“It [the teaching experiment methodology] certainly did not emerge as a standardized methodology nor has it been standardized since.” (Steffe & Thompson, 2000, S. 274).

Das Teaching Experiment (zu Deutsch: Lehr-Experiment) (Steffe & Thompson, 2000) ist eine Methodologie für mathematikdidaktische Forschungen, die das Ziel verfolgt, das mathematische Lernen und die Entwicklung ausgewählter mathematischer Fähigkeiten von Schüler*innen durch gezielt geplanten UnterrichtFootnote 1 anzuregen und dadurch zu verstehen (vgl. Steffe & Thompson, 2000, S. 269). Diese recht junge Methodologie, die in den 1970er Jahren in den Vereinigten Staaten von Amerika erstmals Anwendung fand, sollte dem Trend entgegenwirken, dass mathematikdidaktische Forschung fast ausschließlich außerhalb des Mathematikunterrichts betrieben wurde (vgl. Steffe & Thompson, 2000, S. 270–273). Somit schloss das Teaching Experiment eine Lücke in den gängigen Methodologien, indem nun das mathematische Lernen von Schüler*innen in konkreten und realistisch stattfindenden mathematischen Unterrichtsepisoden zum Mittelpunkt der Forschung wurde (vgl. Steffe & Thompson, 2000, S. 273–274).

Genauso wie sich der Mathematikunterricht in den letzten 50 Jahren weiterentwickelte wurde und wird auch die Teaching Experiment-Methodologie durch die Forschenden, die mit ihr arbeiten, stetig angepasst und verändert (s. Eingangszitat). In dieser Tradition versteht sich auch die vorliegende Studie, deren Forschungsdesign an diese spezifisch mathematikdidaktische Methodologie angelehnt wurde und daher deren grundlegende Elemente für die Erforschung der individuellen mathematischen Kreativität von Erstklässler*innen adaptiert. Dafür werden im Folgenden zunächst die wesentlichen Eigenschaften der Teaching Experiment-Methodologie (vgl. Abschn. 6.1) dargestellt, um diese dann explizit auf die empirische Studie zur individuellen mathematischen Kreativität anzuwenden (vgl. Abschn. 6.2).

1 Eigenschaften der Teaching Experiment-Methodologie

“It [the teaching experiment] is primarily an exploratory tool, […] aimed at exploring students' mathematics” (Steffe & Thompson, 2000, S. 273)

In den nachfolgenden drei Abschnitten wird zunächst die Zielsetzung der Teaching Experiment-Methodologie erläutert (vgl. Abschn. 6.1.1), aus der sich einige notwendige Anmerkungen zu den Grundannahmen (vgl. Abschn. 6.1.2) und Elementen (vgl. Abschn. 6.1.3) dieser Methodologie ableiten lassen, die eine wichtige Basis für die Adaption des Teaching Experiments in dieser Studie zur individuellen mathematischen Kreativität von Erstklässler*innen bilden (vgl. Kap. 7).

1.1 Ziel der Teaching Experiment-Methodologie

„Because the models that we formulate are grounded in our interactions with students, we fully expect that the models will be useful to us as we engage in further interactive mathematical communication with other students.“ (Steffe & Thompson, 2000, S. 298)

Im Zentrum der Methodologie steht das Ziel, ein Modell über die Student’s MathematicsFootnote 2 (Steffe & Thompson, 2000, S. 268) aufzustellen. Unter diesem Begriff verstehen Steffe und Thompson (2000, S. 268–269) die individuellen Vorstellungen und Konzepte der Kinder über Mathematik und das eigene mathematische Handeln. Diese Konzepte sind grundsätzlich von Person zu Person unterschiedlich und bilden sich unabhängig von Lehrenden-Lernenden-Interaktionen. Dabei wird angenommen, dass alle mathematiktreibenden Personen autonom handeln und sich dabei ihre eigene mathematische Realität bilden. Lehrende sowie Forschende müssen diese Realität zunächst anerkennen, um darauf aufbauend adäquaten Mathematikunterricht betreiben zu können (vgl. Einführungszitat). Zur Bildung eines Modells über die Student’s Mathematics müssen die mathematischen Denkprozesse von Kindern festgehalten und schematisch veranschaulicht werden. In der vorliegenden Studie soll so ein möglichst realitätsnahes Bild der individuellen mathematischen Kreativität von Erstklässler*innen beim Bearbeiten arithmetisch offener Aufgaben erstellt werden (vgl. Kap. 5, insbesondere Abschn. 5.2).

