Skip to main content

Die Kodifizierung des ILO-Zwangsarbeitsverbots (UV1 Norm-Law-Gap)

  • Chapter
  • First Online:
Das ILO-Zwangsarbeitsverbot in der globalisierten Wirtschaft

Part of the book series: Globale Politische Ökonomie ((GPÖ))

  • 326 Accesses

Zusammenfassung

Die ILO reguliert sozialpolitische Fragestellungen, indem sie normative Standards in Form von Übereinkommen und Empfehlungen verabschiedet. Seit den 1990er Jahren ist sie außerdem vermehrt im Bereich der technischen Zusammenarbeit aktiv. Mit der Verabschiedung der Decent Work Agenda (2001) hat die ILO zudem marktbasierte Governancemodi als politische Steuerungsformen integriert. Im vorliegenden Kapitel wird die Kodifizierung des Zwangsarbeitsverbots mit Blick auf fehlerhafte Transponierungen normativer Gehalte analysiert. Dies umfasst ihre historische Genese und ihre juristische wie politische Fortschreibung.

This is a preview of subscription content, log in via an institution to check access.

Access this chapter

Chapter
USD 29.95
Price excludes VAT (USA)
  • Available as PDF
  • Read on any device
  • Instant download
  • Own it forever
eBook
USD 64.99
Price excludes VAT (USA)
  • Available as EPUB and PDF
  • Read on any device
  • Instant download
  • Own it forever
Softcover Book
USD 84.99
Price excludes VAT (USA)
  • Compact, lightweight edition
  • Dispatched in 3 to 5 business days
  • Free shipping worldwide - see info

Tax calculation will be finalised at checkout

Purchases are for personal use only

Institutional subscriptions

Notes

  1. 1.

    Ethische Begründungen schließen moralische Begründungen mit ein.

  2. 2.

    Vergleichbar sind diese Positionen mit den Ansichten in merkantilistischen Gesellschaften, dass Armut eine notwendige Motivation darstelle, damit Menschen sich in der Lohnarbeit betätigen. Heute übernimmt diese Funktion das Bedürfnis des Konsums, siehe Steinfeld/Engermann (1997: 109).

  3. 3.

    Auf die vermeintlich besonderen Pflichten der Fürsorge von Sklavenhaltern wird noch einmal im Rahmen der Diskussion der ILC verwiesen durch die Regierungsdelegation Deutschlands, ILO (1929b: 426).

  4. 4.

    Häufig waren diese allerdings in legal-institutionelle Rahmen der Kolonialmächte eingebunden, z. B. dann, wenn Gemeinden in Abhängigkeit von der Bereitstellung von Zwangsarbeitern Mittel von der Kolonialverwaltung zugewiesen bekamen. Wenn diese Formen der Zwangsarbeit also in die Kolonialverwaltung eingebunden waren, hatten staatliche Delegierte ein eher geringes Interesse daran, diese in den Geltungsbereich des Verbots mit einzubeziehen. Dementsprechend drastisch formuliert z. B. der Regierungsdelegierte Portugals die Opposition in ILO (1929b: 543): „How is it possible for the International Labour Office to take away the rights of chiefs, and to take away from the natives their traditional respect for the chiefs? If that were done, it would mean war between the whites and the blacks, and I do not think that is the aim which we are pursuing here.“

  5. 5.

    Wobei sie einschränkten, dass ihr Vorschlag zur Einrichtung eines Expertenausschusses für die Überprüfung der Staatenberichte zu dem Übereinkommen, die entsprechend Artikel 408 des Pariser Friedensvertrags einzureichen seien, keinerlei Eingriff in die Souveränität darstelle. Ein solcher Ausschuss diene ausschließlich der Unterstützung des Internationalen Arbeitsamtes in seiner regulären Tätigkeit. Insgesamt verfüge die ILO nicht über die Mechanismen, Beschlüsse gegen den Willen der Mitgliedsstaaten umzusetzen, ILO (1930b: 283).

  6. 6.

    Seit 1953 haben sich die UNGA, der UN-Generalsekretär und der ILO-Generaldirektor mit der Thematik befasst und sich gegenseitig unterrichtet.

  7. 7.

    Siehe auch ILO (1957b: 346, 351) zu den Äußerungen der Regierungsdelegation der UdSSR: „But I would say to the Employers that we, the representatives of Socialist countries, are not seeking their sympathy because socialism is the deadly enemy of capitalism which they represent and the interests of which they defend here against the interests of the working class.“

  8. 8.

