Das Ziel der vorliegenden Untersuchung besteht darin, den Effekt gesellschaftlicher Wertorientierungen auf das Wahlverhalten bei den Bundestagswahlen 2009, 2013 und 2017 zu messen. In den Erläuterungen zum theoretischen Rahmen wurde herausgearbeitet, dass gesellschaftliche Wertorientierungen im Wesentlichen die essenzielle Grundlage für die Entstehung und Etablierung der Parteien des deutschen Parteiensystems waren und auch heute womöglich noch sind. Es handelt sich hierbei um die Konfliktdimension des Links-Rechts-Materialismus, die Konfliktlinie zwischen einer religiösen und einer säkularen Wertorientierung, den Konfliktraum zwischen Postmaterialismus und Materialismus sowie jenen zwischen Kosmopolitismus und Nationalismus.

Für Parteien als solche ist es wichtig, dass die von ihnen im politischen Konfliktraum vertretenen Wertorientierungen auch durch die Bevölkerung, insbesondere aber durch die eigenen Elektorate, geteilt und unterstützt werden. Um diesen Forschungsgegenstand angemessen erfassen zu können, werden in Abschnitt 4.1 zunächst deskriptiv die Entwicklungen der gesamtdeutschen Bevölkerung auf den vier Dimensionen gesellschaftlicher Wertorientierungen zu den Bundestagswahlen 2009, 2013 und 2017 dargestellt.

Anschließend können die Veränderungen der jeweiligen Elektorate entlang dieser Wertdimensionen bei den Bundestagswahlen von 2009 bis 2017 einer deskriptiven Analyse unterzogen werden. Darüber hinaus werden die entsprechenden Elektorate entlang der jeweiligen Dimensionen verglichen. Durch diese kombinierte Vorgehensweise werden nicht nur Unterschiede zwischen den Elektoraten herausgearbeitet, welche auch in der Lage sind zu belegen, ob sich eine Dimension gesellschaftlicher Wertorientierungen besonders gut eignet, um ein Elektorat von den Elektoraten anderer Parteien abzugrenzen. Ferner kann nachvollzogen werden, ob und in welchem Umfang sich die Zusammensetzung der jeweiligen Elektorate entlang der Konfliktdimensionen verändert. Daraus sind sodann weiterführende Schlüsse abzuleiten, ob und inwiefern eine entsprechende Wertorientierung für die einzelnen Elektorate Relevanz besitzt.

In Abschnitt 4.2 wird mit Hilfe bivariater Korrelationsanalysen eine Zusammenhangsanalyse der Dimensionen gesellschaftlicher Wertorientierungen durchgeführt. Durch diese Vorgehensweise wird nicht nur festgestellt, in welchem Ausmaß entsprechende Positionierungen auf den jeweiligen Konfliktdimensionen miteinander korrelieren, sondern auch ausgeschlossen, dass diese sich gegenseitig zu erklären vermögen. Dafür wird zusätzlich eine vorgezogene Analyse auf Multikollinearität der unabhängigen Variablen durchgeführt.

Im Rahmen von Abschnitt 4.3 werden unter Zuhilfenahme dreier verschiedener multivariater Analyseverfahren die konkreten Effekte gesellschaftlicher Wertorientierungen auf das Wahlverhalten für die Bundestagswahlen 2009, 2013 und 2017 untersucht. Dabei wird durch die Modellierung geschachtelter Regressionsmodelle zunächst geprüft, welchen Erklärungswert der Einbezug gesellschaftlicher Wertorientierungen als Prädiktor für das Wahlverhalten hat, insbesondere im direkten Vergleich zu sozio-demographischen Variablen sowie der Parteiidentifikation und der Kandidatenorientierung. Mit der darauffolgenden Berechnung von Average Marginal Effects wird dann wiederum die Grundlage zur Interpretation entsprechender Effektstärken geschaffen. Mit der sich anschließenden Pfadmodellierung wird überprüft, ob die hier einbezogenen gesellschaftlichen Wertorientierungen weiterhin primär der Logik des Trichters der Wahlentscheidung folgen, demnach keinen direkten Einfluss auf das Wahlverhalten haben und ausschließlich indirekt auf dieses wirken – oder ob es tatsächlich die hier postulierten direkten Effekte gibt. Ferner wird angenommen, dass im Aufbau der geschachtelten Regressionsmodelle einige Prädiktoren an Signifikanz verlieren, sobald die Parteiidentifikation in die Analyse einbezogen wird. Durch die Pfadmodellierung kann sodann überprüft werden, ob die entsprechenden Prädiktoren womöglich indirekt über die Parteiidentifikation weiterhin auf das Wahlverhalten einwirken.

Sämtliche Ergebnisse werden in Abschnitt 4.4 noch einmal zusammengefasst und einer kritischen Bewertung unterzogen. Auf dieser Grundlage können sodann die Hypothesen abschließend bewertet werden. Die hier vorgestellten Berechnungen wurden allesamt mit der Software R (R Core Team 2017, Version 3.6.3) sowie RStudio (RStudio Team 2020) durchgeführtFootnote 1.

4.1 Gesellschaftliche Wertorientierungen im Zeitverlauf

Im Folgenden werden zunächst die Ergebnisse der deskriptiven Analyse vorgestellt. Dazu werden in Abschnitt 4.1.1 die Verteilungen der abhängigen Variablen skizziert. Gemeint sind hiermit explizit die Wahlteilnahme und das Wahlverhalten für spezifische Parteien. In Abschnitt 4.1.2 wird darauf aufbauend die Analyse der Verteilung gesellschaftlicher Wertorientierungen in der gesamtdeutschen (Wahl-)Bevölkerung vorgestellt. In Abschnitt 4.1.3 wiederum richtet sich der Fokus dann auf die Elektorate der hier zu untersuchenden deutschen Parteien. Dabei ist die Vorgehensweise so, dass zunächst jede einzelne Konfliktlinie gesellschaftlicher Wertorientierungen nacheinander einer Analyse unterzogen wird. Dafür wird im ersten Schritt eine Übersicht über die durchschnittlichen Positionierungen der Elektorate auf den Konfliktlinien im Zeitverlauf gegeben. Darauffolgend werden die einzelnen Teilelektorate als solche einer vergleichenden Analyse über die verschiedenen Zeitpunkte hinweg unterzogen. Anschließend werden, unter Zuhilfenahme von Mittelwertvergleichen, signifikante oder auch nicht-signifikante Unterschiede zwischen den Wählerschaften der deutschen Parteien eingeordnet. In Abschnitt 4.1.4 werden folgend die Veränderungen der jeweiligen Wählergruppierungen entlang sozio-demographischer Charakteristika näher beschrieben. In Abschnitt 4.1.5 werden schließlich die für die Analyse verwendeten Teilaspekte des Michigan-Modells vorgestellt, also ob und inwiefern die Wähler der zu untersuchenden Parteien einerseits über eine Parteiidentifikation verfügen und andererseits wie diese zu den Kanzlerkandidaten von CDU/CSU und SPD in den Jahren 2009 bis 2017 eingestellt sind.

4.1.1 Wähler, Nichtwähler und Wahlverhalten

Zunächst ist ein Blick auf die zu ermittelnde Wahlbeteiligung von Relevanz, da darauf letztlich jedwede weitere Analyse dieser Untersuchung beruht. Während bei den Bundestagswahlen jeweils eine Wahlbeteiligung von 70,8 Prozent im Jahr 2009, 71,5 Prozent im Jahr 2013 und 76,2 Prozent im Jahr 2017 erzielt wurde (Bundeszentrale für politische Bildung 2018), sind in den vorliegenden GLES-Datensätzen Wähler überdurchschnittlich stark vertreten. So gaben bei der Nachwahlbefragung des Jahres 2009 insgesamt 80,4 Prozent der Befragten an, sie hätten an der Wahl teilgenommen. Diese Diskrepanz zwischen der tatsächlichen Wahlbeteiligung und der angegebenen Wahlteilnahme in den Nachwahlbefragungen vergrößert sich bei den Folgebefragungen. So liegt der Wert derer, die 2013 eine Wahlteilnahme bejahen bei 84,84 Prozent und 2017 schließlich bei 90,53 Prozent (vgl. Tabelle 4.1).

Tabelle 4.1 Wähler und Nichtwähler 2009 bis 2017 in Prozent

Das tatsächliche Wahlverhalten und jenes, welches die befragten Individuen der GLES-Nachwahlbefragungen angeben, weicht in Teilen kaum und in anderen Teilen sehr stark voneinander ab. Eine mögliche Ursache könnte hier in der sozialen Erwünschtheit liegen, der sich die Befragten ausgesetzt fühlen und deshalb fälschlicherweise angeben, sie hätten an der entsprechenden Wahl teilgenommen.

Für die Bundestagswahl 2009 sind die großen Parteien, denen auch der Einzug in den Deutschen Bundestag gelang, unter den Befragten der Nachwahlbefragung von 2009, bei der Frage nach der Stimmabgabe, überproportional stark vertreten. Erreichten CDU und CSU gemeinsam 33,8 Prozent der Wählerstimmen, so geben laut den Daten der GLES-Nachwahlbefragung 34,65 Prozent der Befragten an, sie hätten für diese Parteien gestimmt. Ähnlich verhält es sich mit der SPD, die 2009 23 Prozent der Wählerstimmen erreichte oder der FDP, die 14,6 Prozent der Stimmen erzielte. Beide Wählergruppen sind unter den Nachwahlbefragten von 2009 überproportional vertreten, wenngleich die Differenzen, ebenso wie bei den Unionswählern, nur geringfügig sind. Gleiches gilt schließlich für die Wähler der Grünen, die 2009 unter der wählenden Bevölkerung 10,7 Prozent der Wählerstimmen erreichten und in der Nachwahlbefragung 11,19 Prozent der Wähler ausmachen. Einzig die Linken-Wähler liegen im Datensatz mit 13,03 Prozent der Befragten sogar mehr als einen Prozentpunkt über dem tatsächlichen Wahlergebnis der Linken im Bundestagswahljahr 2009, in welchem diese 11,9 Prozent der Wählerstimmen auf sich vereinen konnten (vgl. Tabelle 4.2).

Tabelle 4.2 Wahlverhalten 2009 bis 2017 gemäß der GLES-Nachwahlbefragungen in Prozent

Bei der Nachwahlbefragung von 2013 kommt es zu einer Verzerrung dahingehend, dass die Anhänger von SPD, Grünen und Linken unter den Teilnehmern der Nachwahlbefragung überproportional stark vertreten sind. Vor allem die Wähler der SPD, die bei der Bundestagswahl 2013 rund 25,7 Prozent der Wähler ausmachten, sind hier mit einem Anteil von 30,61 Prozent gemessen am tatsächlichen Wahlergebnis besonders stark vertreten. Auch die Grünen-Wähler sind mit 10,61 Prozent im verwendeten Datensatz überrepräsentiert, erzielte die Partei doch nur 8,4 Prozent der Wählerstimmen. Bei den Wählern der Linken ist die Diskrepanz zwischen dem tatsächlichen Wahlergebnis von 8,6 Prozent der Wählerstimmen im Jahr 2013 zu den angegebenen Wählerstimmen in der GLES-Nachwahlbefragung mit 9,07 Prozent nur geringfügig. Die tatsächlichen Wahlergebnisse von CDU/CSU und FDP, die 2013 jeweils bei 41,5 Prozent und 4,8 Prozent der Wählerstimmen lagen, weichen unter den Befragten der GLES-Nachwahlbefragung 2013 dahingehend ab, dass beide Parteien dort ungefähr zwei Prozentpunkte weniger erzielen. Die Wähler der AfD im Jahr 2013 unterscheiden sich mit 4,7 Prozent der Wählerstimmen nur marginal von den 4,57 Prozent unter den befragten Individuen der GLES-Nachwahlbefragung.

Für die Bundestagswahl 2017 liegen, mit Ausnahme der Grünen- und der AfD-Wähler, keine allzu starken Verzerrungen vor, wenngleich es bei diesen zwei betroffenen Wählergruppen zu umso stärkeren Abweichungen kommt. Erreichten die Grünen 2017 insgesamt 8,9 Prozent der Wählerstimmen und die AfD 12,6 Prozent, so sind diese in der Nachwahlbefragung im Fall der Grünen mit 14,33 Prozent überrepräsentiert, während die AfD-Anhänger mit 8,85 Prozent der Befragten deutlich unterrepräsentiert sind. Besonders gering sind die Abweichungen bei den Wählern von SPD und Linken, die bei der Bundestagswahl 2017 auf 20,5 Prozent und 9,2 Prozent der Wählerstimmen kamen, in den GLES-Nachwahlbefragungen mit 20,35 Prozent und 9,72 Prozent der Befragten vertreten sind. Etwas größere Unterschiede liegen wiederum zwischen den Wahlergebnissen von CDU/CSU und FDP und deren Abbildung in der GLES-Nachwahlbefragung 2017 vor. Erreichten die Unionsparteien bei dieser Bundestagswahl 32,9 Prozent der Wählerstimmen, sind diese mit 30,53 Prozent der befragten Individuen im Datensatz vorzufinden. Bei der FDP wiederum ist der Unterschied geringer, kamen diese doch auf 10,7 Prozent der Stimmen bei der Bundestagswahlwahl und sind unter den Befragten der Nachwahlbefragung mit 12,05 Prozent etwas überproportional vertreten.

In der Summe zeigt sich, dass Abweichungen durchaus vorhanden sind, diese aber mit wenigen Ausnahmen zu geringfügig ausfallen, als dass dies für die weitere Bearbeitung problematisch wäre. Einzig der geringe Anteil der FDP- und AfD-Anhänger in den Daten zur Bundestagswahl 2013 könnte für die Analyse problematisch werden, spiegelt aber im Wesentlichen auch die geringe Anzahl ihrer Wähler bei dieser Wahl wider. Dies gilt es im Folgenden bei den Analysen zu berücksichtigen. Im nächsten Schritt ist zunächst ein Blick darauf zu werfen, inwiefern sich gesellschaftliche Wertorientierungen innerhalb der Bevölkerung von 2009 bis 2017 verändert haben und wie sich diese Orientierungen ganz konkret ausgestalten.

4.1.2 Gesellschaftliche Wertorientierungen in der Bevölkerung im Wandel

Während sich Elektorate von Parteien bei Wahlen unter anderem durch eine strategische Wechselwahl oder einen Wandel der Parteipräferenz immer wieder neu zusammensetzen können, verändert sich eine wahlberechtigte Gesamtbevölkerung in ihrer Zusammensetzung vor allem durch Einbürgerungen, Todesfälle oder durch das Hinzukommen neuer Wahlberechtigter. Zwar sind auch damit Veränderungen verbunden, jedoch ist davon auszugehen, dass diese sich, sofern keine Krisenereignisse stattfinden, von der stärkeren und zunehmenden Fluidität der Wählerschaften etablierter Parteien unterscheiden.

Am Beispiel gesellschaftlicher Wertorientierungen kann fraglos konstatiert werden, dass die wahlberechtigte Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland bei manchen Wertorientierungen ein durchaus hohes Maß an Stabilität aufweist und in anderen gleichzeitig einem Wandel unterliegt. Während sich die Gesamtbevölkerung im Mittel zwischen 2009 und 2017 auf der Konfliktlinie zwischen einer links-materialistischen und einer rechts-materialistischen Wertorientierung stärker in Richtung des Links-Materialismus orientiert, verändert sich der Median im gleichen Zeitverlauf nicht. Ordnete sich die Bevölkerung 2009 durchschnittlich beim Skalenwert 6,31 auf einer 11er-Skala ein, so sinkt dieser Wert auf 6,19 im Jahr 2013 und schließlich auf 6,08 im Jahr 2017. Der Median verbleibt zu allen drei Erhebungszeitpunkten beim Wert 6 (vgl. Tabelle 4.3).Footnote 2

Tabelle 4.3 Gesellschaftliche Wertorientierungen in der Gesamtbevölkerung

Eine ähnliche Entwicklung ist auf der Dimension zwischen einer religiösen und einer säkularen Wertorientierung zu beobachten. Zumindest gilt dies bei der Betrachtung des arithmetischen Mittels im Zeitverlauf. Dieser sinkt auf der entsprechenden 7er-Skala von 2,53 im Jahr 2009 auf 2,40 im Jahr 2013 und schließlich 2,29 im Jahr 2017. Gleichzeitig verändert sich der für den Median ausgewiesene Wert von 3 im Jahr 2009 auf 2 im Jahr 2013, wo dieser dann auch bei der Folgewahl verbleibt.Footnote 3 Ein möglicher Grund, der zu einer steigenden Säkularisierung beigetragen haben könnte, sind die Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche, welche der Bevölkerung seit 2010 in großem Umfang bekannt geworden sind. Eine Ursachensuche kann hier jedoch nicht umfangreicher betrieben werden, da sie über den eigentlichen Umfang dieser Arbeit deutlich hinausgeht.

Im Hinblick auf eine postmaterialistische oder eine materialistische Wertorientierung ist eine wechselhaftere Entwicklung zu konstatieren. Während die gesamtdeutsche Bevölkerung 2009 im Mittel auf einer 11er-Skala bei einem Wert von 4,68 zu verorten ist, steigt dieser Wert 2013 auf 4,74 und sinkt 2017 schließlich auf 4,46. Ähnlich entwickelt sich der Median vom Wert 4 im Jahr 2009 zum Wert 5 im Jahr 2013 und schließlich wieder zum Wert 4 im Jahr 2017.Footnote 4 Ein möglicher Grund, neben gesellschaftspolitischen Veränderungen, kann für diese Beobachtung sein, dass es zu einer Veränderung des Items zur Erfassung einer postmaterialistischen beziehungsweise materialistischen Wertorientierung nach 2009 kommt. Während 2013 und 2017 eine Positionierung nicht nur durch Abwägung kontrastierender Zielvorstellungen möglich ist, wie dies 2009 der Fall ist, kommt bei den erstgenannten Bundestagswahlen in der Abfragung zusätzlich die inhaltliche Implikation aus der Entscheidung für das eine oder andere Extrem hinzu. Demnach ist es möglich, dass so die Nachvollziehbarkeit möglicher Konsequenzen durch die Abwägung verschiedener Interessen ersichtlich wird. In der Summe zeigt sich, dass die Bevölkerung zwischen 2009 und 2017 postmaterialistischer geworden ist. Dies kann hier unabhängig von der konkreten Formulierung des entsprechenden Items festgestellt werden.

Eine sehr deutliche Veränderung zeigt sich wiederum auf jener Dimension, die den Konflikt zwischen einer kosmopolitischen und einer nationalistischen Wertorientierung abbildet. So positioniert sich die Bevölkerung auf einer 11er-Skala im Jahr 2009 noch im Durchschnitt beim Wert 7,73. Sie ist damit in einem nicht unwesentlichen Ausmaß nationalistisch orientiert. Im Zeitverlauf sinkt dieser Wert dann 2013 auf durchschnittlich 6,98 und 2017 auf den Durchschnittswert 6,68. Als besonders bemerkenswert ist dies auch deshalb zu bezeichnen, weil im gleichen Zeitverlauf auch der Medianwert von 8 im Jahr 2009 auf zunächst 7 im Jahr 2013 und schließlich auf 6 im Jahr 2017 sinkt.Footnote 5

Hoch interessant ist dies politisch aus zwei Blickwinkeln: Zum einen fällt in diese Zeit die 2015 salient werdende Krisensituation mit enormen Fluchtbewegungen, durch die eine zunehmende Polarisierung in Themengebieten ausgelöst wird, die direkt durch diese Wertdimension tangiert werden. Zum anderen entsteht bereits 2013 mit der AfD eine Partei, die für sich in Anspruch nimmt, die natürliche Vertretung einer nationalistischen Wertorientierung und einer daraus abgeleiteten patriotischen Grundhaltung zu sein. Dies dürfte in der Analyse der jeweiligen Dimensionen gesellschaftlicher Wertorientierungen mit Blick auf die Elektorate auch klarer werden, zeigt sich hier aber für die Gesamtbevölkerung zunächst nicht.

In der Summe lässt sich festhalten, dass die Bevölkerung kosmopolitischer geworden ist, wenngleich sie auch weiterhin, zumindest im Schnitt, in einem nicht unwesentlichen Ausmaß nationalistisch orientiert ist. Ferner ist sie im Verlauf der drei Bundestagswahlen säkularer und postmaterialistischer geworden, wenngleich sie auch schon vorher eher an diesen Polen orientiert war, insbesondere an jenem des Säkularismus. Darüber hinaus ist eine leichte Verschiebung hin zu einer stärker links-materialistischen Wertorientierung innerhalb der Bevölkerung nachzuzeichnen. Nichtsdestotrotz ist und bleibt die Veränderung auf jener Konfliktdimension zwischen Kosmopolitismus und Nationalismus am bemerkenswertesten und auch in der Summe am größten.

4.1.3 Gesellschaftliche Wertorientierungen nach Parteiwählern

Die Analyse gesellschaftlicher Wertorientierungen kann erste Aufschlüsse darüber geben, ob und in welchem Ausmaß sich die Wähler der großen Parteien tatsächlich voneinander unterscheiden. Im ersten Schritt soll deshalb ein Überblick darüber gegeben werden, inwiefern sich die Anhänger der jeweiligen Parteien im Schnitt im Untersuchungszeitraum auf den vier Dimensionen gesellschaftlicher Wertorientierungen positioniert haben. Diese können auch einer vergleichenden Betrachtung mit der Positionierung der Wähler als Ganzes unterzogen werden, um die Teilelektorate in Beziehung zur gesamten Wahlbevölkerung setzen zu können (vgl. Tabelle 4.4).

Tabelle 4.4 Gesellschaftliche Wertorientierungen als Mittelwerte der Gesamtwählerschaft

Dem folgend werden dann die Wähler der Parteien auf den einzelnen Dimensionen einer tiefergehenden Analyse unterzogen. Darauf aufbauend soll schließlich mit Hilfe einer Varianzanalyse, der so genannten Analysis of Variance (ANOVA), analytisch eingeordnet werden, in welchem Ausmaß sich die Wählerschaften tatsächlich auf der entsprechenden Dimension unterscheiden lassen und wie sich dies visuell darstellen lässt.

4.1.3.1 Links-Rechts-Materialismus nach Parteiwählern

Auf der Konfliktdimension zwischen Links-Materialismus auf der einen und Rechts-Materialismus auf der anderen Seite hat sich gezeigt, dass sich die gesamtdeutsche Wählerschaft zwischen 2009 und 2017 im Allgemeinen stärker in Richtung einer Priorisierung einer links-materialistischen Wertorientierung entwickelt hat. Ein Blick auf die Teilelektorate zeigt, dass dies für fast alle Elektorate gleichermaßen zu konstatieren ist, wenngleich dabei durchaus Unterschiede bestehen.

So ist zunächst festzustellen, dass eine solche fortschreitende Entwicklung auch bei den Wählern von CDU und CSU zu beobachten ist. Ordneten sich diese im Schnitt bei der Bundestagswahl 2009 bei einem Skalenwert von 7,22 ein, also klar rechts-materialistisch orientiert, so sinkt dieser Wert bis 2013 auf im Schnitt 6,71 Skalenpunkte und bis 2017 schließlich auf 6,52 Skalenpunkte (vgl. Tabelle 4.5). Damit positioniert sich die Wählerschaft der Unionsparteien im direkten Vergleich zur gesamten Wahlbevölkerung zwar immer nuanciert in Richtung des Rechts-Materialismus, hat sich aber im Untersuchungszeitraum deutlicher auf den links-materialistischen Pol zubewegt als die gesamtdeutsche Wählerschaft. Da der Links-Rechts-Materialismus insbesondere sozialstaatliche Umverteilungsmaßen und die Sozialpolitik als solche in den Fokus nimmt, ist an dieser Stelle tatsächlich feststellbar, dass die Beobachtung einer sozio-ökonomischen Sozialdemokratisierung von CDU und CSU zumindest für Teile ihrer Wählerschaft zutrifft. Diese nähern sich zwar der Position der eher links-materialistisch orientierten Elektorate an, bleiben in der Summe aber eher rechts-materialistisch orientiert.

Die Wähler der SPD haben sich im Schnitt weiter in Richtung einer links-materialistischen Wertorientierung entwickelt, gleichwohl sie mit einem Durchschnittswert von 5,75 Skalenpunkten im Jahr 2009 auch schon zu diesem Zeitpunkt als eher links-materialistisch zu verorten sind. 2013 ist die Wählerschaft zunächst mit einem Durchschnittswert von 5,97 Skalenpunkten auf der Skala mittig verortet, um sich schließlich 2017 bei einem durchschnittlichen Wert von 5,61 Skalenpunkten einzufinden (vgl. Tabelle 4.5). Im direkten Vergleich zur Gesamtwählerschaft ist die sozialdemokratische Wählerschaft demnach klar links-materialistisch orientiert.

Für die Wählerschaft der FDP lässt sich eine ähnliche Beobachtung machen. Diese ist mit einem Durchschnittswert von 7,35 Skalenpunkten im Jahr 2009 auf der Dimension des Links-Rechts-Materialismus die am stärksten rechts-materialistisch orientierte Gruppierung. Dieser Wert steigt zur Bundestagswahl 2013 auf einen durchschnittlichen Wert von 7,84. Auch hier sind die FDP-Wähler die am eindeutigsten rechts-materialistisch orientierten Wähler. Bis 2017 sinkt dieser Wert jedoch deutlich auf einen Durchschnittswert von 6,84. Damit ist die Wählerschaft der FDP auch weiterhin eine klar rechts-materialistisch und damit sozialpolitische Umverteilungsmaßnahmen ablehnende und Steuersenkungen befürwortende Gruppe. Nichtsdestotrotz wird sie 2017 von einer anderen Parteiwählerschaft in ihrer Extremposition abgelöst: den Wählern der AfD. Im direkten Vergleich zur Gesamtwählerschaft sind die Wähler der FDP deutlich in der Nähe einer rechts-materialistischen Wertorientierung zu verorten (vgl. Tabelle 4.5).

Die Wähler der Grünen hingegen sind über alle drei Untersuchungszeitpunkte hinweg nicht nur klar links-materialistisch verortet, sondern gleichzeitig jederzeit stärker nach links orientiert als die Gesamtwählerschaft. Während die Wähler 2009 bei einem durchschnittlichen Wert von 5,17 Skalenpunkten verortet werden können, steigt dieser Wert bis 2013 zunächst auf 5,33 Skalenpunkte, um dann bis zur Bundestagswahl 2017 auf einen Durchschnittswert von 5,08 zu sinken. Während die Grünen-Wähler demnach bei der Bundestagswahl 2009 die am stärksten redistributive Maßnahmen befürwortende Wählergruppe sind, werden sie in dieser Rolle bei den darauffolgenden zwei Bundestagswahlen jedoch abgelöst (vgl. Tabelle 4.5).

Die entsprechende Wählergruppe, die die der Grünen in dieser Rolle ablöst, ist die Wählerschaft der Linken. Während sich diese auf der Wertdimension zwischen Links-Materialismus einerseits und Rechts-Materialismus andererseits im Jahr 2009 noch bei einem Durchschnittswert von 5,34 Skalenpunkten verorten lassen, sinkt dieser Wert zur Bundestagswahl 2013 auf im Schnitt 5,24 Skalenpunkte und schließlich auf 4,73 Skalenpunkte im Jahr 2017. Die Linken-Wählerschaft ist demnach, wie auch zu erwarten, zumindest bei den Bundestagswahlen 2013 und 2017 die am stärksten für einen starken Sozialstaat einstehende Gruppierung (vgl. Tabelle 4.5). Sie ist eindeutig als links-materialistische Wählergruppe zu identifizieren, die sich von der wählenden Gesamtbevölkerung abgrenzt, welche in dieser Frage indifferent ist. Dieser Sachverhalt begründet sich in der historischen Entwicklung der Linken als Partei, die für entsprechend orientierte Wähler ein politisches Angebot und eine Alternative zu den zu diesem Zeitpunkt etablierten Parteien zu schaffen versuchte.

Im Kontext der Veränderungen der FDP-Wählerschaft wurde schon angedeutet, dass diese 2017 in ihrer Position als die am stärksten am Rechts-Materialismus orientierte Gruppierung abgelöst wird. Bei der sie ablösenden Wählerschaft handelt es sich um die der AfD, die 2013 noch einen durchschnittlichen Wert von 6,84 Skalenpunkten auf der Links-Rechts-Materialismus-Skala erreicht. Dieser steigt im Jahr 2017 auf einen Wert von 6,91 Skalenpunkten. Folglich handelt es sich bei den Wählern der AfD um die einzige Wählergruppe, die einer Entwicklungstendenz zum Rechts-Materialismus unterliegt (vgl. Tabelle 4.5).

Tabelle 4.5 Mittelwerte Parteiwähler Links-Rechts-Materialismus 2009 bis 2017

Damit nimmt die AfD-Wählerschaft nicht nur eine exponierte Position ein, sondern steht gleichzeitig auf dieser Skala klar akzentuiert rechts des wählenden Bevölkerungsdurchschnitts.

In der Summe ist die FDP-Wählerschaft zum Zeitpunkt der Bundestagswahlen 2009 und 2013 die am stärksten rechts-materialistisch orientierte Gruppierung, wird darin allerdings 2017 von der AfD-Wählerschaft abgelöst. Demgegenüber sind die Anhänger der Linken zu den Bundestagswahlen 2013 und 2017 die am stärksten links-materialistische Wählergruppe. Während die Wähler von SPD, Grünen und FDP zur Bundestagswahl 2013 allesamt eine stärker rechts-materialistische Fokussierung als zum Zeitpunkt der vorangegangenen Bundestagswahl haben, sinken diese in der Summe zur Bundestagswahl 2017 auf Durchschnittswerte, welche unter jenen der Bundestagswahl 2009 liegen. Demnach sind sie im Schnitt alle links-materialistischer geworden. Bei der AfD, deren Anzahl der Untersuchungszeitpunkte geringer ist, zeigt sich eine gegenteilige Tendenz. Ihre Wählerschaft wird im Zeitverlauf rechts-materialistischer.

Die beschriebenen Entwicklungen der Parteielektorate lassen sich auch visuell nachvollziehen. So zeigt sich am Beispiel der Wähler der CDU/CSU, dass nicht nur der Median im untersuchten Zeitraum von 7 im Jahr 2009 auf schließlich 6 im Jahr 2017 sinkt (vgl. Abbildung 4.1).

Abbildung 4.1
figure 1

(Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung, basierend auf den Daten von Rattinger et al. 2019a; Rattinger et al. 2019b; Roßteutscher et al. 2019. Anmerkung: Die y-Achse erstreckt sich von 1 (Links-Materialismus) bis 11 (Rechts-Materialismus))

Links-Rechts-Materialismus und die Wähler der CDU/CSU.

Darüber hinaus wird der im Jahr 2009 noch die Skalenpunkte 6 bis 9 umfassende Interquartilsabstand bei den darauffolgenden Bundestagswahlen geringer, umfasst er dann nur noch die Skalenpunkte 6 bis 8. Auch zeigt sich, dass die Häufigkeitsverteilung, welche 2009 noch recht gleichmäßig austariert war, im Zeitverlauf klarer in Richtung Links-Materialismus wandert. Besonders klar wird dies mit Blick auf die Bundestagswahl 2017, fallen hier sogar der Median und das erste Quartil zusammen. Mit 31,6 Prozent positioniert sich nahezu ein Drittel aller CDU/CSU-Anhänger auf der Skala an dieser Stelle (vgl. Tabelle A7 im Anhang des elektronischen Zusatzmaterials). Die von den Befragten eingenommene Mittelposition wird dadurch klar erkennbar. So ist der Anteil der Unionswähler, die sich am extremen links-materialistischen Pol verorten, über die drei Untersuchungszeitpunkte gleichbleibend gering, demgegenüber wird am extremen rechts-materialistischen Pol das Gegenteil ersichtlich. Dort sinkt der Anteil entsprechend orientierter CDU/CSU-Wähler deutlich.

Wie durch die beschriebenen Mittelwerte anzunehmen war, sind solche Veränderungen für die Wähler der SPD nur in geringem Ausmaß erkennbar. Bei den drei Untersuchungszeitpunkten verbleibt nicht nur der Median konsistent beim Skalenwert 6, sondern auch der Interquartilsabstand gleich, der sich über die Spannweite zwischen den Skalenpunkten 4 und 7 erstreckt. Insbesondere bei dieser Dimension handelt es sich um eine für die SPD und ihre Wählerschaft klassischerweise wichtige Wertorientierung, da diese im Wesentlichen den in die heutige Zeit übersetzten Konflikt zwischen den Interessen der Arbeiterschaft und denen des Kapitals umfasst. Eine derartige Stabilität kann als Hinweis darauf gedeutet werden, dass es der Partei gelingt, entsprechend orientierte Wähler in ungefähr gleicher Ausprägung über die drei Befragungszeitpunkte hinweg für sich zu gewinnen (vgl. Abbildung 4.2).

Abbildung 4.2
figure 2

(Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung, basierend auf den Daten von Rattinger et al. 2019a; Rattinger et al. 2019b; Roßteutscher et al. 2019. Anmerkung: Die y-Achse erstreckt sich von 1 (Links-Materialismus) bis 11 (Rechts-Materialismus))

Links-Rechts-Materialismus und die Wähler der SPD.

Eine sehr wechselhafte Entwicklung vollzieht sich wiederum in der FDP-Wählerschaft. So ist diese, wie bereits beschrieben, im Jahr 2013 zweifelsfrei rechts-materialistisch orientiert, um sich dann 2017 im Schnitt zunehmend etwas vermehrt dem Links-Materialismus zuzuwenden. Die Häufigkeitsverteilungen für die Jahre 2009 und 2013 zeigen keine wesentlichen Veränderungen, wohingegen sich bis 2017 ein deutlicher Unterschied nachvollziehen lässt. Interessant ist hier beispielhaft, dass der Median für das Jahr 2009 beim Skalenwert 7 liegt, bei der Bundestagswahl 2013 auf den Skalenwert 8 steigt und schließlich 2017 wieder auf einen Wert von 7 Skalenpunkten sinkt. Auch der Interquartilsabstand variiert im beobachteten Zeitraum sehr stark (vgl. Abbildung 4.3).

Abbildung 4.3
figure 3

(Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung, basierend auf den Daten von Rattinger et al. 2019a; Rattinger et al. 2019b; Roßteutscher et al. 2019. Anmerkung: Die y-Achse erstreckt sich von 1 (Links-Materialismus) bis 11 (Rechts-Materialismus))

Links-Rechts-Materialismus und die Wähler der FDP.

Spannt sich dieser 2009 entlang der Skalenpunkte 6 bis 9 auf, deckt er 2013 mit einer Spannweite vom Skalenwert 6 bis zum Skalenwert 11 den kompletten Raum von der Mittelposition bis zur rechts-materialistischen Extremposition ab. Zwar muss bei den Daten von 2013 für die FDP, wie bereits angeführt, mit besonderer Vorsicht vorgegangen werden, sind doch die FDP-Wähler in diesem Fall nicht nur unterrepräsentiert, sondern darüber hinaus aufgrund eines nicht erfolgreichen Wahlergebnisses allgemein von geringer Anzahl. Nichtsdestotrotz ist der Interquartilsabstand für derlei Umstände nicht anfällig, da durch ihn nur all jene Fälle angezeigt werden, die zwischen dem ersten und dem dritten Quartil – also die mittleren 50 Prozent der Wähler – liegen. Die FDP-Wählerschaft ist in diesem Fall schlicht stärker am Rechts-Materialismus orientiert. Ersichtlich wird dies auch dadurch, dass das dritte Quartil schließlich mit dem vierten Quartil zusammenfällt. Offenkundig kommt es hier zu einer höheren Konzentration der Wähler der FDP. Nahezu 26 Prozent der FDP-Wähler verorten sich dabei am Skalenwert 11 (vgl. Tabelle A7 im Anhang des elektronischen Zusatzmaterials). Für die Bundestagswahl 2017 lässt sich dann eine Umstrukturierung des Elektorats der FDP attestieren. Der Interquartilsabstand umfasst hier die Spannweite der Skalenpunkte 6 bis 8, woraus eine stärkere Konzentration der FDP-Wählerschaft auf dieser Achse abzuleiten ist.

Der sich für die Grünen-Wählerschaft vollziehende Wandlungsprozess fällt bei Betrachtung der Mittelwerte zunächst marginal aus. Ein Blick auf die Häufigkeitsverteilungen zu den jeweiligen Jahren zeigt erneut die Notwendigkeit, mehr als nur diesen Wert zu beschreiben. Im Wahljahr 2009 fällt der Median für die Grünen-Wähler auf den Skalenpunkt 6, wenngleich dieser hier mit dem dritten Quartil zusammenfällt. 56,5 Prozent der Wähler der Grünen ordnen sich im zwischen den Skalenpunkten 4 bis 6 ein (vgl. Tabelle A7 im Anhang des elektronischen Zusatzmaterials). Zur Bundestagswahl 2013, bei der gemäß des Mittelwerts eine stärkere Verschiebung der Position der Wählerschaft in Richtung des Rechts-Materialismus stattgefunden hat, wird dieser Abstand größer (vgl. Abbildung 4.4).

Abbildung 4.4
figure 4

(Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung, basierend auf den Daten von Rattinger et al. 2019a; Rattinger et al. 2019b; Roßteutscher et al. 2019. Anmerkung: Die y-Achse erstreckt sich von 1 (Links-Materialismus) bis 11 (Rechts-Materialismus))

Links-Rechts-Materialismus und die Wähler der Grünen.

Er erstreckt sich nun über eine Spannweite von 4 bis 7. Gleichzeitig sinkt der für den Median ausgegebene Wert hier auf 5. Es lässt sich daraus schließen, dass in besagtem Wahljahr in der Neukonfiguration der Wählerschaft entweder einige Wähler neu hinzugekommen sind, die eine stärkere rechts-materialistische Wertorientierung haben oder aber eine Umorientierung im bereits bestehenden Wählerstamm stattgefunden hat. Die in ihrer Grundtendenz eher links-materialistisch ausgerichtete Grünen-Wählerschaft ist aber offensichtlich im Wählerspektrum der Partei verblieben, da andernfalls der Median auch hätte steigen müssen. Zur Bundestagswahl 2017 verbleibt der Median beim Skalenpunkt 5, der Interquartilsabstand erstreckt sich hier aber, wie auch schon 2009, über die Skalenpunkte 4 bis 6. Demnach findet erneut eine stärkere Konzentration der Grünen-Wähler auf dieser Wertdimension statt.

Eine ähnliche Konzentration ist auch für die Wählerschaft der Linken zu beobachten. So sinkt nicht nur, wie bereits angeführt, der Durchschnittswert, auf dem sich die Linken-Wähler allgemein auf dieser Wertdimension verorten. Auch ist zu beobachten, dass zum einen der Median im beobachteten Zeitraum von 5 in den Jahren 2009 und 2013 auf schließlich 4 im Jahr 2017 sinkt (vgl. Abbildung 4.5).

Abbildung 4.5
figure 5

(Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung, basierend auf den Daten von Rattinger et al. 2019a; Rattinger et al. 2019b; Roßteutscher et al. 2019. Anmerkung: Die y-Achse erstreckt sich von 1 (Links-Materialismus) bis 11 (Rechts-Materialismus))

Links-Rechts-Materialismus und die Wähler der Linken.

Die Konzentration der Wählerschaft vollzieht sich schrittweise. Verorten sich 2009 – gemessen am Interquartilsabstand – noch die Hälfte der Linken-Wähler auf der Links-Rechts-Materialismus-Skala zwischen den Skalenpunkten 3 bis 8, so sinkt die Spannweite bis 2013 zunächst auf die Skalenpunkte 3 bis 7. Zur Bundestagswahl 2017 ist es so, dass sich der gleiche Anteil der Linken-Wähler zwischen den Skalenpunkten 3 bis 6 verortet. Darüber hinaus zeigt die Visualisierung der Häufigkeitsverteilungen einen klaren Wandel entlang dieser Konfliktlinie für die Wähler der Linken, wandert doch ein nicht unwesentlicher Anteil ebendieser im Verlauf der hier analysierten Beobachtungszeitpunkte stärker in Richtung einer links-materialistischen Wertorientierung.

Dass es der AfD als neue Partei im Bundestagswahljahr 2013 durchaus gelang, eine Vielzahl unterschiedlicher Wertvorstellungen in ihrer eigenen Wählerschaft zu vereinen, wird bei einer näheren Betrachtung dieser Wertdimension deutlich (vgl. Abbildung 4.6).

Abbildung 4.6
figure 6

(Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung, basierend auf den Daten von Rattinger et al. 2019b; Roßteutscher et al. 2019. Anmerkung: Die y-Achse erstreckt sich von 1 (Links-Materialismus) bis 11 (Rechts-Materialismus))

Links-Rechts-Materialismus und die Wähler der AfD.

Während sich 2013 noch die Hälfte der AfD-Wähler auf der Links-Rechts-Materialismus-Dimension zwischen den Skalenpunkten 5 bis 9 verortet, also eine vergleichsweise große Spannweite des Interquartilsabstands zu attestieren ist, verringert sich diese Spannweite bis 2017 sehr deutlich: Es ist eine klare Konzentration ersichtlich, umfasst der Interquartilsabstand hier die Skalenpunkte 6 bis 8. Gleichzeitig steigt der für den Median ermittelte Wert im Jahr 2017 vom vorherigen Skalenwert 6 auf den Skalenwert 7. Alles in allem ist für die Wähler der AfD zu erkennen, dass diese in ihrer Präferenz für den Rechts-Materialismus nicht nur im Durchschnitt klarer geworden sind. Tatsächlich positionieren sich gemäß dieser Darstellung fast 75 Prozent der AfD-Wähler zwischen den Skalenpunkten 6 bis 11 (vgl. Tabelle A7 im Anhang des elektronischen Zusatzmaterials).

Dass sich die Wählerschaft einer Partei zu einer Bundestagswahl, zumindest in Teilen, neu zusammensetzt, ist grundsätzlich nicht ungewöhnlich. Vielmehr zählt es heute zur Natur von Wählerschaften, dass diese fluider geworden sind. Die hier festgestellten Unterschiede im Wandel der Parteielektorate bedürfen darüber hinaus aber eines Vergleichs dahingehend, ob sich die Wähler auf den unterschiedlichen Dimensionen gesellschaftlicher Wertorientierungen, in diesem Fall der des Links-Rechts-Materialismus, auch statistisch signifikant voneinander unterscheiden. Wie in Abschnitt 3.5 dargelegt, eignet sich für die hier vorzunehmenden Mittelwertvergleiche eine ANOVA, da diese auch gegenüber Verletzungen der Normalverteilungsannahme robust ist. Wichtig ist jedoch, da es sich hier um multiple Gruppenvergleiche handelt, bei der immer eine andere Wählergruppe als Referenzkategorie herangezogen wird, dass zur Interpretation der Ergebnisse eine Bonferroni-Anpassung durchgeführt werden muss (Field et al. 2012, S. 428). Bei der Bonferroni-Methode wird in der Regel so vorgegangen, dass die Signifikanzniveaus durch die Anzahl der durchzuführenden Vergleichsanalysen geteilt und so neue Grenzwerte definiert werden, ab denen ein Effekt als signifikant gewertet wird. Eine Alternative dazu ist, dass die für einen Effekt observierten p-Werte mit der Anzahl der vorgenommenen Vergleiche multipliziert werden. Auf diese Art und Weise können die zuvor definierten Signifikanzniveaus unverändert bestehen bleiben (Masch 2020, S. 177). Da letzteres als intuitiver erscheint, wird dies im Folgenden so gehandhabt. Demnach wird der p-Wert für die Bundestagswahl 2009 mit vier multipliziert und für die Bundestagswahlen 2013 und 2017, da die AfD als neue Wettbewerberin hinzukommt, mit fünf multipliziert. Daraus ergeben sich entsprechend neue p-Werte, die zur Bewertung der Signifikanz herangezogen werden.

Dass sich die Mittelwerte nach den jeweiligen Teilelektoraten unterscheiden, ist hier schon beschrieben worden. Nichtsdestotrotz erscheint es angemessen, die Häufigkeitsverteilung mit darin inkludierten MittelwertenFootnote 6 zusätzlich zum visuellen Vergleich heranzuziehen, wenn die Ergebnisse der ANOVA-Mittelwertvergleiche vorgestellt und eingeordnet werden.

Die Elektorate mancher Parteien unterscheiden sich nicht zwangsläufig auf der Konfliktlinie zwischen Links-Materialismus und Rechts-Materialismus. Dies wurde bereits im Rahmen einer ersten Vergleichsanalyse ersichtlich. Tatsächlich unterscheiden sich die Wähler von CDU/CSU und FDP im Jahr 2009 auf dieser Dimension nur marginal voneinander. Der Unterschied beträgt hier 0,12 Skalenpunkte und ist nicht signifikant. Demgegenüber sind die Unterschiede zu allen anderen Parteien, ausgehend von den Wählern von CDU/CSU und FDP, hoch signifikant (p < 0,001). Während sich die Wähler der Grünen und der Sozialdemokraten auf dieser Konfliktdimension signifikant voneinander differieren lassen (p < 0,05), beträgt die Differenz hier doch 0,57 Skalenpunkte, liegt kein statistisch signifikanter Unterschied zwischen den Wählern der Linken und der SPD vor. Auch zwischen den Wählern der Grünen und der Linken ist kein signifikanter Unterschied zu ermitteln (vgl. Tabelle A8 im Anhang des elektronischen Zusatzmaterials). Dass sich manche Elektorate ähnlicher sind als andere, zeigt auch ein Blick auf die Häufigkeitsverteilungen (vgl. Abbildung 4.7).

