“Teachers and other evaluators [of creativity] need to be sensitive to the fact that sometimes their students will see things that they themselves don’t.” (Sternberg & Lubart, 1995, S. 124)

In diesem Kapitel soll nun der ersten der beiden zuvor aufgespannten theoretischen Fragen, die sich aus der Entwicklung des Modells der individuellen mathematischen Kreativität (InMaKreS) ergeben haben, nachgegangen werden (vgl. Abschn. 2.4.2):

  1. 1.

    Welche mathematischen Aufgaben sind geeignet, damit Schüler*innen ihre individuelle mathematische Kreativität im Sinne des InMaKreS-Modells zeigen können?

In den theoretischen Ausführungen zur individuellen mathematischen Kreativität wurde deutlich herausgestellt, dass es verschiedene Ansätze für eine inhaltliche Definition gibt. Dazu zählt vor allem die Betrachtung von Kreativität im Kontext des sozialen Lernens, des Problemlösens und des divergenten Denkens (vgl. Abschn. 2.3). Je nach Kontext lassen sich in der internationalen und nationalen Literatur für jeden dieser Ansätze verschiedene passende Aufgabenformate finden, die das Zeigen von Kreativität anregen (Übersicht bei Pitta-Pantazi, Kattou & Christou, 2018, S. 42–43).

Da sich in dieser Arbeit begründet für eine Definition von Kreativität im Kontext des divergenten Denkens entschieden wurde (vgl. Abschn. 2.3.3 und 2.4), sollen nun dafür geeignete Aufgaben vorgestellt werden. Auf Basis dieser Rahmung wurde im vorangegangen Abschnitt 2.4 die Definition der individuellen mathematischen Kreativität sowie das dazugehörende InMaKreS-Modell entwickelt. Um das Zeigen der Kreativität von Schüler*innen in dessen Sinne zu fördern und empirisch beobachtbar zu machen, müssen mathematische Aufgaben ausgewählt werden, die den Lernenden eine divergente und dadurch kreative Bearbeitung ermöglichen. Das bedeutet konkret, dass alle Schüler*innen bei der Bearbeitung einer solchen Aufgabe ihre individuelle Denkflüssigkeit, Flexibilität, Originalität und Elaboration zeigen können sollen (etwa Hershkovitz, Peled & Littler, 2009, S. 257; Kwon et al., 2006, S. 53; Levenson et al., 2018, S. 274). Die Veranschaulichung und Konkretisierung dieser bedeutsamen Aussage soll nun anhand eines Beispiels erfolgen.

Bei der Bearbeitung der Aufgabe Rechne: \(7 + 8 =\) ___ sind Schüler*innen dazu angehalten, eine Additionsaufgabe zu lösen und das Ergebnis entweder auf dem Strich oder im Heft zu notieren. Dabei gibt es zu dieser Aufgabe nur eine einzelne richtige Lösung, nämlich \(7 + 8 = 15\). Zudem verlangt die Aufgabe aufgrund des sprachlichen Operators „Rechne“ von den Lernenden lediglich, dass diese den Term \(7 + 8\) ausrechnen. Die Wahl des Vorgehens ist dabei weder vorgegeben, noch werden die Kinder explizit dazu aufgefordert, ihre Rechenstrategie verbal oder schriftlich darzustellen. Mit Blick auf die divergenten Fähigkeiten Denkflüssigkeit, Flexibilität, Originalität und Elaborationen als Merkmale der individuellen mathematischen Kreativität ermöglicht diese exemplarische Aufgabe den Schüler*innen keine kreative Bearbeitung. Sie sollen nur eine Lösung und damit keine verschiedenen Ideen zu der Aufgabe produzieren (Denkflüssigkeit) und können daher auch keine verschiedenen Ideentypen oder Ideenwechsel zeigen (Flexibilität). Dementsprechend ist zwar eine Reflexion ihrer einzelnen Lösung möglich, aber es kann keine Erweiterung der Ideen und Ideentypen stattfinden (Originalität). Außerdem sollen die Lernenden ihre Lösung zu der Aufgabe ausschließlich notieren, ihr Vorgehen aber nicht erklären (Elaboration). Mathematische Aufgaben wie dieses Beispiel sind daher wenig geeignet, um Kinder im Mathematikunterricht anzuregen, ihre individuelle mathematische Kreativität zu zeigen. Würde das Beispiel aber gezielt verändert werden, dann ist auch eine kreative Bearbeitung möglich. So soll nun die Aufgabe Rechne die Aufgabe 7 + 8 auf verschiedene Art und Weise und schreibe deine Rechenwege auf vor dem Hintergrund der Kreativität genauer betrachtet werden. Bei dieser Beispielaufgabe werden die Schüler*innen dazu aufgefordert, den Term \(7 + 8\) über verschiedene, erlernte oder auch selbst ausgedachte, Rechenwege zu lösen und diese Lösungswege zu notieren. Diese könnte bspw. sein, dass die Kinder Verdopplungsaufgaben nutzen (\(7 + 8 = \left( {7 + 7} \right) + 1 = 14 + 1 = 15\)), schrittweise über den Zehner rechnen, indem der zweite Summand sinnvoll zerlegt wird (\(7 + 8 = \left( {7 + 3} \right) + 5 = 10 + 5 = 15\)), oder Hilfsaufgaben nutzen (\(7 + 8 = 7 + \left( {10 - 2} \right) = 17 - 2 = 15\)) (vgl. für die hier genannten operativen Strukturen Abschn. 3.2.2.2). In jedem Fall ermöglicht diese Aufgabe den Kindern eine divergente und damit auch kreative Bearbeitung: Während der Produktionsphase können die Schüler*innen verschiedene Ideen, d. h. unterschiedliche Lösungswege, zu der Aufgabe produzieren (Denkflüssigkeit) und daher auch Ideentypen und Ideenwechsel zeigen (Flexibilität). Zudem können die Schulkinder in der Reflexionsphase ihre eigene Produktion unterschiedlicher Lösungswege rekapitulieren und um weitere Ideen sowie Ideentypen erweitern (Originalität). Außerdem müssen die Lernenden ihre Lösungswege schriftlich sowie im Unterrichtsgespräch sicherlich auch mündlich darstellen (Elaboration).

Der Unterschied zwischen der Beispielaufgabe Rechne: \(7 + 8 =\) ___, die als nicht kreativitätsfördernd eingeordnet wurde, und der für das Zeigen der individuellen mathematschen Kreativität geeigneten Aufgabe Rechne die Aufgabe \(7 + 8\) mit verschiedenen Strategien und schreibe deine Rechenwege auf liegt vor allem in ihrer Öffnung der Lösungen und Lösungswege. Doch wie lässt sich diese Offenheit in mathematischen Aufgaben mathematikdidaktisch beschreiben? Und wie können diese Aufgaben, die sich im besonderen Maß dafür eignen, dass Schüler*innen ihre individuelle mathematische Kreativität zeigen, charakterisiert werden?

Diese Fragen sollen in den nachfolgenden Abschnitten 3.1.1 bis 3.1.5 beantwortet werden. Ausgehend von dem open-ended approach (Becker & Shimada, 1997) als kreative Aktivität im Mathematikunterricht und der Darstellung verschiedener mathematikdidaktischer Ansätze, Bezeichnungen und Eigenschaften für Aufgaben, welche die individuelle mathematische Kreativität von Schüler*innen anregen, wird der Begriff der offenen Aufgaben begründet ausgewählt (vgl. Abschn. 3.1.5). Mit dem Framework zur Charakterisierung der Offenheit mathematischer Aufgaben nach Yeo (2017) wird dann eine Grundlage geschaffen, um geeignete Lernaufgaben für das Zeigen der individuellen mathematischen Kreativität in dieser Arbeit zu bestimmen (vgl. Abschn. 3.1.6).

Anschließend werden die so charakterisierten offenen Aufgaben begründet auf einen geeigneten mathematischen Inhaltsbereich fokussiert, der es allen Schüler*innen erlaubt, ihre individuelle mathematische Kreativität zu zeigen – die Arithmetik (vgl. Abschn. 3.2). Vor dem Hintergrund der zuvor erarbeiteten Definition von Kreativität als relative Fähigkeit bestehend aus Denkflüssigkeit, Flexibilität, Originalität und Elaboration wird dann auch die Bearbeitung von arithmetisch offenen Aufgaben mit Hilfe des Zahlenblicks (etwa Rechtsteiner-Merz, 2013) fokussiert (vgl. Abschn. 3.2.2).

1 Verschiedene Ansätze zur Begriffsbestimmung offener Aufgaben

„One recognized way to elicit mathematical creativity among mathematics students is by engaging them with open[…] tasks.“ (Levenson et al., 2018, S. 273)

Wie zuvor ausführlich an zwei Beispielaufgaben erläutert, sind es vor allem geöffnete mathematischen Aufgaben, welche die individuelle mathematische Kreativität von Kindern einfordern und diese dadurch sowohl für Lehrkräfte als auch Forschende beobachtbar machen. Dies unterstreicht auf Forschungsebene das Eingangszitat von Levenson, Swisa und Tabach (2018). Um die bereits mehrfach angesprochene Offenheit mathematischer Aufgaben begrifflich auszuschärfen, sei zunächst auf die mathematikdidaktischen Ausführungen von Sullivan, Warren & White (2000) verwiesen:

„Open refers to the existence of more than one (preferably many more than one) possible pathways, responses, approaches, or lines of reasoning.“ (S. 3)

Die Auslegung dieser recht allgemeinen Definition der Offenheit von Aufgaben, die geeignet sind, um die Kreativität von Schüler*innen anzuregen und beobachtbar zu machen, geschieht in der mathematikdidaktischen (Kreativitäts-)Literatur sehr vielfältig. Die wesentlichen Typen offener Aufgaben sollen im Folgenden bzgl. ihrer Eigenschaften und anhand von Beispielen differenziert ausgeführt werden, um schlussendlich zu begründen, weshalb in dieser Arbeit der Begriff der offenen Aufgabe genutzt wird. Deren Eigenschaften werden dann in Bezug auf die Definition der individuellen mathematischen Kreativität zusammenfassend dargestellt (vgl. Abschn. 3.1.6).

1.1 Open-ended problems

“In the teaching method that we call an “open-ended approach” an “incomplete” problem is presented first.” (Becker & Shimada, 1997, S. 1)

Becker und Shimada (1997) etablierten Ende der 1990er Jahre den Open-Ended Approach als ergänzenden Unterrichtsvorschlag für das Mathematiklernen. Unter diesem Begriff ist eine Unterrichtsmethode zu verstehen, bei der den Lernenden der Primar- und Sekundarstufe mathematische Aufgaben präsentiert werden, die nicht eine vorbestimmte richtige Antwort besitzen, sondern unvollständig sind (s. Eingangszitat). Das bedeutet, dass durch die Öffnung der Aufgabe die individuelle Bearbeitung und nicht mehr allein das Erreichen einer richtigen Antwort in den Mittelpunkt gerückt wird. Die mathematische Handlung der Schüler*innen wird dadurch komplexer und reichhaltiger, sodass der Lösungsprozess solcher open-ended problems kreative Aktivitäten darstellt (vgl. Shimada, 1997, S. 4–6). Die Kreativität bezieht sich hierbei auf alle drei im vorherigen Kapitel 2 dargestellten inhaltlichen Definitionsansätze (vgl. Becker & Shimada, 1997, S. 4–7): Während der Aufgabenbearbeitung müssen die Schüler*innen kreativ werden, indem sie verschiedene Lösungswege finden (Kreativität im Kontext des divergenten Denkens – vgl. Abschn. 2.3.3), dabei einen Problemlöseprozess durchlaufen (Kreativität im Kontext von Problemlösen – vgl. Abschn. 2.3.1), wobei ein konstruktivistisches Verständnis von Lernen angewendet wird (Kreativität im Kontext des sozialen Lernen – vgl. Abschn. 2.3.2).

Hashimoto (1997, S. 86–87) ergänzt, dass durch den open-ended approach deshalb die mathematische Kreativität von Schüler*innen gefördert werden kann, weil die kreativen Personen bei der Bearbeitung dieser Aufgaben verschiedene mathematische Aspekte, Fähigkeiten und Denkweisen zu etwas Neuem miteinander kombinieren müssen. Das nachfolgende Beispiel verdeutlicht ein open-ended problem, das für den Elementarbereich (Klasse 1–6) in Japan als wirksam zum Anregen mathematischer Kreativität evaluiert wurde (vgl. Takasago, 1997, S. 37). Dabei müssen die Lernenden mathematische Fähigkeiten im Bereich der Arithmetik und funktionaler Zusammenhänge anwenden sowie kombinieren, um die Aufgaben zu bearbeiten.

Bsp. :

An insect is walking along a ditch. The chart shows the time required to walk the given distance. The asterisk indicates the distance we forgot to record.

Time (min)

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

Distance (cm)

12

24

26

48

60

72

84

*

*

120

  1. 1.

    What number is represented by the: under 8? Write down the expression you used to find the number.

  2. 2.

    Find another expression you can use to find the number. Write down as many different expressions as possible.

