„A concept comes of age in academia when, even while being scrutinized, it functions as an organizing principle for scholarship and research, especially if different disciplines converge upon it and if the interest taken in it is not merely ‘academic’: in other words, if its content is motivated by circumstances in the ‘real world’. Regrettably, […] recent circumstances have indeed carved out a niche for the concept of Islamophobia.“ (Klug 2012: 666).

Spätestens seit dem 11. September 2001 sind Vorurteile gegenüber Muslim*innen und dem Islam in Deutschland und anderen Teilen der Welt weit verbreitet. 2018/19 zeigte knapp ein Fünftel der nicht-muslimischen Bevölkerung in Deutschland offen eine muslim*innenfeindliche Einstellung (vgl. Zick et al. 2019: 80). Den Islam empfindet mehr als die Hälfte (51 Prozent) der Nicht-Muslim*innen als eher oder sehr bedrohlich (vgl. Hafez & Schmidt 2015: 18). Oftmals verbleibt die Feindlichkeit nicht auf Ebene der Einstellungen, sondern nimmt konkrete Formen der Diskriminierung und Gewalt an. Dies äußert sich beispielsweise in Form systematischer Benachteiligungen von kopftuchtragenden Frauen auf dem Arbeitsmarkt (vgl. Weichselbaumer 2020) oder in über 600 Angriffen auf Moscheen, die alleine zwischen 2014 und 2019 in Deutschland registriert wurden.Footnote 1

Obwohl Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit in der „real world“ (Klug 2012: 666) weit verbreitet sind und Wissenschaftler*innen es sich in den letzten 20 Jahren verstärkt zur Aufgabe gemacht haben, die beschriebenen Entwicklungen zu untersuchen und den Phänomenbereich zu beschreiben, stellt sich die Frage, inwiefern die Forschung und konzeptionelle Arbeit zu Islamophobia nach wie vor in den Kinderschuhen steckt. Wenngleich sich mittlerweile ein eigenständiger Forschungsbereich mit Anknüpfungspunkten an viele unterschiedliche Disziplinen etabliert hat, mangelt es dennoch oftmals an adäquaten Termini und trennscharfen Konzepten (vgl. u. a. Pfahl-Traughber 2012). Eine Unschärfe soll in dieser Arbeit besonders unter die Lupe genommen werden. Es geht um die nicht immer eindeutige Benennung der Betroffenen von Abwertung: Richten sich feindliche Einstellungen gegen Menschen mit tatsächlichem oder zugeschriebenem muslimischen Glauben oder gegen die Religion des Islams? Terminologien, Definitionen und Items auf manifester Ebene sind in der Praxis mit Blick auf die Adressat*innen von Abwertung nicht zwingend kongruent; stattdessen scheinen die Begriffe Islam und Muslim*innen in der Forschung zu Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit nicht selten austauschbar zu sein oder aber in scheinbar unauflösbarer Verbindung zueinander konstruiert zu werden. Die vorliegende Arbeit setzt an eben diesem Punkt an und widmet sich der Untersuchung einer potentiell notwendigen Differenzierung von Islamfeindlichkeit, verstanden als feindliche Einstellungen gegenüber der Religion des Islams, und Muslim*innenfeindlichkeit, verstanden als feindliche Einstellungen gegenüber Menschen muslimischen Glaubens oder als solche Gelesene.

Es geht in dieser Arbeit folglich um den bisher wenig differenzierten, oftmals unkritisch übernommenen Umgang mit den Konzepten Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit, die nicht selten in einen Topf geworfen werden, obwohl semantisch bereits unterschiedliche Adressat*innen von Abwertung erkennbar sind. Bevor die Problemstellung der Arbeit weiter expliziert und konkretisiert wird, folgen zunächst drei Unterkapitel mit kontextualisierender Funktion. Diese Unterkapitel beleuchten den gesellschaftlichen Kontext, aus dem heraus Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit in Deutschland untersucht werden, schlagen Brücken zwischen gesellschaftlichen Zuständen, politischen Debatten und der wissenschaftlichen Erfassung von Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit. Kurz: Sie unterstreichen die gesellschaftliche Relevanz dieser Arbeit. Eine Zuspitzung der Problemstellung erfolgt auf Basis dieser Kontextualisierung in Abschn. 1.4.

1.1 Islam und Muslim*innen in Deutschland: Pluralität statt Homogenisierung

Wie viele Muslim*innen leben eigentlich in Deutschland?Footnote 2 Diese Frage ist maximal näherungsweise zu beantworten, da sich zum einen die Frage stellt, wer überhaupt Muslim*in ist – einen „rituellen Aufnahmeakt vergleichbar der christlichen Taufe“ gibt es im Islam nicht (Rohe 2017: 75) – und zum anderen die Religionszugehörigkeit mit Ausnahme der großen christlichen Kirchen in Deutschland nicht offiziell erfasst wird. Die vorliegenden Zahlen beruhen daher auf Schätzungen; genaue aktuelle Zahlen sind nicht verfügbar. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge schätzt die Anzahl der in Deutschland lebenden Muslim*innen im Jahr 2015 auf 4,4 bis 4,7 Millionen, was einem Anteil an der Gesamtbevölkerung von 5,4 bis 5,7 Prozent entspricht (vgl. Stichs 2016: 29). Pfündel et al. (2021) kommen in ihrer Hochrechnung für das Jahr 2019 auf 5,3 bis 5,6 Millionen Muslim*innen in Deutschland (vgl. Pfündel et al. 2021: 37).Footnote 3 Zum Vergleich: Im Jahr 2019 lebten in Deutschland 22,6 Millionen Katholik*innen (vgl. Deutsche Bischofskonferenz 2020) und 20,7 Millionen Protestant*innen (vgl. Evangelische Kirche in Deutschland 2020). Das entspricht etwa 27,2 respektive 24,9 Prozent der Bevölkerung. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist damit – zumindest qua formaler Mitgliedschaft – christlichen Glaubens. Die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland e. V. beziffert die Mitglieder in jüdischen Gemeinden und Landesverbänden für das Jahr 2020 auf etwa 93.700 (vgl. Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland e. V. 2021). Die Zahl der Konfessionslosen wird für 2019 mit 32,3 Millionen angegeben, was einem Anteil von 38,8 Prozent der Gesamtbevölkerung entspricht (vgl. Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland 2020).

Innerhalb Deutschlands gibt es mit Blick auf die Religionszugehörigkeit der Bevölkerung große Unterschiede: Während der Anteil an Muslim*innen in westdeutschen Bundesländern zwischen 3 Prozent (Niedersachsen, Saarland, Schleswig–Holstein) und 10 Prozent (Bremen) schwankt (Statista 2011), liegt er in Sachsen schätzungsweise bei lediglich 0,48 Prozent (vgl. Hakenberg & Klemm 2016: 16). 2019/20 lebten etwa 32 Prozent der Muslim*innen in Nordrhein-Westfalen und weitere 29 Prozent in Bayern und Baden-Württemberg. Nur 3,5 Prozent der Muslim*innen in Deutschland lebten 2019/20 in den ostdeutschen Bundesländern – Berlin ausgenommen (vgl. Pfündel et al. 2021: 52).

Muslim*innen in Deutschland ausschließlich unter quantitativen Gesichtspunkten zu betrachten, ist letztendlich jedoch nur bedingt erkenntnisbringend, da der „Binnenpluralismus“ (Rohe 2017: 76) innerhalb des Islams und muslimischer Lebenswelten unsichtbar bleibt. Selbstverständlich gibt es weder den einen Islam noch die Muslim*innen im Sinne einer homogenen Gruppe. Die Formulierung der (eine) Islam ist irreführend und pauschalisierend. Diese Homogenisierung wird nicht zuletzt im Begriff Islamfeindlichkeit reproduziert, denn wo im Fall von Muslim*innenfeindlichkeit immerhin noch der Plural verwendet werden kann – auch wenn dies nicht immer der Fall ist: Stichwort Muslimfeindlichkeit – suggeriert der Begriff Islamfeindlichkeit, es gebe lediglich den einen Islam. Auch Begriffen wie Islamophobia wird vorgeworfen „to obscure diversity“ (Halliday 1999: 898). Tatsächlich gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher Glaubenslehren und Auslegungen und der Islam kann in der Praxis unterschiedlich ausgelebt werden.

