative Komponente (positive / negative Bewertung der Gruppenmitgliedschaft) und die emotionale Komponente (Gefühle, die mit dem Wissen und der Bewertung der Gruppenmitgliedschaft verbunden sind) (vgl. Mummendey 1985: 192). Durch das Wissen um die eigene Gruppenzugehörigkeit und die Bewertung derselben kann eine Gruppe auf subjektiver Ebene zur „psychologischen Realität“ (ebd.) werden. Zur „sozialen Realität“ (ebd.) wird eine Gruppe jedoch erst, wenn Konsens über die Gruppenzugehörigkeit von außen besteht, Subjekte also auch von Externen konsensuell der Gruppe zugeordnet werden.Footnote 5

Soziale Gruppen entstehen entlang sozialer Kategorien, sind also das Ergebnis sozialer Kategorisierungsprozesse:

„Social categorizations are conceived here as cognitive tools that segment, classify, and order the social environment, and thus enable the individual to undertake many forms of social action. But they do not merely systematize the social world; they also provide a system of orientation for self-reference: they create and define the individual’s place in society“ (Tajfel & Turner 1986: 16; Herv. i. Orig.).

Soziale Kategorisierungen sind essentiell für das Handeln von Individuen: Sie strukturieren und ordnen die soziale Umwelt und dienen so der Komplexitätsreduktion. Außerdem – und hier kommt nun die soziale Identität ins Spiel – bieten sie Identifikationsmöglichkeiten, indem sie Individuen Orientierung geben, also einen Referenzrahmen zur Verortung im sozialen Gefüge schaffen. Soziale Kategorisierungen sind relational, denn sie entstehen durch soziale Vergleiche.Footnote 6 Vergleiche machen Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen Gruppen sichtbar und resultieren oftmals in einer Bewertung der Gruppen, indem wertneutralen Merkmalsdimensionen spezifische Wertungen zugesprochen werden, also wertbesetzte Dimensionen entstehen, die zudem in einem (subjektiv wahrgenommenen) hierarchischen Verhältnis stehen. Es stellt sich nun die Frage, ob die Ingroup im Vergleich zur Outgroup (hinsichtlich eines bestimmten Merkmals) besser oder schlechter abschneidet, wobei angenommen werden kann, dass Gruppen nach einer Positionierung am positiven Pol der Vergleichsdimension streben (vgl. Mummendey 1985: 201). In anderen Worten: die Ingroup versucht aus dem Vergleich mit der Outgroup positiv hervorzugehen, also eine positive Distinktheit zu erreichen.

Das Ergebnis eines solchen Vergleichsprozesses ist nichts anderes als die Wahrnehmung der eigenen spezifischen Position innerhalb eines Systems sozialer Kategorien. Darauf basierende soziale Identifikationen bilden in ihrer Summe schließlich die soziale Identität, verstanden als

„that part of an individual’s self-concept which derives from his knowledge of his membership of a social group (or groups) together with the value and emotional significance attached to that membership“ (Tajfel 1978: 63).

Die Idee der sozialen Identität basiert auf drei Prämissen: 1. Individuen streben nach einem positiven Selbstkonzept. 2. Soziale Gruppen oder Kategorien sind mit (konsensualen) Bewertungen konnotiert. 3. Soziale Vergleichsprozesse bringen positive oder negative Diskrepanzen hervor (vgl. Tajfel & Turner 1986: 16). Aus diesen Prämissen können wiederum drei theoretische Prinzipien abgeleitet werden: 1. Individuen streben nach einer positiven sozialen Identität. 2. Eine positive soziale Identität wird durch die positive Distinktheit der Gruppe erreicht. 3. Bei Unzufriedenheit bedingt durch eine fehlende positive Distinktheit und in der Folge ausbleibende positive soziale Identität benötigen die Individuen Strategien, um den negativen Ergebnissen der Vergleichsprozesse entgegenzuwirken.

Die Frage lautet also: Was tun, wenn die soziale Identität negativ ausfällt? Abbildung 2.1 zeigt eine Visualisierung der unterschiedlichen Strategien im Umgang mit einer negativen sozialen Identität. Werden die Gruppengrenzen als durchlässig wahrgenommen, besteht für die Gruppenmitglieder die Möglichkeit, ihre Gruppe zu wechseln (individual mobility). Ist dies nicht der Fall, bleiben zwei Möglichkeiten zur Erlangung einer positiven sozialen Identität: entweder durch soziale Kreativität (social creativity) – gemeint sind Strategien, die sich auf die Veränderung der Vergleichsgruppe, die Veränderung der Vergleichsdimension oder die Neubewertung der Vergleichsdimension beziehenFootnote 7 – oder durch die Abwertung der Outgroup (social competition), wodurch im direkten Vergleich eine Aufwertung der Ingroup bewirkt werden soll (vgl. ebd.: 19 f.).

Abbildung 2.1
figure 1

(eigene Darstellung)

Die Theorie der Sozialen Identität nach Tajfel & Turner (1979, 1986): zum Zusammenhang von sozialer Identität und Abwertung

Die Funktion der Abwertung (von Mitgliedern) der Outgroup liegt im Sinne der Theorie der Sozialen Identität also in der Herstellung positiver Distinktheit zur relevanten Vergleichsgruppe, um eine positive soziale Identität und damit ein positives Selbstkonzept aufbauen oder aufrechterhalten zu können. Konflikte zwischen Gruppen können in diesem Sinne als ein Aushandeln sozialer Identitäten verstanden werden.

2.2.2 Selbstkategorisierungstheorie

Nachdem die Theorie der Sozialen Identität eine Erklärung für die Entstehung von Outgroup-Diskriminierung liefern konnte, werden im Rahmen der Selbstkategorisierungstheorie (Self-Categorization Theory) die Antezedenzen der Salienz sozialer Kategorien, also „the conditions under which some specific group membership becomes cognitively prepotent in self-perception“, näher betrachtet (Turner 1985: 102). Die Weiterentwicklung der Ansätze zu sozialen Kategorisierungsprozessen aus einer sozial-kognitiven Perspektive durch John C. Turner ist ein wichtiger Beitrag zum Verständnis der psychologischen Grundlagen des Verhaltens zwischen sozialen Gruppen (vgl. ebd.: 115). Aus diesem Grund schaut Turner unter anderem auf die Determinanten der Bedeutsamkeit sozialer Kategorien und damit auf die Frage: Welche Merkmale nehmen wir in welchen Kontexten als konstituierend für Gruppen wahr? Turner stellt dazu die These auf, dass

„the salience of some ingroup-outgroup categorization in a specific situation is a function of an interaction between the ‘relative accessibility‘ of that categorization for the perceiver and the ‘fit’ between the stimulus input and category specifications“ (ebd.: 102).

Die Kategorisierungssalienz ist abhängig von zwei Faktoren: zum einen von der relativen Zugänglichkeit (accessibility) einer bestimmten Kategorie für die wahrnehmende Person und zum anderen von der Passung (fit) zwischen den wahrgenommenen Eigenschaften einer Person und bestehenden Stereotypen. Bestimmte Merkmale oder Eigenschaften werden dann salient, wenn sie einerseits kognitiv vergleichsweise leicht zugänglich sind (wie etwa das Alter oder das Geschlecht) und andererseits kongruent sind mit vorhandenen Stereotypen. Bei zwei kognitiv gleich gut zugänglichen Kategorien wird diejenige mit der besseren Passung salient werden. Umgekehrt gilt das Gleiche: Ist die Passung zweier Kategorien gleich gut, so wird die situativ leichter zugängliche Kategorie salient (vgl. ebd.).

Die Akzessibilität einer Kategorie hängt von der „perceptual readiness“ ab, die sich aus vergangenen Erfahrungen und aktuellen Motiven der einzelnen Personen sowie dem aktuellen Kontext ergibt (ebd.). Die Sensibilität für bestimmte Kategorien bzw. die Neigung zu spezifischen Kategorisierungen ist folglich sowohl von individuellen Dispositionen als auch von situativen Faktoren geprägt. Turner nennt etwa einen Besuch in Chinatown als Kontext, in dem die Salienz der Kategorie Nationalität begünstigt werden kann (vgl. ebd.: 102 f.); der Besuch einer Konferenz zum Thema Feminismus hingegen wird eher die Salienz der Kategorie Geschlecht erhöhen; ein Zusammentreffen von Menschen im Rahmen eines interreligiösen Dialogs wiederum kann die Bedeutung der Religionszugehörigkeit besonders hervorheben.