Abbildung 4.7
figure 7

(Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung, basierend auf den Daten von Rattinger et al. 2019a. Anmerkung: Die y-Achse erstreckt sich von 1 (Links-Materialismus) bis 11 (Rechts-Materialismus))

Mittelwerte der Parteienwähler Links-Rechts-Materialismus 2009.

Im Bundestagswahljahr 2013 ist festzustellen, dass eine Ähnlichkeit zwischen den Wählern der Union und der FDP nicht nur am Beispiel der Mittelwerte, sondern darüber hinaus auch an ihrer ganzen Verteilung nachvollziehbar ist. Unterschiede zwischen SPD, Grünen und Linken sind hingegen nicht direkt beobachtbar. Obgleich sich die Häufigkeitsverteilungen der Wähler von CDU/CSU und FDP auf dieser Konfliktdimension ebenso unterscheiden wie jene zwischen denen der Union und der AfD (vgl. Abbildung 4.8), sind keine statistisch signifikanten Unterschiede zu ermitteln (vgl. Tabelle A9 im Anhang des elektronischen Zusatzmaterials).

Abbildung 4.8
figure 8

(Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung, basierend auf den Daten von Rattinger et al. 2019b. Anmerkung: Die y-Achse erstreckt sich von 1 (Links-Materialismus) bis 11 (Rechts-Materialismus))

Mittelwerte der Parteienwähler Links-Rechts-Materialismus 2013.

Tatsächlich ist die Differenz der Unionswähler zu den Wählern der AfD deutlich geringer (0,13 Skalenpunkte) als jene zu denen der FDP-Wählerschaft (1,13 Skalenpunkte). Hoch signifikante Unterschiede wiederum liegen zu den Wählern von SPD, Grünen und Linken vor (p < 0,001). Während sich die SPD-Wähler 2013 signifikant von Grünen- und Linken-Wählern unterscheiden (p < 0,05), sind von ihnen keine signifikanten Differenzen zu den Wählern der AfD festzustellen. Die Wähler der FDP hingegen sind sowohl von der SPD-Wählerschaft, gleichermaßen von jenen der Grünen und Linken signifikant zu unterscheiden. Die Differenz der FDP-Wählerschaft zu den Wählern der AfD ist auf dieser Konfliktlinie wiederum nicht signifikant. Während kaum Unterschiede zwischen den Wählern der Grünen und denen der Linken mit 0,09 Skalenpunkten Differenz vorhanden sind und statistisch keine signifikanten Unterschiede belegt werden können, unterscheiden sich beide Wählergruppen hoch signifikant (p < 0,001) von jener der AfD (vgl. Tabelle A9 im Anhang des elektronischen Zusatzmaterials).

Die Unterschiede, die sich 2017 schließlich zwischen Wählern der CDU/CSU, der FDP und der AfD ausmachen lassen, sind allesamt nicht signifikant. Diese Teilelektorate ähneln sich folglich auf dieser Dimension. Demgegenüber unterscheiden sich diese drei Wählergruppen als Vergleichsgruppen hoch signifikant (p < 0,001) von denen der SPD, der Grünen und der Linken. Während sich die Wähler der Grünen und der Linken im Schnitt erneut nicht statistisch signifikant voneinander unterscheiden lassen, liegen zumindest zur SPD-Wählerschaft signifikante (p < 0,05) Unterschiede vor (vgl. Tabelle A10 im Anhang des elektronischen Zusatzmaterials). Auch in der Visualisierung lassen sich gewisse Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen den Elektoraten feststellen. So sind bei jenen Parteien, die gemeinhin einen starken Sozialstaat einfordern, also SPD, Grünen und Linken, ihre Wähler im Wesentlichen so orientiert, dass sie eher links-materialistisch denn rechts-materialistisch einzustufen sind. Bei den Wählern der eher moderat bis stark marktwirtschaftlich orientierten Parteien CDU/CSU, FDP und AfD ist Gegenteiliges zu beobachten (vgl. Abbildung 4.9).

Abbildung 4.9
figure 9

(Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung, basierend auf den Daten von Roßteutscher et al. 2019. Anmerkung: Die y-Achse erstreckt sich von 1 (Links-Materialismus) bis 11 (Rechts-Materialismus))

Mittelwerte der Parteienwähler Links-Rechts-Materialismus 2017.

Handelt es sich bei der Konfliktlinie zwischen einer links- und einer rechts-materialistischen Wertorientierung doch um jene, die auch das Fundament für den vielfach beschriebenen Sozialstaatskonflikt bildet, so sind die hier beschriebenen Ergebnisse nicht allzu überraschend. Dies gilt aber nur unter der Limitation, dass signifikante Unterschiede zwischen den Anhängern von Grünen und Sozialdemokraten in den hier vorangegangenen Überlegungen nicht inkludiert wurden. Für eine entsprechende Ursachensuche erscheinen weitere Untersuchungen notwendig, die an dieser Stelle jedoch den Rahmen der Arbeit sprengen würden. Nichtsdestotrotz ist eine in Teilen fehlende Unterscheidbarkeit der SPD-Wähler von denen der Linken ebenso problematisch wie die fehlende Unterscheidbarkeit zwischen den Wählern der Linken und Grünen. Besonders für die SPD und Linke als Parteien sind diese Ergebnisse nicht wünschenswert, da sie zumindest auf Basis der Verortung der eigenen Wähler kein Alleinstellungsmerkmal entlang dieser Konfliktdimension besitzen, welches sie als besonders exponiert auszeichnen würde. Gerade bei diesem Konfliktfeld zwischen Links-Materialismus einerseits und Rechts-Materialismus andererseits, bei dem sich SPD und Linke als Parteien besonders dem erstgenannten verpflichtet fühlen, wäre eine entsprechend aussagekräftige Akkumulation der eigenen Wähler sicherlich wünschenswert. Dass dies nicht der Fall ist, deutet vielmehr auf ein Problem für beide Parteien hin, scheinen die Elektorate doch im politischen Raum mehrere Ansprechpartner als legitime Repräsentanten ihrer Wertorientierung zu identifizieren. Dies gilt selbstredend unter dem Vorbehalt, dass die Wähler ihre Wahlentscheidung auch primär an dieser Konfliktlinie ausrichten.

Einen ähnlichen Bedeutungsgehalt hat die Konfliktlinie zwischen einer religiösen und einer säkularen Wertorientierung vor allem für die Union, welche ursächlich aus der Konfliktlinie entstanden ist, in der primär katholisch-religiöse Werte gegenüber einem säkular orientierten Staat verteidigt werden sollten. Demnach wird im Folgenden die Analyse der einzelnen Teilelektorate auf dieser Konfliktachse vorgestellt.

4.1.3.2 Religiös-Säkular nach Parteiwählern

Zusammenfassend konnte bereits festgestellt werden, dass die deutschen Wähler säkularer geworden sind. Bei einer Ursachensuche gibt es neben den Pädophilie-Skandalen der katholischen Kirche weitere Gründe, die zu dieser fortschreitenden Säkularisierung geführt haben könnten. Dazu zählt auch eine fortschreitende gesellschaftliche Individualisierung. Dies ist aber auch insofern wichtig zu betonen, da mit dieser Konfliktlinie, anders als in der klassischen Cleavage-Theorie, nicht der Kampf der katholischen Wählerschaft gegen einen säkular orientierten Staat zu verstehen ist, sondern die allgemeine religiöse Wertorientierung der Bevölkerung über verschiedene Glaubensgemeinschaften hinweg.

In der Tat ist diese Entwicklung in fast allen Elektoraten zu beobachten, die hier einer Analyse unterzogen werden. Dabei werden manche Wählergruppen im Schnitt jedoch weniger säkular als andere. Besonders gering fallen die Unterschiede beispielsweise im Fall der CDU/CSU aus. Erreicht die Wählerschaft hier 2009 im Schnitt noch 2,92 von 7 möglichen Skalenpunkten, bleibt dieser Wert bis 2013 stabil. Zur Bundestagswahl 2017 sinkt dieser Wert auf im Durchschnitt 2,81 Punkte ab. Die Wähler der Unionsparteien sind zwar 2017 in der Summe die mit Abstand am stärksten von einer religiösen Wertorientierung durchdrungene Wählergruppierung, aber auch hier sind schleichende Säkularisierungserscheinungen durchaus ersichtlich (vgl. Tabelle 4.6).

Die Wähler der SPD werden im Zeitverlauf der hier vorliegenden Analyse zwar auch immer säkularer, jedoch findet der Großteil dieser Entwicklung, gemessen an der Skala zwischen Religiosität und Säkularismus, früher als bei den Anhängern von CDU und CSU statt. So verortet sich die SPD-Wählerschaft 2009 noch im Schnitt bei 2,49 Skalenpunkten, um dann bis 2013 auf 2,32 Skalenpunkte zu sinken und 2017 nunmehr bei 2,29 Skalenpunkten zu verbleiben. Die Wähler der SPD haben folglich von 2009 bis 2013 einen deutlichen Schritt in Richtung einer zunehmenden säkularen Wertorientierung gemacht, wohingegen die weitere Veränderung bis 2017 als marginal bewertet werden kann (vgl. Tabelle 4.6).

Eine interessante Entwicklung ist am Beispiel der Wähler der liberalen FDP zu beobachten. Diese sind 2009 als Elektorat nach der CDU/CSU die am zweitstärksten durch Religiosität geprägte Wählerschaft. Der Skalenwert liegt mit 2,53 zwar unter dem der CDU-Wähler, jedoch höher als bei den Wählern aller anderen Parteien. Eine mögliche Erklärung dafür wäre, dass einige Anhänger von CDU und CSU bei der Bundestagswahl 2009 für die FDP votierten, um die amtierende Große Koalition unter Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) durch eine christlich-liberale Koalition von Union und FDP abzulösen. Demnach würden dann ursprünglich christdemokratisch gesinnte Wähler zu diesem vergleichsweisen hohen Wert beitragen. Allerdings ist es so, dass dieser Wert für die FDP bei der darauffolgenden Bundestagswahl 2013 sogar noch auf 2,62 Skalenpunkte steigt. Dieser Wert sinkt bis 2017 auf im Schnitt 2,22 Skalenpunkte. Auch die FDP-Wähler werden demnach im Zeitverlauf im Schnitt säkularer (vgl. Tabelle 4.6).

Die Grünen-Wählerschaft ist die einzige Gruppierung, die zum Ende des Untersuchungszeitraums marginal religiöser orientiert ist als zum Ausgangszeitpunkt. Bei der Bundestagswahl 2009 erreichen die Wähler der Grünen im Schnitt 2,25 Skalenpunkte. Bei der darauffolgenden Wahl steigt dieser Wert, wie auch bei den Wählern der FDP, zunächst auf 2,36 Skalenpunkte an und sinkt dann schlussendlich auf einen Skalenwert von 2,28 Punkten. Damit sind die Wähler im Schnitt 2017 stärker religiös orientiert als 2009. Ferner sind die Grünen-Wähler 2017 nur knapp hinter der SPD das am drittstärksten religiös orientierte Elektorat (vgl. Tabelle 4.6).

Die Wählerschaft der Linken wiederum unterliegt deutlichen Schwankungen. So ist sie bei den Bundestagswahlen 2009 und 2013 die mit Abstand säkularste Wählergruppe. Besonders deutlich ist der Unterschied zwischen diesen beiden Wahlen, erreichen sie doch 2009 noch 2,11 Skalenpunkte, um dann bis 2013 auf einen Wert von 1,59 Skalenpunkten deutlich abzusinken. Dies entspricht einer nahezu vollkommenen Säkularisierung der Wählerschaft. Interessanterweise steigt dieser Wert bis zur Bundestagswahl 2017 wieder leicht auf 1,74 Skalenpunkte. Die Wähler der Linken sind so zwar in der Summe bei der Bundestagswahl 2017 deutlich stärker durch eine säkulare Wertorientierung geprägt, jedoch hat keine andere Partei einen vergleichsweisen Zuwachs zwischen zwei Wahlterminen in der Religiosität ihrer Wählerschaft vorzuweisen (vgl. Tabelle 4.6).

Die AfD-Wählerschaft wiederum ist jene Gruppierung, die im untersuchten Zeitraum, obgleich sie auch nur zu zwei Zeitpunkten untersucht werden kann, den stärksten Orientierungswandel vollzieht. Erreichten die Wähler 2013 noch im Schnitt 2,28 Skalenpunkte, womit diese nicht sonderlich exponiert zu den anderen Wählergruppierungen sind, so sinkt dieser Wert bis 2017 auf 1,65 Skalenpunkte. Damit bilden die Wähler der AfD, zumindest für die Bundestagswahl 2017, den säkularen Extrempol ab (vgl. Tabelle 4.6).

Tabelle 4.6 Mittelwerte Parteiwähler Religiös-Säkular 2009 bis 2017

Im direkten Vergleich wird ersichtlich, dass sich die Wähler der Unionsparteien zu allen drei Untersuchungszeitpunkten stärker durch eine religiöse Wertorientierung auszeichnen als die Wähler der anderen Parteien. Einzig die FDP-Wählerschaft ist im Bundestagswahljahr 2013 ähnlich einzuschätzen. Alle anderen Wählergruppierungen liegen im Schnitt immer näher am Pol einer säkularen Wertorientierung als die gesamtdeutsche Wählerschaft. Doch wie hat sich die Wählerschaft der einzelnen Parteien in der Gesamtbetrachtung verändert? Gerade für die Unionswähler sind die vorliegenden Befunde hoch interessant, da sie einen stärkeren Säkularisierungstrend aufweisen als zunächst zu erwarten wäre, ginge man nur von den Durchschnittswerten aus. Während der Median über alle drei Untersuchungszeitpunkte unverändert beim Skalenwert 3 verbleibt, verändert sich die Spannweite des Interquartilsabstands deutlich. Es wird ersichtlich, dass dieser bei den Bundestagswahlen 2009 und 2013 die Spannweite entlang der Skalenpunkte 2 bis 3 umfasst, verbirgt sich dahinter doch deutlich mehr als die Hälfte der Wählerschaft von CDU/CSU (vgl. Tabelle A11 im Anhang des elektronischen Zusatzmaterials). Bei der Bundestagswahl 2017 vergrößert sich der Interquartilsabstand schließlich so, dass mit dem Skalenwert auch der säkulare Pol dieser Wertorientierung mit inkludiert ist. In allen drei Untersuchungen fällt darüber hinaus der Median mit dem dritten Quartil zusammen, was als weiteres Indiz dafür herangezogen werden kann, dass es hier zu einer erhöhten Frequenz von Individuen kommt, die dort zu verorten sind. Hieraus wird ersichtlich, dass sich die Wählerbasis der Unionsparteien auf dieser Konfliktdimension immer breiter ausfächert (vgl. Abbildung 4.10).

Abbildung 4.10
figure 10

(Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung, basierend auf den Daten von Rattinger et al. 2019a; Rattinger et al. 2019b; Roßteutscher et al. 2019. Anmerkung: Die y-Achse erstreckt sich von 1 (Säkular) bis 7 (Religiös))

Religiös-Säkular und die Wähler der CDU/CSU.

Ähnliches ist auch bei den Wählern der SPD zu beobachten. Zum einen sinkt der Median vom Skalenwert 3 im Jahr 2009 auf den Skalenwert 2 im Jahr 2013, wo dieser dann auch bis 2017 verbleibt. Darüber hinaus vergrößert sich der Interquartilsabstand, welcher 2009 noch die Skalenpunkte 2 bis 3 umfasste, auf die Skalenpunkte 1 bis 3 in den Jahren 2013 und 2017. Auch an der Häufigkeitsverteilung ist sehr klar visuell zu erkennen, dass 2009 der Median und das dritte Quartil auf demselben Skalenpunkt zusammenfallen (vgl. Abbildung 4.11).

Abbildung 4.11
figure 11

(Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung, basierend auf den Daten von Rattinger et al. 2019a; Rattinger et al. 2019b; Roßteutscher et al. 2019. Anmerkung: Die y-Achse erstreckt sich von 1 (Säkular) bis 7 (Religiös))

Religiös-Säkular und die Wähler der SPD.

Zeigen die für die FDP-Wählerschaft erfassten Mittelwerte, dass diese zwischen 2009 und 2013 religiöser geworden ist, so offenbaren die hier vorzustellenden Häufigkeitsverteilungen interessante Ansatzpunkte, die dieses Phänomen besser verständlich machen. Für die Jahre 2009 und 2013 sind drei Befunde sehr wichtig. Zunächst ist es so, dass der für diese Zeitpunkte errechnete Median in beiden Fällen beim Skalenpunkt 3 liegt. Im Wahljahr 2017 sinkt dieser auf den Skalenwert 2 ab. Darüber hinaus beschreibt der Interquartilsabstand 2009 und 2013 die Spannweite zwischen den Skalenpunkten 2 und 3, zwischen denen sich rund 60 Prozent der FDP-Wähler verorten (vgl. Tabelle A11 im Anhang des elektronischen Zusatzmaterials). Schließlich wurde bei beiden Nachwahlbefragungen kein Individuum erfasst, welches sich am religiösen Extrempol verortet. Der gestiegene Mittelwert für die Bundestagswahl 2013 ist im Fall der FDP-Wählerschaft primär darauf zurückzuführen, dass sich hier mehr Individuen auf den Skalenpunkten 4 bis 6 positioniert haben als zur Bundestagswahl 2009. Demgegenüber sind zur Bundestagswahl 2017 – im Gegensatz zu den vorangegangenen Wahlen – entlang der gesamten Skala zwischen einer religiösen und einer säkularen Wertorientierung FDP-Wähler zu finden. Anders als bei der Bundestagswahl 2013 ist es jedoch so, dass nur noch ein geringfügiger Anteil von 8,5 Prozent der Wähler sich auf dem Skalenwert 4 oder höher verortet (vgl. Tabelle A11 im Anhang des elektronischen Zusatzmaterials). So wird auch ersichtlich, dass die FDP-Wähler im Schnitt säkularer geworden sind (vgl. Abbildung 4.12).

Abbildung 4.12
figure 12

(Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung, basierend auf den Daten von Rattinger et al. 2019a; Rattinger et al. 2019b; Roßteutscher et al. 2019. Anmerkung: Die y-Achse erstreckt sich von 1 (Säkular) bis 7 (Religiös))

Religiös-Säkular und die Wähler der FDP.

Die Visualisierung der Häufigkeitsverteilungen der Grünen-Wählerschaft zeigt, aus welchem Grund diese 2013 – zumindest statistisch – im Schnitt religiöser einzuordnen ist als noch 2009 (vgl. Abbildung 4.13).

Abbildung 4.13
figure 13

(Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung, basierend auf den Daten von Rattinger et al. 2019a; Rattinger et al. 2019b; Roßteutscher et al. 2019. Anmerkung: Die y-Achse erstreckt sich von 1 (Säkular) bis 7 (Religiös))

Religiös-Säkular und die Wähler der Grünen.

Zunächst lässt sich aus der visuellen Darstellung und den dazugehörigen Berechnungen ableiten, dass der für die Grünen-Wählerschaft zu den drei Befragungszeitpunkten ermittelte Median beim Skalenpunkt 2 liegt und der Interquartilsabstand sich zwischen den Skalenpunkten 1 bis 3 aufspannt. Die Veränderungen der für die Grünen-Wähler gemessenen Werte sind primär darauf zurückzuführen, dass sich im Zeitverlauf ein größerer Anteil der Wählerschaft in Richtung des religiösen Pols der Skala orientiert. Positionieren sich 2009 noch 6,7 Prozent der Wähler der Grünen auf den Skalenpunkten 4 bis 7, so steigt dieser Wert bis 2013 auf 14,5 Prozent und 2017 schließlich auf 14,7 Prozent der Wähler an (vgl. Tabelle A11 im Anhang des elektronischen Zusatzmaterials). Insbesondere bei den für 2017 gemessenen Werten ist dies aber von Bedeutung, verortet sich hier doch kein Grünen-Wähler am religiösen Pol dieser Konfliktlinie, dem Skalenpunkt 7.

Dass sich die Wählerschaft der Linken im Prozess einer fortschreitenden Säkularisierung befindet oder als sehr säkular eingeordnet werden muss, war bereits nach der vergleichenden Betrachtung entsprechender Mittelwerte ersichtlich, was durch eine Visualisierung der Häufigkeitsverteilungen nur noch klarer wird. Feststellbar sind dabei verschiedene interessante Aspekte. Zunächst ist zu nennen, dass sich zu allen drei Untersuchungszeitpunkten keiner der Befragten aus der Linken-Wählerschaft auf der Skala zwischen einer religiösen und einer säkularen Wertorientierung am religiösen Extrempol verortet (vgl. Abbildung 4.14).

Abbildung 4.14
figure 14

(Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung, basierend auf den Daten von Rattinger et al. 2019a; Rattinger et al. 2019b; Roßteutscher et al. 2019. Anmerkung: Die y-Achse erstreckt sich von 1 (Säkular) bis 7 (Religiös))

Religiös-Säkular und die Wähler der Linken.

Darüber hinaus sinkt der sich 2009 noch beim Skalenpunkt 2 befindende Median bis zur Bundestagswahl 2013 auf den säkularen Extremwert 1 ab, wo er auch bei der darauffolgenden Wahl verbleibt. Auch der Interquartilsabstand, der 2009 noch die Skalenwerte 1 bis 3 umfasst, schrumpft bei den darauffolgenden Wahlen auf die Spannweite 1 bis 2. Es scheint demnach, dass sich die Linken-Wählerschaft als besonders säkular orientierte Wählergruppe konsolidiert. Verorten sich 2009 noch 39,4 Prozent der Linken-Wähler beim Skalenwert 1, so steigt dieser Wert bis 2013 auf 67,6 Prozent der Linken-Wählerschaft. Bis 2017 sinkt dieser Wert wiederum auf 59,7 Prozent der Wählerschaft ab (vgl. Tabelle A11 im Anhang des elektronischen Zusatzmaterials). Nichtsdestotrotz bleiben die Wähler der Linken hochgradig säkular orientiert.

Die Wähler der AfD sind zwischen 2013 und 2017 vor allem deutlich homogener geworden. Verteilte sich die AfD-Wählerschaft zwar 2013 nicht gleichmäßig entlang der Skala und lag der Median zu diesem Zeitpunkt noch bei 2, so sinkt dieser bis 2017 auf den Skalenwert 1. Darüber hinaus verteilt sich 2017 die Wählerschaft nicht mehr entlang der ganzen Skala, finden sich dort doch keine Wähler mehr, die sich am extremen Skalenpunkt 7 verorten (vgl. Abbildung 4.15).

Abbildung 4.15
figure 15

(Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung, basierend auf den Daten von Rattinger et al. 2019b; Roßteutscher et al. 2019. Anmerkung: Die y-Achse erstreckt sich von 1 (Säkular) bis 7 (Religiös))

Religiös-Säkular und die Wähler der AfD.

Auch verringert sich der Interquartilsabstand im entsprechenden Zeitraum. Dabei ist bedeutsam, dass 2017 das erste Quartil und der Median am säkularen Extrempol zusammenfallen. Tatsächlich verorten sich dort zur Bundestagswahl 2017 insgesamt 60,1 Prozent der AfD-Wähler (vgl. Tabelle A11 im Anhang des elektronischen Zusatzmaterials). Die AfD-Wähler sind so in der Summe klar erkennbar hochgradig säkular orientiert. Zusätzlich gibt es nur wenige Individuen, die als religiös einzuordnen sind. Die Wählerschaft der AfD zeichnet sich demnach, ebenso wie die Wählerschaft der Linken, sehr klar durch ihre säkulare Wertorientierung aus. Es ist davon auszugehen, dass sich hier signifikante Effekte auf das Wahlverhalten feststellen lassen.

Tatsächlich zeigt sich im direkten Vergleich der Elektorate zu den jeweiligen Bundestagswahlen, dass sich die Konfliktlinie zwischen einer säkularen und einer religiösen Wertorientierung durchaus zur Differenzierung eignet (vgl. Abbildung 4.16).

Abbildung 4.16
figure 16

(Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung, basierend auf den Daten von Rattinger et al. 2019a. Anmerkung: Die y-Achse erstreckt sich von 1 (Säkular) bis 7 (Religiös))

Mittelwerte der Parteienwähler Religiös-Säkular 2009.

Insbesondere die Wähler von CDU und CSU lassen sich 2009 hierdurch optimal erfassen, zeigen doch die Ergebnisse der Mittelwertvergleiche, dass sich die Unionswähler hoch signifikant (p < 0,001) von allen anderen Wählergruppen differieren lassen. Darüber hinaus unterscheiden sich noch die Wähler der Sozialdemokraten und der FDP signifikant (p < 0,05) von den Wählern der Linken (vgl. Tabelle A12 im Anhang des elektronischen Zusatzmaterials). Die Wähler von SPD, FDP und Grünen unterscheiden sich hingegen nicht signifikant voneinander. Die hier beschriebenen Unterschiede sind ferner auch an den Ausprägungen der jeweiligen Wählergruppen auf dieser Dimension zu erkennen. Dabei sind sich von ihrer Grundform die Häufigkeitsverteilungen der Wähler von CDU/CSU, SPD und FDP in Teilen recht ähnlich, gleiches ist für die Grünen und die Linken zu beobachten.

Die Ausgangslage ändert sich im Wahljahr 2013 dahingehend, dass hier keine signifikanten Unterschiede zwischen der Unionswählerschaft und der Wählerschaft der FDP zu beobachten sind. Hoch signifikante (p < 0,001) Unterschiede liegen seitens der Unionswählerschaft aber zu den Wählern der SPD, der Grünen und der Linken vor. Darüber hinaus unterscheiden sich die AfD-Wähler signifikant (p < 0,05) von denen der CDU/CSU. Neben denen der Union sind auch SPD-Wähler hoch signifikant (p < 0,001) von der Linken-Wählerschaft zu unterscheiden. Ferner liegen in einem hohem Umfang Ähnlichkeiten zu den Wählergruppen der anderen Parteien vor (vgl. Abbildung 4.17).

Abbildung 4.17
figure 17

(Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung, basierend auf den Daten von Rattinger et al. 2019b. Anmerkung: Die y-Achse erstreckt sich von 1 (Säkular) bis 7 (Religiös))

Mittelwerte der Parteienwähler Religiös-Säkular 2013.

Gleiches gilt für die Wähler der FDP, die sich 2013 einzig von denen der Linken hoch signifikant (p < 0,001) unterscheiden lassen. Die Grünen-Wählerschaft, die sich ebenso hoch signifikant (p < 0,001) von den Wählern der Linken unterscheiden lässt, ist darüber hinaus auch im selben Ausmaß hoch signifikant von den Wählern der Unionsparteien zu differieren. Die Wähler der Linken wiederum unterscheiden sich von allen Wählergruppen hoch signifikant (p < 0,001) – mit Ausnahme der AfD-Wählerschaft, zu der aber zumindest signifikante (p < 0,05) Unterschiede vorliegen (vgl. Tabelle A13 im Anhang des elektronischen Zusatzmaterials).

Galten die Wähler von CDU und CSU aufgrund ihrer besonders starken religiösen Orientierung als gut abgrenzbar gegenüber den anderen Wählergruppen, bestehen für 2013 keine Zweifel daran, weshalb sich die Unterstützer der Linken besonders gut von Wählern anderer Parteien unterscheiden lassen, sind diese doch besonders säkular orientiert. Insbesondere die nicht signifikanten Unterschiede, beispielsweise zwischen den Wählern der Grünen und der AfD oder zwischen den Wählern von FDP und SPD, erscheinen mit Blick auf die Häufigkeitsverteilungen auf der religiös-säkularen Konfliktlinie auch visuell schlüssig, wenngleich daraus keine statistische Gesetzmäßigkeit abgeleitet werden darf. Die vorliegenden statistischen Unterschiede oder Ähnlichkeiten zeigen sich jedoch auch bei einer visuellen Analyse.

Bei der Bundestagswahl 2017 unterscheiden sich die Wähler aller Parteien auf dieser Konfliktlinie gesellschaftlicher Wertorientierungen wieder hoch signifikant (p < 0,001) von den Wählern von CDU und CSU. Die Wähler der SPD, der FDP und der Grünen wiederum, die sich nicht signifikant voneinander unterscheiden lassen, weisen allerdings hoch signifikante (p < 0,001) Unterschiede zu den Wählern von Linken und AfD auf. Die Wählerschaften letztgenannter Parteien unterscheiden sich nicht signifikant voneinander (vgl. Tabelle A14 im Anhang des elektronischen Zusatzmaterials). Dass sich diese Parteien nicht nur durchschnittlich ähneln oder unterscheiden, zeigt auch eine visuelle Analyse der Häufigkeitsverteilungen der jeweiligen Wählerschaft auf der religiös-säkularen Konfliktdimension. Diese gesellschaftliche Wertorientierung zeigt klar erkennbare Diskrepanzen und Ähnlichkeiten zwischen den Elektoraten. So sind sich die Wähler der Linken und der AfD in einem ebenso hohen Ausmaß ähnlich wie beispielsweise jene der SPD und der FDP. Dass die Wähler der CDU/CSU vergleichsweise stark religiös geprägt sind, wird ebenfalls ersichtlich (vgl. Abbildung 4.18).

Abbildung 4.18
figure 18

(Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung, basierend auf den Daten von Roßteutscher et al. 2019. Anmerkung: Die y-Achse erstreckt sich von 1 (Säkular) bis 7 (Religiös))

Mittelwerte der Parteienwähler Religiös-Säkular 2017.

Zusammenfassend zeigt sich in der deskriptiven Analyse, dass entlang dieser Konfliktlinie ein hohes Identifikations- und Unterscheidungspotenzial vorhanden ist. Dies gilt insbesondere für die Wähler von CDU und CSU, weniger für die anderer Parteien. Mit Ausnahme der FDP-Wähler bei der Bundestagswahl 2013 lassen sich für die Unionswähler immer signifikante Unterschiede zu den Elektoraten anderer Parteien ermitteln. Dies ist für die CDU/CSU zunächst positiv, da sie aufgrund ihrer Parteihistorie geradezu notwendigerweise bei entsprechend orientierten Wählern erfolgreich sein sollte. Ob dies der Fall ist, lässt sich an dieser Stelle noch nicht ablesen und wird erst in Abschnitt 4.3 einer tiefergehenden Analyse unterzogen, doch zeigt sich durchaus, dass auch heute noch die Wähler der Unionsparteien durch ihre Religiosität gut gegenüber anderen Elektoraten abzugrenzen sind.

Gilt der Konflikt zwischen einer postmaterialistischen und einer materialistischen Wertorientierung wiederum als existenzielle Grundlage für die Entstehung der Grünen, so ist zu erwarten, dass sich ihre Wählerschaft entlang dieser Konfliktlinie ebenso gut differenziert erfassen lässt wie die der CDU/CSU auf der religiös-säkularen Dimension. Ob dem tatsächlich so ist und welche weiteren Unterschiede und Entwicklungsprozesse vorliegen, wird im folgenden Kapitel erörtert.

4.1.3.3 Postmaterialismus-Materialismus nach Parteiwählern

Die Analyse der Wahlbevölkerung brachte die Erkenntnis hervor, dass diese in der Summe im Zeitverlauf von 2009 bis 2017 zwar postmaterialistischer geworden ist, es 2013 aber auch zu einem Anstieg einer materialistischen Wertorientierung innerhalb der deutschen Wählerschaft gekommen ist. Eine solche Entwicklung kann, wie schon dargelegt, unter anderem darauf zurückzuführen sein, dass der für die Analyse herangezogene Messindikator zwischen 2009 und 2013, aufgrund keiner anderweitigen Datenverfügbarkeit, abgeändert werden musste. Vor diesem Hintergrund müssen jene Analysen, bei denen das Ziel eine Vergleichbarkeit im Zeitverlauf ist, zumindest mit Vorsicht bewertet werden.

Eine entsprechende Analyse der Mittelwerte der jeweiligen Elektorate auf der Konfliktdimension zwischen einer postmaterialistischen und einer materialistischen Wertorientierung zeigt, dass Scherer und Roßteutscher (2020, S. 221) Recht mit ihrer Feststellung haben, dass die Wähler deutscher Parteien zunehmend postmaterialistischer werden. So liegen auch in der hier vorliegenden Analyse alle Wähler, zumindest im Durchschnitt, bei besagter Dimension auf mittigen oder dem Postmaterialismus zugeneigten Skalenpunkten. Es wird ersichtlich, dass die Wähler von CDU/CSU von einem Durchschnittswert von 5,54 Skalenpunkten im Jahr 2009 zunächst moderat auf 5,32 Skalenpunkte im Jahr 2013 sinken und sich somit gleichzeitig gegen den Gesamtdurchschnittstrend der deutschen Wähler entwickeln, die zu diesem Zeitpunkt materialistischer werden. Der Wert für die Unionswählerschaft sinkt bis 2017 auf 4,9 Skalenpunkte. Dies ist als eine moderate postmaterialistische Wertorientierung zu deuten. Demgegenüber sind die Wähler der SPD im Jahr 2009 bereits deutlich postmaterialistischer und erreichen 4,38 Skalenpunkte. Dieser Wert steigt bis 2013, ähnlich der Entwicklung der gesamtdeutschen Wählerschaft, auf 4,43 Skalenpunkte, um 2017 den Tiefstwert von 4,24 Skalenpunkten zu erreichen. Ähnlich wie für die Wähler der Union ist auch für die Wählerschaft der FDP eine kontinuierliche Entwicklung zu einer stärker postmaterialistischen Wertorientierung festzustellen. So liegt der für die FDP-Wählerschaft 2009 gemessene Durchschnittswert bei 5,7 Skalenpunkten, was zugleich der höchste in dieser Untersuchung für diese Konfliktlinie gemessene Wert ist. Bis 2013 sinkt dieser dann auf 5,25 Skalenpunkte und bei der darauffolgenden Bundestagswahl 2017 schließlich auf durchschnittlich 5,06 Skalenpunkte. Der dadurch ermittelte Unterschied von 0,64 Punkten entspricht genau auch dem Wert, welchen die Wähler der CDU/CSU zwischen 2009 und 2017 in Richtung des Postmaterialismus auf der entsprechenden Skala gewandert sind. Demgegenüber sind die Wähler der Grünen, über alle Untersuchungszeitpunkte und Wählergruppierungen hinweg, wenig überraschend das am postmaterialistischsten orientierte Elektorat. Nichtsdestotrotz werden die Grünen-Wähler in der Summe im hier beobachteten Zeitraum klar materialistischer. Erreichen diese 2009 einen Durchschnittswert von 2,52 Skalenpunkten, so steigt dieser Wert bis 2013 auf 3,2 Skalenpunkte, um dann bis 2017 wieder deutlich auf 2,92 Skalenpunkte zu sinken. Damit bleiben die Wähler der Grünen mit klarem Abstand die am stärksten durch eine postmaterialistische Wertorientierung definierte Gruppe. Eine ähnliche Entwicklung macht die Linken-Wählerschaft durch, die zwar geringer ausfällt, jedoch größeren Schwankungen unterliegt. Liegen die Linken-Wähler 2009 bei im Schnitt 3,68 Skalenpunkten und 2017 bei 3,74 Skalenpunkten, so sind diese Veränderungen marginal. Einzig die 2013 erfassten 4,72 Skalenpunkte beschreiben eine minimal materialistischere Orientierung, die bei der folgenden Wahl jedoch nivelliert wird. Die für die AfD-Wähler beobachtbare Veränderung von 5,43 Skalenpunkten im Jahr 2013 zu 5,47 im Jahr 2017 fällt gering aus (vgl. Tabelle 4.7).

Tabelle 4.7 Mittelwerte Parteiwähler Postmaterialismus-Materialismus 2009 bis 2017

Die für die CDU/CSU-Wähler beschriebenen Veränderungen werden visuell gut ersichtlich. Zunächst zeigt sich, dass der Median vom Skalenpunkt 6 im Jahr 2009 auf 5 in den Jahren 2013 und 2017 absinkt. Auch zeigt sich 2013 eine stärkere Homogenisierung auf dieser Konfliktlinie, umfasst der Interquartilsabstand dort mit seiner Spannweite nur noch die Skalenpunkte 4 bis 6. Im Jahr 2009 verlief dieser noch entlang der Skalenpunkte 4 bis 7. Bis 2017 zeigt sich wieder eine Vergrößerung der Spannweite, jedoch mit einer zunehmenden Akzentuierung zum postmaterialistischen Pol, umfasst der Interquartilsabstand hier doch die Skalenpunkte 3 bis 6. Demnach wird die Entwicklung zu einer stärker postmaterialistischen Orientierung von einer dazugehörigen Konzentration im Jahr 2013 begleitet, die sich dann 2017 auch in Richtung des postmaterialistischen Extrempols stärker ausdifferenziert (vgl. Abbildung 4.19).

Abbildung 4.19
figure 19

(Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung, basierend auf den Daten von Rattinger et al. 2019a; Rattinger et al. 2019b; Roßteutscher et al. 2019. Anmerkung: Die y-Achse erstreckt sich von 1 (Postmaterialismus) bis 11 (Materialismus))

Postmaterialismus-Materialismus und die Wähler der CDU/CSU.

Die für die SPD-Wählerschaft eher marginalen Veränderungen zeigen sich auch in der Visualisierung der Häufigkeitsverteilungen ihrer Wähler (vgl. Abbildung 4.20).

Abbildung 4.20
figure 20

(Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung, basierend auf den Daten von Rattinger et al. 2019a; Rattinger et al. 2019b; Roßteutscher et al. 2019. Anmerkung: Die y-Achse erstreckt sich von 1 (Postmaterialismus) bis 11 (Materialismus))

Postmaterialismus-Materialismus und die Wähler der SPD.

Der Median fällt zu allen drei Zeitpunkten auf den Skalenwert 4, der Interquartilsabstand umfasst gleichbleibend eine Spannweite entlang der Skalenpunkte 3 bis 6.

Klare Veränderungen zeigen sich in der FDP-Wählerschaft. War diese 2009 noch relativ gleichmäßig zwischen den Extrempolen Postmaterialismus und Materialismus verteilt, zeigt sich im Zeitverlauf bis 2017 eine Entwicklung zu einer zunehmend postmaterialistischen Wertorientierung. Erkennbar ist dies am Median, der von 6 im Jahr 2009 auf 5 im Jahr 2013 sinkt, wo dieser auch bis 2017 verbleibt. Auch der Interquartilsabstand verringert sich deutlich, der sich 2009 noch entlang Skalenpunkten 4 bis 8 aufspannt, 2017 nur noch die Punkte 4 bis 6 umfasst. Es hat folglich eine Konzentration der FDP-Wähler eingesetzt (vgl. Abbildung 4.21).

Abbildung 4.21
figure 21

(Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung, basierend auf den Daten von Rattinger et al. 2019a; Rattinger et al. 2019b; Roßteutscher et al. 2019. Anmerkung: Die y-Achse erstreckt sich von 1 (Postmaterialismus) bis 11 (Materialismus))

Postmaterialismus-Materialismus und die Wähler der FDP.

Die Wähler der Grünen, welche den theoretischen Ausführungen zu Folge auf dieser Dimension nicht nur im Mittel am stärksten postmaterialistisch orientiert sein sollten, enttäuschen diese Erwartung indessen nicht. Zunächst liegt der Median für diese Wählerschaft im Jahr 2009 beim Skalenwert 2. Dies ist der niedrigste für diese Konfliktlinie erfasste Median. Bei den Bundestagswahlen 2013 und 2017 steigt dieser auf den Wert 3. Der Interquartilsabstand, welcher 2009 die Spannweite von den Skalenpunkten 1 bis 3 umfasst, spannt sich 2013 und 2017 entlang der Skalenpunkte 2 bis 4 auf. Die grundsätzliche Konzentration innerhalb der Grünen-Wählerschaft bleibt demnach weiterhin unverändert. Auch nennenswert ist der Anteil der Grünen-Wähler, die sich am materialistischen Pol verorten, also bei den Skalenwerten 9 bis 11. Während sich dort 2009 nur 0,4 Prozent der Grünen-Wähler einordnen, steigt dieser Wert marginal bei den Folgewahlen auf 0,8 Prozent der Wähler. Demgegenüber verorten sich bei den Skalenwerten 1 bis 3 im Jahr 2009 fast 79 Prozent der Grünen-Wähler. 2013 positionieren sich noch rund 64 Prozent der Wähler der Grünen dort, wenngleich dieser Wert bis 2017 wieder auf knapp 73 Prozent ansteigt (vgl. Tabelle A15 im Anhang des elektronischen Zusatzmaterials). An dieser Stelle sei ein weiteres Mal darauf hingewiesen, dass diese Veränderungen Ausdruck des sich im Zeitverlauf verändernden Messindikators sein können. Nichtsdestotrotz zeigen die Ergebnisse, dass in den Jahren 2013 und 2017, in denen die Messung unter Zuhilfenahme desselben Indikators vorgenommen wird, eine klare postmaterialistische Wertorientierung erkennbar ist, die bis 2017 zunimmt (vgl. Abbildung 4.22).

Abbildung 4.22
figure 22

(Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung, basierend auf den Daten von Rattinger et al. 2019a; Rattinger et al. 2019b; Roßteutscher et al. 2019. Anmerkung: Die y-Achse erstreckt sich von 1 (Postmaterialismus) bis 11 (Materialismus))

Postmaterialismus-Materialismus und die Wähler der Grünen.

Dass die Wähler der Linken, während der drei Untersuchungszeitpunkte, auf dieser Wertdimension eine wechselhafte Entwicklung durchlaufen, wurde bereits kurz beschrieben. Dies wird auch anhand der Häufigkeitsverteilungen ersichtlich. Liegt der Median bei den Bundestagswahlen 2009 und 2017 beim Skalenwert 3, steigt dieser bei der dazwischen stattfindenden Bundestagswahl 2013 sprunghaft auf den Wert 5 an. Auch der Interquartilsabstand, welcher 2009 und 2017 die Spannweite der Skalenwerte 2 bis 5 umfasst, ist 2013 stärker in Richtung einer materialistischen Wertorientierung verschoben, beschreibt er doch hier eine Spannweite über die Skalenpunkte 3 bis 6. Tatsächlich scheint es zur Bundestagswahl 2013 zu einem ausgeprägteren Wahlverhalten zu Gunsten der Linken bei jenen Wählern gekommen zu sein, die über eine materialistischere Wertorientierung verfügen. Dass sich dieser Effekt jedoch bei der darauffolgenden Bundestagswahl 2017 wieder nivelliert, gibt Anlass zur Erforschung möglicher Ursachen (vgl. Abbildung 4.23).

Abbildung 4.23
figure 23

(Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung, basierend auf den Daten von Rattinger et al. 2019a; Rattinger et al. 2019b; Roßteutscher et al. 2019. Anmerkung: Die y-Achse erstreckt sich von 1 (Postmaterialismus) bis 11 (Materialismus))

Postmaterialismus-Materialismus und die Wähler der Linken.

Die für die AfD-Wähler am Mittelwert ablesbaren marginalen Veränderungen zeigen sich auch in der Visualisierung der Häufigkeitsverteilungen. Der Median für die Wählerschaft der AfD liegt bei beiden Wahlen beim Skalenwert 6, der Interquartilsabstand umfasst in beiden Fällen die Spannweite vom Skalenwert 4 bis zum Skalenwert 7. Wesentliche Veränderungen, die auf eine Ausdifferenzierung oder Konzentration der Wählerschaft hindeuten, liegen auf Basis dieser Wertdimension demnach nicht vor (vgl. Abbildung 4.24).

Abbildung 4.24
figure 24

(Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung, basierend auf den Daten von Rattinger et al. 2019b; Roßteutscher et al. 2019. Anmerkung: Die y-Achse erstreckt sich von 1 (Postmaterialismus) bis 11 (Materialismus))

Postmaterialismus-Materialismus und die Wähler der AfD.

In der Summe zeigt sich, obgleich die Wähler von CDU/CSU und FDP im untersuchten Zeitverlauf postmaterialistischer geworden sind, dass diese im direkten Vergleich zur Gesamtwählerschaft weiterhin im Schnitt materialistisch gesinnt sind. Für die Wähler von Linken, Grünen und SPD gilt das Gegenteil, sind diese doch im Schnitt postmaterialistischer orientiert als der wählende Bevölkerungsdurchschnitt. Die AfD-Wählerschaft, die im untersuchten Zeitraum geringfügig materialistischer geworden ist, ist nicht nur stets materialistischer orientiert als der Durchschnitt aller Wähler, sondern darüber hinaus die am stärksten am Materialismus orientierte Wählerschaft bei den Bundestagswahlen 2013 und 2017.

Die Analyse der Mittelwertvergleiche zeigt dann, dass sich die Wähler von CDU/CSU und FDP bei der Bundestagswahl 2009 in der Tat nicht signifikant voneinander unterscheiden lassen. Beide Wählergruppen unterscheiden sich aber hoch signifikant (p < 0,001) von denen der SPD, der Grünen und der Linken. Die Konfliktdimension eignet sich 2009 ferner, um die Wählerschaften dieser drei Parteien untereinander zu differenzieren. So unterscheiden sich die Wähler von SPD und Linken klar signifikant (p < 0,01) voneinander, ebenso wie sich die Grünen-Wählerschaft hoch signifikant (p < 0,001) von den Wählern aller anderen Parteien unterscheidet (vgl. Tabelle A16 im Anhang des elektronischen Zusatzmaterials). Darüber hinaus sind auch eindeutig visuelle Differenzen der Häufigkeitsverteilungen zwischen den Elektoraten festzustellen. Die auf dieser Konfliktlinie einzigartige Ausgestaltung der Häufigkeitsverteilung der Grünen-Wähler ist indes auch als Indiz dafür zu werten, wie erfolgreich die Partei bei der Mobilisierung ihres Elektorats ist, wenn es um die spezifisch postmaterialistische Orientierung der Wähler geht (vgl. Abbildung 4.25).

