„Eine Aufgabe der Fachdidaktik ist es, domänenspezifisches Wissen zur Verfügung zu stellen, das die reflektierte und zielorientierte Planung von Unterricht ermöglicht.“ (Reiss & Ufer, 2009, S. 205)

Anschließend an die Charakterisierung und Entwicklung von Kreativitätstypen soll in diesem Kapitel ein weiterer wichtiger Fokus auf die individuelle mathematische Kreativität von Erstklässler*innen beim Bearbeiten arithmetisch offener Aufgaben eingenommen werden. Wie in Abschnitt 5.2 erläutert, besteht das zweite große Forschungsziel dieser mathematikdidaktischen Arbeit darin, die kreative Umgebung anhand der in dieser Studie durchgeführten Unterrichtsepisoden genauer zu beschreiben und daraus erste unterrichtspraktische Konsequenzen zur Förderung der individuellen mathematischen Kreativität im Mathematikunterricht abzuleiten. Dem einleitenden Zitat entsprechend ermöglicht dieses Kapitel in Ergänzung zu den bedeutsamen Erkenntnissen aus der theoretischen Erarbeitung des InMaKreS-Modells (vgl. Abschn. 2.4) sowie der Charakterisierung und Typisierung der individuellen mathematischen Kreativität (vgl. Kap. 9) weitere wichtige Einsichten in die Gestaltung eines Mathematikunterrichts, in dem Schüler*innen kreativ werden können.

Bei der Bildung der verschiedenen Typen der individuellen mathematischen Kreativität (vgl. Abschn. 9.3.1) wurden in den Analysen als Auswertungseinheiten immer die einzelnen individuellen Kreativitätsschemata der Erstklässler*innen unabhängig von der bearbeiteten arithmetisch offenen Aufgabe gewählt. Dies wurde dadurch begründet, dass das Ziel auf der generalisierenden Charakterisierung und Typisierung der individuellen mathematischen Kreativität lag und es dafür nützlich war, dieses Konstrukt über alle Aufgabenbearbeitungen hinweg zu analysieren (vgl. Abschn. 7.3.1 und Einführung zu 9.2). Anschließend an diese ausführlich präsentierten Ergebnisse soll nun die Auswahl der arithmetisch offenen Aufgaben und deren Auswirkung auf die individuelle mathematische Kreativität der Erstklässler*innen fokussiert werden. In diesem Sinne stellte sich die Frage, inwiefern eine Zuordnung der Kreativitätstypen auch zu den 18 Erstklässler*innen möglich ist: Können die einzelnen Erstklässler*innen eindeutig einem Kreativitätstyp zugeordnet werden oder zeigen die einzelnen Lernenden bei der Bearbeitung der beiden arithmetisch offenen Aufgaben verschiedene Kreativitätstypen? Mit Blick auf die mathematisch inhaltliche Analyse der Kreativitätstypen (vgl. Abschn. 9.3.3) entwickelte sich zudem die Frage, inwiefern sich Unterschiede in den kindlichen Bearbeitungen der beiden arithmetisch offenen Aufgaben hinsichtlich der arithmetischen Ideentypen zeigen. Diese Fragen stellen damit Konkretisierungen der dritten Forschungsfrage dieser Studie zur individuellen mathematischen Kreativität von Erstklässler*innen dar (vgl. Abschn. 5.2), die im nachfolgenden Abschnitt 10.1 Beantwortung finden soll:

  1. F3

    Inwiefern nimmt die Auswahl der beiden arithmetisch offenen Aufgaben einen Einfluss auf die individuelle mathematische Kreativität der bearbeitenden Erstklässler*innen?

Zudem werden in diesem Kapitel die Ergebnisse aus der Analyse der (meta-)kognitiven Prompts präsentiert. Wie im methodischen Abschnitt 7.2.3 erläutert, wurden die Erstklässler*innen während der Unterrichtsepisoden durch mich als Lehrende-Forschende mithilfe gezielt ausgewählter Lernprompts adaptiv unterstützt, ihre kreative Aufgabenbearbeitung sprachlich zu begleiten. Auf diese Weise wurde die kindliche Elaboration gefördert, die einen direkten Einfluss auf die anderen divergenten Fähigkeiten als Merkmale der individuellen mathematischen Kreativität nimmt (vgl. dazu Abschn. 2.4). Auf Basis einer Analyse des Grads an Unterstützung, den die eingesetzten (meta-)kognitiven Prompts den Erstklässler*innen boten, kann in Abschnitt 10.2 die vierte Forschungsfrage beantwortet werden:

  1. F4

    Inwiefern unterstützen kognitive und metakognitive Lernprompts Kinder darin, ihren Bearbeitungsprozess von arithmetisch offenen Aufgaben sprachlich zu begleiten und dadurch ihre individuelle mathematische Kreativität zu zeigen?

1 Auswirkungen der Auswahl der arithmetisch offenen Aufgaben auf die individuelle mathematische Kreativität von Erstklässler*innen (F3)

„Creativity varies from task to task.“ (Baer & Kaufman, 2012, S. 2)

Die Annahme, dass mathematische Kreativität ein aufgabenspezifisches Konstrukt sei, wurde bereits in den theoretischen Ausführungen zur Domänenspezifität als ein fundamentaler Aspekt der Definition der individuellen mathematischen Kreativität erläutert (vgl. Abschn. 2.2.1 und Einführung zu Kap. 3). Baer und Kaufman (2012) formulieren diese Annahme in ihrem Buch zudem sehr explizit, indem sie schreiben, dass Kreativität von Aufgabe zu Aufgabe variiere (siehe Eingangszitat). Diese Annahme stützen die Autor*innen vor allem durch theoretische Überlegungen und in der Praxis gewonnene Eindrücke. Empirische Belege für diese These werden jedoch nicht angeführt. An diesem Punkt setzt dieser Abschnitt der vorliegenden Arbeit zur individuellen mathematischen Kreativität von Erstklässler*innen an. Ziel ist es daher, anhand der qualitativen Ergebnisse aus der Typisierung der individuellen mathematischen Kreativität von Erstklässler*innen beim Bearbeiten zweier arithmetisch offener Aufgaben (vgl. Abschn. 9.3) zu analysieren, inwiefern die Kreativität der Kinder von der ersten zur zweiten arithmetisch offenen Aufgabe variiert.

Dazu werden die kindlichen Bearbeitungen der beiden arithmetisch offenen Aufgaben A1 [Zahl 4] und A2 [Ergebnis 12] zunächst auf einer mathematisch inhaltlichen Ebene analysiert. Mit Blick auf die von den Erstklässler*innen gezeigten arithmetischen Ideentypen werden sowohl die beiden Unterrichtsphasen (Produktions- und Reflexionsphase) als auch die beiden arithmetisch offenen Aufgaben gegenübergestellt. Methodisch entspricht dieses Vorgehen einer Quantifizierung der qualitativen Ergebnisse aus Abschnitt 9.1.1, d. h. des Kategoriensystems zu den arithmetischen Ideentypen (vgl. Abschn. 10.1.1). Im Anschluss werden die von den Lernenden bei ihren Aufgabenbearbeitungen gezeigten Kreativitätstypen fokussiert und analysiert, inwiefern die individuelle mathematische Kreativität der Erstklässler*innen bei beiden Aufgaben variiert (vgl. Abschn. 10.1.2).

1.1 Unterschiede in der Bearbeitung der beiden arithmetisch offenen Aufgaben in Bezug auf die arithmetischen Ideentypen

„Diese vier Ideentypen bilden die verschiedenen Zahl-, Term- und Aufgabenbeziehungen ab […], welche die Erstklässler*innen zur Erklärung der Produktion ihrer Zahlensätze bei der Bearbeitung der arithmetisch offenen Aufgaben heranzogen.“ (Abschn. 9.1.1)

In Abschnitt 9.1.1 wurde ausführlich die Erstellung des Kategoriensystems zu den verschiedenen arithmetischen Ideentypen dargestellt (s. Eingangszitat). So wurden anhand aller Aufgabenbearbeitungen der Erstklässler*innen vier Hauptkategorien herausgearbeitet, die eine unterschiedliche Anzahl an spezifischen Subkategorien aufweisen (vgl. für die folgende Zusammenfassung ausführlich Abschn. 9.1.1 und die Codebücher im elektronischen Zusatzmaterial): Frei-assoziierte Ideen werden von den Erstklässler*innen gezeigt, wenn sie einen zur Aufgabe passenden Zahlensatz frei, im Sinne von mathematisch unverbunden, produzieren und dabei arithmetische Besonderheiten von Zahlen(-sätzen) assoziieren. Die anderen drei arithmetischen Ideentypen bilden verschiedene Verbindungen zwischen produzierten Zahlensätzen auf Basis von bestimmten Zahl-, Term- und Aufgabenbeziehungen ab. Dabei fokussieren die Erstklässler*innen entweder auf arithmetische Strukturen (struktur-nutzende Ideen), auf das Bilden von Zahlenmustern über numerische Auffälligkeiten der Zahlensätze (muster-bildende Ideen) oder auf äußerliche Merkmale der Zahlensätze (klassifizierende Ideen).

Diese Kategorisierung der Ideen der Erstklässler*innen bildete die Grundlage für die weiteren Analysen der Aufgabenbearbeitungen und damit für die Charakterisierung sowie Typisierung der individuellen mathematischen Kreativität (vgl. Abschn. 9.3). Aus diesem Grund ist es mit Blick auf die Frage, inwiefern sich die individuelle mathematische Kreativität der Erstklässler*innen im Vergleich der beiden arithmetisch offenen Aufgaben veränderte, bedeutsam, eine Quantifizierung des Kategoriensystems und einen anschließenden Vergleich durchzuführen.

Dazu wurde zunächst die Häufigkeit, mit der die vier arithmetischen Ideentypen von den Erstklässler*innen jeweils gezeigt wurden, ermittelt. Im Rahmen der Schematisierung der Bearbeitungsprozesse wurden über alle Aufgabenbearbeitungen hinweg insgesamt 1209 Ideen ermittelt. Von diesen 1209 Ideen waren jedoch 252 (20,8 %) Ideen nicht kategorisierbar (vgl. Gründe hierzu Abschn. 7.3.1.1 und 9.1.1). Dementsprechend wurden 957 Ideen, welche die Kinder bei der Bearbeitung beider arithmetisch offener Aufgaben zeigten, einem der vier arithmetischen Ideentypen (frei-assoziierte, struktur-nutzende, muster-bildende oder klassifizierende Ideen) zugeordnet. Die nachfolgenden Kreisdiagramme zeigen die Häufigkeit der verschiedenen arithmetischen Ideentypen getrennt nach den beiden arithmetisch offenen Aufgaben A1 [Zahl 4] und A2 [Ergebnis 12] und oben beginnend im Uhrzeigersinn abgetragen (vgl. Abb. 10.1). Zur Übersichtlichkeit wurde erneut auf die farbliche Markierung der vier Hauptkategorien (vgl. Einführung zu Abschn. 9.2) zurückgegriffen, aus der bereits auf den ersten Blick eine starke Ähnlichkeit der Häufigkeitsverteilungen bei den beiden arithmetisch offenen Aufgaben ersichtlich wird:

Abb. 10.1
figure 1

Häufigkeit der arithmetischen Ideentypen in beiden arithmetisch offenen Aufgaben (\(N_{A1}\) = 507; \(N_{A2}\) = 450)

Zunächst war auffällig, dass bei der ersten Aufgabe A1 [Zahl 4] mehr Ideen kategorisiert wurden (\(N_{A1} = 507\)) als bei der zweiten Aufgabe A2 [Ergebnis 12] (\(N_{A2} = 450\)). Dies ist dadurch zu erklären, dass die erste arithmetisch offene Aufgabe einen höheren Grad der Offenheit in der Antwort ermöglichte als die Aufgabe A2, da insbesondere auf Ebene der arithmetischen Strukturen die Produktion von Umkehraufgaben und dadurch auch von Aufgabenfamilien nicht möglich war (vgl. Abschn. 3.1.6 und 7.2.2). Dadurch konnten die Erstklässler*innen in ihren zweiten Aufgabenbearbeitungen insgesamt weniger Ideen zeigen. Bei einer vergleichenden Betrachtung der Häufigkeitsverteilung über die vier arithmetischen Ideentypen bei beiden arithmetisch offenen Aufgaben (vgl. Abb. 10.1) konnten auf inhaltlicher Ebene folgende Schlüsse gezogen werden:

  • Die muster-bildenden Ideen waren bei der Bearbeitung beider arithmetisch offener Aufgaben am stärksten vertreten (\(must_{A1} = 39 \%\); \(must_{A2} = 37 \%\)). Dieser große Anteil der muster-bildenden Ideen erlangt dadurch Plausibilität, dass vor allem die Subkategorie der wachsenden Zahlenfolge von den Erstklässler*innen oft gezeigt wurde. Kinder, die dieses Zahlenmuster einmal gebildet hatten, produzierten in diesem häufig viele weitere Ideen und führten so das Muster fort (vgl. bspw. das individuelle Kreativitätsschema von Marie A2, Abb. 9.11).

  • Bei der Bearbeitung der ersten arithmetisch offenen Aufgabe A1 [Zahl 4] wurde rund ein Viertel aller kategorisierten Ideen den frei-assoziierten Ideen zugeschrieben (\(ass_{A1} = 26 \% )\). Dieser Anteil verringerte sich bei der zweiten Aufgabe A2 [Ergebnis 12] um 5 Prozentpunkte auf \(ass_{A2} = 21 \%\). Dieser Unterschied kann dadurch erklärt werden, dass sich die erste offene Aufgabe durch ihre stärkere Öffnung in Bezug auf die Variable der Antwort (vgl. Abschn. 3.1.6) möglicherweise mehr dafür angeboten hat, frei-assoziierte Ideen zu produzieren. Eine andere Erklärung könnte sein, dass die Erstklässler*innen diesen eher intuitiven arithmetischen Ideentyp bei der für sie erstmaligen und ungewohnten Konfrontation mit einem solchen Aufgabentyp besonders häufig zeigten.