Unter Passung versteht Turner „the degree to which reality actually matches the criteria which [stereotypically] define the category“ (ebd.: 103). Diese intrapersonale Passung ist umso höher, je mehr eine Person dem Bild einer bestimmten Kategorie (Stereotyp) entspricht. Für die Kategorienbildung ist laut Turner außerdem der sogenannte Metakontrast entscheidend. Turner geht es um das Verhältnis zwischen intra- und interkategorialen Differenzen, also die Idee, dass sich Ingroup-Mitglieder möglichst ähnlich sind und gleichzeitig möglichst different gegenüber der Outgroup. Demnach wird die Kategorie „with the largest metacontrast ratio“ salient. Das ist die Kategorie, die die größten wahrgenommenen interkategorialen Unterschiede aufweist und gleichzeitig in den Augen der wahrnehmenden Person intrakategoriale Unterschiede minimiert (vgl. ebd.: 96/103), das heißt diejenige Kategorie, die eine gegebene Situation bestmöglich strukturiert. Im Sinne der interpersonalen Passung wird eine Situation nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden der Interagierenden strukturiert, mit dem Ziel, größtmögliche Ingroup-Homogenität bei größtmöglicher Differenz zur Outgroup zu schaffen.

Die Zugänglichkeit einer Kategorie, bedingt durch vergangene Erfahrungen, aktuelle Motive und den aktuellen Kontext, sowie ihre intrapersonale und interpersonale Passung können als wichtige Antezedenzen für die Salienz sozialer Kategorien festgehalten werden. Die Überlegungen von Turner (1985) sind für diese Arbeit von großer Bedeutung, denn sie verweisen auf die Kontextabhängigkeit und Variabilität der Salienz einzelner sozialer Kategorien. Kategorien können in den Vorder- oder Hintergrund treten, mal mehr, mal weniger salient sein. Diese Erkenntnis ist zentral für die nun folgenden Ansätze zur Verringerung von Vorurteilen und Intergruppenkonflikten (Abschn. 2.3) und somit indirekt auch für die Differenzierung zwischen Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit (Abschn. 2.4).

2.3 Konfliktmanagement: Strategien zur Reduzierung von Intergruppenkonflikten

In der Literatur finden sich verschiedene Strategien zur Reduzierung von Intergruppenkonflikten (vgl. u. a. Oskamp 2000). Zwei besonders weit verbreitete Ansätze werden im Folgenden näher betrachtet: Vorurteilsreduktion durch Kontakt und Verringerung von Konflikten zwischen Gruppen durch die Verschiebung von Kategoriengrenzen. Beide Ansätze hängen zusammen und sind für diese Arbeit vor allem deshalb interessant, weil sie die Reduzierung von Vorurteilen und Konflikten zwischen (Menschen-)Gruppen fokussieren. Sie bieten damit Überlegungen zur Konfliktminderung, die für Einstellungen gegenüber Muslim*innen funktionieren können, auf den Islam jedoch in dieser Form kaum übertragbar sind.

2.3.1 Vorurteilsreduzierung durch Kontakt: Die Kontakthypothese

Allports 1954 aufgestellte und vielfach rezipierte Kontakthypothese postuliert einen Einfluss von Intergruppenkontakten auf die Reduzierung von Vorurteilen gegenüber der Outgroup: Je mehr Kontakte eine Person zu Angehörigen einer Outgroup hat, desto geringer fallen die Vorurteile gegenüber dieser Gruppe aus.Footnote 8 Er verweist auf sechs Merkmale von Kontakt(situationen) und Interagierenden, die sich positiv oder negativ auf das Maß der Vorurteile auswirken können (vgl. Allport 1954: 262 f.):

  1. 1.

    Quantitative Rahmenbedingungen des Kontakts (Dauer, Häufigkeit, Anzahl der interagierenden Personen etc.)

  2. 2.

    Status der beteiligten Personen (Statusähnlichkeiten oder -unterschiede von Individuen, Status der Gruppe)

  3. 3.

    Rolle der Beteiligten (kooperierendes oder kompetitives Verhältnis, Machthierarchien zwischen den Personen)

  4. 4.

    Soziale Atmosphäre (Ist der Kontakt freiwillig oder erzwungen? Ist der Kontakt echt oder künstlich? Wird der Kontakt als typisch wahrgenommen? etc.)

  5. 5.

    Persönlichkeitsdispositionen (Art und Stärke der Vorurteilshaftigkeit, Vorerfahrungen, Schulbildung, Alter etc.)

  6. 6.

    Bereiche von Kontakt (Freizeit, Schule, Arbeit, Nachbar*innenschaft etc.)

Ähnlich wie bei der Salienz sozialer Kategorien spielen auch hier Vorerfahrungen eine wichtige Rolle. In Bezug auf Punkt 6 betont Allport zudem explizit religiöse Kontakte (vgl. ebd.: 263). Für das Ausmaß der Islam- bzw. Muslim*innenfeindlichkeit kann es relevant sein, ob der Kontakt in einem religiösen Umfeld stattfindet und ob die Religionszugehörigkeit in diesem Moment salient ist. Insgesamt sind besonders ‚echte‘ und dauerhafte Kontakte zur Vorurteilsreduzierung geeignet, denn diese Formen des Kontakts können den Wissensstand über die Outgroup vergrößern und so zum Abbau von Vorurteilen beitragen (vgl. ebd.: 268). Darüber hinaus führt Allport vier Bedingungen an, unter denen Kontakt besonders wirksam für die Vorurteilsminderung ist:

  1. 1.

    Ähnlicher sozialer Status. Auf Statusgleichheit basierende Kontakte können beispielsweise im beruflichen Kontext entstehen. Im Falle eines Statusunterschiedes ist es jedoch vorteilhaft für die Reduzierung von Vorurteilen, wenn der*die Angehörige der Minorität über den höheren sozialen Status verfügt.

  2. 2.

    Verfolgen gemeinsamer Ziele / Interessen. Gemeinsame Ziele fördern die Solidarität unter den Beteiligten. Gemeinsame Interessen und Unternehmungen können Menschen zu einer Einstellungsänderung bewegen. So könnten beispielsweise zunächst Gemeinsamkeiten bzw. Ähnlichkeiten aufgezeigt und dann ein Kontext geschaffen werden, der die Entwicklung gemeinsamer Projekte ermöglicht.

  3. 3.

    Kooperation beim Erreichen der Ziele. Es kommt nicht darauf an, gleiche Ziele zu haben, die unter Umständen sogar in direktem Wettbewerb erreicht werden sollen, sondern kooperativ auf gemeinsame Ziele hinzuarbeiten.

  4. 4.

    Unterstützung der Interaktion durch Autoritäten bzw. eine institutionelle Rahmung. Autoritäten bzw. Institutionen sind in der Lage, Werte wie Toleranz und Akzeptanz als normative Erwartungen zu vermitteln.

Zusammengefasst lässt sich sagen:

„Prejudice (unless deeply rooted in the character structure of the individual) may be reduced by equal status contact between majority and minority groups in the pursuit of common goals. The effect is greatly enhanced if this contact is sanctioned by institutional supports (i.e., by law, custom or local atmosphere), and provided it is of a sort that leads to the perception of common interests and common humanity between members of the two groups“ (ebd.: 281).

Seit Allports Überlegungen zum Zusammenhang von Kontakt und Vorurteilen in den 1950er Jahren wurde die Kontakthypothese in einer unüberschaubaren Menge an Studien untersucht. Eine 515 verschiedene Studien umfassende Metaanalyse konnte zeigen, dass die von Allport formulierten Kontaktbedingungen durchaus förderlich, jedoch nicht essentiell für die Reduzierung von Vorurteilen sind (vgl. Pettigrew & Tropp 2006). Verschiedene Studien konnten den postulierten Kontakteffekt auch für die Reduzierung von Vorurteilen gegenüber Muslim*innen belegen. So gehen beispielsweise Kontakte zu Muslim*innen im engen Freund*innenkreis, im erweiterten Freund*innen- und Bekanntenkreis sowie Kontakte im schulischen / studentischen / beruflichen Umfeld mit einer Reduzierung feindlicher Einstellungen gegenüber Muslim*innen einher (vgl. Diekmann 2017, 2020b). Gleiches gilt für Kontakte im Privatleben, auf der Arbeit und in der Nachbar*innenschaft (vgl. Yendell 2013). Auch gehen Kontakte zu Migrant*innenFootnote 9 mit einer geringeren Unterstützung für einen Muslim Ban (vgl. Pickel & Öztürk 2018) sowie einer höheren Akzeptanz für muslimische Bürgermeister*innen einher (vgl. Öztürk 2021). Werden verschiedene Prädiktoren für Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit berücksichtigt, zeigt sich, dass Kontakt zu den stärksten Prädiktoren zählt (vgl. Dekker & van der Noll 2012; Pickel & Öztürk 2018). Freiwilliger Kontakt führt verglichen mit erzwungenem Kontakt zu einer verringerten Muslim*innenfeindlichkeit (vgl. Müller et al. 2017). Insgesamt findet sich ein vorurteilsreduzierender Effekt nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen europäischen Ländern wie Frankreich oder den Niederlanden (vgl. Dekker & van der Noll 2012; Pickel & Yendell 2016). Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass insbesondere positive Kontakterfahrungen mit Muslim*innen zu verringerten Vorurteilen gegenüber Islam und Muslim*innen führen (vgl. Dekker & van der Noll 2012; Schmidt et al. 2019). Vereinzelt finden sich darüber hinaus Studien, die den Einfluss von Kontakt auf Islamfeindlichkeit untersuchen. So gehen beispielsweise Kontakte zu Muslim*innen im engen Freund*innen- und im erweiterten Freund*innen- und Bekanntenkreis mit reduzierten Vorurteilen gegenüber dem Islam einher (vgl. Diekmann 2017, 2020b). Personen, die freiwilligen Kontakt zu Muslim*innen haben, sind überdies weniger islamfeindlich als Personen, die Kontakt zu Muslim*innen in eher erzwungenen Settings haben, etwa in der Familie oder am Arbeitsplatz (vgl. Müller et al. 2017).