Des Weiteren und vor allem in Bezug auf das divergente Denken als Definitionsgrundlage für die individuelle mathematische Kreativität eignen sich open-ended problems deshalb besonders gut, da sie die Bearbeitenden dazu ermutigen, divers zu denken. Open-ended problems zeichnen sich dadurch aus, dass sie einen eindeutigen Ausgangspunkt besitzen, aber die Lösung je nach der bearbeitenden Person quantitativ und qualitativ variieren kann. Dabei können alle Schüler*innen eine individuelle sowie begründete Bearbeitungsweise der Aufgabe wählen und so divergentes Denken (mit den Fähigkeiten Denkflüssigkeit, Flexibilität, Originalität und Elaboration) anwenden (vgl. Kwon et al., 2006, S. 53). Im nachfolgenden zweiten Beispiel ist der spezifische Ausgangspunkt der Aufgabe, dass die Bearbeitenden Rechenaufgaben mit dem Ergebnis 30 mit vorgegebenen Zahlen und unter bestimmten Regeln bilden sollen. Welche Aufgaben und über welche Strategie diese produziert werden, ist individuell frei wählbar (vgl. Kwon et al., 2006, S. 59):

Bsp. :

Make an expression to obtain 30 after calculating by the following rules.

  1. 1.

    Use all or some of the following numbers.

  2. 2.

    You are allowed to use any kind of mathematical symbols.

  3. 3.

    Use the given numbers only once in one expression. E.g., 10 + 20 (o), 10 + 10 + 10 (x)

Given numbers: 18, 2, 10, 48, 90, 15, 10, 12, 3, 20

So formulieren Kwon, Park und Park (2006) wesentliche Besonderheiten der open-ended problems für den Einsatz im Mathematikunterricht (vgl. im Folgenden S. 53):

  • Dadurch, dass es für alle Schüler*innen unabhängig ihrer mathematischen Fähigkeiten möglich ist, open-ended problems zu bearbeiten, ermöglicht dieses Aufgabenformat den Lernenden das Gefühl, mathematische Leistung erbringen zu können und dadurch gleichsam eine gewisse Erfüllung bzw. Zufriedenheit.

  • Außerdem ermöglichen diese Aufgaben den Kindern einen Einblick darin, was es bedeutet Mathematiker*innen zu sein, indem sie eigene Lösungen und Methoden entwickeln und dadurch kreativ werden können.

  • Nicht zuletzt wird bei der Bearbeitung von open-ended problems der aktive Beitrag der Schüler*innen am Mathematikunterricht wertgeschätzt und hervorgehoben. Dadurch können alle Lernenden Vertrauen in ihre eigenen mathematischen Fähigkeiten aufbauen.

1.2 Divergent production tasks

“Divergent production tasks have their origin in the work [on creativity] of American researcher such as Torrance and Guilford in the fifties and sixties.” (Haylock, 1997, S. 71)

Haylock (1997) nutzt einen anderen Begriff, um Aufgaben zu umschreiben, durch welche die Kreativität von Schüler*innen angeregt werden kann. Im Sinne der Definition von Kreativität durch das divergente Denken spricht er von divergent production tasks als eine spezifische Form der open-ended problems, die sich ausschließlich auf den Bereich der Kreativität beziehen (s. Eingangszitat). Dabei definiert er divergent production tasks als offene Aufgaben, zu denen es mindestens 20 verschiedene Antworten gibt, aber nur wenige Schüler*innen mathematisch angemessene, im Sinne von originelle, Antworten erreichen können (Haylock, 1997, S. 72). Dies ist ein deutlicher Unterschied zu der zuvor dargestellten Definition von open-ended problems nach Kwon, Park und Park (2006), bei denen alle Lernenden die Aufgabe gleichermaßen bearbeiten können sollen (vgl. Abschn. 3.1.1).

Die divergent production tasks nach Haylock (1997) wurden bereits zuvor mit Beispielen unter dem Aspekt der Denkflüssigkeit als divergente Fähigkeiten dargestellt und sollen an dieser Stelle nur noch einmal rekapituliert werden (vgl. Abschn. 2.3.3.1), um als Ausgangspunkt für die weiteren Ausführungen zu dienen: Unter problem-solving versteht der Autor Aufgaben, die Schüler*innen dazu einladen, viele individuell verschiedene Lösungen und Lösungswege zu finden. Bei Aufgaben, die das problem-posing ansprechen, sollen die Lernenden verschiedene mathematische Fragen zu einem Ausgangsproblem formulieren. Zuletzt bezeichnet redefinition Aufgaben, bei denen die Schüler*innen die Situationselemente in Bezug auf die mathematischen Einzelheiten der Aufgabe neu anordnen müssen (vgl. Haylock, 1997, S. 72).

1.3 Problem-posing tasks

“Given the „creating a problem“ characteristic of problem posing and the “bring into being” nature of creativity one might see problem posing as kind of creativity.” (Leung, 1997, S. 81)

Besonders dem problem-posing als mathematische Aktivität bei der Bearbeitung offener Aufgaben im Kontext von Kreativität weisen Leung (1997) und Leung & Silver (1997) eine besondere Bedeutung zu. Dadurch, dass diese Aufgaben die bearbeitenden Schüler*innen explizit dazu auffordern, viele verschiedene mathematische Fragen zu finden, führen sie dazu, dass die Lernenden ihre Kreativität auf Basis des divergenten Denkens zeigen können. Nachfolgend wird eine Beispielaufgabe aus der Studie von Leung und Silver (1997, S. 8) präsentiert, an der deutlich wird, inwiefern die bearbeitenden Schüler*innen aufgefordert werden, verschiedene mathematische Fragen zu einem Ausgangsproblem zu formulieren. So wird den Lernenden ein mathematischer Kontext, in diesem Fall der Kauf eines Hauses und Abschluss eines Kredits, gegeben (Test Item 1B). Zu diesem sollen sie verschiedene mathematische Problemstellungen und Fragen entwickeln.

Bsp. :

Instruction: Consider possible combinations of the pieces of information given and pose mathematical problems involving the purchase and operation of the house (the operation of the pool). Do not ask questions like „Where is the house?“ („Where is the pool located?“) because this is not a mathematical problem.

  • Set up as many problems as you can think of. Think of problems with a variety of difficulty levels. Do not solve them.

  • Set up a variety of problems rather than many problems of the same kind.

  • Include also unusual problems that your peers might not be able to create.

  • You can change the given information and/or supply more information. When you do so, note the changes in the box with the problem to which they apply.

  • Write only one problem in each box [8 per problem]. If you think of more problems than the number of boxes provided, write the others on the back of the sheet.

Test Item 1B: Mr. Smith decided to purchase a house. He made a down payment and agreed to pay the rest with monthly payments. Each monthly payment included a portion of the principal, an interest charge, plus a charge for insurance at a certain amount per year. Mr. Smith found by talking to the former owner the monthly cost to heat the house. Later Mr. Smith added insulation to the house which cost him an additional amount, but the contractor who installed it guaranteed would reduce his heating costs by a certain percent.

Leung und Silver (1997, S. 21) bestärken den Einsatz von problem-posing Aufgaben als kreative Aktivitäten, indem sie herausstellen, dass diese speziellen mathematischen Aufgaben für den Großteil der Schülerschaft zugänglich sind und somit auch alle Lernenden ihre individuelle mathematische Kreativität zeigen können. Leung (1997, S. 81) geht sogar so weit, dass sie problem-posing-Aktivitäten und Kreativität durch ihre grundlegende Natur gleichsetzt:

„Given the ‚creating a problem‘ characteristic of problem posing and the ‘bring into being’ nature of creativity one might see problem posing as a kind of creativity“ (Leung, 1997, S. 81)

1.4 Multiple solution tasks

A multiple solution task (MST) is an assignment in which a student is explicitly required to solve a mathematical problem in different ways.“ (R. Leikin, 2009c, S. 133, Hervorh. im Original)

Andere Autor*innen konzentrieren sich weniger auf den Aspekt des problem-posing (vgl. Abschn. 3.1.3), sondern auf das problem-solving als mathematische (kreative) Tätigkeit. Dabei werden offene Aufgaben konzipiert, die vor allem ein mathematisches Problem in das Zentrum der Aufgabe stellen, das durch verschiedenste Lösungswege bearbeitet werden kann (vgl. Pehkonen, 2001, S. 62).

R. Leikin (2009c, S. 133) beschreibt in diesem Kontext die multiple solution tasks (MSTs), als Aufgaben, bei denen die Schüler*innen explizit dazu aufgefordert werden, ein mathematisches Problem auf verschiedene Arten zu lösen. Diese verschiedenen Lösungswege bezeichnet die Autorin dann als solutions (Deutsch: Lösungen) zu der Aufgabe. Hier liegt demnach die Offenheit ausschließlich in der Vielfältigkeit dieser Lösungswege, was ein entscheidender Unterschied zu open-ended problems (vgl. Abschn. 3.1.1) und divergent production tasks (vgl. Abschn. 3.1.2) darstellt, bei denen sowohl die Antworten zur Aufgabe als auch die Lösungswege geöffnet sind (vgl. etwa Levenson et al., 2018, S. 274). Dennoch sind MSTs durch ihre Offenheit geeignet, um die individuelle mathematische Kreativität auf Basis des divergenten Denkens von Schüler*innen anzuregen, da sich die Denkflüssigkeit und Flexibilität auf die verschiedenen Lösungswege beziehen. Nachfolgend werden zwei Beispiele für MSTs für Schüler*innen der Sekundarstufe (zitiert nach R. Leikin, 2009c, S. 141) präsentiert, bei denen es eindeutig eine richtige Lösung aber verschiedene mögliche Lösungswege gibt. So lässt sich etwa das zweite Beispiel durch die drei Lösungsverfahren von Gleichungssystemen (Einsetzungs-, Gleichsetzungs- und Additionsverfahren) sowie durch das systematische Ausprobieren bearbeiten.

Bsp. :

Dor and Tom walk from the train station to the hotel. They start out at the same time. Dor walks half the time at speed v1 and half the time at speed v2. Tom walks half the way at speed v1 and half the way at speed v2. Who gets to the hotel first? Dor or Tom?

Bsp. :

Solve the system in as many ways as possible: (a) \(\left\{ {\begin{array}{*{20}c} {3x + 2y = 10} \\ {2x + 3y = 10} \\ \end{array} } \right.\) (b)\(\left\{ {\begin{array}{*{20}c} {x + 3y = 10} \\ {2x + y = 15} \\ \end{array} } \right.\)

In ihrer Studie und durch die Anwendung ihres Evaluationssystems für mathematische Kreativität (vgl. Abschn. 2.3.3.1, insbesondere die Ausführungen zur Originalität, und die Fußnoten 25, 28 und 33), bewertet R. Leikin (2009c, S. 142) von diesen beiden MSTs die erste als besonders geeignet, um die mathematische Kreativität von Schüler*innen zu identifizieren, da bei dieser die Lernenden am stärksten qualitativ verschiedene Lösungswege zeigen konnten. Dadurch wird die kindliche Fähigkeit der Originalität deutlich, die für R. Leikin (2009c) als „strongest component in determining creativity“ (S. 143) gilt.

Tsamir, Tirosh, Tabach und Levenson (2010, S. 220) sind in ihrer qualitativen Studie der Frage nachgegangen, ob multiple solution tasks auch ein geeignetes Format für junge Kinder sind. So haben insgesamt 163 Vorschulkinder im Alter von fünf bis sechs Jahren den Creating Equal Number Task (CEN) bearbeitet, bei der auf einem Tisch auf der einen Seite drei und auf der anderen Seite fünf Flaschendeckel liegen. Die Kinder werden dazu aufgefordert, die Flaschendeckel so zu verändern, dass auf beiden Seiten die gleiche Anzahl liegt. Die im Folgenden dargestellte Frage wurde den Kindern gestellt, nachdem die Deckel in ihre Ausgangslage (3;5) zurück gebracht wurden und so oft wiederholt, bis das Kind keine weitere Möglichkeit mehr finden konnte oder wollte (vgl. Tsamir et al., 2010, S. 222):

Bsp. :
Abb. 3.1
figure 1

Ausgangsanordnung der Flaschendeckel bei der CEN-Aufgabe (in Anlehnung an Tsamir et al., 2010, S. 222)

Can you make it so that there will be an equal number of bottle caps on each side of the table? Is there another way of making the number of bottle caps on each side equal?

Diese Aufgabe ermöglicht den Kindern das Finden verschiedener solutions im Sinne von Lösungen und Lösungswegen. Sie bietet insgesamt fünf verschiede Lösungen, nämlich die Anordnung von jeweils null bis vier Flächendeckeln auf jeder Seite: (0;0), (1;1), (2;2), (3;3), (4;4). Außerdem sind ebenso fünf verschiedene Vorgehensweisen möglich, die zu den verschiedenen Lösungen führen. Durch die Vorgehensweise Removing kann die Lösungen (0;0) erreicht werden. Beim Taking from the larger set kann durch die ursprüngliche Anordnung der Deckel (5;3) ausschließlich die Lösung (3;3) erreicht werden. Die Methode Shifting from one set to another ermöglicht das Finden der Lösung (4;4). Beim Taking from both können die beiden Lösungen (1;1) und (2;2) erreicht werden. Nur durch die Anwendung der zweischrittigen Vorgehensweise Collecting all and divide back können alle fünf Lösungen gefunden werden (vgl. Tsamir et al., 2010, S. 222–223).

