Zusammenfassung
Bei dem vorliegenden Sammelband handelt es sich um eine Festschrift für Kay Kirchmann zum 60. Geburtstag. Deshalb möchten wir in der Einleitung zunächst einige Stationen des intellektuellen Weges des Medienwissenschaftlers skizzieren. Daran anschließend gilt es darzulegen, welchen thematischen Schwerpunkt wir für diese Festschrift gewählt haben und warum uns dieser zur Charakterisierung dessen, was Kirchmann die letzten knapp vier Dekaden wissenschaftlich primär umtrieb, besonders geeignet scheint. Einer der zentralen Gegenstände Kirchmanns ist – wie im Titel vermerkt – der Zusammenhang von Medien und Zeit. Seine Beschäftigung zielt dabei anhand diverser Medien wie Fernsehen, Film, Fotografie, aber auch Theater und Geldspielautomaten immer wieder auf die Beantwortung der Frage, wie sich die Interdependenzen, also die vielfältigen Wechselbeziehungen von Medien und Zeit, gestalten und erklären lassen. Diesen Zusammenhang wollen wir in der Einführung in möglichst vielen Facetten erfassen – und zwar in der Weise, wie es Kay Kirchmann unseres Erachtens selbst im Lauf seines Forschungslebens getan hat. Im Zuge dessen werden die einzelnen Beiträge des vorliegenden Sammelbandes vorgestellt und in Zusammenhang mit Kirchmanns Perspektivierung der Interdependenzen von Medien und Zeit gebracht.
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Notes
- 1.
Kirchmann selbst beschäftigt sich mit dem ‚Netz‘ und dessen Zeitlogik bspw. in ebd., S. 394 ff.
- 2.
Auf einer anderen Ebene zeigt sich diese Inkongruenz zwischen vorwärtsstrebenden Film und dem Stillstand, wenn in der Apparatur des Projektionsbildes das Negativ durch eine Störung arretiert und daraufhin der Zelluloidfilm zerstört wird.
- 3.
Letztlich ist die Zeitlichkeit des Mediums Film deutlich komplexer strukturiert und in Anschluss an Michael Wetzler und Jan Mukarovsky verweist Kirchmann auf noch weitere Temporalitätsverhältnisse: Wir haben hier eine Gleichzeitigkeit von temporaler Arretierung (das Einzelbild), die Dynamisierung (in der Projektion) und die Aktualisierung (die Suggestion einer Präsenz oder Vergegenwärtigung in der Projektion). Hinzu kommt auf einer ästhetischen Ebene die Ausdifferenzierung in eine vergangene Handlungszeit, die gegenwärtige Bildzeit und die Wahrnehmungszeit des Rezipienten (vgl. Kirchmann 2002a, S. 335).
- 4.
Ähnliche ästhetische Strategien sieht Kirchmann auch bei dem ‚melancholischen Anti-Utopisten‘ Theo Angelopoulos am Werke, der in To vlemma tou Odyssea (Diverse 1995) jeglichen historischen Fortschritt negiert und die europäische Geschichte als negative Kontinuität und dauernde Wiederholung inszeniert (vgl. Kirchmann 2007d, S. 285 ff.).
- 5.
Unter dieser Überschrift rekonstruiert Kirchmann die (in den 1980er-Jahren sehr populäre) Position von Neil Postman, die dieser vor allem in der Monografie Wir amüsieren uns zu Tode formuliert hat, vgl. Postman 1988.
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Grampp, S., Podrez, P., Wiedenmann, N. (2023). Wechselseitige Abhängigkeiten von Medien, Zeiten und Akteuren. In: Grampp, S., Podrez, P., Wiedenmann, N. (eds) Medien | Zeiten. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-38688-7_1
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