„It [fully integrated mixed methods research]) involves as any diverse data collection and analysis procedures as the researcher think appropriate and results in thoroughly integrated findings and inferences.“ (Teddlie & Tashakkori, 2010, S. 17)

Wie im obigen Zitat noch einmal auf den Punkt gebracht, zeichnet sich die vorliegende Mixed Methods-Studie insbesondere durch den Gebrauch verschiedener qualitativer und quantitativer Verfahren in den verschiedenen Phasen des Forschungsprozesses sowie in der Datenauswertung aus, um den Forschungsgegenstand – die individuelle mathematische Kreativität von Erstklässler*innen beim Bearbeiten arithmetisch offener Aufgaben – umfassend zu beschreiben (vgl. Einführung zu Kap. 7, insbesondere Abb. 7.1). So wurde zu Beginn der gesamten Untersuchung ein quantitatives Sampling-Verfahren durchgeführt (vgl. Kap. 8). Dabei wurden 78 Erstklässler*innen vorrangig auf Basis ihrer mathematischen Basiskompetenzen (MBK 1 + ) sowie ihrer Grundintelligenz (CFT 1-R Teil 2) mittels einer Clusteranalyse sogenannten Fähigkeitsprofilen zugeordnet (vgl. Ende Abschn. 8.2.2):

Fähigkeitsprofil 1::

überdurchschnittlich gleiche Fähigkeiten (intellektuelle Fähigkeiten und mathematische Basisfertigkeiten)

Fähigkeitsprofil 2::

durchschnittlich gleiche Fähigkeiten (intellektuelle Fähigkeiten und mathematische Basisfertigkeiten)

Fähigkeitsprofil 3::

unterdurchschnittlich gleiche Fähigkeiten (intellektuelle Fähigkeiten und mathematische Basisfertigkeiten)

Fähigkeitsprofil 4::

durchschnittlich differente Fähigkeiten (intellektuelle Fähigkeiten und mathematische Basisfertigkeiten)

Aus der Zuordnung der Erstklässler*innen zu diesen Fähigkeitsprofilen wurden dann aufgrund weiterer Kriterien, nämlich das Geschlecht, das verwendete Lehrwerk (Denken & Rechnen, Welt der Zahl) sowie die Nähe zum Clusterzentrum, 18 repräsentative Erstklässler*innen für die sich anschließende qualitative Studie ausgewählt (vgl. Abschn. 8.3). In dieser nahmen alle Kinder an zwei Unterrichtsepisoden teil, in denen sie jeweils eine arithmetisch offene Aufgabe bearbeiteten. Über eine qualitative Video-Inhaltsanalyse wurde dann sukzessive auf Basis des in dieser Arbeit entwickelten InMaKreS-Modells die individuelle mathematische Kreativität von Erstklässler*innen charakterisiert (vgl. Abschn. 9.2) und typisiert (vgl. Abschn. 9.3). So entstanden die nachstehenden Kreativitätstypen:

Kreativitätstyp 1::

geradlinig-ideenarmes Vorgehen im gesamten Bearbeitungsprozess mit a) starker oder b) schwacher Erweiterung

Kreativitätstyp 2::

sprunghaft-ideenreiches Vorgehen im gesamten Bearbeitungsprozess mit a) starker oder b) schwacher Erweiterung

Kreativitätstyp 3::

Veränderung des zunächst geradlinig-ideenarmen Vorgehens in der Reflexion mit a) starker oder b) schwacher Erweiterung

Kreativitätstyp 4::

Veränderung des zunächst sprunghaft-ideenreichen Vorgehens in der Reflexion mit a) starker oder b) schwacher Erweiterung

In diesem letzten Ergebniskapitel soll nun dargestellt werden, inwiefern sich die Kreativitätstypen der Erstklässler*innen auf die Fähigkeitsprofile der Lernenden zurückführen lassen, um so die letzte Forschungsfrage der Arbeit beantworten zu können (vgl. Abschn. 5.2):

  1. F5

    Welcher Zusammenhang besteht zwischen der individuellen mathematischen Kreativität der Erstklässler*innen und deren individuellen, d. h. intellektuellen, mathematischen und unterrichtlichen, Voraussetzungen?

Um eine umfassende Antwort auf diese Frage am Ende des Kapitels formulieren zu können, wurden im Folgenden einzelne Hypothesen über mögliche Zusammenhänge zwischen den Fähigkeitsprofilen, den unterrichtlichen Voraussetzungen (verwendete Lehrwerke) und den Kreativitätstypen der Erstklässler*innen mit dem \({\chi}^{2}\)-Test berechnet (vgl. Abschn. 11.1). Neben dieser quantitativen Betrachtung sollten die möglichen Zusammenhänge zwischen den Voraussetzungen der Erstklässler*innen und deren individueller mathematischer Kreativität auch aus einer qualitativen Perspektive beleuchtet werden, was Gegenstand des letzten Abschnitts sein wird (vgl. Abschn. 11.2).

1 Hypothesentests mittels \({\chi}^{2}\)-Test

“Eine ganze Reihe statistischer Methoden – darunter v.a. die verschiedenen Abwandlungen des Chi-Quadrat-Tests – geht von Häufigkeitsdaten aus.” (Bortz & Lienert, 2008, S. 62)

Wie im methodischen Abschnitt 7.3.2 erläutert, sollte zunächst auf einer statistischen Ebene nach Abhängigkeiten der individuellen Voraussetzungen der Erstklässler*innen und ihren bei der Bearbeitung der arithmetisch offenen Aufgaben gezeigten Kreativitätstypen gesucht werden. Dazu wurden bei den individuellen Voraussetzungen der Kinder zwischen ihrem zugeordneten Fähigkeitsprofil und den unterrichtlichen Voraussetzungen, d. h. ihr im Mathematikunterricht verwendetes Lehrwerk Denken & Rechnen oder Welt der Zahl differenziert. Daher ergaben sich für einen \({\chi}^{2}\)-Test die folgenden beiden Hypothesen \(H1\) und \(H2\), die es zu überprüfen galt (vgl. Abschn. 7.3.2):

\(H1_{1}\)::

Die beiden Merkmale der Aufgabenbearbeitungen (Fähigkeitsprofil und Kreativitätstyp) der Erstklässler*innen sind voneinander abhängig.