Vor allem über Handlungen, Gesprochenes und die Partizipation von Schüler*innen in mathematischen Aktivitäten können Rückschlüsse auf deren mathematische Realität gezogen werden (vgl. Steffe & Thompson, 2000, S. 268–270). Dazu ist es notwendig, dass die Forschenden bei der Analyse so wenig des eigenen mathematischen Wissens wie möglich in die mathematischen Handlungen der Kinder hineindeuten. Vielmehr sollten die mathematische Realität und die mathematischen Denkprozesse der Schüler*innen im Mittelpunkt stehen (vgl. Steffe & Thompson, 2000, S. 269). Durch eine retrospektive sowie rekursive Analyse von mehreren (verschiedenen) videografierten mathematischen Aktivitäten wird so ein Modell über die Student’s Mathematics, im Falle dieser Arbeit über die individuellen mathematischen Kreativität von Erstklässler*innen, angefertigt (vgl. Steffe & Thompson, 2000, S. 296–298).

Das Vorgehen der Modellbildung muss dabei transparent dargestellt werden, sodass das gesamte Teaching Experiment wiederholbar ist (vgl. Methode dieser Studie in Kap. 7). Außerdem ist anzumerken, dass das entstehende Modell über die mathematischen Denkprozesse der Lernenden nur eingeschränkt verallgemeinerbar ist, da in der Regel nur ausgewählte Schülergruppen untersucht werden. Hier bietet sich deshalb ein Sampling-Verfahren an, durch das ein gewisser Querschnitt der Schüler*innen repräsentiert wird (vgl. Steffe & Thompson, 2000, S. 303–305), was in dieser Studie zur individuellen mathematischen Kreativität von Erstklässler*innen umgesetzt wurde (vgl. Kap. 7, insbesondere Abschn. 7.1).

1.2 Grundannahmen der Teaching Experiment-Methodologie

“The Teaching Experiment’s coherence resides in what the teacher-researcher can say about bringing forth, sustaining, and modifying students‘ mathematical schemes.” (Steffe & Thompson, 2000, S. 288)

Die Teaching Experiment-Methodologie dient als konzeptuelles Tool, das Forschende nutzen, um ihre gesamte Arbeit zu strukturieren, sowie als experimentelles Tool, das zumeist über klinische Interviews im Sinne Piagets (Übersicht bei Spiegel & Selter, 2008, S. 100–109; Voßmeier, 2012, Kap. 3.2) hinausgeht. In diesem Sinne und um die Student’s Mathematics modellieren zu können, müssen Forschende über mehr oder minder längere Zeiträume den Umgang mit bestimmten mathematischen Aktivitäten von Lernenden beobachtet. Dabei ist ein gewisses Experimentieren mit verschiedenen Einflüssen auf das mathematische Handeln der Schüler*innen ein wichtiger Bestandteil der Methodologie (vgl. Steffe & Thompson, 2000, S. 274). Insgesamt müssen drei wesentliche Grundannahmen getätigt werden, auf deren Basis das Teaching Experiment fußt:

  1. 1.