Abbildung 4.25
figure 25

(Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung, basierend auf den Daten von Rattinger et al. 2019a. Anmerkung: Die y-Achse erstreckt sich von 1 (Postmaterialismus) bis 11 (Materialismus))

Mittelwerte der Parteienwähler Postmaterialismus-Materialismus 2009.

Bei der Bundestagswahl 2013 wiederum zeigt sich, dass sich die Wähler von CDU/CSU und FDP erneut nicht voneinander unterscheiden lassen. Darüber hinaus kommt in diesem Fall noch die AfD-Wählerschaft hinzu, zu der auch keine signifikanten Unterschiede feststellbar sind. CDU/CSU-Wähler sind auf dieser Dimension hoch signifikant (p < 0,001) von denen der SPD und der Grünen sowie signifikant (p < 0,05) von denen der Linken zu unterscheiden. Die Wählerschaft der SPD wiederum unterscheidet sich ferner hoch signifikant (p < 0,001) von den Wählern der Grünen und zudem signifikant (p < 0,05) von der Wählerschaft der AfD. Für die Wähler der FDP lassen sich ausschließlich zu den Grünen hoch signifikante (p < 0,001) Unterschiede ermitteln. Die Wähler der Grünen wiederum lassen sich aufgrund einer exponierten Positionierung in Richtung des postmaterialistischen Extrempols hoch signifikant (p < 0,001) von allen anderen Wählergruppierungen differieren. Zwischen den Wählern von AfD und Linken gibt es keine signifikanten Unterschiede (vgl. Tabelle A17 im Anhang des elektronischen Zusatzmaterials). Die hier beschriebenen Unterschiede zeigen sich darüber hinaus in der Häufigkeitsverteilung der Wähler auf dieser Konfliktlinie. Dass sich also die Wähler der Linken, der AfD und der FDP auf dieser Konfliktlinie gesellschaftlicher Wertorientierungen nicht signifikant voneinander unterscheiden lassen, ist auch visuell durchaus erkennbar, sind doch die Ausprägungen zwar nicht identisch, ähneln sich aber in einem hohen Ausmaß. Die Grünen-Wähler folgen der theoretischen Annahme, dass sich diese auf besagter Konfliktlinie, aufgrund ihrer starken postmaterialistischen Wertorientierung, sehr gut von den Elektoraten anderer Parteien unterscheiden lassen (vgl. Abbildung 4.26).

Abbildung 4.26
figure 26

(Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung, basierend auf den Daten von Rattinger et al. 2019b. Anmerkung: Die y-Achse erstreckt sich von 1 (Postmaterialismus) bis 11 (Materialismus))

Mittelwerte der Parteienwähler Postmaterialismus-Materialismus 2013.

Für die Bundestagswahl 2017 ist festzuhalten, dass die Wähler von CDU/CSU, FDP und AfD erneut entlang der Postmaterialismus-Materialismus-Dimension nicht signifikant voneinander zu unterscheiden sind. Für alle drei Wählergruppen lassen sich aber statistisch hoch signifikante (p < 0,001) Unterschiede zu den Wählern von SPD, Grünen und Linken ermitteln. Innerhalb dieser Wählergruppen wiederum unterscheiden sich zwar die Grünen-Wähler hoch signifikant (p < 0,001) von denen der SPD und Linken, während zwischen diesen jeweils keine signifikanten Unterschiede zu ermitteln sind (vgl. Tabelle A18 im Anhang des elektronischen Zusatzmaterials). So ist auch hier festzustellen, dass sich die Wähler der Grünen entlang dieser Konfliktdimension gesellschaftlicher Wertorientierung als postmaterialistisch geprägte Gruppierung sehr gut von anderen Wählern unterscheiden lassen. Diese hier beschriebenen Unterschiede sind darüber hinaus visuell observierbar. Zum einen zeigt sich, nicht nur unter Zuhilfenahme der eingezeichneten Mittelwerte, dass die hier beschriebenen Unterschiede auch durch die Häufigkeitsverteilungen klar erkennbar sind. Die Wähler der Grünen, einer aus dem Wandel der Gesellschaft hin zu einer stärker an postmaterialistischen Wertvorstellungen orientierten Politik entstandenen Partei, bilden auch heute diese historischen Wurzeln adäquat ab. So sind diese weiterhin postmaterialistischer orientiert als die vergleichbaren Elektorate. Darüber hinaus lassen sich diese – statistisch wie visuell – durch ihre postmaterialistische Prägung erkennbar von anderen Elektoraten unterscheiden (vgl. Abbildung 4.27).

Abbildung 4.27
figure 27

(Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung, basierend auf den Daten von Roßteutscher et al. 2019. Anmerkung: Die y-Achse erstreckt sich von 1 (Postmaterialismus) bis 11 (Materialismus))

Mittelwerte der Parteienwähler Postmaterialismus-Materialismus 2017.

Ferner zeigt sich, dass die Unterschiede zwischen den Wählern der CDU/CSU, FDP und AfD einerseits und denen der SPD, Grünen und Linken andererseits nicht einzig statistischer Natur sind. Eindeutig materialistische Wertorientierungen sind bei den erstgenannten drei Parteien klar erkennbar, wobei hier insbesondere die Wählerschaften von FDP und AfD besonders hervorstechen. Auch der Umstand, dass sich die Wähler der Sozialdemokraten und der Linken nicht signifikant unterscheiden, wird durch eine Visualisierung der Verteilungen ihrer Anhänger entlang dieser Konfliktachse verständlicher. Die darüber hinaus zu beobachtenden Differenzen sind zwar keineswegs zu leugnen, lassen sich jedoch statistisch schlussendlich nicht beweisen. Nichtsdestotrotz zeigen sich hier Tendenzen, dass Wertorientierungen besonders zur Differenzierung von Elektoraten geeignet sein könnten, deren favorisierte Parteien sich entlang dieser manifestierten. Diese Annahme kann mit Hilfe der Analyse der Konfliktlinie zwischen einer kosmopolitischen und einer nationalistischen Wertorientierung tiefergehender untersucht werden, obgleich sich diese zunächst auf eine rein deskriptive Herangehensweise beschränkt, um in Abschnitt 4.3 mit Hilfe verschiedener multivariater statistischer Analyseverfahren weiter ausgeführt zu werden.

4.1.3.4 Kosmopolitismus-Nationalismus nach Parteiwählern

Im beobachteten Zeitraum hat sich die Wählerschaft deutscher Parteien in der Summe von ihrer zu Beginn eher nationalistisch orientierten Grundhaltung für Zuwanderung stärker geöffnet, die Ausdruck einer kosmopolitischen Wertorientierung ist.

Festzustellen ist hierbei, dass die Wählerschaft der CDU und CSU auf der hier beschriebenen Dimension im Schnitt deutlich liberaler geworden ist. Während 2009 noch ein Durchschnittswert von 8,19 Skalenpunkten erreicht wird, der durchaus als eher nationalistisch orientiert beschrieben werden kann, sinkt dieser Wert bis 2013 auf 7,22 Skalenpunkte und bis 2017 schließlich auf 6,96 Skalenpunkte. Somit befinden sich die CDU/CSU-Wähler zu diesem Zeitpunkt deutlich stärker als noch 2009 in der Mitte zwischen beiden Extrempolen, gleichwohl sie leicht nationalistisch orientiert bleiben. Eine ähnliche Entwicklung ist auch für die SPD-Wählerschaft zu konstatieren, obschon diese deutlich weniger nationalistisch orientiert ist. 2009 sind diese mit einem Durchschnittswert von 7,28 Skalenpunkten zwar kosmopolitischer als die CDU/CSU-Wähler, nichtsdestotrotz ebenso im nationalistisch orientierten Spektrum zu verorten. Dieser Durchschnittswert sinkt zunächst auf 6,71 Skalenpunkte im Jahr 2013 und schließlich auf 6,3 Skalenpunkte im Jahr 2017. Es handelt sich demnach um eine Mittelposition zwischen beiden Extrempolen, wobei auch eine leichte Tendenz zu einer eher nationalistischen Wertorientierung und damit auch einer Präferenz für eine eher geschlossene denn eine liberal-kosmopolitische Gesellschaft abzuleiten ist. Eine deutlichere Entwicklung ist für die FDP-Wählerschaft festzustellen. Ihren Ausgangspunkt nimmt diese 2009 mit einem Durchschnittswert von 8,26 Skalenpunkten, welches der für diese Bundestagswahl höchste gemessene durchschnittliche Wert auf der entsprechenden Skala ist. Kein Elektorat ist zu diesem Zeitpunkt im Schnitt so nationalistisch orientiert wie jenes der FDP. Bis 2013 sinkt dieser Durchschnittswert schließlich auf 7,61 Skalenpunkte und 2017 schlussendlich auf den Wert von 6,79 Skalenpunkten. Die FDP-Wähler sind demnach von einer deutlich nationalistischen Orientierung abgewichen und in Folge kosmopolitischer geworden. Nichtsdestotrotz bleiben sie damit auch 2017 eher mittig bis nationalistisch orientiert. Anders gestaltet sich die Situation bei den Wählern der Grünen. Diese sind durchweg eher mittig bis kosmopolitisch orientiert – als einziges der untersuchten Elektorate. Stehen diese 2009 noch bei im Schnitt 5,91 Skalenpunkten, setzt schon bei der darauffolgenden Bundestagswahl 2013 ein Wandlungsprozess dahingehend ein, dass dieser Wert auf im Schnitt 5,12 Skalenpunkte sinkt. Dies ist als Ausdruck einer stärker werdenden kosmopolitischen Wertorientierung zu verstehen. Bis 2017 sinkt dieser Wert erneut, erreicht die Grünen-Wählerschaft hier nun einen Durchschnittswert von 4,69 Skalenpunkten. Die Wähler der Grünen sind demnach die über den ganzen Zeitraum am stärksten kosmopolitisch orientierte Gruppierung. Die deutlichste Entwicklung vollzieht sich aber innerhalb der Wählerschaft der Linken. Sind diese mit einem Durchschnittswert von 7,48 Skalenpunkten im Bundestagswahljahr 2009 noch als ein eher nationalistisch orientiertes Elektorat einzuordnen, sinkt dieser Wert im beobachteten Zeitraum auf 6,98 Skalenpunkte im Jahr 2013 und schließlich auf 5,85 Skalenpunkte im Jahr 2017. Die Linken-Wähler sind folglich in der Summe zu einer moderat bis am Kosmopolitismus orientierten Gruppierung geworden. Von allen Wählergruppen hat die der Linken dabei die stärkste Entwicklung entlang der Skala gemacht, die diese Konfliktlinie abbildet, unterscheiden sich doch die Mittelwerte von 2009 und 2017 um insgesamt 1,63 Skalenpunkte. Die Wähler der AfD wiederum beschreiten eine gegenteilige Entwicklung. Waren diese mit einem Durchschnittswert von 8,26 Skalenpunkten bereits 2013 die bis dahin, neben der FDP im Jahr 2009, am stärksten nationalistisch orientierte Wählerschaft, so steigt dieser Wert bis 2017 weiter an. Bei dieser Wahl erreichen die Wähler der AfD auf der Kosmopolitismus-Nationalismus-Skala einen Durchschnittswert von 9,13 Skalenpunkten. Damit bilden sie 2017 nicht nur den höchsten Wert auf dieser Konfliktlinie ab, sondern unterscheiden sich darüber hinaus auch deutlich von anderen Wählergruppen. Ferner sind die Wähler der AfD die einzige Gruppierung, die im Beobachtungszeitraum nationalistischer und nicht, wie alle anderen Wählergruppen, kosmopolitischer geworden ist (vgl. Tabelle 4.8).

Tabelle 4.8 Mittelwerte Parteiwähler Kosmopolitismus-Nationalismus 2009 bis 2017

Von besonderer Relevanz ist diese Beobachtung deshalb, da die, wie schon an einigen Stellen angeführt, 2015 einsetzende Krisensituation, ausgelöst durch enorme Fluchtbewegungen, in den Beobachtungszeitraum fällt. Während so zwar die gesamtdeutsche Wählerschaft ebenso kosmopolitischer geworden ist wie auch die meisten Elektorate, ist diese Beobachtung für AfD-Wähler nicht zutreffend. Diese haben sich – wenig überraschend – noch klarer in Richtung einer nationalistischen Gesinnung entwickelt. Wie sich aber konkret die jeweiligen Elektorate verändert haben und inwiefern sich diese signifikant voneinander unterscheiden lassen, soll nun näher erläutert werden.

Gerade den Unionsparteien wurde, wie im Theorieteil ausführlicher beschrieben, die Aufgabe des Repräsentativitätsanspruchs für nationalistisch gesinnte Wählergruppen unterstellt. Was in der Tat zu beobachten ist, ist der Wandel, in welchem sich die Wählerschaft der CDU/CSU im Verlauf der drei Bundestagswahlen befindet. So wird ersichtlich, dass der Median vom Skalenwert 8 im Wahljahr 2009 auf 7 bei den Bundestagswahlen 2013 und 2017 sinkt (vgl. Abbildung 4.28).

Abbildung 4.28
figure 28

(Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung, basierend auf den Daten von Rattinger et al. 2019a; Rattinger et al. 2019b; Roßteutscher et al. 2019. Anmerkung: Die y-Achse erstreckt sich von 1 (Kosmopolitismus) bis 11 (Nationalismus))

Kosmopolitismus-Nationalismus und die Wähler der CDU/CSU.

Diese Entwicklung ist zunächst als eher moderat zu bezeichnen. Brisanz gewinnt diese Entwicklung erst in dem Moment, in welchem die Beobachtung der jeweiligen Interquartilsabstände in die Betrachtung einbezogen wird. So umfasst dieser 2009 noch die Spannweite der Skalenwerte 7 bis 11. Allein am nationalistischen Extrempol, also dem Skalenwert 11, sind zu diesem Zeitpunkt 25 Prozent der CDU/CSU-Wähler zu verorten. 2013 beschreibt der Interquartilsabstand schon eine Spannweite der Skalenpunkte 6 bis 9, woraus eine zunehmende Konzentration der Wähler erkennbar wird. 2017 schließlich spannt sich der Interquartilsabstand für die CDU/CSU-Wähler entlang der Skalenpunkte 6 bis 8. Demnach ordnen sich hier mehr als die Hälfte der Unionswähler ein. Gleichzeitig positionieren sich nur noch 7 Prozent der Wähler von CDU und CSU am nationalistischen Extrempol. Die Wählerschaft der Union ist folglich nicht nur eindeutig kosmopolitischer geworden, sondern zudem auch weniger heterogen auf dieser Achse positioniert als noch 2009 (vgl. Tabelle A19 im Anhang des elektronischen Zusatzmaterials).

Auch für die SPD-Wählerschaft ist eine klare Veränderung ersichtlich, wenngleich diese nicht so eindeutig wie bei den Wählern der CDU/CSU verläuft (vgl. Abbildung 4.29).

Abbildung 4.29
figure 29

(Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung, basierend auf den Daten von Rattinger et al. 2019a; Rattinger et al. 2019b; Roßteutscher et al. 2019. Anmerkung: Die y-Achse erstreckt sich von 1 (Kosmopolitismus) bis 11 (Nationalismus))

Kosmopolitismus-Nationalismus und die Wähler der SPD.

Im Beobachtungszeitraum bleibt der Median für die Bundestagswahlen 2009 und 2013 zunächst konstant beim Skalenpunkt 7. Bei der Bundestagswahl 2017 sinkt der Median schließlich auf den Skalenpunkt 6. Anders als bei den Wählern der Unionsparteien ist es aber so, dass sich der Interquartilsabstand im Zeitverlauf vergrößert. Verläuft dieser 2009 noch zwischen den Skalenpunkten 6 bis 9, vergrößert sich diese Spannweite bis 2013 auf die Skalenpunkte 5 bis 9. 2017 schließlich spannt sich der Interquartilsabstand entlang der Skalenwerte 4 bis 8 auf. Während also die Wähler von CDU/CSU im gleichen Zeitraum konzentrierter und auch ein Stück weit heterogener geworden sind, ist die SPD-Wählerschaft im gleichen Zeitraum einzig heterogener geworden. Am nationalistischen Extrempol, an welchem sich 2009 noch über 17 Prozent der SPD-Wähler verorten, ordnen sich 2017 nur noch 9 Prozent ihrer Wähler ein (vgl. Tabelle A19 im Anhang des elektronischen Zusatzmaterials).

Die Wähler der FDP wiederum sind zwischen 2009 und 2017 eindeutig kosmopolitischer geworden. Neben dem Durchschnittswert, welcher wie beschrieben gesunken ist, ist gleiches für den Median zu attestieren. Dieser sinkt vom Skalenwert 8 in den Jahren 2009 und 2013 auf den Wert 7 im Jahr 2017. Auch die Spannweite des Interquartilsabstands wandert auf der Skala stärker in Richtung einer kosmopolitischen Wertorientierung. Umspannt dieser 2009 noch die Skalenpunkte 7 bis 10, umfasst er 2017 die Werte 5 bis 8 (vgl. Abbildung 4.30).

Abbildung 4.30
figure 30

(Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung, basierend auf den Daten von Rattinger et al. 2019a; Rattinger et al. 2019b; Roßteutscher et al. 2019. Anmerkung: Die y-Achse erstreckt sich von 1 (Kosmopolitismus) bis 11 (Nationalismus))

Kosmopolitismus-Nationalismus und die Wähler der FDP.

So ist die FDP-Wählerschaft nicht nur in Form einer durchschnittlichen Entwicklung, sondern auch in der Häufigkeitsverteilung ganz allgemein deutlich kosmopolitischer geworden. Ferner ist es so, dass sich 2009 noch knapp 24 Prozent der FDP-Wähler am nationalistischen Extrempol, dem Skalenpunkt 11 verorteten. 2017 positionieren sich dort nur noch knapp 7 Prozent der FDP-Wählerschaft (vgl. Tabelle A19 im Anhang des elektronischen Zusatzmaterials).

Die Wähler der Grünen hingegen, die 2009 bereits im Schnitt klar kosmopolitisch orientiert waren, unterliegen bis 2013 zwar einem Wandel, verbleiben bei der darauffolgenden Bundestagswahl 2017 weitestgehend konstant. Interessant ist dabei, dass der Median für 2009 beim Skalenpunkt 6 liegt und sich der Interquartilsabstand entlang der Werte 4 bis 8 aufspannt. Bei den darauffolgenden Wahlen sinkt der Median auf den Skalenpunkt 5 und der Interquartilsabstand umfasst fortan die Punkte 3 bis 6. Demnach ist hier eine Restrukturierung zu beobachten, entlang derer sich die Grünen-Wählerschaft neu formiert. Auch visuell ist diese Entwicklung nachvollziehbar, sind die Wähler der Grünen 2009 zwar tendenziell kosmopolitisch orientiert, obwohl sie sich in der Summe auch heterogener als zu erwarten entlang der Kosmopolitismus-Nationalismus-Skala verteilen. Darüber hinaus ist bei den Wählern der Grünen, anders als bei den bisher beschriebenen Gruppierungen, zumindest am nationalistischen Extrempol keine nennenswerte Konzentration zu erkennen (vgl. Abbildung 4.31).

Abbildung 4.31
figure 31

(Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung, basierend auf den Daten von Rattinger et al. 2019a; Rattinger et al. 2019b; Roßteutscher et al. 2019. Anmerkung: Die y-Achse erstreckt sich von 1 (Kosmopolitismus) bis 11 (Nationalismus))

Kosmopolitismus-Nationalismus und die Wähler der Grünen.

Tatsächlich ist hier das Gegenteil der Fall: Verorten sich 2009 hier nur knapp über 6,0 Prozent der Grünen-Wähler, so sind es 2017 nicht einmal mehr 1,0 Prozent (vgl. Tabelle A19 im Anhang des elektronischen Zusatzmaterials). Darüber hinaus ist die Grünen-Wählerschaft, beginnend mit der Bundestagswahl 2013, auch in ihrer Gesamtstruktur bedeutend kosmopolitischer orientiert denn 2009. Zwischen den Elektoraten der Grünen bei den Bundestagswahlen 2013 und 2017 bestehen allerdings keine allzu großen Unterschiede.

Anders verhält sich dies am Beispiel der Linken-Wählerschaft, die eine deutliche Veränderung entlang dieser Konfliktlinie vollzieht. So sinkt der Median von 8 im Jahr 2009 auf zunächst 7 im Jahr 2013 und schließlich auf 6 im Jahr 2017. Der Interquartilsabstand bleibt dabei zwar an sich gleich, beschreibt aber eine zunehmende Ausrichtung der Wählerschaft an einer kosmopolitischen Wertorientierung. Während durch ihn 2009 noch die Skalenwerte 6 bis 10 erfasst werden, sind es 2017 die Werte 4 bis 8. Die Linken-Wählerschaft ist demnach zwar weiterhin heterogen, gleichwohl sie deutlich kosmopolitischer geworden ist. Nichtsdestotrotz ist ein besonders nennenswerter Wandel am nationalistischen Extrempol zu beobachten. Während sich hier 2009 noch knapp 23 Prozent der Linken-Wähler verorteten, sind es 2017 nur noch 4,8 Prozent (vgl. Tabelle A19 im Anhang des elektronischen Zusatzmaterials). Darüber hinaus lässt sich an der Häufigkeitsverteilung durchaus erkennen, dass die Wählerschaft der Linken zur Bundestagswahl 2017 deutlich kosmopolitischer gesinnt ist als noch acht Jahre zuvor, sich aber sehr ausgewogen entlang dieser Konfliktlinie verteilt (vgl. Abbildung 4.32).

Abbildung 4.32
figure 32

(Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung, basierend auf den Daten von Rattinger et al. 2019a; Rattinger et al. 2019b; Roßteutscher et al. 2019. Anmerkung: Die y-Achse erstreckt sich von 1 (Kosmopolitismus) bis 11 (Nationalismus))

Kosmopolitismus-Nationalismus und die Wähler der Linken.

Anders verhält es sich mit der Wählerschaft der AfD. Es wurde schon angeführt, dass diese in ihrer Grundausrichtung schon zur Bundestagswahl 2013 über eine klare nationalistische Wertorientierung verfügt. In der Tat ist es so, dass der Median zu diesem Zeitpunkt bereits beim Skalenwert 9 liegt. Dieser ist bis dahin, zumindest im hier vorgestellten Untersuchungszeitraum, der höchste abgebildete Wert dieser Kategorie. Dieser steigt dann zur Bundestagswahl 2017 auf den Skalenwert 10 an. Spannt sich der Interquartilsabstand 2013 noch entlang der Skalenpunkte 7 bis 11 auf, verringert sich dieser bis 2017 auf die Werte 8 bis 11. Die AfD-Wählerschaft wird also insgesamt im Verlauf der für die Partei beobachteten zwei Bundestagswahlen homogener. Dass es sich hierbei um eine besonders starke nationalistische Prägung handelt, die sich in der AfD-Wählerschaft zusammenfindet, ist auch am nationalistischen Extrempol zu erkennen. Verorten sich dort zur Bundestagswahl 2013 noch knapp über 26 Prozent der AfD-Anhänger, steigt dieser Wert zur Bundestagswahl 2017 auf 37,6 Prozent der AfD-Wähler an (vgl. Tabelle A19 im Anhang des elektronischen Zusatzmaterials). Die AfD-Wählerschaft ist so im hier untersuchten Zeitraum in ihrer Zusammensetzung deutlich nationalistischer geworden und hebt sich auch durch eine exponiert nationalistische Wertorientierung von anderen Parteielektoraten ab (vgl. Abbildung 4.33).

Abbildung 4.33
figure 33

(Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung, basierend auf den Daten von Rattinger et al. 2019b; Roßteutscher et al. 2019. Anmerkung: Die y-Achse erstreckt sich von 1 (Kosmopolitismus) bis 11 (Nationalismus))

Kosmopolitismus-Nationalismus und die Wähler der AfD.

Die hier beschriebenen Veränderungen sind von hoher Relevanz, um später auch in der Lage zu sein, Effekte auf das Wahlverhalten innerhalb der jeweiligen Elektorate besser nachvollziehen zu können. Fraglich ist aber, ob sich diese Konfliktlinie zwischen einer kosmopolitischen und einer nationalistischen Wertorientierung auch eignet, um die hier beschriebenen Elektorate voneinander abzugrenzen.

Für die Bundestagswahl 2009 lassen sich in der Tat einige Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den jeweiligen Elektoraten feststellen. So sind zwischen den Wählern der CDU/CSU und der FDP zunächst keine signifikanten Unterschiede für diese Konfliktlinie gesellschaftlicher Wertorientierungen zu finden. Zu den Wählern von SPD und Grünen liegen für beide Elektorate hingegen hoch signifikante (p < 0,001) Unterschiede vor. Während sich die Wähler der CDU/CSU darüber hinaus signifikant (p < 0,05) von denen der Linken unterscheiden, sind die Unterschiede zwischen den Wählern der FDP und der Linken sogar in einem höheren Ausmaß signifikant (p < 0,01). Die Wählerschaft der SPD wiederum unterscheidet sich hoch signifikant (p < 0,001) von der Grünen-Wählerschaft, wohingegen zu den Wählern der Linken keine signifikanten Unterschiede zu ermitteln sind. Zwischen der Linken- und der Grünen-Wählerschaft wiederum liegen hoch signifikante (p < 0,001) Unterschiede vor. In der Summe zeigt sich, dass die Wähler der Grünen demnach von den Elektoraten anderer Wählergruppen entlang dieser Konfliktlinie sehr gut abzugrenzen sind, nehmen diese eine besonders kosmopolitische Grundhaltung ein, die bei dieser Bundestagswahl ein Alleinstellungsmerkmal ist (vgl. Tabelle A20 im Anhang des elektronischen Zusatzmaterials). Dies ist mit Blick auf die Häufigkeitsverteilung der jeweiligen Wählerschaften nicht verwunderlich, ist doch eine exponiertere Position der Grünen-Wähler auch visuell ersichtlich (vgl. Abbildung 4.34).

Abbildung 4.34
figure 34

(Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung, basierend auf den Daten von Rattinger et al. 2019a. Anmerkung: Die y-Achse erstreckt sich von 1 (Kosmopolitismus) bis 11 (Nationalismus))

Mittelwerte der Parteienwähler Kosmopolitismus-Nationalismus 2009.

Tatsächlich zeigt sich dabei auch, dass eine nationalistische Grundausrichtung in allen anderen Wählergruppen durchaus Anhänger findet. Besonders unter denen von CDU/CSU und FDP ist dies bei der Bundestagswahl 2009 klar zu erkennen. Dass zwischen den Wählerschaften von Union und FDP keine signifikanten Unterschiede festzustellen sind, ist entsprechend auch visuell nachvollziehbar, insbesondere mit einem zusätzlichen Blick auf die hier eingezeichneten Mittelwerte. Auch die Wähler der SPD und der Linken sind in einem nicht unwesentlichen Ausmaß nationalistisch orientiert.

Zur Bundestagswahl 2013 ergeben sich hier durch das Hinzukommen der AfD-Wähler einige Veränderungen. Die Wähler der CDU/CSU sind auch weiterhin nicht signifikant von denen der FDP zu unterscheiden. Außerdem bestehen keine statistisch signifikanten Differenzen zu den Wählern der Linken. Während zu den Wählern von SPD und AfD signifikante (p < 0,05) Unterschiede feststellbar sind, sind jene zur Wählerschaft der Grünen auch weiterhin hoch signifikant (p < 0,001). Tatsächlich eignet sich diese Konfliktlinie auch weiterhin, um die Wählerschaft der Grünen sehr gut von den Wählern anderer Parteien abzugrenzen, sind doch alle für dieses Elektorat beobachteten Unterschiede hoch signifikant (p < 0,001). Die Wähler der SPD unterscheiden sich, neben den hier beschriebenen Unterschieden zu den Wählern der CDU/CSU, darüber hinaus hoch signifikant (p < 0,001) von denen der AfD. Während sich die FDP-Wählerschaft also nur signifikant von denen der Grünen differieren lässt, liegen für die Wähler der Linken – zusätzlich zu den Grünen-Wählern – nur zur AfD auch eindeutig signifikante (p < 0,01) Unterschiede vor. Die hier erstmals formierte AfD-Wählerschaft ist demnach den Wählern der FDP zu ähnlich, um sie signifikant voneinander unterscheiden zu können (vgl. Tabelle A21 im Anhang des elektronischen Zusatzmaterials). Tatsächlich lässt sich mit Hilfe der Häufigkeitsverteilung der einzelnen Elektorate darüber hinaus erörtern, wie klar sich Teile der Wählerschaft untereinander allgemein unterscheiden. Insbesondere mit Blick auf die Wähler der AfD und der Grünen zeigt sich hier, dass die Grünen-Wähler als solche in einem ähnlichen Ausmaß über eine kosmopolitische Orientierung verfügen wie die Wähler der AfD über eine demgegenüber stehende nationalistische Orientierung. Sie verhalten sich hiernach zueinander wie Antipoden. Darüber hinaus wird vor allem am nationalistischen Extrempol klarer, dass für die hier beschriebenen Elektorate, die auch schon für die Bundestagswahl 2009 einer Analyse unterzogen werden konnten, eine deutlich geringere Konzentration vorliegt. Während die Wählerschaft als solche im Durchschnitt kosmopolitischer geworden ist und dies auch für alle Elektorate jener Parteien gilt, die bereits 2009 zur Wahl antraten, zeigt sich, dass die AfD offensichtlich viele nationalistisch gesinnte Wähler an sich zu binden vermag und diese auch zugleich eine dominierende Rolle innerhalb des eigenen Elektorats einnehmen (vgl. Abbildung 4.35).

Abbildung 4.35
figure 35

(Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung, basierend auf den Daten von Rattinger et al. 2019b. Anmerkung: Die y-Achse erstreckt sich von 1 (Kosmopolitismus) bis 11 (Nationalismus))

Mittelwerte der Parteienwähler Kosmopolitismus-Nationalismus 2013.

Zur Bundestagswahl 2017 werden diese gravierenden Unterschiede und Veränderungen noch deutlicher, insbesondere mit Blick auf die Wähler von Grünen und AfD. Sowohl die Grünen-Wähler als auch die Wähler der AfD sind entlang dieser Konfliktlinie zwischen einer kosmopolitischen und einer nationalistischen Wertorientierung von den Wählern aller anderen Parteien hoch signifikant (p < 0,001) unterscheidbar. Die Wählerschaft der Grünen baut dabei ihre exponierte Stellung als Ansammlung klar kosmopolitisch orientierter Individuen ebenso aus wie dies der Wählerschaft der AfD ihrerseits am nationalistischen Pol dieser Dimension gelingt. Die Unterschiede zwischen den Wählern von CDU/CSU und FDP wiederum bleiben auch weiterhin nicht signifikant. Während sich die Wählerschaft der Union zwar klar signifikant (p < 0,01) von den Wählern der SPD unterscheidet, sind insbesondere die vorliegenden Differenzen zu den Wählern der Linken hoch signifikant (p < 0,001). Die Wähler der SPD wiederum lassen sich nicht signifikant von der FDP- und der Linken-Wählerschaft unterscheiden, wohingegen diese Wählergruppen untereinander klar signifikant (p < 0,01) voneinander abzugrenzen sind (vgl. Tabelle A22 im Anhang des elektronischen Zusatzmaterials).

In der Summe sind mit Ausnahme der AfD-Wählerschaft alle Wählergruppen seit 2013 im Schnitt kosmopolitischer geworden. Dies zeigt sich nicht nur an der grundsätzlichen Entwicklung von Mittel- und Median-Werten, sondern darüber hinaus wird dies auch durch die sich verändernde Häufigkeitsverteilung ersichtlich. Auch im direkten Vergleich der Elektorate ist eine Heterogenität zwischen den Elektoraten klar zu erkennen (vgl. Abbildung 4.36).

Abbildung 4.36
figure 36

(Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung, basierend auf den Daten von Roßteutscher et al. 2019. Anmerkung: Die y-Achse erstreckt sich von 1 (Kosmopolitismus) bis 11 (Nationalismus))

Mittelwerte der Parteienwähler Kosmopolitismus-Nationalismus 2017.

4.1.3.5 Zusammenfassende Betrachtung

Die hier beschriebenen Unterschiede sind zunächst deshalb von besonderem Interesse, da sie die postulierten Annahmen zunächst weitestgehend bestätigen. So ist ersichtlich, dass die Elektorate verschiedener Parteien entlang der Konfliktlinie des Links-Rechts-Materialismus heute noch signifikant voneinander unterschieden werden können. Nichtsdestotrotz zeigt sich bei dieser Dimension auch, dass keines der jeweiligen zu einer Partei gehörenden Elektorate entlang dieser Konfliktlinie vollkommen eindeutig abgegrenzt werden kann. Einzig die SPD-Wählerschaft ist 2017 entlang dieser Wertorientierung signifikant von sämtlichen Wählergruppen zu unterscheiden. Es ist zwar durchaus möglich, dass eine stärkere Orientierung am Links-Materialismus das Wahlverhalten zugunsten von SPD und Linken und eine stärkere Orientierung am Rechts-Materialismus das Wahlverhalten zugunsten der FDP beeinflusst, doch liegt hier keine klare Unterscheidbarkeit gegenüber anderen Elektoraten vor. Dies ist von Relevanz, da entsprechende Repräsentationsansprüche seitens der Parteien deshalb schlicht weniger Schlagkraft haben. Zurückführbar ist dies darauf, dass der alleinige Vertretungsanspruch einer Partei entlang einer spezifischen Wertorientierung sich auch darüber manifestiert, dass ihre Wähler in einem entsprechenden Umfang eine jeweilige Wertorientierung vorweisen.

Auf der Konfliktlinie zwischen einer religiösen und einer säkularen Wertorientierung sind für die Wähler der CDU/CSU für die Bundestagswahlen 2009 und 2017 signifikante Unterschiede zu beobachten. Grundsätzlich zeigt sich aber auch hier, dass auch die Wähler der Union, die als Partei ursächlich auch entlang dieser Konfliktlinie entstanden ist, immer säkularer werden. Überraschend ist aber beispielsweise, dass sich gerade die Wählerschaft der Linken durch ihren hohen Grad an Säkularisierung bei der Bundestagswahl 2013 besonders gut von den Wählern anderer Parteien abgrenzen lässt. Mit einer AfD-Wählerschaft, die 2017 schließlich einer deutlich stärkeren säkularen Wertorientierung folgt, nivellieren sich diese Unterschiede jedoch. Dass sich die Wähler der CDU/CSU entlang dieser Dimension nicht mehr durchgehend von den Wählern anderer Parteien unterscheiden lassen, kann zum einen sicherlich auch auf den allgemeinen Rückgang von Religiosität zurückgeführt werden. Zum anderen hat dies aber auch die Implikation, dass eventuell ein Rückgang der Bedeutsamkeit von einer religiösen Wertorientierung auf das Wahlverhalten zugunsten von CDU/CSU zu beobachten sein wird.

Der Konflikt zwischen einer postmaterialistischen und einer materialistischen Wertorientierung hingegen eignet sich über alle drei Untersuchungszeitpunkte hinweg in besonderem Ausmaß, um die Wählerschaft der Grünen von den Elektoraten anderer Parteien abzugrenzen. Auch sind 2009 die Wähler von SPD und Linken entlang dieser Konfliktlinie von anderen Elektoraten signifikant zu unterscheiden. Es lassen sich aber keine weiteren systematischen Unterschiede erschließen. Die Annahme, dass sich die Wahl der Grünen insbesondere mit dieser Wertorientierung erläutern lässt, könnte sich demnach als bewahrheitet herausstellen.

Für die hier skizzierte Konfliktlinie zwischen einer kosmopolitischen und einer nationalistischen Wertorientierung sind mehrere Dinge bemerkenswert. Dazu gehört zum einen die Feststellung, dass sich die Bevölkerung im Zeitverlauf mehr in Richtung einer kosmopolitischen Wertorientierung entwickelt hat. Besonders klare Unterschiede sind für die jeweiligen Elektorate, vor allem für die Wähler von CDU/CSU und FDP, zu beobachten. Demgegenüber ist die AfD-Wählerschaft auf dieser Konfliktlinie, wie erwartet, stärker nationalistisch orientiert. So gelingt es der AfD offensichtlich, entsprechende Wähler erfolgreich an sich zu binden. Die Grünen-Wähler sind auf derselben Konfliktlinie aufgrund ihrer klaren kosmopolitischen Orientierung ebenso gut abzugrenzen wie die AfD-Wählerschaft. Es zeigt sich auch in der Häufigkeitsverteilung, dass viele dazu veröffentlichte Studien durchaus Recht damit haben, wenn sie die Grünen und die AfD als Antipoden entlang einer derartigen Konfliktlinie bezeichnen, gelingt es offensichtlich beiden Parteien sehr erfolgreich, Unterstützer über diese Dimension zu mobilisieren. Zentrale Bedeutung hat ferner, dass mit der Wählerschaft der Grünen eine offenbar neu hinzukommende Manifestation eines politisch institutionalisierten Kosmopolitismus ersichtlich wird, die einen offenkundig vormals bestehenden nationalistischen Konsens aufbricht.

Im Folgenden werden nun noch die weiteren Variablen beschrieben, die in die multivariaten Analysen inkludiert werden. Dazu gehören neben sozio-demographischen Variablen (Abschnitt 4.1.4) auch die für das Gesamtmodell operationalisierten Variablen des Michigan-Modells, also die Parteiidentifikation und die Kandidatenorientierung (Abschnitt 4.1.5).

4.1.4 Sozio-demographische Kontrollvariablen

In der vergleichenden Betrachtung zeigt sich, dass die Wählerschaft der CDU/CSU in den vorliegenden Daten zur Bundestagswahl 2009 – mehrheitlich – weiblichen Geschlechts war, wohingegen die Wählerschaft bei den Bundestagswahlen 2013 und 2017 eher ausgeglichen ist. Bei der SPD verhält es sich so, dass deren Wählerschaft 2009 entlang der binären Geschlechtscodierung eher gleichermaßen verteilt ist, wohingegen bei den Bundestagswahlen 2013 und 2017 Individuen männlichen Geschlechts innerhalb der SPD-Wählerschaft stärker vertreten sind. Bei der FDP sind 2009 mehr Männer als in ihrer Wählerschaft zu finden, wohingegen 2013 deutlich mehr Frauen für die FDP votiert haben. 2017 ist das Verhältnis zwischen den beiden Geschlechtern ausgeglichen. Die Grünen werden 2009 und 2013 bedeutsam stärker von Frauen unterstützt, wohingegen diese Diskrepanz bis 2017 verschwindet. Die Linke hingegen wird zu den drei Untersuchungszeitpunkten bedeutsam mehr von Männern unterstützt. Die AfD-Wählerschaft ist zu beiden Zeitpunkten vor allem durch Individuen männlichen Geschlechts geprägt (vgl. Tabelle 4.9).

Tabelle 4.9 Geschlechterverhältnis der Wähler nach Partei in Prozent

Im Hinblick auf das Alter der jeweiligen Elektorate lassen sich wichtige Beobachtungen machen. Die Grünen-Wählerschaft ist, verglichen zu den Elektoraten der anderen Parteien, überdurchschnittlich jung. Die Wähler der CDU/CSU und der SPD sind – zumindest 2009 und 2017 – im Durchschnitt älter als die Elektorate anderer Parteien. Auffällig ist vor allem das Durchschnittsalter der FDP-Wähler, welches zwischen den drei Bundestagswahlen starken Schwankungen unterworfen ist. Die Wähler der FDP und auch der Grünen sind darüber hinaus die einzigen Gruppierungen, deren Durchschnittsalter im Jahr 2017 über dem zur Bundestagswahl 2009 erfassten Wert liegt (vgl. Tabelle 4.10).

Tabelle 4.10 Alter der Wähler nach Parteien im Durchschnitt

Im Hinblick auf die formelle Bildung der Wähler der Parteien ergeben sich nicht nur unterschiedliche Verteilungen zwischen den jeweiligen Elektoraten, sondern darüber hinaus auch einige Veränderungen. In den für die Bundestagswahl 2009 erfassten Daten verfügt ein Großteil der Wähler von CDU/CSU und SPD über einen Hauptschulabschluss, während der größte Anteil der Wähler von FDP, Grünen und Linken einen Realschulabschluss vorzuweisen hat. Darüber hinaus hat ein nennenswerter Anteil von rund 30 Prozent der Wähler von Grünen und FDP eine Allgemeine Hochschulreife. 2013 steigt der Anteil von Individuen mit Abitur innerhalb der Wählerschaft von CDU/CSU und SPD, während sich gleichzeitig ein geringerer Anteil von Individuen mit Hauptschulabschluss unter ihren Wählern befindet. In der FDP-Wählerschaft von 2013 steigt nicht nur der Anteil der Individuen mit Hauptschulabschluss, sondern zudem auch der Anteil derer, die über eine Allgemeine Hochschulreife verfügen. Dafür sinkt der Anteil von Individuen mit einem Realschulabschluss im Elektorat der FDP deutlich. Innerhalb der Grünen-Wählerschaft sinkt der Anteil von Individuen, die über einen Realschulabschluss verfügen, wohingegen der Anteil von Menschen mit Fachhochschulreife steigt. Bei der Wählerschaft der Linken hingegen sinkt der Anteil von Individuen, die über eine Allgemeine Hochschulreife verfügen. Gleichzeitig steigt der Anteil derer, die einen Hauptschulabschluss haben. Die AfD, die 2013 erstmals zu einer Bundestagswahl antritt, hat einen vergleichsweise hohen Wähleranteil mit Hauptschulabschluss, ihre Wähler sind aber im Hinblick auf die formelle Bildung nicht wesentlich von den CDU/CSU-Wählern zu unterscheiden. Im direkten Vergleich von 2009 und 2017 zeigt sich, dass die Unionswähler bei der letztgenannten Bundestagswahl deutlich seltener einen Hauptschulabschluss haben und deutlich öfter über eine Allgemeine Hochschulreife verfügen. Selbige Beobachtung trifft auch auf die Wähler der SPD und FDP zu. Das Elektorat der Grünen ist deutlich homogener geworden, hat sich hier der Anteil von Individuen, die das Abitur haben, nahezu verdoppelt. Bei der Linken-Wählerschaft hat sich dieser Wert mehr als verdreifacht. Die AfD-Wählerschaft wiederum hat sich zwischen 2013 und 2017 dahingehend verändert, dass der Anteil jener, die einen Hauptschulabschluss haben, zurückgegangen ist, während gleichzeitig der Anteil derer, die über einen Realschulabschluss verfügen, gestiegen ist (vgl. Tabelle 4.11).

Tabelle 4.11 Bildungsabschluss der Wähler nach Parteien in Prozent

Zwecks zusätzlicher Validierung wäre der Abgleich mit einer externen Quelle – entlang dieser sozio-demographischen Daten – wünschenswert, obgleich die GLES-Daten von hoher wissenschaftlicher Qualität sind. Ein solcher Abgleich mit beispielsweise der repräsentativen Wahlstatistik erscheint allerdings als wenig sinnvoll, da im Rahmen dieser zum einen Altersgruppen, demnach nicht das spezifische Alter der Befragten, ausgewiesen werden. Ein Vergleich ist mit der hier sehr feingliedrigen Darstellung, basierend auf den GLES-Daten, entsprechend nicht möglich, da letztgenannte Daten detaillierter sind. Zum anderen wird in der repräsentativen Wahlstatistik die Verteilung nach Geschlecht entlang der entsprechenden Parteien ausgewiesen. Daraus wird jedoch kein Verhältnis der Geschlechter innerhalb eines Parteielektorats ersichtlich, es ist darüber hinaus auch nicht zu berechnen (Der Bundeswahlleiter 2015).

4.1.5 Parteiidentifikation und Kandidatenorientierung

Eine Analyse der Parteiidentifikation der jeweiligen Anhänger folgt einer anderen Logik als die bei vielen der hier vorgestellten Variablen. Dies ist darauf zurückzuführen, dass hier das für eine sinngeleitete Analyse notwendige Kriterium die Existenz von Individuen ist, die sich mit einer entsprechenden Partei identifizieren. Eine prozentuale Verteilung erscheint hier nicht von primärer Relevanz, sondern vielmehr der Umstand, ob es überhaupt Individuen gibt, auf die eine Zuschreibung einer entsprechenden Parteiidentifikation passt. Dies ist für die Befragung zur Bundestagswahl 2009 zunächst kein Problem (vgl. Tabelle 4.12).

Tabelle 4.12 Stärke der Parteiidentifikation 2009 in absoluten Zahlen

So geben hier 536 Individuen an, sie identifizierten sich mit der CDU/CSU, 372 Befragte geben an, sich mit der SPD zu identifizieren, weitere 100 mit der FDP, 114 mit den Grünen und 128 Personen mit der Linken. Die hier vorliegende Problematik besteht aber darin, dass sich nur wenige Individuen finden lassen, die angeben, ihre Parteiidentifikation sei nur in einem sehr schwachen Umfang vorhanden. Bei allen hier erfassten Elektoraten lassen sich jeweils nur weniger als zehn Befragte finden, auf die dies zutrifft. Zumindest für die Wähler von FDP, Grünen und Linken sind darüber hinaus auch nur in einem geringen Umfang Individuen zu finden, die sich sehr stark mit der von ihnen als Identifikationsobjekt angegeben Partei identifizieren.

Diese Situation verschärft sich dann bei der Bundestagswahl 2013. So geben allgemein nur 22 Personen an, sie würden sich mit der FDP identifizieren. Gleiches gilt für die erstmals kandidierende AfD, mit der sich nach eigener Angabe 19 Personen identifizieren können. Währenddessen sind für die CDU/CSU (559 Individuen), für die SPD (462 Befragte) für die Grünen (118 Individuen) und für die Linken (105 Individuen) zumindest ausreichend Personen zu erfassen, die angeben, sie identifizierten sich mit der jeweiligen Partei (vgl. Tabelle 4.13).