\(H1_{0}\)::

Die beiden Merkmale der Aufgabenbearbeitungen (Fähigkeitsprofil und Kreativitätstyp) der Erstklässler*innen sind voneinander unabhängig.

\(H2_{1}\)::

Die beiden Merkmale der Aufgabenbearbeitungen (Lehrwerk und Kreativitätstyp) der Erstklässler*innen sind voneinander abhängig.

\(H2_{0}\)::

Die beiden Merkmale der Aufgabenbearbeitungen (Lehrwerk und Kreativitätstyp) der Erstklässler*innen sind voneinander unabhängig.

Basis für die Berechnung der beiden \({\chi}^{2}\)-Tests bildeten die 36 Bearbeitungen der arithmetisch offenen Aufgaben der Erstklässler*innen, bei denen die Schüler*innen unterschiedliche Typen der individuellen mathematischen Kreativität zeigten. Die nachfolgende Tabelle 11.1 listet alle bisherigen Studienergebnisse zu den Aufgabenbearbeitungen der Kinder auf, nämlich die von den Kindern bearbeiteten arithmetisch offenen Aufgaben A1 [Zahl 4] und A2 [Ergebnis 12], der*die Erstklässler*in, das zugeordnete Fähigkeitsprofil, das von den Kindern im Mathematikunterricht verwendete Lehrwerk (W – Welt der Zahl, D – Denken & Rechnen) sowie der analysierte Kreativitätstyp.

Tab. 11.1 Alle Studienergebnisse zu den 36 Aufgabenbearbeitungen der Erstklässler*innen

Augenscheinlich ergaben sich bei einer Betrachtung der Kreativitätstypen innerhalb der Aufgabenbearbeitungen, der verschiedenen Fähigkeitsprofile und auch bezogen auf die beiden verwendeten Lehrwerke nur wenige Auffälligkeiten. Innerhalb der Fähigkeitsprofile 1 und 3 konnte festgestellt werden, dass jeweils zwei der vier zugeordneten Erstklässler*innen ihren Kreativitätstypen von der ersten arithmetisch offenen Aufgabe A1 zur zweiten A2 nicht veränderten. Die Aufgabenbearbeitungen der Lernenden in den übrigen Fähigkeitsprofilen variierte stark. Mit Blick auf das von den Kindern im Mathematikunterricht verwendete Lehrwerk konnte außerdem festgestellt werden, dass bei den Erstklässler*innen, die mit dem Lehrwerk Denken & Rechnen arbeiteten, gehäuft der Kreativitätstyp 4b vertreten war. Bei den Lernenden, die im Unterricht mit Welt der Zahl konfrontiert wurden, konnte hingegen der Kreativitätstyp 2b häufig analysiert werden.

Insgesamt konnten aus der obigen Tabelle jedoch noch keine tiefgreifenden Erkenntnisse auf einen möglichen Zusammenhang zwischen den individuellen Voraussetzungen der Erstklässler*innen und deren individueller mathematische Kreativität gezogen werden. Deshalb wurden mehrere Kontingenzanalysen durchgeführt, welche die beiden zuvor dargestellten Hypothesen \(H1\) und \(H2\) testeten und deren Ergebnisse nachfolgendend dargestellt werden. Wie schon bei der Darstellung des quantitativen Sampling-Verfahrens (vgl. Kap. 8) wurde auch in diesem Abschnitt das Statistik-Programm SPSS (IBM Corp. Released, 2020) genutzt.

1.1 Abhängigkeit der Kreativitätstypen von den Fähigkeitsprofilen der Erstklässler*innen

\(H1_{1}\)::

Die beiden Merkmale der Aufgabenbearbeitungen (Fähigkeitsprofil, Kreativitätstyp) der Erstklässler*innen sind voneinander abhängig.

\(H1_{0}\)::

Die beiden Merkmale der Aufgabenbearbeitungen (Fähigkeitsprofil, Kreativitätstyp) der Erstklässler*innen sind voneinander unabhängig.“ (Abschn. 7.3.2)

Zunächst wurde überprüft, ob eine Abhängigkeit zwischen den Fähigkeitsprofilen der Erstklässler*innen und ihren bei der Bearbeitung der beiden arithmetisch offenen Aufgaben gezeigten Kreativitätstypen besteht. Dazu wurde als Alternativhypothese \(H1_{1}\) angenommen, dass eine Abhängigkeit bestand (s. Eingangszitat). In einem ersten Schritt wurde die entsprechende 5 × 6-Kreuztabelle aus den fünf Fähigkeitsprofilen und insgesamt sechs verschiedenen Typen der individuellen mathematischen Kreativität erstellt und die beobachteten Häufigkeiten in den 36 Aufgabenbearbeitungen absolut und prozentual berechnet (vgl. Tab. 11.2).