    Zunächst sind Denkprozesse beim mathematischen Lernen und der mathematischen Entwicklung nicht von der Partizipation der Schüler*innen in Unterrichtssituationen zu trennen. Deshalb verstehen sich Forschende, die mit dem Teaching Experiment arbeiten, als teacher-researcher (zu Deutsch: Lehrende-Forschende) (Steffe & Thompson, 2000, S. 275). Dies bedeutet, dass ihnen eine Doppelrolle zukommt (vgl. Abschn. 6.1.3): Zum einen sind sie Forschende, die mit gezielten Forschungsfragen auf mathematische Lernsituationen schauen und diese ganz gezielt durchführen, um die Student’s Mathematics rekonstruieren zu können. Zum anderen sind sie gleichzeitig aber auch Lehrende, die versuchen „guten“ Mathematikunterricht zu betreiben. Diese beiden Rollen können in verschiedenen Situationen des gesamten Forschungsprozesses unterschiedlich stark ausgeprägt sein, was eine große Freiheit in der Umsetzung ermöglicht. Jedoch muss sich der*die Lehrende-Forschende ihrer*seiner Doppelrolle vor allem in Bezug auf die Modellbildung mit einem erhöhten Maß an Selbstreflexion bewusst sein, da eine Vermischung von Lehr- und Forschungsperspektive eintreten kann (vgl. Steffe & Thompson, 2000, S. 305–306). In diesem Zusammenhang kann es sinnvoll sein, externe Beobachter*innen einzubinden. Da die Lehrenden-Forschenden “may not be able to step out of it [the teaching], reflect on it, and take action on that basis” (Steffe & Thompson, 2000, S. 286), besteht die Aufgabe der Beobachtenden mit Blick auf die Rekonstruktion der Student ‘ s Mathematics darin, die mathematischen Handlungen der Schüler*innen wahrzunehmen und daraus Konsequenzen für die weitere Gestaltung des Unterrichts abzuleiten (vgl. Steffe & Thompson, 2000, S. 286–287).

  2. 2.

    Lehren wird als wissenschaftliche Methode verstanden, um Modelle von der Student’s Mathematics, also in dieser Arbeit der individuellen mathematischen Kreativität von Erstklässler*innen, zu bilden. In diesem Zusammenhang formulieren Steffe und Thompson (2000, S. 287–288) zwei Annahmen: Schüler*innen sind in ihrem mathematischen Lernen selbstorganisiert und selbstreguliert, sodass sie individuelle mathematische Konzepte und Denkprozesse entwickeln sowie unabhängige Entscheidungen in mathematischen Aktivitäten treffen können. Zudem nehmen die Autor*innen an, dass die Lernenden belehrbar sind.

  3. 3.

    Mathematisches Lernen auf Basis eines konstruktivistischen Verständnisses geschieht im Kontext von Akkommodationsprozessen und als Produkt spontaner EntwicklungFootnote 3. Indem der*die Lehrende-Forschende über einen längeren Zeitraum mathematische Lernprozesse anregt und beobachtet, wird eine mathematische Entwicklung der Schüler*innen intendiert, die dann Rückschlüsse auf die Student’s Mathematics zulässt (vgl. Steffe & Thompson, 2000, S. 289–293). Es kann zwischen funktionaler Akkommodation und entwickelnder Akkommodation unterschieden werden, die jedoch in ihrer Kombination dazu beitragen, dass die individuelle mathematische Kreativität von Erstklässler*innen bei der Bearbeitung arithmetisch offener Aufgaben rekonstruiert werden kann (vgl. im Folgenden Steffe & Thompson, 2000, S. 290–295):

    Bei der funktionalen Akkommodation findet eine permanente Veränderung eines Schemas statt, die dazu führt, dass die Lernenden eine für sie neue mathematische Handlung vollbringen müssen. Dies verursacht der*die Lehrende-Forschende über geeignete und systematisch ablaufende mathematische Aktivitäten. Die Wahl der arithmetisch offenen Aufgaben (vgl. Abschn. 3.2) in der vorliegenden Studie zur individuellen mathematischen Kreativität sollte die Erstklässler*innen demnach zu ungewohnten mathematischen Handlungen anregen, aber die Bearbeitung gleichzeitig einem strukturierten Ablauf folgen.

    Die entwickelnde Akkommodation wird angeregt, wenn Lehrende-Forschende Situationen schaffen, die mathematische Elemente außerhalb der Konzepte der Lernenden beinhalten. Die Schüler*innen bemerken dies nur, wenn ihre Konzepte plötzlich nicht mehr funktionieren, um die mathematische Aufgabe zu lösen oder wenn ihre Aufmerksamkeit gezielt auf diese Elemente gerichtet werden. Dafür wurden in dieser Studie gezielt Lernprompts (vgl. Abschn. 4.2) verwendet, um bei den Lernenden eine Entwicklung ihrer individuellen mathematischen Kreativität hervorzurufen. So ließen sich dann auch erste Eigenschaften der kreativen Umgebung zur Förderung von Kreativität im Mathematikunterricht (vgl. Abschn. 5.2, Forschungsziel 2) ableiten.