  • Bei der zweiten arithmetisch offenen Aufgabe ist ein um 5 Prozentpunkte höherer Anteil an struktur-nutzenden Ideen zu verzeichnen als bei der ersten arithmetisch offenen Aufgabe (\(struk_{A1} = 24 \%\); \(struk_{A2} = 29 \% )\). Dieser höhere Anteil bei A2, der gleichzeitig mit der zuvor beschriebenen Verringerung an frei-assoziierten Ideen verzeichnet wurde, lässt sich vielfältig erklären: Die zweite arithmetisch offene Aufgabe könnte sich für die Erstklässler*innen aufgrund ihrer spezifischen Aufgabenbedingung (Zahlensätze mit dem Ergebnis 12) und dadurch auch geringeren Offenheit in der Antwort stärker angeboten haben, verschiedene arithmetische Strukturen zu nutzen. Außerdem wäre es denkbar, dass in den vier Wochen zwischen der Bearbeitung der beiden arithmetisch offenen Aufgaben im Mathematikunterricht der Schulkinder solche Strukturen wie bspw. Tausch-, Umkehr oder Nachbaraufgaben explizit thematisiert wurden und die Erstklässler*innen deshalb häufiger diese arithmetischen Strukturen zeigten. Zuletzt wäre es ebenso möglich, dass die teilnehmenden Lernenden aus den Erfahrungen bei der Bearbeitung der ersten offenen Aufgabe profitierten und deshalb zur zweiten arithmetisch offenen Aufgabe häufiger struktur-nutzende Ideen produzierten.

  • Der Anteil an klassifizierenden Ideen ist in beiden Aufgabenbearbeitungen ähnlich gering (\(klass_{A1} = 11 \%\); \(klass_{A2} = 13 \% )\). Somit spielt dieser arithmetische Ideentyp im Vergleich zu den anderen eher eine untergeordnete Rolle bei der Bearbeitung arithmetisch offener Aufgaben.

Um noch weitere, differenzierte Einblicke in den Unterschied bei der Bearbeitung der beiden arithmetisch offenen Aufgaben zu ermöglichen, wurden nun die Häufigkeiten der vier arithmetischen Ideentypen in Bezug auf die beiden Unterrichtsphasen betrachtet. Insofern präsentieren die nachfolgenden Abbildungen 10.2 und 10.3 in Form eines gestapelten Balkendiagramms die absolute Anzahl an gezeigten frei-assoziierten, struktur-nutzenden, muster-bildenden und klassifizierenden Ideen in der Produktions- und Reflexionsphase, jeweils einzeln für die beiden arithmetisch offenen Aufgaben. Die farblich vollständig ausgefüllten unteren Balken bilden die Anzahl der vier verschiedenen Ideentypen für die Produktionsphase ab und die darauf gestapelten, schraffierten Balken die Anzahl für die Reflexionsphase. Durch diese Form der Darstellung der Daten war es möglich, einen Zusammenhang zwischen der Anzahl an gezeigten arithmetischen Ideentypen in der Produktions- und Reflexionsphase herzustellen. Im Anschluss an die einzelnen Erläuterungen der Ergebnisse zu den beiden arithmetisch offenen Aufgaben findet dann ein Vergleich dieser statt.

Abb. 10.2
figure 2

Absolute Anzahl der arithmetischen Ideentypen in Produktions- und Reflexionsphase bei A1 (N = 507)

Mit Blick auf die Häufigkeitsverteilung der arithmetischen Ideentypen in der Produktions- und Reflexionsphase bei der ersten arithmetisch offenen Aufgabe A1 [Zahl 4] (vgl. Abb. 10.2) wird deutlich, dass sich der hohe Anteil muster-bildender Ideen etwa gleichmäßig auf beide Phasen des Bearbeitungsprozesses der Erstklässler*innen verteilte \(\left( {must_{A1\_P} = 109; must_{A1\_R} = 91} \right)\). Die Produktionsphase war neben den muster-bildenden Ideen zudem von frei-assoziierten Ideen geprägt \((ass_{A1\_P} = 112)\). In der sich anschließenden Reflexionsphase war dieser Ideentyp verhältnismäßig sowohl zur Produktionsphase als auch zu den anderen arithmetischen Ideentypen deutlich seltener vertreten \(\left( {ass_{A1\_R} = 22} \right)\). Dagegen wurden in der Reflexion relativ gesehen am häufigsten struktur-nutzende Ideen von den Erstklässler*innen gezeigt, sodass sich dieser Ideentyp von der Produktions- zur Reflexionsphase verdreifachte \((struk_{A1\_P} = 40; struk_{A1\_R} = 79;Ver\"a nderungsfaktor = 2,98)\). Auch die Anzahl der klassifizierenden Ideen, obwohl dieser insgesamt recht gering war, verdoppelte sich von der Produktions- zur Reflexionsphase \(\left( {klass_{A1\_P\_R} = 27} \right)\). So kann insgesamt für die erste arithmetisch offene Aufgabe festgehalten werden, dass neben den in beiden Unterrichtsphasen stark vertretenen muster-bildenden Ideen die Produktionsphase vor allem von frei-assoziierten Ideen und die Reflexionsphase von struktur-nutzenden Ideen geprägt wurde.

Das nachfolgende Diagramm zeigt die Verteilung der arithmetischen Ideentypen nun für die zweite arithmetisch offene Aufgabe A2 [Ergebnis 12] (vgl. Abb. 10.3). Aus dieser Häufigkeitsverteilung geht hervor, dass sich der verhältnismäßig zu den anderen Ideentypen größte Anteil an muster-bildenden Ideen etwa gleichmäßig auf beide Phasen im Bearbeitungsprozess verteilte \(\left( {must_{A2\_P} = 78; must_{A2\_R} = 86} \right)\). Es fand nur eine geringe Erhöhung um den Faktor von 2,2 von der Produktions- zur Reflexionsphase statt. Dies kann dadurch erklärt werden, dass die Erstklässler*innen die in der Produktionsphase begonnenen Zahlenmuster in der Reflexionsphase fortführten bzw. erweiterten. In der Produktionsphase nahmen zudem die frei-assoziierten Ideen den absolut größten Anteil ein \((ass_{A2\_P} = 85)\), der jedoch in der Reflexionsphase nur sehr gering um den Faktor 1,13 erhöht wurde \(\left( {ass_{A2\_R} = 11} \right)\). Bei den struktur-nutzenden Ideen zeigte sich, dass dieser Ideentyp um einen ähnlichen Faktor wie die muster-bildenden Ideen von der Produktions- zur Reflexionsphase \((struk_{A2\_P} = 60; struk_{A2\_R} = 72;Ver\"a nderungsfaktor = 2,1)\) anstieg. Zuletzt zeigten die Erstklässler*innen zwar in der Produktionsphase nur wenige klassifizierende Ideen, steigerten diese Anzahl jedoch auf das Dreifache in der Reflexionsphase \((klass_{A2\_P} = 18; klass_{A2\_R} = 40;Ver\"a nderungsfaktor = 3,22)\). Absolut gesehen war jedoch die Anzahl an klassifizierenden Ideen im Vergleich zu den anderen arithmetischen Ideen immer noch gering. Zusammenfassend kann für die zweite arithmetisch offene Aufgabe festgehalten werden, dass neben den in beiden Phasen der Aufgabenbearbeitungen stark vertretenen muster-bildenden und struktur-nutzenden Ideen die Produktionsphase vor allem von frei-assoziierten Ideen und die Reflexionsphase von klassifizierenden Ideen bestimmt wurde.

Abb. 10.3
figure 3

Absolute Anzahl der arithmetischen Ideentypen in Produktions- und Reflexionsphase bei A2 (N = 450)

Nun soll ein Vergleich zwischen den Häufigkeitsverteilungen der arithmetischen Ideentypen in den beiden Phasen der Aufgabenbearbeitung bei der ersten und zweiten arithmetisch offenen Aufgabe folgen. Bei diesem konnten die folgenden Rückschlüsse gezogen werden:

  • Die Produktionsphase war bei beiden Aufgaben vor allem von frei-assoziierten Ideen geprägt. Dabei verwendeten die Erstklässler*innen bei der Bearbeitung der ersten arithmetisch offenen Aufgabe A1 absolut gesehen diesen arithmetischen Ideentyp noch häufiger als bei der zweiten Aufgabe A2. Bei beiden Aufgaben erhöhte sich die Anzahl an Ideen mit diesem Ideentyp in der Reflexionsphase nur gering. Damit zeigen die Erstklässler*innen hauptsächlich während der selbstständigen Bearbeitung der arithmetisch offenen Aufgaben frei-assoziierte Ideen und dadurch ein, mathematisch betrachtet, eher intuitives Vorgehen.

  • Bei beiden arithmetisch offenen Aufgaben zeigten die Erstklässler*innen in der Produktions- und Reflexionsphase häufig und nahezu gleichmäßig viele muster-bildendende Ideen. Dies stützte die These, dass wenn die Erstklässler*innen in der Produktionsphase muster-bildendende Ideen zur Produktion ihrer Zahlensätze zeigen, sie diesen Ideentyp auch in der Reflexionsphase weiterverfolgen. Aus der vergleichenden Betrachtung der beiden arithmetisch offenen Aufgaben konnte ferner gefolgert werden, dass die Kinder insbesondere bei der Bearbeitung der zweiten arithmetisch offenen Aufgabe A2 [Ergebnis 12] ihre muster-bildenden Ideen in der Reflexion erweitern. Dies kann auf die inhaltliche Ausrichtung der Aufgabe selbst zurückgeführt werden, da das Ergebnis mit 12 festgelegt wurde und eine Verschiedenheit der Zahlensätze häufig über das Produzieren von wachsenden Zahlenmustern erreicht wurde. Diese Feststellung bedeutet daher auch, dass die Wahl der Aufgabenbedingung in der arithmetisch offenen Aufgabe zu einem gewissen Grad auch die Ideentypen der Schüler*innen beeinflussen kann.

  • Ein Unterschied zwischen der Bearbeitung der ersten und zweiten arithmetisch offenen Aufgabe tat sich hinsichtlich der Anzahl struktur-nutzender Ideen auf, welche die Erstklässler*innen in beiden Phasen zeigten. Dabei zeigten die Erstklässler*innen von der ersten zur zweiten Aufgabe mehr Ideen mit diesem arithmetischen Ideentyp. Zudem konnte ausdifferenziert werden, dass bei der Aufgabe A1 [Zahl 4] von der Produktions- zur Reflexionsphase eine Verdreifachung der struktur-nutzenden Ideen stattfand. Bei der zweiten Aufgabe A2 [Ergebnis 12] lag nur eine Verdopplung vor. Dies kann dahingehend gedeutet werden, dass die Reflexionsphase für die Entdeckung und Nutzung von arithmetischen Strukturen insbesondere bei der erstmaligen Bearbeitung einer arithmetisch offenen Aufgabe bedeutsam ist. Bei der zweiten Bearbeitung zeigten die Kinder bereits in der Produktionsphase viele arithmetische Strukturen. Inwiefern dieser Umstand auf einen Lerneffekt in der Bearbeitung dieses speziellen Aufgabentyps und/oder auf unterrichtliche Umstände zurückgeführt werden muss, kann an dieser Stelle (noch) nicht abschließend geklärt werden.

  • Bei der Analyse der klassifizierenden Ideen war auffällig, dass dieser Ideentyp von den Erstklässler*innen vor allem in der Reflexionsphase, aber insbesondere bei der Bearbeitung der zweiten arithmetisch offenen Aufgabe A2 [Ergebnis 12] gezeigt wurde. Dies kann möglicherweise dadurch erklärt werden, dass die Kinder in der Reflexionsphase versuchten, ihre produzierten Zahlensätze miteinander in Verbindung zu bringen. Nachdem sie arithmetische Strukturen und numerische Muster bereits entdeckt hatten, zeigten sie dann noch klassifizierenden Ideen, um die übrigen Zahlensätze zu sortieren. Dieses Vorgehen der Erstklässler*innen wurde möglicherweise durch die Formulierung der Impulsfrage „Was fällt dir auf?“ (vgl. Abschn. 7.2.2) begünstigt.

1.2 Variation der Kreativitätstypen bei der Bearbeitung der beiden arithmetisch offenen Aufgaben

“Numerous research reports (Baer, 1991, 1992, 1993, 1994a, 1994b, in press-a; Runco, 1987, 1989) have shown that the skills underlying creative performance may be quite task specific […].” (Baer, 1996, S. 183)

Nachdem zuvor eine mathematische Analyse der kreativen Bearbeitungen der beiden arithmetisch offenen Aufgaben im Vergleich durchgeführt wurde, werden nun explizit die Erstklässler*innen als kreative Personen fokussiert. In Abschnitt 9.3 wurden die Typen der individuellen mathematischen KreativitätFootnote 1 empirisch auf Grundlage der Charakterisierung der individuellen mathematischen Kreativität (vgl. Abschn. 9.2, insbesondere Abb. 9.10) gebildet. So beschreiben diese Kreativitätstypen die während der Aufgabenbearbeitungen gezeigte individuelle mathematische Kreativität der Erstklässler*innen. Dabei wurden allen Kindern jeweils zwei Kreativitätstypen zugeordnet – nämliche ein Kreativitätstyp, der die Bearbeitung der ersten arithmetisch offenen Aufgabe A1 [Zahl 4] beschreibt, und ein Kreativitätstyp für die zweite arithmetisch offene Aufgabe A2 [Ergebnis 12]. Durch diesen Umstand und unter der übergeordneten dritten Forschungsfrage, welchen Einfluss die beiden ausgewählten arithmetisch offenen Aufgaben auf die individuelle mathematische Kreativität der Lernenden nehmen (vgl. Abschn. 5.2), war es möglich, intrapersonelle Vergleiche der individuellen mathematischen Kreativität der Erstklässler*innen beim Bearbeiten zweier arithmetisch offener Aufgaben zu ziehen. Dabei sollte zuerst der Frage nachgegangen werden, inwiefern die Erstklässler*innen bei der Bearbeitung der beiden arithmetisch offenen Aufgaben unterschiedliche Kreativitätstypen signalisieren. Zusätzlich zu diesem Vergleich der gezeigten Kreativitätstypen bei der Bearbeitung der beiden arithmetisch offenen Aufgaben ermöglichte der Vergleich derjenigen Ideentypen, die den Bearbeitungsprozess der Kinder prägten (vgl. ausführlich Abschn. 9.3.3), vertiefte Einblicke in die Variation der Kreativität der Erstklässler*innen.