Tab. 11.2 Kreuztabelle von Fähigkeitsprofil und Kreativitätstyp der Erstklässler*innen

Aus dieser Übersicht ist abzulesen, dass die beobachtbaren (absoluten) Häufigkeiten bei allen Fällen unter 5 lag. Dieses Ergebnis scheint mit Blick auf die recht kleine Stichprobe (N = 36) zusammen mit den qualitativ erarbeiteten Kreativitätstypen, die unterschiedlich häufig im Datenset analysiert werden konnten (vgl. Abschn. 9.3.2), nicht überraschend. Um jedoch einen \({\chi}^{2}\)-Test durchführen zu können, dürfen nur maximal 20 % der Fälle eine Häufigkeit von unter 5 aufweisen (vgl. Bortz & Schuster, 2010, S. 141). Dieses Kriterium konnte folglich in dieser Teiluntersuchung zu einem möglichen Zusammenhang der individuellen Voraussetzungen der Erstklässler*innen und deren Kreativitätstypen nicht erfüllt werden, wie im methodischen Abschn. 7.3.2 bereits vermutet wurde. Daher wurde der exakte Test nach Fisher-Freeman-Halton (vgl. Bortz & Schuster, 2010, S. 141) gerechnet, der auch für kleine, unvollständige Stichproben reliabele Ergebnisse liefert. Die nachfolgende Tabelle 11.3 zeigt die SPSS-Ausgabe für die Analyse, wobei die Ergebnisse des exakten Tests hervorgehoben wurden.

Tab. 11.3 Ergebnis exakter Test nach Fisher-Freeman-Halton (Kreativitätstypen und Fähigkeitsprofil)

Aus der obigen Übersicht konnte entnommen werden, dass zwischen den Kreativitätstypen der Erstklässler*innen und ihren Fähigkeitsprofilen keine Abhängigkeit bestand, da die exakte (zweiseitige) Signifikanz des exakten Tests nach Fisher-Freeman-Halton für \({\chi}^{2} \left( {20} \right) = 15,516\) bei \(p = \:. 776\) und somit deutlich über dem Signifikanzniveau von 5 % \((p < 0,05)\) lag. Bevor die zuvor formulierte Alternativhypothese abgelehnt und daher die Nullhypothese angenommen werden konnte, wurden zusätzliche Kontingenzanalysen mit verschiedenen komprimierten Versionen der Kreativitätstypen der Erstklässler*innen vorgenommen. Diese sollten sicherstellen, dass auf keiner Ebene ein Zusammenhang zwischen den Fähigkeitsprofilen der Erstklässler*innen und deren individueller mathematischer Kreativität bestand:

  • Es wurden zunächst die vier Kreativitätstypen (1 bis 4) ohne die jeweiligen Ausprägungen a) und b) in Zusammenhang mit den fünf Fähigkeitsprofilen betrachtet und eine 5 × 4-Kreuztabelle erstellt. Da auch hier alle beobachteten Häufigkeiten unter 5 lagen, wurde erneut der exakte Test nach Fisher-Freeman-Halton gerechnet. Dieser zeigte ebenfalls keinen signifikanten Zusammenhang \(({\chi}^{2} \left( {12} \right) = 8,930,p = .754)\) zwischen den Fähigkeitsprofilen der Erstklässler*innen und den analysierten Kreativitätstypen bei der Bearbeitung der beiden arithmetisch offenen Aufgaben.

  • Die Typen der individuellen mathematischen Kreativität wurden noch weiter zusammengefasst, indem die beiden kreativen Vorgehensweisen der Erstklässler*innen in der Produktionsphase fokussiert wurden. Unter einem geradlinig-ideenarmen Vorgehen wurden demnach die Kreativitätstypen 1 und 3 gefasst. Entsprechend wurden die Kreativitätstypen 2 und 4 unter den sprunghaft-ideenreichen Vorgehensweisen zusammengebracht. Bezogen auf die nach wie vor fünf Fähigkeitsprofile entstand eine 5 × 2 Kreuztabelle, für die erneut der exakte Test nach Fisher-Freeman-Halton gerechnet wurde. Dieser ergab keine signifikante Abhängigkeit: \({\chi}^{2} \left( 4 \right) = 3,8,p = .521\). Es war jedoch erkennbar, dass der p-Wert im Vergleich zu den vorherigen Berechnungen zwar niedriger war, in Bezug zum angestrebten Signifikanzniveau von 5 % allerdings immer noch deutlich zu hoch.

  • Zuletzt wurde eine Verdichtung der Kreativitätstypen vorgenommen, indem diese auf die beiden kreativen Vorgehensweisen in der Reflexionsphase reduziert wurden. Dadurch wurden die beiden Kreativitätstypen 1 und 2 zu Vorgehen bleibt gleich und die Typen 3 und 4 zu Vorgehen verändert sich zusammengefasst. Eine mögliche Abhängigkeit dieser beiden Variablen wurde mit Hilfe der entstandenen 5 × 2-Kreuztabelle mit dem exakten Test nach Fisher-Freeman-Halton berechnet. Dieser ergab, dass kein signifikanter Zusammenhang zwischen den Kreativitätstypen der Erstklässler*innen und deren Fähigkeitsprofilen bestand (\({\chi}^{2} \left( 4 \right) = 2,195,p = .887)\). Dabei war auffällig, dass dieser p-Wert von allen zuvor präsentierten am höchsten war, womit ein Zusammenhang zwischen dem Vorgehen der Erstklässler*innen in der Reflexionsphase und den Fähigkeitsprofilen am stärksten ausgeschlossen werden musste.

Auf Basis der zuvor dargestellten Berechnungen musste die Nullhypothese \(H1_{0}\) angenommen werden: Die beiden Merkmale der Aufgabenbearbeitungen (Fähigkeitsprofil und Kreativitätstyp) der Erstklässler*innen sind voneinander unabhängig.