Ausschlaggebend dafür, dass in einem ersten Schritt überhaupt erst Intergruppenkontakte entstehen, sind Gelegenheitsstrukturen. Eine hohe Anzahl von Angehörigen einer Outgroup, etwa am Arbeitsplatz oder in der Nachbar*innenschaft, erhöht die Chance auf eine Kontaktsituation mit diesen, was wiederum zu mehr Freundschaften zwischen Mitgliedern beider Gruppen führt und die Feindlichkeit gegenüber der Outgroup verringert (vgl. Wagner et al. 2002: 103). Gleichzeitig verläuft dieser Prozess nicht immer so linear wie dargestellt und kann durch unterschiedliche Faktoren gestört werden, wodurch ein tatsächlicher Kontakt oder die Vorurteilsreduzierung nicht eintritt, beispielsweise weil eine Person nicht als typische*r Vertreter*in der Outgroup wahrgenommen wird und in der Folge keine Generalisierung auf die gesamte Gruppe stattfindet.

Der Prozess der Generalisierung spielt eine wichtige Rolle für die Reduzierung von Vorurteilen durch Kontakt. Damit Personen Erfahrungen aus Kontaktsituationen von Individuen auf die gesamte Gruppe übertragen können, ist die Salienz der Gruppenzugehörigkeit von besonderer Bedeutung: „Only when the interactants view one another as group representatives does the contact become an intergroup event.“ (Pettigrew 1998: 74). Intergruppenkontakte finden jedoch oftmals dann statt, wenn die Interagierenden eben keine typischen Vertreter*innen ihrer Gruppe sind. Für diejenigen, die besonders geneigt sind, Intergruppenkontakte einzugehen, wird eine Generalisierung aufgrund der fehlenden Salienz der Gruppenzugehörigkeit (Dekategorisierung) erschwert, wenn auch nicht unmöglich (vgl. ebd.). Positive Effekte sind dennoch möglich. Die Lösung kann in diesen Fällen über die Rekategorisierung führen: Wenn der Kontakt bereits einige Zeit andauert, können Individuen über größere, übergeordnete Gruppenzugehörigkeiten nachdenken und diese bedeutsam machen (vgl. ebd.: 75). Vorurteile werden verringert, indem Personen nun einer gemeinsamen Ingroup angehören (vgl. hierzu auch Abschn. 2.3.2).

Kontakte haben folglich das Potential, Vorurteile gegenüber Menschen(gruppen) zu verringern. (Positive) Kontakte zu Muslim*innen können – insbesondere unter den formulierten Bedingungen – bei Nicht-Muslim*innen zu einer Abschwächung oder Auflösung feindlicher Einstellungen führen. Diese Form des zwischenmenschlichen Kontakts ist jedoch im Zusammenhang mit dem Islam als Religion und damit auf deutlich abstrakterer Ebene so nicht möglich. Die Kontakthypothese liefert damit indirekt Anhaltspunkte für eine separate Betrachtung von Einstellungen gegenüber dem Islam (Religion) und Muslim*innen (als potentiell individuelle Mitglieder einer Outgroup). Darüber hinaus geht Allport davon aus, dass Kontakte, die fundiertes Wissen über die Outgroup liefern, zu einer Reduzierung von Vorurteilen beitragen (vgl. Allport 1954: 268). Forschung in diesem Bereich liefert Evidenz für einen (schwachen) Zusammenhang zwischen Wissen über den Islam und über Muslim*innen und Islam-/Muslim*innenfeindlichkeit (vgl. Dekker & van der Noll 2012). Ein differenzierterer Blick zeigt, dass das Wissen über die Lebensrealitäten von Muslim*innen zu einer Verringerung von Muslim*innenfeindlichkeit beiträgt, gleiches jedoch nicht für das Wissen über die Glaubenslehren des Islams gilt (vgl. Janzen et al. 2019). Es liegt auf der Hand, dass in Kontaktsituationen Wissen über die Interaktionspartner*innen generiert wird, wodurch unter anderem weitere Gruppenzugehörigkeiten der beteiligten Personen offenbart werden können. Das Wissen um derartige Mehrfachzugehörigkeiten und das Verschieben von Gruppengrenzen sind prominente Strategien zur Verringerung von Vorurteilen und Intergruppenkonflikten, die in engem Zusammenhang mit Kontakt stehen bzw. durch Kontakt ermöglicht werden können. Was genau darunter zu verstehen ist, wird im Folgenden skizziert.

2.3.2 Multiple Gruppenzugehörigkeiten und Dekonstruktion starrer Gruppengrenzen: Kreuzkategorisierung, Dekategorisierung, Rekategorisierung

„Die Illusion der Singularität stützt sich auf die Annahme, ein Mensch sei nicht als Individuum mit vielen Zugehörigkeiten oder als Mitglied vieler verschiedener Gruppen zu betrachten, sondern ausschließlich als Mitglied eines einzigen Kollektivs, das ihm eine Identität von überragender Bedeutung verleiht.“ (Sen 2007: 58).

„Most challenging from an analytic point of view is the analysis of the intersection of identities. It is easy to visit a Muslim country or study an immigrant community, and present all in terms of religion. But this is to miss the other identities – of work, location, ethnicity – and, not least, the ways in which different Muslims relate to each other.“ (Halliday 1999: 897)

Auch wenn die Theorie der Sozialen Identität auf den ersten Blick suggeriert, eine singuläre Gruppenzugehörigkeit und eine disjunkte Einteilung in Ingroup und Outgroup sei der Normalfall, ist die Realität doch deutlich komplexer und weniger schematisch. Zwar kann es in der Wahrnehmung der Interagierenden durchaus zu Verabsolutierungsprozessen der Ingroup und Outgroup kommen, allerdings gehören Menschen doch niemals nur einer einzigen Gruppe an. Stattdessen verfügt in der Praxis jeder Mensch über eine Vielzahl unterschiedlicher Gruppenmitgliedschaften, die zusammengenommen die (plurale) Identität eines jeden Individuums bilden.Footnote 10 Eine Person kann beispielsweise ohne jeden Widerspruch Muslimin, Feministin, Vegetarierin, Klavierspielerin, Krankenpflegerin und begeisterte Handballspielerin sein. Je nach Kontext können die einzelnen Kategorien für das Individuum von unterschiedlicher Wichtigkeit sein. Das kann dazu führen, dass bestimmte Zugehörigkeiten in bestimmten Kontexten dominieren. Dies bedeutet allerdings nicht, dass wir etwa in einem von der Religionszugehörigkeit dominierten Kontext die „religiöse […] Zugehörigkeit als allesverschlingende Identität begreifen“ müssen (Sen 2007: 79). Jedes Individuum verfügt darüber hinaus über zahlreiche andere Gruppenmitgliedschaften. Das bedeutet einerseits, dass sich die Identität eines Menschen niemals nur aus einer Gruppenmitgliedschaft speist und andererseits, dass Gruppenmitglieder zwar in Hinblick auf ein Merkmal homogen sind, in Hinblick auf zahlreiche andere Merkmale jedoch durchaus Heterogenität aufweisen. Muslim*innen beispielsweise teilen ihre Religionszugehörigkeit, unterscheiden sich jedoch in Bezug auf Geschlecht, Klasse, Ethnizität, Beruf, persönliche Interessen, Fähigkeiten und so weiter.