Auch die Gruppe der Muslim*innen ist in vielerlei Hinsicht äußerst heterogen. So gibt es in Deutschland Muslim*innen mit und ohne (eigene oder familiäre) Migrationserfahrungen. Etwa 45 Prozent der in Deutschland lebenden Muslim*innen aus muslimisch geprägten Herkunftsländern hat einen türkischen Migrationshintergrund. Weitere 1.050.000 Muslim*innen in Deutschland stammen aus dem Nahen Osten oder sind Nachfahr*innen von Migrant*innen aus dieser Region. Das entspricht gut 19 Prozent aller Muslim*innen mit Migrationshintergrund in Deutschland. Die drittstärkste Gruppe (schätzungsweise 1.046.000, also ebenfalls gut 19 Prozent) bilden Muslim*innen mit eigenen oder familiären Wurzeln in Südosteuropa (vgl. Pfündel et al. 2021: 42). Auch die Motivationen, nach Deutschland zu kommen, sind vielfältig unter den migrierten Muslim*innen. Muslim*innen aus der Türkei und Nordafrika geben beispielsweise als häufigsten Einwanderungsgrund die Miteinreise mit der Familie bzw. den Familiennachzug an, während Muslim*innen aus Afrika (Nordafrika ausgenommen), dem Mittleren und Nahen Osten sowie Südosteuropa als häufigsten Grund Flucht/Asyl bzw. Krieg/Verfolgung nennen (vgl. Haug et al. 2009: 123; Pfündel et al. 2021: 68). Mit den unterschiedlichen Herkunftsländern muslimischer Migrant*innen geht außerdem eine sprachliche Vielfalt innerhalb dieser Gruppe einher.

Unabhängig von migrationsbezogenen Heterogenitäten sind auch die einzelnen Glaubensrichtungen sehr divers. In Deutschland bezeichnen sich – um nur die drei größten Gruppen zu nennen – knapp 74 Prozent der Muslim*innenFootnote 4 als sunnitisch, knapp 8 Prozent als alevitisch und 4 Prozent als schiitisch (vgl. Pfündel et al. 2021: 47). Auch die selbstberichtete Religiosität variiert innerhalb der Gruppe der Muslim*innen mit Migrationshintergrund: 5,3 Prozent geben an, gar nicht gläubig zu sein, 13,3 Prozent bezeichnen sich als eher nicht gläubig, 52,8 Prozent als eher gläubig und 28,7 Prozent als sehr stark gläubig, wobei mehr Frauen als Männer und mehr sunnitische als schiitische und alevitische Muslim*innen von sich sagen, sehr stark gläubig zu sein und insbesondere Muslim*innen aus dem Iran verstärkt angeben, gar nicht gläubig zu sein (vgl. Haug et al. 2009: 141; Pfündel et al. 2021: 83–86). Selbstverständlich gibt es, wie in anderen gesellschaftlichen Gruppen auch, zahlreiche weitere Differenzlinien innerhalb der Gruppe der Muslim*innen (zu Mehrfachzugehörigkeiten und parallelen Kategorisierungen vgl. auch Abschn. 2.3.2). Das können, um exemplarisch nur einige Heterogenitätsmarker zu nennen, Merkmale wie Alter und Geschlecht, Einstellungen und Orientierungen sowie individuelle Kompetenzen und Qualifikationen sein (vgl. Diewald & Faist 2011: 95). Das Sprechen über die Muslim*innen ist folglich verkürzt und meint eine überaus diverse Gruppe von Menschen, die sich als Muslim*innen bezeichnen oder von anderen als Muslim*innen gelesen und/oder adressiert werden.

Sowohl das Narrativ eines einzigen Islams als auch eine Reduzierung auf die Religionszugehörigkeit als einzige Identifikationsquelle für Muslim*innen ist jedoch ein wiederkehrendes Motiv in aktuellen Diskursen:

„Zentrales Motiv aktueller Islam-Diskurse ist die Konstruktion des Islams als monolithisches, starres Gebilde und die Subsumierung vielfältigster Sprachen, Glaubensrichtungen und sozialer Strukturen unter den Begriff ‚islamisch‘. Damit wird eine diversifizierte Fülle an Wissen, Lebensentwürfen und Identitäten homogenisiert und versucht, diese mit einem einzigen Konzept zu fassen. Unterschiede bezüglich Herkunft, Geschlecht, Klasse, Alter, politischer Einstellung, sozio-ökonomischer Verhältnisse oder dem jeweiligen Grad der Religiosität werden verschleiert, deren Aus- und Wechselwirkungen negiert und zugunsten der alles erklärenden Konstante Islam als religiöse Zuschreibung ausgeblendet. […] In Anbetracht der Komplexität und des Facettenreichtums muslimischer Identitäten, Lebensentwürfe und Kulturen erscheint der Islam als primäres Erkennungsmerkmal mehr als fragwürdig.“ (Merz 2015: 372; Herv. i. Orig.).

In dieser Arbeit findet sich nichtsdestotrotz immer wieder die Gegenüberstellungen von den Muslim*innen und dem Islam. Durch den Fokus auf eine Differenzierung zwischen Islamfeindlichkeit einerseits und Muslim*innenfeindlichkeit andererseits lässt sich ein solcher Sprachgebrauch kaum vermeiden. Zu Beginn sei daher direkt festgehalten, dass sich sowohl hinter dem Islam als auch hinter den Muslim*innen weder ein monolithischer Block noch eine homogene Gruppe an Menschen verbirgt. Vielmehr ist diese Formulierung der Akzentuierung der Unterschiede zwischen Vorbehalten gegenüber einer Religion auf der einen Seite und Menschen, die dieser Religion angehören oder denen eine Zugehörigkeit zu dieser Religion zugeschrieben wird, auf der anderen Seite geschuldet.Footnote 5

1.2 Islam, Muslim*innen und Zugehörigkeit: politische Aushandlungsprozesse

Es ist zum einen deutlich geworden, dass Muslim*innen in Deutschland eine vergleichsweise kleine, wenn auch überaus heterogene Gruppe darstellen, und zum anderen, dass ihre Geschichte eng mit der Migrationshistorie in Deutschland verknüpft ist. Dass der Islam nicht in derselben Form wie etwa die katholische oder evangelische Kirche in der deutschen Gesellschaft etabliert ist, offenbart sich unter anderem in einer regelmäßig stattfindenden politischen Debatte um Zugehörigkeit. Die wiederkehrenden Aushandlungsprozesse zeigen, dass es kontinuierlich Versuche gibt, Personen muslimischen Glaubens eine Zugehörigkeit zu Deutschland abzusprechen, zu verweigern oder diese zumindest zur Diskussion zu stellen. Dies geht nicht selten so weit, dass Muslim*innen Deutschen gegenübergestellt werden, etwa wenn Focus Online titelt „Vorurteile gegen Muslime – Umfrage zeigt: Wir Deutschen sind viel rassistischer, als wir uns eingestehen“Footnote 6 oder „Finanzminister Schäuble sicher: Deutsche können viel von Muslimen lernen“.Footnote 7 Dadurch wird suggeriert, Muslim*innen bildeten den trennscharfen Gegenpart zu (‚uns‘) Deutschen. Die Kontrastierung zweier Gruppen auf Basis ungleicher Merkmale (Religionszugehörigkeit vs. Staatsangehörigkeit) ist jedoch nicht adäquat und für einen direkten Vergleich ungeeignet bzw. wenig sinnvoll. Darüber hinaus sind die gewählten Kategorien nicht disjunkt: Schnittmengen der beiden Kategorien werden bei der Gegenüberstellung von Deutschen und Muslim*innen vollständig ausgeblendet. Die Existenz multipler Identitäten, in diesem Fall deutscher Muslim*innen, wird im Rahmen dieser Rhetorik bestenfalls ignoriert, schlimmstenfalls negiert. Es wird suggeriert, die Zugehörigkeit zur einen Gruppe schließe die Zugehörigkeit zur anderen Gruppe aus, Menschen könnten nicht Teil beider Gruppen sein. Deutsche Muslim*innen müssten sich demnach entscheiden: Sind sie Deutsche oder sind sie Muslim*innen? Damit werden Kategorisierungen entlang der Religionszugehörigkeit und/oder Staatsangehörigkeit vorgenommen, die zu ‚Wir vs. die Anderen‘-Konstruktionen führen und Unterschiede statt Gemeinsamkeiten betonen. Muslim*innen werden – erneut – als homogene Gruppe gezeichnet, deren Identität sich einzig und allein aus ihrer Religionszugehörigkeit ergibt.

Auf politischer Ebene – sei es durch Wolfgang Schäuble im Jahr 2006 bei der Eröffnungsrede der ersten Deutschen Islam Konferenz, Christian Wulff vier Jahre später in seiner Rede zum 20. Jahrestag der deutschen Einheit oder Angela Merkel im Jahr 2015 bei einer Pressekonferenz mit dem damaligen türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoğlu – erlangte der Satz „Der Islam gehört zu Deutschland“ Popularität.