Bereits bei der Erläuterung der aufgestellten Hypothesen über einen Zusammenhang zwischen den individuellen Voraussetzungen der Erstklässler*innen und deren bei der Bearbeitung arithmetisch offener Aufgaben gezeigten Kreativitätstypen (vgl. Abschn. 7.3.2) wurden zudem zwei weitere untergeordnete Hypothesenpaare formuliert. Mit diesen galt es zu prüfen, inwiefern Abhängigkeiten zwischen den intellektuellen oder mathematischen Voraussetzungen der Erstklässler*innen und den Kreativitätstypen bestanden.

\(H1a_{1}\)::

Die beiden Merkmale der Aufgabenbearbeitungen (mathematische Basisfertigkeiten, Kreativitätstyp) der Erstklässler*innen sind voneinander abhängig.

\(H1a_{0}\)::

Die beiden Merkmale der Aufgabenbearbeitungen (mathematische Basisfertigkeiten, Kreativitätstyp) der Erstklässler*innen sind voneinander unabhängig.

\(H1b_{1}\)::

Die beiden Merkmale der Aufgabenbearbeitungen (Grundintelligenz, Kreativitätstyp) der Erstklässler*innen sind voneinander abhängig.

\(H1b_{0}\)::

Die beiden Merkmale der Aufgabenbearbeitungen (Grundintelligenz, Kreativitätstyp) der Erstklässler*innen sind voneinander unabhängig.

Als erstes wurde ein möglicher Zusammenhang zwischen den Basisfertigkeiten der Erstklässler*innen und deren gezeigter individueller mathematischer Kreativität geprüft, wobei die folgende Hypothese \(H1a\) zu testen war. Zur Prüfung dieser Hypothesenpaare wurden verschiedene Kontingenzanalysen durchgeführt, bei denen immer die drei Merkmalsausprägungen der mathematischen Basisfertigkeiten bzw. der Grundintelligenz, nämlich unterdurchschnittlich, durchschnittlich und überdurchschnittlich betrachtet wurden. Um die Abhängigkeit der mathematischen Basisfertigkeiten der Erstklässler*innen und den Typen der individuellen mathematischen Kreativität umfassend zu analysieren, wurden letztere wie bereits zuvor bei \(H1\) zunächst alle sechs Kreativitätstypen betrachtet. Anschließend wurden noch drei weitere Analysen durchgeführt, bei denen die Kreativitätstypen wie zuvor unterschiedlich komprimiert wurden, d. h. zunächst ohne die Ausprägungen a) und b) und dann bzgl. der kreativen Vorgehensweisen in der Produktionsphase und zuletzt bzgl. der kreativen Verhaltensweisen in der Reflexionsphase. Bei der Berechnung aller möglichen Abhängigkeiten zwischen den mathematischen bzw. intellektuellen Fähigkeiten der Erstklässler*innen und ihrer bei der Bearbeitung arithmetisch offener Aufgaben gezeigten Kreativität musste erneut der exakte Test nach Fisher-Freeman-Halton berechnet werden, da bei allen Analysen mehr als 20 % der Fälle in den entstandenen Kreuztabellen eine Häufigkeit von unter 5 aufwiesen. Nachfolgend werden die beiden Hypothesen und die Ergebnisse der Kontingenzanalysen dargestellt (vgl. Tab. 11.4).

Tab. 11.4 Ergebnisse der Kontingenzanalysen für H1a und H1b

Aus der Tabelle 11.4 konnte entnommen werden, dass keine der gerechneten Analysen eine signifikante Abhängigkeit zwischen den jeweils gewählten Variablen ergab und somit keine Abhängigkeit der Kreativitätstypen der Erstklässler*innen von ihren mathematischen oder intellektuellen Fähigkeiten bestand. Es mussten damit beide Nullhypothesen \(H1a_{0}\) und \(H1b_{0}\) angenommen werden: Die beiden Merkmale der Aufgabenbearbeitungen (mathematische Basisfertigkeiten, Kreativitätstyp) sowie die beiden Merkmale (Grundintelligenz, Kreativitätstyp) der Erstklässler*innen sind jeweils voneinander unabhängig.

Bei genauerer Betrachtung der einzelnen Analyseergebnisse war jedoch auffällig, dass die p-Werte bei diesen Kontingenzanalysen zu den untergeordneten Hypothesen H1a und H1b insgesamt deutlich niedriger waren als zuvor bei der Berechnung eines möglichen Zusammenhangs zwischen den Kreativitätstypen der Erstklässler*innen und ihren Fähigkeitsprofilen (H1). Dabei traten vor allem niedrige p-Werte (\(p = .123\:und\:p = .100\)) für den exakten Fisher-Freeman-Halton-Test, der die Abhängigkeit der Kreativitätstypen der Kinder und ihrer mathematischen Basisfertigkeiten fokussierte, hervor, die dem Signifikanzniveau von 5 % am nächsten kamen. Diese konnten als ein erstes, vorsichtiges Indiz gedeutet werden, dass die mathematischen Fähigkeiten der Erstklässler*innen einen möglichen Einfluss auf die von den Kindern bei der Bearbeitung der arithmetisch offenen Aufgaben gezeigten Typen der individuellen mathematischen Kreativität nehmen. Diese Hypothese galt es durch eine qualitative und damit mathematisch inhaltliche Analyse zu prüfen (vgl. Abschn. 11.2).

1.2 Abhängigkeit der Kreativitätstypen von dem verwendeten Lehrwerk

\(H2_{1}\)::

Die beiden Merkmale der Aufgabenbearbeitungen (Lehrwerk, Kreativitätstyp) der Erstklässler*innen sind voneinander abhängig.