Tabelle 4.13 Stärke der Parteiidentifikation 2013 in absoluten Zahlen

Es gilt auch hier für alle Parteien die beschriebene Problematik, dass sich kaum Individuen finden lassen, die eine sehr schwache Identifikation mit der jeweiligen Partei angeben. Ferner sind auch bei den Wählern von FDP, Grünen und AfD nur wenige Personen (<10 Befragte) zu finden, die eine sehr starke Identifikation mit der jeweiligen Partei aufweisen. Besonders problematisch ist die Lage aber auch hier insbesondere bei der Wählerschaft von FDP und AfD, da dort Ausprägungen entlang dieses Items vorhanden sind, in die keine einzige befragte Person zugeteilt werden kann. Dies kann wiederum dazu führen, dass bei multivariaten Analyseverfahren keine sinngeleiteten Ergebnisse ermittelt werden können, da der errechnete Standardfehler schlicht zu groß sein kann. Hierauf ist in der Folgeanalyse Acht zu geben.

Zur Bundestagswahl 2017 lassen sich dann wiederum für alle Parteien, die nach der Wahl in das Parlament einziehen, ausreichend Befragte finden. So geben 574 Individuen an, sie identifizierten sich mit der CDU/CSU, 363 Befragte geben dies für die SPD an, 96 jeweils für die FDP und für die Grünen, 105 für die Linke und 79 Personen für die AfD. Auch hier lassen sich jedoch bei allen Elektoraten nur sehr wenige (<5) Individuen finden, die angeben, sie identifizierten sich in einem sehr schwachen Ausmaß mit einer jeweiligen Partei. Ähnliches ist für eine ziemlich schwache Identifikation zu beobachten. Darüber hinaus geben nur wenige Individuen an, sie verfügten über eine sehr starke Identifikation mit der FDP, den Grünen oder der AfD (vgl. Tabelle 4.14).

Tabelle 4.14 Stärke der Parteiidentifikation 2017 in absoluten Zahlen

Demnach ist insbesondere dann, wenn die Identifikation mit einer jeweiligen Partei in die vorzunehmenden Analysen aufgenommen wird, stets zu beachten, dass ein potenziell hoher Effekt, der von einer Parteiidentifikation ausgeht, in einigen Fällen auf Basis weniger Fälle beruht. Dies gilt insbesondere für die Wählerschaften kleinerer Parteien wie die der FDP, der Grünen, der Linken und der AfD.

Im Hinblick auf die Kandidatenorientierung sind wiederum die durchschnittlichen Werte von höherer Aussagekraft, die sich bei einer metrischen Variable besser aufzeigen lassen als bei einer ordinalen Variable wie der Parteiidentifikation. Dabei lässt sich konstatieren, dass die Wähler der CDU/CSU eine wenig überraschend positive Haltung gegenüber der Spitzenkandidatin der favorisierten Partei haben. Die für die SPD-Kanzlerkandidaten ermittelten Werte sind als eher neutral einzuschätzen. Innerhalb der SPD-Wählerschaft wird die CDU/CSU-Kanzlerkandidatin bei allen Untersuchungszeitpunkten neutral bis positiv bewertet. Den Kanzlerkandidaten der SPD bewerten ihre Wähler ebenso positiv wie die Wähler der CDU/CSU die Kanzlerkandidatin der Union. Darüber hinaus lässt sich zwischen 2009 und 2017 beobachten, dass eine anfänglich neutrale Einstellung gegenüber der amtierenden Kanzlerin Angela Merkel immer positiver wird. Die FDP-Wählerschaft bewertet die Kanzlerkandidatin von CDU/CSU zu allen drei Zeitpunkten sehr positiv, wohingegen die SPD-Kandidaten eher neutral betrachtet werden. Auffällig bei den Wählern der Grünen ist, dass die Kanzlerkandidatin der Unionsparteien im Zeitverlauf immer positiver bewertet wird, während die SPD-Kanzlerkandidaten gleichbleibend neutral bis positiv eingeschätzt werden. Dabei ist aber zu erwähnen, dass die Grünen-Wähler Merkel 2017 im Schnitt positiver bewerten als die SPD-Wählerschaft ihre eigenen Kanzlerkandidaten von 2009 und 2013, Steinmeier und Steinbrück. Die Linken-Wählerschaft wiederum bewertet 2009 und 2013 die Kanzlerkandidaten der politischen Konkurrenz als negativ oder neutral bis negativ. Dies ändert sich 2017, wenn diese dort im Schnitt als neutral bis positiv wahrgenommen werden. Der gegenteilige Prozess vollzieht sich bei den Wählern der AfD. Wird dort beispielsweise Angela Merkel im Bundestagswahljahr 2013 noch recht positiv bewertet und der SPD-Kandidat Steinbrück als neutral bis negativ, scheint 2017 eher eine zunehmende Abneigung gegenüber den Kandidaten von Union und SPD verbreitet zu sein (vgl. Tabelle 4.15).

Tabelle 4.15 Kandidatenorientierung nach Parteienwählerschaft im Mittelwert

Bei den hier vorgestellten Variablen ist es wichtig, dass sich diese im Rahmen multivariater Analyseverfahren nicht gegenseitig erklären dürfen. Um dies nicht nur ausschließen zu können, sondern auch die Zusammenhänge zwischen den Variablen abzubilden, die für die hier vorliegende Analyse ursächlich relevant sind, werden im Folgenden die Ergebnisse einer bivariaten Korrelationsanalyse vorgestellt.

4.2 Bivariate Analyse der Zusammenhänge gesellschaftlicher Wertorientierungen

Dass in Analysen bestimmte Variablen miteinander korrelieren, ist zunächst nicht problematisch, zeigt es doch schließlich den Zusammenhang zwischen verschiedenen Phänomenen wie beispielhaft Wertorientierungen oder Einstellungen. So lassen sich ansatzweise erste Muster erkennen, die ein besseres Verständnis gesellschaftlicher Wandlungsprozesse ermöglichen.

Wenn demnach zwei Variablen auf einem Niveau von kleiner oder gleich 0,05 korrelieren, gilt dieser Zusammenhang als vernachlässigbar. Liegt der entsprechende Wert zwischen 0,05 und 0,20, handelt es sich um einen geringen Zusammenhang, bei einem Wert zwischen 0,2 und 0,5 spricht man von einem Zusammenhang im mittleren Bereich. Werte über dem Niveau von über 0,5 gelten als hoch und ab 0,7 als sehr hoch zusammenhängend (vgl. Tabelle 4.16).

Tabelle 4.16 Faustregeln Korrelation

Im hier vorliegenden Fall wird auf Pearson’s Korrelationskoeffizient (Pearson’s R) zurückgegriffen, um die Korrelationen evaluieren zu können. Dieses Zusammenhangsmaß beschreibt den Raum von −1 bis + 1, wobei ersteres für eine perfekte negative Korrelation steht und letzteres für eine perfekte positive Korrelation.

Zu den jeweiligen drei Untersuchungszeitpunkten korrelieren die Teildimensionen gesellschaftlicher Wertorientierungen in unterschiedlichem Ausmaß miteinander. 2009 ist so eine mittlere Korrelation zwischen einer rechts-materialistischen und einer materialistischen Wertorientierung zu beobachten, die darüber hinaus hoch signifikant (p < 0,001) ist. Gleichermaßen hoch signifikant ist der geringe Zusammenhang zwischen einer rechts-materialistischen und einer nationalistischen Wertorientierung (vgl. Tabelle 4.17).

Tabelle 4.17 Bivariate Korrelationen 2009

Zwischen einer religiösen oder säkularen Wertorientierung und einer links-rechts-materialistischen Wertorientierung ist kein signifikanter Zusammenhang festzustellen. In der Tat liegt allgemein nur eine geringe Korrelation zwischen einer religiösen oder säkularen und einer postmaterialistischen oder materialistischen Wertorientierung vor, wenngleich diese hoch signifikant (p < 0,001) ist. Eine materialistische Wertorientierung wiederum korreliert zwar hoch signifikant mit einer nationalistischen Wertorientierung (p < 0,001), aber auf geringem Niveau.

Bei der Bundestagswahl 2013 wiederum liegt eine hoch signifikante (p < 0,001) Korrelation zwischen der links-rechts-materialistischen Konfliktlinie sowie den weiteren drei Dimensionen gesellschaftlicher Wertorientierung vor, die aber jeweils unterschiedlich stark ausfällt. Während eine stärkere rechts-materialistische Wertorientierung so durchaus mit einer religiöseren Wertorientierung oder einer materialistischen Wertorientierung in einem sehr geringen Ausmaß korreliert, liegt zumindest zu einer nationalistischen Wertorientierung ein höheres Korrelat vor. Nichtsdestotrotz ist auch dieser Zusammenhang in der Summe als grundsätzlich gering einzustufen. Darüber hinaus korreliert eine höhere religiöse Weltanschauung mit einer eher kosmopolitischen Wertorientierung. Zwar ist auch hier der Zusammenhang hoch signifikant (p < 0,001), in seiner tatsächlichen Wirkung aber nur von geringem Ausmaß. Dennoch zeigt sich hier eine Tendenz dahingehend, dass religiöse Individuen signifikant seltener nationalistisch orientiert sind als Säkulare. Ein anderer Zusammenhang zeigt sich wiederum zwischen einer nationalistischen und einer materialistischen Wertorientierung. Der dabei festzustellende Zusammenhang ist im mittleren Bereich zu verorten, gleichwohl er hoch signifikant (p < 0,001) ist (vgl. Tabelle 4.18).

Tabelle 4.18 Bivariate Korrelationen 2013

Bis 2017 lässt sich im Ansatz eine Neukonfiguration dieser Zusammenhänge feststellen, korrelieren hier nun spezifische Wertorientierungen in einem anderen Umfang miteinander oder auch in Teilen überhaupt nicht mehr. In einem sehr geringen, aber dennoch signifikanten (p < 0,05) Umfang korreliert weiterhin eine religiöse Wertorientierung mit einer eher rechts-materialistischen Wertorientierung. Ferner sind die Zusammenhänge zwischen einer eher rechts-materialistischen Wertorientierung sowie einer materialistischen und einer nationalistischen hoch signifikant (p < 0,001). Während eine materialistische Wertorientierung nur in einem geringen Umfang mit dieser Dimension korreliert, handelt es sich bei den Zusammenhängen zwischen dieser und einer nationalistischen um einen mittelstarken positiven Zusammenhang (vgl. Tabelle 4.19).

Tabelle 4.19 Bivariate Korrelationen 2017

Besonders auffällig ist bei der Bundestagswahl 2017 aber in der Tat, dass eine materialistische Wertorientierung in einem mittelstarken positiven Umfang mit einer nationalistischen Wertorientierung korreliert. Von den für die Analyse beobachteten Zusammenhängen ist dieser mit einem für Pearson’s R berechneten Wert von 0,36 der höchste hier beobachtete Zusammenhang.

Worin nun die tatsächliche Ursache dieser Verschiebungen liegt, kann mit Hilfe einer derartigen Korrelationsanalyse nicht abschließend geklärt werden, da hier nur eine grundsätzliche Analyse für die wählende Bevölkerung vorgenommen wurde. Eine kleinschrittige Analyse für die jeweiligen Elektorate könnte darüber sicherlich mehr Aufschluss geben, würde aber auch den Rahmen der hier vorliegenden Arbeit überschreiten. Eine Möglichkeit, um diese Veränderung zu erklären, kann durchaus darin zu finden sein, dass durch eine sich verändernde politische Konfliktlage bestimmte Wertekonflikte in den Vordergrund rücken, die dann zu neuen Wertkombinationen führen. Zentral ist die vorgenommene Analyse dennoch, da sehr hohe Korrelate bereits ein Anzeichen dafür sein könnten, dass bestimmte Teildimensionen gesellschaftlicher Wertorientierungen einander gegenseitig erklären und somit die Aussagekraft einer auf ihnen basierenden Analyse eingeschränkt ist. Um im weiteren Verlauf tatsächlich erörtern zu können, ob in den jeweiligen Wählerschaften deutscher Parteien ein solches Phänomen vorliegt, muss im Rahmen der vorzunehmenden Analysen eine Regressionsdiagnostik durchgeführt werden.

Als eines von mehreren möglichen Verfahren zur Regressionsdiagnostik wird hier mit dem Varianz-Inflations-Faktor (VIF) jenes angewendet, mit dem auf Multikollinearität getestet werden kann. Diese liegt bei einer Regression dann vor, „wenn sich die Werte eines Prädiktors gut aus einer Linearkombination der übrigen Prädiktoren vorhersagen lassen. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn Prädiktoren paarweise miteinander korrelieren“ (Wollschläger 2017, S. 219). Mit dem VIF-Wert wird schließlich eine Maßzahl berechnet, bei der für jede unabhängige Variable berechnet wird, wie gut diese durch die anderen unabhängigen Variablen erklärt werden kann. Unterschiede bestehen lediglich darin, ab welchem Zeitpunkt ein solcher VIF-Wert ein kritisches Niveau erreicht. Während in Teilen argumentiert wird, dass eine Überschreitung eines VIF-Werts von 2 schon als problematisch einzuordnen ist (Schneider 2007, 187), wird an anderen Stellen ein VIF-Wert „von bis zu ca. 4 als unkritisch“ (Wollschläger 2017, S. 220) eingeordnet.

Essenziell ist, dass dabei nicht nur jene Prädiktoren einer Untersuchung unterzogen werden, die für diese Analyse von besonderer Bedeutung sind, sondern die Gesamtheit aller Einflussgrößen. Tatsächlich zeigt sich, dass bei keiner der im Folgekapitel vorgestellten Regressionsanalysen der kritische VIF-Wert von 2 überschritten wird (vgl. Tabelle A23 im Anhang des elektronischen Zusatzmaterials). Multikollinearität liegt demnach nicht vor, weshalb die vorgestellten Analyseergebnisse ohne diesbezügliche Bedenken zur Kenntnis genommen werden können. Eine entsprechende Beschreibung dieser Diagnostik wurde hier aus diesem Grund sehr bewusst vorgezogen.

4.3 Effekte gesellschaftlicher Wertorientierungen auf das Wahlverhalten bei den Bundestagswahlen 2009 bis 2017

Tatsächliches Wahlverhalten für eine Partei zu einem spezifischen Zeitpunkt kann nicht im Rahmen deskriptiver oder bivariater Analysen erklärt werden, sondern ausschließlich im Rahmen multivariater Analyseverfahren. In den nun folgenden Kapiteln soll das Wahlverhalten mit entsprechenden Einflussfaktoren für die jeweiligen Parteien erläutert und somit die Grundlage für die Beantwortung der Forschungsfrage sowie der darauf basierenden Hypothesen geschaffen werden. Die analytische Untersuchung des Wahlverhaltens erfolgt, sofern möglich, im Rahmen von drei Teilschritten. Im ersten Schritt soll mit Hilfe von binär-logistischen Regressionen erörtert werden, welche Erklärungskraft zunächst gesellschaftliche Wertorientierungen auf das Wahlverhalten haben. Dabei werden verschiedene Kennwerte wie Lemeshows R2 oder das AIC herangezogen, um zunächst einen ersten Eindruck davon zu bekommen, wie entsprechende Modelle durch Ergänzung verschiedener Prädiktoren an Aussagekraft gewinnen. Wie bereits erläutert, wird dafür zunächst im Grundmodell nur die Konstante als Ausgangspunkt verwendet. Im darauf aufbauenden Wertemodell werden die vier Dimensionen gesellschaftlicher Wertorientierungen ergänzt. Im Kontrollmodell werden schließlich sozio-demographische Kontrollvariablen in den Analyserahmen eingebettet. Mit der Ergänzung der individuellen Parteiidentifikation und der Kandidatenorientierung wird sodann das vollständige Gesamtmodell geformt. Durch diese Vorgehensweise kann dann einerseits erörtert werden, ob gesellschaftliche Wertorientierungen auch nach Ergänzung der Parteiidentifikation und der Kandidatenorientierung einen signifikanten Effekt auf das Wahlverhalten entfalten. Andererseits können so erste Anhaltspunkte identifiziert werden, welche Prädiktoren das Wahlverhalten signifikant beeinflussen. Die tatsächliche Interpretation von Effektstärken erfolgt dann im zweiten Schritt mit Hilfe der Analyse der Average Marginal Effects. Sofern sich dabei herausstellt, dass die Parteiidentifikation – als eine den gesellschaftlichen Wertorientierungen im Trichter der Wahlentscheidung nachgeordnete Einflussstärke – einen signifikanten Effekt auf das tatsächliche Wahlverhalten hat, wird abschließend unter Zuhilfenahme von Pfadmodellierungen eine entsprechende Kausalbeziehung näher betrachtet. Durch diese Vorgehensweise ist es nicht nur möglich zu erörtern, welchen tatsächlichen Einfluss gesellschaftliche Wertorientierungen auf das Wahlverhalten haben, sondern auch wie diese womöglich die Ausprägung einer Parteiidentifikation beeinflussen.

Das Wahlverhalten zu Gunsten von CDU und CSU wird im nun folgenden Abschnitt 4.3.1 erläutert. Im darauffolgenden Abschnitt 4.3.2 wird das Wahlverhalten der SPD-Wähler näher erörtert. Im Folgekapitel 4.3.3 geht es wiederum um die FDP-Wählerschaft und die Beschreibung der Effekte, die das Wahlverhalten zu Gunsten dieser Partei beeinflussen, während selbiges in Abschnitt 4.3.4 anhand der Grünen-Wählerschaft vorgenommen wird. Abschnitt 4.3.5 behandelt die Analyse jener Effektstärken, die das Wahlverhalten für die Linke erklären können. Mit Abschnitt 4.3.6 wird schlussendlich die Wählerschaft der AfD einer Untersuchung unterzogen. Im abschließenden Abschnitt 4.4 werden sodann die Ergebnisse der multivariaten Analyse nicht nur zusammengefasst, sondern auch die theoretischen Überlegungen und die dazugehörigen Hypothesen einer kritischen Analyse unterzogen.

4.3.1 Wahlverhalten zu Gunsten der CDU/CSU

Die nun folgende Analyse ist nicht nur methodisch, sondern auch durch die jeweiligen Untersuchungszeitpunkte in drei Teilkapitel unterteilt. Abschnitt 4.3.1.1 widmet sich dem Wahlverhalten zu Gunsten von CDU/CSU bei der Bundestagswahl 2009. Im darauffolgenden Abschnitt 4.3.1.2 wird dann selbiges für die Bundestagswahl 2013 und in Abschnitt 4.3.1.3 entsprechend für die Bundestagswahl 2017 vorgenommen.

4.3.1.1 Bundestagswahl 2009

Beim Blick auf das Wahlverhalten zu Gunsten der CDU/CSU bei der Bundestagswahl 2009 zeigt sich, dass eine grundsätzliche Erklärungskraft von gesellschaftlichen Wertorientierungen auf das Wahlverhalten für die Union durchaus vorhanden ist, sinkt doch der AIC-Wert von 1188,86 im Grundmodell auf 1048,16 im Wertemodell. Durch Ergänzung der sozio-demographischen Variablen im Kontrollmodell sinkt dieser Wert marginal auf 1040,49. Erst mit Ergänzung von Prädiktoren aus dem Michigan-Modell verbessert sich das Modell deutlich und erreicht im Gesamtmodell den finalen AIC-Wert von 655,09. Die entsprechende Modellverbesserung ist auch am Δ−2LL erkennbar, da dieser die Verbesserung des Modells, gemessen am für die Log-Likelihood (−2LL) errechneten Wert, abbildet. Eine analoge Entwicklung ist mit Hilfe des R2 nach Hosmer-Lemeshow nachzuvollziehen. Beträgt dieses im Wertemodell aufgerundet 0,13, so steigt es durch das Kontrollmodell auf gerundet 0,14 und schließlich im Gesamtmodell auf 0,46. Die erklärte Passung zwischen dem Modell und der durch die Daten abgebildete Realität ist nicht nur sehr groß, darüber hinaus zeigt sich, dass gesellschaftliche Wertorientierungen ebenso zur Steigerung der Modellgüte beitragen, wenngleich nicht in einem Ausmaß wie die Prädiktoren der klassischen Wahlforschung des Michigan-Modells (vgl. Tabelle 4.20).

Tabelle 4.20 Binär-logistische Regressionen – Wahl der CDU/CSU 2009

Während die vier Dimensionen gesellschaftlicher Wertorientierungen unter Hinzunahme der Kontrollvariablen im Kontrollmodell auch weiterhin hochgradig signifikante Effekte auf das Wahlverhalten zu Gunsten von CDU und CSU haben, verändert sich dies maßgeblich bei Ergänzung der Parteiidentifikation und der Kandidatenorientierung. Für die Wähler von CDU/CSU hat bei der Bundestagswahl demnach insbesondere die Parteiidentifikation einen hoch signifikanten (p < 0,001) Effekt auf ihr Wahlverhalten. Je stärker die Identifikation mit den Unionsparteien ist, desto wahrscheinlicher ist auch die Wahl von CDU und CSU. Ferner hat eine Einschätzung der jeweiligen Spitzenkandidaten von Union und SPD einen ebenso hoch signifikanten Effekt. Dabei führt eine positive Haltung gegenüber der CDU/CSU-Spitzenkandidatin Merkel eher dazu, die Union zu wählen, wohingegen eine positive Bewertung des SPD-Spitzenkandidaten Steinmeier den gegenteiligen Effekt hat. Von den Dimensionen gesellschaftlicher Wertorientierungen bleibt im Gesamtmodell einzig jene zwischen Postmaterialismus und Materialismus signifikant (p < 0,05). Je materialistischer ein Individuum demnach orientiert ist, desto wahrscheinlicher ist die Wahl der Unionsparteien. Eine religiöse Wertorientierung hat hiernach, anders als angenommen, zur Bundestagswahl 2009 offenkundig keinen signifikanten direkten Effekt auf die Wahl der Unionsparteien.

Eine Betrachtung der Average Marginal Effects bestätigt, dass eine materialistische Wertorientierung in der Tat einen signifikanten (p < 0,05) Effekt auf das Wahlverhalten zu Gunsten von CDU und CSU hat (vgl. Abbildung 4.37).

Abbildung 4.37
figure 37

(Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung, basierend auf den Daten von Rattinger et al. 2019a. Angegeben sind durchschnittliche marginale Effekte (in Prozentpunkten) und 95 %-Konfidenzintervalle, basierend auf Logit-Koeffizienten)

Average Marginal Effects Union 2009.

Je stärker ein Individuum materialistisch orientiert ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit einer CDU/CSU-Wahl – der entsprechende durchschnittliche Effekt beträgt 0,92 Prozent. Weitaus klarere Effekte liegen sowohl für die Parteiidentifikation als auch für die Bewertungen der Kanzlerkandidaten von CDU/CSU und SPD vor. Die Wahrscheinlichkeit der Wahl der Unionsparteien steigt um durchschnittlich 3,95 Prozent, je positiver die Unionskandidatin Merkel bewertet. Analog sinkt die Wahrscheinlichkeit der CDU/CSU-Wahl um 1,95 Prozent, je positiver SPD-Kandidat Steinmeier bewertet wird. Insbesondere die sehr hohe Effektstärke der Parteiidentifikation sticht hierbei hervor, beträgt der durchschnittliche marginale Effekt auf das Wahlverhalten hier doch 6,69 Prozent. Demnach steigt die durchschnittliche Wahrscheinlichkeit der CDU/CSU-Wahl, je stärker die Identifikation mit den Unionsparteien ist, um 6,69 Prozent. Auf dieser Basis macht eine Analyse mit einem Pfadmodell durchaus Sinn, um nicht nur direkte Effekte auf das Wahlverhalten zu erfassen, sondern auch indirekte Effekte abbilden zu können. Hiermit kann sodann festgestellt werden, ob verschiedene Dimensionen gesellschaftlicher Wertorientierungen womöglich einen indirekten Effekt über die Parteiidentifikation auf das Wahlverhalten zu entfalten vermögen.

Dabei zeigt sich, dass gesellschaftliche Wertorientierungen auf das Wahlverhalten zu Gunsten der CDU/CSU bei der Bundestagswahl 2009 keinen direkten signifikanten Effekt haben. Der vormals knapp signifikante Effekt einer materialistischen Wertorientierung auf das Wahlverhalten zu Gunsten der Unionsparteien wird im dargelegten Modell zu einem nicht signifikanten Prädiktor. Stattdessen ist aber festzustellen, dass gesellschaftliche Wertorientierungen tatsächlich hoch signifikant (p < 0,001) die Ausbildung und Stärke einer Parteiidentifikation beeinflussen. Dabei zeigt sich, dass eine rechts-materialistische Wertorientierung ebenso einen Effekt entfaltet wie eine religiöse, eine materialistische und eine nationalistische Wertorientierung. Insbesondere für eine rechts-materialistische, eine religiöse sowie eine materialistische Wertorientierung sind die entsprechenden Effekte hoch. Darüber hinaus wirkt die Parteiidentifikation wiederum hoch signifikant auf die Einstellung zu den jeweiligen Kanzlerkandidaten. Während eine hohe Parteiidentifikation wenig überraschend eine positive Bewertung von CDU/CSU-Kanzlerkandidatin Merkel zur Folge hat, führt diese beim SPD-Kandidaten Steinmeier zum gegenteiligen Effekt. Der Modell-Fit kann gemäß des CFI (0,941) als gut bewertet werden, wohingegen er, gemessen am RMSEA, sehr knapp oberhalb des Kennwerts liegt, der einen noch akzeptablen Modell-Fit kennzeichnet (≤0,08) – eine Modellanpassung wird aufgrund der knappen Kennwertüberschreitung hier nicht vorgenommen. Gesellschaftliche Wertorientierungen haben demnach 2009 einen Einfluss auf das Wahlverhalten für die CDU/CSU, wenngleich sie ausschließlich einen indirekten Einfluss über die Parteiidentifikation entfalten können. Das vorliegende Modell kann dabei nicht nur die indirekten und direkten Einflussgrößen gut abbilden, sondern auch das Wahlverhalten für die Unionsparteien an sich gut erklären (vgl. Abbildung 4.38).

Abbildung 4.38
figure 38

(Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung, basierend auf den Daten von Rattinger et al. 2019a. \(x^{2}\) = 67,284Footnote

Der \(x^{2}\)-Wert wird hier und im Folgenden zwar aufgeführt, jedoch wie erläutert keiner näheren Analyse unterzogen.

; CFI = 0,941; RMSEA = 0,086)

Pfadmodell Union 2009.

4.3.1.2 Bundestagswahl 2013

Für die Bundestagswahl 2013 lässt sich bei den Wählern von CDU und CSU zwar feststellen, dass gesellschaftliche Wertorientierungen einen Einfluss auf das individuelle Wahlverhalten haben, die tatsächliche Einflussgröße aber verglichen zu 2009 nachgelassen hat. Bei der Betrachtung der geschachtelten binär-logistischen Regressionsmodelle wird dies an den als relevant identifizierten Kennwerten ersichtlich. So liegt der AIC-Wert im Grundmodell bei 1704,25 und im Wertemodell dann bei 1572,25. Die Modellverbesserung fällt demnach eher gering aus. Auch der mit der Log-Likelihood errechnete Wert sieht nur eine Verbesserung um 221 Einheiten. Ähnlich wie schon 2009 wird das Modell durch Ergänzung sozio-demographischer Kontrollvariablen nur marginal besser. Während das R2 nach Hosmer-Lemeshow im Wertemodell bei 0,123 liegt, steigt dieses im Kontrollmodell nur erkennbar im Bereich der dritten Dezimalstelle auf 0,127. Besonders stark ist der Erkenntnisgewinn durch die Inklusion der Parteiidentifikation und der Kandidatenorientierung im Gesamtmodell. Der für das AIC berechnete Wert sinkt um über 750 Einheiten. Darüber hinaus steigt das R2 auf einen Umfang von 0,54 Einheiten. Ferner ist auch der im Vergleich deutlich gesunkene Wert für die Log-Likelihood Ausdruck dessen, dass diese Prädiktoren eine hohe Erklärungskraft für das Wahlverhalten für die CDU/CSU bei der Bundestagswahl 2013 haben. Durch die in den geschachtelten Modellen ausgewiesenen Einflussgrößen lassen sich weitere Unterschiede feststellen. Sind 2009 im Werte- und im Kontrollmodell noch alle vier Dimensionen gesellschaftlicher Wertorientierungen in ihrem Einfluss auf das Wahlverhalten signifikant, so lässt sich für 2013 durchgehend kein signifikanter Einfluss einer kosmopolitisch-nationalistischen Wertorientierung feststellen (vgl. Tabelle 4.21).

Tabelle 4.21 Binär-logistische Regressionen – Wahl der CDU/CSU 2013

Im Gegensatz dazu sind auch 2013 durchaus signifikante Effekte von einer links-materialistischen, einer religiös-säkularen sowie einer postmaterialistisch-materialistischen Wertorientierung zu attestieren. Dies gilt aber nur so lange, bis die Parteiidentifikation sowie die Einschätzung der Spitzenkandidaten von CDU/CSU und SPD, Angela Merkel und Peer Steinbrück, als Prädiktoren im Gesamtmodell aufgenommen werden. Von den gesellschaftlichen Wertorientierungen bleibt ein signifikanter Effekt (p < 0,05) einzig durch eine materialistische Wertorientierung feststellbar. Demnach führt eine tendenziell mehr an der Ökonomie denn an der Ökologie ausgerichtete Grundhaltung mit höherer Wahrscheinlichkeit zu einer Wahl von CDU und CSU. Hoch signifikant (p < 0,001) sind ferner nur die im Gesamtmodell aufgenommenen Prädiktoren, also die Parteiidentifikation sowie die individuellen Einschätzungen gegenüber den Spitzenkandidaten von Union und SPD, Angela Merkel und Peer Steinbrück.

Dieser Eindruck bestätigt sich schließlich bei einer Analyse der Average Marginal Effects. Demnach hat eine materialistische Wertorientierung, wie auch in den für 2009 vorliegenden Daten der durchschnittlichen marginalen Effekte, einen signifikanten Effekt (p < 0,05) auf das Wahlverhalten für die Unionsparteien (vgl. Abbildung 4.39).

Abbildung 4.39
figure 39

(Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung, basierend auf den Daten von Rattinger et al. 2019b. Angegeben sind durchschnittliche marginale Effekte (in Prozentpunkten) und 95 %-Konfidenzintervalle, basierend auf Logit-Koeffizienten)

Average Marginal Effects Union 2013.

Dennoch sind auch hier die Einflussgrößen der Parteiidentifikation sowie die Haltung gegenüber der CDU/CSU-Kanzlerkandidatin Angela Merkel und dem SPD-Kanzlerkandidaten nicht nur deutlich stärker, sondern darüber hinaus auch hoch signifikant (p < 0,001). Mit einer steigenden Intensität der Parteiidentifikation und einer positiven Bewertung von CDU/CSU-Kanzlerkandidatin Merkel geht demnach eine höhere Wahrscheinlichkeit einher, die Unionsparteien zu wählen, wohingegen eine positive Bewertung des SPD-Kanzlerkandidaten Steinbrück den gegenteiligen Effekt hat. Der gemessene durchschnittliche Effekt beträgt für eine Identifikation mit den Unionsparteien 7,0 Prozent, für eine positive Bewertung der CDU/CSU-Kanzlerkandidatin liegt dieser bei 4,9 Prozent.

Von den hier untersuchten vier Dimensionen gesellschaftlicher Wertorientierungen haben in der Tat bei der Bundestagswahl 2013 drei ebendieser einen signifikanten Effekt auf die Parteiidentifikation und nur eine auf die tatsächliche Wahlentscheidung, zumindest im Rahmen der hier vorgenommenen Modellierung. Auf die Parteiidentifikation wirken demnach sowohl eine rechts-materialistische, eine religiöse sowie eine materialistische Wertorientierung ein (vgl. Abbildung 4.40).

Abbildung 4.40
figure 40

(Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung, basierend auf den Daten von Rattinger et al. 2019b. \(x^{2}\) = 47,046; CFI = 0,972; RMSEA = 0,058)

Pfadmodell Union 2013.

Insbesondere der Effekt durch eine religiöse Orientierung sticht deutlich hervor, wenngleich dies auch auf die sich unterscheidende Skalierung der jeweils operationalisierten Dimensionen zurückführbar sein könnte. Die drei beobachteten Effektstärken sind jeweils in hohem Maße signifikant (p < 0,001). Darüber hinaus zeichnet sich seitens der Parteiidentifikation ein hoher positiver und zudem hoch signifikanter Effekt (p < 0,001) auf die Bewertung der CDU/CSU-Spitzenkandidatin Merkel ab. Ein starker negativer Effekt, der gleichermaßen hoch signifikant ist, entfaltet sich wiederum auf die Einschätzung des SPD-Kanzlerkandidaten Steinbrück. Von diesen Kandidatenbewertungen gehen wiederum hoch signifikante Effekte auf die Wahlentscheidung aus. In der Summe zeigt sich, dass der Effekt, der direkt seitens der Parteiidentifikation auf das Wahlverhalten zu beobachten ist, deutlich stärker und gleichermaßen hoch signifikant ist. Darüber hinaus ist es so, dass ein signifikanter Effekt (p < 0,05) durch eine materialistische Wertorientierung auf das Wahlverhalten zu Gunsten von CDU und CSU bei der Bundestagswahl 2013 zu beobachten ist. Interessant ist hier aber auch anzuführen, dass eine nationalistische Wertorientierung, anders als noch 2009, keinen signifikanten Effekt auf eine Identifikation mit den Unionsparteien hat.

Der Modell-Fit ist gemäß des CFI (0,972) und des RMSEA (0,058) als gut bis akzeptabel einzuordnen. Demnach kann mit dem vorliegenden Modell das Wahlverhalten für die Unionsparteien bei der Bundestagswahl 2013 hinreichend erklärt werden.

4.3.1.3 Bundestagswahl 2017

Auch bei der Bundestagswahl 2017 besteht durch gesellschaftliche Wertorientierungen durchaus eine messbare Erklärungskraft auf das Wahlverhalten, doch ist diese weit weniger umfangreich als zunächst zu vermuten gewesen wäre. Das berechnete AIC sinkt so von 1856,17 im Grundmodell auf 1723,71 im Wertemodell. Auch die durch die Log-Likelihood berechnete Differenz zwischen beiden Modellen beträgt 146 Einheiten und ist somit Ausdruck einer nur marginalen Verbesserung. Durch die Ergänzung der sozio-demographischen Variablen im Kontrollmodell verbessert sich das Modell sogar gemäß Δ−2LL nur um acht Einheiten. Besonders klar verbessert sich das Modell dann durch die Ergänzung der Parteiidentifikation und der Kandidatenorientierung. So sinkt nicht nur das AIC auf 1068,22 und der für die Log-Likelihood errechnete Wert auf 1082, sondern darüber hinaus nimmt auch die durch das R2 nach Hosmer-Lemeshow erklärte Modellgüte auf 0,42 zu. Dieses liegt im Wertemodell noch bei knapp unter und beim Kontrollmodell knapp über 0,08. Die Erklärungskraft durch gesellschaftliche Wertorientierungen ist so zwar vorhanden, wird jedoch durch die klassischen Prädiktoren der Wahlforschung, gemäß des Michigan-Modells, deutlich in seiner Bedeutung in die Schranken gewiesen. Nichtsdestotrotz liegen Effekte vor, die auch entsprechend gewürdigt werden müssen. So ist zunächst erwähnenswert, dass auch hier die Konfliktlinie zwischen einer kosmopolitischen Wertorientierung einerseits und einer nationalistischen Wertorientierung andererseits keinen signifikanten Einfluss auf die Wahlentscheidung für die CDU/CSU hat. Demgegenüber hat eine religiöse Wertorientierung über alle Modelle hinweg einen hoch signifikanten (p < 0,001) und positiven Einfluss auf die Wahl von CDU und CSU. Darüber hinaus hat auch eine materialistische Wertorientierung im Gesamtmodell für 2017 einen signifikanten Einfluss (p < 0,05) auf das Wahlverhalten jener Individuen, die für die Unionsparteien votieren. Wie auch bei den vorangegangenen Wahlen sind für die Wähler von CDU und CSU die Parteiidentifikation sowie die Kandidatenorientierung hoch signifikante Prädiktoren (p < 0,001) für ihr Wahlverhalten. Es zeigt sich, dass jene Muster, die sich auch bei den Analysen der Bundestagswahlen 2009 und 2013 bereits abgezeichnet haben, auch für 2017 ihre Gültigkeit bewahren (vgl. Tabelle 4.22).

Tabelle 4.22 Binär-logistische Regressionen – Wahl der CDU/CSU 2017

Durch die Berechnung der Average Marginal Effects wird dieser Eindruck zumindest in Teilen empirisch widerlegt. Eine materialistische Wertorientierung wird demnach als nicht signifikanter Prädiktor ausgewiesen. Demgegenüber steht mit der Konfliktlinie zwischen einer religiösen und säkularen Wertorientierung eine nennenswerte Effektgröße, die nun viel dominierender auf das Wahlverhalten einwirkt. So beeinflusst eine religiöse Wertorientierung das Wahlverhalten für die Unionsparteien nicht nur hoch signifikant (p < 0,001), sondern auch in einem nicht unwesentlichen Umfang. Mit jeder Einheit, die ein Individuum als religiöser eingestuft wird, steigt die Wahrscheinlichkeit der Unionswahl um durchschnittlich 1,99 Prozent. Zwar entfalten hier in der Tat die Parteiidentifikation und die Bewertung der CDU/CSU-Spitzenkandidatin Merkel stärkere Effekte auf das Wahlverhalten, doch sind diese zum Beispiel für den SPD-Kanzlerkandidaten Schulz geringer als jene der säkularen Wertorientierung (vgl. Abbildung 4.41).

Abbildung 4.41
figure 41

(Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung, basierend auf den Daten von Roßteutscher et al. 2019. Angegeben sind durchschnittliche marginale Effekte (in Prozentpunkten) und 95 %-Konfidenzintervalle, basierend auf Logit-Koeffizienten)

Average Marginal Effects Union 2017.

Fraglich ist dann aber, ob diese Effekte tatsächlich auch signifikant bleiben, wenn diese im Rahmen des Pfadmodells dargestellt und analysiert werden, welches der Grundlogik des Kausaltrichters der Wahlentscheidung folgt. Dabei zeigt sich, dass eine religiöse ebenso wie eine materialistische Wertorientierung durchaus das Wahlverhalten für die CDU/CSU bei der Bundestagswahl 2017 zwar in nur geringem Umfang, aber signifikant (p < 0,05) beeinflussen. Ferner ist es so, dass alle vier Dimensionen gesellschaftlicher Wertorientierung hier wieder in besonderem Maße auch die Ausbildung und Stärke einer Identifikation mit der CDU/CSU klar beeinflussen. Die zu beobachtenden Effektstärken variieren hier aber sehr stark. So hat eine nationalistische Wertorientierung nur einen geringfügigen Effekt, ist doch der dafür berechnete Regressionskoeffizient von 0,050 äußerst sehr gering. Demgegenüber hat eine religiöse Wertorientierung mit einem dafür errechneten Regressionskoeffizienten von 0,254 einen sehr starken positiven Effekt auf die Entstehung und Stärke der Parteiidentifikation. Diese wirkt dann wiederum in einem starken und positiven Umfang auf die Bewertung der CDU/CSU-Kanzlerkandidatin Merkel, während zum SPD-Kanzlerkandidaten Schulz ein starker negativer Effekt erfasst werden kann (vgl. Abbildung 4.42).

Abbildung 4.42
figure 42

(Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung, basierend auf den Daten von Roßteutscher et al. 2019. \(x^{2}\) = 138,996; CFI = 0,871; RMSEA = 0,099)

Pfadmodell Union 2017.

Demnach führt eine hohe Identifikation mit den Unionsparteien zu einer positiven Evaluation von Angela Merkel, wohingegen sie beim SPD-Kandidaten Martin Schulz zu einer negativen Bewertung führt. In der Summe wirken diese Effekte dann in geringem Umfang – von den Kandidaten – auch weiter auf das Wahlverhalten an sich, wenngleich insbesondere der direkte Effekt der Parteiidentifikation auf das Wahlverhalten stark und auch hoch signifikant (p < 0,001) ist.

Nichtsdestotrotz ist der Modell-Fit des vorliegenden Modells als eher suboptimal einzuordnen. Der CFI-Wert (0,871) liegt noch knapp unter dem wichtigen Grenzwert von 0,9. Der RMSEA-Wert (0,099) ist als inakzeptabel zu bezeichnen. Demnach ist zumindest festzustellen, dass das hier vorgelegte Modell das Wahlverhalten für die Union im Bundestagswahljahr 2017 nicht optimal erklärt.

Es gibt zwei Möglichkeiten, wie in der vorliegenden Situation mit diesen Ergebnissen umzugehen ist. Die erste Option besteht in einer Respezifikation und die zweite darin, dass die nicht optimale Modellgüte hingenommen wird. Problematisch bei der Respezifikation von Modellen sind verschiedene Dinge. Zum einen gibt es „de facto keine allgemein gültigen Kriterien für die Bewertung eines Modells anhand dieser grundsätzlichen deskriptiven Maße der ‚annähernden‘ Modellgüte“ (Aichholzer 2017, S. 129). Die hier vorgestellten Modell-Fits sind demnach nur eine Herangehensweise zur Bewertung einer Modellgüte. Dies ist vor allem dadurch zu erklären, da sie primär zur Bewertung von Modellen mit latenten Variablen herangezogen werden und geeignet sind. Darüber hinaus werden rein statistische Kriterien herangezogen, weshalb eine Modellspezifikation auch dazu führen kann, dass dadurch Verknüpfungen entstehen, die theoretisch nicht zu begründen (Aichholzer 2017, S. 132) oder gar theoretisch irrelevant sind (Arzheimer 2016, S. 63). Auch statistisch kann die Ergänzung weiterer Modellpfade dazu führen, dass ein Modell übersättigt wird, also zwar alles erklärt, aber keine Varianz mehr zulässt, da sämtliche Faktoren als Einflussgrößen berücksichtigt werden. Aus diesem Grund wird in der Forschungsliteratur auch darauf verwiesen, dass es in dieser Frage keine einfachen Ja-oder-Nein-Antworten gibt, sondern das Erkenntnisinteresse als Entscheidungsgrundlage dienen soll (Kline 2016, S. 263–264). Die Logik bei Pfadmodellen ist, dass bestimmte Daten in eine Corsage gepresst werden, in der manche Pfade beispielsweise aufgrund eines theoretisch motivierten Erkenntnisinteresses ein- oder – auch mit Blick auf die Übersättigung – ausgeblendet werden müssen. Eine Analyse der entsprechenden Pfade, die zu einer Verbesserung der Modellgüte führen würden, zeigt in der Tat, dass der ursächliche Grund darin besteht, dass es eine Querverbindung zwischen gesellschaftlichen Wertorientierungen und der Evaluation der jeweiligen Spitzenkandidaten von CDU/CSU und SPD gibt, die die Modellgüte erhöhen würde. Demnach wirken gesellschaftliche Wertorientierungen durchaus auf die entsprechende Kandidatenbewertung ein. Damit würde zwar in der Tat die Erklärungskraft für das Wahlverhalten verbessert, gleichzeitig aber die theoretische Logik der vorliegenden Untersuchung verletzt und eine Übersättigung des Modells entstehen. Insbesondere die Verletzung der theoretischen Logik des Trichters der Wahlentscheidung, in welchem zwischen Wertorientierungen und der Kandidatenorientierung keine direkte Beziehung besteht, erscheint daher als problematisch. Durchaus ist es zwar so, dass gesellschaftliche Wertorientierungen im Ursprungsmodell von Dalton (1988) auch keinen direkten Einfluss auf das Wahlverhalten haben, doch wurden hier hinreichende theoretische Gründe und Gedanken dargelegt, die diese Modifikation in der vorliegenden Untersuchung rechtfertigen.

Da der Kerngedanke der vorliegenden Arbeit, wie im Forschungsdesign erläutert, einem x-zentrierten Design folgt, also der Analyse und Identifikation von Effekten unabhängiger Variablen auf die abhängige Variable und somit dem Einfluss von gesellschaftlichen Wertorientierungen auf das Wahlverhalten an sich, erscheinen vor allem diese Pfade weiterhin als zentral – die indirekte Wirkung der gesellschaftlichen Wertorientierungen über die Parteiidentifikation bleibt als Erklärungsgröße daher weiterhin relevant. Demnach wird hier und im Folgenden auf die möglicherweise nicht optimale Modellgüte hingewiesen, jedoch keine Respezifikation der Modelle vorgenommen. Stattdessen ergibt sich daraus die Notwendigkeit, bisherige theoretische Überlegungen in Zukunft zu re-evaluieren und entsprechende Modelle möglicherweise zu überarbeiten.

Ferner ist es so, dass durch die hier vorgenommenen Pfadanalysen, wie beispielsweise jener für die Union zur Bundestagswahl 2009, der zunächst signifikante Effekt einzelner Wertorientierungen, gemäß der binär-logistischen Regressionsanalyse sowie der Average Marginal Effects, schließlich als nicht signifikant zurückgewiesen werden muss. Die Berechnung der Pfadmodelle macht es demnach erheblich schwieriger, jene Effekte, die in der Forschungsfrage und den dazu aufgestellten Hypothesen postuliert wurden, zu bestätigen. Es kommt folglich sogar zu einer kritischeren Auseinandersetzung mit den hier formulierten Überlegungen, die diese Ergebnisse und Erkenntnisse umso wertvoller machen. An der Vorgehensweise, keine Modellspezifikationen vorzunehmen, wird demnach im Folgenden festgehalten.