Während die genannten Politiker*innen die Zugehörigkeit des Islams zu Deutschland betonten, differenzierte Ex-Bundespräsident Joachim Gauck in einem Interview im Jahr 2012 deutlich zwischen Islam und Muslim*innen:

„Ich hätte einfach gesagt, die Muslime, die hier leben, gehören zu Deutschland. Ich habe in meiner Antrittsrede von der Gemeinsamkeit der Verschiedenen gesprochen. Dahinter steckt eine Vorstellung von Beheimatung nicht durch Geburt, sondern der Bejahung des Ortes und der Normen, die an diesem Ort gelten. Jeder, der hierhergekommen ist und nicht nur Steuern bezahlt, sondern auch hier gerne ist, auch weil er hier Rechte und Freiheiten hat, die er dort, wo er herkommt, nicht hat, der gehört zu uns, solange er diese Grundlagen nicht negiert. Deshalb sind Ein-Satz-Formulierungen über Zugehörigkeit immer problematisch, erst recht, wenn es um so heikle Dinge geht wie Religion. Da kann ich diejenigen eben auch verstehen, die fragen: Wo hat denn der Islam dieses Europa geprägt, hat er die Aufklärung erlebt, gar eine Reformation? Dafür habe ich Verständnis, solange das keinen rassistischen Unterton hat.“Footnote 8

Aus dieser Argumentation heraus erfährt der Satz „Der Islam gehört zu Deutschland“ durch Joachim Gauck eine Reformulierung und damit einen neuen Fokus: „Die hier lebenden Muslim*innen gehören zu Deutschland.“ Im Zusammenhang mit einer Zugehörigkeitsdebatte wird somit zwischen Religion und Menschen unterschieden.

Im März 2018 nimmt Horst Seehofer, zu dieser Zeit Innenminister Deutschlands, die Debatte wieder auf und betont in einem Interview, der Islam gehöre nicht zu Deutschland. Dabei beruft er sich auf eine christliche Prägung Deutschlands und meint damit den „freie[n] Sonntag, kirchliche Feiertage und Rituale, wie Ostern, Pfingsten und Weihnachten.“ Der CSU-Politiker ergänzt jedoch schließlich: „Die bei uns lebenden Muslime gehören aber selbstverständlich zu Deutschland.“Footnote 9 Auch Horst Seehofer differenziert zwischen dem Islam als Religion und Muslim*innen als Menschen, verschärft die Debatte jedoch durch eine explizite Zugehörigkeit der einen (Muslim*innen) und einen Ausschluss des anderen (Islam). Zur Eröffnung der vierten deutschen Islamkonferenz im November 2018 betonte Seehofer abermals die Zugehörigkeit von Muslim*innen zu Deutschland, ohne explizit auf eine (Nicht-)Zugehörigkeit des Islams zu Deutschland einzugehen.Footnote 10 Saif (2019) sieht einen Grund für eine derartige Differenzierung zwischen Islam und Muslim*innen in geringeren negativen Konnotationen mit dem Begriff Muslim*innen verglichen mit dem Begriff Islam und einer daraus resultierenden größeren Akzeptanz für Muslim*innen als für den Islam (vgl. Saif 2019: 177). Den Begriff der Muslim*innen sieht er in vielen Kontexten neutral konnotiert und begründet dies damit, „dass es sich bei den Muslimen um eine konkrete Gruppe von Menschen handelt, wobei es bei anderen Ausdrücken wie Islam oder Islamismus um abstrakte Begriffe geht“ (ebd.; Herv. i. Orig.).

Armin Laschet, zu diesem Zeitpunkt Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, differenziert wenig später im Mai 2018 zwar auch zwischen Islam und Muslim*innen, betont jedoch anlässlich der Eröffnung der Yunus-Emre-Moschee in Aachen zumindest für Nordrhein-Westfalen die Zugehörigkeit sowohl der Religion selbst als auch der Menschengruppe, die entlang dieser Religion konstruiert wird: „Der Islam gehört zu Nordrhein-Westfalen, und die 1,5 Millionen Muslime sind selbstverständlich Teil unserer Gesellschaft.“Footnote 11 Fraglich ist, wen Laschet inkludiert, wenn er von „unserer Gesellschaft“ spricht.

All jene Beispiele machen zweierlei deutlich: 1. Die Zugehörigkeit des Islams und von Muslim*innen zu Deutschland scheint im politischen Diskurs keineswegs eine feststehende Tatsache zu sein, sondern lediglich Auslegungssache, flexibel handhabbar. Zumindest aber scheint es einen Verhandlungsspielraum zu geben. Selbst im Fall ausgedrückter Zugehörigkeit des Islams zu Deutschland stellt sich die Frage, wieso diese immer wieder unterstrichen werden muss, während das Christentum ohne explizite Zugehörigkeitsbekundungen ein fester Bestandteil Deutschlands sein kann. Hier bedarf es offensichtlich einer besonderen Betonung der Zugehörigkeit zu Deutschland, was darauf schließen lässt, dass das Fundament des Islams in Deutschland wackeliger ist als das des Christentums und es in der Folge immer wieder zu Verhandlungen über Zugehörigkeiten kommt. 2. Auf politischer Ebene findet immer wieder eine Differenzierung zwischen der Religion des Islams und Menschen muslimischen Glaubens statt. An den einzelnen Argumentationsgängen im Rahmen der Kategorie ‚Zugehörigkeit‘ wird deutlich, wo von Seiten der Politiker*innen Differenzlinien gezogen werden.

Im Zuge der Debatten um die (Nicht-)Zugehörigkeit von Islam und Muslim*innen zu Deutschland wird die Separierung der Religion von ihren Anhänger*innen durch verschiedene Politiker*innen normalisiert. Diese Debatten zeigen exemplarisch, wie in der politischen Praxis explizit zwischen Islam und Muslim*innen unterschieden wird.Footnote 12 Durch den thematischen Fokus auf (Nicht-)Zugehörigkeit ist nicht auszuschließen, dass entsprechende Narrative die Haltung der nicht-muslimischen Bevölkerung gegenüber dem Islam und gegenüber Muslim*innen beeinflussen und eine derartige Differenzierung (un)bewusst übernommen wird. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die durch Politiker*innen vorgenommene Unterscheidung von Islam und Muslim*innen im Kontext von Zugehörigkeit Folgen für die Wahrnehmung von Islam und Muslim*innen durch die nicht-muslimische Bevölkerung haben. Politik ist im Zusammenhang mit der Prägung von Wahrnehmung sicherlich nur ein Bereich unter vielen, der hier exemplarisch elaboriert wurde. Weitere denkbare Einflussgrößen, wie etwa persönliche Kontakte oder die mediale Darstellung von Islam und Muslim*innen, werden im Verlauf der Arbeit expliziert. Das Beispiel aus der Politik offenbart jedoch, dass in gesellschaftlich relevanten Bereichen Narrative beobachtet werden können, mit denen bestimmte Unterscheidungen einhergehen, die in Ermangelung nuancierter Messinstrumente in der Wissenschaft noch nicht abgebildet werden (können). Möglicherweise muss die Wissenschaft hier also nachjustieren, um soziale Probleme adäquat beschreiben und erfassen zu können.

1.3 Muslim*innenfeindlichkeit als spezifische Facette Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit

Nicht nur Aushandlungsprozesse um die (Nicht-)Zugehörigkeit von Islam und Muslim*innen zu Deutschland, sondern auch die wissenschaftliche Beschäftigung mit feindlichen Einstellungen der nicht-muslimischen Bevölkerung gegenüber Muslim*innen und dem Islam hat mit Beginn des 21. Jahrhunderts zugenommen.Footnote 13 Die vielfach rezipierte Langzeitstudie zur Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit (GMF) am Institut für Interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld untersuchte in zehn Wellen zwischen 2002 und 2011 jährlich Einstellungsmuster in der deutschen Bevölkerung. Die GMF-Studie war eine der ersten, in welcher auch feindliche Einstellungen gegenüber Muslim*innen Berücksichtigung fanden. Wilhelm Heitmeyer, der den Begriff der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit maßgeblich prägte, versteht unter GMF folgendes:

„Menschenfeindlichkeit meint kein individuelles Feindschaftsverhältnis zu einem anderen Menschen, sondern bezieht sich auf Gruppen. Werden Personen aufgrund ihrer gewählten oder zugewiesenen Gruppenzugehörigkeit als ungleichwertig markiert und feindseligen Mentalitäten der Abwertung, Ausgrenzung etc. ausgesetzt, dann sprechen wir von Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, so daß [sic!] die Würde der betroffenen Menschen antastbar wird oder zerstört werden kann.“ (Heitmeyer 2003a: 14).