Die Überwindung singulärer Klassifikationen und die Verabschiedung von einem solitaristischen Identitätsverständnis, das heißt die Anerkennung parallel existierender Gruppenzugehörigkeiten, bieten ein nicht zu unterschätzendes Konfliktminderungspotential (vgl. Sen 2007). Wie das aussehen kann, zeigen die folgenden Überlegungen zu Kreuzkategorisierungen, Prozessen der Individualisierung (Dekategorisierung) sowie übergeordneten Kategorisierungen (Rekategorisierung). Alle drei Strategien können als unterschiedliche Kategorisierungslevel mit einem unterschiedlichen Maß an Inklusivität verstanden werden. Abbildung 2.2 veranschaulicht die verschiedenen Ebenen und Prozesse, um die es im Folgenden geht. Die einfache Kategorisierung, wie sie in Abschn. 2.2 besprochen wurde, bildet dabei das Zentrum, von welchem nun Prozesse der Grenzverschiebung ausgehen.

Abbildung 2.2
figure 2

(eigene Darstellung in Anlehnung an Crisp 2010: 519)

Multiple Kategorisierungen als Strategien zur Vorurteilsreduzierung

Der Abstraktionsgrad nimmt von Level 1 zu Level 4 stetig ab. Alle Ebenen bieten jedoch Möglichkeiten, Intergruppenkonflikte zu reduzieren, indem die Flexibilität von sozialen Kategorisierungen, das heißt die Beweglichkeit und Veränderbarkeit von Gruppengrenzen, anerkannt wird. Unter Berücksichtigung der drei vorgestellten Strategien wird schließlich die besondere Rolle von Ähnlichkeit und Differenz als Querschnittsthema im Rahmen der Reduzierung von Diskriminierung und Vorurteilen diskutiert.

Kreuzkategorisierungen

Eine vielfach angeführte Möglichkeit, Vorurteile gegenüber Mitgliedern einer Outgroup zu reduzieren, liegt in der Verminderung der Kategorisierungssalienz und damit in der Auflösung starrer Gruppengrenzen. Dies kann über Kreuzkategorisierungen, also überlappende Kategorisierungen, geschehen, das heißt Verbindungen, die quer zu einer anderen Gruppenkategorie liegen (vgl. Mummendey 1985: 209). Die Abwertung der Outgroup im Sinne der Theorie der Sozialen Identität basiert auf der Annahme, Ingroup und Outgroup seien klar voneinander abgrenzbar. Personen lassen sich in diesem Szenario relativ leicht entweder der Ingroup oder der Outgroup zuordnen. Sobald jedoch mehr als eine Kategorie salient ist, wird eine eindeutige Zuordnung von Personen zur Ingroup oder Outgroup deutlich erschwert, da sich unter Berücksichtigung aller Kategorien keine eindeutigen Gruppen mehr bilden lassen. Eine hohe Salienz der Kategorie Religionszugehörigkeit etwa kann dazu führen, dass sich Personen entlang dieses Kriteriums sortieren: Muslim*innen, Christ*innen, Buddhist*innen, Atheist*innen etc. Da sich viele Menschen nur einer einzigen Ausprägung zugehörig fühlen werden, fällt eine Einteilung in ‚wir vs. die Anderen‘ nicht besonders schwer. Ist nun aber zusätzlich die Kategorie Geschlecht bedeutsam, ist eine solche binäre Einteilung nicht länger möglich. Stattdessen ergibt sich nun die Möglichkeit, eine Person gleichzeitig als Mitglied der Outgroup (zum Beispiel andere Religionszugehörigkeit) und als Mitglied der Ingroup (zum Beispiel gleiches Geschlecht) wahrzunehmen.

„[S]ocieties are differentiated along a number of different dimensions of social identity – ethnicity, religion, region, occupation, gender – each of which subdivides the whole into different subgroupings with overlapping memberships. In such a system, individuals may belong to, and identify with, multiple ingroups at the same level of inclusion. Further, other individuals, who are outgroup members in one category distinction, may be fellow ingroup members in another.“ (Brewer 2000: 169).

Diese Kreuzkategorisierungen erschweren eine klare Einteilung in Ingroup und Outgroup und in der Folge die Abwertung der Outgroup, denn diese ist nun nicht länger eindeutig identifizierbar. Je mehr Kategorisierungen salient werden, desto schwerer wird die Einteilung in Ingroup und Outgroup. Je nach Kontext können unterschiedliche Gruppenzugehörigkeiten salient sein (vgl. auch Abschn. 2.2.2):

„Large complex societies are characterized by multiple cross-cutting systems of social categorization, and individuals have corresponding multiple social identities, any one of which may be activated in a given social situation.“ (Brewer & Miller 1984: 283).

In der Praxis bedeutet das, dass überlappende Kategorisierungen als Querverbindungen verstanden werden können. Quer zueinander verlaufende Gruppenzugehörigkeiten aufzuzeigenFootnote 11, kann daher ein wichtiges Instrument zur Vorurteilsreduzierung darstellen, denn sie erschweren die strikte Einteilung in Ingroup und Outgroup und die damit potentiell verbundene Abwertung ‚der Anderen‘.

Dekategorisierung: Individualisierung

Wenn eine Kategorisierung dominiert, andere Kategorien aber dennoch salient sind, kann dies zudem dazu beitragen, die Outgroup als weniger homogen wahrzunehmen. Die Verminderung der Outgroupdiskriminierung führt hier also über den Weg des Aufzeigens von Heterogenität innerhalb der Outgroup und wird über die Individualisierung der Outgroup erreicht (vgl. Mummendey 1985: 209). Wenn eine Vielzahl von Gruppenzugehörigkeiten bekannt und salient ist, werden die daraus resultierenden Identitäten immer komplexer, es kommt zum Prozess der Dekategorisierung und damit zur Differenzierung und Personalisierung der Outgroup-Mitglieder (vgl. Brewer & Miller 1984).

„At […] the lowest level of abstraction, individuation follows decategorization resulting from a high level of multiple identity complexity. When the number and/or complexity of the categories that require attention reaches a critical threshold there is a shift from categorical to individuated perception.“ (Crisp 2010: 519 f.).

Für die Verschiebung von kategorialer zu individueller Wahrnehmung kann es hilfreich sein, unterschiedliche Kategorien und damit potentielle Gruppenzugehörigkeiten sichtbar zu machen. Individuen gehören immer einer Vielzahl verschiedener Gruppen an, die sich beispielsweise aus Heterogenitätsmarkern wie Alter, Geschlecht, sozioökonomischem Status oder Beruf, aber auch aus persönlichen Fähigkeiten, Hobbies, Interessen und Überzeugungen ergeben können. Für jeden Menschen entsteht so eine individuelle Zusammensetzung unterschiedlicher Gruppenzugehörigkeiten, die zudem unterschiedlich gewichtet sein können. Je nachdem, welche Relevanz bestimmten Gruppen(zugehörigkeiten) beigemessen wird, können die einzelnen Gruppenzugehörigkeiten mit unterschiedlichem Gewicht in die Identitätsbildung eingehen. Auch wenn bestimmte Kategorien vorgegeben und (nahezu) unausweichlich sind, so können doch alle Menschen innerhalb dieses Rahmens in gewissem Umfang entscheiden, welche Priorität sie bestimmten Kategorien einräumen (vgl. Sen 2007: 21 f.). Prioritäten können sich je nach Kontext verschieben, sind jedoch nicht als Entweder-Oder-Entscheidungen zu verstehen (vgl. ebd.: 34/190): Einzelne Zugehörigkeiten können kontextabhängig unterschiedliche Prioritäten zugewiesen bekommen und damit in den Vorder- oder Hintergrund treten; andere Kategorien sind dadurch jedoch nicht gänzlich verschwunden.

Dekategorisierung bedeutet folglich, dass Gruppenzugehörigkeiten weniger betont werden. Stattdessen treten persönliche Informationen in den Vordergrund, die die Bedeutung der Kategorie reduzieren. Das Wissen um die Mannigfaltigkeit von Gruppenzugehörigkeiten kann also die Fokussierung auf eine einzige Gruppenzugehörigkeit zugunsten einer individualisierten Perspektive ablösen. Anders gesagt: Es kann zu einer Verschiebung des Handelns vom intergruppalen Ende des Kontinuums hin zum interpersonalen Pol kommen. Menschen begegnen sich verstärkt als Individuen mit pluralen Identitäten, statt als Anhänger*innen einer einzigen spezifischen Gruppe, als Vertreter*innen einer Kategorie. Die Auseinandersetzung mit der Vielzahl eigener Gruppenzugehörigkeiten und der daraus resultierenden vielfältigen Identität wird aus diesem Grund beispielsweise in Argumentationstrainings gegen rechte Parolen für Jugendliche gefördert (vgl. Wolrab 2016: 378).