Die Autor*innen konnten feststellen, dass nahezu alle Kinder bereitwillig mehrere Lösungen und Vorgehensweisen ausprobierten (vgl. Tsamir et al., 2010, S. 228) und schlussfolgern daher das Folgende:

„Young students, who have had little experience with standard mathematical problems, may be more open and creative in their thinking than older children who have been acculturated by years of solving standard one solution problems“ (Tsamir et al., 2010, S. 228)

1.5 Offene Aufgaben

„While the goal to enhance creativity, and the belief that meaningful learning can and should be promoted in a heterogenous primary school class, we offer task characteristics that indicate the potential for these [open] tasks to be effective.“ (Hershkovitz et al., 2009, 259)

Silver (1997, S. 76) postuliert, dass vor allem das Zusammenspiel von mathematischen problem-posing- und problem-solving-Aktivitäten (vgl. Abschn. 3.1.3 und 3.1.4) für das Zeigen von mathematischer Kreativität bedeutsam sind. D. h. die Bearbeitung einer offenen Aufgabe sollte sowohl aus der Formulierung von mathematischen Teilfragen und -aufgaben auf Basis einer Problemsituation als auch dem Lösen dieser bestehen (vgl. auch Abschn. 2.3.3.1). Auf diese Weise werden alle Eigenschaften der individuellen mathematischen Kreativität, also die vier divergenten Fähigkeiten, bei den bearbeitenden Schüler*innen gefordert und so beobachtbar (vgl. Silver, 1997, S. 77–78). Der Autor spricht von einem open approach im Sinne einer Lernumgebung, in der Schüler*innen kreativ werden können und indem offene Aufgaben mit den zuvor dargestellten Charakteristika zum Einsatz kommen. Die nachfolgende Beispielaufgabe (vgl. Silver, 1997, S. 78) fördert bei den bearbeitenden Schüler*innen, einen individuellen Bearbeitungsweg zu beschreiten, zielführende Teilfragen zu stellen und zu beantworten, um eine verallgemeinerte Aussage zu tätigen:

Bsp. :

Show that the product of any four consecutive integers is divisible by 24.

Durch die Verwendung des neutralen Begriffs der offenen Aufgabe (Engl. open task) (etwa bei Hershkovitz et al., 2009, S. 258; Silver, 1997, S. 78) wird nicht direkt auf bestimmte Forschende wie etwa bei den open-ended problems nach Becker und Shimada (1997), den multiple solution tasks nach R. Leikin (2009c) oder den divergent production tasks nach Haylock (1997) referiert. Dadurch sind andere Kreativitätsforscher*innen in der Lage, die Spezifika der jeweils genutzten Aufgaben auf Basis der allgemeinen Charakteristika solcher Aufgaben für den Bereich der individuellen mathematischen Kreativität weiter zu konkretisieren.

Hershkovitz, Peled und Littler (2009) formulieren den Anspruch an offene Aufgaben, den Schüler*innen ein „learning for all“ (S. 258) zu ermöglichen, bei dem sie unter anderem ihre individuelle mathematische Kreativität zeigen können. Dieser Funktion offener Aufgaben wird in der deutschsprachigen Literatur durch den Begriff der Lernumgebung entsprochen (vgl. Hengartner, Hirt, Wälti & Primarschulteam Lupsingen, 2006; Wittmann & Müller, 2017b). Darunter sind komplexe, in einen spezifischen Unterrichtskontext eingebettet offene Aufgaben zu verstehen, weshalb mathematische Lernumgebungen den Begriff der offenen Aufgabe vor allem in Bezug auf die Planung von Mathematikunterricht erweitern. Ulm (2016a, S. 8) konkretisiert dies, indem er vier Komponenten von mathematischen Lernumgebungen definiert, die in ihrem Zusammenspiel für die Qualität der initiierten Lernprozesse verantwortlich sind. So nehmen die Aufgabe selbst, die genutzten Lernmedien, die bewusst eingesetzte Unterrichtsmethodik sowie die möglich wählbaren Lernpartner Einfluss auf das mathematische Lernen der Schüler*innen (vgl. Abb. 3.1 von Ulm, 2016a, S. 8). Die dafür konzipierten offenen Aufgaben zeichnen sich insbesondere dadurch aus, dass sie „über eine niedrige Eingangsschwelle verfügen, und allen Lernenden Zugang zu den ersten [Teila]ufgaben ermöglichen“ (Wälti & Hirt, 2006, S. 19). Nach diesem Einstieg kann die gesamte offene Aufgabe durch verschiedene Zugangsweisen, Materialien und Lösungswegen individuell bearbeitet werden (vgl. Rasch, 2010, S. 9; Nührenbörger & Pust, 2016, S. 32; Wälti & Hirt, 2006, S. 19). Eine besondere und gleichsam häufig als Herausforderung benannte Eigenschaft dieses Aufgabenformats ist es, dass sie den Lernenden eine hohe Eigenverantwortung und Freiheit in der Bearbeitung der Aufgabe zugestehen (vgl. Wittmann & Müller, 2017b, S. 172–173; Wälti & Hirt, 2006, S. 20), was aber wiederum notwendig ist, damit Schüler*innen ihre individuelle mathematische Kreativität zeigen können.

Diese „offene[n] Lernarrangements ermöglich[en] die Eigendifferenzierung der Kinder je nach ihren Fähigkeiten“ (Nührenbörger & Pust, 2016, S. 32), weshalb diese Aufgabenformate auch allgemein unter dem Begriff der natürlichen Differenzierung eingeordnet werden (vgl. Wittmann, 1990, S. 164; Wittmann & Müller, 2017a, S. 180). Dabei ist vor allem eine Betrachtung der Komplexität der Aufgabe vorzunehmen (vgl. Krauthausen & Scherer, 2014, S. 52–53). Komplexität wird dabei nicht als hemmendes Kriterium aufgefasst. Im Gegenteil zeigt sich, dass ein gewisses Maß an Komplexität der Aufgabe notwendig ist, damit die Lernenden „in ganzheitlicheren Zusammenhängen mehr Bedeutung, mehr Sinn und damit mehr Anknüpfungspunkte für individuelle Lösungswege“ (Krauthausen & Scherer, 2014, S. 52) erhalten können. Gerade mit Blick auf die Komplexität und Eigenständigkeit in der Bearbeitung mathematische Lernumgebung verweisen Dürrenberger & Tschopp (2006) auf mögliche Stolpersteine, die es aus fachdidaktischer Perspektive zu beachten gilt (vgl. im folgenden S. 23): Die Komplexität mathematischer Lernumgebungen und damit auch offener Aufgaben können auf Schulkinder, die mathematischen Anforderungen vor allem durch fleißiges Üben bewältigen, am Anfang überfordernd wirken. Daher scheint es sinnvoll, einzelne Lernumgebungen in kleineren Teilgruppen einer Klasse zu bearbeiten, um allen Schüler*innen eine entsprechende Unterstützung durch die Lehrenden zu ermöglichen. Grundlage für angemessene Rückmeldungen an die Lernenden bildet dabei eine tiefgreifende Auseinandersetzung der Mathematiklehrer*innen mit den einzelnen mathematischen Hintergründen der offenen Aufgaben. Nur so kann es ihnen gelingen, die Denkwege der Kinder nachzuvollziehen und ihr mathematisches Lernen zu unterstützen.

Hershkovitz, Peled und Littler (2009) identifizieren als „good (creativity promoting) tasks“ (259) zehn Charakteristika offener Aufgaben, die die vorherigen Ausführungen noch einmal komprimiert zusammenfassen sowie erweitern (frei übersetzt nach Hershkovitz et al., 2009, 259–260): Offene Aufgaben (1) ermöglichen viele Lösungen im Sinne des divergenten Denkens, (2) besitzen verschiedene Antworten oder Lösungsmethoden, (3) besitzen Lösungen von einfach bis originell, (4) können leicht gelöst werden, obwohl sie herausfordernd sind, (5) können durch weitere Fragen wie „Warum?“ oder „Was wäre wenn…?“ erweitert werden, (6) ermöglichen Generalisierungen und Abstraktion, (7) ermutigen Untersuchungen verschiedener Fälle, (8) ermutigen zu Diskussionen und Argumentationen, (9) ermutigen zum Nutzen von grundlegenden mathematischen Prinzipien, (10) nutzen das existierende mathematische Wissen der Schüler*innen und erweitern dieses. Als ein Beispiel für eine solche Aufgabe präsentieren Hershkovitz, Peled und Littler (2009, S. 262) die Folgende, die bei jeder Bearbeitung der Schüler*innen adäquat ist:

Bsp. :

How many times does the digit “1” appears in the sequence of the natural numbers 1 to 500?

Dabei merken sie an, dass nicht bei jeder offenen Aufgabe alle zehn Eigenschaften in vollem Maß erfüllt sein müssen, sondern vielmehr über eine ganze Unterrichtsreihe alle Charakteristika durch die Gesamtheit der genutzten offenen Aufgaben abgedeckt werden sollten (vgl. Hershkovitz et al., 2009, 259). Daraus ergibt sich die folgende Erkenntnis für jede einzelne offene Aufgabe:

„The tasks differ from each other in the degree of “openness” […]“ (Hershkovitz et al., 2009, 258)

Der hier angesprochene Grad der Offenheit von mathematischen Aufgaben wird dabei in der mathematikdidaktischen Literatur unterschiedlich verstanden. Deswegen sollen im Folgenden zunächst zwei konkrete Beispiele aus der deutschsprachigen Literatur aufgeführt werden, um darauf aufbauend das Framework von Yeo (2017) vorzustellen. Basierend auf einer umfangreichen sowie systematischen Literatursicht verschiedenster mathematikdidaktischer Definition offener Aufgaben entwickelt der Autor ein umfassendes Instrument, mit dessen Hilfe die Offenheit von mathematischen Aufgaben sehr spezifisch und unterrichtspraktisch bestimmt werden kann (vgl. Abschn. 3.1.6). Durch den Facettenreichtum dieses Frameworks ist es auch in besonderem Maße dafür geeignet, offene Aufgaben, die Schüler*innen das Zeigen ihrer individuellen mathematischen Kreativität im Sinne des InMaKreS-Modells ermöglichen sollen, genau zu charakterisieren.

1.6 Klassifizierung der Offenheit von mathematischen Aufgaben (Yeo, 2017) zum Zeigen der individuellen mathematischen Kreativität

„[…] there is a need to develop a framework to characterize the openness of a task based on different task variables so that teachers can design or choose appropriate tasks to develop in their students different kinds of mathematical processes.“ (Yeo, 2017, S. 189)

Krauthausen und Scherer (2014, S. 53) bestimmen den Grad der Öffnung einer Aufgabe über die der Aufgabe zugrundeliegende mathematische Struktur, die von den bearbeitenden Schüler*innen genutzt werden kann: Je größer die Möglichkeit, erlernte mathematische Strukturen zu nutzen oder zu entdecken, desto offener ist die Aufgabe. Etwas umfangreicher formuliert Rasch (2010) sieben Aspekte, über deren Ausprägung die Offenheit einer Aufgabe bestimmt werden kann (vgl. im Folgenden S. 9–14): Zentral ist, dass (1) Wissen von den Lernenden bewusst gezeigt wird, sodass (2) das aktuelle Wissen erfasst werden kann. Außerdem sollen (3) die Aufgaben dazu anregen, mathematische Strukturen zu nutzen und insbesondere im arithmetischen Bereich (4) das Nachdenken über Zahlbeziehungen anzuregen. Allgemein wird bei den Lernenden (5) das Einschätzen der eigenen Leistungsfähigkeit gefördert. Die (6) freie Notation der Aufgabenbearbeitung ist bei offenen Aufgaben ebenso zentral wie (7) der produktive Umgang mit Fehlern.

An diesen Beispielen wird deutlich, dass Begriffsbestimmungen der Offenheit von mathematischen Aufgaben zwar unterschiedlich ausfallen, es aber überlappende Aspekte wie etwa das Entdecken und Nutzen mathematischer Strukturen gibt. Mit Blick auf die vorangegangen Ausführungen, in denen viele verschiedene Definitionen von offen, kreativitätsfördernden Aufgaben wie open-enden problems, divergent-production task oder auch multiple solution tasks vorgestellt wurden (vgl. Abschn. 3.1.1 bis 3.1.5), wurde zudem deutlich, dass sich die Offenheit solcher Aufgaben insbesondere auf das Vorhandensein quantitativ und qualitativ verschiedener Lösungen und/oder Lösungswege bezieht. So kann insgesamt festgestellt werden, dass in der mathematikdidaktischen Diskussion um offene Aufgaben verschiedene Kriterien genannt und unterschiedlich gewichtet werden. Von dieser Einsicht geleitet und mit dem Anspruch ein einheitliches Instrument zu erschaffen, entwickelte Yeo (2017) ein umfangreiches Framework zur Bestimmung des Grads an Offenheit in mathematischen Aufgaben. Dieses wurde mit dem Ziel entwickelt, sowohl für Mathematiklehrer*innen in der Schule als auch für Forschende zur Analyse von offenen Aufgaben und dem absichtsvollen Einsatz solcher Aufgaben nutzbar zu sein (s. Eingangszitat). Dadurch soll ein reflektierter Umgang und Einsatz offener Aufgaben im Mathematikunterricht aller Schulformen und -stufen sowie der Forschung erreicht werden (vgl. Yeo, 2017, S. 187). Daher scheint dieses Framework auch mit Blick auf die individuelle mathematische Kreativität von Schulkindern, die sie bei der Bearbeitung offener Aufgaben zeigen sollen, nützlich zu sein, um die Offenheit dieser Aufgaben explizit zu definieren.