Die nachfolgende Tabelle 10.1 listet für alle 18 Erstklässler*innen die zwei bei den arithmetisch offenen beiden Aufgaben A1 [Zahl 4] und A2 [Ergebnis 12] analysierten Typen der individuellen mathematischen Kreativität auf. Durch einen Vergleich der beiden Kreativitätstypen konnte bestimmt werden, inwiefern eine Variation der individuellen mathematischen Kreativität bei den einzelnen Kindern festzustellen war. Dieses Ergebnis wurde in der letzten Spalte der Tabelle eingetragen.Footnote 2

Tab. 10.1 Kreativitätstypen der 18 Erstklässler*innen bei beiden arithmetisch offenen Aufgaben im Vergleich

Aus dieser Übersicht (vgl. Tab. 10.1) kann abgelesen werden, dass insgesamt sechs der 18 Erstklässler*innen (Jessika, Mona, Ben, Melina, Lars, Jana) bei beiden kreativen Bearbeitungen der arithmetisch offenen Aufgaben den exakt gleichen Typ der individuellen mathematischen Kreativität zeigten. Mit Rückgriff auf das Eingangszitat zu diesem Kapitel – „Creativity varies from task to task.“ (Baer & Kaufman, 2012, S. 2) – konnte demnach bei diesen sechs Kindern keine Variation ihrer individuellen mathematischen Kreativität analysiert werden. Dagegen konnten auch sechs Kinder identifiziert werden (Anna, Henry, Noah, Annika, Lana, Sophia), die eine vollständige Variation ihrer individuellen mathematischen Kreativität bei der Bearbeitung der beiden arithmetisch offenen Aufgaben aufwiesen, wobei sowohl der Kreativitätstyp als auch die entsprechende Ausprägung in der Erweiterung nicht übereinstimmten. Zwischen diesen beiden Extrema, keine Variation und vollständige Variation, fanden sich zudem sechs Erstklässler*innen (Sebastian, Marie, Lukas, Alina, Alim, Max), bei denen eine Variation in einzelnen Aspekten der beiden Kreativitätstypen festgestellt werden konnte. Bei diesen von mir sogenannten partiellen Variationen war auffällig, dass die Kreativitätstypen der Kinder immer in Bezug auf die vier unterschiedlichen Typen (1 bis 4) variierten, die Ausprägung der Erweiterung (a oder b) aber bei der Bearbeitung beider Aufgaben übereinstimmte. Sebastian realisierte z. B. die Kreativitätstypen 1b sowie 4b und variierte daher in Bezug auf die übergeordneten Kreativitätstypen (1, 4), ließ aber immer eine schwache Erweiterung (b) erkennen. Zudem zeigten die sechs Erstklässler*innen mit einer partiellen Variation immer die gleiche Erweiterung, nämlich die Ausprägung b (schwach). Damit verteilen sich die 18 Erstklässler*innen gleichmäßig auf drei verschiedene Variationsarten.

Aus diesen Erkenntnissen konnte geschlussfolgert werden, dass sich die Variation der individuellen mathematischen Kreativität der Erstklässler*innen von der ersten zu zweiten arithmetisch offenen Aufgabe auf einem Kontinuum von keiner Variation, über eine partielle Variation bis hin zu einer vollständigen Variation ansiedelt (vgl. Abb. 10.4):

Abb. 10.4
figure 4

Kontinuum der Variation der individuellen mathematischen Kreativität von der ersten zur zweiten arithmetisch offenen Aufgabe

Die Kreativitätstypen der Erstklässler*innen sollen diesem Kontinuum entsprechend noch einmal sortiert und aufgelistet werden (vgl. Tab. 10.2). Dieser Übersicht kann entnommen werden, dass in der Gruppe der sechs Erstklässler*innen, die alle keine Variation ihrer individuellen mathematischen Kreativität bei beiden Aufgabenbearbeitungen zeigten, kein Kreativitätstyp bedeutsam häufig vertreten ist. Weiterhin ist auffällig, dass alle sechs Erstklässler*innen mit einer partiellen Variation ihrer individuellen mathematischen Kreativität in der Reflexionsphase ihre eigene Produktion von Ideen und Ideentypen schwach erweiterten (Ausprägung b). Bezogen auf die Unterschiede in ihren kreativen Vorgehens- und Verhaltensweisen bei der Bearbeitung der beiden arithmetisch offenen Aufgaben, die über den zugeordneten Kreativitätstyp ausgedrückt werden, lassen sich weder bei diesen Kindern noch bei den sechs Erstklässler*innen mit einer vollständigen Variation übergreifende Muster erkennen. Die Lernenden zeigten insgesamt eine sehr individuelle Ausprägung in ihrer Variation. Dieses Ergebnis stützt die These, dass die individuelle mathematische Kreativität ein aufgabenspezifisches Konstrukt ist und sie daher von Aufgabe zu Aufgabe variiert.

Tab. 10.2 Art der Variation der individuellen mathematischen Kreativität der Erstklässler*innen

Zusätzlich zu diesen Erkenntnissen über die verschiedenen Ausprägungen der Variation der individuellen mathematischen Kreativität der Erstklässler*innen schloss sich eine vergleichende Analyse der kreativen Aufgabenbearbeitungen der Erstklässler*innen auf mathematischer Ebene an. Dafür wurde auf die bereits in Abschnitt 9.3.3 ausführlich dargestellte Charakterisierung der Aufgabenbearbeitungen über die arithmetischen Ideentypen, welche die Produktions- und Reflexionsphase der Erstklässler*innen besonders prägten, zurückgegriffenFootnote 3. Die nachfolgende Tabelle 10.3 listet die Charakterisierungen der beiden Aufgabenbearbeitungen für alle 18 Erstklässler*innen auf. Analog zur vorherigen vergleichenden Analyse wurde in der letzten Spalte eingetragen, inwiefern diese mathematischen Eigenschaften der kreativen Aufgabenbearbeitungen variierten.

Tab. 10.3 Vergleich der mathematischen Charakterisierung der Aufgabenbearbeitungen der Erstklässler*innen

Aus der obigen Darstellung konnte geschlussfolgert werden, dass die prägenden arithmetischen Ideentypen der Erstklässler*innen, die sie bei der kreativen Bearbeitung der beiden arithmetisch offenen Aufgaben zeigten, von Aufgabe zu Aufgabe überwiegend variierten. Für eine Einordnung der einzelnen Variationsausprägungen der Erstklässler*innen auf mathematischer Ebene eignete sich ebenfalls das zuvor erarbeitete Kontinuum zur Variation (vgl. Abb. 10.4), das von keiner Variation über eine partielle Variation bis hin zu einer vollständigen Variation reicht: Bei sechs der 18 Kinder (Sebastian, Alina, Jessika, Lana, Jana, Sophia) zeigten sich bei beiden Bearbeitungen der arithmetisch offenen Aufgaben die gleichen dominierenden arithmetischen Ideentypen in Produktions- und Reflexionsphase, sodass damit gar keine Variation erfolgte. Bei acht Erstklässler*innen zeichnete sich eine partielle Variation ab, da deren prägende arithmetische Ideentypen entweder in der Produktions- oder in der Reflexionsphasen variierten. Während bei drei Lernenden in der Produktionsphase verschiedenen Ideentypen dominierten (Marie, Lukas, Henry), konnten fünf Erstklässler*innen identifiziert werden, bei denen die prägenden arithmetischen Ideentyp in der Reflexionsphase variierten (Anna, Noah, Annika, Ben, Lars). Zuletzt konnte bei vier der 18 Erstklässler*innen (Mona, Alim, Melina, Max) eine vollständige Variation zwischen den Aufgabenbearbeitungen festgestellt werden, was bedeutet, dass sich die prägenden arithmetischen Ideentypen bei der Bearbeitung der arithmetisch offenen Aufgaben A1 [Zahl 4] und A2 [Ergebnis 12] komplett unterschieden.

Um die Variation der individuellen mathematischen Kreativität der Erstklässler*innen beim Bearbeiten der beiden arithmetisch offenen Aufgaben vollständig abzubilden, wurden in einem letzten Schritt die Ergebnisse der beiden zuvor dargestellten vergleichenden Analysen in Bezug auf die Kreativitätstypen (vgl. Tab. 10.1) und die prägenden arithmetischen Ideentypen (vgl. Tab. 10.3) miteinander in Beziehung gesetzt. Stimmten bei den Erstklässler*innen die beiden Ausprägungen der Variation exakt überein, dann wurde diese Ausprägung auch für die gesamte Variation übernommen (z. B. vollständige Variation in den Kreativitätstypen und vollständige Variation in den prägenden arithmetischen Ideentypen vollständige Variation). Unterschieden sich die analysierten Variationsausprägungen voneinander, dann wurde eine partielle Variation bestimmt (z. B. vollständige Variation in den Kreativitätstypen und partielle Variation in den prägenden arithmetischen Ideentypen partielle Variation). Auf diese Weise wurde das entwickelte Kontinuum der Variation erneut angewendet. Die folgende Tabelle 10.4 zeigt das Ergebnis ddieser letzten vergleichenden Analyse.

Tab. 10.4 Vergleich der Variation der Kreativitätstypen und der mathematischen Variation

Zwei Erstklässlerinnen (Jessika, Jana) zeigten insgesamt, d. h. sowohl in ihren Kreativitätstypen als auch den prägenden arithmetischen Ideentypen, keine Variation ihrer individuellen mathematischen Kreativität von der ersten arithmetisch offenen Aufgabe A1 [Zahl 4] zur zweiten Aufgabe A2 [Ergebnis 12]. Alle anderen 16 der 18 Erstklässler*innen zeigten partielle Variationen unterschiedlicher Ausprägungen, wobei nahezu alle Kombinationsmöglichkeiten in den Ausprägungen beider Variationsaspekte vertreten waren (vgl. ausführlich Tab. 10.4). An diesen Erkenntnissen wird deutlich, dass für den Großteil der Erstklässler*innen (16 von 18 Kinder, gerundet 89 %) das Eingangszitat von Baer und Kaufman (2012) „Creativity varies from task to task“ (S. 2) zutrifft.

1.3 Zusammenfassung

In diesem Abschnitt wurden alle Ergebnisse präsentiert, die zu einer Beantwortung der dritten Forschungsfrage, inwiefern die beiden arithmetisch offenen Aufgaben A1 [Zahl 4] und A2 [Ergebnis 12] einen Einfluss auf die individuelle mathematische Kreativität der Erstklässler*innen nehmen, beitrugen. Dazu wurde zunächst ein Vergleich der kreativen Aufgabenbearbeitungen auf mathematisch inhaltlicher Ebene der arithmetischen Ideentypen (vgl. Abschn. 10.1.1) und anschließend ein Vergleich der Kreativitätstypen der Erstklässler*innen bei der Bearbeitung der arithmetisch offenen Aufgaben A1 [Zahl 4] und A2 [Ergebnis 12] vorgenommen (vgl. Abschn. 10.1.2).

Mit Blick auf die zuerst vorgenommene vergleichende Analyse der beiden Aufgabenbearbeitungen über eine Quantifizierung des qualitativen Kategoriensystems der arithmetischen Ideentypen (vgl. Abb. 10.2 und Abb. 10.3) zeigten die Erstklässler*innen in der Produktionsphase bei beiden arithmetisch offenen Aufgaben am häufigsten frei-assoziierte Ideen, wobei der Anteil bei der ersten arithmetisch offenen Aufgabe A1 [Zahl 4] mit 39 % im Vergleich zur zweiten Aufgabe A2 [Ergebnis 12] mit 35 % etwas höher war. Dafür war in ebendieser unterrichtlichen Phase der Anteil der struktur-nutzenden Ideen bei der zweiten arithmetischen Aufgabe mit 25 % deutlich größer als bei der ersten arithmetisch offenen Aufgabe mit 14 %. Die muster-bildenden Ideen machten sowohl in Bezug auf die beiden Phasen im Bearbeitungsprozess als auch in Bezug auf die beiden arithmetisch offenen Aufgaben den größten Anteil der vier arithmetischen Ideentypen aus. In der Reflexionsphase erhöhte sich bei den kindlichen Aufgabenbearbeitungen insbesondere der Anteil der struktur-nutzenden Ideen deutlich, nämlich bei A1 um den Faktor 2,98 und bei A2 um den Faktor 2,1. So konnte über diese Analyse insgesamt die mathematikdidaktische Bedeutsamkeit der Reflexionsphase herausgearbeitet werden, die bei beiden arithmetisch offenen Aufgaben zu einem bedeutsamen Anstieg vor allem in den struktur-nutzenden, den muster-bildenden und bei A2 [Ergebnis 12] auch in den klassifizierenden Ideen führte (vgl. ausführlich Abschn. 10.1.1).

Bei der zweiten vergleichenden Analyse konnte festgehalten werden, dass die individuelle mathematische Kreativität der 18 Erstklässler*innen bei der Bearbeitung der beiden arithmetisch offenen Aufgaben sowohl auf Ebene der Kreativitätstypen (vgl. Tab. 10.1) als auch auf mathematischer Ebene (prägende Ideentypen) (vgl. Tab. 10.3) variierte. Die Ausprägung der Variation wurde dabei über ein Kontinuum von keiner, über eine partielle bis hin zu einer vollständigen Variation bestimmt (vgl. Abb. 10.4). Erstklässler*innen, die eine partielle oder vollständige Variation in ihren Kreativitätstypen aufwiesen, zeigten Unterschiede sowohl in ihren kreativen Vorgehens- als auch Verhaltensweisen bei der Bearbeitung der beiden arithmetisch offenen Aufgabe. Mit Blick auf die den Bearbeitungsprozess prägenden arithmetischen Ideentypen konnte zudem festgestellt werden, dass die meisten Erstklässler*innen, nämlich acht von 18, eine partielle Variation vor allem in der Reflexionsphase vornahmen, was die Ergebnisse zur Variation in den Kreativitätstypen ergänzte. Zusätzlich variierten weitere sechs Erstklässler*innen ihre prägenden arithmetischen Ideentypen vollständig. Durch eine abschließende Kombination beider Variationsaspekte, Kreativitätstypen und prägende arithmetische Ideentypen, zeigten insgesamt 16 der 18 Erstklässler*innen eine verschiedenartig partielle bis vollständige Variation. Daraus ließ sich schlussfolgern, dass insgesamt die individuelle mathematische Kreativität der Erstklässler*innen von Aufgabe zu Aufgabe variiert (vgl. ausführlich Abschn. 10.1.2).

