Zusammenfassung
Von „westlichen“ Zuschreibungen ausgehend, die die Praxis der Herstellung von Schrumpfköpfen (tsantsa) als barbarisches, allenfalls exotisches Ritual in den Blick nehmen, fragt der Artikel nach der binnenkulturellen Perspektive innerhalb der Ethnie der Aénts Chicham, bei der diese Praxis üblich war. Es zeigt sich, dass der tsantsa, obwohl seine Anfertigung längst aus der Übung gekommen, zu einem positiv konnotierten Identitätsmarker für die eigene Kultur geworden ist; dabei reflektiert diese Interpretation durchaus „westliche“ Sichtweisen. Gleichzeitig resultiert das anhaltende Interesse von Nicht-Indigenen an tsantsas, welches bis zu Auftragsmorden führt, wiederum in einer Rückprojizierung negativer Zuschreibungen durch die Shuar auf die „Weißen“. Jedenfalls wird die neu gefundene Rolle des tsantsa zu einem Beleg für kulturelle Hybridität.
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Notes
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Auf der Tagung Yápankam‘ – Las Voces de la Investigación en la Alta Amazonía Ecuatoriana im ecuadorianischen Sevilla Don Bosco im April 2018 haben intellektuelle und politische Führer der Shuar sowie mehrere WissenschaftlerInnen der „Jívaro“ bzw. „Jíbaro“-Forschung beschlossen, auf eben dieses Xenonym zu verzichten und nunmehr den Terminus Aénts Chicham anstatt „Jívaro“/„Jíbaro“ zu verwenden – in Bezug sowohl auf die Nennung der Ethnie als auch der Sprachgruppe (Deshoullière und Utitiaj Paati 2019).
- 2.
Übersetzung ins Deutsche: „Anstoß zu einer Bildung mit eigener Identität“.
- 3.
Diesen Titel, allerdings mit einem Fragezeichen versehen, trägt der Katalog der von Mark Münzel konzipierten und im Frankfurter Museum für Völkerkunde im Jahr 1977 gezeigten Ausstellung (Münzel 1977).
- 4.
Auch vereinzelte Publikationen von Missionaren trugen dazu bei, die Wahrnehmung der Shuar als kriegerische Schrumpfkopfjäger zu festigen; vgl. etwa die 2002 erschienene Monographie von Frank und Marie Drown: Mission to the Headhunters – How God’s Forgiveness Transformed Tribal Enemies.
- 5.
Die Bevölkerungszahl der Achuar beträgt ca. 7000 Personen (vgl. Territorio Indígena y Gobernanza, online).
- 6.
Knapp zwei Wochen nach Beginn der Demonstrationen, Straßensperrungen und Streiks sowie der zeitweiligen Verlegung des Regierungssitzes von Quito nach Guayaquil hob der damalige Staatspräsident Lenín Moreno das Dekret 883, welches die staatliche Subvention von Benzin beenden sollte, wieder auf. An dieser Entscheidung, die gleichbedeutend mit dem Ende aller Proteste war, war der wichtigste indigene Dachverband des Landes, die CONAIE (Confederación de Nacionalidades Indígenas del Ecuador), maßgeblich beteiligt.
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Eine Ausnahme bildeten etwa „Krankheiten des weißen Mannes“ wie Keuchhusten, Masern, Erkältungen, Durchfall (Harner 1984, S. 152 f.).
- 8.
Für eine prägnante und kurze Zusammenfassung möglicher Erklärungsversuche: vgl. Rubenstein 2004, S. 17.
- 9.
Der Grund für die mehrheitliche Ermordung von indigenen Frauen war ihre zumeist lange Haartracht. Zwar tragen noch viele Achuar-Männer zumindest schulterlanges Haar, aber nur noch sehr weniger Shuar-Männer. Doch nur ein tsantsa mit langen Haaren hatte wohl die Chance, von internationalen KäuferInnen als „authentischer“ Schrumpfkopf eines Shuar-Kriegers aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts anerkannt zu werden (vgl. Online-Beitrag von El Mundo am 13.12.09).
- 10.
Zur weiteren Darlegung und Diskussion der Re-Kontextualisierung und Re-Interpretation von kulturellen indigenen Symbolen und Riten, der Kosmologie sowie Mythologie der Shuar durch indigene KonvertitInnen und christliche MissionarInnen siehe: Meiser 2013.
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Ich selbst wurde das letzte Mal im Sommer 2012 mit der Schrumpfkopf-Mafia konfrontiert, als mich auf den Straßen der Provinzhauptstadt Macas ein fremder Mann ansprach und fragte, ob ich Interesse an einem tsantsa hätte; in diesem Fall könne man gerne ins Geschäft kommen. Ich verneinte und meldete den Fall anonym den Behörden. Seit einigen Jahren sind mir keine weiteren Gewalttaten in der Region bekannt geworden, von denen vermutet wird, dass sie durch Mitglieder der so genannten Schrumpfkopf-Mafia begangenen wurden.
- 12.
In ähnlicher Weise argumentieren Schlehe et al. (2013) in Bezug auf den indonesischen Kontext: Unterschiedliche Imaginationen „des Westens“ führen zu mannigfachen Vorstellungen über das eigene indonesische „Selbst“.
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Meiser, A. (2023). Faszination tsantsa? Interkulturelle Perspektiven auf die Schrumpfkopfpraxis bei den Shuar. In: Lücking, M., Meiser, A., Rohrer, I. (eds) In Tandem – Pathways towards a Postcolonial Anthropology | Im Tandem – Wege zu einer postkolonialen Ethnologie . Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-38673-3_15
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