1.3 Elemente der Teaching Experiment-Methodologie

“We understand better what students can do if we understand what they cannot do. We understand what students can understand better if we understand what they cannot understand. It also helps to understand what a child can do if we understand what other students, whose knowledge is judged to be at a higher or lower level, can do.” (Steffe & Thompson, 2000, S. 278)

Der Begriff des Teaching Experiments selbst setzt sich aus den beiden Begriffen Teaching und Experiment zusammen, weshalb die Bedeutung dieser zwei Termini nun genauer dargestellt werden soll. Dabei wird im Detail auf die Rolle der Lehrenden-Forschenden (vgl. Abschn. 6.1.2) eingegangen.

Das Experiment steht für die Wissenschaftlichkeit in einem Teaching Experiment, bei dem theoriegenerierende Hypothesen über die Student’s Mathematics, im Falle dieser Studie über die individuelle mathematische Kreativität von Erstklässler*innen, über den gesamten Forschungsprozess hinweg getestet werden. Dabei impliziert der Begriff Hypothese nicht, dass diese mit rein quantitativen Methoden überprüft werden muss. Ganz im Gegenteil können auch qualitative Hypothesen gebildet und beantwortet werden. Die großen, den gesamten Forschungsprozess begleitenden Hypothesen dienen auch dazu, Schüler*innen auszuwählen und generelle methodische Aussagen über den Ablauf des Forschungsprozesses zu formulieren (vgl. Steffe & Thompson, 2000, S. 276–277). Eben diese Forschungsziele und -fragen wurden in Abschnitt 5.2 für die vorliegende Studie ausführlich dargestellt.

Neben den großen Hypothesen werden weitere lokale Hypothesen häufig „on the fly“ (Ackermann, 1995, S. 348), d. h. während oder zwischen einzelner Unterrichtsepisoden gebildet und direkt überprüft. Dadurch, dass der*die Lehrende-Forschende durchweg mögliche Deutungen des Gesprochenen und der Handlungen der Lernenden anstellt, wird das Teaching Experiment von den Schüler*innen stark beeinflusst (vgl. Steffe & Thompson, 2000, S. 277–278). Mit Blick auf das Eingangszitat zu diesem Kapitel ist es zudem bedeutsam, während der Unterrichtsepisoden konstruktiv sowohl auf die Fähigkeiten als auch auf die Fehler der Schüler*innen zu blicken (vgl. S. 278–279). Nur so kann die individuelle mathematische Kreativität von Erstklässler*innen umfassend rekonstruiert und dabei ein möglicher Zusammenhang zwischen der Kreativität und den individuellen Voraussetzungen der Kinder abgleitet werden (vgl. Abschn. 5.2, Forschungsziel 3).

Unter dem Begriff Teaching wird der Unterricht bzw. die Interaktion der Lehrenden-Forschenden mit den Schüler*innen verstanden, die sich über das gesamte Teaching Experiment entwickelt, sodass immer gezielter agiert und reagiert werden kann. Steffe und Thompson (2000, S. 279–286) unterscheiden zwischen zwei Formen der Interaktion, die nicht dichotom zu betrachten sind, sondern auf einem Kontinuum angeordnet werden können (vgl. Abb. 6.1). Auf diesem können sich die Lehrenden-Forschenden in jeder einzelnen Unterrichtsepisode unterschiedlich bewegen. Dabei muss angemerkt werden, dass die mathematischen Konzepte der Lehrenden-Forschenden deren Interaktionen mit den Schüler*innen und umgekehrt beeinflussen. Die Schüler*innen konstruieren die Interaktion und damit auch das Analysierbare mit (vgl. Steffe & Thompson, 2000, S. 286).