    Formen der staatlichen Zwangsarbeit sind sogar, so die Arbeiterdelegation Chinas im weiteren Verlauf der Debatte, siehe ILO (1956: 512), in der Verfassung des kommunistischen Chinas vom 20. September 1954 eingelassen: „The People’s Republic of China safeguards the people’s democratic system, suppresses all treasonable and counter revolutionary activities and punishes all traitors and counter-revolutionaries. The State deprives feudal landlords and deprives capitalists of political rights for a specific period of time according to law. At the same time it provides them with a way to earn a living in order to enable them to reform through work and become citizens who earn their livelihood by their own labour.“

  9. 9.

    Lockes Konzeptionen zum Eigentum waren ein wichtiger Wegweiser des entstehenden Individualismus in der liberalen Theorie. Im Zentrum standen dabei der Besitz und das Eigentum des Individuums an seiner eigenen Arbeitskraft und der eigenen Person, vgl. Locke (2000 [1689]) 1689; Macpherson (1990: 223 f.). Dies gilt als Basis des modernen Menschenrechts und sah vor, dass das Individuum die eigene Arbeitskraft selbstständig nutzt oder zu ausgehandelten Bedingungen anbietet. Die Akkumulation von Eigentum war dabei nicht mehr gegenüber einem Allgemeinwesen rechtfertigungsbedürftig. Der Staat existiert, „to safeguard the rights and liberties of citizens who are ultimately the best judges of their own interests; and that accordingly the state must be restricted in scope and constrained in practice in order to ensure the maximum possible freedom of every citizen“, Held (2013: 22). Mit der beschleunigten Industrialisierung und dem Fortschreiten des Kapitalismus entwickelte der Sozialismus Positionen im Kampf um die Ausgestaltung der Menschenrechte im 19. Jahrhundert, vgl. Ishay (2009: 118); Rosanvallon (2017: 108–134, 135–158). Diese Positionen stellten auch eine Antwort auf die liberalen Konzeptionen der Menschenrechte dar, die in der Aufklärung insbesondere auf die individuelle Freiheit fokussierten. Sie betonten dabei Erkenntnisse über „universal suffrage, economic welfare, labor rights, education, slavery, and women’s rights“, so Ishay (2009: 119), als wichtige Bestandteile des Menschenrechts. Mit der zunehmenden Verschlechterung der Arbeitsbedingungen wurden die Forderungen nach sozialen und ökonomischen Rechten neben der Forderung nach bürgerlichen Freiheiten, die nicht jedem uneingeschränkt gewährt wurden, lauter, vgl. Ishay (2009: 135). Pierre-Joseph Proudhon und später Karl Marx argumentierten gegen das liberale Verständnis von Menschenrechten, indem sie den Status des Eigentums, der diesen innewohnte, ablehnten. Eigentum ist in diesen Positionen kein unveräußerliches Recht, sondern wird als selbstsüchtig und unsozial angesehen, Ishay (2009: 138). Diese Zusammenfassung basiert auf einem Arbeitspapier Christopher Finkes, das im Rahmen eines DFG-Projektes entstanden ist; vgl. Finke (unveröffentlicht).

  10. 10.

    Der erste Entwurf des Vertragstextes der ILO (1956: 726) lautet: „forced or compulsory labour, concentration camps or the deportation of national minorities – (a) as a means of political coercion or education or as a punishment for holding or expressing political views or views ideologically opposed to the established social political or economic system; (b) as a method of mobilising and using labour for purposes of economic development; (c) as a means of labour discipline; (d) as a punishment for having participated in strikes; (e) as a means of racial, social, national or religious discrimination; (f) as a consequence of the method of payment to the worker whereby his employer defers payment to a given date or postpones payment after the agreed date, thereby depriving the worker of a genuine possibility of terminating his employment, or where work is exacted from the worker in the form of bondage for debts or through systems of peonage.“

  11. 11.

    Die Tatsache, dass ethische Forderungen identifiziert werden, erlaubt keine Rückschlüsse auf die zugrundeliegenden Motivationen, derjenigen, die diese hervorbringen. Das heißt, ethisch begründete Forderungen können auch daraus entstehen, dass sie mit strategischem Interesse zusammenfallen.

  12. 12.