Rekategorisierung: übergeordnete Kategorisierungen

Ein anderer Ansatz – die Rekategorisierung – führt nicht über die Minderung der Bedeutung einzelner Kategorisierungen mit dem Ziel der Individualisierung, sondern versucht, übergeordnete saliente Kategorien zu finden, sodass aus ‚wir vs. die Anderen‘ ein inklusiveres Wir auf einem höheren Abstraktionslevel wird: „from an ‚us‘ and ‚them‘ orientation to a more inclusive ‚we‘“ (Gaertner & Dovidio 2010: 121). Der Prozess der Rekategorisierung basiert auf der Annahme, „that people belong to a variety of groups that are hierarchically organized in terms of inclusiveness“ (ebd.: 120). Die Idee, eine Ebene höher zu gehen und aus zwei (oder mehr) Gruppen eine einzige Gruppe zu machen, wurde im Common Ingroup Identity Model aufgegriffen:

„It asserts that intergroup bias and conflict can be reduced by factors that transform members’ cognitive representation of the memberships from two groups to one group. We propose that this change in members’ perceptions of group boundaries enables some of the cognitive and motivational processes that may contribute initially to intergroup bias and conflict to be redirected toward establishing more harmonious intergroup relations.“ (Gaertner et al. 1993: 2).

So könnten zum Beispiel (gläubige) Christ*innen und Muslim*innen der übergeordneten Kategorie der Gläubigen zugeordnet werden. Eine Gemeinsamkeit – gläubig zu sein – wird so auf einem höheren Abstraktionsgrad zum konstituierenden Merkmal für eine inklusivere Gruppe.

Zur Rolle von Ähnlichkeit und Differenz

Insgesamt zeigt sich, dass in der Salienz unterschiedlicher Kategorien – in Form überlappender Kategorisierungen, in Form eines Individualisierungsprozesses oder in Form übergeordneter Kategorisierungen – Potentiale liegen, um Abwertungsbestrebungen zwischen Gruppen zu mindern. Nicht zu unterschlagen ist an dieser Stelle die Rolle von Ähnlichkeit und Differenz. Im Sinne des Social Identity Approach wirkt Ähnlichkeit zwischen Gruppen aversiv, denn sie erhöht den Druck auf wechselseitige Differenzierung. Wenn die positive soziale Distinktheit bedroht scheint, nimmt der soziale Wettbewerb zu (vgl. Mummendey 1985: 206). Dies scheint im ersten Moment der häufig postulierten Ähnlichkeits-Attraktivitäts-Hypothese zu widersprechen. Bei genauerem Hinsehen wird jedoch deutlich, dass der Social Identity Approach von zwei Ebenen ausgeht: der interpersonalen und der intergruppalen Ebene. Anders als auf intergruppaler Ebene dienen soziale Vergleiche auf interpersonaler Ebene nicht der Schaffung bzw. dem Erhalt von Unterschieden zwischen Gruppen, sondern der Validierung eigener Einstellungen und Überzeugungen (vgl. ebd.). Ähnlichkeit ist dann ein bestärkendes, verbindendes Element.

Ähnlichkeit kann verstanden werden als dynamisches Konzept, das Zusammenhänge und Verbindendes betont. Als Gegenentwurf zu Differenz nimmt Ähnlichkeit Gemeinsamkeiten, Überlappungen und Parallelen in den Blick und hat das Potential, starre Grenzen, Dichotomien und Hierarchisierungen aufzuweichen:

„Es geht dabei nicht in erster Linie um Dichotomien und Grenzziehungen, sondern um Versuche, überlappende Felder der Ähnlichkeit zu finden. Das Prinzip des ‚Sowohl-als-auch‘ wird gegenüber dem Prinzip des ‚Entweder-oder‘ in der kulturellen Praxis betont.“ (Bhatti & Kimmich 2015: 17).

Ähnlichkeit sollte jedoch nicht missverstanden werden als „Harmonisierungskonzept“, sondern begriffen werden als „ein Moment der Destabilisierung von angeblich stabilen, ‚natürlichen‘ dichotomischen Ordnungen“ (ebd.).

Diese Idee lässt sich mit dem Social Identity Approach verbinden, denn die Verminderung der Kategorisierungssalienz funktioniert ebenfalls mithilfe von Überlappungen – Kategorisierungen, die quer zueinander liegen und damit Felder des ‚Sowohl-als-auch‘ schaffen: sowohl Muslimin als auch Journalistin als auch Feministin als auch Tennisspielerin und so weiter. Statt Differenzen als starr und unumstößlich zu betrachten, könnte es hilfreich sein, eben jene als dynamisch und kontextspezifisch zu begreifen und in diesem flexiblen Gebilde nach Ähnlichkeiten und Gemeinsamkeiten zu suchen. Es geht dabei nicht um „eine falsche Form der Harmonisierung oder Nivellierung von Unterschieden“, sondern vielmehr darum, „postulierte Antagonismen und radikale Unverträglichkeiten von Gegensätzen“ zu hinterfragen (ebd.: 15).

Starre Gruppengrenzen lassen sich aufweichen, wenn Ähnlichkeiten und Gemeinsamkeiten zwischen Individuen der Ingroup und der Outgroup sichtbar gemacht werden. Als Beispiel kann die Arbeit mit Fußballfangruppen, welche durch stark intergruppales Verhalten gekennzeichnet sind, angeführt werden. Durch die Minimierung der Salienz der Gruppenmitgliedschaft und das Aufzeigen von Gemeinsamkeiten mit dem Ziel, einer übergeordneten Kategorie Bedeutung beizumessen (Rekategorisierung) wird versucht, überlappende Felder der Ähnlichkeit – etwa die gemeinsame Leidenschaft für diesen Sport – zu finden, um Vorurteile zwischen den teils rivalisierenden (Fan-)Gruppen zu reduzieren (vgl. Diekmann 2020a).

2.4 Theoretische Synthese: Implikationen für die Differenzierung von Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit

„Wer allein die religiöse Klassifikation betrachtet, übersieht die zahlreichen – und vielfältigen – Interessen, die Menschen, welche zufällig muslimischer Religion sind, in der Regel haben.“ (Sen 2007: 73).

Die zuvor diskutierten Theorien thematisieren nicht explizit das Kernanaliegen dieser Arbeit: die Unterscheidung zwischen Einstellungen gegenüber Menschen und Einstellungen gegenüber nicht-personalen Entitäten wie etwa Ideologien, Religionen oder Organisationen. Stattdessen beziehen sie sich auf das Verhalten zwischen sozialen Gruppen, das unter bestimmten Bedingungen konflikthaft sein kann. Im Sinne der Theorie der Sozialen Identität wäre dies der Fall, wenn die Ingroup gegenüber einer relevanten Outgroup im direkten Vergleich negativ abschneidet, das heißt, eine negative soziale Identität entwickelt. Eine Strategie zur Erlangung oder Bewahrung von positiver Distinktheit und damit einer positiven sozialen Identität liegt in der Abwertung der Outgroup. Die angeführten Theorien versuchen folglich Erklärungen für bestimmte Einstellungen und Verhaltensweisen gegenüber einer Outgroup bzw. Mitgliedern einer Outgroup zu liefern. Auch wenn sie damit nur schwer auf den Islam als Religion anwendbar sind, so sind Theorien zum Intergruppenverhalten doch – oder gerade deshalb – von besonderer Bedeutung für diese Arbeit, denn aus der Forschung zur Entstehung und Reduzierung von Intergruppenkonflikten lassen sich einige Überlegungen ableiten, die eine differenzierte Betrachtungsweise von Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit nicht nur legitimieren, sondern sie auch plausibel, wenn nicht gar zwingend erforderlich machen.

Der Islam ist eine Religion und damit – um nur eine exemplarische Auswahl unterschiedlicher Beschreibungen und Verständnisse von Religion aufzugreifen – ein Funktionssystem innerhalb der Gesellschaft, das sich auf „den Unbestimmtheitscharakter der in der gesellschaftlichen Evolution konstituierten Welt“ (Luhmann 2017: 797) bezieht, ein Zusammenspiel von „Riten, Kulte[n], Rollen und Einrichtungen, durch die sich die Menschen in ihrem Zusammenleben einer außeralltäglichen Wirklichkeit versichern“ (Kaufmann 2010: 237), „das zentrale Sinnsystem, das einem gesellschaftlichen Zusammenhang kollektive Identität und Bedeutung verleiht“ (ebd.: 238), ein Wertesystem, ein Ideensystem, eine Weltanschauung oder ein Glaube. In jedem Fall aber ist der Islam abstrakt und offenkundig keine konkrete Person – anders als Muslim*innen, die handelnde Subjekte sind und ihre religiösen Identitäten aktiv verändern und entwickeln können (vgl. Bielefeldt 2011: 141). Muslim*innen verkörpern mit anderen Worten die individualisierbare Subjektkategorie des Islams, der als Religion einen Sachzusammenhang aus Werten, Vorstellungen und Praktiken darstellt, der qua seines Sachcharakters zwar in Einzelheiten, jedoch nicht in der Form des Individuums betrachtet werden kann.