Doch wie ist dann, gemessen an den hier vorgestellten Ergebnissen, der Einfluss gesellschaftlicher Wertorientierungen auf das Wahlverhalten zu Gunsten von CDU und CSU bei den Bundestagswahlen 2009, 2013 und 2017 abschließend zu bewerten? Dies soll im nun folgenden Kapitel erläutert werden.

4.3.1.4 Zusammenfassung der CDU/CSU-Wahl 2009 bis 2017

Gesellschaftliche Wertorientierungen haben einen Einfluss auf die Wähler der Unionsparteien, jedoch anders als hier zu Anfang postuliert. Zu den vorgelegten Ergebnissen gehört zuallererst die Erkenntnis, dass das Wahlverhalten für die Unionsparteien nur bei den Bundestagswahlen 2013 und 2017 direkt sowie signifikant durch Wertorientierungen beeinflusst wird. Dabei zeigt sich, dass die Annahme, das Wahlverhalten für die Union werde vor allem durch die religiös-säkulare Konfliktdimension geprägt, nicht haltbar ist. So hat eine religiöse Wertorientierung ausschließlich bei der Bundestagswahl 2017 einen direkten und signifikanten Effekt auf das Wahlverhalten der Individuen, die für CDU und CSU stimmen. Tatsächlich ist es die Ausrichtung an einer materialistischen Wertorientierung, die in den hier vorgestellten Analysemodellen zumindest über zwei Analysezeitpunkte hinweg – die Bundestagswahlen 2013 und 2017 – einen direkten Effekt zu entfalten vermag.

Für die Unionsparteien zeigt sich dabei zweierlei: Religiöse Individuen mögen so zwar auch weiterhin innerhalb der eigenen Wählerschaft überrepräsentiert und das Elektorat an sich vergleichsweise religiös sein, doch ist daraus kein signifikanter direkter Effekt auf die Unionswahl abzuleiten. Demnach bricht hier eine Einflussgröße weg, die für die Union über Jahrzehnte existenziell wichtig war. Die Gründe dafür, dass es 2017 wiederum einen direkten Effekt auf das Wahlverhalten gibt, können hier nicht abschließend bewertet werden. Sie bedürfen einer langfristigen Untersuchung – auch um festzustellen, ob es sich hierbei um eine singuläre Beobachtung handelt oder womöglich eine zunehmende Rückkehr des Religiösen in der Unionswählerschaft.

Darüber hinaus zeigt sich, dass gesellschaftliche Wertorientierungen als Prädiktor vor allem auf die Parteiidentifikation mit der CDU/CSU einwirken. Vor allem eine religiöse sowie eine materialistische Wertorientierung haben hier einen klaren Effekt, wohingegen eine nationalistische Wertorientierung entweder nur einen geringen Effekt hat oder tatsächlich als Prädiktor nicht signifikant ist. Aus dieser Erkenntnis wiederum wird verständlich, weshalb gesellschaftliche Wertorientierungen im Rahmen von geschachtelten Modellierungen an Vorhersagekraft einbüßen, sobald die Parteiidentifikation als Determinante für das Wahlverhalten herangezogen wird. Die Parteiidentifikation bleibt so über alle Zeitpunkte hinweg für die Wähler der Unionsparteien ein starker und signifikanter Prädiktor, wird aber, wie auch im Kausaltrichter der Wahlentscheidung, in nicht unwesentlichem Umfang durch gesellschaftliche Wertorientierungen direkt beeinflusst. Die Effekte, welche gesellschaftliche Wertorientierungen für die Wähler von CDU und CSU auf ihr Wahlverhalten haben, sind im direkten Vergleich nahezu unbedeutend, aber nichtsdestotrotz vorhanden. Primär entfalten diese aber weiterhin einen eher indirekten Effekt auf das Wahlverhalten. Zusammenfassend muss so jene Hypothese, die einen Effekt einer religiösen Wertorientierung auf das Wahlverhalten zu Gunsten der CDU/CSU postulierte, für die Bundestagswahlen 2009 und 2013 zurückgewiesen werden. Allerdings kann sie für den Fall der Bundestagswahl 2017 angenommen werden. Nichtsdestotrotz sind die Resultate bedeutend geringer als zunächst angenommen.

Jene Hypothese, die einen direkten Einfluss einer nationalistischen Wertorientierung auf das Wahlverhalten für die Unionsparteien bei den Bundestagswahlen 2009 und 2013 postulierte, muss vollends zurückgewiesen werden. Die entsprechenden Effekte sind so nicht zu beobachten. Argumentationsmuster, in welchen angeführt wird, die CDU/CSU habe über lange Zeit nationalistisch gesinnte Wähler an sich binden können, mögen so zwar auch weiterhin Gültigkeit haben, doch lassen sich auf Ebene einer Analyse dezidierter gesellschaftlicher Wertorientierungen dafür keine Anhaltspunkte finden – zumindest im hier beobachteten Zeitraum. Untersuchungen wie etwa jene von Wurthmann et al. (2020) verfolgen den Zweck, nationalistische beziehungsweise migrationskritische Einstellungen als hinreichenden Grund dafür zu identifizieren, weshalb Individuen beispielsweise aus der Wählerschaft der Unionsparteien zur AfD abgewandert sind. Dieser durchaus richtige Befund darf jedoch keineswegs von eher kurzfristig angelegten Einstellungen auf viel komplexere Muster wie die einer gesellschaftlichen Wertorientierung eins-zu-eins übertragen werden. Allein die Langfristigkeit von Wertorientierungen als solche ist hier besonders erwähnenswert. Daraus erwächst dann aber wiederum die konkrete Möglichkeit, entsprechende Wähler, die beispielsweise bei der Bundestagswahl 2017 zur AfD abwanderten, womöglich wieder an sich binden zu können, scheinen hier zunächst noch keine graduellen Veränderungen bestehender Wertemuster stattgefunden zu haben.

Dass sich eine materialistische Wertorientierung bei zwei von drei Bundestagswahlen als signifikanter Prädiktor auf das Wahlverhalten erweist, zeigt darüber hinaus, dass die Unionsparteien, ähnlich wie zur Gründungsphase der Grünen, auch heute noch ein Ansprechpartner für entsprechend materialistisch orientierte Individuen sind. Zwar hat die Union für diese, wie die Analyse im weiteren Verlauf zeigen wird, keinen alleinigen Vertretungsanspruch, was jedoch nicht darüber hinwegtäuschen darf, welche Bedeutung diese Ergebnisse an sich haben. Wähler der CDU und CSU entscheiden sich, in Abwägung von ökonomischen und ökologischen Grundfragen, neben weiteren Faktoren, auch aufgrund einer eher ökonomischen Priorisierung für die Union. Es gelingt ihr folglich weiterhin, eher wirtschaftsorientierte Wähler an sich zu binden, wird dadurch zumindest eine Identifikation mit der CDU/CSU wahrscheinlicher. Dass wiederum keine direkten Effekte auf das Wahlverhalten durch diese Konfliktlinie festzustellen sind, mag auch Ausdruck der eher moderaten Position der Unionsparteien sein, die eine allzu große Polarisierung verhindert.

Insbesondere die mehrschrittige Vorgehensweise von logistischen Regressionsanalysen über Average Marginal Effects und schließlich die Pfadmodelle ist im Fall der Wähler von CDU und CSU bei den Bundestagswahlen 2009 bis 2017 angemessen. Vor allem auch für das Wahlverhalten bei der Wahl im Jahr 2009 ist dies mit Nachdruck zu betonen. Erst durch die Anwendung und Berechnung von Pfadmodellen wird ersichtlich, dass hier gesellschaftliche Wertorientierungen keine direkte Wirkung auf das Wahlverhalten entfalten können. Demnach kann die hier angewendete Vorgehensweise zwar keine umfassenden direkten Effekte gesellschaftlicher Wertorientierungen auf das Wahlverhalten nachweisen, wohl aber indirekte Effekte, die sich über die Parteiidentifikation schlussendlich auf eben dieses auswirken und durch geringfügige direkte Effekte ergänzt werden.

4.3.2 Wahlverhalten zu Gunsten der SPD

In der nun folgenden Analyse soll – analog zum Wahlverhalten für die Unionsparteien – dieses für die SPD bei den Bundestagswahlen 2009, 2013 und 2017 analysiert werden. Dabei wird in Abschnitt 4.3.2.1 zunächst das Wahlverhalten für die SPD bei der Bundestagswahl 2009 erläutert. Im darauffolgenden Abschnitt 4.3.2.2 wird das Wahlverhalten bei der Bundestagswahl 2013 analysiert, um in Abschnitt 4.3.2.3 die Einflussgrößen beim Wahlverhalten für die SPD bei der Bundestagswahl 2017 zu erörtern. In Abschnitt 4.3.2.4 werden die Ergebnisse zusammengefasst.

4.3.2.1 Bundestagswahl 2009

Für das Wahlverhalten der SPD-Wählerschaft im Bundestagswahljahr 2009 liefert eine Analyse des konkreten Wahlverhaltens beziehungsweise der Messung der tatsächlichen Effekte einige interessante Erkenntnisse. So ist hier zunächst ein ähnlicher Trend zu beobachten wie innerhalb der Unionswählerschaft. Festzustellen ist, dass gesellschaftliche Wertorientierungen nur geringfügig in der Lage sind, die bei der Erfassung des Wahlverhaltens entstehende Varianz zu erklären. Erkennbar ist dies explizit im Rahmen der Modellierung geschachtelter Modelle im Zwischenschritt vom Grundmodell, welches nur die Konstante enthält, zum Wertemodell. So sinkt der Wert des AIC hier von 990,78 auf 962,04. Auch der für die Log-Likelihood errechnete Wert sinkt nur marginal um 38 Einheiten. Das Wertemodell ist gemessen am R2 nach Hosmer-Lemeshow nicht in der Lage, das Wahlverhalten zu Gunsten der SPD zu erklären, liegt der dafür errechnete Wert hier doch bei 0,03. Dieser steigt dann unter Einbezug sozio-demographischer Kontrollvariablen geringfügig auf 0,07 – tatsächlich ist der durch die Log-Likelihood ausgewiesene Kennwert für den Einbezug dieser Variablen mit 47 Einheiten größer als jener Mehrwert durch die gesellschaftlichen Wertorientierungen. Einen deutlichen Zuwachs wiederum macht die Inklusion der Parteiidentifikation und der Kandidatenorientierung aus. Alle dafür errechneten Kennwerte zeigen eine deutlich höhere Erklärungskraft an. So steigt das R2 nach Hosmer Lemeshow auf 0,42. Auch das AIC sinkt auf den Wert 578,48. Verglichen zum AIC-Ausgangswert von 990,78 ist dies demnach eine deutliche Verbesserung. Eine konkrete Analyse der hier relevanten Prädiktoren wiederum offenbart, dass das Wahlverhalten für die SPD nur bis zum Einbezug der Parteiidentifikation und der Kandidatenorientierung signifikant durch eine links-materialistische sowie eine kosmopolitische Wertorientierung erklärt werden kann (vgl. Tabelle 4.23).

Tabelle 4.23 Binär-logistische Regressionen – Wahl der SPD 2009

Dabei ist die Beeinflussung einer links-materialistischen Wertorientierung auf das Wahlverhalten sowohl im Wertemodell als auch im Kontrollmodell signifikant, für eine kosmopolitische Wertorientierung lässt sich ein derartiger Effekt einzig im Kontrollmodell feststellen. Die Parteiidentifikation mit der SPD hat im Gesamtmodell, neben einer negativen Evaluation der CDU/CSU-Spitzenkandidatin und einer positiven Bewertung des SPD-Kandidaten Steinmeier, einen hoch signifikanten Effekt (p < 0,001) auf das Wahlverhalten.

Eine sich dem anschließende Analyse der Average Marginal Effects bestätigt diesen Eindruck. Tatsächlich haben gesellschaftliche Wertorientierungen bei der Bundestagswahl 2009 keinen signifikanten Effekt auf das Wahlverhalten zu Gunsten der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Als besonders erklärungsstark erweist sich hier, ähnlich wie bei der Analyse des Wahlverhaltens für die Unionsparteien bei der Bundestagswahl 2009, die Existenz und Intensität einer Parteiidentifikation mit der SPD. Die Wahrscheinlichkeit einer SPD-Wahl steigt demnach durchschnittlich um 6,6 Prozent, je intensiver eine empfundene Parteiidentifikation ist. Darüber hinaus sind die Ablehnung der Unionskandidatin Merkel und die Zustimmung zum SPD-Kandidaten Steinmeier als signifikante Prädiktoren auszumachen. In der Summe bestätigen diese Ergebnisse zunächst den Eindruck der geschachtelten Regressionsmodelle. Gesellschaftliche Wertorientierungen haben demnach unter Einbezug der Variablen des Michigan-Modells keinen direkten und signifikanten Effekt auf das Wahlverhalten zu Gunsten der SPD bei der Bundestagswahl 2009 (vgl. Abbildung 4.43).

Abbildung 4.43
figure 43

(Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung, basierend auf den Daten von Rattinger et al. 2019a. Angegeben sind durchschnittliche marginale Effekte (in Prozentpunkten) und 95 %-Konfidenzintervalle, basierend auf Logit-Koeffizienten)

Average Marginal Effects SPD 2009.

Fraglich ist demnach aber, ob nicht die Identifikation mit der SPD durch diese Prädiktoren signifikant beeinflusst wird. Dies ist in der Tat der Fall, wobei insbesondere einer links-materialistischen Wertorientierung ein entsprechender Effekt attestiert werden kann. Gleiches gilt auch für eine postmaterialistische Wertorientierung. Zwar ist der konkrete Effekt durch eine links-materialistische Wertorientierung deutlich höher als jener einer postmaterialistischen, doch handelt es sich bei beiden um hoch signifikante (p < 0,001) Einflussgrößen. Ferner ist festzustellen, dass eine kosmopolitische Wertorientierung einen ebenso klar signifikanten Effekt (p < 0,01) auf die Stärke der Parteiidentifikation hat, wenngleich es sich hier um keinen hohen Effekt handelt. Die Parteiidentifikation wiederum wirkt dann sehr stark und positiv auf das Wahlverhalten für die SPD, darüber hinaus aber auch sehr stark auf eine positive Bewertung des SPD-Kanzlerkandidaten Steinmeier ein. Die Bewertung der CDU/CSU-Kandidatin Merkel wiederum wird entsprechend stark negativ beeinflusst. Von beiden lassen sich dann wiederum schwache Effekte auf das Wahlverhalten ableiten. Die Parteiidentifikation bleibt folglich der stärkste Prädiktor für eine Wahlentscheidung zu Gunsten der SPD (vgl. Abbildung 4.44).

Abbildung 4.44
figure 44

(Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung, basierend auf den Daten von Rattinger et al. 2019a. \(x^{2}\) = 101,973; CFI = 0,819; RMSEA = 0,108)

Pfadmodell SPD 2009.

Das entsprechende Modell zeigt eine unzureichende Anpassungsgüte (CFI = 0,819; RMSEA = 0,108), liegen doch die dafür berechneten Werte der Modell-Fits in beiden Fällen klar außerhalb des Toleranzbereichs. So kann das vorliegende Modell die Wahl der SPD, basierend auf den vorliegenden Daten, nur unzureichend erläutern, zeigt aber dennoch, dass der Effekt von gesellschaftlichen Wertorientierung einzig indirekt über die Parteiidentifikation auf das Wahlverhalten zu Gunsten der SPD einwirkt.

4.3.2.2 Bundestagswahl 2013

Bundestagswahl 2013 lassen sich im Wesentlichen keine allzu großen Veränderungen zu 2009 feststellen. Auffällig ist jedoch, dass die Erklärungskraft gesellschaftlicher Wertorientierungen im direkten Vergleich zu 2009 nachgelassen hat. Eine ähnliche Beobachtung wurde schon für die Unionswählerschaft gemacht. So sinken die für das AIC und die Log-Likelihood berechneten Kennwerte zwischen dem Grundmodell und dem Wertemodell tatsächlich nur marginal. Auch die Addition von sozio-demographischen Kontrollvariablen erhöht die prädiktive Kraft des Modells nur geringfügig. Nichtsdestotrotz weist der durch die Log-Likelihood ausgewiesene Kennwert eine stärkere Modellverbesserung durch Einbezug sozio-demographischer Variablen aus als durch die Inklusion gesellschaftlicher Wertorientierungen. Auch steigt das R2 nach Hosmer-Lemeshow von 0,01 im Wertemodell auf 0,03 im Kontrollmodell. Erst mit Ergänzung jener Variablen, die auch im Michigan-Modell der Wahlforschung eine exponierte Rolle einnehmen, also unter anderem die Parteiidentifikation sowie die Kandidatenorientierung, gewinnt das Modell an enormer Erklärungskraft. So sinkt der für das AIC berechnete Wert von 1546,22 im Grundmodell auf 828,49 im Gesamtmodell. Darüber hinaus sinkt auch der Log-Likelihood-Wert von 1588,0 im Grundmodell auf 837,8 im Gesamtmodell. Gemessen am ∆−2LL zeigt sich, dass die gewonnene Erklärungskraft durch die Addition der Parteiidentifikation und Kandidatenorientierung im Gesamtmodell nahezu das 27-fache der Verbesserung ausmacht, die sich durch die Ergänzung von gesellschaftlichen Wertorientierungen im Wertemodell zum Grundmodell ergibt. Ferner ist zu konstatieren, dass die vier Dimensionen, welche die Konfliktlinien gesellschaftlicher Wertorientierungen abbilden, keinen signifikanten Einfluss auf eine Wahlentscheidung zu Gunsten der SPD haben. Sobald die Parteiidentifikation und die Kandidatenorientierung als Prädiktoren ergänzt werden, werden diese als Einflussgröße als nicht signifikant ausgewiesen. Bereits zuvor zeigt sich, dass beispielsweise eine Positionierung auf der Konfliktachse zwischen Links-Materialismus und Rechts-Materialismus auf die Wahlentscheidung nicht signifikant einwirkt. Dass jene Konfliktlinie, welche für die Entstehung der Sozialdemokratie konstitutiv ist, verbirgt sich hinter dieser doch der für die Partei wichtige Sozialstaatskonflikt, keinen Einfluss auf das Wahlverhalten eben dieser hat, ist durchaus eine wichtige Diagnose. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass sich die SPD bis heute über diese historischen Wurzeln definiert (vgl. Tabelle 4.24).

Tabelle 4.24 Binär-logistische Regressionen – Wahl der SPD 2013

Eine Interpretation der jeweiligen Effektstärken, unter Zuhilfenahme der Average Marginal Effects, zeigt darüber hinaus, dass die Parteiidentifikation als Einflussgröße auf das Wahlverhalten an Bedeutung gewinnt. Mit der steigenden Intensität einer jeweiligen Parteiidentifikation steigt auch die Wahrscheinlichkeit der SPD-Wahl (vgl. Abbildung 4.45).

Abbildung 4.45
figure 45

(Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung, basierend auf den Daten von Rattinger et al. 2019b. Angegeben sind durchschnittliche marginale Effekte (in Prozentpunkten) und 95 %-Konfidenzintervalle, basierend auf Logit-Koeffizienten)

Average Marginal Effects SPD 2013.

Wurde ein solches Verhalten 2009 noch mit der steigenden Intensität um durchschnittlich 6,6 Prozent je jeweiligem Schritt wahrscheinlicher, beträgt dieser Wert für die SPD-Wahl im Bundestagswahljahr 2013 rund 8,3 Prozent. Gleichzeitig wird die Einflussgröße der Orientierung am eigenen Kanzlerkandidaten für die SPD-Wähler unwichtiger, bleibt aber weiterhin ein hoch signifikanter Prädiktor (p < 0,001). Als ebenso signifikant erweist sich weiterhin die ablehnende Haltung gegenüber der CDU/CSU-Kanzlerkandidatin Merkel. Darüber hinaus sind zumindest mit dieser Verfahrensweise keine weiteren signifikanten Effektstärken zu erfassen.

Dieser Eindruck verfestigt sich bei der Pfadmodellierung für das Wahlverhalten zu Gunsten der SPD bei der Bundestagswahl 2013. Gesellschaftliche Wertorientierungen haben demnach keinerlei direkten signifikanten Einfluss auf die SPD-Wahl. Es lassen sich allerdings signifikante Effekte auf die Parteiidentifikation nachweisen. Besonders deutlich und hoch signifikant (p < 0,001) wirkt eine postmaterialistische Wertorientierung auf ebendiese ein. Ferner klar signifikant (p < 0,01) wirken eine links-materialistische und eine säkulare Wertorientierung auf sie ein, allerdings bedeutend schwächer. Eine kosmopolitische oder nationalistische Wertorientierung wiederum haben keinen Effekt auf eine Identifikation mit der SPD. Diese wirkt wiederum ihrerseits hoch signifikant (p < 0,001) auf die Einschätzung der Kanzlerkandidaten von CDU/CSU und SPD ein. Dabei zeigt sich, dass eine Identifikation mit der SPD weitaus höher in einem negativen Ausmaß auf die CDU/CSU-Kandidatin Merkel wirkt als in einem positiven Umfang auf den eigenen SPD-Kandidaten Steinbrück. Von ihnen geht ein schwacher, signifikanter Effekt auf die SPD-Wahl aus (vgl. Abbildung 4.46).

Abbildung 4.46
figure 46

(Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung, basierend auf den Daten von Rattinger et al. 2019b. \(x^{2}\) = 123,818; CFI = 0,870; RMSEA = 0,101)

Pfadmodell SPD 2013.

Auch bei dem für die SPD-Wählerschaft zur Bundestagswahl 2013 berechneten Pfadmodell wird keine zufriedenstellende Modellgüte erreicht. Sowohl der CFI-Wert (0,870), als auch der RMSEA-Wert (0,101) deuten auf ein hohes Maß nicht erklärbarer Varianz hin, die durch das dargelegte Modell nicht erklärt werden kann. Die gemessenen Einflussgrößen gesellschaftlicher Wertorientierungen sind jedoch aussagekräftig und interpretierbar, obschon diese deutlich geringer ausfallen als zu vermuten gewesen wäre.

4.3.2.3 Bundestagswahl 2017

Zur Bundestagswahl 2017 wird die vorher schon durchaus prekäre Erklärungsleistung gesellschaftlicher Wertorientierungen auf das Wahlverhalten zu Gunsten der SPD noch geringer. Die Modellgüte des Wertemodells ist hier, gemessen an Hosmer-Lemeshows R2, mit einem Wert von 0,009 derart gering, dass sie als nahezu nichtsaussagend beurteilt werden muss. Auch die Verbesserung des AIC-Werts vom Grund- zum Wertemodell ist nur marginal. So zeigt sich darüber hinaus im weiteren Modellaufbau, dass insbesondere die Ergänzung der Parteiidentifikation und der Kandidatenorientierung eine besonders hohe Erklärungskraft für das individuelle Wahlverhalten zu Gunsten der SPD haben. Der Erklärungswert, der sich durch diese additiven Faktoren im Gesamtmodell erreichen lässt, entspricht gemäß des ∆−2LL dem 40-fachen Umfang jener Erklärungskraft, die einzig durch gesellschaftliche Wertorientierungen im Wertemodell erzielt wird. Durch die Ergänzung dieser Variablen steigt Hosmer-Lemeshows R2 auf 0,39 und der für das AIC ausgegebene Wert sinkt gleichzeitig deutlich auf 927,02 und der für die Log-Likelihood berechnete Wert auf 922,7 (vgl. Tabelle 4.25).

Tabelle 4.25 Binär-logistische Regressionen – Wahl der SPD 2017

Darüber hinaus zeigt die Modellierung in der hier vorgenommenen Schachtelung, dass gesellschaftliche Wertorientierungen – wie auch bei den vorangegangenen Analysezeitpunkten – keinen direkten signifikanten Effekt auf das Wahlverhalten zu haben scheinen, zumindest wenn die Parteiidentifikation und die Kandidatenorientierung in die Modellierung ergänzt werden. Im Werte- und Grundmodell lassen sich wiederum auch nur bedingt Effekte der jeweiligen Wertorientierungen nachweisen. Einzig eine links-materialistische Wertorientierung hat so einen zunächst klar signifikanten Effekt (p < 0,01) auf das Wahlverhalten. Auch für eine kosmopolitische Wertorientierung ist dies zunächst im Wertemodell festzustellen. In der Summe kann so zunächst dreierlei festgestellt werden: Erstens beeinflussen gesellschaftliche Wertorientierungen das Wahlverhalten zu Gunsten der SPD nicht direkt, zweitens ist ihre Erklärungskraft für die SPD-Wahl als maximal prekär einzuordnen und drittens hat eine hohe Identifikation mit der SPD einen ebenso positiven Effekt auf die Wahl der Partei wie auch eine positive Bewertung des SPD-Kanzlerkandidaten Schulz und eine negative Bewertung der Unionskandidatin Merkel (p < 0,001).

Auch die Berechnung der Average Marginal Effects bestätigt die Ergebnisse der Regressionsmodelle: Das Vorhandensein und die Intensität einer individuellen Parteiidentifikation mit der SPD ist der stärkste Prädiktor für die Wahl der SPD (vgl. Abbildung 4.47).

Abbildung 4.47
figure 47

(Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung, basierend auf den Daten von Roßteutscher et al. 2019. Angegeben sind durchschnittliche marginale Effekte (in Prozentpunkten) und 95 %-Konfidenzintervalle, basierend auf Logit-Koeffizienten)

Average Marginal Effects SPD 2017.

Mit jeder steigenden Intensitätsstufe einer SPD-Parteiidentifikation steigt die Wahrscheinlichkeit der SPD-Wahl um durchschnittlich 7,0 Prozent. Eine positive Bewertung von SPD-Kanzlerkandidat Schulz führt zu einer 3,0 Prozent höheren Wahrscheinlichkeit die SPD zu wählen – je Bewertungsstufe, wohingegen eine positive Bewertung Merkels analog zu einer 1,5 Prozent niedrigeren Wahrscheinlichkeit die Partei zu wählen führt.

Bei der Berechnung des Pfadmodells zeigt sich dieser Trend noch einmal umso deutlicher. Gesellschaftliche Wertorientierungen haben bei der Bundestagswahl 2017 nicht nur keinen direkten Einfluss auf das Wahlverhalten zu Gunsten der Sozialdemokraten, sondern zudem auch nur noch in einem geringen Umfang überhaupt einen Einfluss auf die Parteiidentifikation. In der Tat wirkt sich eine links-materialistische Wertorientierung zwar signifikant auf die Ausbildung und Intensität einer Parteiidentifikation mit der SPD aus, allerdings ist dies der einzige zu beobachtende signifikante Effekt, den eine Wertorientierung im besagten Wahljahr unter SPD-Wählern überhaupt hat. Demnach führt eine den sozialen Ausgleich wertschätzende Grundhaltung zu einer höheren Identifikation mit der SPD. Die Parteiidentifikation wirkt dann, wie auch theoretisch zu erwarten, auf die Kandidatenorientierung. Dabei ist der positive Einfluss auf die Einschätzung des SPD-Kanzlerkandidaten Schulz nahezu doppelt so hoch wie ein ebenso vorhandener negativer Einfluss auf die Einschätzung der CDU/CSU-Kanzlerkandidatin Merkel (vgl. Abbildung 4.48).

Abbildung 4.48
figure 48

(Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung, basierend auf den Daten von Roßteutscher et al. 2019. \(x^{2}\) = 180,175; CFI = 0,679; RMSEA = 0,113)

Pfadmodell SPD 2017.

Von beiden Kandidaten, die hier im Modell als Mediatoren fungieren, gehen dann wiederum nur noch geringfügige Effekte auf das Wahlverhalten 2017 aus. Besonders stark und signifikant wirkt auch hier, wie auch bereits in den Pfadmodellierungen für die Bundestagswahlen 2009 und 2013 festgestellt, vor allem die Parteiidentifikation auf die SPD-Wahl ein – dies allerdings direkt. Auch die Pfadmodellierung für das Wahlverhalten zu Gunsten der SPD bei der Bundestagswahl 2017 ist, gemessen an den Modell-Fits, nicht als ausschöpfend zu bezeichnen, ist doch der CFI-Wert (0,679) deutlich unter dem entsprechenden Schwellenwert, während der RMSEA-Wert (0,113) über ihm liegt. Das Modell eignet sich also nicht gut, um die Wahl der SPD voll ausschöpfend zu erklären. Da hier jedoch primär der Zweck verfolgt wird, den Effekt von gesellschaftlichen Wertorientierungen auf das Wahlverhalten entsprechend der hier dargelegten theoretischen Logik zu erklären, können diese Ergebnisse nur Anlass zur weiteren Forschung in dieser Frage geben.

4.3.2.4 Zusammenfassung der SPD-Wahl 2009 bis 2017

Zu den sicherlich überraschenden Ergebnissen der vorliegenden Studie gehört, dass gesellschaftliche Wertorientierungen einzig bei den Wählern der SPD zu keinem Zeitpunkt einen signifikanten direkten Effekt auf deren Wahlverhalten haben. Darüber hinaus zeigt sich, dass diese im Verlauf des hier analysierten Zeitraums in einem immer geringeren Umfang überhaupt noch auf eine Identifikation mit der Partei und die Intensität eben dieser einwirken. Die Motivation, sich allgemein noch mit der SPD zu identifizieren, lässt sich zumindest empirisch immer weniger mit einer entsprechenden Wertebindung begründen – zumindest mit der hier vorgenommenen Operationalisierung. Dabei ist jedoch eine links-materialistische Wertorientierung weiterhin, wenn auch in geringem Umfang, ein entsprechend signifikanter Prädiktor. Dennoch liefern gesellschaftliche Wertorientierungen allgemein nahezu keinen Beitrag für die Erklärung des Wahlverhaltens zu Gunsten der Sozialdemokraten.

Für die SPD ist die hier beschriebene Situation hochgradig problematisch. Sie wirft aus wissenschaftlicher Sicht die Frage auf, weshalb Individuen sich überhaupt noch mit der SPD identifizieren oder diese wählen, wenn es so zu sein scheint, dass Werte oder an ihnen ausgerichtete Orientierungen nicht ursächlich dafür sind – im Verlauf abnehmende Prädiktorstärken lassen zumindest vermuten, dass diese in der Vergangenheit bedeutsamer gewesen sein könnten. Erklärungsansätze, in denen vor allem die Zugehörigkeit zur Arbeiterschaft als zentrales Charakteristikum genannt werden, erweisen sich als ebenso großes Problem für die Partei, werden doch klassische Arbeiter und gewerkschaftlich organisierte Individuen, die über Jahrzehnte ein treues Wählerreservoir der SPD waren, in ihrer Gesamtzahl immer weniger. Sobald jedoch diese klassischen Allianzen und eine Wertebindung zwischen Wählern und der Partei verschwinden, unterliegen Wahlergebnisse einer höheren Instabilität und bringen auch Unsicherheiten für die SPD mit. Dass die SPD bei den Bundestagswahlen 2009 bis 2017 ihre schlechtesten drei Wahlergebnisse seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland erzielt hat, scheint dabei mehr Symptom eines viel größeren Problems, denn die tatsächliche Ursache zu sein. Jene Hypothese, in der ein Effekt einer links-materialistischen Wertorientierung auf eine Wahl der SPD postuliert wurde, muss demnach zurückgewiesen werden. Die zu beobachtenden Effekte verlaufen allesamt indirekt über die Parteiidentifikation und wirken demnach nicht direkt auf das Wahlverhalten ein.

4.3.3 Wahlverhalten zu Gunsten der FDP

Auch das Wahlverhalten für die FDP wird in vier Schritten zusammenfassend erläutert. In Abschnitt 4.3.3.1 werden zunächst die Ergebnisse für die Bundestagswahl 2009 vorgestellt, um dann in Abschnitt 4.3.3.2 die FDP-Wahl bei der Bundestagswahl 2013 in den Fokus zu nehmen. In Abschnitt 4.3.3.3 werden anschließend die Einflussgrößen bei der Bundestagswahl 2017 im Hinblick auf die Wahl der FDP einer tiefergehenden Analyse unterzogen. Schließlich werden im Abschnitt 4.3.3.4 die Ergebnisse zusammengefasst, die sich aus der Analyse des Wahlverhaltens für die FDP bei den Bundestagswahlen 2009 bis 2017 ermitteln lassen.

4.3.3.1 Bundestagswahl 2009

Gesellschaftliche Wertorientierungen sind beim Wahlverhalten – wie auch bei den Sozialdemokraten – für die Freien Demokraten im Bundestagswahljahr 2009 ein nahezu irrelevanter Prädiktor. So sinkt der für das AIC ausgewiesene Wert durch eine Addition dieser unabhängigen Variablen von 775,3 im Grundmodell auf 760,7 im Wertemodell. Einzig durch das Wertemodell ist kaum die in den Daten abgebildete gesellschaftliche Realität zu erklären, die bei der Analyse des Wahlverhaltens entsteht, liegt das R2 nach Hosmer-Lemeshow hier bei einem Wert von 0,006 und beschreibt demnach eine Erklärungskraft, die gegen null läuft. Durch die Addition sozio-demographischer Variablen im Kontrollmodell erhöht sich dieser Wert nur marginal auf 0,04. Ferner zeigt sich am ∆−2LL auch, dass die Erklärungskraft durch diese sozio-demographischen Komponenten nur eine minimale Verbesserung des Kontrollmodells gegenüber dem Wertemodell darstellt, dieser Wert aber deutlich jenen übertrifft, der durch das Wertemodell gegenüber dem Grundmodell erzielt wird. Im Gesamtmodell schließlich wird durch die Erweiterung um die Parteiidentifikation und Kandidatenorientierung die geschätzte Modellgüte deutlich größer, beträgt das R2 hier doch 0,18. Das Modell verbessert sich, gemessen an der Verbesserung der Log-Likelihood, gegenüber dem Kontrollmodell deutlich. In den hier berechneten geschachtelten Modellen zeigt sich wiederum, dass für die FDP bei der Bundestagswahl 2009 vor allem eine nationalistische Wertorientierung einen klar signifikanten (p < 0,01) und positiven Effekt auf das Wahlverhalten ihrer Wähler hat. Der entsprechende Effekt bleibt über das Kontroll- und Gesamtmodell hinweg signifikant (vgl. Tabelle 4.26).

Tabelle 4.26 Binär-logistische Regressionen – Wahl der FDP 2009

Eine rechts-materialistische sowie eine materialistische Wertorientierung haben so gemäß des Werte- und des Kontrollmodells ebenso einen signifikanten Einfluss auf die FDP-Wahl, werden aber bei Ergänzung der Parteiidentifikation und der Kandidatenorientierung in die Modellrechnungen zu nicht signifikanten Prädiktoren. Die Intensität einer Identifikation mit der Partei hat wiederum einen hohen und zudem hoch signifikanten (p < 0,001) Einfluss auf die Wahl der FDP. Während eine positive Bewertung der CDU/CSU-Kanzlerkandidatin ebenso einen positiven und signifikanten Effekt (p < 0,05) auf das Wahlverhalten zu Gunsten der FDP hat, hat eine Einschätzung des SPD-Kanzlerkandidaten Steinmeier keinen signifikanten Effekt auf das Wahlverhalten. Dass dieser Effekt bei der Unionskandidatin Merkel zu beobachten ist, könnte unter anderem darauf zurückzuführen sein, dass eigentlich den Unionsparteien zugeneigte Wähler die FDP beispielsweise aus koalitionsstrategischen Erwägungen wählen.

Eine Analyse der konkreten Effektstärken mit Hilfe der Berechnung von Average Marginal Effects zeigt, dass die Existenz und eine dazugehörige Intensität der Parteiidentifikation tatsächlich der wichtigste Prädiktor für die Wahl der FDP bei dieser Bundestagswahl ist (vgl. Abbildung 4.49).

Abbildung 4.49
figure 49

(Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung, basierend auf den Daten von Rattinger et al. 2019a. Angegeben sind durchschnittliche marginale Effekte (in Prozentpunkten) und 95 %-Konfidenzintervalle, basierend auf Logit-Koeffizienten)

Average Marginal Effects FDP 2009.

Mit jeder Stufe einer stärkeren Parteiidentifikation, steigt die durchschnittliche Wahrscheinlichkeit der FDP-Wahl um rund 9,4 Prozent. Dieser hohe Effekt wird zudem begleitet von einer nationalistischen Wertorientierung, die das entsprechende Wahlverhalten ebenso signifikant prägt. Der durchschnittliche Effekt auf die Wahl der FDP, sofern ein Individuum sich eine Stufe stärker in Richtung einer nationalistischen Wertorientierung positioniert, beträgt hier 1,45 Prozent. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Individuum demnach die FDP wählt, wird im direkten Vergleich vor allem über die Parteiidentifikation beeinflusst. Als weiterer signifikanter Prädiktor ist ferner eine positive Bewertung der Unionskandidatin Merkel zu nennen.

Eine nähere Betrachtung des Pfadmodells zur Erklärung des Wahlverhaltens zu Gunsten der FDP bei der Bundestagswahl 2009 zeigt verschiedene hochgradig relevante Ergebnisse, die so nur in Form der hier vorliegenden Modellierung sichtbar werden. Eine zentrale Erkenntnis ist, wie auch die geschachtelten Regressionsmodelle sowie die Average Marginal Effects zeigen, dass eine Identifikation mit der FDP ein sehr wichtiger und hochgradig signifikanter (p < 0,001) Prädiktor für die Parteiwahl ist. Interessant ist dabei, dass jene gesellschaftliche Wertorientierungen, welche einen direkten oder indirekten Effekt auf das Wahlverhalten haben, nur einen der beiden Wege der Einflussnahme finden. So hat eine nationalistische Wertorientierung einen geringfügigen, aber signifikanten Effekt (p < 0,05) auf die Wahl der FDP. Nichtsdestotrotz wirkt diese Wertorientierung nur direkt auf das Wahlverhalten, nicht jedoch auf die Identifikation mit der FDP ein. Neben dem schon beobachteten Effekt, den eine positive Bewertung der CDU/CSU-Kanzlerkandidatin Merkel auf die FDP-Wahl hat, könnte auch dies ein Indiz dafür sein, dass dieser Effekt aufgrund koalitionstaktischer Wähler entsteht. Es darf an dieser Stelle nicht der historische Kontext der Wahl vergessen werden, bei der nach der ersten Großen Koalition unter Angela Merkel (CDU) die FDP ihr historisch bestes Ergebnis erzielte, während die Unionsparteien ihr bis dato schlechtestes Ergebnis seit 1949 erreichten. Durchaus besser zu erklären ist – was auch im Einklang mit der bisherigen Forschung zur Erfassung der FDP-Wählerschaft steht – der Umstand, dass eine rechts-materialistische Wertorientierung ebenso auf eine Identifikation mit der Partei einwirkt wie eine materialistische Wertorientierung. Die Präferenz für einen wirtschaftspolitisch weniger regulativen und gleichzeitig weniger expansiven Sozialstaat sowie eine Priorisierung der Ökonomie gegenüber der Ökologie sind in Bezug auf die FDP-Wählerschaft nicht allzu überraschend, bilden diese Werthaltungen doch eine eher wirtschaftsliberale Ausrichtung ab, die sich die FDP zu eigen macht. Dass es zu Verzerrungen durch Wähler kommt, die der Union nahestehen, zeigt auch, dass die Parteiidentifikation keinen signifikanten Effekt auf die Bewertung der CDU/CSU-Kandidatin Merkel hat, diese Kandidatenbewertung allerdings einen signifikanten Effekt auf die FDP-Wahl entfaltet. Eine hohe Identifikation mit der FDP hat jedoch einen stark negativen und hoch signifikanten Effekt auf die Einschätzung von SPD-Kanzlerkandidat Steinmeier (vgl. Abbildung 4.50).

Abbildung 4.50
figure 50

(Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung, basierend auf den Daten von Rattinger et al. 2019a. \(x^{2}\) = 168,765; CFI = 0,296; RMSEA = 0,142)

Pfadmodell FDP 2009.

Mit anderen Worten gibt es nachvollziehbare Gründe, die dafür sprechen, dass eine Parteiidentifikation mit der FDP eine negative Bewertung des SPD-Kandidaten Steinmeier zur Folge hat. Auf dieser Basis muss zwangsläufig keine Wirkung auf das tatsächliche Wahlverhalten entstehen. Im hier dargestellten Pfadmodell lässt sich aber ein klar signifikanter Effekt (p < 0,01) der Orientierung an der CDU/CSU-Kandidatin Merkel auf das FDP-Wahlverhalten beschreiben, der theoretisch jedoch keinen Sinn ergibt, da seitens der Parteiidentifikation kein direkter Effekt auf diese Kandidatenbewertung ausgeht. Der entsprechende Effekt entsteht mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht durch originär FDP-geneigte Wähler. Nichtsdestotrotz sind die hier festgestellten Effekte, sofern es sich hierbei um signifikante Prädiktoren handelt, auch entsprechend einzuordnen und kritisch zu beleuchten.

Diese hier beschriebenen, statistisch nicht plausiblen Einflussgrößen führen dann wiederum dazu, dass der Modell-Fit des Pfadmodells als nicht unzureichend bezeichnet werden muss. Der CFI-Wert (0,296) ist fern dessen, was als gut oder akzeptabel eingeordnet werden kann, Ähnliches gilt für den RMSEA-Wert (0,142). Mit dem vorliegenden Modell kann das Wahlverhalten für die FDP folglich nicht gut geklärt werden, gleichwohl mit diesem nicht nur Schwächen und darüber hinaus weitere erklärungsbedürftige Faktoren ersichtlich werden, die in der Zukunft einer tiefergehenden Analyse bedürfen. Die hier gemessenen Effekte werden davon aber nicht tangiert. Ein hierfür hinreichender Grund mag durchaus auch in der geringen Anzahl an Fällen zu finden sein, die für diese Analyse herangezogen werden konnten.

4.3.3.2 Bundestagswahl 2013

Für die Erklärung des Wahlverhaltens zu Gunsten der FDP bei der Bundestagswahl 2013 gestalten sich diese Umstände anders (vgl. Tabelle 4.27).

Tabelle 4.27 Binär-logistische Regressionen – Wahl der FDP 2013

Dabei muss insbesondere berücksichtigt werden, dass es sich hierbei um jene Wahl handelt, bei der die FDP nicht nur nahezu zehn Prozentpunkte einbüßte, im direkten Vergleich zur Bundestagswahl 2009, sondern auch den Einzug in den Bundestag verpasste. Zunächst zeigt sich, dass sich die prädiktive Kraft gesellschaftlicher Wertorientierungen als solche in der Summe – seit 2009 – geringfügig verbessert hat. Im direkten Vergleich der für 2013 berechneten vier geschachtelten Modelle steigt die Erklärungskraft in jenem Moment, in welchem die Parteiidentifikation und die Kandidatenorientierung, die im Gesamtmodell ergänzt werden, einen Einfluss auf das Wahlverhalten entfalten können. Der für das AIC ausgewiesene Wert sinkt von 314,61 im Grundmodell auf schlussendlich 257,96 im Gesamtmodell. Liegt die Modellgüte im Wertemodell, in welchem nur gesellschaftliche Wertorientierungen auf ihren tatsächlichen Effekt untersucht werden, gemäß Hosmer-Lemeshows R2 bei 0,01, so steigt der für das R2 berechnete Wert auf 0,47 im Gesamtmodell.

Die durch Ergänzung der Parteiidentifikation und Kandidatenorientierung erzielte Modellverbesserung vom Kontroll- zum Gesamtmodell, orientiert am ∆−2LL, entspricht dem zweifachen Wert dessen, wie sich die Erklärungskraft durch das Wertemodell – gegenüber dem Grundmodell – verbessert. In der konkreten Betrachtung der Effekte sind zwei zentrale Ergebnisse festzustellen: Einerseits wirkt eine rechts-materialistische Wertorientierung in allen hier berechneten Modellen in einem hoch signifikanten Umfang (p < 0,001) auf das Wahlverhalten ein, andererseits zeigt sich ein ebenso signifikanter Effekt durch die Intensität der Parteiidentifikation.

Der konkrete Effekt der Parteiidentifikation auf das Wahlverhalten zu Gunsten der FDP bei der Bundestagswahl 2013 ist zwar weiterhin stark ausgeprägt, liegt aber deutlich unter jenem Wert, den diese gemäß der Modellierung der Average Marginal Effects für die Bundestagswahl 2009 entfalten konnte. So steigt die Wahrscheinlichkeit der FDP-Wahl 2013 um durchschnittlich nur noch 2,6 Prozent, je höher die entsprechende Parteiidentifikation ist. Eine rechts-materialistische Wertorientierung beeinflusst die Wahl der FDP gleichermaßen signifikant. Demnach gilt, dass je stärker ein Individuum rechts-materialistisch orientiert ist, die Wahrscheinlichkeit der FDP-Wahl um durchschnittlich je 0,68 Prozent steigt. Weitere signifikante Effekte sind auf die Wahl der FDP nicht zu erfassen (vgl. Abbildung 4.51).

Abbildung 4.51
figure 51

(Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung, basierend auf den Daten von Rattinger et al. 2019b. Angegeben sind durchschnittliche marginale Effekte (in Prozentpunkten) und 95 %-Konfidenzintervalle, basierend auf Logit-Koeffizienten)

Average Marginal Effects FDP 2013.