    Moderne Sklaverei kann dabei ganz ähnlich verstanden werden als „a social and economic relationship in which a person is controlled through violence or its threat, paid nothing, and economically exploited“, siehe dazu Moravcsik (1998: 174); Craig et al. (2007: 12); Choi-Fitzpatrick (2012: 16). Allerdings spielen dabei die de facto ausgeübten Eigentumsrechte an einer Person eine definitorische Rolle, vgl. Allain (2013b); Allain/Hickey (2012). Im Rahmen der juristischen Definition werden darüber hinaus verschiedene Formen der Zwangsarbeit berücksichtigt, die von einer Vielzahl von Akteuren angewendet oder gebilligt werden können, die nicht immer kommerziell genutzt werden. Staaten können auf Zwangsarbeit als Mittel politischer Verfolgung zurückgreifen unter dem Verweis auf die wirtschaftliche Entwicklung oder staatsbürgerliche Erziehung. Neben dieser kommerziellen Nutzung können Formen der privatwirtschaftlichen Zwangsarbeit auch in private Haushalte eingebunden, traditionell oder religiös eingebettet und begründet sein. Dies betrifft z. B. Restavecs (Kinder, die zur Beschäftigung im Haushalt von Verwandten abgegeben werden), das Trokosi-System in Ghana (Kult- oder Ritualsklaverei), Miers (2000, 2003); Akurang-Parry (2010); Greene (2009); Lawrance (2010), oder Formen der Zwangsehe, Quirk (2009: 262), oder wenn Zwangsarbeit genutzt wird, um spezifische Gruppen sozial zu marginalisieren, Kopytoff/Miers (1977); Patterson (1982).

  13. 13.

    Die Begrenzung auf die kommerzielle Ausbeutung entsteht hier, da die Arbeit auf privatwirtschaftliche Zwangsarbeit zum Zwecke der Arbeitskraftausbeutung im Rahmen kommerzieller Tätigkeiten und wirtschaftlicher Aktivitäten fokussiert. Allerdings wird in der vorliegenden Arbeit verdeutlicht werden können, dass auch staatliche Formen der Zwangsarbeit in kommerzielle Interessen eingebunden sind.

  14. 14.

    Die Fortschreibung der Rechtsnorm durch den Sachverständigenrat trägt insbesondere zu dieser Präzisierung bei. Dies umfasst die Complianceprüfung der Übereinkommen Nr. 29 und Nr. 105 durch den Sachverständigenrat sowie die Konkretisierung der praktischen Hindernisse der Anwendung der Übereinkommen und deren juristische Fortschreibung im Rahmen der General Surveys.

  15. 15.

    Dabei kann der Zwang, der durch legale und politische Maßnahmen erzeugt wird, die sich Individuen, Staaten oder Unternehmen zunutze machen, geringer ausfallen als derjenige, der durch ökonomische Umstände entsteht. Steinfeld/Engermann (1997: 109) argumentieren, dass das Verlassen eines Anstellungsverhältnisses, das mit zwölf Tagen Gefängnis bestraft wird, eine geringere Bedrohung darstellen kann als die Perspektive, ein Leben in sozialer Isolation, in Abhängigkeit von sozialen Sicherungssystemen zu führen. Dabei muss außerdem die Formulierung der „impersonal factors“ kritisch hinterfragt werden, denn wie angedeutet wirken diese Aspekte des wirtschaftlichen Lebens sehr wohl individuell und direkt. Siehe für eine umfassende Diskussion dieses Aspekts Brass/van der Linden (1997); Brown/van der Linden (2010).

  16. 16.

    Wie oben gezeigt werden konnte, rekurrieren die beteiligten Akteure auf unterschiedliche Sprechakte: Während staatliche Delegationen und Arbeitgeberdelegationen insbesondere auf Verhandlung, aber auch Deliberation im Rahmen von (historisch gültigen) Angemessenheitsstandards zurückgriffen, haben insbesondere die Arbeiterdelegationen moralische, verallgemeinerungsfähige Positionen vorgebracht. Letztlich liegt das auch in den unterschiedlichen Machtpositionen dieser Akteure begründet; so können Arbeiterdelegationen weniger glaubhaft auf Prozesse des Bargaining zurückgreifen als machtvolle Staaten.

Author information

Authors and Affiliations

Authors

Corresponding author

Correspondence to Julia Drubel .

Rights and permissions

Reprints and permissions

Copyright information

© 2022 Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature

About this chapter

Check for updates. Verify currency and authenticity via CrossMark

Cite this chapter

Drubel, J. (2022). Die Kodifizierung des ILO-Zwangsarbeitsverbots (UV1 Norm-Law-Gap). In: Das ILO-Zwangsarbeitsverbot in der globalisierten Wirtschaft . Globale Politische Ökonomie. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-38981-9_11

Download citation

  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-658-38981-9_11

  • Published:

  • Publisher Name: Springer VS, Wiesbaden

  • Print ISBN: 978-3-658-38980-2

  • Online ISBN: 978-3-658-38981-9

  • eBook Packages: Social Science and Law (German Language)

Publish with us

Policies and ethics