Muslim*innen können im Sinne der Theorie der Sozialen Identität nun, anders als der Islam, einerseits als Mitglieder einer sozialen Gruppe und andererseits als Individuen wahrgenommen werden. Die Beziehung zwischen einer Person muslimischen Glaubens und einer nicht-muslimischen Person kann potentiell auf der interpersonalen Ebene stattfinden. Während auf intergruppaler Ebene Gruppenzugehörigkeiten bedeutsam sind und Intergruppenunterschiede akzentuiert werden, werden Individuen auf der interpersonalen Ebene nicht auf ihre Gruppenzugehörigkeit reduziert und es findet keine Depersonalisierung statt. Gruppenmitgliedschaften sind auf interpersonaler Ebene wenig bedeutsam, weshalb es nicht zur Bewertung und infolgedessen nicht zum sozialen Wettbewerb kommt. Es wird kein sozialer Vergleich zur Erlangung einer positiven sozialen Identität angestrebt. Daraus folgt, dass Muslim*innen von ihrer Religionszugehörigkeit unabhängig als Individuen betrachtet werden und auf interpersonaler Ebene agieren können, während der Islam als Religion in erster Linie im Kontext Religion auftritt.Footnote 12

Konsequenterweise gehen auch die Strategien zur Reduzierung von Intergruppenkonflikten von Konflikten zwischen bzw. Vorurteilen gegenüber Menschen(gruppen) aus, entweder mit Bezug auf Kontakt als vorurteilsabbauendes Mittel oder mit der Perspektive der Mehrfachzugehörigkeiten und damit der Überwindung eines solitaristischen Identitätsverständnisses. Über oberflächliche Kontaktsituationen hinausgehende Kontakte können verschiedene Facetten und Eigenarten eines Menschen sichtbar machen. In Kontaktsituationen wird Wissen über eine Person generiert, wodurch eine Vielzahl von Gruppenmitgliedschaften bekannt und in spezifischen sozialen Kontexten salient werden kann. Menschen muslimischen Glaubens gehören neben der Gruppe der Muslim*innen einer Vielzahl weiterer Gruppen an, was eine Überlappung der Kategorien, die Dekategorisierung oder die Rekategorisierung zur Folge haben kann und eine eindeutige Kategorisierung in Ingroup und Outgroup erschwert.

Die Akzessibilität zu einer Vielzahl verschiedener Kategorien kann in wissenserzeugenden Kontaktsituationen erhöht werden. Auf diese Weise sind nicht länger nur vergleichsweise sichtbare Kategorien wie das Geschlecht, das Alter oder die Hautfarbe leicht zugänglich, sondern auch andere, vormals unbekannte oder auf den ersten Blick weniger sichtbare Kategorien wie die Berufsgruppe oder die politische Orientierung. In Kontaktsituationen muss die Religionszugehörigkeit nicht zwangsläufig salient sein, entweder weil die entsprechende Interaktion auf interpersonaler Ebene stattfindet oder weil das Wissen um zusätzliche Gruppenzugehörigkeiten die Kategorisierung in – und Reduzierung auf – eine einzige Kategorie, zum Beispiel das Muslimisch-Sein, erschwert. Weiterhin sind soziale Kontexte denkbar, in denen die Religionszugehörigkeit keine leicht zugängliche Kategorie ist, andere, dominantere Kategorisierungen vorherrschen und/oder die wahrgenommene Person (Muslim*in) nicht dem bestehenden Stereotyp entspricht, beispielsweise wenn Musliminnen kein Kopftuch tragen. Entsprechen Muslim*innen nicht dem gängigen Stereotyp und/oder begünstigt der Kontext den Zugang zu einer anderen Kategorie – zum Beispiel die Wahrnehmung als Nachbar*in, Lehrer*in oder Politiker*in –, so kann die Salienz der Kategorie der Religionszugehörigkeit gering ausfallen. Dies unterscheidet Muslim*innen mit einer facettenreichen Identität, die nicht ausschließlich aus der religiösen Orientierung besteht, vom Islam, welcher ebenfalls differenziert, aber nur schwer gänzlich unabhängig von Religion betrachtet werden kann. Anders gesagt: Der Islam ist eine Religion, wohingegen Muslim*innen nicht auf diese Religion reduziert werden können, denn der Islam stellt nur eines von vielen identitätsstiftenden Elementen dar.

In dieser Arbeit ist die Religionszugehörigkeit durch das vorgegebene Thema zwangsläufig eine bedeutsame Kategorie und im verwendeten Fragebogen durch den Fokus auf Einstellungen gegenüber Muslim*innen die dominante Kategorisierung. Auch wenn wir uns an dieser Stelle eher auf intergruppaler Ebene bewegen, so wird dennoch angenommen, dass auf frühere positive Kontakte auf interpersonaler Ebene und Prozesse der Dekategorisierung, Rekategorisierung und Kreuzkategorisierung Generalisierungsprozesse folgen können, die sich positiv auf die Wahrnehmung der gesamten Gruppe auswirken. Dadurch könnten beispielsweise Personen, die Religion(en) im Allgemeinen kritisch gegenüberstehen, zwischen dem Islam auf der einen und Muslim*innen auf der anderen Seite unterscheiden. Letztere können sie von der Religion losgelöst betrachten bzw. anerkennen, dass Muslimisch-Sein nur eine von vielen tatsächlichen oder zugeschriebenen Zugehörigkeiten und Identitäten ist. Es ist durchaus denkbar, dass religionskritische Personen feindliche Einstellungen gegenüber den (unterschiedlichen) Lehren des Islams hegen, nicht aber gegen die Menschen, die sich nach dieser Religion richten, mit denen sie jedoch entlang anderer Kategorisierungen (zum Beispiel im beruflichen Kontext) Gemeinsamkeiten aufweisen und eine Ingroup bilden.

Zusammenfassend lässt sich basierend auf den theoretischen Überlegungen folgender Unterschied festhalten: Muslim*innen sind Menschen, die als Individuen wahrgenommen werden können, das heißt, dass es zu Kontakten auf interpersonaler Ebene und zur Individualisierung durch Prozesse der Dekategorisierung kommen kann. Außerdem kann es zu konkurrierenden bzw. überlappenden Kategorisierungen kommen, was die Einteilung in Ingroup und Outgroup und damit die Abwertung der Outgroup erschwert. Auch ist es möglich, dass Muslim*innen im Sinne der Rekategorisierung oder im Rahmen von Kreuzkategorisierungen von Nicht-Muslim*innen plötzlich als Ingroup-Mitglieder wahrgenommen werden. Zwischenmenschlicher Kontakt bietet demzufolge verschiedene Möglichkeiten, Vorurteile zu verringern. Diese Strategien funktionieren für Muslim*innen, auf den Islam als Religion sind diese Überlegungen jedoch, wenn überhaupt, nur schwer übertragbar.

Dass die Strategien auf den Islam nicht anwendbar sind, liegt daran, dass sie sich auf konkrete Menschen(gruppen) beziehen, letztendlich also eine individualisierbare und kategorisierbare Subjektivität anvisieren, die dem Islam als Religion fehlt. Aus der praktischen Bearbeitung der Vorurteile lässt sich somit ein Unterschied in der Referenz und Konstitution der Vorurteile rekonstruieren, die wiederum eine Begriffsunterscheidung hinsichtlich der jeweiligen Vorurteilstypen verlangt: Im Falle der Islamfeindlichkeit richten sich die Vorurteile gegen einen Sachzusammenhang, eine Religion, im Falle der Muslim*innenfeindlichkeit gegen Subjekte, die vielfältige Identitäten haben und mit denen in Kontakt getreten werden kann. Einstellungen gegenüber Religionen müssen aus konflikttheoretischer Perspektive somit getrennt von Einstellungen gegenüber Menschen betrachtet werden, denn nur für letztere gilt, dass sich (mindestens) zwei soziale Gruppen gegenüberstehen. Auch mit Blick auf das Konzept der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit bezieht sich nur die Muslim*innenfeindlichkeit unmittelbar auf Menschen, während die Islamfeindlichkeit – zumindest semantisch – den Fokus von Menschen(gruppen) hin zur Religion des Islams verschiebt. Eine differenziertere Betrachtung der oftmals gleichgesetzten feindlichen Einstellungen gegenüber Islam und Muslim*innen erscheint vor diesem Hintergrund nicht nur legitim, sondern bedingt durch einen Mangel an empirischen Untersuchungen zu diesem Thema sogar dringend notwendig.