2 Unterstützungsmöglichkeiten durch (meta-)kognitive Prompts (F4)

„scaffolding that combines cognitive and metacognitive support and uses […] prompting seems to assure the best results“ (Saks & Leijen, 2019, S. 3)

Im Zuge der Entwicklung des Modells zur individuellen mathematischen Kreativität von Schulkindern (InMaKreS) wurde die besondere Bedeutung der divergenten Fähigkeit Elaboration hervorgehoben. Bei dieser handelt es sich um die Fähigkeit der Kinder, „die Produktion ihrer verschiedenen Ideen und je nach Vermögen auch ihrer gezeigten Ideentypen zu erklären“ (Abschn. 2.4.1). Dieses bei jedem Kind unterschiedlich ausgeprägte Vermögen kann einen Einfluss auf die anderen divergenten Fähigkeiten (Denkflüssigkeit, Flexibilität und Originalität) nehmen, da sich die Lernenden durch die Verbalisierung und Ausarbeitung ihrer Ideen diesen stärker bewusst werden, sie diese reflektieren und dadurch möglicherweise zu weiteren Ideen bzw. Ideentypen angeregt werden können (vgl. Abschn. 2.3.3.1 und 4.2.1). Die Unterstützung der Elaborationsfähigkeit beim Bearbeiten arithmetisch offener Aufgaben scheint daher für das Zeigen der individuellen mathematischen Kreativität von Schüler*innen bedeutsam. In diesem Zusammenhang wurden auf einer theoretischen Ebene als eine mögliche Scaffolding-Methode (vgl. Abschn. 4.1) der Einsatz von (meta-)kognitiven Lernprompts als besonders wirksam herausgearbeitet (vgl. Abschn. 4.2). Von dieser Erkenntnis geleitet entwickelte sich die vierte Forschungsfrage der empirischen Untersuchung der Kreativität von Erstklässler*innen beim Bearbeiten arithmetisch offener Aufgaben:

  1. F4

    Inwiefern unterstützen kognitive und metakognitive Lernprompts Kinder dabei, ihren Bearbeitungsprozess von arithmetisch offenen Aufgaben sprachlich zu begleiten und dadurch ihre individuelle mathematische Kreativität zu zeigen?

Nachfolgend wird daher ein detaillierter Blick auf die während der Unterrichtsepisoden eingesetzten zehn verschiedenen (meta-)kognitiven Lernprompts (vgl. Abschn. 7.2.3) und vor allem die Unterstützung der Erstklässler*innen im Sinne der Elaboration gelegt. Die fünf kognitiven Prompts stellten verbale Aufforderungen dar, welche die Kinder auf mathematischer Ebene bei der Bearbeitung der arithmetisch offenen Aufgaben durch konkrete arithmetische Instruktionen, explizite Beispiele für Zahlensätze sowie Rechenhilfen unterstützten. Die fünf metakognitiven Prompts waren zudem als temporäre Unterstützungsangebote gedacht, damit die Kinder ihren Bearbeitungsprozess selbstständig überwachen und regulieren konnten. Metakognitive Prompts nehmen vor allem in Bezug auf das Zeigen der individuellen mathematischen Kreativität einen besonderen Stellenwert ein, da durch sie reflektierende Erkenntnisse für die Bearbeitung der arithmetisch offenen Aufgaben bei den Erstklässler*innen angeregt werden können (vgl. ausführlich Abschn. 4.2.1). Aus einer Analyse der Unterrichtsepisoden hinsichtlich des Einsatzes und der Wirksamkeit der verschiedenen (meta-)kognitiven Prompts zur Unterstützung der Erstklässler*innen bei ihrer Elaborationsfähigkeit können Konsequenzen für die Gestaltung solcher kreativitätsanregender Unterrichtsepisoden, aber auch erste Erkenntnisse über den Einsatz von Lernprompts während der kreativen Bearbeitung offener Aufgaben im mathematischen Anfangsunterricht gezogen werden.

In Anlehnung an die Definitionen der divergenten Fähigkeiten Denkflüssigkeit, Flexibilität und Originalität im Rahmen des InMaKreS-Modells (vgl. Abschn. 2.4) und die daraus entstandenen methodischen Gestaltung der Unterrichtsepisoden (vgl. Abschn. 7.2.2) erfüllten die zehn vordefinierten und eingesetzten (meta-)kognitiven Lernprompts (vgl. Abschn. 7.2.3, insbesondere Tab. 7.6) drei Funktionen:

  1. 1.

    Drei (meta-)kognitive Prompts zielten auf eine Unterstützung der Erstklässler*innen beim Produzieren von Zahlensätzen ab (Prompts 1, 2, 6). Dies bedeutet im Sinne des InMaKreS-Modells, dass die Denkflüssigkeit der Erstklässler*innen angeregt wurde, da anhand der Zahlensätze die Ideen der Lernenden sichtbar werden konnten.

  2. 2.

    Weitere vier (meta-)kognitive Prompts unterstützen die Erstklässler*innen beim Erklären ihrer Idee bzw. der zugrunde liegenden Zahl-, Term- und Aufgabenbeziehungen (Prompts 3, 4, 7, 8). Dadurch konnten die Lernenden ihre divergente Fähigkeit der Flexibilität entfalten, indem sie verschiedene arithmetische Ideentypen (vgl. Abschn. 9.1.1) zeigen konnten.

  3. 3.

    Die Erstklässler*innen wurden zudem in der Reflexionsphase in Bezug auf ihre Fähigkeit der Originalität und daher bei der Reflexion und Erweiterung ihrer eigenen Produktion unterstützt (vgl. Abschn. 7.2.2). Dazu wurden drei Prompts definiert, die verschiedene Unterstützungsmöglichkeiten der Lernenden beim Erklären und Reflektieren ihrer eigenen Produktionen darstellten (Prompt 5, 9, 10).

Die zuvor dargestellten drei Funktionen und die entsprechenden (meta-)kognitiven Prompts lassen sich in Bezug auf ihre Unterstützung der Erstklässler*innen während der verschiedenen Bearbeitungsphasen wie folgt zuordnen.

Tab. 10.5 Funktionen und Anwendungsmöglichkeiten der zehn (meta-)kognitiven Prompts

Im Rahmen der umfassenden qualitativen Video-Inhaltsanalyse der Unterrichtsepisoden wurde an dieser Stelle der empirischen Studie zur individuellen mathematischen Kreativität von Erstklässler*innen beim Bearbeiten arithmetisch offener Aufgaben nun untersucht, inwiefern die zehn eingesetzten (meta-)kognitiven Prompts die drei zuvor dargestellten Funktionen als Unterstützungsmaßnahmen erfüllten (vgl. Tab. 10.5). So entstanden zunächst deduktiv zehn Hauptkategorien, die in der nachfolgenden Tabelle 10.6 aufgelistet und definiert werden.

Tab. 10.6 Übersicht und Definitionen der zehn deduktiven Hauptkategorien

Bei der Analyse der 36 Unterrichtsepisoden galt es nun, die unterstützende Funktion der eingesetzten (meta-)kognitiven Prompts qualitativ, d. h. durch induktiv gebildete Subkategorien, zu beschrieben. Wurde bspw. während einer kreativen Aufgabenbearbeitung der metakognitive Prompts 3 von mir als Lehrenden-Forschenden adaptiv eingesetzt, dann geschah dies deshalb, weil ich das Kind darin unterstützten wollte, seine Ideen durch Zahl-, Term- oder Aufgabenbeziehungen zu erklären. Nun sollte retrospektiv analysiert werden, inwiefern der eingesetzte Prompt seine Funktion in dieser spezifischen Unterrichtssituation erfüllte und das Kind bei der Elaboration unterstützte. In diesem konkreten Beispiel wurde so zu der Hauptkategorie 2a eine passende Subkategorie am Datenmaterial erarbeitet, welche die Unterstützung dieses metakognitiven Prompts qualitativ beschreibt. Auf diese Weise wurden alle Unterrichtsepisoden analysiert, um ein vollständiges Kategoriensystem zu entwickeln, das abbildet, wie die verschiedenen (meta-)kognitiven Prompts ihre Funktion als Unterstützungsmöglichkeiten der Kinder erfüllten.

Nachfolgend wird erneut die Bearbeitung der zweiten arithmetisch offenen Aufgabe A2 [Ergebnis 12] des Erstklässlers Lars genutzt (vgl. Abb. 10.5), um die Analyse sowie Kategorienbildung exemplarisch zu verdeutlichen. Dafür wurde auf das individuelle Kreativitätsschema (vgl. Abschn. 9.1.2) des Erstklässlers zurückgegriffen, das seine kreative Aufgabenbearbeitung schematisiert darstellt und indem bereits notiert wurde, bei welchen Zahlensätzen der Erstklässler durch Lernprompts unterstützt wurde (gefärbte Kästchen). Dabei wurde die Nummer der individuell eingesetzten (meta-)kognitiven Prompts vermerkt (vgl. ausführlich Tab. 9.1).

Abb. 10.5
figure 5

Individuelles Kreativitätsschemata Lars, A2

Bei dem Erstklässler Lars wurden insgesamt vier metakognitive Prompts eingesetzt: Der Junge wurde am Ende der Produktionsphase darin unterstützt, passende Zahlensätze zu der arithmetisch offenen Aufgabe A2 [Ergebnis 12] zu finden (Prompt 1). Dieser Moment im Bearbeitungsprozess wurde der Tabelle 10.6 entsprechend der Hauptkategorie 1a zugeordnet. Zudem wurde dem Lernenden bzgl. der Erklärung seiner Zahl-, Term- und Aufgabenbeziehungen geholfen, indem er zweimal gebeten wurde, seine Idee zu erklären (Prompt 3 – Hauptkategorie 2a), sowie einmal, die Position seines abgelegten Zahlensatzes zu erläutern (Prompt 4 – Hauptkategorie 2b). Aus letzterem können deshalb Rückschlüsse auf die zugrundeliegenden arithmetischen Ideentypen gezogen werden, da bspw. Tauschaufgaben nebeneinander positioniert werden können, um eine Zugehörigkeit auszudrücken (vgl. hierzu Abschn. 9.1.2). Der Grad an Unterstützung der verschiedenen metakognitiven Prompts wurde mit Blick auf Lars’ gesamte Unterrichtsepisode über induktiv unterschiedliche Subkategorien herausgearbeitet. Exemplarisch wird im Folgenden die Analyse der beiden in der Reflexionsphase eingesetzten (meta-)kognitive Prompts dargestellt:

  • Bei der Produktion des unpassenden Zahlensatzes *\(12 - 11 = 1\) wurde der Erstklässler Lars zunächst darauf aufmerksam gemacht, dass dieser Zahlensatz die Aufgabenbedingung der arithmetisch offenen Aufgabe A2 nicht erfüllte. So wurde er gefragt, ob das Ergebnis der Aufgabe Zwölf sei (57-D-m_A2, 00:03:20 – 00:03:22). Diesen Umstand verneinte Lars und sagte: „Vorne zeigt auf die Zwölf als Minuend“ (vgl. 57-D-m_A2, 00:03:22 – 00:03:24). Damit fand hier eine implizite Aufforderung zur Erklärung des produzierten Zahlensatzes über eine Form des metakognitiven Prompts 3 statt (Hauptkategorie 2a). Lars’ kurze Erklärung auf diese Unterstützungsmaßnahme verdeutlichte, dass er bei der Produktion dieses Zahlensatzes keinen Bezug zu seinen vorherigen Zahlensätze herstellte, sondern die besondere Zahl in der Aufgabenbedingung fokussierte, indem er sie (im Unterschied zu den zuvor produzierten Zahlensätzen (\(10 + 2 = 12\) und \(11 + 1 = 12\)) bewusst als Minuenden platzierte. Dem Kategoriensystem der arithmetischen Ideentypen (vgl. Abschn. 9.1.1) entsprechend zeigte der Erstklässler somit eine frei-assoziierte Idee bei Beachtung der besonderen Zahl in der Aufgabenbedingung (ass-bes-bed). Diesen speziellen Ideentyp zeigte er weder zuvor noch später in seinem Bearbeitungsprozess. Damit wurde hier die unterstützende Wirkung dieses metakognitiven Prompts durch die beiden qualitativ beschreibenden Subkategorien Erklärung eines zuvor noch nicht gezeigten arithmetischen Ideentyps und arithmetischer Ideentyp wird nicht wiederholt gefasst.

  • Direkt im Anschluss an die Feststellung, dass der Erstklässler Lars einen unpassenden Zahlensatz produziert hatte, wurde für das Kind noch einmal die arithmetisch offene Aufgabe A2 [Ergebnis 12] verdeutlicht und damit der metakognitive Prompt 1 (Hauptkategorie 1a) eingesetzt: „Ich hätte aber gerne die Zwölf immer hinten.“ (57-D-m_A2, 00:03:25 – 00:03:29). Darüber dachte der Erstklässler nach und bat um eine Bestätigung, dass er die Anforderung richtig verstanden habe, indem er auf das Ergebnis des Zahlensatzes *\(12 - 11 = 1\) zeigte und fragte: „Da?“ (57-D-m_A2, 00:03:29 – 00:03:32). Dies bejahte die Lehrende-Forschende mit einem Nicken und fuhr fort, das Kind zu ermutigen, noch weitere Zahlensätze zu finden. Anstatt jedoch weitere Ideen zu produzieren, fokussierte der Erstklässler erneut seinen zur arithmetisch offenen Aufgabe passenden und bereits zuvor produzierten Zahlensatz \(10 + 2 = 12\) (vgl. 57-D-m_A2, 00:03:30 – 00:03:42). In dieser kurzen Unterrichtssituation wurde deutlich, dass der eingesetzte metakognitive Prompt 1 seine Funktion insofern erfüllte, als dass Lars zwar keinen weiteren Zahlensatz produzierte, aber über einen passenden Zahlensatz erneut reflektierte. Daher wurde für die Hauptkategorie 1a hier als unterstützende Wirkung des Prompt 1 die beschreibende Subkategorie Produktion/Reflektieren eines passenden Zahlensatzes gebildet.

Diese ausführlich dargestellte Analyse der Elaborationsfähigkeit des Erstklässlers Lars, d. h. seiner Erklärungen von Ideen und/oder Ideentypen, offenbarte bereits verschiedene Subkategorien (kursiv hervorgehoben), welche die konkrete Unterstützung des Kindes durch die eingesetzten (meta-)kognitiven Prompts qualitativ beschreiben. Nachfolgend wird nun das Ergebnis der Analyse aller 36 Aufgabenbearbeitungen und damit das Kategoriensystem zur Unterstützung der Erstklässler*innen durch (meta-)kognitive Prompts ausführlich erläutert.