Zentral ist in diesem Konzept die Abwertung von Personen aufgrund von tatsächlichen, vermuteten oder zugeschriebenen Gruppenzugehörigkeiten. Im Rahmen der GMF-Studien wurden sowohl Ausmaße feindlicher Einstellungen gegenüber Gruppen(mitgliedern) und Veränderungen dieser Einstellungen über den Zeitverlauf als auch Zusammenhänge zwischen den einzelnen Facetten Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit erforscht (vgl. ebd.: 17). Den einzelnen Facetten liegt ein gemeinsamer Kern – eine Ideologie der Ungleichwertigkeit – zugrunde, weshalb die Autor*innen hier von einem Syndrom Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit sprechen. Tatsächlich zeigte sich, dass die einzelnen Facetten miteinander korrelieren und daher nicht unabhängig voneinander, sondern als Elemente eines übergeordneten Konstrukts zu verstehen sind (vgl. Heitmeyer 2002a: 22).

Im Rahmen des Projekts wurden zunächst sechs unterschiedliche Facetten Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit untersucht (Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus, HeterophobieFootnote 14, Etabliertenvorrechte und Sexismus). Im weiteren Verlauf der Studie wurden darüber hinaus zusätzliche Facetten berücksichtigt (Homophobie, Abwertung von Obdachlosen, Abwertung von Behinderten, Abwertung von Langzeitarbeitslosen sowie Islamophobie/Islamfeindlichkeit). Die grundlegende und mittlerweile hinreichend empirisch gesicherte Annahme, dass das Auftreten einzelner Facetten mit dem Auftreten anderer Facetten korreliert, bedeutet, dass durch den gemeinsamen Kern – die Ideologie der Ungleichwertigkeit – Menschen, die beispielsweise Muslim*innen abwerten, auch dazu neigen, langzeitarbeitslose oder homosexuelle Menschen abzuwerten.

Die Idee der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit wurde nach Beendigung des Projekts in die Mitte-Studien der Friedrich-Ebert-Stiftung aufgenommen, die primär rechtsextreme Einstellungen in Deutschland messen. Seit 2014 kooperiert die Friedrich-Ebert-Stiftung mit dem Institut für Interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung und gibt zweijährlich eine neue, repräsentative Mitte-Studie heraus. In der Mitte-Studie 2018/19 wurden 13 Facetten Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit erfasst: Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus, Muslim*innenfeindlichkeit, Abwertung von Sinti*zze und Rom*nja, Abwertung asylsuchender Menschen, Sexismus, Abwertung homosexueller Menschen, Abwertung von Trans*Menschen, Abwertung wohnungsloser Menschen, Abwertung langzeitarbeitsloser Menschen, Abwertung von Menschen mit BehinderungFootnote 15 und Etabliertenvorrechte (vgl. Zick et al. 2019: 58).

Muslim*innenfeindlichkeitFootnote 16 ist eine der Facetten Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Während Muslim*innenfeindlichkeit („Islamphobie“) sich im ersten Erhebungsjahr noch durch eine relativ geringe Korrelation mit den anderen Facetten auszeichnete (vgl. Heitmeyer 2002a: 25), zeigte sich zu späteren Zeitpunkten und nach veränderter Operationalisierung, die zwischen dem Erhebungsjahr 2003 und dem Erhebungsjahr 2018/19 konstant blieb, dass Muslim*innenfeindlichkeit sehr wohl mit den anderen Facetten der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit korreliert. Zuletzt ließ sich ein hochsignifikanter Zusammenhang zu allen anderen Facetten nachweisen (vgl. Zick et al. 2019: 76 f.; Zick 2021: 194 f.).

Die einzelnen Facetten Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit sind nicht direkt miteinander vergleichbar, da die Items nicht zwingend in der gleichen Stärke formuliert sind. Aussagen darüber, ob etwa die Abwertung homosexueller Menschen weiter verbreitet ist als Muslim*innenfeindlichkeit oder Sexismus, sind weder möglich noch erklärtes Ziel der Studie. Das Projekt hat jedoch den großen Vorteil, dass es einen Vergleich der Zustimmung zu muslim*innenfeindlichen Aussagen im Zeitverlauf ermöglicht und sich so die Entwicklung von Muslim*innenfeindlichkeit in Deutschland nachverfolgen lässt (Trenddesign). Ein Blick auf die Muslim*innenfeindlichkeit in den letzten 15 Jahren zeigt: Im Jahr 2003 lag der Anteil der Muslim*innenfeindlichen, damals noch Islamophobe genannt, bei 21,7 Prozent (vgl. Zick et al. 2019: 83). Mehr als ein Fünftel der Befragten stimmte mindestens einer der Aussagen „Muslimen sollte die Zuwanderung nach Deutschland untersagt werden“ oder „Durch die vielen Muslime fühle ich mich manchmal wie ein Fremder im eigenen Land“ (eher) zu. Neben der allgemeinen Muslim*innenfeindlichkeit wurden darüber hinaus weitere Facetten abgefragt, unter anderem mit direktem Bezug zur Religion. So lehnten in den Jahren 2002 und 2003 etwa 29 Prozent der Befragten die Aussage „Die Muslime in Deutschland sollten das Recht haben, nach ihren eigenen Glaubensgesetzen zu leben“ (eher) ab und etwa 44 Prozent stimmten dem Item „Es ist allein Sache der Muslime, wenn sie über Lautsprecher zum Gebet aufrufen“ (eher) nicht zu (vgl. Heitmeyer 2003a: 22).

Bis 2006 konnte ein kontinuierlicher Anstieg der Muslim*innenfeindlichkeit in Deutschland verzeichnet werden. Im Jahr 2006 erreichte die Muslim*innenfeindlichkeit ihren bisher höchsten Wert von 30,3 Prozent. Fast ein Drittel der deutschen, nicht-migrantischen Bevölkerung lehnte nun antimuslimische Statements nicht entschieden ab bzw. tendierte sogar zu einer Zustimmung. Eine mögliche Erklärung für die Zunahme muslim*innenfeindlicher Einstellungen in diesem Zeitraum könnte in den Folgen der Anschläge des 11. September 2001 in New York sowie weiteren Anschlägen in Madrid im Jahr 2004 und London im Jahr 2005 liegen. Die oftmals negative Medienberichterstattung über den Islam nahm beispielsweise im Magazin Der Spiegel in diesem Zeitraum enorm zu. In den Jahren 2007 und 2008 war die Anzahl der Artikel mit Islam-Bezug wieder rückläufig, jedoch weiterhin auf einem hohen Niveau verglichen mit der medialen Präsenz von Islam und Muslim*innen im Magazin Der Spiegel vor den Anschlägen im Jahr 2001 (vgl. Brema 2010). Auch muslim*innenfeindliche Einstellungen waren ab dem Jahr 2007 zunächst rückläufig. Mit 22,4 Prozent waren sie im Jahr 2009 fast wieder auf dem Niveau von 2003. 2010 stieg die Muslim*innenfeindlichkeit in Deutschland erneut um fast 7 Prozentpunkte auf 29 Prozent an; 2011 sank sie wieder auf 24,3 Prozent. Trotz einiger Schwankungen im Zeitverlauf belegen die Zahlen anhaltende Vorurteile gegenüber Muslim*innen und als solche Markierte in Deutschland.

Die Werte aus den Jahren 2014, 2016, 2018/19 und 2020/21 sind nicht direkt vergleichbar mit den Werten aus den Erhebungsjahren 2003–2011. Der Grund hierfür liegt in der veränderten Grundgesamtheit bzw. Stichprobe. Im Projekt zur Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit wurden Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit und ohne Migrationsbiographie befragt, wobei nicht nur die eigene Migrationserfahrung, sondern auch die der Generation der Eltern und Großeltern berücksichtigt wurde. Die Daten ab 2014 stammen aus der Mitte-Studie. Die Operationalisierung der einzelnen Facetten wurde von den Studien zur Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit bis zum Jahr 2018/19 übernommen, sodass die Zahlen für diesen Zeitraum vergleichbar bleiben, jedoch wurden seit 2014 (im Fall der Muslim*innenfeindlichkeit: nicht-muslimische) Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit mit und ohne Migrationsbiographie befragt. Für diese veränderte Grundgesamtheit konnten Werte von 17,5 (2014) bzw. 18,3 Prozent (2016) bzw. 18,7 Prozent (2018/19) bzw. 18,3 Prozent (2020/21)Footnote 17 für die Zustimmung zu muslim*innenfeindlichen Aussagen ermittelt werden, was auf eine Stabilität muslim*innenfeindlicher Einstellungen in der deutschen Bevölkerung in den letzten Jahren hinweist (vgl. Zick et al. 2019: 80/83).