\(H2_{0}\)::

Die beiden Merkmale der Aufgabenbearbeitungen (Lehrwerk, Kreativitätstyp) der Erstklässler*innen sind voneinander unabhängig.“ (Abschn. 7.3.2)

Ergänzend zu den vorherigen Ausführungen folgt in diesem Abschnitt nun die Darstellung der Kontingenzanalyse zur Testung der zweiten großen Hypothese (s. Eingangszitat), die eine Abhängigkeit der Kreativitätstypen der Erstklässler*innen und dem im Unterricht verwendet Lehrwerk (Denken & Rechnen, Welt der Zahl) postulierte (vgl. Abschn. 7.3.2, Einführung zu Abschn. 11.1). Auch zur Ermittlung eines möglichen Zusammenhangs zwischen den Kreativitätstypen der Erstklässler*innen, die sie bei den 36 Aufgabenbearbeitungen zeigten, und dem in der Grundschule verwendeten Lehrwerk wurden vier \({\chi}^{2}\)-Tests gerechnet. Dabei wurden jeweils einzeln Tests für die sechs Kreativitätstypen, für die vier Typen ohne die verschiedenen Ausprägungen sowie für eine Zusammenfassung der Typen in Bezug auf die kreativen Verhaltens- und Vorgehensweisen fokussiert (vgl. Abschn. 11.1.1, insbesondere Tab. 11.4). Dadurch sollte ein möglichst umfangreiches und detailliertes Bild der möglichen Zusammenhänge zwischen den beiden übergreifenden Variablen Lehrwerk und Kreativitätstyp erreicht werden. Nachfolgend werden die Ergebnisse aller Berechnungen mit Hilfe des Statistik-Programms SPSS dargestellt. Dabei wurde für die ersten beiden Berechnungen auch an dieser Stelle der exakte Fisher-Freeman-Halton-Test gerechnet, da ein Großteil der gebildeten Fälle in den Kreuztabellen eine Häufigkeit kleiner 5 aufwiesen.

  • Abhängigkeit sechs Kreativitätstypen und Lehrwerk: \({\chi}^{2} \left( 5 \right) = 7,866,p = .155\)

  • Abhängigkeit vier Kreativitätstypen und Lehrwerk: \({\chi}^{2} \left( 3 \right) = 4,598,p = .230\)

Für die letzten beiden Kontingenzanalysen konnte der Pearson-\({\chi}^{2}\)-Test gerechnet werden, da weniger als 20 % der Fälle eine beobachtete Häufigkeit von unter 5 annahmen. Außerdem musste eine Kontinuitätskorrektur durchgeführt werden, insofern in beiden Fällen ein 2 × 2-Kreuztabelle gerechnet wurde, aus der sich nur ein Freiheitsgrad (\(df = 1\)) ableiten ließ. Dementsprechend wird hier nun nicht mehr wie zuvor die exakte zweiseitige Signifikanz, sondern die asymptotische Signifikanz des \({\chi}^{2}\)-Tests angegeben (vgl. Bortz & Schuster, 2010, S. 140–142).

  • Abhängigkeit kreative Vorgehensweisen und Lehrwerk: \({\chi}^{2} \left( 1 \right) = 1,003,p = .317\)

  • Abhängigkeit kreative Vorgehensweisen und Lehrwerk: \({\chi}^{2} \left( 1 \right) = 2,571,p = .109\)

Im Vergleich der vier Analysen musste festgestellt werden, dass keine signifikante Abhängigkeit zwischen dem im Mathematikunterricht verwendeten Lehrwerk der Erstklässler*innen und ihrer individuellen mathematischen Kreativität bei der Bearbeitung arithmetisch offener Aufgaben bestand. Damit wurde insgesamt die Nullhypothese für H2 angenommen: Die beiden Merkmale der Aufgabenbearbeitungen (Lehrwerk und Kreativitätstyp) der Erstklässler*innen sind voneinander unabhängig.

2 Qualitative Analyse des Zusammenhangs zwischen den Fähigkeitsprofilen und Kreativitätstypen der Erstklässler*innen

“What are the relations between gifted, high achieving, creative, intelligent? Are these terms synonym? Antonyms? Or is there more complexity to these terms […]?” (Juter & Sriraman, 2011, S. 45)

An dieser Stelle der empirischen Arbeit zur individuellen mathematischen Kreativität kann festgehalten werden, dass kein statistischer Zusammenhang zwischen den individuellen Voraussetzungen der Erstklässler*innen, d. h. deren Fähigkeitsprofil (\(H1\)), den mathematischen (\(H1a\)) und intellektuellen (\(H1b\)) Fähigkeiten sowie dem in der Schule verwendeten Lehrwerk (\(H2\)), und den zugeordneten Kreativitätstypen bei der Bearbeitung der beiden arithmetisch offenen Aufgaben bestand (vgl. Abschn. 11.1). Es ließ sich jedoch eine vorsichtige Tendenz diesbezüglich finden, dass die mathematischen Fähigkeiten der Erstklässler*innen einen Einfluss auf ihre individuelle mathematische Kreativität (vier Kreativitätstypen) genommen haben könnten, da der p-Wert für eine Abhängigkeit dieser Variablen mit \(p = .100\) nah an dem Signifikanzniveau von \(p < 0,05\) lag (vgl. Abschn. 11.1.1). Ähnliches galt auch für eine mögliche inhaltliche Abhängigkeit mit \(p = .109\) des verwendeten Lehrwerks zu den kreativen Vorgehensweisen der Erstklässler*innen in der Reflexionsphase (vgl. Abschn. 11.1.2).

Um diese beiden Hypothesen im Detail annehmen oder widerlegen zu können, wurde in diesem Abschnitt eine mathematische Analyse bzgl. eines möglichen Zusammenhangs zwischen den individuellen Voraussetzungen der Erstklässler*innen und ihren Kreativitätstypen durchgeführt. Dafür wurde eine grafische Veranschaulichung gewählt (vgl. Abb. 7.12), die in Abschnitt 7.3.2 bereits einführend erläutert wurde. Die nachfolgende Abbildung 11.1 konkretisiert nun das methodische Vorgehen durch die Erkenntnisse aus dem quantitativen Sampling-Verfahren und der qualitativen Studie.