2.5 Perzeption von Islam und Muslim*innen

Insbesondere für den dritten Analyseschritt – die Auswertung der freien und vorgegebenen Assoziationen – ist neben den bisher dargestellten theoretischen Ansätzen auch die Wahrnehmung von Muslim*innen und dem Islam von Bedeutung. Um zum einen die in dieser Arbeit verwendete Terminologie von Frames bzw. Deutungsrahmen zu kontextualisieren und mit dem Konzept der Stereotype in Beziehung zu setzen und zum anderen zentrale, auf Deutungsrahmen wirkende (Re-)Präsentationen von Muslim*innen und dem Islam in den (deutschen) Medien zu skizzieren, wird in diesem Kapitel in grundlegenden Zügen auf das Konzept des Framings sowie auf mediale Darstellungen von Muslim*innen und dem Islam eingegangen.

2.5.1 Zum Begriff des Frames (Deutungsrahmen)

Forschung zu Frames bzw. zum Konzept des Framings findet sich mittlerweile in verschiedenen Disziplinen. Es gibt Ansätze aus der Soziologie, die insbesondere auf Erving Goffmans frame analysis (vgl. Goffman 1974) basieren, ebenso wie Ansätze aus der Kommunikationswissenschaft und der Psychologie, wobei letztere häufig den Begriff Schema verwendet. Die parallele Entwicklung in unterschiedlichen Disziplinen hat dazu geführt, dass eine Vielzahl von Definitionsangeboten zum Konzept vorliegt und das Verständnis von Frames bzw. Framing variiert (für einen Überblick vgl. Dahinden 2006). Zurückgeführt wird der Begriff Frame (Rahmen) im wissenschaftlichen Kontext auf Gregory Bateson, der im Zusammenhang mit Psychotherapie von psychologischen Frames spricht. Laut Bateson (1972) sind psychologische Frames sowohl inklusiv als auch exklusiv, da sie bestimmte Nachrichten ein- und andere ausschließen. In Analogie zu einem Bilderrahmen schreibt Bateson: „[M]ental processes resemble logic in needing an outer frame to delimit the ground against which the figures are to be perceived.“ (Bateson 1972: 188). Es geht also um eine Rahmung von Wahrnehmung: Was liegt innerhalb dieser Wahrnehmungsgrenze, was liegt außerhalb? In Anlehnung an Bateson schreibt Goffman zu seinem Verständnis von Frames:

„I assume that definitions of a situation are built up in accordance with principles of organization which govern events – at least social ones – and our subjective involvement in them; frame is the word I use to refer to such of these basic elements as I am able to identify. That is my definition of frame.“ (Goffman 1974: 10 f.)

Goffmans Fokus liegt auf sozialen Situationen und der Wahrnehmung derselben durch die beteiligten Individuen. Ein Frame ist bei ihm also ein Organisationsprinzip menschlicher Interaktionen oder ein Interpretationsschema. Psychologische Ansätze gehen in eine ähnliche Richtung, begreifen Frames bzw. Schemata als kognitive Strukturen, die die Informationsverarbeitung beeinflussen:

„The schema concept refers to cognitive structures of organized prior knowledge, abstracted from experience with specific instances; schemas guide the processing of new information and the retrieval of stored information“ (Fiske & Linville 1980: 543).

Frames prägen unsere Wahrnehmung der Welt, fungieren als mentale Filter, die auf Erfahrungen und Wissen basieren. Verhaltensweisen und Äußerungen anderer Menschen können mithilfe von Frames kontextualisiert und sinnhaft eingeordnet werden.

Frames können sich jedoch nicht nur auf kognitive Strukturen im Sinne von Interpretations- oder Deutungsrahmen, sondern auch auf Strukturen in medialen Texten und auf Strategien der politischen Kommunikation beziehen. Letzteres wird insbesondere in der Kommunikationswissenschaft oftmals über den die Prozesshaftigkeit betonenden Begriff Framing ausgedrückt. Hierzu schreibt Robert M. Entman:

„Framing essentially involves selection and salience. To frame is to select some aspects of a perceived reality and make them more salient in a communicating text, in such a way as to promote a particular problem definition, causal interpretation, moral evaluation, and/or treatment recommendation for the item described.“ (Entman 1993: 52).

Letztendlich geht es also um Strukturierung: Welche Aspekte werden (zum Beispiel in Medientexten) besonders hervorgehoben? Das kann etwa über Metaphern oder bestimmte Formulierungen passieren. Tversky & Kahnemann (1981) haben zu den Effekten von Framing ein vielfach rezipiertes Experiment durchgeführt, das eindrücklich zeigt, dass Entscheidungen von unterschiedlichem Framing abhängen können (in diesem Fall je nachdem, ob ein Szenario mit Blick auf Gewinne oder Verluste formuliert wurde). Die gleichen Informationen werden folglich unterschiedlich bewertet, je nachdem welche Aspekte durch ein bestimmtes Framing salient gemacht werden.

In der vorliegenden Studie geht es weniger um mediale Texte und politische Kommunikation, sondern eher um Assoziationen, die mit bestimmten Begriffen (Islam und Muslim*innen) verbunden werden. Die Kommunikationswissenschaftlerin Elisabeth Wehling kommt in ihrer Definition dem Verständnis von Frames in dieser Arbeit am nächsten. Sie definiert Frames als gedankliche Deutungsrahmen, die durch Sprache im Gehirn aktiviert werden. Sie geben Fakten eine Bedeutung, sind dabei jedoch selektiv, das heißt, bestimmte Fakten und Realitäten werden hervorgehoben, andere ausgeblendet (vgl. Wehling 2017). Frames und Deutungsrahmen werden in dieser Arbeit als Synonyme verstanden. Ähnlich wie Stereotype (vgl. Abschn. 2.1) werden Frames oder Deutungsrahmen als gesellschaftlich geteilte und von Individuen angeeignete Wissensstrukturen verstanden. Sie sind entscheidet dafür, wie bestimmte Situationen oder Äußerungen verstanden werden, da sie unterschiedliche Kontextinformationen bereitstellen. Frames oder Deutungsrahmen werden als Assoziationen verstanden, die abgerufen bzw. aktiviert werden, wenn einzelne Begriffe im Fragebogen gelesen werden. Um deutlich zu machen, dass es sich hierbei nicht ausschließlich um konkrete Attribute und Charakteristika von Gruppen handelt, sondern dass ganze Themenfelder, größere Zusammenhänge oder Argumentationen, die die Bedeutung der Wörter Islam und Muslim*innen rahmen (vgl. Hafez 2010), gemeint sind, wird für die Analyse der Assoziationen in Kap. 7 die Terminologie Frame bzw. Deutungsrahmen verwendet. Stereotype können dann Teil eines Frames sein. Da Frames auf Wissen und Erfahrungen basieren, wird im nächsten Kapitel kurz die mediale (Re-)Präsentation von Islam und Muslim*innen in den deutschen Medien skizziert.Footnote 13

2.5.2 Islam und Muslim*innen in den deutschen Medien

In Abschn. 2.3 wurde bereits erläutert, dass Kontakte zu Muslim*innen zu einer Vorurteilsreduzierung beitragen können. Das liegt nicht zuletzt daran, dass in Kontaktsituationen Wissen über den Islam und Muslim*innen generiert wird. Persönliche Erfahrungen speisen die Vorstellungen, die Menschen vom Islam und von Muslim*innen haben. Sie stellen damit eine wichtige, wenn auch nicht die einzige Quelle für ein Bild von Muslim*innen und dem Islam dar, das oftmals komplementiert wird durch die mediale Darstellung (vgl. Asbrock et al. 2014; Wallrich et al. 2020). Das Thema der (Re-)Präsentation von Islam und Muslim*innen in den deutschen Medien ist komplex und das Ziel dieser Arbeit ist es nicht, eine umfassende Medienanalyse vorzulegen. Nichtsdestotrotz ist davon auszugehen, dass Deutungsrahmen, wie sie in Kap. 7 untersucht werden, zumindest partiell von medialen Darstellungen beeinflusst werden – insbesondere dann, wenn kaum alternative Kontaktquellen verfügbar sind, die Wissen über den Islam und über Muslim*innen erzeugen: „In the absence of direct contact possibilities, it seems likely that media consumption (e.g., TV and Internet) comes along with an illusion of direct contacts“ (Pickel & Öztürk 2018: 169) – sogenannte para-soziale Kontakte (vgl. Horton & Wohl 1956). Mediale Darstellungen und Themensetzungen, gedacht als spezifische Form von Kontakt, haben das Potential, auf Deutungsrahmen von Rezipient*innen einzuwirken. Aus kommunikationswissenschaftlicher Perspektive schreibt Hafez (2010) dazu:

„In der modernen Kommunikationswissenschaft ist das ‚Agenda-Setting‘ das zentrale Paradigma der Medienwirkung geworden, weil es nicht behauptet, dass die Medien das Denken und Verhalten von Menschen vollständig beeinflussen können, wohl aber, dass sie eine steuernde Wirkung auf die soziale und öffentliche Kommunikation ausüben. Von den Themen der Islamagenda der Medien darf man daher annehmen, dass sie beeinflussen, worüber die Menschen beim Thema Islam nachdenken und was sie mit dem Islam assoziieren.“ (Hafez 2010: 106; Herv. i. Orig.).