Mit Blick auf die Stichprobe sowie die konkreten Items könnte eine Erklärung für die seit 2014 verringerten Zustimmungswerte zu muslim*innenfeindlichen Aussagen – neben einem tatsächlichen Rückgang muslim*innenfeindlicher Einstellungen – sein, dass es hier auf manifester Ebene unter anderem um die Einstellung zu Zuwanderung geht („Muslimen sollte die Zuwanderung nach Deutschland untersagt werden“), welche unter Umständen unter Personen mit eigener oder familiärer Migrationserfahrung anders bewertet wird. Eine weitere Erklärung für das (auf den ersten Blick) geringere Ausmaß an Muslim*innenfeindlichkeit in den Jahren 2014, 2016, 2018/19 und 2020/21 könnte darüber hinaus in einer gestiegenen Popularität des Diskurses um Islam und Muslim*innen liegen. In diesem Zusammenhang sollten Effekte sozialer Erwünschtheit berücksichtigt werden. Diese nehmen normalerweise zu, je heikler eine Frage für die Respondent*innen ist (vgl. Diekmann 2011: 448 f.). Durch die vermehrte Thematisierung von Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit im weitesten Sinne steigt möglicherweise die Sensibilisierung für diese Thematik bzw. für die Norm, also das, was als sozial erwünscht eingeschätzt wird.

Die Ergebnisse der GMF-Studien gehören zu den populärsten in Deutschland, jedoch gibt es weitere Studien, die ebenfalls die Prävalenz feindlicher Einstellungen gegenüber Muslim*innen und dem Islam (im Querschnitt) belegen. So hält sich etwa die Befürwortung des Baus von Moscheen und Minaretten in Grenzen. Nur rund 28 Prozent (Westdeutschland) bzw. 20 Prozent (Ostdeutschland) der Deutschen befürworten den Bau von Moscheen, im Fall der Minarette fallen diese Zahlen noch geringer aus (ca. 18 bzw. 12 Prozent). In anderen europäischen Ländern wie Dänemark, Frankreich, den Niederlanden oder Portugal finden sich deutlich mehr Befürworter*innen als in Deutschland (vgl. Pollack 2014: 29). Für ein striktes Verbot sprachen sich 39 Prozent der Deutschen aus (vgl. Petersen 2012). Dass die Ausübung des islamischen Glaubens stark eingeschränkt werden müsse, sahen in Deutschland 42 Prozent (West) bzw. 55 Prozent (Ost) der Befragten so. Negative Einstellungen gegenüber Muslim*innen in Deutschland können sich außerdem in der Zuschreibung negativer bzw. im Fall des subtilen Vorurteils in der Nicht-Zuschreibung positiver Attribute, wie etwa Gefühlen von Bewunderung oder Vertrauen, ausdrücken (vgl. Pettigrew & Meertens 1995; Zick 2017: 41). So werden insbesondere negative Stichworte wie die Benachteiligung der Frau, Fanatismus, Gewaltbereitschaft oder Engstirnigkeit mit dem Islam in Verbindung gebracht, wohingegen eher positive Stichworte wie Friedfertigkeit, Toleranz, Achtung der Menschenrechte und Solidarität nur bei einem geringen Anteil der Befragten (5–9 Prozent) mit dem Islam assoziiert werden (vgl. Pollack 2014: 23). Auch ein Blick in andere europäische Länder offenbart die Prävalenz von Vorurteilen gegenüber dem Islam und gegenüber Muslim*innen: Im Jahr 2008/2009 stimmten im Rahmen einer repräsentativen Studie in acht europäischen Ländern zwischen 27,1 Prozent (Portugal) und 60,7 Prozent (Ungarn) der Befragten der Aussage zu, im eigenen Land gebe es zu viele Muslim*innen. In Deutschland vertraten 46,1 Prozent der Studienteilnehmer*innen diese Meinung. Die Aussage, der Islam sei eine Religion der Intoleranz, befürworteten zwischen 46,7 Prozent (Niederlande) und 62,2 Prozent (Portugal) der Befragten. In Deutschland stimmten mehr als die Hälfte der Befragten (52,5 Prozent) dieser Aussage zu (vgl. Zick et al. 2011b: 70).

In der ersten Welle noch unter den Begriff der Heterophobie subsumiert, ist die Facette Muslim*innenfeindlichkeit mittlerweile eine wichtige eigenständige Dimension im Zusammenhang mit Studien zu Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Die Auswahl zuvor skizzierter Forschungsergebnisse zeigt, dass feindliche Einstellungen sowohl gegenüber dem Islam als auch gegenüber Muslim*innen in Deutschland seit Jahren weit verbreitet sind und muslim*innen- und islamfeindliche Einstellungen durchaus Zustimmung in der Mitte der Gesellschaft finden. Muslim*innen- und islamfeindliche Einstellungen werden dabei immer wieder in einen Topf geworfen, zum Beispiel indem die Begrifflichkeiten synonym verwendet werden oder die Adäquanz von manifester und latenter Ebene bei der Erfassung der Phänomene nicht gegeben ist. Insbesondere mit Blick auf das Konzept der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit ist daher zu fragen, inwiefern Vorurteile gegenüber Menschen, die neben zahlreichen anderen Gruppen auch der Gruppe der Muslim*innen angehören, eigentlich gleichgesetzt werden können mit feindlichen Einstellungen gegenüber einer Religion, in diesem Fall dem Islam. Aus der Perspektive der Menschenfeindlichkeit widmet sich diese Arbeit daher der empirischen Differenzierung von Islamfeindlichkeit auf der einen und Muslim*innenfeindlichkeit auf der anderen Seite.

1.4 Problemstellung: Differenzierung von Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit

Islamfeindlichkeit, Islam(o)phobie, Muslim*innenfeindlichkeit, antimuslimischer Rassismus, Antimuslimismus – all diese Begriffe stellen eine Auswahl von Wortschöpfungen im Zusammenhang mit Vorurteilen bzw. feindlichen Einstellungen gegenüber und Diskriminierung von Muslim*innen und/oder dem Islam dar. Nicht alle Begriffe lassen sich synonym verwenden und sind gleichermaßen gut geeignet für die Beschreibung, Erfassung und Bearbeitung des Phänomens. Je nach Autor*in, theoretischer Perspektive und Fokus werden hierunter beispielsweise „Bedrohungsgefühle und Abwertungen von Muslimen, ihrer Kultur und ihren öffentlich-politischen wie religiösen Aktivitäten“ (Klein et al. 2014: 64), „negativ-stereotype Haltungen gegenüber dem Islam und seinen tatsächlichen oder mutmaßlichen Angehörigen“ (Bielefeldt 2010: 188) oder ein „Ausgrenzungsmechanismus […], für den die Religion oftmals nur die Folie bietet, vor deren Hintergrund Kollektivzuschreibungen vorgenommen werden“ (Shooman 2014: 219) verstanden. Bereits dieser kurze Einblick in Termini und Definitionsversuche im Phänomenbereich im deutschsprachigen Raum offenbart die Vielfalt ebenso wie die Abweichungen der kursierenden Ansätze und Konzeptionalisierungsangebote – insbesondere mit Blick auf die fokussierten Adressat*innen.

Ähnliches ist im englischsprachigen Raum zu beobachten. Zwei der besonders populären Definitionen von Islamophobia lauten:

„The term Islamophobia refers to unfounded hostility towards Islam. It refers also to the practical consequences of such hostility in unfair discrimination against Muslim individuals and communities, and to the exclusion of Muslims from mainstream political and social affairs.“ (Conway 1997: 4).

„Islamophobia is best defined as indiscriminate negative attitudes or emotions directed at Islam or Muslims.“ (Bleich 2011: 1582).

Beide Definitionen beziehen sich sowohl auf Muslim*innen als auch auf den Islam. Menschen und eine Religion werden in diesen Definitionen zusammengefasst und als mehr oder weniger untrennbar dargestellt. Während Bleich (2011) von negativen Einstellungen und Emotionen sowohl gegenüber dem Islam als auch gegenüber Muslim*innen spricht, differenziert Conway (1997) zwischen Feindlichkeit und diskriminierendem Verhalten, wobei letzteres im Zusammenhang mit Muslim*innen steht und als Konsequenz aus ersterem begriffen wird. Im deutschsprachigen Raum, in welchem oftmals von Islam- oder Muslim*innenfeindlichkeit anstatt von Islamophobie die Rede ist, wird besonders häufig auf die Definitionen der Studien zu Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit sowie der Mitte-Studien verwiesen:

„Bedrohungsgefühle und die ablehnenden Einstellungen gegenüber der Gruppe der Muslime, ihren Ritualen und öffentlich-politischen wie religiösen Aktivitäten“ (Heitmeyer 2003a: 15)

„Muslimfeindlichkeit beschreibt im Kern die Abwertung von Menschen, weil sie Muslime sind, bzw. […] eine Abwertung von Menschen, die als Mitglieder einer bestimmten Gruppe, des Islams, kategorisiert werden.“ (Zick et al. 2019: 60).