Abb. 11.1
figure 1

Vorgehen bei der qualitativen Analyse des Zusammenhangs von Kreativitätstypen und Fähigkeitsprofilen

Im methodischen Abschnitt 7.3.2 wurde angedeutet, dass in einem Koordinatensystem über die T-Werte der Erstklässler*innen in den beiden Tests MBK 1 + und CFT1-R Teil 2 die Fähigkeitsprofilen der Lernenden eingezeichnet werden sollten. Mit Rückgriff auf die Ergebnisse der Clusteranalyse zeigen nun die in Abbildung 11.1 eingezeichneten Kästen den exakten T-Wert-Bereich der vier Fähigkeitsprofile an, in dem die zugeordneten Erstklässler*innen lagen (vgl. Abschn. 8.3, insbesondere Tab. 8.4). Die beiden statistischen Ausreißer wurde für diese Analyse den grenznahen Fähigkeitsprofilen zugeordnet. So wurde Marie mit weit unterdurchschnittlichen Testwerten dem Fähigkeitsprofil 3 (unterdurchschnittlich gleich) und dementsprechend Jana aufgrund ihrer weit überdurchschnittlichen Testwerte im MBK 1 + und CFT 1-R Teil 2 dem Fähigkeitsprofil 1 (überdurchschnittlich gleich) eingruppiert.

Zudem konnte in der methodischen Beschreibung nur schematisch angedeutet werden, dass die gebildeten Kreativitätstypen der Erstklässler*innen auf die verschiedenen Fähigkeitsprofilen bezogen werden sollten. Nach der qualitativen Video-Inhaltsanalyse können die Typen der individuellen mathematischen Kreativität nun genauer beschrieben werden (vgl. ausführlich Abschn. 9.2 und 9.3). In der Abbildung 11.1 wird daher am Fähigkeitsprofil 1 exemplarisch für alle Fähigkeitsprofile gezeigt, dass die vier Kreativitätstypen in Form der Kreuztabelle der kreativen Vorgehens- und Verhaltensweisen dargestellt werden. Dabei sei darauf verwiesen, dass in diesem Teil der Arbeit bei den Kreativitätstypen auf eine Spezifizierung hinsichtlich der beiden Ausprägungen a) mit starker und b) mit schwacher Erweiterung in der Reflexionsphase verzichtet wurde, da diese für die Analyse eines möglichen qualitativen Zusammenhangs zwischen den individuellen Voraussetzungen der Erstklässler*innen und deren gezeigter individueller mathematischer Kreativität keine gewinnbringenden weiteren Erkenntnisse liefen konnten.

Für ebendiese qualitative Analyse wurde die mathematisch inhaltliche Beschreibung der verschiedenen Kreativitätstypen durch die den Bearbeitungsprozess prägenden arithmetischen Ideentypen genutzt (vgl. ausführlich Abschn. 9.3.3, insbesondere Tab. 8.15). In der nachfolgenden Tabelle 11.5 wurden die Kürzel für die den Bearbeitungsprozess prägenden arithmetischen Ideentypen noch einmal aufgelistet, die dann im Rahmen dieser Ausführungen bzgl. der verschiedenen Fähigkeitsprofile der Erstklässler*innen differenziert wurden.

Tab. 11.5 Auflistung Fähigkeitsprofil, Kreativitätstypen und prägende arithmetische Ideentypen

Nachfolgend wurde für alle Aufgabenbearbeitungen der Erstklässler* innen aus einem Fähigkeitsprofil in der Kreuztabelle die arithmetische Charakterisierung der Aufgabenbearbeitungen (vgl. Tab. 11.5) eingetragen und anschließend alle Zuordnungen in einer Darstellung wie zuvor beschrieben vereint (vgl. Abb. 11.1). Aus der so entstandenen Abbildung 11.2 war zunächst die Anzahl der Bearbeitungen mit den verschiedenen Kreativitätstypen ablesbar. Vor allem aber war eine Analyse möglicher Zusammenhänge auf mathematisch inhaltlicher Ebene möglich.

Abb. 11.2
figure 2

Qualitative Analyse des Zusammenhangs von Fähigkeitsprofilen und Kreativitätstypen auf Basis der prägenden arithmetischen Ideentypen

Aus dieser Darstellung konnten nun bzgl. eines qualitativen Zusammenhangs der individuellen Voraussetzungen der 18 Erstklässler*innen, d. h. ihrer mathematischen und intellektuellen Fähigkeiten (Fähigkeitsprofil), mit den von ihnen bei der Bearbeitung der beiden arithmetisch offenen Aufgaben gezeigten Typen der individuellen mathematischen Kreativität folgende Schlüsse gezogen werdenFootnote 1.

  • Quantitativ betrachtet war auffällig, dass im Vergleich zu den anderen Fähigkeitsprofilen verhältnismäßig viele (vier von zehn) der Erstklässler*innen mit unterdurchschnittlich mathematischen und intellektuellen Fähigkeiten (Fähigkeitsprofil 3) in der Reflexionsphase ihrer Aufgabenbearbeitung bei ihrem Vorgehen blieben. Bei den Bearbeitungen der arithmetisch offenen Aufgaben von Erstklässler*innen aus den anderen Fähigkeitsprofilen wurde dieses Verhalten nur bei ein oder zwei Bearbeitungen sichtbar.