Auf Basis einer breiten mathematikdidaktischen Literatursicht zu offenen Aufgaben beschreibt Yeo (2017, S. 179–186), dass sich die Offenheit mathematischer Aufgaben über fünf verschiedene Variablen mit wiederum unterschiedlichen Ausprägungen charakterisieren lässt. Bevor diese ausführlich vorgestellt, begrifflich gefasst und an Beispielen veranschaulicht werden, ist zunächst die wohl bedeutsamste und grundlegendste Erkenntnis von Yeo (2017, S. 187) hervorzuheben. Der Autor definiert den Begriff der Offenheit mathematischer Aufgaben wie folgt:

„Since, openness is a continuum, there are varying degrees of openness depending on how many of these variables are open und in which aspects.“ (Yeo, 2017, S. 187)

In diesem Zitat werden zwei wichtige Grundannahmen formuliert: Zum einen wird die Offenheit von mathematischen Aufgaben nicht pauschal zu der Geschlossenheit von Aufgaben in Kontrast gesetzt. Vielmehr wird ein Kontinuum zwischen geschlossenen und offenen Aufgaben etabliert, wodurch mathematische Aufgaben sehr spezifisch und genau bzgl. ihrer Offenheit eingeschätzt sowie zueinander in Relation gesetzt werden können. Zum anderen konkretisiert und operationalisiert Yeo (2017, S. 187) dieses Kontinuum bzw. den Grad der Offenheit durch die Beschreibung von fünf Variablen und ihren verschiedenen Ausprägungsgraden. Das bedeutet, dass eine mathematische Aufgabe dann eine geschlossene Aufgabe ist, wenn auch alle Variablen als geschlossen analysiert werden. Sobald auch nur eine der Variablen eine Öffnung aufweist, dann handelt es sich um eine, zwar auf dem Kontinuum geringe, aber dennoch offene Aufgabe. Werden dementsprechend alle fünf Variablen als offen klassifiziert, dann kann diese mathematische Aufgabe als eine vollständig offene Aufgabe charakterisiert werden. Die fünf Variablen und ihre möglichen Ausprägungen zwischen geschlossen und offen sollen nun im Detail vorgestellt werden:

  1. 1.

    Als erste Variable beschreibt Yeo (2017) die answer (zu Deutsch: Antwort) (S. 179). Darunter versteht der Autor ähnlich wie Guilford (1967) jede Lösung zu einer mathematischen Aufgabe. Diese kann von konkreten Rechenergebnissen wie etwa bei der Aufgabe \(15 + 5 = \_\_\_\) über das Notieren verschiedener Rechenwege wie bspw. bei der Aufgabe Rechne die Aufgabe 7 + 8 auf verschiedene Art und Weise und schreibe deine Rechenwege auf (vgl. Einführung zu diesem Kapitel) bis hin zur Lösung komplexer Sachaufgaben wie etwa beim Planen eines neuen Spielgerüsts für den Schulhof (vgl. Yeo, 2017, S. 178, task 4a) reichen. Die Antwort zu einer Lösung wird dann als geschlossen charakterisiert, wenn alle einzelnen Lösungen aus der Aufgabe heraus determiniert sind (vgl. Yeo, 2017, S. 179). Dies ist bei der zuvor erstgenannten Beispielaufgabe der Fall, da die Antwort zu der Aufgabe \(15 + 5 = \_\_\_\) ausschließlich \(20\) sein kann. Bei den anderen beiden genannten Aufgaben sind die verschiedenen Antworten der Kinder nicht determiniert, da weder abzusehen ist, welche verschiedenen Rechenwege die Kinder zur Lösung der Aufgabe \(7 + 8\) notieren, noch die konkrete Planung eines Spielgerüsts vorhergesagt werden kann. Diese beiden mathematischen Aufgaben können daher aufgrund ihrer vielen möglichen Antworten als offen charakterisiert werden. Des Weiteren unterscheidet Yeo (2017) bei der Offenheit der Antwort zwischen well-defined (zu Deutsch: wohldefiniert) und ill-defined (zu Deutsch: schlechtdefiniert) (S. 179). Bei wohldefinierten offen Antworten können die einzelnen Lösungen zu der mathematischen Aufgabe objektiv, d. h. mathematisch, als richtig oder falsch eingeschätzt werden (vgl. Yeo, 2017, S. 179). Dies ist bei der Beispielaufgabe mit den verschiedenen Rechenwegen der Fall, da diese aus mathematischer Sicht als adäquat evaluiert werden können. Im Gegensatz dazu sind schlechtdefinierte offene Antworten solche, die nicht eindeutig als richtig oder falsch analysiert werden können (vgl. Yeo, 2017, S. 179–180). Hierzu lässt sich die Beispielaufgabe mit der Planung eines neuen Spielgerüsts einordnen, da die Antworten der Schüler*innen immer subjektiv sein werden.

  2. 2.

    Die zweite wesentliche Variable ist das goal (zu Deutsch: Ziel) (Yeo, 2017, S. 180), das durch die konkrete Formulierung der mathematischen Aufgabe von den Bearbeitenden verlangt wird. Eine Aufgabe gilt dann als geschlossen, wenn das Aufgabenziel sehr spezifisch und dadurch eindeutig formuliert ist (vgl. Yeo, 2017, S. 180). Als Beispiel hierfür kann erneut die Aufgabe \(15 + 5 = \_\_\_\) dienen, da hier durch das Gleichheitszeichen und dem Strich die Aufforderung zum Ausrechnen des Terms sehr klar kommuniziert wird. Aber auch die mathematische Aufgabe, ein neues Spielgerüst zu planen, hat ein spezifisch formuliertes Ziel und ist daher bzgl. dieser Variable geschlossen. An diesem Beispiel wird zudem deutlich, dass die beiden Variablen des Ziels und der Antwort zwar häufig in einem sich wechselseitig bedingenden Verhältnis stehen können (offenes Ziel ↔ offene Antwort, geschlossenes Ziel ↔ geschlossene Antwort), aber nicht müssen (vgl. ausführlich Yeo, 2017, S. 181). Im Kontrast zu solchen geschlossenen Zielformulierungen können mathematische Aufgaben auch offene Ziele aufweisen, wenn diese (eher) unspezifisch formuliert sind. Dies bedeutet, dass „students are expected to choose their own specific goals to pursue“ (Yeo, 2017, S. 180). Auch hier unterscheidet der Autor zwischen wohldefinierten und schlechtdefinierten Zielen. Die Formulierung der Aufgabe Rechne die Aufgabe 7 + 8 auf verschiedene Art und Weise und schreibe deine Rechenwege auf ist in dem Sinn offen, da das Ziel zwar nicht spezifisch, aber dennoch klar umschrieben ist. Sie ist daher laut (Yeo, 2017, S. 180–181) ein Beispiel für ein wohldefiniertes Ziel. Bei schlechtdefinierten Zielen ist die Formulierung der mathematischen Aufgaben sehr vage wie etwa bei der Aufforderung, etwas (i. d. R. mathematische Muster und Strukturen) zu untersuchen (vgl. Yeo, 2017, S. 180–181). Was die Schüler*innen dabei genau in den Blick nehmen und wie tief ihre Untersuchung verläuft, bleibt ihnen überlassen.

  3. 3.

    Als dritte Variable beschreibt Yeo (2017) die methods (zu Deutsch: Methode oder Vorgehen) (S. 182). Darunter versteht der Autor das Vorgehen bei der Bearbeitung mathematischer Aufgaben, das von algorithmischen Bearbeitungsweisen über das systematische Ausprobieren bis hin zu der Entwicklung heuristsicher Strategien reichen kann (vgl. Yeo, 2017, S. 182). Das Vorgehen bei der Bearbeitung einer mathematischen Aufgaben wird dann als geschlossen bezeichnet, wenn „there is only one method or the method involves only routine application of known procedures“ (Yeo, 2017, S. 183). Dies ist bei der Beispielaufgabe \(15 + 5 = \_\_\_\) der Fall, die durch die Anwendung einer erlernten Rechenstrategie einfach gelöst werden kann. Aufgaben die hinsichtlich des möglichen Vorgehens bei ihrer Bearbeitung offen sind, können erneut als wohl- oder schlechtdefiniert klassifiziert werden. Für die Definition dieser Begriffe beschreibt Yeo (2017, S. 182–183) die sogenannte Natur des Vorgehens: Ist es möglich, Schüler*innen ein Vorgehen für die Bearbeitung eine mathematische Aufgabe beizubringen, dass dann bei allen Lernenden zu derselben richtigen Antwort führt, dann liegt ein wohldefiniertes Vorgehen vor. Führt dementsprechend ein unterrichtetes Vorgehen bei allen Schüler*innen zu unterschiedlichen Antworten, dann ist das Vorgehen zwar offen, aber schlechtdefiniert (vgl. Yeo, 2017, S. 183). Dies ist bspw. bei der Aufgabe mit der Planung eines Spielgerüsts der Fall. Das Vorgehen bei der Bearbeitung dieser Aufgabe ist so weit geöffnet, dass selbst die Vermittlung einer heuristischen Bearbeitungsstrategie bei den Schulkindern nicht zu denselben Bearbeitungen der Aufgabe führen würde. Zusätzlich zu diesen beiden Ausprägungen werden noch zwei weitere Ausprägungen definiert. Die Offenheit im Vorgehen kann entweder subject-dependent (zu Deutsch: subjektabhängig) oder task-inherent (zu Deutsch: aufgabeninhärent) (Yeo, 2017, S. 183) sein. Ist ein Vorgehen bei der Bearbeitung einer mathematischen Aufgabe subjektabhängig, dann bedeutet dies, dass die Bearbeitenden darüber entscheiden können, ob sie verschiedene Bearbeitungsweisen einsetzen oder nicht. Umgekehrt beschreibt der Begriff der Aufgabeninhärenz den Umstand, dass es nicht möglich ist, eine mathematische Aufgabe nur mit einem Vorgehen vollständig und umfassend zu bearbeiten (vgl. Yeo, 2017, S. 183).

  4. 4.

    Die Variable complexity (zu Deutsch: Komplexität) (Yeo, 2017, S. 184) ist stark mit der zuvor dargestellten Variable des Vorgehens verbunden, da es hier darum geht, „how teachers can structure the method of solution into the task statement to guide students if the task is too complex.“ (Yeo, 2017, S. 183). Damit analysiert diese Variable, inwiefern durch die Formulierung einer mathematischen Aufgabe die Schüler*innen durch die Lehrer*innen unterstützt werden können (vgl. dazu ausführlich Kap. 4). In diesem Sinne wird die Komplexität als geschlossen charakterisiert, wenn die gesamte Aufgabe für alle Schüler*innen einfach genug ist (vgl. Yeo, 2017, S. 185). Diese Einschätzung hängt damit maßgeblich von der Lerngruppe bzw. von den einzelnen Schüler*innen ab, für die eine Aufgabe ausgewählt oder konzipiert wird (vgl. Yeo, 2017, S. 184). Eine Aufgabe ist dann in Bezug auf die Komplexität als offen zu charakterisieren, wenn sie für die Schüler*innen zu komplex ist und diese keinen geeigneten Startpunkt für eine Bearbeitung finden. Können dann die Lehrpersonen die Komplexität der Aufgabe durch geeignete, schriftliche Unterstützungsangebote verringern, dann wird die Komplexität als subjektabhängig definiert (vgl. Yeo, 2017, S. 184). Diesen Begriff benutzt Yeo (2017, S. 185) erneut im Unterschied zu aufgabeninhärent, der bei dieser Variable bedeutet, dass es bei der Formulierung einer mathematische Aufgabe nicht möglich ist, genug Unterstützung bereitzustellen, damit alle Schüler*innen sie angemessen bearbeiten können. Die Beispielaufgabe Plane ein neues Spielgerüst kann zunächst als offen analysiert werden, da sie in ihrer Formulierung keine konkreten Bearbeitungshinweise beinhaltet. Trotz einer Überarbeitung der Aufgabe durch die Ergänzung bestimmter Maße, Materialien oder eines Budgets, können in die Formulierung nicht alle Informationen eingearbeitet werden, die für eine einfache Bearbeitung der Aufgabe nötig wären. Sie ist daher ein Beispiel für eine aufgabeninhärente Komplexität (vgl. etwa Yeo, 2017, S. 184).

  5. 5.

    Die letzte Variable, die Yeo (2017) in seinem Framework benennt, ist die der extension (zu Deutsch: Erweiterung) (S. 185). Der Autor greift damit die begriffliche Unterscheidung von open tasks zu open-ended tasks auf (vgl. Yeo, 2017, S. 185): Während die Bezeichnung open auf eine gewisse Offenheit in der Antwort der Aufgabe verweist, wird der Begriff open-ended wie etwa bei Becker und Shimada (1997) verwendet, um Aufgaben zu beschreiben, die immer weiter erweitert werden können und dadurch nie enden. Unter Erweiterung wird dabei die systematische Veränderung von Zahlen oder Bedingungen der Aufgabe verstanden, die zu weitreichenden mathematischen Erkenntnissen (vor allem auf der Ebene mathematischer Muster und Strukturen) führen können (vgl. Yeo, 2017, S. 185–186). Eine mathematische Aufgabe ist bzgl. ihrer Erweiterung geschlossen, wenn sie entweder nicht erweitert werden kann oder durch eine gezielte Erweiterung keine mathematisch neuen Erkenntnisse erlangt werden können (vgl. Yeo, 2017, S. 185) Die Aufgabe Während eines Workshops schütteln alle 100 Teilnehmer*innen jedem*jeder anderen die Hand – Wie viel Händedrücke finden statt? (vgl. Yeo, 2017, S. 177, task 2a) ist hingegen offen und dadurch erweiterbar, indem überlegt werden kann, wie viele Händedrücke bei 200, 1000 oder \(n\) Personen stattfinden. Die Variable der Erweiterung kann im Bereich der Offenheit ebenfalls die beiden Ausprägungen subjektabhängig oder aufgabeninhärent annehmen. Dabei bedeutet subjektabhängig in diesem Fall, dass die Bearbeitenden selbstständig entscheiden, ob und in welchem Maße sie die Aufgabe erweitern. Ist die Erweiterung dagegen aufgabeninhärent, dann muss immer eine Erweiterung durch die Lernenden stattfinden, da die mathematische Aufgabe dies explizit verlangt (vgl. Yeo, 2017, S. 186).