Zick et al. (2019) haben bereits auf Diskussionen um eine adäquate Definition im Phänomenbereich reagiert und versucht, die Beziehung zwischen Islam und Muslim*innen deutlicher herauszustellen. In dieser neusten der hier zitierten Definitionen stehen explizit Menschen im Fokus der Abwertung – die Religion des Islams ist lediglich konstituierend für die Gruppe der Muslim*innen. Islam und Muslim*innen stehen damit nicht mehr auf derselben Stufe, nicht mehr in einer Reihe, wie dies beispielsweise bei Bleich (2011) der Fall war.

Die genannten Beispiele machen die grundlegende Problematik bereits deutlich: Für die Abwertung von Muslim*innen einerseits und des Islams andererseits scheint es keine einheitlichen Begrifflichkeiten zu geben. Daraus resultiert eine Vielzahl konkurrierender Termini in der Praxis. Hinzu kommen zum Teil marginal, zum Teil deutlich voneinander abweichende und zugleich willkürlich erscheinende Definitionen im Zusammenhang mit den genannten Konzepten. Begriffe wie auch Definitionen scheinen bis zu einem bestimmten Grad austauschbar zu sein, was nicht zuletzt an der Änderung des zu Recht umstrittenen Begriffs Islam(o)phobie in Islamfeindlichkeit bei gleichbleibender Definition im Rahmen des Projekts zur Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit (vgl. Heitmeyer 2012a) oder der Gleichsetzung von Islamophobia und anti-Muslim racism durch den Runnymede Trust (vgl. Elahi & Khan 2017: 7) deutlich wird. Für ein gesellschaftlich hochrelevantes Phänomen, das in Deutschland durchaus Aufmerksamkeit aus Politik und Wissenschaft erhält, sind Begriffe und Konzepte weiterhin erstaunlich unpräzise und wenig trennscharf. Die mangelnde Trennschärfe manifestiert sich nicht zuletzt in der gleichzeitigen Benennung unterschiedlicher Adressat*innen (vgl. Pfahl-Traughber 2012: 21): Menschen mit tatsächlichem oder zugeschriebenem muslimischen Glauben und die Religion des Islams.

Das Verhältnis von Islam und Muslim*innen als Adressat*innen von Vorurteilen, Abwertungen und Diskriminierung ist dabei nicht immer eindeutig definiert. Oftmals scheinen Muslim*innen und die Religion des Islams in nahezu untrennbarer Art und Weise adressiert und damit letztendlich in unauflösbarer Abhängigkeit zueinander konstruiert zu werden. Daraus resultiert, dass sich Begriffe wie Islamfeindlichkeit oder Islamophobie in der Forschungspraxis nicht zwingend auf die Religion des Islams beziehen, auch wenn dies semantisch betrachtet konsequenterweise angenommen werden könnte. Gleichzeitig meint Muslim*innenfeindlichkeit nicht immer ausschließlich die Abwertung von (muslimischen) Menschen. Stattdessen werden einige Begriffe immer wieder synonym verwendet und nicht konsequent hinsichtlich ihrer sprachlichen Adäquanz in Bezug auf Terminologie, Definition und Operationalisierung hinterfragt. Für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit bedarf es jedoch einer semantischen wie konzeptionellen Präzision und valider Messinstrumente, die es möglich machen, das Phänomen in all seinen Facetten differenziert erfassen zu können.

An anderer Stelle wird von einem metonymischen Charakter des Wortes Islam ausgegangen: Es wird von Islamophobie gesprochen, gemeint seien jedoch Muslim*innen (vgl. Wehling 2017: 156). Bisweilen werden Islamfeindlichkeit und Muslim*innenfeindlichkeit durchaus als unterschiedliche Phänomene begriffen, die in einem konsekutiven Verhältnis stehen. Muslim*innenfeindlichkeit wird dann als „gravierendste Folge von Islamfeindlichkeit“ verstanden (Rohe 2017: 265). Die Abwertung von Muslim*innen wäre in diesem Sinne etwas, das auf die Abwertung des Islams folgt. Oder umgekehrt: Es braucht zunächst eine feindliche Einstellung gegenüber dem Islam, bevor es zu Muslim*innenfeindlichkeit kommen kann.

Auf theoretischer Ebene wird diese Problematik in Deutschland in den letzten Jahren zunehmend diskutiert (vgl. u. a. Bielefeldt 2010; Bühl 2010; Çakır 2014; Elahi & Khan 2017; Pfahl-Traughber 2012) bzw. explizit zwischen Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit unterschieden und ihre Beziehung zueinander thematisiert (vgl. Shooman 2014; Zick et al. 2016a). In der Folge entstanden erste empirische Arbeiten zur Differenzierung von Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit (vgl. u. a. Diekmann 2017, 2020b; Frindte & Dietrich 2017; Leibold & Kühnel 2003, 2006; Uenal 2016; Uenal et al. 2021). Tiefergehende empirische Analysen blieben jedoch bisher aus, sodass hier eine Forschungslücke konstatiert werden kann.

Die vorliegende Studie möchte die identifizierte Forschungslücke schließen. Sie leistet einen empirischen Beitrag zur Frage nach der notwendigen Differenzierung von feindlichen Einstellungen gegenüber dem Islam einerseits und Muslim*innen andererseits – unter besonderer Berücksichtigung der Implikationen für die Erfassung dieser Einstellungen in der (quantitativen) Vorurteilsforschung. Folgender Dreischritt inklusive leitender Fragestellungen strukturiert dabei diese Arbeit:

  1. I.

    Differenzierung: Handelt es sich bei Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit statistisch um zwei unterschiedliche Konstrukte, die es zu differenzieren gilt? Lassen sich differente Prädiktoren für Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit identifizieren?

  2. II.

    Ausmaß: Gibt es Niveauunterschiede zwischen Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit? Falls ja, finden Items mit muslim*innenfeindlichen Aussagen mehr oder weniger Zustimmung als Items mit islamfeindlichen Aussagen?

  3. III.

    Assoziationen: Was assoziieren die Befragten mit den Begriffen Islam und Muslim*innen? Werden unterschiedliche Themenfelder oder Bewertungen mit den beiden Begriffen in Verbindung gebracht? Wo gibt es Überschneidungen, wo Unterschiede? Wie hängen die Assoziationen mit feindlichen Einstellungen zusammen?

Eine differenzierte Betrachtungsweise von Islamfeindlichkeit und Muslim*innenfeindlichkeit ist für die sozialwissenschaftliche Forschung unbedingt notwendig, da sich für den Islam als Religion und Muslim*innen als Menschen unterschiedliche Konsequenzen ergeben können: Während die Abwertung des Islams Integrationsprobleme zur Folge haben kann, kann die Diskriminierung von Muslim*innen zusätzlich zu sozialen, psychischen und gesundheitlichen Problemen für die Betroffenen führen (vgl. Zick 2017: 53). Es handelt sich demzufolge mitnichten um Haarspalterei oder „Begriffsfetischismus“ (Bielefeldt 2012: 23). Stattdessen sind präzise Definitionen und angemessene Operationalisierungen „[r]elevant […] für die verstehende Sozialwissenschaft und Präventionsarbeit, die sich zum Ziel setzen, Aussagen über die Qualität sozialer Konflikte zu treffen und Lösungsvorschläge anzubieten“ (Logvinov 2017: 3).

Eine solche Betrachtungsweise schließt selbstverständlich nicht aus, dass trotz einer differenzierten Wahrnehmung von Islam und Muslim*innen die Möglichkeit besteht, Muslim*innen über den Umweg des Islams abzuwerten (vgl. Shooman 2014: 219; Zick et al. 2016a: 39). Vielmehr ermöglicht diese Perspektive Aussagen über das Verhältnis von Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit, dessen Erforschung in den Sozialwissenschaften bisher wenig Beachtung gefunden hat. Erst die Auseinandersetzung mit der Differenzierung von Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit und damit letztendlich die Anerkennung zweier potentiell unterschiedlicher, wenn auch korrelierender Dimensionen ebnet den Weg für Analysen zum Verhältnis und Zusammenhang von feindlichen Einstellungen gegenüber dem Islam einerseits und Muslim*innen andererseits. Die Ausblendung dieser Differenzierung trägt zu einem unklaren Verständnis des Phänomens und zu wenig trennscharfen Konzepten bei. Kurzum: Um Verflechtungen erkennen und diese schließlich in der Praxis bearbeiten zu können, bedarf es zunächst der wissenschaftlichen Entflechtung und Determinierung der einzelnen Dimensionen von Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit (vgl. Diekmann 2021: 85).