  • In Bezug auf die verschiedenen Kreativitätstypen ließen sich folgende Schlüsse ziehen:

    1. Die Erstklässler*innen mit mindestens durchschnittlichen mathematischen Fähigkeiten (Fähigkeitsprofile 1, 2 und 4) zeigten vor allem die Kreativitätstypen 3 und 4 und damit in der Reflexionsphase ein verändertes Vorgehen. Nur bei maximal zwei Bearbeitungen der arithmetisch offenen Aufgaben konnte die gleiche kreative Vorgehensweise in beiden Phasen analysiert werden (Kreativitätstyp 1 und 2).

    2. Im Gegensatz zu den Aufgabenbearbeitungen von Erstklässler*innen mit überdurchschnittlichen mathematischen Fähigkeiten zeigten die Bearbeitungen der Kinder aus dem Fähigkeitsprofil 3 häufiger ein sprunghaft-ideenreiches Vorgehen in der Produktionsphase. Diese Lernenden wechselten häufiger zwischen verschiedenen arithmetischen Ideentypen, zumeist zwischen frei-assoziierten und muster-bildenden Ideen. In den anderen drei Fähigkeitsprofilen ist ein nahezu ausgewogenes Verhältnis an geradlinig-ideenarmen und sprunghaft-ideenreichen Vorgehen in der Produktionsphase erkennbar.

  • Mit Blick auf die den Bearbeitungsprozess prägenden arithmetischen Ideentypen zeigten die Erstklässler*innen in den Produktionsphasen der 36 Aufgabenbearbeitungen unabhängig von ihren mathematischen oder intellektuellen Voraussetzungen am häufigsten frei-assoziierte Ideen. Der Anteil derjenigen Aufgabenbearbeitungen mit einem anderen dominierenden arithmetischen Ideentyp in der Produktionsphase unterschied sich innerhalb der vier Fähigkeitsprofile nicht.

  • Die prägenden arithmetischen Ideentypen in den Reflexionsphasen der Aufgabenbearbeitungen unterschieden sich jedoch deutlich zwischen den verschiedenen Fähigkeitsprofilen und damit auch hinsichtlich der mathematischen Basisfertigkeiten (MBK 1 + ) und der Grundintelligenz (CFT 1-R Teil 2) der Erstklässler*innen.

    1. Aufgabenbearbeitungen von Erstklässler*innen mit mindestens durchschnittlichen mathematischen Basisfertigkeiten sind auch von struktur-nutzenden Ideen geprägt. Je ausgeprägter dabei die mathematischen Basisfertigkeiten und gleichzeitig auch die Grundintelligenz der bearbeitenden Kinder war (Fähigkeitsprofil 1), desto häufiger war nicht nur die Reflexionsphase, sondern sogar beide Phasen im Bearbeitungsprozess durch struktur-nutzende Ideen charakterisiert. In diesem Fähigkeitsprofil wiesen acht der zehn Aufgabenbearbeitungen in mindestens einer Phase diesen arithmetischen Ideentyp auf, was bedeutet, dass die zugeordneten Erstklässler*innen zum Finden und Erklären von Zahlensätzen mit der Zahl 4 (A1) oder dem Ergebnis 12 (A2) häufig arithmetische Strukturen nutzen.

    2. Die Aufgabenbearbeitungen der 18 Erstklässler*innen waren immer häufiger von muster-bildenden Ideen bestimmt, je geringer sowohl die mathematischen Basisfertigkeiten als auch die Grundintelligenz der Kinder war. So konnte festgestellt werden, dass im Fähigkeitsprofil 2 (durchschnittlich gleiche Fähigkeiten) sechs von acht Bearbeitungen in einer Phase des Bearbeitungsprozesses, zumeist aber in der Reflexionsphase, von muster-bildenden Ideen geprägt waren. Unter den zehn Aufgabenbearbeitungen von Erstklässler*innen mit dem Fähigkeitsprofil 3, die unterdurchschnittliche mathematische sowie intellektuelle Fähigkeiten in den beiden Tests zeigten, dominierten bei sechs Bearbeitungen die muster-bildenden Ideen. Zudem waren hier zwei Bearbeitungsprozesse sowohl in der Produktions- als auch der Reflexionsphase von muster-bildenden Ideen geprägt.

    3. Je geringer die Grundintelligenz der 18 Erstklässler*innen ausfiel, desto häufiger ließen sich auch Aufgabenbearbeitungen feststellen, die in der Reflexionsphase von klassifizierenden Ideen geprägt waren. Einen Einfluss der mathematischen Basisfertigkeiten auf diesen arithmetischen Ideentyp war nicht zu analysieren.

    4. In den acht Aufgabenbearbeitungen der Erstklässler*innen mit überdurchschnittlichen mathematischen Basiskompetenzen und unterdurchschnittlicher Grundintelligenz (Fähigkeitsprofil 4) konnte die stärkste Durchmischung an dominierenden arithmetischen Ideentypen festgestellt werden, wobei eine leichte Tendenz hin zu den muster-bildenden Ideen ausgemacht werden konnte.

  • Die sechs der 36 Aufgabenbearbeitungen von Erstklässler*innen, bei denen beide Phasen im Bearbeitungsprozess von demselben arithmetischen Ideentyp charakterisiert wurden (ass-ass, must-must oder struk-struk), konnten bis auf eine Ausnahme den Kreativitätstypen 1 und 3 mit einem geradlinig-ideenreichen Vorgehen in der Produktionsphase zugeordnet werden.