2.1 Kategoriensystem Unterstützung der Erstklässler*innen durch (meta-)kognitive Prompts

„Warte bitte kurz, bevor du die Aufgabe auf den Tisch hinlegst – ich bin ganz neugierig: Kannst du mir erklären, wie du diese Aufgabe gefunden hast? Was war deine Idee?“ (metakognitiver Prompt 3, Tab. 7.6)

Bei der ausführlichen Analyse aller 36 Unterrichtsepisoden hinsichtlich der tatsächlichen Unterstützung der Erstklässler*innen durch die verschiedenen (meta-)kognitiven Prompts konnte zunächst festgestellt werden, dass von den zehn vordefinierten (meta-)kognitiven Prompts bei den Unterrichtsepisoden nicht alle Prompts auch tatsächlich zum Einsatz kamen. Dies kann darauf zurückgeführt werden, dass die Prompts aus der Theorie heraus entwickelt wurden und in den konkreten Unterrichtssituationen mit den Erstklässler*innen nur absichtsvoll, in Maßen und vor allem adaptiv eingesetzt werden sollten. Ob die Erstklässler*innen einer Unterstützung durch einen (meta-)kognitiven Prompt bedurften, wurde von mir als Lehrende-Forschende in jeder einzelnen Unterrichtsepisode anhand des definierten Einsatzzwecks (vgl. Tab. 7.6), aber vor allem spontan und individuell entschieden. So zeigte sich, dass alle fünf metakognitiven Prompts sowie die kognitiven Prompts 9 und 10 mehr oder minder häufig zum Einsatz kamen, während die kognitiven Prompts 6, 7 und 8 in den Unterrichtsepisoden nicht ein einziges Mal eingesetzt wurden. Dieses Ergebnis, dass nur wenige kognitive Prompts während der Unterrichtsepisoden adaptiv eingesetzt wurden, bestärkt umgekehrt die Bedeutung metakognitiver Prompts gegenüber den kognitiven in Bezug auf das Zeigen der individuellen mathematischen Kreativität. Im theoretischen Abschnitt 4.2.1 konnte diesbezüglich herausgearbeitet werden, dass metakognitive Prompts insbesondere die Reflexion über das eigene (Lern-)Handeln sowie Monitoring-Prozesse bei der Bearbeitung von Aufgaben unterstützen können. Dabei spielt gerade eine reflektierende Haltung beim Zeigen der individuellen mathematischen Kreativität nicht nur in der Reflexionsphase eine bedeutsame Rolle, sondern auch bei der Produktion verschiedener Ideen und Ideentypen. Mit Blick auf die tatsächlich eingesetzten (meta-)kognitiven Prompts ergab sich die folgende aktualisierte Liste an sieben Hauptkategorien, wobei die Definitionen der vorherigen Tabelle 10.6 entnommen werden können.

Tab. 10.7 Empirisch tatsächlich eingesetzte (meta-)kognitive Prompts als deduktive Hauptkategorien

Nachfolgend werden nun die verschiedenen Subkategorien dieser Hauptkategorien vorgestellt. Dazu werden neben den Definitionen auch passenden Ankerbeispielen aus den Unterrichtsepisoden präsentiert (vgl. ausführliches Codebuch im elektronischen Zusatzmaterial)

2.1.1 Produktion eines weiteren Zahlensatzes

Unter der ersten Funktion von Lernprompts, d. h. der Unterstützung der Erstklässler*innen bei der Produktion von Zahlensätzen, wurden zwei Hauptkategorien gefasst. Die Kinder wurden entweder durch eine verbale Erläuterung der arithmetisch offenen Aufgaben (Hauptkategorie 1a – Prompt 1) oder durch eine Unterstützung beim Ausrechnen verschiedener selbst gewählter Zahlensätze (Hauptkategorie 1b – Prompt 2) unterstützt. Dazu dienten die nachfolgenden exemplarischen Formulierungen (vgl. Tab. 7.6):

Prompt 1::

„Findest du eine Rechenaufgabe mit der Zahl 4? Du darfst entscheiden, an welcher Stelle und wie oft die Zahl 4 in deiner Aufgabe vorkommt.“

Prompt 2::

„Sollen wir den Zahlensatz zusammen ausrechnen?“

Die Wirkung dieser beiden Prompts beschränkte sich auf zwei induktiv erarbeitete Subkategorien, wobei die Schüler*innen nach dem Einsatz des Prompts 1 oder 2 in jedem Fall einen Zahlensatz produzierten. Im Folgenden werden nun ausgewählte Ankerbeispiele zu den erarbeiteten Subkategorien passende Zahlensätze (i) und unpassendeFootnote 4 Zahlensätze (ii) präsentiert (vgl. Codebuch im elektronischen Zusatzmaterial).

  • Die Erstklässler*innen produzierten unpassende Zahlensätze nach einer verbalen Erläuterung der arithmetisch offenen Aufgabe (Hauptkategorie 1a). Bspw. wurde der Erstklässler Sebastian nach seiner Produktion des unpassenden Zahlensatzes \(9 \cdot 9 = 81\) zur arithmetisch offenen Aufgabe A1 [Zahl 4] und seiner Frage „Darf ich denn auch mit [unverständlich] ich mach die Malaufgaben und darf ich auch mit Minus machen?“ (1-W-m_A2, 00:08:20 – 00:09.30) wie folgt bestärkt: „Natürlich, du sollst Aufgaben finden mit der Zahl 4. Und wie die Aufgaben aussehen, das entscheidest du. Es gibt ja ganz viele Aufgaben mit der Zahl 4 drin“ (1-W-m_A2, 00:08:20 – 00:09.30). Daraufhin bildete Sebastian erneut einen unpassenden Zahlensatz, nämlich \(9 \cdot 3 - 20 = 7\). Genauso produzierten die Kinder auch trotz einer Unterstützung beim Rechnen unpassende Zahlensätze zu den arithmetisch offenen Aufgaben (Hauptkategorie 1b). Hier sei das Beispiel von Marie angeführt, die versuchte, einen additiven Zahlensatz mit dem Ergebnis 12 und dem ersten Summanden 7 auszurechnen. Dies gelang ihr im ersten Anlauf nicht, weshalb sie zunächst aufgab und äußerte, dass ihr keine weiteren Zahlensätze mehr einfallen würden. Daraufhin wurde ihr von mir angeboten, diesen Zahlensatz gemeinsam auszurechnen. Da das Mädchen jedoch insgesamt fahrig agierte und nicht auf die zur Unterstützung angebotenen Finger der Lehrenden-Forschenden achtete, rechnete sie selbst zählend mit ihren Fingern und bot letztendlich den aufgrund eines Rechenfehlers unpassenden Zahlensatz *\(7 + 4 = 12\) dar (vgl. 6-W-w_A1, 00:02:50 – 00:03:22).

  • Häufig konnte jedoch beobachtet werden, dass die Erstklässler*innen nach einer verbalen Unterstützung (Hauptkategorie 1a) passende Zahlensätze zu der vorgelegten arithmetisch offenen Aufgabe hervorbrachten. Dabei stellten die Kinder meist selbst Fragen zum Verständnis der arithmetisch offenen Aufgabe, die dann bejaht oder verneint wurden. So fragte Alina etwa: „Geht denn auch, wenn ich hier vorne eine Sechs und dann in der Mitte was schreibe? Geht auch, dass die Vier rauskommt?“ (13-W-w_A1, 00:15:55 – 00:17:08) und erzeugte nach einer Bejahung ihrer Frage den passenden Zahlensatz \(6 - 2 = 4\). Ebenso führten Unterstützungen der Erstklässler*innen beim Ausrechnen (Hauptkategorie 1b) zu der Produktion passender Zahlensätze. Bspw. wollte Jessika einen Zahlensatz im Zahlenraum über Zehn bilden und wählte dazu den Term \(20 - 4\) aus. Dabei fiel es ihr noch schwer, das Ergebnis zu ermitteln. Daher fraget sie nach: „Darf man einen Rechen[rahmen] da hinmalen?“ (21-W-w_A2, 00:18:20 – 00:19:20) und skizzierte vier Kreise, die vermutlich Wendeplättchen oder einen Rechenrahmen darstellen sollten. Nach einigem Kopf- und Fingerrechnen mit Hilfe der Lehrenden-Forschenden kam sie schließlich auf das richtige Ergebnis \(20 - 4 = 16\).

2.1.2 Erklärung der zugrundeliegenden Zahl-, Term- oder Aufgabenbeziehungen

Die Wirkung derjenigen metakognitiven Prompts, welche die Erstklässler*innen bei der Erklärung ihrer arithmetischen Ideentypen unterstützen sollten, stellte sich in den 36 analysierten Unterrichtsepisoden der Kinder sehr vielfältig dar. In jedem Fall unterstützen diese Prompts die Erstklässler*innen darin, in der Produktions- und Reflexionsphase ihre Flexibilität zeigen zu können, da sie über das Verbalisieren der zugrundeliegenden Zahl-, Term- oder Aufgabenbeziehungen verschiedene arithmetische Ideentypen zeigen konnten. Für diese Funktion metakognitiver Prompts wurden zwei deduktive Hauptkategorien betrachtet. Dabei sollte der Prompt 3 die Schüler*innen darin unterstützen, eine Erklärung nach einer verbalen Nachfrage zu formulieren (Hauptkategorie 2a). Beim Prompt 4 sollten die Erstklässler*innen ihre Ideen anhand der Position des Zahlensatzes auf dem Tisch erklären (Hauptkategorie 2b). Für beide Prompts werden an dieser Stelle beispielhafte Formulierungen präsentiert (vgl. Tab. 7.6):

Prompt 3::

„Kannst du mir erklären, wie du diese Aufgabe gefunden hast? Was war deine Idee?“

Prompt 4::

„Du hast mir gerade erklärt, wie du auf diese Aufgabe gekommen bist. Versuch doch bitte jetzt, die Aufgabe so zu deinen anderen Aufgaben zu legen, dass ich dadurch auch erkennen kann, welche Idee du gehabt hast. Wo passt die Aufgabe am besten hin?“

Für beide Hauptkategorien konnten dieselben fünf Subkategorien herausgearbeitet werden, die qualitativ unterschiedlich unterstützende Wirkungen auf die Flexibilität der Erstklässler*innen abbilden. Die Unterstützung reichte von keiner Erklärung (i) über die Erklärung eines bereits zuvor gezeigten arithmetischen Ideentyps (ii) bis hin zu der Erklärung eines weiteren arithmetischen Ideentyps (iii). Dabei konnten die letzten beiden Kategorien noch einmal dahingehend differenziert werden, inwiefern die Erstklässler*innen den erklärten arithmetischen Ideentypen in ihrer weiteren Aufgabenbearbeitung noch einmal wiederholten oder nicht. Die nachstehende grafische Übersicht (vgl. Abb. 10.6) zeigt den Grad an Unterstützung der Erstklässler*innen bei der Erklärung ihrer Zahl-, Term- und Aufgabenbeziehungen durch die beiden metakognitiven Prompts 3 und 4:

Abb. 10.6
figure 6

Grad der Unterstützung der Erstklässler*innen bei der Erklärung der arithmetischen Ideentypen

Für diese unterschiedlichen Subkategorien sollen nun zur Veranschaulichung ausgewählte Ankerbeispiele aus den Unterrichtsepisoden mit den 18 Erstklässler*innen präsentiert werden (vgl. Codebuch im elektronischen Zusatzmaterial):

  • Bei der Unterstützung der Erstklässler*innen durch eine verbale Aufforderung (Hauptkategorie 2a), die Produktion ihres Zahlensatzes aufgrund verschiedener Zahl-, Term- und Aufgabenbeziehungen zu erklären, konnten Situationen identifiziert werden, in denen die Kinder keine Erklärung formulierten. Bspw. las Anna ihren produzierten Zahlensatz \(14 - 2 = 12\) einfach nur vor (vgl. 14-W-w_A2; 00:04:44 – 00:04:58). Außerdem gab es Momente in den Unterrichtsepisoden, in denen die Erstklässler*innen zwar eine Erklärung formulierten, diese jedoch keine mathematisch eindeutigen Rückschlüsse auf die von den Kindern fokussierten arithmetischen Ideentypen zuließen. So wurde bspw. die Subkategorie keine (im Sinne von nicht nachvollziehbare) Erklärung nach der Aufforderung zur Erklärung der Position des Zahlensatzes (Hauptkategorie 2b) bei Noah kodiert. Der Erstklässler positionierte bei der Bearbeitung der zweiten arithmetisch offenen Aufgabe den Zahlensatz \(13 - 1 = 12\) zwischen seinen beiden Zahlensätzen \(19 - 7 = 12\) und \(11 + 1 = 12\). Auf die Rückfrage, warum er die Zahlensätze so hingelegt hatte, antwortete der Junge: „Damit 11 und 13 nebeneinander sind.“ (20-W-m_A2; 00:04:30 – 00:05:55).

  • Erklärten die Erstklässler*innen nach einem metakognitiven Prompt ihre Produktion des Zahlensatzes über bereits zuvor gezeigte arithmetische Ideentypen, dann konnte dahingehend unterschieden werden, dass manche Schüler*innen diesen arithmetischen Ideentypen nicht oder noch einmal wiederholten. Um diese Subkategorien zuweisen zu können, musste daher immer das ganze individuelle Kreativitätsschema (vgl. Abschn. 9.1.2) der Erstklässler*innen in den Blick genommen werden.

    1. Beispiele für die Subkategorie Erklärung eines bereits zuvor gezeigten arithmetischen Ideentyps mit wiederholt Ideentyp nicht (ii1) für beide Hauptkategorien 2a (verbale Aufforderung zur Erklärung) und 2b (Aufforderung zur Erklärung der Position des Zahlensatzes) sind in dem Bearbeitungsprozess der ersten arithmetisch offenen Aufgabe von Lars zu finden. Bei der Bildung seines dritten Zahlensatzes \(5 + 4 = 9\) in der Produktionsphase wurde der Erstklässler zunächst gebeten, seine Produktion zu erklären (Hauptkategorie 2a). Daraufhin sagte er: „Ähm. Weil Fünf plus Fünf Zehn ist. Und dann, wenn man einen zurück rechnet, ist das Neun“ (57-D-m_A1, 00:03:20 – 00:04:00). In der Folge wurde der Erstklässler durch einen metakognitiven Prompt 4 gebeten, diesen Zahlensatz zu den anderen zu legen und seine Positionierung zu begründen (Hauptkategorie 2b). Lars erklärte hierauf die etwas abseits gelegene Position mit „Weil es mit Fünf anfängt“ (57-D-m_A1, 00:03:20 – 00:04:00). Aufgrund beider Prompts konnte analysiert werden, dass der Schüler eine frei-assoziierte Idee zeigte und insbesondere die Position der besonderen Zahl 4 aus der Aufgabenbedingung als zweiten Summanden fokussierte (ass-pos), da er von \(5 + 5\) nur einen zurückrechnen müsse, um den Term \(5 + 4\) zu erhalten (vgl. Kategoriensystem Abschn. 9.1.1). Mit Blick auf sein individuelles Kreativitätsschema (vgl. Abb. 10.7) fiel auf, dass er diesen arithmetischen Ideentyp bereits zweimal zuvor gezeigt hatte und ihn im weiteren Verlauf der Unterrichtsepisode nicht wiederholte.