Darüber hinaus gibt es empirische Evidenz, dass Einstellungen sowohl gegenüber Muslim*innen als auch gegenüber dem Islam umso negativer ausfallen, je negativer die mediale Darstellung des Islams wahrgenommen wird (vgl. Müller et al. 2017: 147). Da die Rolle der Medien, auch wenn sie nicht zentraler Gegenstand der Analysen ist, nicht vollständig ausgeblendet werden soll, gibt dieses Kapitel einen kurzen Überblick über das Bild von Islam und Muslim*innen in den deutschen Medien.

Forschung zu Islamdiskursen in der Öffentlichkeit bzw. zum Bild des Islams in den Medien belegt eine primär negative Darstellung des Islams. Dies gilt im öffentlichen Diskurs insbesondere seit 9/11 (vgl. Halm 2013: 465) und manifestiert sich beispielsweise in der Verschränkung des Islamdiskurses mit dem Diskurs um Innere Sicherheit (vgl. Friedrich & Schultes 2013). Nach 9/11 findet sich in der medialen Darstellung im Zusammenhang mit dem Islam der Topos der Bedrohung, der bereits seit der Iranischen Revolution beobachtet werden konnte, nun jedoch durch einen Fokus auf den Themenkomplex des Terrors weiter verschärft wird. Dabei „verschwammen schrittweise die Grenzen zwischen einer militanten oder extremistischen Ideologie und dem Islam als allgemeiner Glaubensgrundlage“ (Saif 2019: 79), was bei den Rezipient*innen zu einer Verknüpfung von Religion und Gewalt führen kann. Saif (2019) konstatiert zudem eine Verschiebung von agierenden Personen hin zum „Abstraktum Islam“ (ebd.: 82; Herv. i. Orig.). Aus islamischen Fundamentalist*innen oder islamischen Extremist*innen wird dann ein fundamentalistischer oder extremistischer Islam. Auch der vormals eher neutral verwendete Begriff Muslim*innen wird seit 9/11 verstärkt in pejorativen Kontexten verwendet (vgl. ebd.: 81). Im Magazin Der Spiegel ist ebenfalls eine Tendenz zu negativerer Berichterstattung im Zusammenhang mit den Ereignissen am 11. September 2001 zu beobachten, mit besonderem Höhepunkt der negativen Berichterstattung innerhalb der ersten Jahre nach 9/11 (vgl. Brema 2010).

Eine Analyse der Sendungen und Einzelbeiträge von ARD und ZDF zwischen dem 1. Juli 2005 und dem 31. Dezember 2006 offenbart auch für öffentlich-rechtliche Medien eine eindeutig negative und konfliktorientierte Berichterstattung im Zusammenhang mit dem Islam und Muslim*innen: 81 Prozent der Beiträge behandeln Konflikte, lediglich 19 Prozent können als neutral oder positiv eingestuft werden (vgl. Hafez & Richter 2007). Besonders dominant sind dabei die Themen Terrorismus und Extremismus, internationale Konflikte sowie Integrationsprobleme. Letzteres legt die Vermutung nahe, dass es auch in öffentlich-rechtlichen Medien immer wieder zu einer Vermischung der Kategorien Muslim*innen und Migrant*innen kommt (vgl. Abschn. 3.1). Hinzu kommt eine Platzierung der Themen mit Islambezug in Auslandsjournalen, das heißt eine Verortung von Islam und Muslim*innen außerhalb Deutschlands, sowie eine „‘Islamisierung’ politischer Sachverhalte“ (ebd.: 43) – folglich eine Vermischung von Religion und Politik. Auch Saif (2019) kommt zu dem Ergebnis, dass die Thematisierung des Islams eng verbunden ist mit der Auslandberichtserstattung – hier vor allem mit Konflikten, Kriegen und gewalttätigen Auseinandersetzungen – und spricht in diesem Zusammenhang von einer „politisierte[n] Darstellung“ (Saif 2019: 139). Der Autor identifiziert darüber hinaus unterschiedliche Metaphern im Kontext der medialen Darstellung von Islam und Muslim*innen, die nicht selten ein Bedrohungsszenario zeichnen – etwa Kriegs-, Krankheits- oder Naturkatastrophenmetaphern (vgl. Saif 2019).

Karis (2013) vermutet, dass bereits das reine Ausmaß der Berichterstattung über den Islam potentiell konflikthaft ist, da durch die erhöhte mediale Sichtbarkeit der Bereich der Privatsphäre verlassen wird, was zu dem Verdacht führen kann, „mit dieser Öffentlichkeit einen politischen Anspruch auf gesellschaftlichen Einfluss und Teilhabe […] verbinden“ zu wollen (Karis 2013: 312). Im Zusammenhang mit der Berichterstattung über den Islam und über Muslim*innen in den Tagesthemen von 1979 bis 2010 identifiziert er sechs Narrative: Aufstieg des Fundamentalismus, Niedergang des alten Orients, Clash of Civilizations, islamistischer Terrorismus, das Problem der Integration und Diskriminierung von Muslim*innen (vgl. Karis 2013). Auch hier findet sich also Terror(ismus) als zentrales Themenfeld, ebenso die Verbindung zum Themengebiet Migration / Integration. Interessant ist der eher gegenläufige Diskurs zur Diskriminierung von Muslim*innen, den Halm (2013) in ähnlicher Form im offiziellen (Bundestags-Protokolle) sowie im inoffiziellen (Der Spiegel und Westdeutsche Allgemeine Zeitung) Diskurs ebenfalls beobachtet und „Counter-Discourse“ nennt. Neben einer thematischen Schwerpunktsetzung können auch stilistische oder grammatikalische Besonderheiten Vorstellungen des Islams beeinflussen und beispielsweise Fremdheit suggerieren:

„Der pejorative Gebrauch einiger Transferenzen ebenso wie die metaphorische Verwendung […] zur Darstellung eines Bedrohungspotenzials durch Ausbreitung des Islams sowie die Nichteingliederung in das Deklinationssystem des Deutschen sind Hinweise auf eine Vorstellung von Fremdheit, […] die mit Angst, Abgrenzung und Konfrontation assoziiert wird.“ (Schiffer 2005: 138).Footnote 14

Mit Blick auf das primäre Erkenntnisinteresse dieser Arbeit ist zu berücksichtigen, dass Islam und Muslim*innen medial nicht zwangsläufig identisch behandelt werden. So variiert beispielsweise die sprachliche Einbettung in bestimmte Themenfelder in der medialen Darstellung zwischen dem Islam und Muslim*innen enorm, wobei insbesondere für den Islam eine Kookkurrenz mit negativ konnotierten Adjektiven beobachtet werden kann (vgl. Kalwa 2013). Die unterschiedliche mediale Darstellung von Islam und Muslim*innen ist möglicherweise ein Grund für unterschiedliche Frames.

Der kurze Überblick zur medialen Darstellung von Islam und Muslim*innen konnte zeigen, dass insbesondere der Islam überwiegend negativ konnotiert ist. Einige besonders auffällige Themengebiete und Narrative sind u. a. Terrorismus / Gewalt, Integration / Migration sowie die Zeichnung von Muslim*innen bzw. dem Islam als fremd, eine Markierung als ‚Andere‘ – ein Prozess, der auch Othering genannt wird. Ein Großteil dieser Themenkomplexe bzw. Narrative wird in Kap. 7 wieder relevant und sichtbar, wenn es um die Analyse der Assoziationen im Zusammenhang mit Muslim*innen und dem Islam geht.