1.5 Ziel und Abgrenzung

„Attitude research provides an indication as to whether there is fertile ground for more negative behavior an[d] how to stop the negative spiral.“ (Dekker & van der Noll 2012: 112).

Im Fokus dieser Studie steht die Erforschung feindlicher Einstellungen gegenüber dem Islam und gegenüber Muslim*innen. Feindliche Einstellungen hängen eng mit Diskriminierung zusammen und können daher ein wichtiger Indikator für gesellschaftlichen Zusammenhalt und Konflikte in einem Land sein. Ähnlich wie das Zitat von Dekker & van der Noll (2012), basiert diese Arbeit auf der normativen Grundhaltung, dass Vorurteile und Diskriminierung (feindliche) Einstellungen bzw. Verhaltensweisen und Strukturen sind, die es zu reduzieren und abzubauen gilt. Sie orientiert sich damit am Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz, welches vorsieht, Benachteiligungen aufgrund verschiedener personenbezogener Merkmale, u. a. der Religion, zu verhindern oder zu beseitigen (§ 1 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz).

Vor diesem Hintergrund sollen im Folgenden die Ziele der Studie skizziert werden, wobei zunächst abgrenzend dargelegt wird, welche Ziele diese Arbeit explizit nicht verfolgt. Es geht in dieser Studie nicht darum, für eine tatsächliche Unabhängigkeit von Islam und Muslim*innen zu argumentieren. Es geht nicht um eine vollständige Loslösung der Menschen von der Religion und die Legitimierung von Aussagen wie „Der Islam gehört nicht zu Deutschland, Muslim*innen jedoch sehr wohl“ (vgl. Abschn. 1.2). Vielmehr können solche Aussagen einer von vielen Gründen sein, warum – bewusst oder unbewusst – zwischen Islam und Muslim*innen unterschieden wird und sich infolgedessen unterschiedliche Ergebnisse in quantitativen Befragungen ergeben, je nachdem, ob in den Items sprachlich auf den Islam oder auf Muslim*innen Bezug genommen wird. Diese Arbeit möchte weder die Umwegkommunikation einer Abwertung von Muslim*innen über den Islam ignorieren, noch behaupten, feindliche Haltungen gegenüber dem Islam hätten keinerlei Auswirkungen auf Muslim*innen.

Es geht also um eine differenzierte Betrachtung unterschiedlicher Adressat*innen von Abwertung, das heißt feindliche Einstellungen gegenüber der Religion des Islams auf der einen Seite und feindliche Einstellungen gegenüber Menschen mit tatsächlichem oder zugeschriebenem muslimischen Glauben auf der anderen Seite, und damit nicht primär um die Frage, inwiefern es sich hier um Phobien, Einstellungen oder Rassismen handelt. Da im Zusammenhang mit Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit immer wieder unterschiedliche Konzepte zu finden sind, widmet sich Abschn. 3.2 intensiv der Unterscheidung bzw. dem Zusammenhang von Phobien, feindlichen Einstellungen (Feindlichkeit) und Rassismus. Ausgangspunkt dieser Arbeit ist jedoch die Einstellungsebene. Es werden Vorurteile gegenüber Muslim*innen und dem Islam untersucht, auch wenn diese nicht vollkommen isoliert auftreten müssen, sondern in wechselseitigem Zusammenhang mit individueller, institutioneller und struktureller Diskriminierung stehen können.

Das Hauptinteresse der Studie bezieht sich auf die Frage, inwiefern hinter all den konkurrierenden Termini tatsächlich das gleiche Konstrukt steckt und inwiefern Aussagen wie „Ablehnung von Islam und Muslim*innen“ überhaupt als Definition für ein einzelnes Konstrukt zulässig sind und nicht als doppelte Stimuli (vgl. Porst 2014) gewertet werden müssen. Im Vordergrund steht die Frage, ob Islamfeindlichkeit und Muslim*innenfeindlichkeit identisch sind und diese Begriffe synonym verwendet werden können oder ob die Operationalisierung doch nicht so willkürlich erfolgen kann, wie dies bisweilen der Fall ist. Anders gefragt: Ist es eigentlich unproblematisch, wenn Islamfeindlichkeit und Muslim*innenfeindlichkeit im (populär)wissenschaftlichen Diskurs als austauschbare Begriffe verwendet werden oder sollten wir an dieser Stelle mehr Wert auf eine präzise Wortwahl und Operationalisierung legen? Ausgangspunkt für diese Frage sind neben theoretischen Diskussionen und ersten empirischen Befunden, die im Verlauf der Arbeit detailliert nachgezeichnet werden, Erfahrungen aus dem Feld. In einer 2016 durchgeführten Befragung (vgl. Diekmann 2017, 2020b) machten einige Teilnehmer*innen eine Unterscheidung zwischen Islam und Muslim*innen relevant, indem sie explizit zwischen beiden differenzierten und ihre abweichende Bewertung damit begründeten, dass sie entweder Probleme oder keine Berührungspunkte mit dem Islam hätten, sich mit ihren muslimischen Nachbar*innen aber sehr gut verstehen würden.

In dieser Arbeit wird zu keiner Zeit davon ausgegangen, dass es sich bei Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit um völlig verschiedene, unabhängige Phänomene handelt und es geht auch nicht um die Differenzierung von Islam und Muslim*innen als solche, sondern um die Wahrnehmung und Bewertung von Islam und Muslim*innen durch die Dominanzgesellschaft. Die (quantitative) empirische Sozialforschung sollte den Anspruch haben, mit präzisen und validen Messinstrumenten zu arbeiten, um soziale Phänomene möglichst adäquat erfassen zu können. Diese Studie möchte einen empirischen Beitrag zu einem verbesserten Verständnis von Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit leisten und für einen trennschärferen Umgang mit diesen Konzepten sensibilisieren.

Anhand der nun folgenden Skizzierung der Gliederung der Arbeit wird deutlich, wie dieser Anspruch eingelöst werden soll.

1.6 Aufbau und Argumentationslinie der Arbeit

Zur Bearbeitung der Frage nach einer potentiell notwendigen differenzierten Betrachtung feindlicher Einstellungen gegenüber dem Islam als Religion einerseits und Menschen, die tatsächlich oder vermutet der Gruppe der Muslim*innen angehören, andererseits, wird zunächst in Kapitel 2 die theoretische Grundlage für eine solche Differenzierung geschaffen. In diesem Kapitel werden im Anschluss an eine Definition der relevanten Konzepte Stereotype, Vorurteile und Diskriminierung (Abschn. 2.1) die Grundideen der Theorie der Sozialen Identität (vgl. Tajfel & Turner 1986) und der Selbstkategorisierungstheorie (vgl. Turner 1985) sowie darauf aufbauend theoretische Überlegungen zur Entstehung (Abschn. 2.2) und Reduzierung (Abschn. 2.3) von Intergruppenkonflikten erläutert. Die hier diskutierten Ansätze zur Verringerung von Vorurteilen beziehen sich insbesondere auf Kontakte zwischen Gruppen (vgl. Allport 1954) sowie dynamische Formen der Kategorisierung (Kreuzkategorisierung, Dekategorisierung, Rekategorisierung). Die theoretische Fundierung in Kapitel 2 verdeutlicht die Perspektive dieser Arbeit, indem sie einen terminologischen Unterbau schafft und eine ‚analytische Brille‘ bereitstellt. Dieses Kapitel setzt einen theoretischen Rahmen für die gesamte Arbeit und hat außerdem die Funktion, die Beschäftigung mit der Frage nach einer differenzierten Betrachtung von Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit zu legitimieren. Theoretische Überlegungen zu Abwertungsprozessen gegenüber Outgroups und Vorurteilsreduzierungsstrategien plausibilisieren eine Unterscheidung zwischen der Abwertung von Menschen aufgrund ihrer tatsächlichen oder zugeschriebenen Gruppenzugehörigkeit, die zentraler Bestandteil der oben genannten Theorien sind, und der Abwertung einer Religion, die in den theoretischen Ansätzen zu Intergruppenkonflikten nahezu keine Berücksichtigung findet (Abschn. 2.4). Nach der Auseinandersetzung mit einer möglichen, wenn nicht sogar notwendigen Differenzierung von Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit geht es zudem um die Perzeption von Islam und Muslim*innen in Deutschland. Die Einführung des Frame-Begriffs sowie eine kurze Skizzierung der medialen Darstellung von Islam und Muslim*innen (Abschn. 2.5) sind unerlässlich für die später folgende Analyse der freien Assoziationen.