      Abb. 10.7
      figure 7

      Ankerbeispiel für Subkategorien 2aii1 und 2bii1 (IKS Lars, A1)

    2. Für die Erläuterung der Subkategorie Erklärung eines bereits zuvor gezeigten arithmetischen Ideentyps mit wiederholt Ideentyp (ii2) wurde als Beispiel die Reflexionsphase der Bearbeitung der ersten arithmetisch offenen Aufgabe von Ben ausgewählt. Darin wurde der Erstklässler durch eine verbale Aufforderung in Form des metakognitiven Prompts 3 (Hauptkategorie 2a) gebeten, seine Produktion des Zahlensatzes \(4 + 39 = 43\) zu erklären. Über die Nennung der weiteren passenden Terme \(4 + 40\) und \(4 + 41\) beschrieb der Schüler den arithmetischen Ideentypen der muster-bildenden Ideen und dabei konkret die wachsende Zahlenfolge (must-wachs). Diesen Ideentypen zeigte er bereits intensiv zuvor in der Produktions- und Reflexionsphase (vgl. Abb. 10.8) und wiederholte ihn noch zweimal bis zum Ende der Aufgabenbearbeitung.

      Abb. 10.8
      figure 8

      Ankerbeispiel für Subkategorie 2aii2 (IKS Ben, A1)

  • Neben der Erklärung eines bereits zuvor gezeigten arithmetischen Ideentyps ließen sich in den Unterrichtsepisoden der Erstklässler*innen auch Szenen finden, in denen ein metakognitiver Prompt 3 oder 4 zu einer Erklärung eines weiteren Ideentyps führte und damit zu einer Erhöhung der Flexibilität. Zudem konnte unterschieden werden, ob dieser Ideentyp dann im weiteren Verlauf der Bearbeitung der arithmetisch offenen Aufgabe wiederholt wurde oder nicht (vgl. dazu Abb. 10.6).

    1. Die Subkategorie Erklärung eines weiteren arithmetischen Ideentyps in Kombination mit wiederholt Ideentyp nicht (iii1) soll am Beispiel der Aufgabenbearbeitung von Henry verdeutlicht werden. Der Erstklässler bekam am Ende seiner Produktionsphase Unterstützung in Form des metakognitiven Prompts 4 (Hauptkategorie 2b), bei dem er dazu aufgefordert wurde, die Positionierung seines Zahlensatzes \(20 - 8 = 12\) neben dem bereits zuvor produzierten Zahlensatz \(2 + 10 = 12\) zu erklären. Henry antwortet, während er jeweils auf die entsprechenden Zahlen bzw. Ziffern an den verschiedenen Positionen in den beiden Zahlensätzen deutete, mit: „Weil da ist ´ne Zwei und da ist ´ne Zwei. Aber. Deswegen. Und weil, weil bei der Zehn. Und weil hier die Zehn ja auch ´ne Null hat [wie die Zwanzig]“ (15-W-m_A2; 00:11:40 – 00:13:10). Auf diese Weise erklärte der Schüler eine muster-bildende Idee, nämlich die Zahlenparallele (must-para). Diesen arithmetischen Ideentyp zeigte der Erstklässler Henry zuvor nicht und wiederholte ihn auch nicht (vgl. Abb. 10.9).

      Abb. 10.9
      figure 9

      Ankerbeispiel für Subkategorie 2biii1 (IKS Henry, A2)

    2. Anhand der Bearbeitung der zweiten arithmetisch offenen Aufgabe von Lana sollen die Subkategorien Erklärung eines weiteren arithmetischen Ideentyps und wiederholt Ideentyp (iii2) nach der Unterstützung durch den metakognitiven Prompt 3 (Hauptkategorie 2a) illustriert werden. Die Erstklässlerin zeigte von Beginn der Unterrichtsepisode bis Mitte der Reflexionsphase ausschließlich frei-assoziierte und muster-bildende Ideen. Nach dem kognitiven Prompt 10 sortiert sie ihren Zahlensatz \(7 + 5 = 12\) zu dem von der Lehrenden-Forschenden eingebrachten Zahlensatz \(5 + 7 = 12\). Die Schülerin wurde daraufhin von der Lehrenden-Forschenden aufgefordert diese Zuordnung zu erklären. So formulierte Lana: „Das ist diese Aufgabe nur umgekehrt“ und „Nur, dass die Sieben jetzt da steht, wo die Fünf bei mir steht und dass die Fünf jetzt da steht, wo bei mir die Sieben steht“ (53-D-w_A2, 00:12:44 – 00:13:55). Damit beschrieb sie hier Tauschaufgaben als struktur-nutzende Idee (struk-tau). Diesen Ideentypen zeigte sie dann ausschließlich bis zum Ende ihrer Aufgabenbearbeitung (vgl. Abb. 10.10).

      Abb. 10.10
      figure 10

      Ankerbeispiel für Subkategorie 2aiii2 (IKS Lana, A2)

2.1.3 Reflexion und Erweiterung der eigenen Produktion

Um die Erstklässler*innen bei der Bearbeitung der arithmetisch offenen Aufgaben A1 [Zahl 4] und A2 [Ergebnis 12] in Hinblick auf die Reflexion und Erweiterung in der Reflexionsphase und damit auch in Bezug auf ihre divergente Fähigkeit der Originalität als ein Merkmal der individuellen mathematischen Kreativität zu unterstützen, wurden drei verschiedene (meta-)kognitive Prompts eingesetzt (vgl. Tab. 10.7). Während der metakognitive Prompt 5 die Erstklässler*innen dazu anregte, ihre Produktion zu reflektieren (Hauptkategorie 3a), fokussierten die beiden kognitiven Prompts 9 und 10 die Aufmerksamkeit der Kinder auf konkrete Zahlensätze, um das Finden weiterer Ideen oder Ideentypen anzuregen (Hauptkategorien 3b und 3c). Dabei zeigten die Kinder dann eine Reflexion im Sinne des InMaKreS-Modells, wenn sie ihre in der Produktionsphase aufgeschriebenen Zahlensätze durch bereits zuvor gezeigte oder weitere Ideen bzw. Ideentypen erklärten. Dabei konnten die Lernenden sowohl über ihre gesamte Produktion als auch über Teile ihrer Zahlensätze reflektieren und ihre Ideen im Sinne der Elaborationsfähigkeit erklären und weiter ausarbeiten. Eine Erweiterung der Erstklässler*innen konnte dann in der Reflexionsphase analysiert werden, wenn die Lernenden weitere Ideen produzierten und dabei weitere Zahlensätze aufschrieben. Die drei (meta-)kognitiven Prompts 5, 9 und 10, die wie oben beschrieben die Erstklässler*innen beim Reflektieren und Erweitern unterstützen sollten, wurden in den Unterrichtsepisoden etwa wie folgt formuliert (vgl. Tab. 7.6):

Prompt 5::

„Du hast ganz viele Aufgaben gefunden und so toll auf dem Tisch angeordnet. Warum gehören manche Aufgaben denn zusammen?“

Prompt 9::

„Ich glaube, ich habe eine Idee, warum diese Aufgaben zusammengehören – das sind ja [Tauschaufgaben, Umkehraufgaben, etc.]. Stimmt das? Wie gehören denn deine anderen Aufgaben zusammen?“

Prompt 10::

„Ein anderes Kind hat noch diese Aufgaben aufgeschrieben. Passen die auch zu deinen Aufgaben? Findest du jetzt noch weitere Aufgaben mit der Zahl 4?“

Bei der induktiven Analyse der unterstützenden Wirkung der drei Prompts konnte wie bereits zuvor verschiedene Ausprägungsgrade herausgearbeitet werden. Über alle 36 Unterrichtsepisoden hinweg konnten vier Subkategorien mit teils weiteren Ausdifferenzierungen analysiert werden. So zeigten die Erstklässler*innen keine Reflexion und Erweiterung (i), nur eine Reflexion (ii), nur eine Erweiterung (iii) oder eine Reflexion und Erweiterung (iv). Bei den letzten drei Ausprägungen konnte zudem differenziert werden, wie sich die von den Kindern gezeigten arithmetischen Ideentypen in der Reflexionsphase zusammensetzten. Diese konnten ausschließlich aus bereits zuvor gezeigten (1), ausschließlich aus weiteren (3) oder aus einer Mischung aus zuvor gezeigten und weiteren arithmetischen Ideentypen (2) bestehen.

Bei genauer Analyse der kreativen Aufgabenbearbeitungen der Erstklässler*innen musste festgestellt werden, dass sich ein deutlicher Unterschied zwischen den drei Prompts hinsichtlich ihres Grads an Unterstützung finden ließ. Jeder Prompt bewirkte ein unterschiedliches Spektrum an Unterstützung in Bezug auf die Subkategorien Reflexion, Erweiterung sowie Reflexion und Erweiterung, aber auch mit Blick auf die drei Ausdifferenzierungen zur Zusammensetzung der arithmetischen Ideentypen. Daher wird nachfolgend (vgl. Abb. 10.11) für die Prompts 5, 9 und 10 jeweils eine eigene Übersicht über den Grad an Unterstützung präsentiert.

Abb. 10.11
figure 11

Grad der Unterstützung bei der Reflexion und Erweiterung für die Prompts 5, 9, 10

Aus der obigen Übersicht kann entnommen werden, dass die unterstützende Wirkung von Prompt 5 über 9 zu 10 in der Reflexionsphase zunehmend komplexer wurde. Bei allen Prompts ließ sich die Subkategorie keine Reflexion und Erweiterung etablieren. Die verbale Aufforderung (Hauptkategorie 3a) im Rahmen des metakognitiven Prompts 5 führte überdies zu einer Reflexion der Erstklässler*innen, wobei alle drei Zusammensetzungen an arithmetischen Ideentypen empirisch herausgearbeitet werden konnten. Der kognitive Prompt 9 (Hauptkategorie 3b) ermöglichte den Erstklässler*innen zudem eine Reflexion und Erweiterung der eigenen Produktion hinsichtlich weiterer Ideen und Ideentypen. Auffällig war aber vor allem die Unterstützung der Schüler*innen durch den Prompt 10, bei dem die Kinder einen fremden Zahlensatz präsentiert bekamen und diesen zu ihren eigenen begründet zuordnen sollten (Hauptkategorie 3c). Dieser Impuls regte nicht nur zur Reflexion der Erstklässler*innen über ihre eigene Produktion an, sondern führte auch zur Erweiterung der Ideen bzw. Ideentypen sowie zu einer kombinierten Reflexion und Erweiterung. Bei letzterem konnte erneut das gesamte Spektrum an verschiedenen Zusammensetzungen an arithmetischen Ideentypen entfaltet werden. Im Weiteren sollen zur Veranschaulichung der verschiedenen Subkategorien ausgewählte Ankerbeispiele exemplarisch präsentiert werden (vgl. Codebuch im elektronischen Zusatzmaterial).

  • Charakteristisch für die Subkategorie keine Reflexion und Erweiterung bei allen drei Prompts ist das Beispiel von Anna, die auf den Impuls des metakognitiven Prompt 5 (Hauptkategorie 3a) der Lehrenden-Forschenden „Und gibt es Aufgaben bei dir, die irgendwie zusammengehören?“ (14-W-m_A1; 00:06:27 – 00:06:40) den Kopf schüttelte und die Frage daher nonverbal verneinte.

  • Für die Subkategorie Reflexion sollen hier drei Ausschnitte aus den Reflexionsphasen der individuellen Kreativitätsschemata der Erstklässler*innen präsentiert werden, die jeweils die drei Ausdifferenzierungen bzgl. der Zusammensetzung der arithmetischen Ideentypen in der Reflexionsphase nach dem Einsatz der Prompts 5, 9 oder 10 zeigen ( vgl. Tab. 10.8).

    Tab. 10.8 Ankerbeispiele für die Subkategorien 3cii1, 3aii2 und 3bii3
  • Für die Subkategorie Erweiterung können an dieser Stelle nur Beispiele aus den Unterrichtsepisoden angeführt werden, wenn die Erstklässler*innen den kognitiven Prompt 10 bekommen haben (vgl. Abb. 10.11), was bei nahezu allen Unterrichtsepisoden der Fall war. Eine ausschließliche Erweiterung in der Reflexionsphase ist dadurch zu erkennen, dass die Lernenden keine ihrer zuvor produzierten Zahlensätze noch einmal ansprachen, sondern nur weitere Ideen produzierten. Wie auch schon bei der zuvor dargestellten Subkategorie sollen nun einzelne Ausschnitte aus den individuellen Kreativitätsschemata der Schüler*innen angeführt werden, welche die verschiedenen Zusammensetzungen der arithmetischen Ideentypen verdeutlichen (vgl. Tab. 10.9).

    Tab. 10.9 Ankerbeispiele für die Subkategorien 3ciii1 und 3ciii3
  • Unter der Subkategorie Reflexion und Erweiterung werden alle Momente in den Unterrichtsepisoden gefasst, in denen die Erstklässler*innen nach einem der drei Prompts sowohl über bereits zuvor produzierte Zahlensätze reflektierten als auch weitere Ideen produzierten. Dabei konnten Unterrichtsepisoden identifiziert werden, bei denen die drei verschiedenen möglichen Zusammensetzungen an arithmetischen Ideentypen in Produktions- und Reflexionsphase vorkamen. Die nachfolgende Tabelle 10.10 verdeutlicht dieses Analyseergebnis anhand ausgewählter Beispiele.