Abb. 6.1
figure 1

Kontinuum der Interaktionen zwischen Lehrenden-Forschenden und Lernenden

Bei der reagierenden und intuitiven Interaktion agiert der*die Lehrende-Forschende eher spontan und ohne groß auf etwaige Formulierungen zu achten, welche die Schüler*innen (positiv oder negativ) in ihrem mathematischen Handeln beeinflussen könnten. Diese Form der Interaktion kann so weit gehen, dass die Lehrenden-Forschenden sich ganz in der Situation verlieren, die Rolle als Forschende gänzlich ablegen und nur noch als Lehrende agieren. Das Ziel dieser Form der Interaktion ist es, die Antworten der Lernenden zu ergründen, nachvollziehen zu können und eine Beziehungen aufzubauen (vgl. Steffe & Thompson, 2000, S. 279–283).

Wenn die Lehrenden-Forschenden bereits erste Vorstellungen von den mathematischen Konzepten der Lernenden und mit diesen eine Beziehung aufgebaut haben, dann wird immer häufiger eine analytische Interaktion verwendet. In dieser werden die präzise formulierten großen und lokalen Hypothesen anhand der Handlungen und dem Gesprochenen der Schüler*innen überprüft. Das Ziel ist somit, die mathematischen Aktivitäten der Lernenden in den weiteren Unterrichtsepisoden so zu gestalten, dass immer mehr Rückschlüsse auf deren Students’ Mathematics gezogen werden können (vgl. Steffe & Thompson, 2000, S. 283–286).

2 Adaption der Teaching Experiment-Methodologie in dieser Studie

„Anschließend wird auf der Basis einer oder mehrerer qualitativer Methodologien entschieden, mit welchem Untersuchungsdesign die Studie zu realisieren ist.“ (Döring & Bortz, 2016, S. 26)

In diesem Abschnitt soll nun auf Basis der vorangegangenen Ausführungen erläutert werden, inwiefern sich die Konzeptionierung dieser Studie zur individuellen mathematischen Kreativität von Erstklässler*innen an die Teaching Experiment-Methodologie anlehnt und damit einen Rahmen (vgl. Abb. 6.2) für die sich anschließenden methodischen Einzelheiten bildet (vgl. Kap. 7).

Aus den zuvor dargestellten Ausführungen lässt sich zusammenfassen, dass jedes Teaching Experiment von einem*einer Lehrenden-Forschenden initiiert wird und aus einer Reihe von Unterrichtsepisoden besteht, in denen Schüler*innen mathematische Aktivitäten durchführen. Dabei können die Lehrenden-Forschenden entsprechend ihrer Doppelrolle als Lehrende und Forschende verschiedene Interaktionsstile nutzen. Dadurch wird es ihnen – im Gegensatz zum klinischen Interview (vgl. Spiegel & Selter, 2008, S. 100–109) – möglich, sowohl eine angemessene unterrichtliche Lernumgebung zu schaffen, in der die Lernenden individuell bei der Bearbeitung mathematischer Aufgaben unterstützt werden können, als auch die Student ‘ s Mathematics gezielt anzuregen und zu beobachten. Der auf diese Weise durchgeführte Unterricht sollte durch eine geeignete Aufnahmemethode wie bspw. die Videografie konserviert werden, um dann im Anschluss die mathematischen Konzepte der Lernenden rekonstruieren zu können. Zudem verweisen die Autor*innen auf die Bedeutsamkeit zusätzlicher Beobachter*innen während der Unterrichtsepisoden, welche die Lehrenden-Forschenden bei ihrer Doppelrolle entlasten können (vgl. Abschn. 6.1).