Während zur Bundestagswahl 2009 noch ein Effekt durch die Orientierung an den Spitzenkandidaten festzustellen ist, kann dieser Effekt für die Daten der Bundestagswahl 2013 nicht erneut bestätigt werden. Auch ist hier kein Effekt gesellschaftlicher Wertorientierungen auf das Wahlverhalten zu beobachten, der nicht auch gleichzeitig auf die Intensität der Parteiidentifikation einwirkt. Im hier dargelegten Pfadmodell ist so zwar eine rechts-materialistische Einflussgröße auf die Ausbildung der Parteiidentifikation zu belegen, die signifikant ist (p < 0,05), im Effekt jedoch nur einen geringfügigen Umfang hat. Die Parteiidentifikation wiederum wirkt dann ausschließlich in einem starken positiven und auch hoch signifikanten Umfang (p < 0,001) auf die FDP-Wahl, nicht jedoch auf die Einschätzung der jeweiligen Spitzenkandidaten von CDU/CSU und SPD, Angela Merkel und Peer Steinbrück. Direkte Effekte einer gesellschaftlichen Wertorientierung lassen sich so auf das Wahlverhalten, zumindest auf der Ebene einer Individualdatenanalyse, nicht belegen. Einzig indirekte Effekte können sich über die Ausbildung einer entsprechenden Parteiidentifikation entfalten, wenngleich die hier beschriebenen Effekte nur sehr gering sind (vgl. Abbildung 4.52).

Abbildung 4.52
figure 52

(Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung, basierend auf den Daten von Rattinger et al. 2019b. \(x^{2}\) = 153,150; CFI = 0,056; RMSEA = 0,112)

Pfadmodell FDP 2013.

Die hier nahezu nicht vorhandenen Effekte lassen schon, auch aufgrund der für die FDP-Wählerschaft sehr prekären Datenlage, einen sehr problematischen Modell-Fit erwarten. In der Tat ist dies hier der Fall. Insbesondere der CFI-Wert (0,056) ist als besonders bezeichnend zu bewerten, ist die Modellgüte demnach als nichts aussagend einzuschätzen. Auch der RMSEA-Wert (0,112) überschreitet den zuvor definierten kritischen Schwellenwert. Demnach kann die Wahl der FDP bei der Bundestagswahl 2013 mit dem hier berechneten Pfadmodell nicht hinreichend erklärt werden. Dies ist neben der geringen Fallzahl der FDP-Wähler ohne Zweifel vor allem auch darauf zurückzuführen, dass gesellschaftliche Wertorientierungen bei dieser Wahl schlicht keinen direkten Effekt beim individuellen Wahlverhalten zu Gunsten der FDP haben.

Es zeigt sich zusammenfassend also auch für die Bundestagswahl 2013, dass eine rechts-materialistische Orientierung als einzige der entsprechenden Dimensionen gesellschaftlicher Wertorientierungen zumindest die Intensität einer Identifikation mit der FDP beeinflusst, das tatsächliche Wahlverhalten kann sie aber nicht erklären, allenfalls und sehr geringfügig auf indirektem Weg über die Parteiidentifikation.

4.3.3.3 Bundestagswahl 2017

Für 2017 zeichnet sich ab, dass die grundsätzliche Erklärungskraft gesellschaftlicher Wertorientierungen zwar durchaus auf das Wahlverhalten zu Gunsten der FDP einwirkt, wenngleich der Effekt weiterhin nur ein geringfügiger ist. So sind die Parteiidentifikation und die Kandidatenorientierung im Rahmen der geschachtelten Modelle jene Prädiktoren, die im direkten Vergleich den größten Erklärungszuwachs für die Modellierung liefern, die Wertorientierungen dagegen haben kaum Erklärungskraft.

So gestaltet es sich derart, dass der für das AIC berechnete Wert zwischen dem Grundmodell und dem Wertemodell um 44,43 Punkte sinkt. Durch die Ergänzung sozio-demographischer Variablen sinkt dieser Wert nur marginal um 5,3 Einheiten. Durch wiederum den Einbezug der Parteiidentifikation und Kandidatenorientierung in die Modellierung sinkt das AIC deutlich um weitere 181,12 Punkte. Da das AIC kritischer im Umgang bei der Ergänzung zusätzlicher Variablen in die Modellierung ist, ist die Wertigkeit dieser Prädiktoren zweifelsohne festzustellen. Das R2 nach Hosmer-Lemeshow bestraft den Umfang eines Modells wiederum nicht, zeigt aber auch, dass die Modellgüte von aufgerundet 0,05 im Wertemodell auf 0,06 im Kontrollmodell und schließlich auf 0,22 im Gesamtmodell steigt. Über alle Modelle hinweg zeigt sich, dass sowohl eine rechts-materialistische Wertorientierung als auch eine materialistische Wertorientierung das Wahlverhalten zu Gunsten der FDP hoch signifikant (p < 0,001) positiv beeinflussen.

Offensichtlich gelingt es der FDP demnach, Wähler an sich zu binden, die in diesen Fragen eine klassisch wirtschaftsliberale Haltung haben. Insbesondere aber eine Identifikation mit der FDP als Partei, aber auch eine negative Einschätzung des SPD-Spitzenkandidaten Martin Schulz sind auch im Hinblick auf ihren Einfluss auf das Wahlverhalten zu nennen. Beide Faktoren haben in der hier vorgenommenen Modellierung einen klar bis hoch signifikanten Einfluss auf das individuelle Wahlverhalten der FDP-Wählerschaft. Eine kosmopolitische Wertorientierung bleibt nur im Wertemodell signifikant und hat im Gesamtmodell keinen signifikanten Effekt auf das Wahlverhalten zu Gunsten der FDP (vgl. Tabelle 4.28).

Tabelle 4.28 Binär-logistische Regressionen – Wahl der FDP 2017

Der tatsächliche Effektvergleich mit Hilfe der Berechnung von Average Marginal Effects belegt dann zweierlei: Zum einen ist es so, dass eine rechts-materialistische und eine materialistische Wertorientierung in der Tat das Wahlverhalten für die FDP hoch signifikant (p < 0,001) beeinflussen. Mit jeder Skalenstufe, die sich ein Individuum stärker entsprechend einordnet, steigt die durchschnittliche Wahrscheinlichkeit der FDP-Wahl um 1,6 Prozent im Fall einer rechts-materialistischen und um 1,4 Prozent im Fall einer materialistischen Wertorientierung. Darüber hinaus sinkt die durchschnittliche Wahrscheinlichkeit, die FDP zu wählen, wenn der SPD-Kanzlerkandidat Schulz positiv bewertet wird, um 0,8 Prozent. Auch dieser Effekt ist klar signifikant (p < 0,01), jedoch deutlich geringer als jener, der für die Wertorientierungen zu beobachten ist. Als wichtigster Prädiktor erscheint aber vor allem die Intensität einer Parteiidentifikation mit der FDP. Identifiziert sich ein Individuum mit der Partei, steigt die Wahrscheinlichkeit der FDP-Wahl bei jedem Intensitätsschritt um durchschnittlich 8,0 Prozent (vgl. Abbildung 4.53).

Abbildung 4.53
figure 53

(Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung, basierend auf den Daten von Roßteutscher et al. 2019. Angegeben sind durchschnittliche marginale Effekte (in Prozentpunkten) und 95 %-Konfidenzintervalle, basierend auf Logit-Koeffizienten)

Average Marginal Effects FDP 2017.

Durch die Pfadmodellierung zeigt sich dann wiederum, dass die bei den Average Marginal Effects errechneten Effekte in der Tat auch in der Grundtendenz zu belegen sind. Eine rechts-materialistische Wertorientierung hat einen ebenso großen Effekt wie eine materialistische Wertorientierung auf die Wahl der FDP bei der Bundestagswahl 2017. Beide Effekte werden als hoch signifikant (p < 0,001) ausgewiesen. Interessant ist aber, dass eine rechts-materialistische Wertorientierung, anders als eine materialistische, darüber hinaus auch einen klar signifikanten (p < 0,01) positiven Effekt auf die Ausbildung und Intensität einer Identifikation mit der FDP hat. Der dafür errechnete Koeffizient liegt mit 0,039 auch in einem Umfang vor, der mehr als dem doppelten jenes Effekts entspricht, der sich direkt auf die Parteiwahl zu entfalten vermag. Ferner wirkt besonders die Parteiidentifikation sehr stark und hoch signifikant auf die FDP-Wahl ein. Gemessen an den vorangegangenen Berechnungen sowie im direkten Vergleich zu anderen Elektoraten ist dies jedoch nicht weiter überraschend. Ebenfalls wenig überraschend ist, dass Individuen, die sich stark mit der FDP identifizieren, den SPD-Kanzlerkandidaten entsprechend negativ bewerten, obgleich sich so eine Beobachtung für die Kanzlerkandidatin von CDU und CSU, Angela Merkel, nicht machen lässt. Wenn dann wiederum der SPD-Kandidat positiv bewertet wird, sinkt die Wahrscheinlichkeit der FDP-Wahl signifikant, wenngleich auch nur in einem geringen Umfang (vgl. Abbildung 4.54).

Abbildung 4.54
figure 54

(Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung, basierend auf den Daten von Roßteutscher et al. 2019. \(x^{2}\)  = 183,328; CFI = 0,397; RMSEA = 0,114)

Pfadmodell FDP 2017.

Die hier berechneten Model-Fits sind als unzureichend zu bewerten, liegt doch der CFI-Wert (0,397) deutlich unter dem notwendigen Schwellenwert, während der RMSEA-Wert (0,114) deutlich darüber liegt. Das vorliegende Pfadmodell kann demnach das Wahlverhalten für die FDP bei der Bundestagswahl 2017 nicht hinreichend erklären – zumindest mit den hier verwendeten Daten. Dies ist im Wesentlichen darauf zurückzuführen, dass Querverbindungen zwischen gesellschaftlichen Wertorientierungen und einer Evaluation der Spitzenkandidaten von CDU/CSU und SPD statistisch ermittelbar sind, diese allerdings im Kausalitätstrichter als Modellvorlage nicht vorhergesehen sind. Darunter leidet dann auch die Modellgüte, da diese Querverbindungen hier nicht einbezogen werden, da die im theoretischen Modell des Kausaltrichters nicht vorgesehen sind. Ebenso ist die geringe Fallzahl als mögliche Ursache zu nennen. Nichtsdestotrotz liefert das Pfadmodell wichtige Erkenntnisse darüber, dass gesellschaftliche Wertorientierungen tatsächlich einen Effekt auf das Wahlverhalten zu Gunsten der FDP haben. Diese liegen sowohl für direkt als auch über den indirekten Weg durch die Parteiidentifikation vor.

4.3.3.4 Zusammenfassung der FDP-Wahl 2009 bis 2017

In der Summe hat die vorgenommene Analyse mehrere Erkenntnisse hervorgebracht. Zunächst ist es so, dass gesellschaftliche Wertorientierungen für das Wahlverhalten der FDP-Wähler durchaus einen signifikanten Effekt haben, wenngleich diese zumeist indirekt über die Parteiidentifikation auf die Parteiwahl einwirken und nur einen geringen Umfang haben. Insbesondere für das Wahljahr 2009 zeigt die Analyse gewisse Inkonsistenzen, die theoretisch zunächst nicht erklärbar sind. So beeinflusst eine nationalistische Wertorientierung dort das Wahlverhalten für die FDP signifikant, hat gleichzeitig aber keinen Effekt auf die Entstehung und Intensität der Parteiidentifikation. Eine hier aufgestellte Vermutung, die in der Zukunft einer näheren Analyse unterzogen werden sollte, bezieht sich auf mögliche Sympathisanten von CDU/CSU, die für einen Regierungswechsel koalitionstaktisch gewählt haben und dadurch die Messung verzerrt haben könnten. Dieser Effekt ist bei den darauffolgenden Bundestagswahlen 2013 und 2017 nicht mehr zu beobachten. Besonders eine Analyse der Ergebnisse zur Bundestagswahl 2013 gestaltet sich aber auf vielen Ebenen sehr problematisch, ist doch die Anzahl der FDP-Wähler nicht nur bei der Wahl, sondern auch in dem zur Analyse herangezogenen Datensatz deutlich gesunken. Die Analyse ist für diese Zeitpunkte demnach nur schwierig seriös abschließend zu bewerten, da bedeutsame Verzerrungen aufgrund der geringen Fallzahl nicht ausgeschlossen werden können. Die für 2017 errechneten Ergebnisse sind in sich theoretisch konsistent. Die FDP hat sich gemäß entsprechender Wahlprogrammanalysen dazu entschieden, „ihren Markenkern zu betonen und mit einem modernisierten wirtschaftsliberalen Programm bevorzugt ihre Kernwähler anzusprechen“ (Anan 2019, S. 93). Im Anbetracht der vorliegenden Ergebnisse scheint ihr das gelungen zu sein. Eher rechts-materialistisch orientierte Wähler votierten für die Partei ebenso wie materialistisch gesinnte Wähler. Demnach wird eine ökonomische Prosperität klar gegenüber ökologischen Schwerpunktsetzungen vorgezogen. Ferner wirkt sich die Ablehnung sozialpolitischer Umverteilungsmaßnahmen in Abwägung zu einer besitzstandswahrenden Grundhaltung signifikant auf das Wahlverhalten aus. Es gelingt so zumindest für die Bundestagswahl 2017 durchaus eine Kongruenz zwischen Angebot und Nachfrage für die FDP-Wählerschaft herzustellen. Auch bei den vorangegangenen Bundestagswahlen wirkt eine rechts-materialistische Orientierung über die Parteiidentifikation indirekt auf das Wahlverhalten ein. Nichtsdestotrotz muss die Hypothese, dass eine rechts-materialistische Wertorientierung auf das Wahlverhalten zu Gunsten der FDP einwirkt, für die Bundestagswahlen 2009 und 2013 zurückgewiesen werden, wurde hier doch ein direkter Effekt erwartet. Für die Bundestagswahl 2017 hingegen kann die Hypothese angenommen werden.

Die hier vorliegende Analyse für die FDP-Wähler bei den Bundestagswahlen 2009 bis 2017 illustriert darüber hinaus die weiterhin bestehende Gültigkeit spezifischer Annahmen des Michigan-Modells. Insbesondere die Parteiidentifikation hat zu allen Zeitpunkten einen eindeutig signifikanten, hohen und positiven Effekt auf die Wahl der FDP. Die hier durch die Analyse ermittelten Ergebnisse weisen darauf hin, dass die Wirkungskraft gesellschaftlicher Wertorientierungen nicht als Substitut für bereits gängige Erklärungsansätze, sondern als weitere Ergänzung bei der Erklärung des Wahlverhaltens zu verstehen ist.

4.3.4 Wahlverhalten zu Gunsten der Grünen

Ebenso wie auch bei den vorangegangenen Elektoraten wird im Folgenden nun in Abschnitt 4.3.4.1 zunächst das Wahlverhalten für die Grünen bei der Bundestagswahl 2009 einer Analyse unterzogen. Anschließend wird auf die gleiche Weise in Abschnitt 4.3.4.2 mit der Bundestagswahl 2013 verfahren, um abschließend in Abschnitt 4.3.4.3 die Ergebnisse zur Bundestagswahl 2017 vorzustellen. In Abschnitt 4.3.4.4 werden die vorliegenden Resultate zusammengefasst und einer kritischen Einordnung unterzogen.

4.3.4.1 Bundestagswahl 2009

Handelt es sich bei den Grünen um eine Partei, die ursächlich nicht entlang eines in der Sozialstruktur verankerten Wertekonflikts entstanden ist, sind die hier vorliegenden Ergebnisse von besonderem Interesse. So ist insbesondere von einem wirkungsvollen Effekt seitens einer postmaterialistischen Wertorientierung auszugehen, ist diese doch für die Grünen seit ihrer Gründung konstitutiv.

Für die Bundestagswahl 2009 zeigt sich, dass hier die Erklärungsstärke gesellschaftlicher Wertorientierungen auf das Wahlverhalten als sehr groß einzuschätzen ist. Im Grundmodell liegt der für das AIC berechnete Wert bei 639,02 und sinkt im darauffolgenden Wertemodell auf 496,5 ab. Demnach verbessert sich der für das AIC berechnete Wert deutlich. Durch die Ergänzung sozio-demographischer Variablen im Kontrollmodell sinkt dieser Wert nur marginal, bis zum Gesamtmodell aber auf einen Wert von 415,17. Auch der durch die Log-Likelihood (−2LL) ausgewiesene Wert beschreibt eine ähnliche Veränderung. Die durch das ∆−2LL beschriebene Verbesserung des Modells durch die Inklusion gesellschaftlicher Wertorientierungen im Wertemodell entspricht mehr als dem doppelten Wert dessen, wie sich das Modell durch den Einbezug der Kandidatenorientierung und Parteiidentifikation im Gesamtmodell verbessert. In den geschachtelten Regressionsmodellen zeigt sich dann, dass sowohl eine links-materialistische Wertorientierung klar signifikant (p < 0,01) als auch eine postmaterialistische Wertorientierung hoch signifikant (p < 0,001) auf die Wahl der Grünen bei der Bundestagswahl 2009 einwirken. Insbesondere Letzteres ist auch im Rahmen der hier postulierten Erwartungen, da die Grünen als eine Art parteipolitisch institutionalisierter Postmaterialismus zu verstehen sind. Auch wirkt die Parteiidentifikation mit den Grünen als Prädiktor hoch signifikant (p < 0,001) auf das tatsächliche Wahlverhalten ein. Ferner hat eine kosmopolitische Wertorientierung zumindest im Werte- und Kontrollmodell einen hoch signifikanten Effekt (p < 0,001) auf das Wahlverhalten, wenngleich dieser bei Inklusion der Parteiidentifikation und Kandidatenorientierung nivelliert wird. Die erklärte Passgenauigkeit zwischen der theoretischen Modellierung und den tatsächlichen Daten lässt sich auch unter Zuhilfenahme von Hosmer-Lemeshows R2 näher erfassen. So steigt die durch das Wertemodell errechnete Modellgüte von 0,24 auf schließlich 0,36 im Gesamtmodell (vgl. Tabelle 4.29).

Tabelle 4.29 Binär-logistische Regressionen – Wahl der Grünen 2009

Die Berechnung der Average Marginal Effects, die zur Erläuterung der Effektstärken herangezogen werden, zeigen in der Tat, dass die Wahrscheinlichkeit der Grünen-Wahl signifikant entlang gesellschaftlicher Wertorientierungen und der Parteiidentifikation beeinflusst wird (vgl. Abbildung 4.55).

Abbildung 4.55
figure 55

(Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung, basierend auf den Daten von Rattinger et al. 2019a. Angegeben sind durchschnittliche marginale Effekte (in Prozentpunkten) und 95 %-Konfidenzintervalle, basierend auf Logit-Koeffizienten)

Average Marginal Effects Grüne 2009.

Die Wahrscheinlichkeit, bei der Bundestagswahl 2009 für die Grünen zu votieren, steigt um durchschnittlich 2,2 Prozent, je klarer sich ein Individuum auf der Postmaterialismus-Materialismus-Skala in Richtung einer postmaterialistischen Wertorientierung positioniert. Ein geringerer Effekt von einer durchschnittlich um 1,0 Prozent steigenden Wahrscheinlichkeit liegt für eine stärker links-materialistische Wertorientierung vor. Vor allem aber zeigt sich, dass eine höhere Intensität der Identifikation mit den Grünen auch einen sehr starken Effekt auf die Wahrscheinlichkeit der Wahl dieser Partei hat. Der durchschnittliche Effekt, um den diese zunimmt, beträgt hier 5,5 Prozent. Darüber hinaus sind keine weiteren signifikanten Effekte auf die Wahl der Grünen festzustellen.

In der Pfadmodellierung zeigt sich überraschenderweise, dass der Effekt gesellschaftlicher Wertorientierungen höher und umfangreicher zu sein scheint als zunächst nach Berechnung der geschachtelten Regressionsmodelle und der Average Marginal Effects angenommen. So hat neben einer postmaterialistischen und einer links-materialistischen Wertorientierung auch eine kosmopolitische Wertorientierung einen eindeutigen Effekt auf das Wahlverhalten zu Gunsten der Grünen. Darüber hinaus wirken diese drei Dimensionen gesellschaftlicher Wertorientierungen signifikant auf die Parteiidentifikation ein. Insbesondere eine postmaterialistische und eine kosmopolitische Wertorientierung sind aufgrund der Stärke der Koeffizienten besonders betonenswert. Solche Veränderungen beobachten zu können, sind ein klarer Vorteil, der durch die Pfadmodellierung möglich wird, da nur dadurch Kausalpfade statistisch nachvollziehbar werden (vgl. Abbildung 4.56).

Abbildung 4.56
figure 56

(Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung, basierend auf den Daten von Rattinger et al. 2019a. \(x^{2}\) = 166,063; CFI = 0,363; RMSEA = 0,140)

Pfadmodell Grüne 2009.

Da die Grünen von allen im Jahr 2009 analysierten Elektoraten – in der deskriptiven Analyse – schon als besonders kosmopolitisch identifiziert wurden, ist dies jedoch nicht allzu überraschend, sondern schlägt sich vielmehr dann in der Unterstützung für die grüne Partei nieder. Als Einflussgröße ist vor allem die Parteiidentifikation zu nennen, die hoch signifikant (p < 0,001) und in einem positiven Umfang auf die Grünen-Wahl einwirkt. Ferner führt eine hohe Intensität der Identifikation mit den Grünen zu einer deutlich negativeren Bewertung der CDU/CSU-Kanzlerkandidatin Merkel. Für den Kandidaten der SPD, Frank-Walter Steinmeier, lassen sich keine derartigen Rückschlüsse identifizieren. In einem nahezu non-existenten Umfang wirkt dann wiederum eine positive Bewertung Steinmeiers auf die Wahl der Grünen ein. Erklärbar ist dies durch die Wirkungsrichtung der Parteiidentifikation jedoch nicht. Eine Wahl der Grünen durch originär SPD-nahe Wähler könnte hier aber durchaus ein hinreichender Grund für diese Verzerrung sein.

Die hier festgestellte Modellgüte ist jedoch keineswegs hinreichend, um die Wahl der Grünen bei der Bundestagswahl 2009, zumindest auf Basis der vorliegenden Daten, ausschöpfend erklären zu können. So liegt nicht nur der CFI-Wert (0,363) deutlich unter dem kritischen Schwellenwert, sondern der entsprechende RMSEA-Wert (0,140) auch deutlich darüber. Weitere Modellspezifikationen ergeben aber, wie auch schon in den zuvor dargestellten Modellen, für das hier vorliegende Vorhaben theoretisch wenig Sinn.

Nichtsdestotrotz sind die Effekte, die auf das Wahlverhalten für die Grünen bei der Bundestagswahl 2009 festgestellt werden können, inhaltlich plausibel und spiegeln durchaus die zuvor formulierten Erwartungen.

4.3.4.2 Bundestagswahl 2013

Es zeigt sich für die Grünen-Wähler, dass die Stärke der Erklärungskraft gesellschaftlicher Wertorientierungen auf das Wahlverhalten bei der Bundestagswahl 2013 abnimmt, jedoch keineswegs an Bedeutung verliert. So liegt der AIC-Wert beim Gesamtmodell noch bei 828,37 und sinkt im darauf aufbauenden Wertemodell zwar auf 700,63 ab, hat jedoch nicht mehr den deutlichen Effekt zur Modellverbesserung, der für das Bundestagswahljahr 2009 zu beobachten ist. Auch bei der Inklusion sozio-demographischer Variablen verbessert sich das Modell nur geringfügig, was den Erfahrungen bei der Berechnung vorangegangener Modelle für andere Elektorate entspricht. Eine klare Verbesserung zeichnet sich unter Zuhilfenahme der Parteiidentifikation und der Kandidatenorientierung ab, sinkt doch der AIC-Wert hier auf nun 510,98. Gemessen am ∆−2LL zeigt sich aber, dass das Gesamtmodell gegenüber dem Kontrollmodell zwar eine klare Verbesserung darstellt, aber nicht deutlich mehr Erklärungskraft bietet als jene, die durch Einbezug gesellschaftlicher Wertorientierungen erzielt wird. Hosmer-Lemeshows R2 wiederum steigt im Modellaufbau von 0,16 im Wertemodell auf zunächst abgerundet 0,18 im Kontrollmodell. Beim Gesamtmodell liegt die Modellgüte, abgebildet durch das R2, schließlich bei 0,40. Dabei sei aber, wie schon angeführt, daran erinnert, dass das Akaike Information Criterion, anders als das R2, eine steigende Modellkomplexität durch entsprechende Anpassungen bestraft. Über die Modellrechnungen als solche zeigt sich dann, dass eine links-materialistische Orientierung ebenso einen signifikanten Effekt hat wie eine postmaterialistische oder eine kosmopolitische Wertorientierung. Ferner hat weiterhin die Identifikation mit den Grünen einen hoch signifikanten (p < 0,001) und positiven Effekt auf die Wahlentscheidung zu Gunsten der Partei (vgl. Tabelle 4.30).

Tabelle 4.30 Binär-logistische Regressionen – Wahl der Grünen 2013

Der zunächst im Gesamtmodell vorliegende Effekt einer links-materialistischen Wertorientierung auf das Wahlverhalten für die Grünen bei der Bundestagswahl 2013 ist auch bei Überprüfung durch die Berechnung der Average Marginal Effects vorzufinden. Der entsprechende Effekt ist mit durchschnittlich 0,5 Prozent aber äußerst gering. Anders gestaltet sich dies mit der postmaterialistischen und der kosmopolitischen Wertorientierung der Grünen-Wähler. Die Wahrscheinlichkeit der Grünen-Wahl steigt um durchschnittlich 1,1 Prozent, je postmaterialistischer ein Individuum gesinnt ist. Der Effekt einer kosmopolitischen Wertorientierung liegt mit durchschnittlich 0,7 Prozent entsprechend darunter. Ein weitaus stärkerer Effekt liegt mit durchschnittlich 6,2 Prozent steigender Wahrscheinlichkeit für die Grünen zu votieren vor, wenn sich ein Individuum mit der Partei identifiziert. Der Effekt liegt dann aber auch für die steigende Intensität der Identifikation vor. Ebenso sinkt die Wahrscheinlichkeit der Grünen-Wahl signifikant mit steigendem Alter. Weitere Einflussgrößen, die eine signifikante Auswirkung auf das Wahlverhalten für die Grünen haben, lassen sich durch dieses Modell nicht identifizieren (vgl. Abbildung 4.57).

Abbildung 4.57
figure 57

(Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung, basierend auf den Daten von Rattinger et al. 2019b. Angegeben sind durchschnittliche marginale Effekte (in Prozentpunkten) und 95 %-Konfidenzintervalle, basierend auf Logit-Koeffizienten)

Average Marginal Effects Grüne 2013.

Obgleich eine kosmopolitische Wertorientierung zwar bei der Berechnung der Average Marginal Effects als wenig einflussreich auf die Wahl der Grünen identifiziert werden konnte, zeigt sich in der Modellierung des Pfadmodells, dass diese – als einzige unter allen gesellschaftlichen Wertorientierungen – einen direkten Einfluss auf das Wahlverhalten für die Grünen bei der Bundestagswahl 2013 hat. Der entsprechende Effekt ist zwar als gering einzuschätzen, beeinflusst die Grünen-Wahl aber klar signifikant (p < 0,01). Demnach führt eine an einer liberalen und offenen Gesellschaft ausgerichtete kosmopolitische Wertorientierung dazu, dass eine solche Wahl wahrscheinlicher wird. Einen deutlich höheren Effekt, der darüber hinaus auch hoch signifikant ist (p < 0,001), hat eine derartige Wertorientierung aber vor allem auf die Ausbildung und Intensität der Parteiidentifikation mit den Grünen. Besonders klar und ebenso signifikant ist auch eine postmaterialistische Wertorientierung. Wenn ein Individuum demnach in der Abwägung zwischen ökonomischen und ökologischen Interessen eher in Richtung des zweiteren geneigt ist, steigt die Wahrscheinlichkeit, sich mit den Grünen zu identifizieren, deutlich. Ein direkter und signifikanter Effekt auf das Wahlverhalten durch eine postmaterialistische Wertorientierung liegt hier aber nicht vor. Wenngleich der Effekt eindeutig geringer ist, hat darüber hinaus eine links-materialistische Wertorientierung, die einen Ausbau des Sozialstaats gegenüber dessen Abbau favorisiert, einen Einfluss auf eine Identifikation mit den Grünen. Als besonders wirkungsvoll und hoch signifikant (p < 0,001) wirkt die Parteiidentifikation dann wiederum auf die Wahl der Grünen bei der Bundestagswahl 2013 ein. Auch zeigt sich, dass eine Identifikation mit den Grünen negativ auf die Bewertung der CDU/CSU-Kanzlerkandidatin Merkel wirkt. Darüber hinaus lassen sich keine signifikanten Effekte auf das Wahlverhalten nachweisen (vgl. Abbildung 4.58).

Abbildung 4.58
figure 58

(Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung, basierend auf den Daten von Rattinger et al. 2019b. \(x^{2}\) = 144,335; CFI = 0,389; RMSEA = 0,110)

Pfadmodell Grüne 2013.

Die Modellgüte des Pfadmodells muss wiederum als erneut nicht aussagekräftig bezeichnet werden. Erneut sind der CFI-Wert (0,389) und der RMSEA-Wert (0,110) als nicht akzeptabel zu bezeichnen, weswegen auch hier wieder festgestellt werden muss, dass das Modell nicht in der Lage ist, die sich in den Daten wiederfindende Varianz hinreichend abzubilden. Nichtsdestotrotz ist zumindest auch hier zu konstatieren, dass Wertorientierungen auch und besonders für die Grünen-Wählerschaft ein relevanter Prädiktor für ihr Wahlverhalten ist. Dass eine postmaterialistische Wertorientierung auf die Parteiidentifikation einwirkt, ist so nicht weiter verwunderlich, gleichwohl auch ein solcher direkter Effekt auf das Wahlverhalten an sich postuliert wurde. Dieser liegt für die Wahl der Grünen bei der Bundestagswahl 2013 offenkundig nicht vor. Dafür wirkt die kosmopolitische Ausrichtung innerhalb der Wählerschaft, wenn auch in deutlich variierendem Umfang, direkt wie indirekt auf die Wahl der Grünen ein.

4.3.4.3 Bundestagswahl 2017

Bei der Erklärung des Wahlverhaltens zu Gunsten der Grünen bei der Bundestagswahl 2017 gewinnen die geschachtelten Regressionsmodelle wiederum leicht an prädiktiver Kraft. Ähnlich wie schon bei der vorangegangenen Bundestagswahl 2013 ist es auch hier so, dass die durch das Gesamtmodell neu hinzukommenden Variablen der Parteiidentifikation und Kandidatenorientierung zwar gemessen am ∆−2LL dieses am stärksten verbessern, jedoch nur geringfügig mehr als dies mit den gesellschaftlichen Wertorientierungen im Wertemodell der Fall ist. Durch den AIC-Wert wiederum lässt sich eindeutig eine Verbesserung der jeweiligen Modelle nachvollziehen. Während dieses im Grundmodell zunächst noch bei 1197,2 liegt, sinkt es im weiteren Verlauf deutlich auf 996,86 im Wertemodell, 972,49 im Kontrollmodell und schließlich auf 716,43 im Gesamtmodell. Gleichzeitig steigt Hosmer-Lemeshows R2 von 0,17 im Wertemodell auf 0,42 im Gesamtmodell. Auch hier zeigt sich der nur geringfügige Informationsgewinn beziehungsweise eine nur marginale Verbesserung der Modellgüte durch Einbezug der sozio-demographischen Variablen. Über alle Modellrechnungen hinweg, die mehr Variablen als nur die Konstante umfassen, haben darüber hinaus eine postmaterialistische und eine kosmopolitische Wertorientierung, wie auch schon in den Modellrechnungen für die vorangegangene Bundestagswahl, einen signifikanten Effekt auf die Wahl der Grünen. Vor allem die Parteiidentifikation mit den Grünen wird hier als hochgradig signifikanter Prädiktor (p < 0,001) ausgewiesen. Ferner liegt offensichtlich ein positiv signifikanter Effekt (p < 0,05) von der Einstellung zur Kanzlerkandidatin von CDU und CSU, Angela Merkel, auf das entsprechende Wahlverhalten vor. Weitere signifikante Prädiktoren werden im Gesamtmodell nicht ausgewiesen. Eine links-materialistische Wertorientierung, die im Werte- und Grundmodell noch signifikant ist, verliert ihre Signifikanz durch Ergänzung der Parteiidentifikation und der Kandidatenorientierung (vgl. Tabelle 4.31).

Tabelle 4.31 Binär-logistische Regressionen – Wahl der Grünen 2017

Bei der Berechnung der Average Marginal Effects zeigt sich dann, dass unter jenen gesellschaftlichen Wertorientierungen, die einen signifikanten Effekt auf das Wahlverhalten haben, jener einer postmaterialistischen Wertorientierung der wirkungsmächtigste ist. Die Wahrscheinlichkeit der Grünen-Wahl steigt um durchschnittlich 1,5 Prozent, je postmaterialistischer ein Individuum eingestellt ist, während sie bei einer kosmopolitischen Wertorientierung durchschnittlich um 0,9 Prozent steigt. Als wichtigster Prädiktor für das Wahlverhalten wird jedoch zweifelsohne die Parteiidentifikation ausgemacht. Die Wahrscheinlichkeit der Grünen-Wahl steigt durchschnittlich um 6,2 Prozent, je stärker sich ein Individuum mit der Partei identifiziert. Darüber hinaus hat in diesem Modell auch eine positive Haltung zur CDU/CSU-Kanzlerkandidatin Merkel einen signifikant positiven Effekt auf das Wahlverhalten zu Gunsten der Grünen – ein Umstand, der theoretisch nicht erklärbar ist. Einzig Untersuchungen, die eine allgemeine und steigende Beliebtheit von Kanzlerin Merkel in den Wählerschaften etablierter Parteien seit ihrem Amtsantritt nachweisen konnten (Berz 2019, S. 550), können diesen überraschenden Effekt plausibilisieren. Die Tatsache, dass gemessen an den Average Marginal Effects ein signifikanter Effekt auf das Wahlverhalten zu Gunsten der Grünen vorliegen soll (vgl. Abbildung 4.59), wenn die Kandidatin der Union positiv bewertet wird, macht eine tiefergehende Analyse notwendig, die nun mit Hilfe einer Pfadmodellierung erfolgen soll, um entsprechende Beziehungen zwischen den Variablen näher zu beleuchten.

Abbildung 4.59
figure 59

(Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung, basierend auf den Daten von Roßteutscher et al. 2019. Angegeben sind durchschnittliche marginale Effekte (in Prozentpunkten) und 95 %-Konfidenzintervalle, basierend auf Logit-Koeffizienten)

Average Marginal Effects Grüne 2017.

Im Rahmen dieser Pfadmodellierung zeigt sich zunächst, dass eine postmaterialistische und eine kosmopolitische Wertorientierung einen direkten und hoch signifikanten (p < 0,001) Effekt auf die Wahl der Grünen bei der Bundestagswahl 2017 haben. Darüber hinaus haben diese zusätzlich, in einem deutlich höheren Umfang, einen eindeutig signifikanten Effekt auf die Ausbildung und Intensität einer Identifikation mit den Grünen. Besonders stark wirkt sich eine postmaterialistische Wertorientierung darauf aus. Zusätzlich wirken auch eine links-materialistische und eine kosmopolitische Wertorientierung hoch signifikant (p < 0,001) auf eben diese ein. Folglich zeigt sich, dass eine ökologische und nachhaltige Politik ebenso wie die Vorstellung einer liberalen und offenen Gesellschaft durchaus nicht nur prägen, ob sich ein Individuum mit den Grünen identifiziert, sondern auch eine Wirkung – wenn auch in geringem Umfang – auf das Wahlverhalten haben. Die Befürwortung eines umfangreichen Sozialstaats sowie entsprechender höherer sozialpolitischer Maßnahmen haben wiederum nur darauf Einfluss, ob sich ein Individuum mit der Partei identifiziert, nicht jedoch direkt auf das Wahlverhalten. Diese Parteiidentifikation wirkt dann wiederum in einem starken und hoch signifikanten (p < 0,001) Umfang auf die Wahl der Partei ein. Ein Effekt der Parteiidentifikation auf die Einschätzung der CDU/CSU-Kanzlerkandidatin liegt demnach nicht vor, ebenso wenig wie diese für sich allein auf das Wahlverhalten zu Gunsten der Grünen einwirkt. Dagegen wirkt im Pfadmodell eine Identifikation mit der grünen Partei auf die Einschätzung des SPD-Kanzlerkandidaten positiv ein. Davon wiederum geht jedoch kein signifikanter Effekt auf das Wahlverhalten aus. Dieser ist vielmehr als ein Nulleffekt einzuordnen, befindet er sich nicht einmal mehr im Bereich hier messbarer Parameter (vgl. Abbildung 4.60).

Abbildung 4.60
figure 60

(Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung, basierend auf den Daten von Roßteutscher et al. 2019. \(x^{2}\) = 175,044; CFI = 0,561; RMSEA = 0,112)

Pfadmodell Grüne 2017.

Wie auch bei den vorangegangenen Pfadmodellierungen ist auch für dieses Modell keine akzeptable Modellgüte festzustellen. Die Modell-Fits weisen gemäß eines deutlich zu geringen CFI-Werts (0,561) und eines zu hohen RMSEA-Werts (0,112) darauf hin, dass das Modell nicht in der Lage ist, das Wahlverhalten der Grünen bei der Bundestagswahl 2017 hinreichend zu erklären. Es gibt so beispielsweise auch hier theoretisch nicht hinreichend erklärbare Querverbindungen zwischen den gesellschaftlichen Wertorientierungen und den Spitzenkandidaten von CDU/CSU und SPD. Das hier vorgelegte Modell, welches auch grundsätzlich schon sehr voraussetzungsvoll ist, da unterschiedliche Mediatoren in die Modellierung aufgenommen werden, würde durch Ergänzungen sicherlich an prädiktiver Kraft gewinnen, aber schnell übersättigt sein und theoretisch unplausible Effekte abbilden. Tatsächlich zeigt sich aber, dass die hier inkludierten unabhängigen Variablen durchaus Erklärungskraft für die Wahl der Grünen haben. Zudem bestätigt sich, vor allem mit Blick auf einen Vergleich zwischen der Pfadmodellierung und den Average Marginal Effects, dass erstere durchaus den höheren Erkenntnisgewinn ermöglicht. Einerseits ist so festzustellen, welche Effekte indirekt dann das Wahlverhalten beeinflussen können, beispielsweise eine links-materialistische Wertorientierung, die über die Parteiidentifikation auf die Grünen-Wahl einwirkt. Andererseits wird durch die Pfadmodellierung jener Effekt nivelliert, welcher gemäß der Average Marginal Effects besagte, dass eine positive Bewertung Angela Merkels sich auch positiv auf die Grünen-Wahl auswirkt. Die Pfadmodellierung hat sich allein aufgrund dieser Feststellung als lohnend erwiesen.

4.3.4.4 Zusammenfassung der Grünen-Wahl 2009 bis 2017

Bei der Zusammenfassung der Ergebnisse für das Wahlverhalten der Grünen bei den Bundestagswahlen 2009, 2013 und 2017 sind mehrere Aspekte zu betonen. Zunächst kann klar benannt werden, dass für Wähler der Grünen in einem wesentlichen Umfang auch gesellschaftliche Wertorientierungen bedeutsam sind. Insbesondere bei der Bundestagswahl 2009 wirken drei dieser Dimensionen direkt auf das Wahlverhalten ein. Vor allem eine kosmopolitische Wertorientierung bleibt dann über alle drei Erhebungszeitpunkte hinweg in ihrem Effekt signifikant. Die Vorstellung von einer liberalen und weltoffenen Gesellschaft, die Menschen zur Teilhabe einlädt und nicht aufgrund einer Migrationsgeschichte ausschließt, gehört zu den wesentlichen Gründen, die gemäß der hier vorliegenden Ergebnisse das Wahlverhalten für die Grünen prägt. Im Hinblick auf die postmaterialistische Wertorientierung der Grünen-Wähler sind für 2009 und 2017 direkte Effekte auf das Wahlverhalten zu Gunsten der Partei zu beobachten, wohingegen zu allen drei Untersuchungszeitpunkten indirekte Effekte über die Parteiidentifikation auf das Wahlverhalten einwirken. 2013 liegen zwischen einer postmaterialistischen Wertorientierung und dem tatsächlichen Wahlverhalten für die Grünen keine signifikanten Effekte vor. Demnach muss für die Bundestagswahl 2013 jene Hypothese zurückgewiesen werden, die einen entsprechenden direkten Effekt postulierte, wohingegen sie für die Bundestagswahlen 2009 und 2017 angenommen werden kann. Erkennbar wird hieraus dann beispielsweise durchaus, dass die Wertebasis, über die sich die Wähler der Grünen definieren, zumindest im besagten Wahljahr anders gelagert ist als bei den Bundestagswahlen 2009 und 2017. Ansatzweise erkennbar war dies schon im Rahmen der deskriptiven Analyse, bei der für die Bundestagswahl 2013 eine im Vergleich zu den Elektoraten der anderen Parteien eine stärker materialistische Wertorientierung innerhalb der Grünen-Wählerschaft festgestellt werden konnte.

Während 2009 noch ein direkter Effekt einer links-materialistischen Wertorientierung auf das Wahlverhalten vorhanden ist, wirkt diese 2013 und 2017 nur noch indirekt auf dieses ein. Eine mögliche Ursache mag darin zu finden sein, dass im Rahmen parteipolitischer Abwägungen immer wieder auch eine Öffnung der Grünen für eine eher bürgerlich orientierte Wählerschicht diskutiert wird und wurde, die dann beispielhaft in Gedankenspielen um schwarz-grüne Bündnisse mündeten (Richter 2016, S. 29; Blumberg 2011, S. 205). Waren die Unterstützer der Grünen in der Bundesrepublik so zwar seit jeher Anhänger einer redistributiven Sozialpolitik (Kitschelt und Hellemans 1990, S. 214–215) und ordneten sich schon früh als eher links gerichtet ein (Müller-Rommel 1993, S. 22–23), sind seitdem nicht unwesentliche Veränderungen zu beobachten, die sich auch in den hier vorliegenden Daten zeigen. Entsprechend links-materialistisch orientierte Wähler wenden sich so womöglich entsprechend klar positionierten Parteien oder dem Nichtwählerspektrum zu.

Wenn 2009 die Erklärungskraft gesellschaftlicher Wertorientierungen auf das Wahlverhalten, im Rahmen der geschachtelten Regressionsmodelle, als sehr umfänglich einzuschätzen ist, zeigt sich für 2013 und 2017 eine zunehmende Bedeutung der Parteiidentifikation und der Kandidatenorientierung. Gleichwohl ist die Feststellung notwendig, dass deren Erklärungskraft nicht bedeutend höher ist als jene, die durch die Modellierung mit gesellschaftlichen Wertorientierungen erzielt wird. In der Tat ist es so, dass die Grünen eine Partei sind, deren Wählerschaft nahezu gleichermaßen durch beide Faktoren-Bündel beeinflusst wird. So ist der grundsätzliche theoretische Ausgangspunkt des Kausaltrichters der Wahlentscheidung zwar durchaus weiterhin in der Grundannahme dahingehend richtig, dass etwa die Parteiidentifikation auf das Wahlverhalten einwirkt, sie erklärt das Wahlverhalten für die Grünen aber nicht allumfassend. Dafür ist der direkte Effekt gesellschaftlicher Wertorientierungen auf die Grünen-Wahl dann doch zu relevant, um ihn zu übergehen. Letztlich zeigt sich aber auch, dass die Grünen weiterhin eine Partei sind, die immens durch postmaterialistisch orientierte Wähler profitiert. Wenngleich das Wahlverhalten nicht zu allen drei Untersuchungszeitpunkten direkt über eine postmaterialistische Wertorientierung beeinflusst wird, so wirkt diese doch immer indirekt und in deutlichem Umfang auf eine Identifikation mit der Partei ein. Zumindest in dieser Hinsicht scheint sich für die Grünen zwischen 2009 bis 2017 wenig verändert zu haben. Die Grünen werden demnach als Partei, die ursprünglich aus dem Wertekonflikt zwischen postmaterialistischen und materialistischen Werten entstanden ist – anders als CDU/CSU, SPD und FDP, die aus sozialstrukturell definierten Konfliktstrukturen entstanden sind – bedeutsam durch Wähler gestützt, die entsprechende gesellschaftliche Wertorientierungen mit ihr teilen.

4.3.5 Wahlverhalten zu Gunsten der Linken

Auch das Wahlverhalten zu Gunsten der Linken wird im Folgenden nun einer Analyse in je drei Schritten unterzogen. So werden auch für die Linken-Wählerschaft zunächst binär-logistische Regressionsmodelle gerechnet, die die Erklärungskraft gesellschaftlicher Wertorientierungen als solche in verschiedenen Modellkonfigurationen erklären sollen. Mit der Berechnung von Average Marginal Effects werden dem anschließend die konkreten Effektstärken vorgestellt und entsprechend interpretiert. Darauffolgend wird mit einer Pfadmodellierung schließlich geklärt, ob gesellschaftliche Wertorientierungen tatsächlich einen direkten oder doch vielmehr indirekten Effekt auf das Wahlverhalten haben. Dafür werden im nun folgenden Abschnitt 4.3.5.1 zunächst die Ergebnisse zur Bundestagswahl 2009 vorgestellt. In dem sich anschließenden Abschnitt 4.3.5.2 werden dann die Modellrechnungen und deren Ergebnisse zur Bundestagswahl 2013 vorgestellt, um in dem darauffolgenden Abschnitt 4.3.5.3 selbiges für die Bundestagswahl 2017 vorzunehmen. In Abschnitt 4.3.5.4 werden sodann die Ergebnisse für die Wählerschaft der Linken bei den Bundestagswahlen 2009 bis 2017 zusammengefasst.