3 Kapitelzusammenfassung

In diesem Kapitel wurde der fünften und damit auch letzten Forschungsfrage nachgegangen, inwiefern ein Zusammenhang zwischen den individuellen Voraussetzungen der Erstklässler*innen, d. h. ihren mathematischen Basisfertigkeiten, ihrer Grundintelligenz und dem im Mathematikunterricht verwendete Lehrwerk, und ihrer individuellen mathematischen Kreativität, die sie bei der Bearbeitung der beiden arithmetisch offenen Aufgaben A1 [Zahl 4] und A2 [Ergebnis 12] zeigten, bestand (vgl. Abschn. 5.2). Damit wurde an dieser Stelle der Mixed Methods-Studie zur weiteren Erforschung der individuellen mathematischen Kreativität von Erstklässler*innen auf die Fähigkeitsprofile und Eigenschaften wie das verwendete Lehrwerk der Lernenden aus dem quantitativen Sampling-Verfahren zurückgegriffen (vgl. Abschn. 8.3). Methodisch wurde zunächst eine quantitative Kontingenzanalyse mit Hilfe verschiedenster X2-Tests und daraufhin eine qualitative Analyse zur Vertiefung der ersten Erkenntnisse durchgeführt (vgl. Abschn. 7.3.2), deren Ergebnisse nun zusammengefasst werden sollen.

Zwischen den Fähigkeitsprofilen der Erstklässler*innen, also ihren mathematischen und intellektuellen Fähigkeiten, und ihrer bei der Bearbeitung der arithmetisch offenen Aufgaben gezeigten Kreativitätstypen bestand keine Abhängigkeit. Dazu wurden nicht nur die empirisch in diesem Datenset nachgewiesenen sechs Kreativitätstypen als Variable genutzt, sondern die Kontingenzanalysen auch mit den vier Kreativitätstypen ohne die beiden Ausprägungen a) und b) sowie bezogen auf die kreativen Vorgehensweisen (Kreativitätstypen 1 und 3 sowie 2 und 4) und die kreativen Verhaltensweisen (Kreativitätstypen 1 und 2 sowie 3 und 4) gerechnet. Bei allen exakten Tests nach Fisher-Freeman-Halton wurden keine signifikanten Abhängigkeiten ermittelt, sodass in jedem Fall die Nullhypothese \(\left( {H1_{0},\:H1a_{0},\:H1b_{0} } \right)\) angenommen wurde (vgl. Abschn. 11.1.1). Gleichermaßen bestand keine statistische Abhängigkeit zwischen dem im Mathematikunterricht eingesetzten Lehrwerk (Denken & Rechnen, Welt der Zahl) und den Kreativitätstypen der Erstklässler*innen (vgl. Abschn. 11.1.2). Es konnten jedoch vorsichtige Tendenzen dahingehend entdeckt werden, dass die mathematischen Fähigkeiten der Erstklässler*innen vor deren intellektuellen Fähigkeiten einen Einfluss auf ihre individuelle mathematische Kreativität genommen haben könnten (vgl. Abschn. 11.1.1). Dies deckt sich mit den im aktuellen Forschungsstand präsentierten Befunden, dass die domänenspezifischen Fähigkeiten kreativer Personen einen Einfluss auf deren Kreativität nehmen (vgl. Abschn. 5.1).

In der qualitativen, vor allem auf mathematisch inhaltlicher Ebene durchgeführten, Analyse eines möglichen Zusammenhangs konnten ergänzend zu den vorherigen Ergebnissen einzelne wesentliche Erkenntnisse herausgearbeitet werden (vgl. im folgenden Abschn. 11.2):

  • Erstklässler*innen des Fähigkeitsprofils 3, d. h. mit unterdurchschnittlichen mathematischen und intellektuellen Fähigkeiten, zeigten häufiger als die Kinder aus den anderen Fähigkeitsprofilen ein sprunghaft-ideenreiches Vorgehen in der Produktionsphase (Kreativitätstypen 1 und 3) und blieben in der Reflexionsphase häufiger bei ihrer kreativen Vorgehensweise (Kreativitätstypen 3 und 4).

  • Im Hinblick auf die beiden die Bearbeitungsprozesse prägenden arithmetischen Ideentypen war auffällig, dass vor allem Erstklässler*innen mit überdurchschnittlichen mathematischen und intellektuellen Fähigkeiten (Fähigkeitsprofil 1) am häufigsten struktur-nutzende Ideen zeigten. Umgekehrt dominierten bei Aufgabenbearbeitungen von Kindern mit wenigstens durchschnittlichen mathematischen und gleichzeitig unterdurchschnittlichen intellektuellen Fähigkeiten (Fähigkeitsprofile 2 und 3) die muster-bildenden Ideen. Der arithmetische Ideentyp der klassifizierenden Ideen konnte zwar insgesamt nur selten prägend analysiert werden, zeigte sich aber häufiger, je geringer die Grundintelligenz der bearbeitenden Erstklässler*innen war (Fähigkeitsprofile 3 und 4).

  • Erstklässler*innen, die Aufgabenbearbeitungen produzierten, bei denen in beiden Phasen der gleiche arithmetische Ideentyp (muster-bildende oder struktur-nutzende Ideen) dominierte, zeigten immer auch eine geradlinig-ideenarmes Vorgehen in der Produktionsphase (Kreativitätstypen 1 und 3).

Mit Abschluss dieser Kapitelzusammenfassung wurden die Ergebnisse zu allen fünf aufgestellten Forschungsfragen umfassend präsentiert. Nachfolgend sollen die Ergebnisse nun ausführlich vor dem Hintergrund der dargestellten Theorie zur individuellen mathematischen Kreativität von Schulkindern, offener Aufgaben und Unterstützungsangeboten (vgl. Teil I) diskutiert werden, um die Forschungsfragen schlussendlich beantworten zu können (vgl. Abschn. 12.3). Dafür sind jedoch als erstes eine Reflexion sowie eine Diskussion des theoretisch entwickelten InMaKreS-Modells (vgl. Abschn. 12.1) und der methodischen Entscheidungen (vgl. Abschn. 12.2) der vorliegenden empirischen Studie notwendig.