Die nachfolgende Klassifizierungsmatrix fasst die Definitionen aller zuvor ausführlich erläuterter Variablen und deren verschiedene Ausprägungen übersichtlich zusammen (Tab. 3.1):

Tab. 3.1 Definition der Variablen und Ausprägungsgrade zur Klassifizierung offener Aufgaben in Anlehnung an Yeo (2017)

In dieser mathematikdidaktischen Arbeit wurden offene Aufgaben aus dem Grund so ausführlich dargestellt, da sie ein geeignetes Aufgabenformat darstellen, um die individuelle mathematische Kreativität von Schulkindern anzuregen und dadurch beobachtbar zu machen. Mit Blick auf das InMaKreS-Modell müssen es diese mathematischen Aufgaben den Bearbeitenden ermöglichen, ihre Denkflüssigkeit, Flexibilität, Originalität und Elaboration zu zeigen (vgl. Einführung zu Kap. 3). Diese zentrale Funktion wurde bereits in den vorherigen Ausführungen anhand der verschiedenen kreativitätsfördernden offenen Aufgaben angesprochen, aber noch nicht explizit genug für eine eindeutige Charakterisierung offener Aufgaben, welche die individuelle mathematische Kreativität von Schüler*innen anregen, ausformuliert (vgl. Abschn. 3.1.1 bis 3.1.5). Dafür eignet sich in besonderem Maß das nun vorgestellte Framework von Yeo (2017), da es die Offenheit mathematischer Aufgaben über die beschriebenen Variablen Antwort, Ziel, Vorgehen, Komplexität und Erweiterung ausdifferenziert und dadurch operationalisiert. So sollen nachfolgend die fünf Variablen bezüglich ihrer Offenheit eingeschätzt werden, damit Schüler*innen ihre divergenten Fähigkeiten und damit ihre individuelle mathematische Kreativität zeigen können.

  • Im Sinne des divergenten Denkens und dem Aspekt der Denkflüssigkeit müssen die Antworten zu einer mathematischen Aufgabe sehr vielfältig ausfallen und aus mehreren unterschiedlichen Ideen bestehen dürfen (vgl. Abschn. 2.3.3.1 – insb. der Abschnitt zur Denkflüssigkeit). Um den Schüler*innen das Zeigen ihrer individuellen Denkflüssigkeit unabhängig ihrer Schulstufe oder Lernbiografie zu ermöglichen, scheint es angemessen, dass die Antwort zu einer offenen Aufgabe sehr stark geöffnet und damit nicht determiniert ist. Das bedeutet auch, dass abhängig von der gestellten offenen Aufgabe nicht erwartet werden kann, dass zwei Schüler*innen die exakt gleiche Antwort produzieren werden. Mit Blick auf das InMaKreS-Modell und der darin definierten Reflexionsphase, in der (auch junge) Kinder ihre eigenen Ideen reflektieren und dabei formulieren sollen, ist es zudem sinnvoll, wenn die einzelnen Antworten aus mathematischer Perspektive eindeutig als passend oder unpassend beschrieben werden können. Somit sollten Aufgaben, die Schüler*innen zum Zeigen ihrer individuellen mathematischen Kreativität anregen, eine wohldefinierte Offenheit in der Antwort aufweisen.

  • Um diese große Offenheit in der Antwort zu einer offenen Aufgabe altersangemessen einzugrenzen, sollte das Aufgabenziel eher klar formuliert werden. D. h., es sollte immer eine Bedingung oder Einschränkung formuliert werden, die das Aufgabenziel konkretisiert und dabei verdeutlicht, dass eine divergente Produktion von den Schüler*innen erwartet wird. Eine mögliche Aufgabenformulierung, die dann durch spezifische inhaltliche Aspekte ergänzt werden kann, könnte deshalb lauten: Finde verschiedene…. Wichtig zu betonen ist hier die bewusst gewählte Formulierung mit dem Attribut verschiedene im Gegensatz zu dem Aufgabenziel Finde alle…. Je nachdem wie eng der inhaltliche Rahmen einer solchen Aufgabe wie z. B. Finde alle Möglichkeiten aus den Geschmackssorten Erdbeere, Schokolade und Zitrone, zwei Eiskugeln auszuwählen abgesteckt wird, kann das formulierte Ziel die Offenheit der Antwort zu der Aufgabe sehr einschränken bzw. gänzlich schließen, da alle Antworten determiniert sind. Dadurch wird dann auch eine denkflüssige Bearbeitung der Aufgabe eingeschränkt. Mit Blick darauf, dass die Schulkinder bei der Bearbeitung einer offenen Aufgabe ihre individuelle mathematische Kreativität zeigen können sollen, muss das formulierte Ziel der Aufgabe als offen und wohldefiniert charakterisiert werden.

  • Um die Offenheit der Variable des Vorgehens für solche Aufgaben einzuschätzen, die den bearbeitenden Schüler*innen das Zeigen ihrer individuellen mathematischen Kreativität ermöglichen sollen, müssen die beiden divergenten Fähigkeiten der Flexibilität und Originalität genauer betrachtet werden. Unter Flexibilität ist die Fähigkeit zu verstehen, verschiedene Ideentypen und Ideenwechsel zu zeigen. Originalität bezieht sich zudem auf die Fähigkeit, die eigene Produktion zu reflektieren und durch weitere Ideen sowie Ideentypen zu erweitern (vgl. Abschn. 2.3.3.1 – insb. der Abschnitt zur Flexibilität und Originalität). Um den Schüler*innen bei der Bearbeitung einer mathematischen Aufgabe das Zeigen dieser beiden individuellen Fähigkeiten zu ermöglichen, muss also die Wahl des Vorgehens gänzlich geöffnet sein sowie bei den Schüler*innen selbst liegen und darf von der Aufgabe nicht vorgeschrieben werden. Nur, wenn die Aufgabe verschiedene Bearbeitungsweisen zulässt, wird es den Lernenden ermöglicht, individuelle Ideentypen sowie Ideenwechsel zu zeigen und diese zu reflektieren sowie zu erweitern. Das bedeutet auch, dass im Kontext von Kreativität bei der Bearbeitung mathematischer Aufgaben, diese so konzipiert werden sollten, dass bestimmte (erlernte) Vorgehensweisen wie heuristische Strategien bei verschiedenen Schüler*innen nicht zur exakt gleichen Bearbeitung der Aufgabe führen. Im Sinne des Frameworks von Yeo (2017) sollte die Offenheit des Vorgehens bei Aufgaben, die Lernenden im Mathematikunterricht eine kreative Bearbeitung ermöglichen sollen, als offen, subjektabhängig und schlechtdefiniert eingestuft werden.

  • Mit Blick auf die divergente Fähigkeit der Elaboration wurde bereits darauf verweisen, dass die Lernenden bei der kreativen Bearbeitung mathematischer Aufgaben von Lehrpersonen unterstützt werden sollten, da die Fähigkeit, das eigene Vorgehen sprachlich zu begleiten, besonders herausfordernd sein kann (vgl. Abschn. 2.3.3.1 – insb. der Abschnitt zur Elaboration). In diesem Sinne sollte die Offenheit der Variable der Komplexität so charakterisiert werden, als dass die Aufgabe zwar für alle Kinder anspruchsvoll bzw. herausfordernd ist (vgl. Abschn. 3.1.5), aber ihre Komplexität durch ein geeignetes Scaffolding seitens der Lehrkräfte verringert werden kann. Auf mathematikdidaktische Konzepte zur Unterstützung von Lernenden bei der Bearbeitung mathematischer Aufgaben fokussiert sich insbesondere das nachfolgende Kapitel 4. Die Variable der Komplexität sollte unterdes als offen und subjektabhängig klassifiziert werden.

  • Zuletzt gilt es zu entscheiden, ob eine Erweiterung der offenen Aufgabe im Rahmen einer kreativen Bearbeitung durch die Schüler*innen stattfinden sollte. Dies ist im Sinne von Yeo (2017) nicht der Fall, da das Ziel einer kreativen Aufgabenbearbeitung nicht ist, dass die Schüler*innen die der Aufgabe zugrundeliegenden mathematischen Muster und Strukturen entdecken, verallgemeinern oder anwenden lernen sollen, indem sie die Aufgabe fortführen. Vielmehr steht eine divergente Bearbeitung der offenen Aufgabe im Mittelpunkt, die durch eine Öffnung in den zuvor beschriebenen Variablen ermöglicht werden kann. Damit kann diese Variable als geschlossen charakterisiert werden, wobei nicht auszuschließen ist, dass einzelne Schüler*innen die Aufgabe aus Interesse nicht auch subjektabhängig erweitern.

Basierend auf den vorangegangenen Einschätzungen der Offenheit mathematischer Aufgaben, die Schulkindern das Zeigen ihrer individuellen mathematischen Kreativität ermöglichen, ergeben sich für die fünf Variablen Antwort, Ziel, Vorgehen, Komplexität und Erweiterung spezifische Ausprägungen. Den Ausführungen von Yeo (2017) entsprechend illustriert die Tabelle 3.2 den Grad der Offenheit durch ein Kontinuum zwischen geschlossen und offen. Die dunkelgrau markierten Abschnitte geben dabei den Bereich an, in dem sich die Offenheit der einzelnen Variablen aufgrund der vorangegangenen Ausführungen bewegen sollte, damit die offene Aufgabe den Schüler*innen eine kreative Bearbeitung im Sinne des InMaKreS-Modells ermöglicht.

Tab. 3.2 Klassifizierung (in Anlehnung an Yeo, 2017) offener Aufgaben zum Zeigen der individuellen mathematischen Kreativität (Slider eigene Darstellung)

1.7 Zusammenfassung

Ausgangspunkt und gleichsam Ziel dieses ersten Abschnitts war die Beantwortung der eingangs gestellten Frage nach mathematischen Aufgabenformaten, die für das Zeigen der individuellen mathematischen Kreativität von Schulkindern auf Basis des InMaKreS-Modells für den Einsatz im Mathematikunterricht geeignet sind.

Welche mathematischen Aufgaben sind geeignet, damit Schüler*innen ihre individuelle mathematische Kreativität zeigen können? – Offene Aufgaben!

Auf Basis der vorangegangenen Ausführungen wurde erläutert, dass offene Aufgaben ein geeignetes Aufgabenformat darstellen, damit Schüler*innen im Mathematikunterricht kreativ werden können. Zur Begründung dieser Einschätzung wurden verschiedene theoretische Auslegungen von offenen Aufgaben im Kontext (internationaler und nationaler) Kreativitätsforschung vorgestellt und miteinander in Bezeigung gesetzt. Sie sollen im Folgenden rekapituliert werden:

  • Unter open-ended problems (Kwon et al., 2006; Becker & Shimada, 1997) werden Aufgaben verstanden, die sowohl verschiedene Lösungswege als auch Lösungen beinhalten und so den Schüler*innen eine individuelle Bearbeitung ermöglichen. Das divergente Denken ist dafür eine besondere Voraussetzung, sodass durch diese Aufgaben auch die individuelle mathematische Kreativität angeregt werden kann (vgl. Abschn. 3.1.1).

  • Divergent production tasks (Haylock, 1997) sind Aufgaben, die vor allem den Aspekt der multiplen Lösungen fokussieren. Hierbei ist jedoch anzumerken, dass eine Bearbeitung zwar von allen Schüler*innen möglich ist, jedoch nur wenige in der Lage sind, diese offene Aufgabe mathematisch angemessen sowie kreativ, d. h. durch originelle Ideen, zu lösen (vgl. Abschn. 3.1.2).

  • Unter dem Begriff der problem-posing tasks (Leung, 1997; Leung & Silver, 1997) werden solche offenen Aufgaben verstanden, bei denen die bearbeitenden Schüler*innen verschiedene passende Fragen zu einem mathematischen Problem und nicht etwa viele verschiedene Lösungen formulieren sollen (vgl. Abschn. 3.1.3).

  • Multiple solution tasks (R. Leikin, 2009c) beziehen sich auf die Fähigkeit des Problemlösens. Das divergente Denken als Grundlage für die individuelle mathematische Kreativität wird bei der Bearbeitung dieser Aufgaben durch das Nutzen verschiedener Lösungswege ermöglicht. Das unterscheidet diese Aufgaben von den zuvor genannten, bei denen immer auch das Finden unterschiedlicher Lösungen vorgesehen ist (vgl. Abschn. 3.1.4).