  • In Anlehnung an diese Eigenschaften eines Teaching Experiments nach Steffe und Thompson (2000) und mit einem ausgeweiteten Verständnis von Unterricht (vgl. Abschn. 5.2) wurde sich in dieser Studie zur individuellen mathematischen Kreativität dafür entschieden, mit mehreren Erstklässler*innen jeweils zwei Einzel-Unterrichtepisoden durchzuführen, in denen jeweils eine arithmetisch offene Aufgabe im Mittelpunkt der mathematischen Aktivtäten stehen. Bei der Durchführung der Unterrichtsepisoden wurde sich an einer Unterrichtsplanung orientiert, die von ihrer grundlegenden Struktur auf dem InMaKreS-Modell (vgl. Abschn. 2.4.2) basiert. Daher musste es bspw. eine Produktions- und eine Reflexionsphase in der Bearbeitung der arithmetisch offenen Aufgaben geben (vgl. ausführlich Abschn. 7.2.2).

  • Zudem wurde es aufgrund des reagierenden Interaktionsstils möglich, während aller Unterrichtsepisoden verschiedene kognitive und metakognitive Lernprompts anzubieten, welche zur Unterstützung der Kinder bei der kreativen Bearbeitung der arithmetisch offenen Aufgaben genutzt wurden (vgl. ausführlich Abschn. 7.2.3).

  • Aufgrund der eingeschränkten personellen Ressourcen dieser Dissertationsstudie konnten keine zusätzlichen Beobachter*innen während der Unterrichtsepisoden eingesetzt werden. Daher wurde die retrospektive Analyse der videografierten Unterrichtsepisoden umso gewissenhafter durchgeführt und die Reliabilität der Ergebnisse abgesichert (vgl. Abschn. 9.1.3). Auf diese Weise konnte die individuelle mathematische Kreativität der Erstklässler*innen in einem unterrichtlichen (und nicht klinischen) Kontext rekonstruiert werden (vgl. dazu Abschn. 6.1), was eine gewisse Übertragbarkeit der Forschungsergebnisse aus dieser Studie für den Mathematikunterricht ermöglicht (vgl. ausführlich Abschn. 12.3.2).

  • Um die entstehende Charakterisierung und Typisierung der individuellen mathematischen Kreativität der teilnehmenden Erstklässler*innen bis zu einem gewissen Grad verallgemeinern zu können, wurde zur Auswahl der Kinder ein bewusstes Sampling-Verfahren durchgeführt. Dadurch konnte ein Querschnitt von Erstklässler*innen basierend auf ihren intellektuellen, mathematischen und unterrichtlichen Voraussetzungen abgebildet werden, die repräsentativ für eine erste Klasse stehen konnten (vgl. ausführlich Abschn. 7.1), um so die fünfte Forschungsfrage dieser Studie zu beantworten.

Bevor diese empirische Studie zur individuellen mathematischen Kreativität von Erstklässler*innen auf Basis der Teaching Experiment-Methodologie geplant und durchgeführt wurde, fand zunächst eine Pilotierung statt (vgl. Bruhn, 2019). Steffe und Thompson (2000) sprechen hier von einem Exploratory Teaching (S. 274) (zu Deutsch: experimentelles Unterrichten), das dazu dient, erste Eindrücke von den mathematischen Konzepten und Denkprozessen der Lernenden zu dem speziell ausgewählten mathematischen Bereich zu erhalten. Dies ist notwendig, um eine klare Abgrenzung der eigenen mathematischen Konzepte zu denen der Schüler*innen zu erreichen. Auf diese Weise wurde das gesamte Teaching Experiment so geplant, dass die Student’s Mathematics rekonstruiert werden konnte (vgl. Steffe & Thompson, 2000, S. 274–275). Im Rahmen meiner Pilotierung wurden zentrale Entscheidungen bzgl. der Durchführung der Unterrichtsepisoden sowie des Analyseinstruments (vgl. Abschn. 3.2.2) getroffen.

In der nachfolgenden Abbildung 6.2 werden die oben dargestellten methodologischen Entscheidungen, die an die Teaching Experiment-Methodologie angelehnt wurden, in einer Graphik präsentiert. Diese wird im folgenden Kapitel mit den spezifischen methodischen Entscheidungen weiter expliziert, sodass bis Abschnitt 7.3.2 das vollständige Design der vorliegenden Studie zur individuellen mathematischen Kreativität von Erstklässler*innen abgebildet wird.

Abb. 6.2
figure 2

Studiendesign in Anlehnung an die Teaching Experiment-Methodologie