Tab. 10.10 Ankerbeispiele für die Subkategorien 3civ1, 3civ2 und 3civ3

Anhand der vorherigen Ausführungen, die das Kategoriensystem zur Unterstützung der Erstklässler*innen durch die verschiedenen (meta-)kognitiven Prompts dargestellt und an Beispielen konkretisiert haben, wurde insgesamt deutlich, dass die verschiedenen Prompts bezogen auf ihre Funktion unterschiedlich unterstützend wirkten. Während die beiden metakognitiven Prompts 1 und 2 immer zu einer Produktion eines Zahlensatzes führten, auch wenn zwischen unpassenden und passenden Zahlensätzen differenziert werden konnte (vgl. Abschn. 10.2.1.1), zeigte sich bei den anderen Prompts, dass diese auch keine Wirkung erzielen konnten. So wurde eventuell keine Erklärung der zugrundeliegenden Zahl-, Term- oder Aufgabenbeziehungen vorgenommen oder die eigene Produktion der Schüler*innen weder reflektiert noch erweitert (vgl. Abschn. 10.2.1.2 und 10.2.1.3). Außerdem zeigte sich vor allem bei den beiden zentralen Funktionen Erklärung der arithmetischen Ideentypen sowie Reflexion und Erweiterung zwischen den dazu eingesetzten (meta-)kognitiven Prompts eine große Bandbreite an Unterstützungsmöglichkeiten durch die gebildeten Subkategorien. So verdeutlicht das Kategoriensystem, dass die Erstklässler*innen nach dem Einsatz eines metakognitiven Prompts 3 oder 4 bei der Erklärung ihrer zugrundeliegenden Zahl-, Term- oder Aufgabenbeziehungen entweder auf bereits gezeigte Ideentypen zurückgriffen oder weitere entwickelten (vgl. Abb. 10.6). Zudem unterstützen die (meta-)kognitiven Prompts 5, 9 und 10 die Lernenden auf unterschiedliche Weise darin, ihre Ideen und darin enthaltenen Ideentypen zu reflektieren und zu erweitern (vgl. Abb. 10.11). Hierbei zeigte sich der Prompt 10, bei dem den Erstklässler*innen von der Lehrenden-Forschenden ein weiterer Zahlensatz angeboten wurde, als besonders wirksam, um die Kinder zu einer Reflexion und Erweiterung in der Reflexionsphase anzuregen. Von diesen qualitativ beschreibenden Erkenntnissen geleitet, entwickelte sich eine weiterführende Frage, die nur über eine Quantifizierung des zuvor dargestellten Kategoriensystems beantwortet werden konnte: Welche (meta-)kognitiven Prompts boten den Erstklässler*innen eine besonders große Unterstützung bei ihrer Elaboration, damit diese ihre individuelle mathematische Kreativität zeigen konnten?

2.2 Quantifizierung des Kategoriensystems

„Welche (meta-)kognitiven Prompts boten den Erstklässler*innen eine besonders große Unterstützung bei ihrer Elaboration, damit diese ihre individuelle mathematische Kreativität zeigen konnten?“ (Kap. 10)

Die am Ende des letzten Abschnitts 10.2.1 aufgeworfene Frage (s. Eingangszitat), die sich aus der Darstellung des Kategoriensystems zur Unterstützung der Erstklässler*innen durch die verschiedenen (meta-)kognitiven Prompts ergeben hat, soll nun durch eine Quantifizierung des Kategoriensystems beantwortet werden. Dafür wurden alle Haupt- und Subkategorien des Kategoriensystems zur Unterstützung der Erstklässler*innen durch (meta-)kognitive Prompts (vgl. Abschn. 10.2.1) in den 36 Unterrichtsepisoden ausgezählt. So entstand eine umfassende Häufigkeitstabelle, die in einem nächsten Schritt systematisch weiter zusammengefasst wurde, damit sie im Hinblick auf die eingangs formulierte Fragestellung ausgewertet werden konnte. Aus dem Ergebnis dieser Analyse sollen dann am Ende dieser Ausführungen unterrichtsrelevante Erkenntnisse über den Einsatz (meta-)kognitiver Lernprompts bei der kreativen Bearbeitung arithmetisch offener Aufgaben formuliert werden.

Bei der Quantifizierung des Kategoriensystems wurde zunächst überprüft, wie häufig die sieben verschiedenen eingesetzten (meta-)kognitiven Prompts (vgl. Tab. 10.7) in den 36 Unterrichtsepisoden der Erstklässler*innen eingesetzt wurden. Es wurde eine Anzahl von \(N = 306\) kodierten (meta-)kognitiven Prompts festgestellt, die sich wie folgt genauer beschreiben lässt:

  • Von den insgesamt 306 eingesetzten (meta-)kognitiven Prompts entfielen 191 auf die erste arithmetisch offene Aufgabe A1 [Zahl 4] und dementsprechend 115 Prompts auf A2 [Ergebnis 12]. Damit waren bei der erstmaligen Bearbeitung einer solchen Aufgabe durch die Erstklässler*innen absolut gesehen mehr Lernprompts als Unterstützungsmöglichkeiten nötig als bei der zweiten Bearbeitung einer arithmetisch offenen Aufgabe vier Wochen später.

  • Mit Blick auf die Verteilung zwischen den fünf verschiedenen metakognitiven Prompts (1–5) und den zwei kognitiven Prompts (9, 10) zeigte sich, dass 85,6 % der 306 eingesetzten Lernprompts metakognitiver und 14,4 % kognitiver Natur waren. Zudem war die Verteilung zwischen metakognitiven und kognitiven Prompts bei den beiden arithmetisch offenen Aufgaben vergleichbar (\(Meta_{A1} = 86,9\% und Kogn_{A1} = 13,1\% ; Meta_{A2} = 83,5\% und Kogn_{A2} = 16,5 \%\)). Diese empirischen Ergebnisse stützen die bereits im theoretischen Rahmen erläuterte Erkenntnis, dass insbesondere metakognitive Prompts ein wichtiges und häufig eingesetztes Unterstützungsinstrument bei der kreativen Bearbeitung offener Aufgaben sind (vgl. Abschn. 4.2.1).

  • Die Häufigkeitsverteilung der sieben verschiedenen (meta-)kognitiven Prompts kann der Abbildung 10.12 im Detail entnommen werden. Bezogen auf die drei Funktionen, welche die Prompts in Bezug auf die individuelle mathematische Kreativität der Erstklässler*innen nehmen konnten, stellte sich die Verteilung wie folgt dar:

    • Es wurden über alle 36 Unterrichtsepisoden hinweg insgesamt 48-mal die beiden metakognitiven Prompts 1 und 2 eingesetzt, welche die Erstklässler*innen bei der Produktion eines (weiteren) Zahlensatzes unterstützen sollten. Dies entspricht einem Anteil von rund 15,7 % an allen Prompts.

    • Den größten Anteil mit absolut 205 der 306 Prompts (67 %) nahmen die zwei metakognitiven Prompts 3 und 4 ein, die den Kindern Unterstützung bei der Erklärung ihrer zugrundeliegenden Zahl-, Term- und Aufgabenbeziehungen (arithmetischen Ideentypen) bieten sollten. Dabei wurde vor allem der metakognitive Prompt 3, also die verbale Aufforderung, die eigene Idee zu erklären, mit 45 % von allen Lernprompts am häufigsten eingesetzt. Diese Häufigkeit war mit Blick auf das Ziel der arithmetisch offenen Aufgabe, die individuelle mathematische Kreativität der Erstklässler*innen anzuregen, nicht überraschend, da dabei die Erstklässler*innen insbesondere ihre Ideen (und Ideentypen) erklären sollten. Diese Verbalisierung und gleichzeitige Ausarbeitung der verschiedenen Ideen führte zudem zu wichtigen Reflexionsfähigkeiten während der kreativen Aufgabenbearbeitung, die wiederum zu einem quantitativen und qualitativen Ideenfluss bezogen auf die Denkflüssigkeit und Flexibilität führen konnten (vgl. ausführlich Abschn. 4.2.1).

    • Zuletzt wurde 53-mal (17,3 %) einer der (meta-)kognitiven Prompts eingesetzt, welche die Erstklässler*innen bei ihrer Reflexion und Erweiterung während der Reflexionsphase unterstützen sollten. Damit unterstützen die beiden kognitiven Prompts 9 und 10 sowie der metakognitive Prompt 5 die Kinder darin, ihre Fähigkeiten der Originalität zu zeigen, indem ihre bisherige Produktion verschiedener Ideen und Ideentypen reflektiert und daraufhin erweitert werden sollte. Von diesen drei Lernprompts wurde der Prompt 10 am häufigsten, nämlich 34-mal (11 %), und damit in nahezu jeder der 36 Unterrichtsepisoden eingesetzt.

Abb. 10.12
figure 12

Häufigkeitsverteilung der sieben verschiedenen (meta-)kognitiven Prompts

Nachdem nun die statistische Häufigkeitsverteilung der verschiedenen Lernprompts dargestellt wurde, soll in den nachfolgenden Ausführungen die Unterstützung der Erstklässler*innen durch den Einsatz der (meta-)kognitiven Prompts im Hinblick auf das Zeigen ihrer individuellen mathematischen Kreativität fokussiert werden. Dazu wurde sich auf die unterschiedlichen Subkategorien konzentriert, die am gesamten Datenmaterial von 36 Unterrichtsepisoden induktiv erarbeitet und im vorangegangenen Abschnitt 10.2.1 ausführlich erläutert wurden. Diese weiteren deskriptiven Analysen sollen nun nacheinander für die drei Funktionen der verschiedenen Lernprompts (Produktion von Zahlensätzen, Erklärung der zugrundeliegenden arithmetischen Ideentypen, Reflexion und Erweiterung der eigenen Produktion) vorgenommen werden.

Die beiden metakognitiven Prompts 1 und 2, durch welche die Erstklässler*innen darin unterstützt werden sollten, weitere Zahlensätze zu produzieren, erfüllten bei jedem Einsatz diese Funktion. Es konnten zwei verschiedene, aber für beide Prompts (Hauptkategorien 1a und 1b) gleiche, Subkategorien herausgearbeitet werden: unpassende Zahlensätze (i) und passende Zahlensätze (ii) (vgl. Abschn. 10.2.1). Die Häufigkeitsverteilung der so entstandenen vier Kategorien ist in der Abbildung 10.13 dargestellt. Diese macht deutlich, dass vor allem der Prompt 1, d. h. die erneute verbale Erklärung der arithmetisch offenen Aufgabe, häufig eingesetzt wurde, damit die Erstklässler*innen Zahlensätze produzieren konnten. Rund 65 % der 29 eingesetzten Prompts 1 führten zudem zu einer Produktion passender Zahlensätze (Kategorie 1aii). Beim Einsatz des Prompt 2, d. h. die Unterstützung beim (Aus-)Rechnen von Zahlensätzen, lag dieser Anteil etwas geringer bei 58 % (Kategorie 1bii).

Abb. 10.13
figure 13

Häufigkeitsverteilung für die eingesetzten metakognitiven Prompts 1 und 2 zur Produktion von Zahlensätzen (N = 48)

Die Funktion der metakognitiven Prompts 3 und 4 zielte auf eine Unterstützung der Erstklässler*innen beim Erklären ihrer Zahl-, Term- und Aufgabenbeziehungen (arithmetischen Ideentypen) ab. Damit unterstützen diese Prompts die Erstklässler*innen beim Zeigen ihrer individuellen mathematischen Kreativität vor allem in Bezug auf die divergenten Fähigkeiten Denkflüssigkeit und Flexibilität, indem die Kinder ihre Ideen und Ideentypen erklärten. Zur qualitativen Beschreibung dieser Unterstützung wurden für beide Hauptkategorien 2a und 2b jeweils fünf Subkategorien gebildet, die zunächst über ein Kontinuum von keiner Erklärung (i) über Erklärung bereits zuvor gezeigter Ideentypen (ii) bis zur Erklärung weiterer Ideentypen (iii) beschrieben werden konnten. Die beiden letzteren Subkategorien konnten zudem noch dahingehend ausdifferenziert werden, ob die Erstklässler*innen den arithmetischen Ideentyp im weiteren Verlauf der Aufgabenbearbeitung noch einmal wiederholten (2) oder nicht wiederholten (1) (vgl. Abschn. 10.2.1, insbesondere Abb. 10.6). In Abbildung 10.14 ist die Häufigkeitsverteilung der insgesamt 205 eingesetzten metakognitiven Prompts 3 und 4 dargestellt.

Abb. 10.14
figure 14

Häufigkeitsverteilungen für die eingesetzten metakognitiven Prompts 3 und 4 zur Erklärung der zugrundeliegenden Zahl-, Term- und Aufgabenbeziehungen (N = 205)

Aus den beiden Balkendiagrammen können folgende Analyseergebnisse bzgl. der Unterstützung der Erstklässler*innen beim Erklären ihrer produzierten Zahlensätze aufgrund unterschiedlicher Zahl-, Term- oder Aufgabenbeziehungen festgehalten werden:

  • Über beide Prompts 3 und 4 hinweg lag der Anteil derjenigen Unterstützungsangebote, die zu keiner Erklärung des arithmetischen Ideentyps führten, bei 24,4 % (Kategorien 2ai und 2bi). Werden die Anteile der Subkategorie keine Erklärung (i) an der Gesamtverteilung bei den beiden metakognitiven Prompts einzeln betrachtet, zeigten sich ähnliche Prozentwert. Der metakognitive Prompt 3, also die Aufforderung zur Erklärung der zugrundeliegenden Zahl-, Term- oder Aufgabenbeziehungen, führte in 23 % der Fälle nicht zu einer Erklärung eines arithmetischen Ideentyps. Für den Prompt 4, d. h. die Aufforderung zur Erklärung von Zahl-, Term- oder Aufgabenbeziehungen anhand der Position des Zahlensatzes auf dem Tisch, lag dieser Anteil bei 27,3 %. Das bedeutet umgekehrt, dass insgesamt rund drei Viertel aller eingesetzten metakognitiven Prompts 3 und 4 zu einer Unterstützung der Erstklässler*innen führte und diese ihre kreativen Ideen durch Zahl-, Term- oder Aufgabenbeziehungen erklärten (Kategorien 2aii, 2aiii und 2bii, 2biii).

  • Erklärten die Erstklässler*innen nach dem Einsatz des Prompts 3 oder 4 einen arithmetischen Ideentyp, den sie während ihrer Aufgabenbearbeitung bereits zuvor verwendet hatten, dann wurde dieser auch häufig im weiteren Verlauf der Unterrichtsepisode noch einmal wiederholt (Kategorien 2aii2 und 2bii2). Dies kann möglicherweise dadurch erklärt werden, dass die Erstklässler*innen hier überwiegend muster-bildende Ideen, insbesondere die wachsende Zahlenfolge oder verschiedene struktur-nutzende Ideen zeigten, die sich für eine Wiederholung in besonderem Maße anboten (gerundet 78 %). So wurden bspw. eine begonnene Zahlenmusterfolgen während der Aufgabenbearbeitung weiter fortgesetzt oder nach dem Entdecken der Kommutativität als eine arithmetische Struktur zu vielen bereits produzierten Zahlensätzen die entsprechende Tauschaufgabe produziert.