Es wurde sich insgesamt für den Gebrauch des Begriffs der offenen Aufgabe entschieden, da dieser die zuvor präsentierten unterschiedlichen Ansätze zur Charakterisierung von Aufgaben, die das Zeigen der individuellen mathematischen Kreativität ermöglichen, auf das Gemeinsame reduziert (vgl. Abschn. 3.1.5): Offene Aufgaben bezeichnen im weitesten Sinne eine „Aufgabe für alle“ und zeichnen sich deshalb durch eine Bearbeitung auf verschiedenen qualitativen und quantitativen Niveaus aus, wobei die Offenheit graduell definiert wird. Im Gegensatz zu den zuvor genannten Aufgabentypen, die eindeutig in Bezug auf ihre Lösungen und/oder Vorgehensweisen geöffnet bzw. geschlossen sind, lassen sich offene Aufgaben auf einem Kontinuum zwischen geschlossen und offen anordnen. Das Framework von Yeo (2017) bietet eine Grundlage dafür, den Grad der Offenheit mathematischer Aufgaben auf Basis verschiedener Variablen zu bestimmen. Zuletzt wurde ebendieses Framework ausführlich auf die Definition der individuellen mathematischen Kreativität von Schulkindern in dieser Arbeit bezogen und die Offenheit mathematischer Aufgaben für das Zeigen von Kreativität in Form einer Klassifizierungsmatrix (vgl. Tab. 3.2) expliziert (vgl. Abschn. 3.1.6).

Im Folgenden soll nun der Fokus auf eine mathematisch inhaltliche Ebene gerichtet und deshalb der Frage nachgegangen werden, welcher Inhaltsbereich geeignet ist, damit Schüler*innen bei der Bearbeitung offener Aufgaben ihre individuelle mathematische Kreativität zeigen können.

2 Arithmetisch offene Aufgaben und ihre Bearbeitung

„If creativity is domain-specific, as I have argued, then creativity assessment must also be domain-specific.“ (Baer, 2012, S. 22)

Offene Aufgaben, die es den Bearbeitenden ermöglichen, ihre individuelle mathematische Kreativität zu zeigen, wurden zuvor mit Hilfe des Frameworks von Yeo (2017) ausführlich dargestellt, definiert und schlussendlich eine Klassifizierungsmatrix für diesen Aufgabentyp erarbeitet (vgl. Abschn. 3.1.5, 3.1.6, insbesondere Tab. 3.2). Die dabei dargestellten Beispielaufgaben lassen erkennen, dass eine Vielzahl von möglichen mathematischen Inhaltsbereichen genutzt werden können, um kreativitätsanregende offene Aufgaben zu formulieren. So sind bspw. arithmetische, geometrische oder kombinatorische Themen für Schüler*innen aller Schulstufen nutzbar, wobei verschiedene Repräsentationsformen wie symbolisch, verbal oder figural genutzt werden können (vgl. Leung, 1997, S. 82). Damit lässt sich die individuelle mathematische Kreativität nicht nur als domänenspezifisch bezeichnen (vgl. Abschn. 2.2.1), sondern es existieren Mikro- oder Subdomänen unter anderem in Form der verschiedenen Inhaltsbereiche (vgl. Schindler, Joklitschke & Rott, 2018, S. 140), sodass Kreativität als aufgabenabhängig einzustufen ist (vgl. Baer, 2012, S. 22–23, 2019, S. 130–132).

Die Arithmetik nimmt als eine dieser Mikrodomänen bzw. Inhaltsbereiche in der Mathematikdidaktik eine besondere Position ein. Sie ist derjenige Inhaltsbereich, dem in den deutschen Bildungsstandards für den Mathematikunterricht an Grundschulen der größte Anteil an ausdifferenzierter Kompetenzerwartungen – dicht gefolgt von der Geometrie – zukommt (vgl. KMK, 2004, S. 9)Footnote 1. Diesen Umstand begründet Kosyvas (2016, S. 357) dadurch, dass die Arithmetik eine basale mathematische Fähigkeit bestehend aus einem flexiblen Umgang mit verschiedenen Repräsentationen von Zahlen, dem Nutzen von Eigenschaften und Strukturen sowie dem Beherrschen unterschiedlicher Bedeutungen von Rechenoperationen darstellt. Neben der Geometrie wie bspw. der räumlichen Orientierung bildet die Arithmetik eine wichtige Grundlage für das spätere Mathematiklernen. Sie markiert häufig den Beginn des schulischen, mathematischen Lernen von Kindern und ist in Kombination mit geometrischen Inhalten Ausgangspunkt für aufbauende mathematische Konzepte (vgl. Ma, 2010, S. 146). So postuliert Kosyvas (2016), dass die Arithmetik “the fundamental essence of doing mathematics and using it in social life” (S. 357) darstellt. Vor allem im alltäglichen Leben, das immer stärker von digitalen Technologien geprägt ist, rückt die Bedeutung des Interpretierens und Verifizierens von arithmetischen Strukturen oder Ergebnissen in den Mittelpunkt (vgl. Barrera-Mora & Reyes-Rodriguez, 2019, S. 76). Dieser Annahme entsprechend sind offene Aufgaben, die arithmetische Fähigkeiten der Schüler*innen fördern, d. h. insbesondere das Erkennen und Nutzen von Zahleigenschaften und arithmetischen Strukturen in den Mittelpunkt der Aufgabe rücken, für ein tiefes Verständnis von Mathematik bedeutsam (vgl. Kosyvas, 2016, S. 358).

In dieser mathematikdidaktischen Arbeit werden offene Aufgaben mit einem arithmetischen Inhaltsbereich als arithmetisch offene Aufgaben bezeichnet. Dabei verweist dieser Begriff zum einen darauf, dass die darunter zu verstehenden mathematischen Aufgaben offen im Sinne des Frameworks von Yeo (2017) sind (vgl. Abschn. 3.1.6) und zum anderen auf die mit Kosyvas (2016) sinnvoll ausgewählte Mikrodomäne der Arithmetik fokussiert sind.

In seiner qualitativen Studie mit 20 zwölfjährigen Schüler*innen, die eine arithmetisch offene Aufgabe bearbeitet habenFootnote 2, konnte Kosyvas (2016, S. 370) herausarbeiten, dass die Lernenden vielfach mathematische Eigenschaften sowie Strukturen nutzten. Dabei konnten sie ihr konzeptuelles Wissen darüber erweitern, inwiefern mathematische Ideen logisch miteinander verknüpft sind. Eine noch bedeutsamere Erkenntnis ist jedoch die, dass bei der gemeinsamen Bearbeitung der offenen Aufgabe den Schüler*innen die Eleganz und Schönheit arithmetischer Lösungen immer stärker bewusst wurde, was bei einem stärker algorithmisch orientierten Mathematikunterricht weniger möglich ist. So formuliert Kosyvas (2016, S. 370) die folgende Schlussfolgerung:

„The more the students learn about the originality of arithmetic reasoning, the more they are engaged in the creative mathematical endeavor“ (Kosyvas, 2016, S. 370)

Diesem Gedanken folgend werden nun vielfältige arithmetisch offene Aufgaben für den Einsatz im Mathematikunterricht der Grundschule vorgestellt, die den Schüler*innen das Zeigen ihrer individuellen mathematischen Kreativität ermöglichen können (vgl. Abschn. 3.2.1). Anschließend wird die Bearbeitung solcher Aufgaben verstärkt in den Blick genommen und mit Hilfe des Zahlenblicks (Rechtsteiner-Merz, 2013) diejenigen arithmetischen Eigenschaften und Strukturen fokussiert, die zuvor von Kosyvas (2016) bereits als besonders bedeutsam herausgestellt wurden (vgl. Abschn. 3.2.2).

2.1 Vielfältigkeit arithmetisch offener Aufgaben

„Diese Art des Lernens beim Erkunden von Zahlen, beim Rechnen, bei der Erschließung geometrischer Sachverhalte hat in der Regel einen fördernden Aspekt, da die Lernenden Wissen ausgehend von ihrem spezifischen Lernniveau festigen, [kreativ] erzeugen und voranbringen können.“ (Rasch, 2010, S. 7)

In der nachfolgenden Tabelle 3.3 ist eine Auswahl verschiedener arithmetisch offener Aufgaben aus der deutschsprachigen Literatur aufgelistet, die im Mathematikunterricht der Grundschule eingesetzt werden können. Alle bereits zuvor aufgeführten Beispielaufgaben und auch die nun folgenden sind Aufgaben mit arithmetischem Inhalt, deren Formulierung in mündlicher oder schriftlicher Textform erfolgt. Dabei können für solche arithmetisch offenen Aufgaben, die zum Zeigen der individuellen mathematischen Kreativität von Schüler*innen geeignet sind, grundsätzlich zwei verschiedene Aufgabenformen unterschieden werden:

  1. 1.

    Eingekleidete Aufgaben fokussieren ausschließlich auf die darin enthaltene Arithmetik, in dem mit Zahlen, Zahleigenschaften oder Operationen gearbeitet werden muss. Diese liegen zwar als Text mit einem Sachverhalt, aber häufig ohne eine realistische Einbettung der Sache selbst vor (vgl. Franke & Ruwisch, 2010, S. 53–63; Schipper, 2009, S. 242). Weisen diese Aufgaben zudem gar keinen Kontext auf, dann spricht Ott (2016, S. 88) von verbalisierten Zahlaufgaben.

  2. 2.

    Textaufgaben, bei denen die arithmetischen Zusammenhänge in einen spezifischen Kontext eingebettet sind, fokussieren ebenso auf die arithmetischen Kompetenzen. Der Kontext selbst ist jedoch austauschbar bzw. sogar für die Bearbeitung der Aufgabe unerheblich (etwa Schipper, 2009, S. 242). Dennoch bietet dieser, wenn gut gewählt, ein großes motivationales Potenzial für die Bearbeitung der Aufgabe (vgl. Clarke & Roche, 2018, S. 97–98, 100).

Tab. 3.3 Beispiele für arithmetisch offene Aufgaben

Den zuvor dargestellten Beispielen arithmetisch offener Aufgaben in der Form der verbalisierten Zahlaufgabe oder der Textaufgabe ist gemeinsam, dass sie alle bei der kreativen Bearbeitung durch Schüler*innen mit Hilfe dessen arithmetischer und allgemeiner mathematischer Fähigkeiten gelöst werden müssen. Nachfolgend soll daher eine dafür passende mathematikdidaktische Fähigkeit – der Zahlenblick – vorgestellt werden.

2.2 Der Zahlenblick als bedeutsame Fähigkeit bei der Bearbeitung arithmetisch offener Aufgaben

„Naja, sagte der Zahlenteufel und grinst. Ich will ja nichts gegen deinen Lehrer sagen, aber mit Mathematik hat das wirklich nichts zu tun. Weißt du was? Die meisten Mathematiker [und Mathematikerinnen] können überhaupt nicht rechnen. Außerdem ist ihnen dafür die Zeit zu schade. Für so was gibt es doch Taschenrechner.“ (Enzensberger, 2009, S. 12)

Wie zuvor ausführlich dargestellt, fordern arithmetisch offene Aufgaben ihre Bearbeiter*innen dazu auf, ihre individuelle mathematische Kreativität zu zeigen. Durch die Öffnung von Aufgaben in Bezug auf verschiedenste Lösungen und Lösungswege, können Schüler*innen ihre arithmetischen Fähigkeiten flüssig, flexibel, originell und elaboriert verwenden (vgl. für die Definitionen der divergenten Fähigkeiten Abschn. 2.4). Das bedeutet, dass die Lernenden zu einer arithmetisch offenen Aufgabe verschiedene (arithmetische) Ideen produzieren (Denkflüssigkeit), die sich qualitativ voneinander unterscheiden und so unterschiedliche Ideentypen sowie Ideenwechsel gezeigt werden können (Flexibilität). Während einer Reflexionsphase sollen die Schüler*innen zudem ihre vorangegangen Produktion reflektieren, um diese durch weitere (arithmetische) Ideen sowie Ideentypen zu erweitern (Originalität). Der gesamte Bearbeitungsprozess soll dabei von den Kindern versprachlicht werden (Elaboration).

Für eine solche kreative Bearbeitung einer arithmetisch offenen Aufgabe ist es notwendig, dass die Lernenden ein gewisses Gefühl für die spezifisch geforderten arithmetischen Fähigkeiten besitzen und, um dem Zahlenteufel im obigen Zitat beizupflichten, nicht nur erlernte Lösungsalgorithmen ausführen. In der nationalen und internationalen Literatur lassen sich in diesem Sinne die beiden Begriffe des number sense (Deutsch: Zahlensinn) sowie des structure sense (Deutsch: Struktursinn) finden. Forschungsergebnisse zum Zahlen- und Struktursinn sollen nachfolgend dargestellt werden, um daraufhin die mathematische Fähigkeit des Zahlenblicks vorzustellen (vgl. Abschn. 3.2.2.1), durch die beide Aspekte miteinander in Beziehung gebracht werden (vgl. Rechtsteiner-Merz, 2013, S. 99–100; Rathgeb-Schnierer & Rechtsteiner, 2018, S. 81; Schütte, 2008, S. 103). Im Anschluss werden dann solche konkreten Zahl- und Aufgabenbeziehungen vorgestellt, die für den Mathematikunterricht der Grundschule relevant sind (vgl. Abschn. 3.2.2.2).