Nach dieser grundlegenden theoretischen Verortung der Arbeit wird der Fokus in Kapitel 3 eingeengt auf Konflikte zwischen der Gruppe der Muslim*innen bzw. als muslimisch markierten Menschen und der Gruppe der Nicht-Muslim*innen. Zur Kontextualisierung wird zunächst kurz auf die Arbeitsmigration Mitte des 20. Jahrhunderts eingegangen, in deren Folge Muslim*innen in Deutschland sichtbarer und überhaupt erst zu einer wahrgenommenen Kategorie wurden, wodurch Phänomene wie Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit gesellschaftlich relevanter wurden und letztendlich der Grundstein für eine wissenschaftliche Beschäftigung mit der Abwertung von Muslim*innen gelegt wurde (Abschn. 3.1). Darauf aufbauend folgt eine Skizzierung der Genese und Etablierung unterschiedlicher Konzepte und Begriffe im Zusammenhang mit der Abwertung von Muslim*innen und des Islams, die sich im Laufe der Jahre aus dem Konzept der sogenannten Fremdenfeindlichkeit bzw. Xenophobie herausgelöst haben und mittlerweile als eine eigenständige Facette Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit beschrieben werden. Die einzelnen Begriffe und Konzepte werden kritisch diskutiert und hinsichtlich ihrer Eignung als Analysefolie für die vorliegende Arbeit geprüft (Abschn. 3.2). Dabei findet eine Auseinandersetzung mit dem problematischen, aber weit verbreiteten Begriff der Islamophobie statt. Es folgt eine Gegenüberstellung der Konzepte Feindlichkeit und Rassismus, welche in dieser Arbeit zusammengedacht und beide in ihrer Bedeutung für die vollumfängliche Erfassung und das Verständnis des Phänomens anerkannt werden sollen, auch wenn der Fokus dieser Arbeit primär auf der Erfassung feindlicher Einstellungen auf individueller Ebene liegt und weniger Rassismus als gesellschaftliches Verhältnis in den Blick genommen wird. Um die derzeitige Erfassung des Phänomens im Rahmen soziologischer und sozialpsychologischer standardisierter Befragungen und daraus resultierende Probleme sowie eine fehlende Adäquanz von manifester und latenter Ebene zu verdeutlichen, folgt in einem nächsten Schritt die Darstellung verschiedener aktuell angewendeter Operationalisierungsformen von Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit (Abschn. 3.3). Daran schließt sich eine Übersicht theoretischer Argumente sowie der bisher existierenden empirischen Literatur zur konkreten Differenzierung von Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit an (Abschn. 3.4). Schlussendlich werden basierend auf den Erkenntnissen der Kapitel 2 und 3 die in dieser Arbeit zu testenden Hypothesen formuliert (Abschn. 3.5).

Aus den unterschiedlichen theoretischen Überlegungen, Forschungsfragen und Hypothesen ergeben sich method(olog)ische Konsequenzen für das Forschungsdesign, welches in Kapitel 4 beschrieben wird. Die in der Arbeit analysierten Daten wurden im Rahmen einer speziell auf die Forschungsfrage dieser Arbeit zugeschnittenen standardisierten Befragung online erhoben (n = 497). Durch drei unterschiedliche Fragebogenversionen, zu denen die Respondent*innen randomisiert zugeordnet wurden, ergibt sich für diese Arbeit ein experimenteller Charakter. So lassen sich islambezogene Items auf der einen und ansonsten identisch formulierte muslim*innenbezogene Items auf der anderen Seite in der Logik von Experimental- und Kontrollgruppe direkt miteinander vergleichen. Da das Erhebungsinstrument für die Bearbeitung des Forschungsinteresses zentral und zudem passgenau auf die Forschungsfrage zugeschnitten ist, wird der hier verwendete Onlinesurvey ausführlich hinsichtlich Aufbau, Pretest und Operationalisierung beschrieben (Abschn. 4.1). Onlinesurveys basieren in den seltensten Fällen auf Zufallsstichproben, sodass eine Beschreibung der Datenerhebung bzw. des Samplings (Abschn. 4.2) sowie der vorliegenden Stichprobe mit Blick auf den Gültigkeitsbereich der Ergebnisse (Abschn. 4.3) essentiell ist. Darauf folgt die Skizzierung der drei aus den bisherigen Überlegungen abgeleiteten Auswertungsschritte (Abschn. 4.4) sowie eine zusammenfassende kritische Reflexion der Methodik (Abschn. 4.5).

Die Struktur des Dreischritts aus Abschn. 4.4 findet sich auch in den nun folgenden drei Ergebniskapiteln. Kapitel 5 enthält die Ergebnisse aus der Hauptkomponentenanalyse, der konfirmatorischen Faktorenanalyse sowie der einzelnen Regressionsmodelle zur Bestimmung der Prädiktoren von Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit. Alle Verfahren verfolgen das Ziel, Anhaltspunkte für eine Differenzierung von Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit herauszuarbeiten – zunächst, indem unterschiedliche Dimensionen extrahiert werden (Abschn. 5.1), und anschließend, indem die beiden Dimensionen Islamfeindlichkeit und Muslim*innenfeindlichkeit hinsichtlich unterschiedlicher Prädiktoren und Effekte untersucht werden (Abschn. 5.2). Ein Zwischenfazit bringt die Ergebnisse beider Ansätze noch einmal auf den Punkt (Abschn. 5.3).

Nachdem Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit als zwei unterschiedliche Dimensionen identifiziert wurden, folgt in Kapitel 6 nun in einem zweiten Schritt der direkte Vergleich dieser beiden Dimensionen hinsichtlich des Ausmaßes feindlicher Einstellungen gegenüber dem Islam einerseits und Muslim*innen andererseits. Ein solcher Vergleich war in vorangegangenen Studien bisher aufgrund einer fehlenden gleichen Stärke in der Formulierung der Items nicht möglich. Hier können nun Mittelwerte unter allen Befragten (Abschn. 6.1), aber auch getrennt nach Fragebogenversionen untersucht werden, sodass einerseits die Ergebnisse eines Mittelwertvergleichs im Experimental-Kontrollgruppen-Design (Abschn. 6.2) und andererseits die Ergebnisse eines Mittelwertvergleichs bei bewusster Entscheidung zwischen islam- und muslim*innenbezogenen Items dargestellt werden (Abschn. 6.3). Wenn auch nicht zentrales Anliegen dieser Arbeit, so bietet das innovative Design mit seinen drei unterschiedlichen Fragebogenversionen doch wichtige Erkenntnisse zur Abhängigkeit der Ergebnisse von der Fragebogenversion, weshalb weiterhin die Ergebnisse des Experimental-Kontrollgruppen-Designs und des Designs mit bewusster Entscheidung kontrastiert werden (Abschn. 6.4). Schließlich folgt auch für diesen Analyseschritt ein Zwischenfazit (Abschn. 6.5).

Um erste mögliche Erklärungsansätze für die Ergebnisse aus den Kapiteln 5 und 6 zu eruieren und Deutungsrahmen der Befragten besser verstehen zu können, werden in Kapitel 7 schließlich basierend auf der Auswertung einer offenen Frage freie Assoziationen zu den Begriffen Islam und Muslim*innen fokussiert. Für einen ersten Überblick werden für die Begriffe Islam und Muslim*innen separate Wordclouds generiert, die die Häufigkeiten einzelner Wörter sichtbar machen (Abschn. 7.1). Anschließend werden die einzelnen Antworten auf Personenebene systematisch frequenz- und – wo möglich – valenzanalytisch ausgewertet (Abschn. 7.2). Zur Überprüfung der Robustheit der Ergebnisse sowie zur Überprüfung des Zusammenhangs zwischen bestimmten Assoziationen und Islam- bzw. Muslim*innenfeindlichkeit werden zusätzlich die im Fragebogen vorgegebenen (geschlossenen) Assoziationen analysiert (Abschn. 7.3). Das Kapitel wird abgerundet durch ein Zwischenfazit in Form einer Übersicht relevanter Kategorien, die entweder besonders stark mit dem Islam, besonders stark mit Muslim*innen oder mit beiden in etwa gleich stark assoziiert werden (Abschn. 7.4).

Im abschließenden Kapitel 8 werden die zentralen Ergebnisse der Kapitel 5 bis 7 vor dem Hintergrund der theoretischen Überlegungen der vorangegangenen Kapitel diskutiert. Die Ergebnisse dieser Arbeit werden in einen breiteren Kontext gesetzt und es wird explizit herausgearbeitet, welchen Beitrag zum Forschungsfeld diese Arbeit auf theoretischer, methodologischer und handlungspraktischer Ebene leistet. Auch Limitationen und offene Forschungsdesiderate dieser Studie sowie Implikationen und Impulse für die (Forschungs-)Praxis werden in diesem Kapitel diskutiert.