  • Nach dem Einsatz der Prompts 3 und 4 erklärten die Kinder am häufigsten einen weiteren, zuvor noch nicht gezeigten arithmetischen Ideentypen (Kategorie 2aiii und 2biii). Dieses Ergebnis konnte insofern konkretisiert werden, als dass die Erstklässler*innen in gut der Hälfte aller Fälle (gerundet 51 %) eine weitere Subkategorie der frei-assoziierten Ideen zeigten, wobei die Lernenden diesen Ideentypen überwiegend (gerundet 67 %) nicht noch einmal wiederholten (Kategorien 2aiii1 und 2biii1). Nutzten die Erstklässler*innen nach dem Einsatz der Prompts 3 oder 4 jedoch eine weitere muster-bildende, struktur-nutzende oder klassifizierende Idee, dann wiederholten sie diese oft (gerundet 64 %) auch im weiteren Verlauf der Aufgabenbearbeitung (Kategorien 2aiii2 und 2biii2).

Zuletzt soll die dritte Funktion der verschiedenen (meta-)kognitiven Prompts, nämlich die Unterstützung der Erstklässler*innen in der Reflexionsphase bei der Reflexion und Erweiterung der eigenen Produktion, beleuchtet werden. Damit wurde über die Prompts 5, 9 und 10 ein Einfluss auf die divergente Fähigkeit der Originalität als Merkmal der individuellen mathematischen Kreativität genommen. In Abschnitt 10.2.1 wurde bereits anschaulich dargestellt, dass die Unterstützung der Erstklässler*innen durch die drei Prompts sehr unterschiedlich gefasst werden konnte, was sich insbesondere durch die unterschiedlichen Subkategorien zeigte. Insgesamt konnten vier Subkategorien, nämlich keine Reflexion und Erklärung (i), nur Reflexion (Iii), nur Erweiterung (iii) und Reflexion und Erweiterung (iv), mit drei Ausdifferenzierungen bzgl. der Zusammensetzung der arithmetischen Ideentypen in der Produktions- und Reflexionsphase analysiert werden. Letztere zeichnen sich dadurch aus, dass die Erstklässler*innen nach dem Einsatz einer der drei (meta-)kognitiven Prompts 5, 9 und 10 ausschließlich bereits zuvor gezeigte Ideentypen (1), teils bereits gezeigte und teils weitere Ideentypen (2) oder ausschließlich weitere Ideentypen (3) verwendeten. Jedoch führte nicht jeder Prompt zu allen diesen möglichen Ausprägungen in der Unterstützung, was zuvor ausführlich beschrieben und grafisch veranschaulicht wurde (vgl. hierzu insbesondere Abb. 10.11). So wurden mit Rückgriff auf die tatsächlich analysierten Subkategorien für die drei Prompts 5, 9 und 10 die drei untenstehenden Häufigkeitsabbildungen erstellt (vgl. Abb. 10.15 und Abb. 10.16).

Aus diesen konnten die folgenden Rückschlüsse bzgl. der Unterstützung der Erstklässler*innen während der kreativen Bearbeitung arithmetisch offener Aufgaben durch die (meta-)kognitiven Prompts 5, 9 und 10 zur Reflexion und Erweiterung in der Reflexionsphase gezogen werden. Im Folgenden wird hier vor allem auf die statistischen Besonderheiten eingegangen.

Abb. 10.15
figure 15

Häufigkeitsverteilung für den eingesetzten metakognitiven Prompts 5 zur Reflexion und Erweiterung (N = 9)

Abb. 10.16
figure 16

Häufigkeitsverteilung für die eingesetzten kognitiven Prompts 9 und 10 zur Reflexion und Erweiterung (N = 44)

  • Mit Blick auf alle drei verschiedenen (meta-)kognitiven Prompts führten rund 15,1 % der 53 eingesetzten Lernprompts während der kreativen Aufgabenbearbeitungen der Erstklässler*innen zu keiner Reflexion oder Erweiterung (Kategorien 3ai, 3bi und 3ci). Dabei liegt der entsprechende Prozentsatz eben dieser Subkategorie für den metakognitiven Prompt 5 bei 22,2 %, für den kognitiven Prompt 9 bei 10 % und für den kognitiven Prompt 10 bei 14,8 %. Diese Prozentsätze bedeuten umgekehrt, dass insgesamt 84,9 % der eingesetzten (meta-)kognitiven Prompts 5, 9 und 10 zu einer Unterstützung der Erstklässler*innen bei der Reflexion und Erklärung ihrer eigenen Produktion führten (Kategorien 3aiv, 3biii, 3biv, 3cii, 3iii, 3iv).

  • Unter der Funktion, die Erstklässler*innen während der Reflexionsphase zu unterstützen, konnten innerhalb der 36 Unterrichtsepisoden mehrere Situationen identifiziert werden, in denen die kognitiven Prompts 9 und 10 die Kinder dahingehend unterstützten, dass sie ihre eigens produzierten Ideen und Ideentypen nur reflektierten (Kategorie 3bii, 3cii) oder nur erweiterten (Kategorie 3ciii).

    1. Wurde zur Unterstützung der Erstklässler*innen der kognitive Prompt 9 eingesetzt, dann führte dieser in 6 der insgesamt zehn Fälle dazu, dass die Kinder ihre Produktion reflektierten. Dabei zeigten sie doppelt so häufig ausschließlich weitere Ideentypen (Kategorie 3bii3) als ausschließlich zuvor gezeigte Ideentypen (Kategorie 3bii1). Mit Blick auf die Häufigkeiten der anderen beiden Subkategorien, bei denen die Erstklässler*innen entweder keine oder eine vollständige Reflexion und Erweiterung zeigten, kann insgesamt festgestellt werden, dass dieser Lernprompt vor allem dazu anregte, die Ideen (und Ideentypen) zu reflektieren und dabei weitere arithmetische Ideentypen zu zeigen.

    2. Als Reaktion auf den unterstützenden kognitiven Prompt 10 konnte bei den Unterrichtsepisoden aller Erstklässler*innen analysiert werden, dass dieser zu 17,6 % die Lernenden dazu anregte, ihre Produktion zu reflektieren und dabei ausschließlich bereits zuvor gezeigte arithmetische Ideentypen zu nutzen (Kategorie 3cii1). Diese waren in fünf der sechs Fälle muster-bildende Ideen, wobei zuvor begonnene Zahlenfolgen noch einmal rekapituliert wurden. Mit einem Anteil von 20,6 % erweiterten die Erstklässler*innen nach dem Einsatz des Prompt 10 ihre eigene Produktion von Ideen und zeigten somit ihre Fähigkeit der Denkflüssigkeit und Flexibilität in der Reflexionsphase. Dabei griffen sie überwiegend auf arithmetische Ideentypen zurück, die sie bereits in der Produktionsphase gezeigt hatten (Kategorien 3ciii1, 3iii3). Hierbei handelte es sich vor allem um struktur-nutzende Ideen, auf deren Basis die Erstklässler*innen weitere Zahlensätze erzeugten. Somit wurden zwar weitere Ideen hervorgebracht, diese zeigten jedoch im Sinne der Flexibilität keine hohe Diversität in den arithmetischen Ideentypen.

  • Alle drei (meta-)kognitiven Prompts führten dazu, dass die Erstklässler*innen ihre eigene Produktion reflektierten und gleichsam durch weitere Ideen sowie Ideentypen erweitern konnten (Kategorie 3aiv, 3biv und 3civ). Dadurch unterstützten alle genutzten (meta-)kognitiven Prompts 5, 9 und 10 die Lernenden bei ihrer divergenten Fähigkeit der Originalität als Merkmal ihrer individuellen mathematischen Kreativität. Über die prozentualen Häufigkeiten dieser spezifischen Subkategorie konnten unterschiedliche Unterstützungsgrade der einzelnen Lernprompts bestimmt werden:

    1. Da für den Prompt 5 nur die beiden gegensätzlichen Kategorien keine Reflexion und Erweiterung (3ai) sowie Reflexion und Erweiterung (3aiv) gebildet werden konnte, lag der Prozentsatz für eine Reflexion und Erweiterung der Erstklässler*innen entsprechend hoch bei gerundet 78 %. Dabei waren die drei möglichen Ausdifferenzierungen zur Zusammensetzung der arithmetischen Ideentypen (ausschließlich bereits gezeigte Ideentypen, teils zuvor gezeigte und teils weitere Ideentypen, ausschließlich weitere Ideentypen) in der Aufgabenbearbeitung mit absoluten Anzahlen von 2 oder 3 nahezu ausgewogen (Kategorien 3aiv1, 3aiv2 und 3aiv3).

    2. Der kognitive Prompt 9, durch den die Kinder aufgrund ausgewählter Zahlensätze dazu angeregt werden sollten, ihre Originalität zu zeigen, führte in nur 30 % der Fälle zu einer umfassenden Reflexion und Erweiterung in der Reflexionsphase (Kategorie 3biv). Durch die sehr geringe absolute Anzahl an eingesetzten Prompts zeigten sich auch bzgl. der weiteren Ausdifferenzierungen keine großen Unterschiede (Kategorien 3biv2, 3biv3).

    3. Nach dem Einsatz des Prompt 10 konnte in 47,1 % der Fälle analysiert werden, dass die Erstklässler*innen anhand eines fremden Zahlensatzes ihre eigene Produktion von Ideen (und Ideentypen) reflektierten und erweiterten (Kategorie 3iv). Dabei konnte eine starke Tendenz dahingehend festgestellt werden, dass dieser spezielle kognitive Prompt insbesondere (gerundet 86 %) zu einer Reflexion und Erweiterung von ausschließlich weiteren arithmetischen Ideentypen oder teils bereits gezeigten und weiteren Ideentypen führte. Dies kann ein Indiz dafür sein, dass das absichtsvolle Einbringen fremder, aber adaptiv zur Produktion der Erstklässler*innen ausgewählter, Zahlensätze durch Lehrpersonen die individuelle mathematische Kreativität der Kinder vor allem in Bezug auf deren Flexibilität und Originalität in der Reflexionsphase anregen kann. Damit nimmt der Prompt 10 eine besonders bedeutsame Funktion als Unterstützungsmöglichkeit der Erstklässler*innen bei der kreativen Bearbeitung offener Aufgaben ein.

2.3 Zusammenfassung

In diesem Abschnitt wurde sich der vierten Forschungsfrage gewidmet und aus der Analyse der Interkation zwischen den Erstklässler*innen und mir als Lehrenden-Forschenden während der Unterrichtsepisoden Erkenntnisse präsentiert, welche den Einsatz von (meta-)kognitive Prompts bei der kreativen Bearbeitung arithmetisch offener Aufgaben bestärken.

Dazu wurde zunächst das deduktiv-induktiv erarbeitete Kategoriensystem zur Unterstützung der Erstklässler*innen durch (meta-)kognitive Prompts präsentiert (vgl. ausführlich Abschn. 10.2.1). Mit Blick auf die drei Funktionen der kognitiven und metakognitiven Prompts wurden diese systematisiert, sodass deduktiv Hauptkategorien für die sieben während der Unterrichtsepisoden eingesetzten Lernprompts definiert werden konnten (vgl. Einführung zu Abschn. 10.2, insbesondere Tab. 10.7). Über eine Analyse aller 36 Unterrichtsepisoden der Erstklässler*innen wurden dann induktiv Subkategorien herausgearbeitet, welche die Unterstützung der verschiedenen (meta-)kognitiven Prompts aufzeigen konnten. Anhand von Ankerbeispielen und durch grafische Veranschaulichungen (vgl. Abb. 10.6 und Abb. 10.11) der Unterstützungsmöglichkeiten wurden die Subkategorien in Bezug auf die drei Funktionen der (meta-)kognitiven Lernprompts detailliert dargestellt.

Aufbauend auf der Präsentation des Kategoriensystems wurde die Unterstützung der Lernenden durch die verschiedenen Lernprompts dann systematisch quantifiziert und mit Hilfe von Methoden der deskriptiven Statistik weiter ausgewertet (vgl. Abschn. 10.2.2). Es wurden insgesamt deutlich häufiger metakognitive als kognitive Lernprompts adaptiv bei den Unterrichtsepisoden eingesetzt. Dieses Ergebnis stützt die im theoretischen Abschnitt 4.2.1 entwickelte These, dass diese Form der Lernprompts Lernenden bei der kreativen, d. h. denkflüssigen, flexiblen und originellen Bearbeitung der arithmetisch offenen Aufgaben, eine besonders gute Unterstützung bieten können. Dabei stellten sich insgesamt die metakognitiven Prompts als besonders bedeutsam für die kreative Bearbeitung der arithmetisch offenen Aufgaben heraus. Vor allem der Prompt 3, bei dem die Kinder zu einer verbalen Erklärung ihrer Zahlensätze angehalten wurden, unterstützte die Erstklässler*innen im Zeigen weiterer arithmetischer Ideentypen. Auf diese Weise wurden ihre divergenten Fähigkeiten der Denkflüssigkeit und Flexibilität als Merkmale der individuellen mathematischen Kreativität positiv beeinflusst. Eine mögliche Formulierung eines solchen metakognitiven Prompts, so wie er in den durchgeführten Unterrichtsepisoden eingesetzt wurde, kann folgendermaßen lauten:

Prompt 3::

„Warte bitte kurz, bevor du die Aufgabe auf den Tisch hinlegst – ich bin ganz neugierig: Kannst du mir erklären, wie du diese Aufgabe gefunden hast? Was war deine Idee?“

Um neben der Denkflüssigkeit und Flexibilität als dritte bedeutsame Fähigkeit auch die Originalität der Erstklässler*innen anzuregen, wurden in der Reflexionsphase verschiedene (meta-)kognitive Prompts angeboten. Vor allem der kognitive Prompt 10, also das absichtsvolle Einbringen eines fremden Zahlensatzes durch mich als begleitende Lehrende-Forschende, führte bei den Erstklässler*innen vermehrt zu einer gezielten Reflexion und Erweiterung im Sinne des InMaKreS-Modells. In den durchgeführten Unterrichtsepisoden wurde dieser Prompt wie folgt formuliert und kann damit als Vorlage für die spezifische Ausformulierung von Prompts mit dem Ziel der Reflexion und Erweiterung bei der kreativen Bearbeitung anderer offener Aufgaben dienen:

Prompt 10::

„Ein anderes Kind hat noch diese Aufgabe aufgeschrieben. Passt die auch zu deinen Aufgaben? Findest du jetzt noch weitere Aufgaben mit der Zahl 4?“