2.2.1 Zahlensinn, Struktursinn und Zahlenblick

Beide Begriffe – Zahlensinn und Struktursinn – sind zwar fachdidaktisch etablierte Aspekte in der mathematikdidaktischen Forschung, jedoch lassen sich nach wie vor unterschiedliche Definitionen finden. Diese richten sich vor allem darauf, inwiefern beide Sinne angeboren bzw. natürlich entwickelte Fähigkeiten darstellen und/oder durch gezielte schulische Aktivitäten erlernt sowie entwickelt werden können (vgl. Rathgeb-Schnierer & Rechtsteiner, 2018, S. 79–80).

Der Zahlensinn als angeborene mathematische Fähigkeit bezieht sich dabei vor allem auf die Wahrnehmung und Unterscheidung von Mengen wie sie im Rahmen der Psychologie bspw. durch das Triple-Code-Modell beschrieben wird (vgl. Dehaene, 1992, S. 30–34, insb. Figure 5; Dehaene, Piazza, Pinel & Cohen, 2003, S. 488). Viel umfassender bezieht sich der Begriff des Zahlensinns in der mathematikdidaktischen Perspektive insbesondere auf die erlern- und entwickelbare Fähigkeit eines ausgeprägten Zahl- und Operationsverständnisses. Dabei wird jedoch nicht nur das reine Verständnis arithmetischer Inhalte, sondern vor allem das flexible Nutzen von Strategien und arithmetischen Beziehungen im Sinne eines strategischen Werkzeugs fokussiert (vgl. Lorenz, 1997, S. 203; Sayers & Andrews, 2015, S. 362; Reys et al., 1999, S. 62). Nickerson & Whitacre (2010, S. 249) sprechen deshalb von der number-sensible strategy, bei der Schüler*innen eine besondere Intuition bei der Auswahl einer arithmetischen Bearbeitungsstrategie zeigen. Kurz zusammengefasst bedeutet der Zahlensinn das Vorhandensein einer „good Intuition about numbers and their relationships“ (Howden, 1989, S. 11). Diesem Zitat entsprechend ist der Zahlensinn als basale mathematische Kompetenz einerseits intuitiv, d. h. unbewusst oder instinktiv. Andererseits kann er durch geeignete Aktivitäten im Mathematikunterricht stetig weiterentwickelt werden (vgl. NCTM, 2003, S. 20–21, 52). Dadurch ist eine Schulung des Zahlensinns kein eigenständiges Thema (vgl. Verschaffel & Corte, 1996, S. 109–110), sondern geschieht unentwegt bei mathematischen Aktivitäten wie dem strukturierten Bestimmen von Anzahlen sowie beim flexiblen und überschlagenden Rechnen (vgl. Greeno, 1991, S. 193–196). Im Kontext des flexiblen Rechnens geht es vor allem darum, geeignete Strategien für die Bearbeitung einer Aufgabe auszuwählen. Durch starke Fokussierung auf die flexible Nutzung von arithmetischen Strategien sowie Zahl- und Aufgabenbeziehungen kann eine Parallele zu der divergenten Fähigkeit der Flexibilität als ein Aspekt der individuellen mathematischen Kreativität (vgl. Abschn. 2.4) gezogen werden.

Unter Struktursinn versteht Lüken (2012, S. 221) eine dem Zahlensinn untergeordnete Fähigkeit, die sich vor allem auf das intuitive Erkennen und den leichten sowie beweglichen Umgang mit Mustern und Strukturen bezieht. Dabei arbeitete sie in ihrer Dissertation verschiedene Fähigkeiten heraus, die gemeinsam den frühen Struktursinn bzw. early structure sense von Kindergartenkindern bilden wie etwa „das Wiedererkennen eine Anordnung als bereits bekanntes Muster […], das flexible Aufteilen eines Musters in Teile, das Erkennen wechselseitiger Verbindungen […], Beziehungen und Zusammenhängen zwischen Struktureinheiten […] [und] das Integrieren der Struktureinheiten und Betrachten des Musters als Ganzes […]“ (Lüken, 2012, S. 221). Mulligan & Mitchelmore (2009, S. 37–38) nutzen den Begriff Awareness of mathematical structure and pattern (AMPS), um die Fähigkeiten junger Kinder im Umgang mit mathematischen Mustern und Strukturen zu beschreiben. In ihrer Studie konnten die Autor*innen vier Phasen in der Entwicklung der Strukturierungsfähigkeit herausarbeiten, die unabhängig des in der Aufgabe enthaltenden Inhaltsbereichs wie Zahlen, Größen, Raum und Daten sind (vgl. Mulligan & Mitchelmore, 2009, S. 42). Damit konkretisieren diese neueren Forschungen von Lüken (2012) und Mulligan und Mitchelmore (2009) diejenige von Linchevski & Livneh (1999), die den Begriff des structure sense prägten:

“This [structure sense] means that they [the students] will be able to use equivalent structures of an expression flexibly and creatively” (S. 191).

Hier findet sich ein direkter Bezug zum Konstrukt der Kreativität, wie er auch in dieser Arbeit über die arithmetisch offenen Aufgaben als geeignete Aufgaben für das Zeigen der individuellen mathematischen Kreativität hergestellt wurde (vgl. Abschn. 2.4 und 3.1).

Mit dem Begriff des Zahlenblicks werden die beiden Konzepte des Zahlen- und Struktursinns miteinander verknüpft (vgl. Rathgeb-Schnierer & Rechtsteiner, 2018, S. 81; Rechtsteiner-Merz, 2013, S. 99; Schütte, 2004, S. 143): Ein grundlegendes und intuitives Verständnis von Zahlen und ein flexibler Umgang mit Zahl-, Aufgabenbeziehungen und Strategien (Zahlensinn) wird mit dem intuitiven Erkennen sowie flexiblen Umgang mit mathematischen Mustern und Strukturen (Struktursinn) zusammengebracht. Damit wird der Zahlenblick als die Fähigkeit beschrieben, „Beziehungen augenblicklich“ (Schütte, 2004, S. 143) zu erfassen und zu nutzen. Vor dem Hintergrund der Studie von Threlfall (2002) formuliert Schütte (2008) das Ziel des Zahlenblicks wie folgt:

„Der Zahlenblick soll helfen, verallgemeinerbare Aspekte in Situationen zu erkennen, Strukturähnlichkeiten zwischen bereits gelösten und neuen Aufgaben zu entdecken und strategische Vorgehensweisen zu übertragen.“ (Schütte, 2008, S. 103)

Damit ist vor allem gemeint, dass bei der Lösung von arithmetischen Aufgaben die Schüler*innen Beziehungen zwischen Zahlen, Aufgaben oder Termen zunächst erkennen und dann nutzen, wobei auch Aufgabenmuster entstehen und fortgesetzt werden. Bspw. lässt sich die Aufgabe \(7 + 8\) entweder mit Hilfe der Aufgabe \(7 + 7\) ableiten oder eine der beiden Summanden wird so zerlegt, dass die Aufgabe über die Zahlzerlegungen der Zehn gelöst werden kann. Dabei entstehen dann neue Terme wie \(7 + 7 + 1\) oder \(7 + 3 + 5\). Bei der Anwendung des Zahlenblicks für das Lösen arithmetischer Aufgaben und damit dem Erkennen und Nutzen von Zahl- und Aufgabenbeziehungen wird somit auch das algebraische Denken der Schüler*innen entwickelt (vgl. Akinwunmi, 2017, S. 7; Steinweg, 2013, Kap. 2; Rasch, 2010, S. 11–13; Rechtsteiner-Merz, 2013, S. 100). Dabei konnte Steinweg (2001) in ihrer Dissertation herausarbeiten, dass Schulkinder bei der Auseinandersetzung mit Zahlenmustern „eigenständig, motiviert und kreativ“ (Steinweg, 2009, S. 61) vorgehen. Dies verdeutlicht den Zusammenhang der individuellen mathematischen Kreativität und dem Bearbeiten arithmetischer Aufgaben mit Hilfe des Zahlenblicks.

Schütte (2008, S. 104–105) hat eine kumulativ angelegte Schulung des Zahlenblicks entwickelt, die für die Schuljahre 1–3 einsetzbar ist: Das Grundprinzip dabei ist immer, dass arithmetische Aufgaben nicht sofort und nicht nur gerechnet, sondern hinsichtlich ihrer Struktur und Beziehung zu anderen Zahlen und Aufgaben untersucht, flexibel verändert und dadurch erst gelöst werden sollen. Rechtsteiner-Merz (2013) spricht in diesem Zusammenhang davon, dass der „Rechendrang“ (S. 103) der Kinder zunächst zurückgestellt und der Fokus auf die in den Aufgaben enthaltenden Muster und Strukturen gerichtet werden soll. Dadurch wird der Ausbau „mathematischer Denkweisen“ (Schütte, 2008, S. 103) gefördert, sodass neben dem Wissen über Zahl- und Aufgabenbeziehungen auch metakognitive Kompetenzen aufgebaut werden. In Rahmen ihres Dissertationsprojektes hat Rechtsteiner-Merz (2013) ein Modell zur Schulung des Zahlenblicks entwickelt, bei dem drei mathematische Tätigkeiten zum Einsatz kommen, um den Blick der Schüler*innen auf die Zahl-, Term- und Aufgabenbeziehungen zu fokussieren und so ihre metakognitiven Kompetenzen aufzubauen: Sehen, Sortieren (nach bestimmten subjektiven oder objektiven Kriterien) und Strukturieren (d. h. systematisch Anordnen) von Zahlen, Termen und Aufgaben (vgl. Rechtsteiner-Merz, 2013, S. 102–104). Als Ergebnis ihrer qualitativen Studie mit insgesamt 20 Erstklässler*innen kann festgehalten werden, dass sich die Schulung des Zahlenblicks für die Ablösung vom zählenden Rechnen sowie für die Entwicklung flexibler Rechenkompetenzen als geeignet herausgestellt hat. Dabei ist vor allem der kontinuierlich zu fördernde Blick auf Zahl, Term- und Aufgabenbeziehungen entscheidend (vgl. Rechtsteiner-Merz, 2013, S. 291–292).

Nachdem in diesem Abschnitt der Zahlenblick und seine Anknüpfungspunkte an das Konstrukt der individuellen mathematischen Kreativität beschrieben wurde und die Studie von Rechtsteiner-Merz (2013) diese Fähigkeit für die Entwicklung arithmetischer Kompetenzen als bedeutsam herausarbeiten konnte, sollen nachfolgend nun explizite Zahl-, Term- und Aufgabenbeziehungen in den Fokus genommen werden. Dabei werden solche arithmetischen Strukturen und Zahlenmuster dargestellt, die für den Mathematikunterricht der Grundschule bedeutsam sind.

2.2.2 Zahl-, Term- und Aufgabenbeziehungen: Zahlenmuster und arithmetische Strukturen

Wittmann (2003) propagiert die Wichtigkeit der Entwicklung eines „stufenübergreifende[n] Bild[es] von Mathematik“ (S. 24). In Anlehnung an die Ausführungen von Devlin (2002, S. 5) beschreibt er deshalb die Mathematik als die „Wissenschaft von (interaktiv erschließbaren, fortsetzbaren und selbst erzeugbaren) Mustern“ (Wittmann, 2003, S. 29), die von Kindern in geeigneten mathematischen Situationen erfahren sowie entwickelt werden können. Dadurch wird eine „Öffnung des Unterrichts vom Fach aus“ (Wittmann, 2003, S. 29) ermöglicht. Wie bereits im Abschnitt 3.1.5 zu offenen Aufgaben dargestellt, führt eine solche Öffnung dazu, dass alle Schüler*innen auf ihrem individuellen Niveau Aufgaben bearbeiten und neue mathematische Fähigkeiten erwerben können. Diese der Mathematik zugrundeliegenden Muster und Strukturen sind es, die Kinder mit Hilfe des Zahlenblicks wahrnehmen, anwenden oder produzieren können, um so ihre individuelle mathematische Kreativität zeigen zu können.

In der mathematikdidaktischen Forschungscommunity herrscht jedoch Uneinigkeit darüber (vgl. dazu ausfühllich Steinweg, 2013, S. 20–24), inwiefern Muster und Strukturen ein eigenständiges Themengebiet innerhalb der Mathematik einnehmen (vgl. bspw. KMK, 2004, S. 10–11) wie etwa in internationalen Standards für den Mathematikunterricht, wo sie der Algebra zugeordnet werden (etwa NCTM, 2003, S. 38). Im Gegensatz dazu postuliert etwa Wittmann (2003), dass Muster und Strukturen allen anderen Inhaltsbereichen übergeordnet seien (etwa MSB NRW, 2008, S. 56). Auch die Bedeutung der Begriffe Muster und Struktur selbst wird in der mathematikdidaktischen Literatur stark diskutiert (vgl. Lüken, 2012, S. 18). Es sollen deshalb in dieser Arbeit die Begriffsbestimmungen von Lüken (2012) Verwendung finden:

„Unter einem mathematischen Muster soll deshalb jegliche numerische oder räumliche Regelmäßigkeit verstanden werden. […] Als Struktur wird hier also die Art und Weise bezeichnet, in der ein Muster gegliedert ist.“ (Lüken, 2012, S. 22)

Im Hinblick auf den Aspekt der Zahlenmuster, also numerischen Regelmäßigkeiten, listet Steinweg (2013) drei unterschiedliche Arten von Zahlenfolgen auf, wobei auch eine Kombination dieser möglich sind (vgl. im Folgenden Steinweg, 2013, S. 40–42):

  1. 1.