4.3.5.1 Bundestagswahl 2009

Die hier vorgenommene Modellierung in Form von geschachtelten Regressionsmodellen eignet sich sehr gut, um individuelle Faktoren des Wahlverhaltens zu Gunsten der Linken bei der Bundestagswahl 2009 nachzuvollziehen. Der für das AIC berechnete Wert im Grundmodell liegt so noch bei 530,0 und sinkt bis zum Gesamtmodell auf 318,05. Dies entspricht einer Verbesserung der Modellgüte um über 40 Prozent, wohlgemerkt vor dem Hintergrund, dass das Akaike Information Criterion eine steigende Modellkomplexität berücksichtigt und in seinen Berechnungen sanktioniert. Der größte Anteil der Verbesserung der Modellgüte wird durch die Inklusion der individuellen Parteiidentifikation und Kandidatenorientierung erzielt. Dies gilt nicht nur für das AIC, sondern darüber hinaus auch für den ∆−2LL-Wert. Die konkrete Verbesserung durch das Wertemodell beträgt demnach nur 39 Einheiten gegenüber dem Grundmodell. Wie auch bei vorangegangenen Modellrechnungen sinkt der entsprechende Wert durch die Ergänzung von sozio-demographischen Variablen nur geringfügig, wohingegen die Inklusion der Parteiidentifikation und der Kandidatenorientierung in die Modellierung eine Verbesserung – gemäß des ∆−2LL – um 203,5 Einheiten bewirkt. Gleichzeitig steigt die Modellgüte der Modellierung, gemessen an Hosmer-Lemeshows R2, von 0,06 im Wertemodell auf schlussendlich 0,44 im Gesamtmodell (vgl. Tabelle 4.32).

Tabelle 4.32 Binär-logistische Regressionen – Wahl der Linken 2009

Einen bis einschließlich zum Kontrollmodell signifikanten Effekt auf das Wahlverhalten für die Linken hat sowohl eine postmaterialistische Wertorientierung (p < 0,01) als auch eine links-materialistische (p < 0,05) und eine säkulare Wertorientierung (p < 0,05). Im Gesamtmodell zeigt sich, dass auch eine Identifikation mit der Linken sowie die jeweilige Bewertung der Spitzenkandidaten von CDU/CSU und SPD 2009 als hoch signifikante (p < 0,001) Prädiktoren auf die Linken-Wahl einwirken. Weitere Faktoren wie beispielsweise eine säkulare Wertorientierung der Linken-Wählerschaft werden im Gesamtmodell zu einem insignifikanten Prädiktor. Überraschend an den Ergebnissen ist hier, dass eine links-materialistische Wertorientierung einzig im Kontrollmodell signifikant auf die Linken-Wahl einwirkt, darüber hinaus im Werte- oder Gesamtmodell allerdings keine von der Konfliktlinie signifikante Wirkung festzustellen ist.

Gemäß den Ergebnissen der Berechnung der Average Marginal Effects lässt sich dreierlei festhalten. Zunächst ist es so, dass eine postmaterialistische Wertorientierung keinen signifikanten Effekt auf die Linken-Wahl hat. Demgegenüber steht der festzustellende Effekt für Individuen, die sich mit der Linken als Partei identifizieren (vgl. Abbildung 4.61).

Abbildung 4.61
figure 61

(Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung, basierend auf den Daten von Rattinger et al. 2019a. Angegeben sind durchschnittliche marginale Effekte (in Prozentpunkten) und 95 %-Konfidenzintervalle, basierend auf Logit-Koeffizienten)

Average Marginal Effects Linke 2009.

Mit Vorhandensein und steigender Intensität einer solchen Parteiidentifikation steigt auch die Wahrscheinlichkeit der Linken-Wahl um durchschnittlich 5,2 Prozent. Dieser Effekt ist, neben jenem, der durch die Kandidatenorientierung auf das Wahlverhalten einwirkt, hoch signifikant (p < 0,001). Dass mit einer positiven Einschätzung der Kandidaten von CDU/CSU und SPD, Merkel und Steinmeier, eine sinkende Wahrscheinlichkeit der Linken-Wahl einhergeht, erscheint zunächst nicht unplausibel. Der entsprechende Effekt von durchschnittlich 1,3 Prozent durch die Merkel-Evaluation und 1,2 Prozent durch die Steinmeiner-Einschätzung je Bewertungsstufe, ist wiederum vergleichsweise hoch. Dabei ist nicht von Bedeutung, ob es sich hier um negative oder positive Effekte handelt. Der klarste Effekt auf das Wahlverhalten scheint sich demnach insbesondere durch die Ablehnung des SPD-Kandidaten Steinmeier, der CDU/CSU-Kandidatin Merkel sowie einer Parteiidentifikation mit der Linken zu entfalten. Der ausbleibende Effekt durch eine links-materialistische Wertorientierung lässt sich auch bei der Berechnung der durchschnittlichen marginalen Effekte belegen

Durch die Pfadmodellierung zeigt sich dann, dass eine postmaterialistische Wertorientierung durchaus direkt auf das Wahlverhalten einwirkt, wenn auch nur in einem geringen Ausmaß. Nichtsdestotrotz ist der entsprechende Effekt als signifikant (p < 0,05) einzustufen. Auf die Parteiidentifikation lässt sich durch diese Wertorientierung wiederum kein Effekt nachvollziehen, der als signifikant einzuordnen wäre. Während weitere Dimensionen gesellschaftlicher Wertorientierungen nicht direkt auf das Wahlverhalten einwirken, entfalten diese jedoch allesamt eine Wirkung auf eine Identifikation mit der Linken. Besonders eine säkulare Wertorientierung hat demnach einen positiven und hoch signifikanten (p < 0,001) Effekt auf die Parteiidentifikation. Darüber hinaus wirken auch eine eher links-materialistische und eine kosmopolitische Orientierung auf eine entsprechende Ausbildung und Intensität der Parteiidentifikation ein. Diese wiederum wirkt dann sehr stark und hoch signifikant (p < 0,001) auf die Wahl der Linken ein. Der Effekt einer kosmopolitischen Wertorientierung auf die Parteiidentifikation ist insofern bemerkenswert, da die Linken-Wählerschaft 2009 – zumindest in der deskriptiven Analyse – noch als durchschnittlich nationalistisch orientiert eingeordnet werden muss. Darüber hinaus entfaltet sich über die Ablehnung der CDU/CSU-Spitzenkandidatin ein geringfügig positiver Effekt auf die Wahl der Linken. Theoretisch nicht zu erklären ist, weshalb sich die Parteiidentifikation nicht auf die Einschätzung des SPD-Kanzlerkandidaten Steinmeier auswirkt, von dieser aber ein eigenständiger negativer Effekt auf das Wahlverhalten ausgeht. Dies kann, wie bereits im Theoriekapitel angedeutet, Grundlage für weiterführende Forschung sein, um eigenständige Kandidateneffekte auf das Wahlverhalten adäquat abzubilden. Gesellschaftliche Wertorientierungen wirken also bei der Bundestagswahl 2009 auf vielfältige Art und Weise, direkt wie indirekt, auf das Wahlverhalten zu Gunsten der Linken ein. Es zeigt sich aber, dass die konkreten Wirkungswege eine gewisse Heterogenität aufweisen, wirken doch drei Aspekte ausschließlich indirekt, einer wiederum ausschließlich direkt auf die Linken-Wahl. Insbesondere die indirekte Wirkung, die eine links-materialistische Wertorientierung signifikant über die Parteiidentifikation entfaltet, steht zwar in ihrer Stärke der durch eine säkulare Wertorientierung nach, hat aber als konstitutive Wertorientierung für die Linken eine besondere Bedeutung (vgl. Abbildung 4.62).

Abbildung 4.62
figure 62

(Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung, basierend auf den Daten von Rattinger et al. 2019a. \(x^{2}\) = 161,185; CFI = 0,286; RMSEA = 0,138)

Pfadmodell Linke 2009.

Die vorliegende Modellgüte entspricht jedoch nicht dessen, was als akzeptabel bezeichnet werden kann. Der CFI-Wert (0,286) verfehlt den kritischen Schwellenwert deutlich. Auch der RMSEA-Wert (0,138) zeigt eine entsprechend geringe Modellgüte an. Demnach eignet sich das hier vorliegende Modell nicht, um die Heterogenität des Wahlverhaltens für die Linke gut abzubilden. Hinreichende Gründe wurden hier schon an verschiedenen Stellen angeführt. Unter anderem liegt dies an theoretisch nicht sinnigen Verknüpfungen, die empirisch wohl zu einem besseren Modell-Fit führen würden. Gleichwohl deuten diese Ergebnisse aber immer mehr darauf hin, dass die hier vorgenommene Modellierung offensichtlich auch deswegen eine geringe Güte aufweist, da manche Verbindungen, etwa im hier vorliegenden Fall zwischen einigen Wertorientierungen und dem Wahlverhalten, nicht nur keine Signifikanz aufweisen, sondern darüber hinaus kaum signifikant messbare Effekte haben.

4.3.5.2 Bundestagswahl 2013

Wie bei der Analyse anderer Parteien zeigt sich auch bei der Wahl der Linken zur Bundestagswahl 2013, dass die Stärke gesellschaftlicher Wertorientierungen, im Rahmen geschachtelter Regressionsmodelle, an Erklärungskraft einbüßt. So sinkt der für das AIC berechnete von Wert von 880,38 im Grundmodell auf 798,93 im Wertemodell. Im darauffolgenden Kontrollmodell ist gar eine Verschlechterung zu erkennen, steigt der entsprechende Kennwert hier auf 805,6. Dies ist, wie erläutert, darauf zurückführbar, dass das AIC unnötige Komplexitätserhöhungen bestraft. Erst durch das Gesamtmodell ist dann wieder eine deutliche Verbesserung der Modellgüte zu erkennen, sinkt der AIC-Wert dann auf letztlich 493,54 (vgl. Tabelle 4.33).

Tabelle 4.33 Binär-logistische Regressionen – Wahl der Linken 2013

Gemessen am ∆−2LL entspricht die ermittelte Modellverbesserung durch das Gesamtmodell ungefähr dem vierfachen jenes Werts, welcher durch die Ergänzung gesellschaftlicher Wertorientierungen im vorgelagerten Wertemodell ermittelt werden kann. So haben gesellschaftliche Wertorientierungen zwar eine Erklärungskraft für das Wahlverhalten, jene durch die Hinzunahme der Parteiidentifikation und der Kandidatenorientierung ist aber entsprechend größer. In der konkreten Analyse der Effektstärken zeigt sich dann wiederum, dass insbesondere eine säkulare Wertorientierung der Linken-Wähler einen signifikanten Effekt (p < 0,05) im Gesamtmodell auf das Wahlverhalten entfaltet. Weitere Wertorientierungen haben keinen signifikanten Einfluss im Gesamtmodell. Eine links-materialistische Wertorientierung ist im Werte- und Kontrollmodell in ihrem Effekt als hochgradig signifikant (p < 0,001) einzuschätzen bis schließlich die Parteiidentifikation und Kandidatenorientierung in die Modellierung aufgenommen werden. Diese wirken ihrerseits hoch signifikant (p < 0,001) auf das Wahlverhalten ein. Die Intensität der Parteiidentifikation hat einen starken positiven Effekt auf die Linken-Wahl, eine positive Bewertung der Spitzenkandidaten von CDU/CSU und SPD führt hingegen zu einer geringeren Wahrscheinlichkeit der Linken-Wahl.

Eine Analyse der konkreten Effektstärken ist wiederum über die Berechnung der Average Marginal Effects möglich. Die Wahrscheinlichkeit der Linken-Wahl steigt bei der Bundestagswahl 2013 durchschnittlich um 1,2 Prozent, je säkularer die Wertorientierung eines Individuums ist (vgl. Abbildung 4.63).

Abbildung 4.63
figure 63

(Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung, basierend auf den Daten von Rattinger et al. 2019b. Angegeben sind durchschnittliche marginale Effekte (in Prozentpunkten) und 95 %-Konfidenzintervalle, basierend auf Logit-Koeffizienten)

Average Marginal Effects Linke 2013.

Ferner ist weiterhin eine Identifikation mit der Linken der wichtigste Prädiktor für ein entsprechendes Wahlverhalten. Die entsprechende Wahrscheinlichkeit einer Linken-Wahl steigt um durchschnittlich 5,1 Prozent, je intensiver die entsprechend vorliegende Identifikation mit der Partei ist. Auch weisen die hier vorliegenden Ergebnisse darauf hin, dass auch weiterhin eine ablehnende Haltung gegenüber den Kanzlerkandidaten von CDU/CSU und SPD als signifikante Prädiktoren zu verstehen sind. So sinkt die Wahrscheinlichkeit der Wahl der Linken doch um durchschnittlich 0,6 Prozent, wenn diese Kandidaten positiv bewertet werden. Darüber hinaus sind mit Hilfe der durch die Average Marginal Effects errechneten Effektgrößen keine weiteren signifikanten Prädiktoren zu finden.

Die Pfadmodellierung für das Wahlverhalten zu Gunsten der Linken bei der Bundestagswahl 2013 zeigt sodann, dass sowohl eine säkulare Wertorientierung das Wahlverhalten für diese klar signifikant (p < 0,01) beeinflusst als auch – in einem deutlich erheblicheren Ausmaß und hochgradig signifikant (p < 0,001) – eine Identifikation mit der Partei. Dies ergibt insbesondere vor dem Hintergrund der deskriptiven Analyse Sinn, ist doch die Linken-Wählerschaft im Bundestagswahljahr 2013 deutlich säkular orientiert. Ebenso hoch signifikant wirkt schließlich auch eine links-materialistische Wertorientierung auf die Ausbildung und Intensität der Identifikation mit der Linken ein (vgl. Abbildung 4.64).

Abbildung 4.64
figure 64

(Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung, basierend auf den Daten von Rattinger et al. 2019b. \(x^{2}\) = 134,195; CFI = 0,508; RMSEA = 0,105)

Pfadmodell Linke 2013.

So gelingt es der Linken, Individuen an sich zu binden, die redistributive Maßnahmen und einen starken Sozialstaat befürworten, gleichwohl der daraus resultierende Effekt auf das Wahlverhalten dann nur indirekt über die Identifikation mit der Partei verläuft. Die Parteiidentifikation ihrerseits wirkt dann nicht nur stark positiv, sondern auch hoch signifikant auf die Wahl der Linken ein. Gleichzeitig führt eine hohe Identifikation mit der Partei zu einer deutlich negativeren Einschätzung der CDU/CSU-Kandidatin Merkel und in einem deutlich geringeren Umfang zu einer negativen Einschätzung des SPD-Kandidaten Steinbrück. Von diesen gehen nur geringfügige Effekte auf die Linken-Wahl aus Auch dieses Pfadmodell ist nicht in der Lage, das Wahlverhalten zu Gunsten der Linken bei der Bundestagswahl 2013 hinreichend zu erklären. Die Modellgüte ist entsprechend der jeweiligen Modell-Fits, also dem CFI-Wert (0,508) und dem RMSEA-Wert (0,105), als nicht hinreichend zu bewerten. Nichtsdestotrotz zeigen die vorliegenden Modellierungen, dass Effekte gesellschaftlicher Wertorientierungen auf das Wahlverhalten durchaus existent sind.

Im direkten Vergleich zur Bundestagswahl 2009 sind diese im Fall der Linken-Wählerschaft aber auch deutlich konzentrierter, zeigt sich doch hier seitens der Konfliktlinien zwischen Postmaterialismus und Materialismus sowie Kosmopolitismus und Nationalismus kein signifikanter Effekt auf die Linken-Wahl bei der Bundestagswahl 2013.

4.3.5.3 Bundestagswahl 2017

Der sich schon bei der Modellierung für die Bundestagswahl 2013 abzeichnende Trend, dass gesellschaftliche Wertorientierungen an prädiktiver Kraft – im Vergleich zu 2009 – eingebüßt haben, zeigt sich auch in den Daten zur Bundestagswahl 2017. So liegt der AIC-Wert im Grundmodell hier bei 1048,52 und sinkt im weiteren Verlauf bis zum Gesamtmodell auf den Wert von 634,25. Das Modell verbessert sich so zwar immer weiter, allerdings ist eine entsprechende Modellverbesserung durch die Ergänzung gesellschaftlicher Wertorientierungen im Wertemodell deutlich geringer als die vergleichbare Verbesserung durch die Inklusion der Parteiidentifikation und Kandidatenorientierung im Gesamtmodell. Auch die erklärte und durch Hosmer-Lemeshows R2 abgebildete Modellgüte steigt von 0,11 im Wertemodell auf 0,40 im Gesamtmodell. Demnach ist auch hier nachzuvollziehen, dass insbesondere die klassischen Erklärungsfaktoren der Wahlforschung, die unter anderem aus dem Michigan-Modell abgeleitet werden können, keineswegs ihre exponierte Rolle bei der Erklärung des Wahlverhaltens einbüßen. Tatsächlich haben diese einen signifikanten Effekt auf die Linken-Wahl. Darüber hinaus hat aber auch nicht nur eine links-materialistische Wertorientierung einen hoch signifikanten (p < 0,001) klaren Effekt, sondern auch der Einfluss einer säkularen Wertorientierung ist klar signifikant (p < 0,01). Eine kosmopolitische oder nationalistische Wertorientierung hingegen hat in keinem der berechneten Modelle einen signifikanten Effekt. Eine postmaterialistische Wertorientierung wiederum wird in dem Moment insignifikant, in dem die Parteiidentifikation und die Kandidatenorientierung in die Modellierung aufgenommen werden (vgl. Tabelle 4.34).

Tabelle 4.34 Binär-logistische Regressionen – Wahl der Linken 2017

Die vorliegenden signifikanten Einflussgrößen lassen sich dann, mit Hilfe der Berechnung der Average Marginal Effects, im Hinblick auf ihren konkreten Effekt untersuchen. In der Tat steigt die Wahrscheinlichkeit der Linken-Wahl um durchschnittlich 1,4 Prozent, je säkularer die Wertorientierung eines Individuums ist. Außerdem erhöht sich die Wahrscheinlichkeit der Linken-Wahl um durchschnittlich 1,1 Prozent, je links-materialistischer ein Individuum orientiert ist. Ferner hat weiterhin vor allem die Ausbildung und Intensität einer Identifikation mit der Partei einen klaren Effekt darauf, ob diese gewählt wird. Je stärker eine entsprechende Parteiidentifikation ist, desto wahrscheinlicher ist auch die Linken-Wahl: Der durchschnittliche Effekt beträgt 5,7 Prozent. Eine positive Bewertung der Spitzenkandidaten von CDU/CSU und SPD, Angela Merkel und Martin Schulz, senkt wiederum die Wahrscheinlichkeit der Linken-Wahl um durchschnittlich 0,8 beziehungsweise 0,5 Prozent. Weitere signifikante Einflussgrößen sind für die Wahl der Linken bei der Bundestagswahl 2017 nicht festzustellen (vgl. Abbildung 4.65).

Abbildung 4.65
figure 65

(Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung, basierend auf den Daten von Roßteutscher et al. 2019. Angegeben sind durchschnittliche marginale Effekte (in Prozentpunkten) und 95 %-Konfidenzintervalle, basierend auf Logit-Koeffizienten)

Average Marginal Effects Linke 2017.

Weshalb eine postmaterialistische Wertorientierung im Rahmen des Gesamtmodells der geschachtelten Regressionsmodelle an Signifikanz verliert, wird durch die Modellierung des Pfadmodells klarer. So liegt demnach tatsächlich kein direkter und signifikanter Effekt seitens dieser Wertorientierung auf das Wahlverhalten vor, obgleich ein hoch signifikanter Effekt (p < 0,001) auf die Ausbildung und Intensität der Parteiidentifikation ermittelt werden kann, der dann seinerseits indirekt wirkt. Darüber hinaus haben eine säkulare und eine links-materialistische Wertorientierung einen positiven Effekt nicht nur auf die Parteiidentifikation, sondern darüber hinaus, wenn auch in einem deutlich geringeren Umfang, ebenso auf das Wahlverhalten zu Gunsten der Linken. Eine kosmopolitische oder nationalistische Wertorientierung wiederum hat keinerlei signifikanten Effekt, weder direkt noch indirekt, auf die Wahl der Partei. Die Parteiidentifikation hat nicht nur einen hochgradig signifikanten (p < 0,001), sondern ferner einen deutlich positiven Einfluss auf die Entscheidung, die Linke zu wählen. Gleichzeitig kann festgestellt werden, dass eine hohe Identifikation mit der Partei auch darüber hinaus zu einer negativeren Bewertung der CDU/CSU-Kanzlerkandidatin Merkel führt. Dadurch wiederum entsteht ein geringfügiger Effekt auf das Wahlverhalten. Dabei ist festzustellen, dass eine positive Bewertung die Wahl der Linken unwahrscheinlicher macht. Anders formuliert: Eine höhere Identifikation mit der Linken zieht eine negative Evaluation Angela Merkels nach sich, die dann wiederum positiv auf die Wahrscheinlichkeit einer Linken-Wahl einwirkt (vgl. Abbildung 4.66).

Abbildung 4.66
figure 66

(Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung, basierend auf den Daten von Roßteutscher et al. 2019. \(x^{2}\) = 181,058; CFI = 0,434; RMSEA = 0,114)

Pfadmodell Linke 2017.

Das vorliegende Pfadmodell ist im Hinblick auf die Modellgüte, gemessen am CFI-Wert (0,434) und dem RMSEA-Wert (0,114), als nicht hinreichend zur Erklärung des Wahlverhaltens für die Wahl der Linken bei der Bundestagswahl 2017 einzuschätzen. Diese Problematik liegt, wie bereits angeführt, primär in der Logik der Pfadmodellierung. So könnten hier durchaus entsprechende Querverbindungen ergänzt oder entfernt werden, um die Erklärungsgüte des Modells zu erhöhen, dabei würde aber die theoretische Logik der hier vorgenommenen Analyse verletzt werden. Tatsächlich werden hier zwei zentrale Erkenntnisse ermittelt: Einerseits beeinflussen Wertorientierungen auch bei dieser Wahl teils direkt, teils indirekt das Wahlverhalten. Dabei wirken aber manche Wertorientierungen – wie die einer postmaterialistischen Gesinnung – in diesem Fall ausschließlich indirekt über die Parteiidentifikation auf diese ein. Andererseits unterstreicht die hier vorgenommene Modellierung, dass die Parteiidentifikation weiterhin als maßgeblicher Prädiktor für das Wahlverhalten zu Gunsten der Linken bei der Bundestagswahl 2017 herangezogen werden sollte.

4.3.5.4 Zusammenfassung der Linken-Wahl 2009 bis 2017

Nach der Fusion von WASG und Linkspartei.PDS im Jahr 2007 bleibt auch die innerparteiliche Programmatik und die dadurch kommunizierten Positionen äußerst heterogen, ist doch der kleinste gemeinsame Nenner vor allem eine nach links integrierende Sozialpolitik (Zettl 2014, S. 27). Diese schlägt sich dann auch in Teilen in einer entsprechend hohen Heterogenität von Weltanschauungen, Einstellungen oder auch Wertorientierungen in Partei und Wählerschaft nieder (Zettl 2014, S. 40; Neller und Thaidigsmann 2007, S. 435–436). Tatsächlich zeigt sich zumindest dieser vermeintliche kleine gemeinsame Nenner darin, dass eine links-materialistische Wertorientierung, in der eine Forderung nach einer umfangreichen Sozial- und Wohlfahrtsstaatspolitik inkludiert ist, in der Tat eine Parteiidentifikation mit der Linken signifikant beeinflusst. Einen direkten Einfluss auf das Wahlverhalten zu entfalten vermag sie aber nur bei der Bundestagswahl 2017. Jene Hypothese, in der ein Einfluss eben dieser Wertorientierung auf das Wahlverhalten für die Linke postuliert wurde, muss demnach für die Bundestagswahljahre 2009 und 2013 zurückgewiesen werden, kann aber zumindest für die Bundestagswahl 2017 angenommen werden. Es wird hier sehr deutlich, dass die Wähler der Linken in der Tat nicht nur in sich deutlich heterogener sind als zunächst womöglich angenommen, sondern zudem auch Wertorientierungen internalisiert haben, die ihr Wahlverhalten prägen, obgleich diese Beziehung so zunächst nicht angenommen werden konnte. So zeigt sich, dass eine säkulare Wertorientierung bei allen drei Untersuchungszeitpunkten signifikant auf die Parteiidentifikation einwirkt, sich hier also ein indirekter Effekt dieser Orientierung auf das Wahlverhalten entfalten kann. Ferner wirkt diese säkulare Wertorientierung auch bei den Bundestagswahlen 2013 und 2017 direkt auf die Wahl der Linken ein.

Dass eine links-materialistische Wertorientierung aber offenkundig, neben dem Wahlverhalten für die Grünen bei der Bundestagswahl 2009, nur einmalig bei einer der eher sozialpolitisch linksgerichteten Parteien – der Linken im Wahljahr 2017 – einen signifikanten direkten Einfluss auf das Wahlverhalten hat, überrascht an dieser Stelle dann doch. So wäre es durchaus plausibel, dass insbesondere eine Partei wie die Linke, die sich explizit auch parteipolitisch durch ihre Gegenposition zur Agenda 2010 zwar nicht unbedingt etablierte, aber politisch doch stärker profilieren konnte, entsprechend orientierte Bürger umso stärker anspricht.

Die hier vorgenommenen Modellierungen haben sich, gleichwohl die entsprechenden Modell-Fits nicht hinreichend gut sind, um das Wahlverhalten für die Linke angemessen zu erklären, dennoch in mehrfacher Hinsicht gelohnt. Zunächst wurde durch die geschachtelten Regressionsmodelle ersichtlich, dass manche Prädiktoren durch den Schritt von den Kontroll-zu den Gesamtmodellen an Signifikanz verlieren. Dies betrifft 2009 eine säkulare Wertorientierung, 2013 eine links-materialistische Wertorientierung und 2009 sowie 2017 eine postmaterialistische Wertorientierung. Tatsächlich ist es so, dass durch die Pfadmodellierung nachgehalten werden kann, dass zu allen drei Zeitpunkten diese zwar nicht direkt das Wahlverhalten beeinflussen, jedoch signifikant auf die Intensität der Parteiidentifikation einwirken. Sie bleiben demnach als indirekte Effektgrößen wirkungsstark.

Die Logik des Trichters der Wahlentscheidung hat zur Erklärung des Wahlverhaltens für die Linke auch weiterhin eine nicht unwesentliche Erklärungskraft. Insbesondere die Parteiidentifikation, die auch durch gesellschaftliche Wertorientierungen effektiv beeinflusst wird, ist für die Linken-Wahl ein signifikanter und wichtiger Prädiktor. Die hier für die Linke ermittelten Ergebnisse sind aus diesem Grund eine wichtige Ergänzung, keinesfalls jedoch als alles erklärender Ersatz zu verstehen, der weitere Erklärungsansätze obsolet machen würde.

Es bestätigt sich so auch für die Linke, dass die klassischen Prädiktoren des Michigan-Modells, also die Parteiidentifikation und die Kandidatenorientierung, weiterhin essenziell sind, um das Wahlverhalten für diese Partei zu erklären. Eine gegenüber der CDU/CSU-Kandidatin positive Haltung hat über die Modellvergleiche hinweg einen signifikant negativen Effekt auf die Wahl der Linken. Zumindest in dieser Frage gibt es hier daher, neben der Parteiidentifikation, wenig Heterogenität, die es zu erklären gilt.

4.3.6 Wahlverhalten zu Gunsten der AfD

Während die bisher vorgestellten Parteien im untersuchten Zeitraum nicht nur zu allen in der Analyse inkludierten Bundestagswahlen existierten, sondern auch zu ihnen kandidierten, konnte auch eine entsprechende Analyse für diese Zeitpunkte vorgenommen werden. Dies ist im Fall der AfD anders, gründete sich diese erst im Jahr 2013 und trat dann auch bei der Bundestagswahl im gleichen Jahr erstmals an.

Demnach fokussiert sich die Analyse der AfD-Wählerschaft im Folgenden auf die Bundestagswahl 2013 in Abschnitt 4.3.6.1 und auf die anschließende Bundestagswahl 2017 in Abschnitt 4.3.6.2. In Abschnitt 4.3.6.3 werden sodann die Ergebnisse für die AfD-Wählerschaft zu den zwei Bundestagswahlen zusammengefasst. Als besondere Herausforderung ist hier aber vorab die im Bundestagswahljahr 2013 problematische Datenlage zu erwähnen, die schon in Abschnitt 4.1.5 erläutert wurde. Von den dort befragten AfD-Wählern haben nur 19 Individuen angegeben, sie würden sich mit der AfD als Partei identifizieren. Auch die Verteilung dieser Individuen auf der entsprechenden Skala verläuft sehr unausgeglichen. Es ist demnach mit Messproblemen zu rechnen.

4.3.6.1 Bundestagswahl 2013

Wie bei den Wählerschaften der zuvor analysierten Parteien liegt auch bei der AfD zur Bundestagswahl 2013 die Erklärungskraft durch gesellschaftliche Wertorientierungen bei der Berechnung der geschachtelten Regressionsmodelle zwar vor, allerdings nur in einem geringen Umfang. So beträgt der für das AIC berechnete Wert im Grundmodell noch 454,03 und sinkt dann im Wertemodell auf 438,54 ab. Bis zum Gesamtmodell verbessert sich die Modellgüte schließlich so, dass ein finaler AIC-Wert von 356,77 erreicht wird. Gemessen an der ∆−2LL verbessert sich das Modell durch die Inklusion der Parteiidentifikation und Kandidatenorientierung um das Dreifache jenes Wertes, was durch die gesellschaftlichen Wertorientierungen an Modellverbesserung erreicht werden kann. In der Summe ist die Modellgüte, gemessen an Hosmer-Lemeshows R2, zwar über die Modellerweiterung hinweg steigend und erreicht im Gesamtmodell den Wert 0,25. Sie ist jedoch nicht vergleichbar mit den Werten, die für andere Elektorate im Wahljahr 2013 erzielt wird. Einzig die SPD- und FDP-Wählerschaften können mit dem Gesamtmodell für das Bundestagswahljahr 2013 ähnlich schlecht abgebildet werden. Die Modellierung der geschachtelten Regressionsmodelle zeigt, dass eine nationalistische Wertorientierung über die entsprechenden Modelle hinweg einen signifikanten Einfluss behält. Selbst unter Einbezug der Parteiidentifikation und Kandidatenorientierung bleibt diese Einflussgröße klar signifikant (p < 0,01). Die Parteiidentifikation als solche hat keinen signifikanten Effekt auf das Wahlverhalten für die AfD – zumindest keinen, der statistisch signifikant ermittelt werden kann. Dies ist auf zwei Gründe zurückzuführen, die hier schon ansatzweise im Vorfeld angedeutet wurden. Schon genannt wurde hier die geringe Anzahl von Individuen, die überhaupt angeben, sie würden sich mit der AfD identifizieren – für eine im Wahljahr neu gegründete Partei ist dies nicht allzu verwunderlich. Dadurch kommt es allerdings zu einer höheren Sensitivität von Messfehlern. Der zweite Grund ist demnach insbesondere im exorbitant hohen Standardfehler zu finden, der durch die nicht-gleichmäßige Verteilung von Befragten auf dieser Skala entsteht. Als signifikante Einflussgrößen sind nichtsdestotrotz eine Ablehnung des SPD-Kanzlerkandidaten Steinbrück ebenso festzustellen wie auch der signifikante Effekt durch eine Ablehnung der Unionskanzlerkandidatin Merkel. Interessant ist hier allerdings, dass der Effekt, der von einer Ablehnung des SPD-Kandidaten ausgeht, höher ist als jener Effekt, der durch die Ablehnung der Unionskandidatin Merkel entsteht – vor dem Hintergrund späterer Entwicklungen der AfD ist dies eine nicht unbedeutende Feststellung. Beide Bewertungen der Kandidaten haben einen signifikanten Einfluss auf das Wahlverhalten zu Gunsten der AfD (vgl. Tabelle 4.35).

Tabelle 4.35 Binär-logistische Regressionen – Wahl der AfD 2013

Dass die Parteiidentifikation einen so exorbitant hohen Standardfehler aufweistFootnote 8, führt dann dazu, dass diese im Rahmen der Berechnung von Average Marginal Effects graphisch nicht abgebildet werden kann. Durch die Berechnung zeigt sich allerdings, dass ein Effekt von einer nationalistischen Wertorientierung auf das Wahlverhalten für die AfD besteht. Je nationalistischer ein Individuum demnach gesinnt ist, desto wahrscheinlicher wird auch die AfD-Wahl. Der hier zu observierende Effekt auf die Wahrscheinlichkeit der Parteiwahl beträgt im Durchschnitt 0,8 Prozent. Darüber hinaus führt eine positive Einstellung gegenüber dem SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück sodann zu einer signifikant (p < 0,01) geringeren Wahrscheinlichkeit der AfD-Wahl (vgl. Abbildung 4.67).

Abbildung 4.67
figure 67

(Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung, basierend auf den Daten von Rattinger et al. 2019b. Angegeben sind durchschnittliche marginale Effekte (in Prozentpunkten) und 95 %-Konfidenzintervalle, basierend auf Logit-Koeffizienten)

Average Marginal Effects AfD 2013.

Auf Basis des immens hohen Standardfehlers bezüglich der Messung der Parteiidentifikation mit der AfD lässt sich statistisch keine Pfadmodellierung berechnen. So kann mit den vorliegenden Daten keine kausale Abhängigkeit dargestellt werden. Nichtsdestotrotz können die vorliegenden Ergebnisse einer Interpretation unterzogen werden. So zeigt sich die eher nationalistische Ausrichtung innerhalb der AfD-Wählerschaft hier in Ansätzen bereits 2013. Interessant sind die vorliegenden Ergebnisse auch, da die AfD, mit Ausnahme der FDP im Bundestagswahljahr 2009, die einzige Partei ist, die durch eine nationalistische Wertorientierung ihrer Wähler direkt profitiert. Bei allen anderen Parteien handelt es sich ausschließlich um insignifikante Effekte oder gar um eine dezidiert kosmopolitische Grundhaltung, die einen Einfluss auf das Wahlverhalten entfaltet. Interessant ist auch, dass eine Einstellung gegenüber der CDU/CSU-Kanzlerkandidatin Merkel schon zu diesem Zeitpunkt als signifikanter Prädiktor auf das Wahlverhalten einwirkt, wird doch vier Jahre später, am Abend der Bundestagswahl 2017, AfD-Spitzenpolitiker Alexander Gauland verkünden: „Wir werden Frau Merkel jagen“ (Benz 2018).

4.3.6.2 Bundestagswahl 2017

Die Modellrechnungen zur Erklärung des Wahlverhaltens für die AfD bei der Bundestagswahl 2017 sind von besonderer Bedeutung. So zeigt sich, dass in diesem Fall die Erklärungskraft gesellschaftlicher Wertorientierungen im weiteren Modellaufbau ähnlich derer ist, die durch den Einbezug einer individuellen Parteiidentifikation und Kandidatenorientierung erzielt wird. So wird das Modell an sich auch hier immer besser, sinkt der für das AIC berechnete Wert von 956,19 im Grundmodell auf 745,14 im Wertemodell, auf 718,40 im Kontrollmodell und schlussendlich auf 491,64 im Gesamtmodell. Die konkrete durch den ∆−2LL-Wert gemessene Modellverbesserung vom Grundmodell zum Wertemodell beträgt 211,6 Einheiten, wohingegen die vom Kontroll- zum Gesamtmodell bei 225,4 Einheiten liegt. Waren zuvor noch die Grünen-Wähler jene, bei denen gesellschaftliche Wertorientierung annäherungsweise die Modellgüte so beeinflussten wie die Parteiidentifikation und die Kandidatenorientierung, so setzt die AfD-Wählerschaft bei der Bundestagswahl 2017 sozusagen neue Maßstäbe, ist der entsprechende Effekt hier doch recht hoch. Auch ist die Modellgüte des Wertemodells hier, ausgedrückt durch Hosmer-Lemeshows R2, mit einem Wert von 0,23 bedeutsam höher als bei den vergleichbaren Modellrechnungen für die Bundestagswahl 2017 – mit Ausnahme der Modellierung für die Grünen-Wahl. Dieser Wert steigt dann auf 0,51 im Gesamtmodell. Die so im Gesamtmodell erreichte Modellgüte ist der höchste Wert, der durch die Modellierung für eines der Elektorate zur Bundestagswahl 2017 erzielt werden kann. Auch ist einzig die für die CDU/CSU bei der Bundestagswahl 2013 errechnete Modellgüte im Gesamtmodell höher. Der konkrete Einfluss gesellschaftlicher Wertorientierung ist demnach – im Zusammenspiel mit weiteren hier dargelegten Faktoren – für die AfD-Wählerschaft entsprechend bedeutsam und umfangreich. Es zeigt sich, dass nicht nur eine rechts-materialistische Wertorientierung einen signifikanten Einfluss (p < 0,05) auf die Wahl der AfD hat, sondern auch eine säkulare Wertorientierung sich klar signifikant (p < 0,01) darauf auswirkt. Diese Beobachtung erscheint nur kohärent, sofern jene Ergebnisse der deskriptiven Analyse, die die AfD-Wähler als besonders säkular ausweisen, als Grundlage möglicher Vorüberlegungen dienen. Vor allem aber eine nationalistische Wertorientierung, die ebenso in der deskriptiven Analyse schon auffällig ist, hat einen hochgradig signifikanten Effekt (p < 0,001) auf das Wahlverhalten zu Gunsten der AfD. Anders als 2013 jedoch ist hier die Parteiidentifikation als hochgradig signifikanter Prädiktor (p < 0,001) in die Analyse einzubeziehen (vgl. Tabelle 4.36).

Tabelle 4.36 Binär-logistische Regressionen – Wahl der AfD 2017

Der Standardfehler weicht hier nicht länger in großem Ausmaß von dem entsprechender Alternativmodelle anderer Parteien ab. Ferner haben eine positive Haltung zur CDU/CSU-Kanzlerkandidatin Merkel sowie eine positive Haltung zum SPD-Kanzlerkandidaten Schulz einen ebenso signifikanten und negativen Effekt (p < 0,001) auf die Wahl der AfD bei der Bundestagswahl 2017.

Die Berechnung der Average Marginal Effects weist tatsächlich auch mannigfaltige signifikante Einwirkungen auf das Wahlverhalten für die AfD bei der Bundestagswahl 2017 aus. So zeigt sich, dass eine rechts-materialistische Wertorientierung durchaus einen signifikanten Effekt auf die Wahrscheinlichkeit der AfD-Wahl hat. Diese steigt um durchschnittlich 0,5 Prozent, je stärker die jeweiligen Individuen in Richtung des Rechts-Materialismus orientiert sind. Besonders deutlich wirkt sich aber eine säkulare Haltung auf die Wahlentscheidung aus. Die Wahrscheinlichkeit der AfD-Wahl steigt um durchschnittlich 1,4 Prozent, je säkularer ein Individuum ist. Übertroffen wird dieser Wert, zumindest im direkten Vergleich der hier untersuchten gesellschaftlichen Wertorientierungen, einzig durch den Einfluss einer nationalistischen Wertorientierung auf die AfD-Wahl (vgl. Abbildung 4.68).

Abbildung 4.68
figure 68

(Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung, basierend auf den Daten von Roßteutscher et al. 2019. Angegeben sind durchschnittliche marginale Effekte (in Prozentpunkten) und 95 %-Konfidenzintervalle, basierend auf Logit-Koeffizienten)

Average Marginal Effects AfD 2017.

Wenn eine nationalistische Wertorientierung auf Individualebene vorliegt, steigt die Wahrscheinlichkeit der AfD-Wahl um durchschnittlich 1,6 Prozent, je stärker diese Orientierung ist. Die Wahl-Wahrscheinlichkeit steigt ferner mit durchschnittlich 7,2 Prozent immens, sofern eine Identifikation mit der AfD vorliegt. Dies gilt dann wiederum auch für die steigende Intensität eben dieser Identifikation. Ferner zeigt sich, dass eine negative Bewertung der Spitzenkandidaten von Union und SPD signifikante Effekte auf das Wahlverhalten zu Gunsten der AfD hat. Ganz konkret bedeutet dies, dass eine positive Bewertung der CDU/CSU-Spitzenkandidatin die Wahrscheinlichkeit der AfD-Wahl um durchschnittlich 1,1 Prozent senkt.

Im direkten Vergleich hat so die Ablehnung der CDU/CSU-Kandidatin Merkel, die als Einflussgröße in ihrem Effekt stärker ist als beispielsweise eine rechts-materialistische Wertorientierung der AfD-Wähler, einen bedeutsamen Platz eingenommen. Die Ablehnung des SPD-Kanzlerkandidaten Schulz entfaltet ebenso einen signifikanten Effekt, liegt aber mit einer durchschnittlichen Effektstärke von 0,7 Prozent auf die Wahlentscheidung klar unter jenem, der durch eine Ablehnung Angela Merkels festzustellen ist. Im direkten Vergleich wird unter Betrachtung aller berechneten Average Marginal Effects deutlich, dass nur bei den Grünen im Bundestagswahljahr 2009 derart viele Dimensionen gesellschaftlicher Wertorientierungen gleichzeitig einen Einfluss auf die Wahlentscheidung entfalten konnten. Ferner verdeutlicht die entsprechende Analyse, in welchem Ausmaß tatsächlich eine nationalistische Wertorientierung das Wahlverhalten für die AfD beeinflusst. So zeigt sich nicht nur in der deskriptiven Analyse, dass die AfD im Spektrum nationalistisch orientierter Wähler eine sehr exponierte Rolle einnimmt. Darüber hinaus ist auch der konkret gemessene durchschnittliche Effekt dieser Wertorientierung, im direkten Vergleich zu den Elektoraten anderer Parteien, besonders hoch. Vergleichbare Effektstärken sind einzig 2017 bei einer religiösen Wertorientierung und der Wahl der Union sowie bei einer materialistischen Wertorientierung und der Wahl der FDP festzustellen.

So erscheint es kaum verwunderlich, dass diese nationalistische Wertorientierung nicht nur die Wahl der AfD bei der Bundestagswahl 2017, sondern auch eine entsprechende Ausbildung und Intensität einer Identifikation mit der Partei in einem hoch signifikanten Ausmaß (p < 0,001) positiv beeinflusst. Es lässt sich demnach attestieren, dass die AfD zum Wahljahr 2017 durchaus erfolgreich jene Wähler für sich mobilisieren kann, die 2013 aufgrund einer solchen Orientierung schon die Partei als solche favorisierten. Durch die Ausbildung einer Identifikation mit der AfD wird eine derartige Allianz aber auch stärker manifestiert als dies zuvor der Fall war. Darüber hinaus hat auch eine säkulare Wertorientierung der Anhänger einen signifikanten Einfluss nicht nur auf die Intensität der Parteiidentifikation, sondern auch auf das konkrete Wahlverhalten für die AfD. Auch dies war schon aufgrund der Häufigkeitsverteilung auf jener Konfliktdimension zwischen einer religiösen und einer säkularen Wertorientierung zu erwarten, nimmt die AfD-Wählerschaft doch 2017 die Rolle des am stärksten säkularen Elektorats ein. Eine materialistische Wertorientierung wiederum beeinflusst einzig die Ausbildung der Parteiidentifikation, nicht jedoch das konkrete Wahlverhalten. Dass die AfD nach der Bundestagswahl 2017 verstärkt auf jene Wählerschichten zugeht, ist unterdessen auch an Aussagen des AfD-Spitzenpolitikers Alexander Gauland abzuleiten, der da sagt: „Das Märchen vom menschengemachten Klimawandel glauben wir nicht“ (Sternberg 2019). Geht es doch bei dieser Dimension ganz konkret um die Abwägung zwischen ökologischen und ökonomischen gesellschaftlichen Priorisierungen, scheint die Position der AfD hier zweifelsohne festzustehen und für entsprechend orientierte Wähler Identifikation zu bieten. Sie positioniert sich hier demnach als materialistischer Antipode zu den Grünen. Die seitens der AfD noch zu Beginn klar wirtschaftsliberale Positionierung hat insofern Spuren hinterlassen, dass auch 2017 noch eine rechts-materialistische Wertorientierung die Wahl der AfD beeinflusst, nicht jedoch die Ausbildung einer Parteiidentifikation. Der zu beobachtende Effekt ist allerdings nur noch von geringem Ausmaß. Im Gegenteil dazu ist die Parteiidentifikation ein hoch signifikanter (p < 0,001) und starker positiver Prädiktor, der die Wahl der AfD beeinflusst. Diese wirkt aber auch ebenso klar auf die Beurteilung der konkurrierenden Spitzenkandidaten. Auffällig ist hier, dass der negative Effekt, welcher von einer Parteiidentifikation auf die Bewertung der CDU/CSU-Kandidatin Merkel ausgeht, der höchste Wert ist, der im Rahmen der hier vorgelegten Studie – positiv wie negativ – in diesem Kontext festzustellen ist. Der konkrete Effekt, welchen eine Identifikation mit der AfD im negativen Sinne auf eine Bewertung der CDU/CSU-Kandidatin Merkel hat, entspricht nahezu dem dreifachen dessen, wie eine Identifikation mit der Union im positiven Sinne auf die Bewertung der eigenen Kanzlerkandidatin wirkt. Die Person der Angela Merkel wird so nicht nur seitens der AfD zum politischen Feindbild erklärt, sondern auch von Anhängern und Wählern der AfD entsprechend rezipiert. Die Ablehnung seitens Individuen mit Parteiidentifikation innerhalb AfD-Wählerschaft ist hierbei umfangreicher als eine Unterstützung seitens Individuen, die sich mit der CDU/CSU identifizieren. Die hier vorgenommene Pfadmodellierung ist, wenngleich sich klare Effekte feststellen lassen, wie auch die vorangegangenen Modellierungen, in seiner Güte nicht zufriedenstellend. Die entsprechenden Werte für den CFI (0,417) und den RMSEA (0,103) signalisieren einen nicht akzeptablen Modell-Fit. Einer der Gründe ist hier beispielhaft, dass eine nationalistische Wertorientierung in einem hohen Umfang auch die Einschätzung der CDU/CSU-Kandidatin Merkel beeinflusst. Dabei ist festzustellen, dass je nationalistischer die Wertorientierung eines Individuums ist, desto negativer fällt auch seine Einschätzung der Kanzlerkandidatin aus. Eine Modellanpassung ist aber, wie bereits mehrfach argumentiert, aus theoretischer Sicht nicht sinnvoll. Vielmehr zeigt die Modellierung, dass es sich hier möglicherweise eher um Defizite bei Erklärungsansätzen der Wahlforschung handelt. Dies tangiert aber keineswegs die vorliegenden Ergebnisse, die einen direkten Effekt gesellschaftlicher Wertorientierungen ebenso sehr beobachten lassen wie auch indirekte Effekte (vgl. Abbildung 4.69).

