Schlüsselwörter

1 Einleitung

Teilhabe als wissenschaftliches Konzept und politisches Schlagwort hat im Zuge der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention eine starke Verbreitung erfahren. Die sich zunehmend interdisziplinär entwickelnde Teilhabeforschung (Farin, 2012, S. 4) nutzt die Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) der WHO als zentralen Bezugsrahmen (Brütt et al., 2016, S. 1071) und zielt darauf ab, in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen Möglichkeiten und Risiken von Teilhabe – insbesondere von Menschen mit Behinderung – zu ergründen. Hier findet sich auch Forschung zur Teilhabe von Menschen, die altersbedingt in ihrer Lebensführung beeinträchtigt sind (z. B. Schirra-Weirich et al., 2017; Simonson et al., 2013; Strube et al., 2015). Doch auch die mit der Teilhabeforschung bislang noch eher selten explizit verbundene sozialgerontologische Forschung stellt die Verbesserung der Teilhabemöglichkeiten im Alter in den Fokus ihrer Analyse (Kuhlmann et al., 2016, S. 47).

Forschung zu Teilhabe und ihrer Förderung im Kontext stationärer Altenhilfe liegt jedoch sowohl im nationalen als auch im internationalen Kontext bisher nur wenig vor (Bleck et al., 2020). Gleichwohl gehört die Gewährleistung von Teilhabe zu den Leitzielen der Altenpolitik und -hilfe. So besteht auch für Bewohner*innen stationärer Altenpflegeeinrichtungen nicht nur der Anspruch auf eine qualitätsvolle medizinische und pflegerische Versorgung, sondern auch das Recht auf eine selbstbestimmte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Dieses Recht lässt sich sowohl mit der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) als auch den auf Landesebene festgehaltenen rechtlichen Anforderungen an Altenpflegeeinrichtungen (z. B. Wohn- und Teilhabegesetz Nordrhein-Westfalen) begründen. Vor diesem Hintergrund stellt der folgende Beitrag eine empirische Studie zum weitestgehend unerforschten Phänomen der Förderung von selbstbestimmter Teilhabe in der stationären Altenpflege vor. An anderer Stelle wurde diese Studie in ihrer Gesamtheit veröffentlicht (Bleck et al., 2020) oder ausgewählte Ergebnisbereiche daraus behandelt (Bleck et al., 2021 i. E.; Conen et al., 2021 i. E.). Der vorliegende Beitrag stellt das methodische Konzept und Vorgehen der Studie in den Mittelpunkt, um dies in eine methodische Reflexion und Diskussion zu überführen. Ziel ist es, zum einen das Forschungsdesign in der seltenen konzeptionellen Verknüpfung von Teilhabe und stationärer Altenhilfe methodisch zu erläutern und zum anderen diesen Forschungsbeitrag hinsichtlich der Weiterentwicklung von Teilhabeforschung zu diesem Handlungsfeld darzulegen.

2 Methodischer Aufbau und Ablauf der Studie

Die hier vorgestellte Studie wurde in dem anwendungsorientierten Forschungs- und Entwicklungsprojekt ‚Selbstbestimmt teilhaben in Altenpflegeeinrichtungen (STAP)‘ mit einer dreijährigen Laufzeit realisiert. Das in Zusammenarbeit zwischen dem Diözesan-Caritasverband für das Erzbistum Köln e. V. und der Hochschule Düsseldorf durchgeführte sowie von der Stiftung Wohlfahrtspflege NRW geförderte STAP-Projekt hat Voraussetzungen zur Förderung und Verwirklichung der selbstbestimmten Teilhabe von Bewohner*innen stationärer Altenpflegeeinrichtungen untersucht. Da es hierfür bislang an praxistauglichen Orientierungen fehlte, war es Ziel des Projektes, auf empirischer Grundlage ein Musterrahmenkonzept zu entwickeln.