    Arithmetische Zahlenfolgen zeichnen sich dadurch aus, dass sich jedes Folgenglied aus dem ersten Folgenglied explizit und aus dem vorherigen Folgenlied rekursiv herleiten lässt. Deshalb gilt für die Folge \(a_{0} , a_{1} , a_{2} , \ldots , a_{n}\), dass \(a_{i} = a_{0} + i \cdot d\). So entsteht ein additiver Zuwachs von einem Folgenglied zum nächsten wie bspw. bei der arithmetischen Folge der natürlichen Zahlen \(1, 2, 3, 4, \ldots\) mit \(a_{0} = 1\:{\text{und}}\:d = 1\) oder auch der Fünferreihe \(5, 10, 15, 20, \ldots\) mit \(a_{0} = 5\:{\text{und}}\: d = 5\).

  2. 2.

    Bei Geometrische Zahlenfolgen lassen sich ebenfalls alle Folgenglieder aus dem ersten Folgenglied explizit und aus dem vorherigen Folgenlied rekursiv herleiten. Dadurch, dass geometrische Folgen als „Wachstumsfolgen im Mathematikunterricht [der Grundschule] auftreten“ (Steinweg, 2013, S. 41), entstehen diese Folgen durch einen exponentiellen Wachstumsfaktor \(d\). Damit gilt für eine Folge \(a_{0} , a_{1} , a_{2} , \ldots , a_{n}\), dass \(a_{i} = a_{0} \cdot d^{i}\). Wird bspw. \(a_{0} = 4\:{\text{und}}\:d = 2\) gewählt, dann entsteht die Verdopplungsfolge \(4, 8, 16, 32, \ldots\) mit der Startzahl 4.

  3. 3.

    Fibonacci-Folgen kennzeichnet, dass sich jedes Folgenglied rekursiv aus der Summe der beiden vorherigen Folgenglieder herleiten lässt. Damit wird die Folge \(a_{0} , a_{1} , a_{2} , \ldots , a_{n}\) über die Formel \(a_{i} = a_{i - 1} + a_{i - 2}\) gebildet. Es müssen immer zwei Startzahlen gewählt werden, wobei die erste Zahl größer sein darf als die zweite und sich die Reihenfolge der Startzahlen auf die Folge auswirkt. Die Fibonacci-Folge 1, 5, 6, 11, 17, … entsteht zum Beispiel durch die Wahl der beiden Startzahlen \(a_{0} = 1\:{\text{und}}\:a_{1} = 5\).

Im Mathematikunterricht der Grundschule begegnen Kinder vor allem im Kontext der Zahlraumerweiterung (Anordnung der natürlichen Zahlen) oder den Malreihen (z. B. Ergebnisse der Dreierreihe: 3, 6, 9, 12, …) Zahlenfolgen. Mögliche Aktivitäten sind das Fortsetzen der Zahlenfolge, um die zugrundeliegende Struktur zu erkennen und vor allem beschreiben zu können (vgl. Lüken, 2012, S. 33). Mit Hilfe der Schulung des Zahlenblicks kann die Aufmerksamkeit der Schüler*innen auf die Strukturen der Zahlenfolgen fokussiert werden. Dazu kann etwa die von Selter (1999, S. 12) präsentierte Idee genutzt werden, dass ein Teil einer Zahlenfolge vorgegeben ist und die Kinder ausschließlich rekursiv arbeitend die Anfangszahlen eintragen sollen. Eine weitere Möglichkeit wäre zudem, die Kinder nach dem \(n\)-ten Folgenglied zu fragen und dadurch die Struktur des Zahlenmusters beschreiben und verallgemeinern zu lassen (vgl. Steinweg, 2013, S. 42–45).

Den Zahlenfolgen liegt das Prinzip zugrunde, dass Zahlen innerhalb eines Kontextes in Beug auf eine spezifische Regelmäßigkeit verändert werden können. Dies ist ebenso auf Terme und Aufgaben übertragbar. Dabei wird in Anlehnung an das operative Prinzip (etwa Fricke, 1970, S. 90–92, 115; Padberg & Benz, 2011b, S. 117–119; Wittmann, 1985, S. 9; Wittmann & Müller, 2017a, S. 115, 181) der Zusammenhang von mathematischen Objekten, Operationen und deren Wirkung in den Blick genommen. So werden die mathematischen Rechengesetze wie etwa das Kommutativgesetz nicht explizit und vor allem nicht in ihrer algebraischen Form erlernt, sondern die zugrundeliegenden Strukturen vielmehr aktiv, über systematisch veränderte mathematische Handlungen der Schüler*innen exploriert, begründet und angewendet (vgl. Wittmann & Müller, 2017a, S. 71).

Die für den Arithmetikunterricht der Grundschule bedeutsamen Gesetze für den Zahlraum der natürlichen Zahlen sind zunächst das Kommutativgesetz (\(a + b = b + a\: bzw.\: a \cdot b = b \cdot a\)), das Assoziativgesetz (\(a + \left( {b + c} \right) = \left( {a + b} \right) + c\:bzw.\:{\text{a}} \cdot \left( {{\text{b}} \cdot {\text{c}}} \right) = \left( {{\text{a}} \cdot {\text{b}}} \right) \cdot {\text{c}}\)) und Distributivgesetz (\(a \cdot \left( {b \pm c} \right) = \left( {a \cdot b} \right) \pm \left( {a \cdot c} \right)\:bzw.\:\left( {a \pm b} \right) \cdot c = \left( {a \cdot c} \right) \pm \left( {b \cdot c} \right){\text{ sowie}}\, \left( {a \pm b} \right) :c = \left( {a :c} \right) \pm \left( {b :c} \right)\)). Außerdem sind noch weitere drei Gesetze bzw. Axiome wichtig, um alle Zahl-, Term- und Aufgabenbeziehungen im Bereich der natürlichen Zahlen abbilden zu können (vgl. Krauthausen, 2018, S. 80–84; Padberg & Benz, 2011b, S. 134–137; für formale Beweise s. Padberg & Büchter, 2015, Abschn. 8.4–8.7):

  1. 1.

    Die Umkehrung oder Reversibilität jeweils zweier Grundrechenarten ist bedeutsam für die Verknüpfung der Operationen. Die Umkehroperation der Addition bildet die Subtraktion (\(a + b = c \Leftrightarrow b = c - a \wedge a = c - b\)) und entsprechend ist die Umkehroperation der Multiplikation die Division (\(a \cdot b = c \Leftrightarrow b = c :a \wedge a = c :b, wenn\, a,b \ne 0)\).

  2. 2.

    Das Monotoniegesetz der Addition/Multiplikation besagt, dass wenn \(a, b\:\epsilon\:{\mathbb{N}}\), in einem bestimmten Verhältnis zueinanderstehen, dass dieses beibehalten wird, wenn beide Zahlen mit dem gleichen Summanden bzw. Faktor erhöht werden: \(a \le b \Rightarrow a + c \le b + c\:bzw.\:a \le b \Rightarrow a \cdot c \le b \cdot c\). Das bedeutet auch, dass die Aufgabe \(a + b = c\) bei einer Vergrößerung oder Verkleinerung der Zahlen \(a\) oder \(b\) um eine natürliche Zahl \(x\), sich auch die Summe \(c\) um genau \(x\) vergrößert oder verkleinert: \(a + b = c \Rightarrow a + \left( {b + x} \right) = c + x\:bzw.\:{ }a + b = c \Rightarrow a + \left( {b - x} \right) = c - x.\)

  3. 3.

    Die Konstanz der Summe/Differenz beschreibt dagegen das umgekehrte Verhältnis. Die Summe bleibt konstant, wenn die beiden Summanden um genau die gleiche natürliche Zahl \(x\) verändert werden, wobei ein Summand erhöht und gleichzeitig der andere Summand erniedrigt wird (gegensinniges Verändern). Bei der Konstanz der Differenz werden Minuend und Subtrahend um die gleiche natürliche Zahl verändert (gleichsinniges Verändern): \(a + b = \left( {a + x} \right) + \left( {b - x} \right)\:bzw.\:a - b = \left( {a + x} \right) - \left( {b + x} \right)\).

Basierend auf diesen Gesetzen bzw. Axiomen lassen sich in der nationalen und internationalen mathematikdidaktischen Literatur verschiedene arithmetische Strukturen finden. Diese Zahl-, Term- und Aufgabenbeziehungen können mit Hilfe des Zahlenblicks in den Fokus von Schüler*innen gerückt und dadurch geübt werden. Die nachfolgende Tabelle 3.4 stellt die wesentlichen (inter-)nationalen Bezeichnungen grundlegender Strukturen für den Mathematikunterricht der Grundschule an Beispielen der Addition bzw. Subtraktion für die erste Klasse dar – erhebt dabei jedoch keinen Anspruch auf Vollständigkeit:

Tab. 3.4 Übersicht zu arithmetischen Strukturen

In ihrem Handbuch produktiver Rechenübungen beschreiben Wittmann und Müller (2017a, S. 116–119) verschiedene Aufgabenformate wie bspw. die sogenannten Entdeckerpäckchen oder schöne Päckchen, die dem operativen Prinzip unterliegen und durch die Lernende die Möglichkeit erhalten, Zahl-, Term- oder Aufgabenbeziehungen zu entdecken und so ihren Zahlenblick zu schulen. Rechtsteiner-Merz (2013, S. 179–181) hat in ihrer Dissertationsstudie die interviewten Kinder sowohl vorgegebene Aufgabenfamilien strukturieren als auch eigene erfinden lassen, was ebenfalls ein geeignetes Aufgabenformat darstellt, um den Zahlenblick der Kinder zu entwickeln. Insgesamt sei angemerkt, dass die „Diskussion und Reflexion der operativen Zusammenhänge [von Zahlen, Termen und Aufgaben] als eigenständige und wichtige Aufgabe [anerkannt] und unterrichtlich [gepflegt werden muss]“ (Steinweg, 2013, S. 48).

2.3 Zusammenfassung

In diesem Abschnitt wurden offenen Aufgaben, die geeignet sind, damit Schüler*innen ihre individuelle mathematische Kreativität zeigen können, hinsichtlich eines geeigneten mathematischen Inhaltsbereichs weiter präzisiert.

Es wurde zunächst aufgezeigt, dass die individuelle mathematische Kreativität nicht nur domänenspezifisch ist, sondern Sub- oder Mikrodomänen existieren, in denen Schüler*innen kreativ werden können. Dabei wurde mit Kosyvas (2016) die besondere Bedeutung der Arithmetik für den Mathematikunterricht dargestellt und diese als geeignete Domäne für offene Aufgaben herausgearbeitet (vgl. Einführung zu Abschn. 2.2). Die Vielfältigkeit arithmetisch offener Aufgaben, die als verbalisierte Zahlaufgaben oder Textaufgaben vorliegen können, wurde anschließend anhand von Beispielen illustriert (vgl. Abschn. 3.2.1).

Eine besondere Beachtung wurde außerdem der Fähigkeit des Zahlenblicks bei der Bearbeitung arithmetisch offener Aufgaben zuteil (vgl. Abschn. 3.2.2): Als eine Verbindung der beiden Konstrukte des Zahlen- und Struktursinns wird der Zahlenblick (Rathgeb-Schnierer & Rechtsteiner, 2018; Schütte, 2004; Rechtsteiner-Merz, 2013) als die Fähigkeit von Schüler*innen verstanden, Zahl-, Term- und Aufgabenbeziehungen augenblicklich wahrzunehmen und anschließend zu nutzen (vgl. Abschn. 3.2.2.1). Dabei konnten vielfach Verbindungen zur Theorie der individuellen mathematischen Kreativität – insbesondere zur divergenten Fähigkeit der Flexibilität – aufgezeigt werden, weshalb der Zahlenblick in diesem Kontext als besonders bedeutsam erscheint. Zuletzt wurden konkret die arithmetischen Strukturen und Muster aufgelistet, die für den Mathematikunterricht in der Grundschule bedeutsam sind (vgl. Abschn. 3.2.2.2). Dabei verweist Steinweg (2013, S. 48) auf die Wichtigkeit einer Diskussion und Reflexion über die wahrgenommen bzw. genutzten Zahl-, Term- und Aufgabenbeziehungen bei der Bearbeitung von Aufgaben, die den Zahlenblick fordern.

Dies leitet direkt weiter zum letzten Theoriekapitel dieser Arbeit, in dem nun die zweite in Abschn. 2.4.2 aufgeworfene Frage, die sich aus der konkreten Definition der individuellen mathematischen Kreativität und dem InMaKreS-Modell ergaben, Beantwortung finden soll:

  1. 2.

    Inwiefern können Lehrpersonen die Schüler*innen während der kreativen Aufgabenbearbeitung vor allem in Hinblick auf die Elaborationsfähigkeit unterstützen?

Somit wird im folgenden Kapitel die divergente Fähigkeit der Elaboration fokussiert, indem Lernprompts als geeignete Unterstützungsmöglichkeiten der Schüler*innen beim Zeigen ihrer individuellen mathematischen Kreativität vorgestellt werden (vgl. Kap. 4). Durch die theoretischen Ausführungen zu arithmetisch offenen Aufgaben und der Lernprompts, kann das Modell der individuellen mathematischen Kreativität ergänzt und konkretisiert werden (vgl. Abschn. 2.4).