Abbildung 4.69
figure 69

(Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung, basierend auf den Daten von Roßteutscher et al. 2019.  \(x^{2}\)= 148,770; CFI = 0,417; RMSEA = 0,103)

Pfadmodell AfD 2017.

4.3.6.3 Zusammenfassung der AfD-Wahl 2013 bis 2017

Eine Zusammenfassung der vorliegenden Ergebnisse für die AfD-Wahl ist insofern als nicht unproblematisch einzuordnen, da mit den hier vorliegenden Modellierungen zumindest für 2017 mehr Erkenntnisse erzielt werden konnten als mit jenen für 2013. Dies betrifft auch die Analyseebene, war doch für das besagte Wahljahr 2013 keine Pfadmodellierung möglich. Tatsächlich liegt dies aber weniger an der theoretischen Konzeption, sondern ist in den hier verwendeten Daten begründet. Eine Pfadmodellierung wie jene, die für 2017 vorgenommen wurde, ist aufgrund der Datenlage für die Bundestagswahl 2013 demnach unmöglich. Der zu beobachtende Effekt, der eine nationalistische Wertorientierung aber auch hier zu entfalten vermag, ist jedoch keineswegs von der Hand zu weisen. Orientiert an den Average Marginal Effects hat sich die durchschnittliche Effektstärke einer solchen Wertorientierung auf das Wahlverhalten zwischen 2013 und 2017 verdoppelt. Auch ist zumindest für 2017 durchaus zu konstatieren, dass die Gauland’sche Doktrin der Merkel-Jagd keineswegs überraschend sein dürfte, scheint eine Ablehnung der CDU/CSU-Kanzlerkandidatin eindeutig und omnipräsent zu sein. Dass die Wählerbasis der AfD im Bundestagswahljahr 2017 durch mehr Dimensionen gesellschaftlicher Wertorientierungen geprägt wird als noch 2013, zeigt ferner, wie erfolgreich die AfD inzwischen aus der einstigen Position einer euroskeptischen Nischenpartei an Profil gewinnen konnte, beispielsweise durch eine Erweiterung des inhaltlichen Angebots an die Wähler.

Auch wenn die Pfadmodellierungen nicht in der Lage sind, das Wahlverhalten für die AfD ausschöpfend zu erklären, so zeigen sie durchaus die Kausalbeziehungen zwischen einer entsprechenden Wertorientierung und den dazugehörigen direkten und indirekten Effekten, die auf die Wahl der Partei wirken. Im direkten Vergleich zu den Elektoraten anderer Parteien wird am Beispiel der AfD im Bundestagswahljahr 2017 sichtbar, in welchem Ausmaß gesellschaftliche Wertorientierungen als Prädiktor für das Wahlverhalten wirken können. Bei keinem anderen Elektorat als dem der AfD 2017 ist es so, dass die Erklärungskraft der Parteiidentifikation und einer Kandidatenorientierung dem der gesellschaftlichen Wertorientierungen nahezu gleichgestellt ist. Einzig für die Grünen-Wähler lassen sich 2013 und 2017 annäherungsweise vergleichbar hohe Modellverbesserungen erzielen.

In der Summe ist es so, dass jene Hypothese, in der ein Einfluss durch eine nationalistische Wertorientierung auf die Wahl der AfD bei den Bundestagswahlen 2013 und 2017 postuliert wurde, angenommen werden kann. Der entsprechende Effekt hat sich zwischen den beiden Wahlen sogar noch weiter vergrößert. Dies gilt aber unter dem Vorbehalt der Einschränkung, dass sich diese Interpretation einer genauen Effektstärke für 2013 ausschließlich auf die Berechnung der Average Marginal Effects bezieht. Für die Bundestagswahl 2013 konnte keine Pfadmodellierung mit möglichen Mediatoreffekten vorgenommen werden, wohingegen dies für die AfD-Wahl bei der Bundestagswahl 2017 möglich war.

4.4 Zusammenfassung der Ergebnisse der Analyse

In der Summe zeigen sich innerhalb der deutschen Bevölkerung teilweise immense Veränderungen entlang der Konfliktdimensionen gesellschaftlicher Wertorientierungen. Interessant ist so beispielhaft, dass die Gesamtbevölkerung in der Summe links-materialistischer geworden ist, nichtsdestotrotz aber weiterhin mittig zwischen beiden Polen positioniert ist. Demnach wird gesamtgesellschaftlich, zumindest durchschnittlich, in Abwägung zwischen beiden Extrempositionen ein Mittelweg bevorzugt.

Auf Ebene der Wähler der hier untersuchten Parteien zeigt sich schließlich, dass mit Ausnahme der AfD-Wählerschaft alle Elektorate im Zeitverlauf der hier beobachteten Bundestagswahlen links-materialistischer werden. Die Wähler der AfD hingegen wenden sich im Schnitt 2017 noch etwas stärker einer rechts-materialistischen Wertorientierung zu. Nichtsdestotrotz bleiben die Wähler der CDU/CSU und FDP, anders als die der SPD, Grünen und Linken, auch weiterhin dezidiert rechts-materialistisch orientiert. Eine entsprechende Veränderung der Position auf dieser Achse darf demnach keineswegs darüber hinwegtäuschen, dass es sich hier um weiterhin im Schnitt moderat bis sehr klar marktwirtschaftlich orientierte Elektorate handelt. Tatsächlich sind vor allem die Elektorate der CDU/CSU und FDP zur Bundestagswahl 2009, ab 2013 auch ergänzt um die AfD-Wählerschaft, entlang dieser Konfliktlinie nicht signifikant voneinander zu unterscheiden, liegen entsprechende Durchschnittspositionen hier schlicht zu nahe beieinander. Eine ähnliche Beobachtung ist bei den Wählern von Grünen und Linken zu machen, die sich auf dieser Konfliktlinie nicht signifikant voneinander unterscheiden lassen. Diese sind hier allerdings als links-materialistisch orientiert einzustufen. Die entsprechenden Differenzen beider Elektorate sind – zumindest im Durchschnitt – nur marginaler Natur. Für die Wähler der SPD wiederum ist zu konstatieren, dass diese 2009 nicht signifikant von denen der Linken zu unterscheiden sind, 2013 wiederum nicht von denen der AfD. Einzig im Bundestagswahljahr 2017 liegen statistisch signifikante Unterschiede zu den Elektoraten aller hier untersuchten Parteien vor.

Daraus ergeben sich zumindest in dieser Hinsicht schon weitreichende Chancen, die aber auch gleichermaßen als Problem identifiziert werden müssen. Insbesondere für die SPD und Linke, die sich politisch entlang dieser Konfliktlinie als Vertreter mit entsprechendem Alleinstellungsmerkmal gerieren, ist demnach festzustellen, dass dies nicht der Fall ist. Links-materialistisch orientierte Wähler finden auf dieser Konfliktlinie mehrere Parteien, die ihnen ein entsprechendes inhaltliches Angebot machen können, auf welches diese aber nicht notwendigerweise eingehen müssen. Einzig 2017 liegen statistisch signifikante Unterschiede für die Wählerschaft der SPD zu allen weiteren Elektoraten vor. Dies darf aber keineswegs darüber hinwegtäuschen, dass die SPD-Wähler zu dieser Wahl zwar im links-materialistischen Spektrum zu verorten sind, dabei aber gleichzeitig durchschnittlich eher in Richtung der Achsenmitte tendieren. Die SPD gewinnt demnach vor allem Stimmen von Wählern, die ein eher mittig bis linkes Profil auf dieser Konfliktdimension haben, wohingegen Grüne und Linke vor allem bei tatsächlich links-materialistisch orientierten Wählern zu punkten vermögen. Dabei stehen sie aber auch gleichzeitig in Konkurrenz um diese Wähler, woraus kein eindeutiger Alleinvertretungsanspruch abzuleiten ist.

Dass sich im Feld jener Individuen, die eine rechts-materialistische Wertorientierung haben, mit der CDU/CSU, der FDP und der AfD gleich drei Parteien anzubieten scheinen, die diese bündeln und aggregieren können, erscheint als wenig überraschend. Demgegenüber erfüllen SPD, Grüne und Linke diese Rolle für jene Individuen, die links-materialistisch orientiert sind. Nichtsdestotrotz ist zumindest für die FDP diese Konfliktlinie von hoher Relevanz, definiert sich diese jahrzehntelang als eher marktwirtschaftliche und wirtschaftsliberale Partei. Wenn hier also festgestellt wird, dass Individuen mit einer entsprechenden Wertorientierung ihr Wahlverhalten nicht nur auf die FDP beschränken, wird dies zumindest auf lange Sicht womöglich zu einem Problem für sie. Dies ist darin begründet, dass der FDP schon in der Vergangenheit ein zu monothematischer Zuschnitt auf ihre Wirtschafts- und Steuerpolitik (Vorländer 2011, S. 114) attestiert wurde. Eine weitere Entwicklung in diese Richtung wäre demnach als strategisches Risiko einzuschätzen, da die Partei hier viel elektorale Unterstützung gewinnen, gleichzeitig aber auch viel verlieren könnte, steht sie doch hier nicht ohne Konkurrenz dar.

Für die jeweiligen Wahlentscheidungen zeigt sich dann, dass eine entsprechende Varianz innerhalb der jeweiligen Elektorate festzustellen ist. Eine rechts-materialistische Wertorientierung hat so für die Wähler der CDU/CSU keinerlei signifikanten Effekt auf ihr Wahlverhalten, wohl aber in einem nicht unwesentlichen Umfang darauf, ob sich ein Individuum mit der Union zu identifizieren vermag. Der entsprechende Effekt nimmt aber im Verlauf der Analyse von 2009 bis 2017 stetig ab.

Während für die SPD-Wählerschaft keinerlei signifikante Effekte einer links-materialistischen Wertorientierung auf das Wahlverhalten attestiert werden können, ist zumindest für das Bundestagswahljahr 2017 ein Effekt einer entsprechend rechts-materialistischen Wertorientierung auf das Wahlverhalten zu Gunsten der FDP festzustellen. Zwar wirkt bei beiden Elektoraten die jeweilige Wertorientierung signifikant zumindest auf die Parteiidentifikation ein und somit indirekt auch auf das Wahlverhalten, doch sinkt diese Effektstärke im hier beobachteten Zeitraum. Vor allem für die SPD-Wählerschaft bricht dieser Wert nahezu vollends ein. Eingangs wurde für die FDP-Wählerschaft die folgende Hypothese formuliert:

H1: Je stärker ein Individuum rechts-materialistisch orientiert ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass es die FDP wählt.

Gemessen an den vorliegenden Ergebnissen kann diese Hypothese für die Bundestagswahl 2017 bestätigt werden, gleichwohl sie für die Bundestagswahlen 2009 und 2013 zurückgewiesen werden muss. Zwar hat eine entsprechend rechts-materialistische Wertorientierung durchaus über die Parteiidentifikation einen indirekten Effekt auf das Wahlverhalten, ein direkter Effekt kann jedoch nur für eine der drei Bundestagswahlen beobachtet werden. Ob der FDP auch auf langfristige Sicht die Bindung eben dieser Wähler gelingt, müssen dann entsprechende Folgestudien zeigen. Der hier beobachtete Effekt zeigt aber in der Tat, dass die Bundestagswahl 2017 insofern auch von besonderem Interesse ist, da die FDP hier nicht nur indirekt, sondern gleichermaßen direkt über diese gesellschaftliche Wertorientierung ihrer Unterstützer profitieren kann.

Anders gestaltet sich dies für die SPD, für deren Wählerschaft eingangs die folgende Hypothese formuliert wurde:

H2: Je stärker ein Individuum links-materialistisch orientiert ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass es die SPD wählt.

Zu keiner der hier in die Analyse einbezogenen Bundestagswahlen liegt ein direkter Effekt einer links-materialistischen Wertorientierung auf das Wahlverhalten zu Gunsten der SPD vor. Demnach muss die entsprechende Hypothese zurückgewiesen werden. Handelt es sich bei der Konfliktlinie zwischen Links-Materialismus und Rechts-Materialismus um eine modernisierte Form des Sozialstaatskonflikts, sind die vorliegenden Ergebnisse für die Partei alarmierend. So liegt nicht nur eine fehlende direkte Prägungskraft dieser Wertorientierung auf das Wahlverhalten vor, auch die Intensität einer SPD-Parteiidentifikation wird mit immer weiter abnehmender Stärke durch diese beeinflusst. Es stellt sich die Frage, auf welcher Basis eine Wahlentscheidung für die SPD gefällt wird, wenn gleichzeitig, so wird hier noch im Folgenden auch zusammengefasst, keinerlei Wertorientierung einen solchen direkten Effekt hat. Sollten langfristige Faktoren immer weiter an Bedeutung für das individuelle Wahlverhalten verlieren, hat die Partei ein Problem, da sie keine gefestigte Wählerreserve hat, auf die sie dann noch zurückgreifen kann.

Die Grünen als dezidiert links-materialistisch orientierte Partei wiederum profitieren auf der Ebene individuellen Wahlverhaltens nur bei der Bundestagswahl 2009 direkt und signifikant durch diese Wertorientierung. Dennoch ist es so, dass zumindest der indirekte Effekt, der sich von der Wertorientierung auf die Parteiidentifikation und erst dann auf das Wahlverhalten entfaltet, im Zeitverlauf stärker wird, wenn auch nur in einem geringfügigen Ausmaß.

Viel wichtiger erscheint an dieser Stelle auch die Linken-Wählerschaft in den Blick zu nehmen, lautete doch die dritte Hypothese wie folgt:

H3: Je stärker ein Individuum links-materialistisch orientiert ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass es die Linke wählt.

Diese Hypothese muss für die Wählerschaft der Linken bei den Bundestagswahlen 2009 und 2013 zurückgewiesen werden, liegt bei diesen doch kein direkter Effekt auf das Wahlverhalten vor. Demgegenüber ist es bei der Bundestagswahl 2017 so, dass eine links-materialistische Wertorientierung durchaus einen direkten und positiven Effekt auf das Wahlverhalten hat. Zudem zeigen die Pfadmodellierungen, dass die Entstehung und Intensität einer Parteiidentifikation durch diese Wertorientierung signifikant und positiv beeinflusst wird. Dieser Effekt wird im Zeitverlauf von 2009 bis 2017 stärker. Nichtsdestotrotz zeigt sich hier ein zunehmender Bedeutungsverlust dieser Konfliktdimension für den Parteienwettbewerb. Mögliche Gründe könnten in einer Überlagerung durch neue Themenlagen oder einer Neujustierung vorherrschender Wertpräferenzen liegen, womöglich auch darin begründet sein, dass das Gesamtelektorat im Durchschnitt links-materialistischer wird. Eine als Abbild des Sozialstaatskonflikts verstandene links-materialistische Wertorientierung prägt hier nur geringfügig direkt das Wahlverhalten für eine Partei, die sich einer linken Sozialpolitik und entsprechend umfangreichen redistributiven Politikvorschlägen verschrieben hat.

Dass das Wahlverhalten zu Gunsten der AfD bei der Bundestagswahl 2017 auch durch eine eher rechts-materialistische Ausrichtung geprägt wird, wenn auch nur in einem geringen Ausmaß, zeigt einen Bedeutungszuwachs dieser Konfliktlinie – zumindest zum Zeitpunkt dieser Bundestagswahl. So entfaltet sich eine direkte Wirkung auf das Wahlverhalten entlang dieser Konfliktdimension während der drei Beobachtungszeitpunkte insgesamt vier Mal, wobei drei dieser Einflussgrößen bei der Bundestagswahl 2017 beobachtet werden können. Eine links-materialistische Wertorientierung entfaltet bei dieser Wahl ausschließlich einen direkten Effekt auf die Linken-Wahl, eine rechts-materialistische Wertorientierung wiederum auf die Wahl von FDP und AfD.

Neben dieser Konfliktlinie ist, wie in der vorliegenden Arbeit dargelegt, vor allem der Konflikt zwischen einer religiösen und einer säkularen Wertorientierung für die Ausdifferenzierung des deutschen Parteiensystems relevant gewesen. Im Verlauf der vergangenen Jahrzehnte hat sich die deutsche Gesamtbevölkerung immer stärker säkularisiert, davon sind auch die hier beobachteten drei Bundestagswahlen von 2009 bis 2017 nicht ausgenommen. So zeigt sich weiterhin eine zunehmende Säkularisierung der Gesamtbevölkerung.

Interessant ist hierbei insbesondere, dass zwar fast alle Elektorate im Schnitt zwischen 2009 und 2017 säkularer werden, jenes der Grünen aber geringfügig religiöser wird und sich somit entgegen dem gesamtgesellschaftlichen Trend entwickelt. Die Unionsparteien haben jedoch weiterhin das religiöseste Elektorat, wohingegen die Linke und die AfD die säkularsten Wähler haben. Aus diesem Grund sind zumindest die CDU/CSU-Wähler zu den Bundestagswahlen 2009 und 2017 statistisch signifikant zu den Elektoraten der anderen hier untersuchten Parteien abzugrenzen, handelt es sich bei ihnen um die eindeutig religiöseste Wählerschaft. Für 2013 liegen keine statistisch signifikanten Unterschiede zu allen Parteien vor, lassen sich die Wähler der CDU/CSU und die der FDP nicht klar voneinander auf dieser Dimension und zu diesem Zeitpunkt unterscheiden. Zu den Wahlen 2009 und 2017 wiederum liegen zwischen den Wählerschaften der SPD, der FDP und den Grünen keine statistisch signifikant ermittelbaren Differenzen vor. Gleiches gilt 2017 für die Linken-Wähler und die Wähler der AfD, handelt es sich doch dabei um die am weitesten säkularisierten Elektorate.

Eine Unterscheidbarkeit auf dieser Konfliktlinie erscheint allerdings vor allem für die Unionsparteien als hochgradig relevant, reklamieren diese doch bis heute, nicht zuletzt durch ihren Parteinamen, zumindest die religiösen Weltanschauungen von in Deutschland lebenden Christen abzubilden. Entsprechende Bemühungen sind aber insbesondere für Individuen jüdischen Glaubens und auch zumindest in Teilen der Partei auch muslimischen Glaubens durchaus nachvollziehbar. Die eingangs zu dieser Konfliktdimension formulierte Hypothese lautete demnach:

H4: Je religiöser ein Individuum ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass es CDU/CSU wählt.

Tatsächlich ist es so, dass eine religiöse Wertorientierung einzig 2017 einen direkten positiven und statistisch signifikanten Effekt auf das Wahlverhalten für die Unionsparteien hat. Einen indirekten Effekt entfaltet eine religiöse Wertorientierung darüber hinaus aber insbesondere über die Parteiidentifikation auf das Wahlverhalten für CDU/CSU. Die hier angenommene und darauf auch basierende Beziehung ist demnach nicht zu allen drei Untersuchungszeitpunkten feststellbar. Die entsprechende Hypothese muss deshalb für die Bundestagswahlen 2009 und 2013 verworfen werden und kann einzig für die Bundestagswahl 2017 angenommen werden.

Dies hat für die CDU/CSU eine hohe Bedeutung. So kann aus strategischer Sicht durchaus konstatiert werden, dass vor allem eine Identifikation mit der Union auch weiterhin in einem hohen Ausmaß durch eine solche religiöse Wertorientierung geprägt wird. Die hier vorliegenden Daten zeigen sogar, dass der Effekt zwischen 2009 und 2017 in der Summe zugenommen hat. Nicht vergessen werden sollte aber, dass konfessionelle Gemeinschaften in Deutschland an Bedeutung verlieren, scheiden doch immer mehr Menschen aus ihnen aus, sei es durch Tod oder Austritt. Studien zu diesem Thema haben aber schon in der Vergangenheit belegt, dass Schrumpfprozesse konfessioneller Gemeinschaften die gesamtgesellschaftliche Bedeutung dieser auch für das Wahlverhalten sinken lassen, dies aber nicht zwangsläufig etwas am Wahlverhalten innerhalb dieser Gruppen ändern muss. Religiös geprägte Individuen wählen auch weiterhin Parteien, die diese Wertvorstellungen am ehesten zu spiegeln vermögen (Elff und Roßteutscher 2011, S. 109; S. Pickel 2018, S. 593). Die hier vorliegende Analyse zeigt jedoch, dass Unterschiede mehr und mehr nivelliert werden, sodass eine religiöse Wertorientierung nicht mehr zwangsläufig hohe und direkte Effekte auf das Wahlverhalten haben muss. Tatsächlich ist eher das Gegenteil der Fall, ist inzwischen vor allem auch eine säkulare Wertorientierung maßgeblich für das Wahlverhalten innerhalb mancher Elektorate.

Im Fall der SPD ist zu beobachten, dass die Konfliktlinie zwischen einer säkularen und einer religiösen Wertorientierung zu keinem Zeitpunkt das Wahlverhalten direkt beeinflusst. Auch auf die Parteiidentifikation wirkt eine säkulare Wertorientierung nur bei der Bundestagswahl 2013 ein. Zur besagten Wahl liegt der konkrete Effekt gar über jenem, den eine links-materialistische Wertorientierung auf die Intensität der Parteiidentifikation hat. Ansonsten lassen sich in der SPD-Wählerschaft keine weiterführenden Einflüsse feststellen.

Für die FDP wiederum spielt diese Wertorientierung keine Rolle, weder im Hinblick auf das Wahlverhalten noch auf die Intensität der Parteiidentifikation. Diese Ergebnisse für SPD und FDP sind dahingehend bemerkenswert, als dass es diese beiden Parteien waren, welche bei Gründung der Bundesrepublik maßgeblich daran beteiligt waren, religiöse und kirchliche Einflüsse auf Politik und Staat zurückzudrängen. Für die Wähler beider Parteien ist dieses historische Erbe demnach nicht länger maßgeblich für eine Identifikation mit oder Wahl der Partei. Besonders für die FDP sind die Ergebnisse aber deshalb interessant, weil zumindest für die Bundestagswahl 2013 kein statistisch signifikanter Unterschied zwischen der FDP-Wählerschaft und den Wählern der Unionsparteien entlang dieser Konfliktlinie ermittelt werden kann.

Während seitens der Grünen-Wählerschaft keine Einflüsse einer religiösen oder säkularen Wertorientierung auf die Intensität der Parteiidentifikation oder des Wahlverhaltens vorliegen, hat zumindest eine säkulare Wertorientierung einen klar signifikanten Einfluss auf die Wahl der Linken. Tatsächlich beeinflusst diese bei allen drei Bundestagswahlen in einem nicht unwesentlichen Umfang eine Identifikation mit der Linken und damit indirekt auch die Wahl dieser Partei. Ferner liegen für die Bundestagswahlen 2013 und 2017 direkte Effekte auf das Wahlverhalten vor. Eine säkulare Wertorientierung ist folglich nicht nur identitätsstiftend, sondern auch handlungsleitend für die Linken-Wählerschaft. Dabei darf selbstredend nicht vergessen werden, dass die Linke, wenngleich sie heute auch in Westdeutschland zunehmende Unterstützung erfährt, eine Partei ist, die traditionell „ihre Hochburgen (…) in Ostdeutschland hat“ (Träger 2020, S. 168). Wenn also gesamtgesellschaftliche Säkularisierungsprozesse zu beobachten sind, darf dann auch in diesem Kontext nicht ausgeblendet werden, wie auch davon gesprochen wird, dass sich „die Westdeutschen an die ostdeutsche Kultur der Religionslosigkeit annähern“ (Pickel 2013, S. 93). Die demnach starken Effekte einer säkularen Wertorientierung auf das Wahlverhalten zu Gunsten der Linken können dann wiederum, selbstredend zugespitzt, als eine Art politischer Heimvorteil gedeutet werden.

Dass die AfD-Wählerschaft, die zur Bundestagswahl 2017 das im Schnitt säkularste aller Elektorate ist, demnach auch durch eine säkulare Wertorientierung weitreichend beeinflusst wird im Wahlverhalten und der Intensität, in der sich die Wähler mit der Partei identifizieren, erscheint nicht überraschend. So ist das grundsätzliche Verhältnis der Kirchen und der AfD keineswegs als harmonisch zu beschreiben, positionierten sich beispielsweise die katholischen Bischöfe vor der Bundestagswahl 2017 mehr als deutlich zur AfD. So sagte der damalige Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, im Vorfeld der Wahl: „Wir distanzieren uns klar vom populistischen Vorgehen und vielen inhaltlichen Haltungen der Partei“ (Neuerer 2017). Ähnlich angespannt ist die Beziehung zu muslimischen Gemeinden, nimmt die AfD doch dezidiert anti-muslimische Positionen ein. Auch strukturelle Faktoren dürfen dabei sicher, wie auch bei der Linken, eine entscheidende Rolle spielen, erfährt die AfD doch im weitestgehend säkularen Ostdeutschland zwei Mal so viel Unterstützung wie in Westdeutschland (Weisskircher 2020, S. 614). Die genauen Ursachen für die Säkularität der AfD-Wählerschaft lassen sich hier aber nicht zweifelsfrei festhalten.

Es zeigt sich bei näherer Betrachtung, dass Deutschlands „Religionslandschaft (…) ein wenig pluralistischer, vor allem aber deutlich säkularer geworden“ (Wolf und Roßteutscher 2013, S. 151) ist. Dadurch verliert Religion aber auch langfristig „ihre Funktion, politische Einstellungen und Verhaltensweisen zu determinieren. Religion wird somit immer weniger politisch sinnstiftend, es kommt zu einer weitgehenden Entkoppelung von Religiosität und politischen Orientierungen“ (Wolf und Roßteutscher 2013, S. 175). Während manche Parteien wie die Linke oder die AfD, wie hier in der Analyse dargestellt, davon offensichtlich profitieren können, vermag es für die Union durchaus die politische Existenz gefährden, sofern sie nicht auch aufgrund anderer Qualitäten denn ihrer religiösen Ausrichtung unterstützt wird, beispielsweise aufgrund anderer gesellschaftlicher Wertorientierungen.

Eine Möglichkeit dafür bietet sich beispielhaft bei jener zwischen einer materialistischen und einer postmaterialistischen Wertorientierung an. Während die Grünen zu ihrer Gründungsphase einen nahezu alleinigen Vertretungsanspruch für postmaterialistisch orientierte Wähler entwickeln konnten, war die Situation für materialistisch orientierte Individuen dahingehend anders gelagert, dass sich dort mehrere Parteien als Repräsentanten anboten. Eine etwas hervorgehobene Stellung nahm hier vor allem die Union ein, die besonders attraktiv für materialistische Wähler erschien.

In der Summe wird die gesamtdeutsche Bevölkerung zwischen 2009 und 2017 durchaus postmaterialistischer, wenngleich diese ohnehin schon zu jedem der drei untersuchten Zeitpunkte eher postmaterialistisch orientiert ist. Der für die Bevölkerung auf dieser Achse durchschnittliche erfasste Wert verschiebt sich allerdings klarer in Richtung des postmaterialistischen Pols.

Eine Analyse der jeweiligen Elektorate, die im Schnitt zu jedem Zeitpunkt alle eher postmaterialistisch bis stark postmaterialistisch geprägt sind, zeigt dann wiederum in Teilen weitreichende Veränderungen im Verlauf der Bundestagswahlen von 2009 bis 2017. So werden die Wählerschaften von CDU/CSU und FDP deutlich postmaterialistischer, weitaus geringere Entwicklungsschritte sind wiederum bei der SPD-Wählerschaft zu beobachten. Auch diese wird aber im Schnitt postmaterialistischer. Die Wählerschaften von Grünen und Linken, die bereits 2009 durchschnittlich klar postmaterialistisch orientiert sind, werden im Zeitverlauf hingegen materialistischer, wobei die entsprechende Entwicklung für die Grünen-Wähler weitaus erheblicher ist als die bei den Wählern der Linken. Auch die AfD-Wählerschaft wird im Schnitt von 2013 bis 2017 materialistischer, obgleich auch hier der entsprechende Effekt nur marginal ist.

Im gewählten Untersuchungszeitraum sind die Wähler der Grünen jene mit der stärksten postmaterialistischen Wertorientierung. Die FDP-Wählerschaft nimmt 2009 wiederum die Rolle der am stärksten materialistisch orientierten Wählergruppe ein, wird jedoch bei den darauffolgenden Bundestagswahlen 2013 und 2017 schließlich von der AfD darin abgelöst.

Bei den Bundestagswahlen 2009, 2013 und 2017 sind die Wähler der CDU/CSU und FDP auf dieser Dimension nicht signifikant voneinander zu unterscheiden, jene der AfD kommen bei den beiden letztgenannten Wahlterminen hinzu. Aufgrund ihrer exponiert postmaterialistischen Wertorientierung lassen sich die Wähler der Grünen von allen anderen Elektoraten sehr gut differenzieren. Diese Beobachtung kann bei allen drei Bundestagswahlen gemacht werden. Die Wähler der Linken und der SPD wiederum lassen sich nur 2009 signifikant voneinander unterscheiden, sind sich jedoch 2013 und 2017 auf dieser Dimension zu ähnlich, um sie voneinander differieren zu können. Auch sind sich die Wähler der AfD und der Linken, zumindest bei der Bundestagswahl 2013, entlang dieser Dimension zu ähnlich, um statistisch signifikante Differenzen feststellen zu können.

An Effekten ist dann tatsächlich bei der Union zu den Bundestagswahlen 2013 und 2017 zu beobachten, dass eine materialistische Wertorientierung einen signifikanten und positiven Effekt auf die Wahl der dazugehörigen Parteien hat. Darüber hinaus wirkt eine materialistische Wertorientierung bei allen drei in der Untersuchung einbezogenen Bundestagswahlen positiv und signifikant auf eine Identifikation mit der CDU/CSU ein. Demnach führt eine höhere materialistische Wertorientierung nicht nur zu einer höheren Wahrscheinlichkeit der Wahl der Union, sondern insbesondere zu einem höheren Identifikationsgrad mit den Christdemokraten. Für die Wahl der SPD hingegen hat diese Wertorientierung keinen direkten signifikanten Effekt. Einzig die Parteiidentifikation wird 2009 und 2013 positiv und signifikant durch diese Konfliktlinie beeinflusst, sofern ein Individuum als postmaterialistisch orientiert einzuordnen ist. Darüber hinaus sind dann auch geringfügige Effekte auf das Wahlverhalten durchaus plausibel. Es zeigt sich aber der fortsetzende Trend, dass die Wahl der SPD, zumindest in Form direkter Beziehungen, nicht durch die hier erfassten Wertorientierungen beeinflusst wird.

Die Wahl der FDP wird einzig 2017 klar durch eine materialistische Wertorientierung beeinflusst, 2009 hingegen liegt einzig eine entsprechende Identifikation mit der Partei durch diese Dimension vor. Weitere Effekte sind demnach nicht zu beobachten, die einen langfristigeren Trend vermuten lassen würden. Nichtsdestotrotz fällt dies im Fall der FDP bei der Bundestagswahl 2017 offenkundig zusammen mit jenem Effekt, den auch eine rechts-materialistische Wertorientierung bei dieser Wahl auf das Wahlverhalten für die Partei hat. Es ist demnach durchaus möglich, dass die FDP hier marktwirtschaftlich orientierte Individuen für sich gewinnen kann, die einen allzu umfassenden Sozialstaat ebenso ablehnen wie auch die Bevorzugung einer mehr an der Ökologie denn an der Ökonomie ausgerichteten Politik.

Wähler der Grünen werden wiederum bei allen hier drei untersuchten Zeitpunkten indirekt durch eine postmaterialistische Wertorientierung beeinflusst, hat diese doch einen positiven und signifikanten Effekt auf die Entstehung und Intensität einer Identifikation mit der Partei. Ferner zeigt sich, dass es auch einen direkten Effekt einer solchen Wertorientierung auf die Wahl der Grünen gibt, zumindest bei den Bundestagswahlen 2009 und 2017. Im Hinblick auf diese Beziehung wurde die folgende Hypothese aufgestellt:

H5: Je stärker ein Individuum postmaterialistisch orientiert ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass es die Grünen wählt.

Tatsächlich kann diese entsprechend für die Bundestagswahlen 2009 und 2017 angenommen, muss aber für die Bundestagswahl 2013 zurückgewiesen werden. Zum besagten Zeitpunkt sind keine direkten Effekte einer solchen postmaterialistischen Wertorientierung zu identifizieren. Für die Grünen als Partei sind die vorliegenden Ergebnisse zunächst sehr positiv einzuschätzen, da es ihr offensichtlich bis heute gelingt, entsprechend orientierte Wähler für sich zu gewinnen, die ursächlich mal die Kernklientel ausmachten und dies heute offenkundig weiterhin tun. Dass dieser Effekt 2013 zumindest auf direkte Art und Weise nicht zu beobachten ist, mindert diese Ergebnisse als solche nicht, schließlich entfaltet sich zumindest über die Parteiidentifikation eine indirekte Wirkung – dies auch zu allen Untersuchungszeitpunkten.

Für die Wähler der Linken spielt die entsprechende Konfliktlinie zwischen einer materialistischen und einer postmaterialistischen Wertorientierung eine weniger umfassende Rolle, entfaltet aber auch signifikante Effekte. So ist es hier so, dass die Linken-Wahl 2009 direkt und signifikant durch eine postmaterialistische Wertorientierung beeinflusst wird, wenngleich der entsprechende Effekt äußerst gering ist. 2017 wird dann eine Identifikation mit der Linken in erheblich stärkerem Ausmaß durch eine solche postmaterialistische Wertorientierung beeinflusst. Somit liegt hier zumindest 2017 eine indirekte Wirkungsweise auf das Wahlverhalten vor.

Für die AfD wiederum lassen sich nur für die Bundestagswahl 2017 indirekte Effekte über die Parteiidentifikation feststellen. Je materialistischer ein Individuum gesinnt ist, desto höher ist hier entsprechend die empfundene Identifikation mit der Partei. Davon gehen dann indirekte Effekte auf das Wahlverhalten aus, die hier jedoch nicht ganz konkret nachgezeichnet werden können. Zumindest zur Bundestagswahl 2017 ist aber festzustellen, dass eine materialistische Wertorientierung zugleich die einzige unter den hier vier analysierten Dimensionen ist, bei der kein direkter Effekt auf die AfD-Wahl nachvollziehbar ist. Viel wichtiger sind für die Partei und ihre Wähler letztlich jene Effekte, die auf der Konfliktdimension zwischen Kosmopolitismus und Nationalismus zu beobachten sind.

Auf eben dieser Konfliktlinie zwischen Kosmopolitismus und Nationalismus sind vielschichtige und interessante Ergebnisse festzustellen. Zunächst ist die Gesamtbevölkerung im Beobachtungszeitraum deutlich kosmopolitischer geworden, verbleibt aber im Schnitt leicht nationalistisch orientiert. Es zeigt sich hierdurch, dass die Fluchtbewegungen seit 2015 nicht dazu geführt haben, dass die deutsche Gesamtwählerschaft nationalistischer geworden ist, sondern im Gegenteil kosmopolitischer orientiert ist. Ferner hat dies insofern Bedeutung, da somit die hier vorliegenden Ergebnisse auch für die AfD-Wählerschaft deutlich an Aussagekraft gewinnen. Artikuliert und definiert sich die AfD doch dezidiert als Vertreterin einer nationalistischen Wertorientierung, hat ihre Entstehung und vorläufige Etablierung keinen gesamtgesellschaftlichen Umbruch vorherrschender Denkweisen verursacht.

Die Analyse der jeweiligen Elektorate zeigt dann, dass die Wählerschaften deutscher Parteien, mit Ausnahme der AfD, im Schnitt kosmopolitischer geworden sind, während die Wählerschaft der AfD zwischen 2013 und 2017 deutlich nationalistischer wird. Nichtsdestotrotz bleiben die Wähler von CDU/CSU, SPD und FDP im Bundestagswahljahr 2017 eher mittig orientiert – allerdings mit einer leichten Tendenz zu einer nationalistischen Wertorientierung. Die Wählerschaften von Grünen und Linken sind hingegen als klar kosmopolitisch zu identifizieren. So ist es nicht verwunderlich, dass die Grünen-Wähler, im direkten Vergleich aller Elektorate, die am weitesten kosmopolitisch orientierte Wählergruppe sind. Die AfD-Wähler hingegen sind am ehesten durch eine nationalistische Wertorientierung durchdrungen und bilden somit den Antipoden zur Wählerschaft der Grünen. Die für die AfD-Wähler gemessenen Werte auf dieser Konfliktdimension sind zudem die am stärksten in Richtung des nationalistischen Extrempols gelegenen Durchschnittswerte.

Bei den Wählern der CDU/CSU, die an sich im Schnitt kosmopolitischer werden, setzt eine stärkere Konzentration ein, die Heterogenität auf dieser Dimension nimmt demnach ab. Die SPD-Wählerschaft hingegen wird ebenso kosmopolitischer, gleichzeitig aber auch heterogener. So sind die hier vorliegenden Ergebnisse für die SPD-Wähler von einer stärkeren Polarisierung durchdrungen, was auch darauf zurückzuführen sein kann, dass nicht unwesentliche Teile dieser Wähler eine doch eher ablehnende Haltung gegenüber kulturellen Öffnungen und Zuwanderung haben.

Für die Elektorate von FDP, Grünen und Linken sind wiederum klare Veränderungen zu erkennen, werden diese doch allesamt deutlich kosmopolitischer. Insbesondere für die Grünen-Wählerschaft ist zwischen 2009 und 2017 darüber hinaus auch zu attestieren, dass diese in sich weniger heterogen wird. Es zeigt sich demnach hier eine deutlich stärkere Konzentration für die Wähler der Grünen. Eine ebenso starke Konzentration zeigt sich am anderen Pol dieser Konfliktdimension für die Wähler der AfD, die nicht nur an sich nationalistischer werden, sondern auch gleichzeitig homogener in dieser Frage. Es scheint hier sowohl bei den Wählern der Grünen als auch denen der AfD zu einer zunehmenden Festigung einer entsprechenden Wertorientierung zu kommen.

Während auf dieser Dimension die Wähler von CDU/CSU und FDP einerseits und jene von SPD und Linken andererseits nicht signifikant jeweils untereinander zu unterscheiden sind, lassen sich die Wähler von AfD und Grünen über diese Dimension sehr gut von den Elektoraten aller anderen Parteien abgrenzend betrachten. Diese nehmen dabei jeweils entsprechende Extrempositionen ein. Die Wählerschaft der AfD ist demnach auch statistisch signifikant durch ihre besonders nationalistische Wertorientierung sehr exponiert, wohingegen die Wähler der Grünen dies durch ihre klar kosmopolitische Wertorientierung sind.

Für die Wähler der CDU/CSU wurde die folgende Hypothese für diese Konfliktdimension formuliert:

H6: Je nationalistischer die Wertorientierung eines Individuums bei den Bundestagswahlen 2009 und 2013 ist, desto wahrscheinlicher ist die Wahl von CDU und CSU.

Diese Hypothese muss klar zurückgewiesen werden. Bei den hier vorliegenden Ergebnissen ist es in der Tat so, dass eine nationalistische Wertorientierung zu keinem Zeitpunkt einen direkten Einfluss auf das Wahlverhalten zu Gunsten der Union hat. Einzig für 2009 und 2017 lassen sich indirekte Effekte feststellen, die über die Parteiidentifikation auf das Wahlverhalten einwirken. 2013 hingegen ist selbst dieser Effekt nicht statisch signifikant. Dadurch kann aber klar festgestellt werden, dass eine nationalistische Wertorientierung, zumindest bei den hier untersuchten Bundestagswahlen, kein Leitmotiv für die Wahl der Unionsparteien ist. Sie führt zwar dazu, dass Individuen sich eher mit der CDU/CSU identifizieren, dies aber auch nicht zu allen Untersuchungszeitpunkten. Wenn demnach von Patzelt (2018a) insinuiert wird, die Union habe einen Repräsentationsanspruch für derartig gesinnte Wähler aufgegeben, lässt sich dies mit den vorliegenden Daten zwar nicht belegen oder widerlegen, es erscheint aber als wenig plausibel. Dies ist damit zu erklären, dass ein entsprechend begründeter Anspruch, zumindest auf Basis der Wertorientierungen ihrer eigenen Wähler, in den hier vorliegenden Daten nicht zu finden ist. Es ist zwar so, dass eine Identifikation mit der Union, entlang dieser Konfliktachse, durch eine entsprechende nationalistische Wertorientierung beeinflusst wird, ein direkter Effekt auf die Wahl liegt hingegen nicht vor. Eine entsprechende Wertorientierung ist auch in ihrer Wirkungskraft, verglichen zu denen durch andere Dimensionen gesellschaftlicher Wertorientierungen, welche hier abgebildet werden, bedeutsam geringer. So liegt beispielsweise 2017 der konkrete Effekt auf die Parteiidentifikation mit der Union, abgebildet durch den Regressionskoeffizienten, für eine religiöse Wertorientierung bei 0,254. Der für eine nationalistische Wertorientierung hingegen bei 0,050. Allein an diesem klaren Unterschied wird auch der Bedeutungsgehalt einer solchen Orientierung für das Elektorat klarer – dies gilt auch unabhängig davon, dass sich die Skalierung der entsprechend verwendeten Variablen unterscheidet.

Bei der SPD-Wählerschaft hat eine entsprechende Wertorientierung wiederum keinen direkten Effekt auf das Wahlverhalten. Auch auf die Parteiidentifikation wirkt zur Bundestagswahl 2009 eine kosmopolitische Wertorientierung nur in einem geringen Umfang ein. Das Elektorat der FDP wird zur Bundestagswahl 2009 wiederum direkt durch eine nationalistische Wertorientierung in ihrem Wahlverhalten beeinflusst. Dieser Effekt bleibt aber für die FDP-Wähler singulär und entfaltet keinen zusätzlichen Effekt auf eine Identifikation mit der Partei.

Anders verhält es sich mit der Wählerschaft der Grünen. Diese wird sowohl im Hinblick auf die Identifikation mit der Partei, aber auch im direkten Effekt auf das Wahlverhalten durchgehend – zu allen drei Untersuchungszeitpunkten – durch eine kosmopolitische Wertorientierung geprägt. Je kosmopolitischer demnach ein Individuum orientiert ist, desto wahrscheinlicher ist auch eine entsprechende Wahl der Grünen. Für die Grünen, die wie hier schon angeführt, auch eine exemplarische Gegenposition zur AfD entlang dieser Achse einnehmen, ist dies insofern von besonderer Bedeutung, da sie auch schon vor Entstehung der AfD durch eine solche Wertorientierung der eigenen Wähler maßgeblich profitiert haben. Ein entsprechender Erfolg in der Ansprache eigener Wähler hat sich folglich sogar nur weiter verfestigt. Die Wähler der Grünen sind so nicht nur der Antipode zu den Wählern der AfD auf dieser Konfliktdimension, sondern offensichtlich wird die Partei auch als eine Repräsentantin für eine kosmopolitische Weltanschauung identifiziert.

Für die Wählerschaft der Linken hat diese Konfliktdimension hingegen nur bei der Bundestagswahl 2009 eine bedeutende Rolle, hat eine kosmopolitische Wertorientierung dort zumindest einen Effekt darauf, dass sich entsprechend orientierte Individuen stärker mit der Partei identifizieren. Darüber hinaus sind keine weiteren Effekte, direkter oder indirekter Natur, festzustellen.

Der zu den Wählern der Grünen institutionalisierte nationalistische Gegensatz wird hingegen durch die AfD verkörpert. In diesem Kontext wurde die folgende Hypothese formuliert:

H7: Je nationalistischer die Wertorientierung eines Individuums ist, desto wahrscheinlicher ist die Wahl der AfD.

Diese Hypothese kann angenommen werden, da dies der entsprechende Effekt in der hier vorliegenden Analyse klar gezeigt hat. Dabei ist zwar darauf hinzuweisen, dass eine Pfadmodellierung für die Bundestagswahl 2013 für die Wähler der AfD nicht möglich war, ein positiver Effekt durch die Berechnung von Average Marginal Effects aber zumindest bei der gleichrangigen Behandlung aller Variablen nachgewiesen werden konnte. In der Tat ist es aber insbesondere bei der Bundestagswahl 2017 so, dass eine nationalistische Wertorientierung nicht nur eine höhere Identifikation mit der AfD nach sich zieht, sondern darüber hinaus auch einen positiven Effekt auf das Wahlverhalten entfaltet. Die AfD hat sich so zwischen 2013 und 2017 nicht nur zu einer stärker nationalistisch orientierten Partei entwickelt, ihre Wähler sind im Schnitt auch deutlich nationalistischer geworden. Dabei sind sie, zumindest auf dieser Konfliktlinie, deutlich homogener verteilt als noch 2013.

Welche Implikationen sich aus den hier vorliegenden Analysen ergeben und wie diese vor allem auch im Hinblick auf die hier angewendete Analysemethode und die theoretische Grundlage zu bewerten sind, wird nun in dem diese Studie abschließenden Fazit bewertet.