2.1 Selbstbestimmte Teilhabe in der stationären Altenhilfeeinrichtung erforschen

Selbstbestimmte Teilhabe innerhalb des Projektes wurde verstanden als gleichberechtigter Zugang zu und Mitbestimmung über soziale Umweltbeziehungen (Fuchs, 2009, S. 20). Dieses für die explorative Forschung in STAP gewählte, bewusst weite Begriffsverständnis von Teilhabe, ist sowohl anschlussfähig an ‚participation‘ im Sinne der ICF und des Einbezogen-Seins in eine Lebenssituation (World Health Organization, 2001) als auch an ein menschenrechtsbasiertes Teilhabeverständnis, wie es in der UN-Behindertenrechtskonvention (Art. 3 UN-BRK) zum Ausdruck kommt. Die Förderung der Teilhabe von Bewohner*innen in Altenpflegeeinrichtungen wurde in STAP folglich als die Umsetzung eines Menschenrechtes betrachtet. Darüber hinaus sollte das in STAP gewählte Begriffskonstrukt der ‚selbstbestimmten Teilhabe‘ ausdrücklich markieren, dass Selbstbestimmung ein untrennbar mit dem Grundsatz der Teilhabe in Verbindung stehendes Prinzip darstellt, nach dem die Teilhabeförderung zu gestalten ist.

Wenn demnach Altenpflegeeinrichtungen rechtlich, normativ begründet, Teilhabe in ihren Versorgungssettings als Möglichkeit und Angebot grundlegend gewährleisten sollen, so bemisst sich der Umsetzungsgrad der Teilhabeförderung an ihrer Inanspruchnahme durch Menschen mit Pflege- und Unterstützungsbedarf und damit an „ihrer freien Wahl und kann nicht verordnet werden. Entscheidend sind die individuellen Wünsche und Bedürfnisse“ (Kardoff & Meschnig, 2009, S. 89).

Dieses Verständnis spiegelte sich erstens in dem Erkenntnisinteresse und den damit verbundenen Forschungsfragen von STAP wieder:

  • Wie können Wünsche und Bedürfnisse von Bewohner*innen stationärer Pflegeeinrichtungen besser berücksichtigt werden?

  • Wie kann auf dieser Basis das Recht auf selbstbestimmte Teilhabe dieser Bewohner*innen umgesetzt und überprüft werden?

Zweitens leitete dieses Verständnis die Auswahl der Erhebungsmethoden und -instrumente, mit denen relevante Faktoren in Bezug auf die Äußerung und Berücksichtigung von Wünschen und Bedürfnissen zur Teilhabe sowie deren Umsetzung empirisch angemessen bei allen Beteiligten – auch bei kognitiv eingeschränkten Bewohner*innen – erfasst werden sollten.

2.2 Sequentielles Mixed-Methods-Design

Die Erhebungsstrategie verfolgte das Ziel, sich möglichst eng an der sozialen Wirklichkeit von Altenpflegeeinrichtungen zu orientieren und teilhabefördernde wie -hemmende Faktoren zunächst qualitativ zu entdecken und darauf aufbauend quantitativ zu verallgemeinern (vgl. Mayring, 1999). Die Daten wurden daher über einen sequentiellen Aufbau eines Mixed-Methods-Ansatzes erhoben (vgl. Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

© Bleck et al., 2020

Sequentielles Mixed-Methods-Design Projekt STAP (Bleck et al., 2020, S. 46).

Die qualitative Analyse folgte einem explorativen Vorgehen, indem zunächst in Form einer multiperspektivischen Anlage Einzelinterviews mit verschiedenen Personengruppen in vier ausgewählten Einrichtungen eines Trägers geführt wurden – sowohl mit Bewohner*innen und Angehörigen (problemzentrierte Interviews) als auch mit Mitarbeitenden aller Bereiche und Leitungskräften (Expert*inneninterviews). Darauffolgend fanden in diesen Projekteinrichtungen jeweils zweiwöchige teilnehmende Beobachtungen in Kombination mit informellen Kurzgesprächen statt, mit denen auch Bewohner*innen mit kognitiven Einschränkungen einbezogen werden konnten. Anschließend wurden trägerübergreifend zwei Fokusgruppen durchgeführt, um die bisherigen Ergebnisse trägerunabhängig validieren zu können. Auf dieser Basis erfolgte mittels einer quantitativen, wiederum trägerübergreifenden Umfrage die Überprüfung der qualitativ gewonnenen Ergebnisse. Projektergänzend wurden Ergebnisse einer ‚Good-Practice‘-Analyse integriert, die über Expert*inneninterviews mit Leitungskräften auf die Identifikation von Gelingensfaktoren zielte.

2.3 Erhebungsmethoden

2.3.1 Qualitative Erhebungen

Nach einer systematischen Literaturrecherche und -analyse zum Forschungsstand wurde mit der Durchführung der qualitativen Interviews begonnen. Um den oben aufgeführten Forschungsfragen nachgehen zu können, wurde das Sampling der Interviewpartner*innen dahingehend ausgelegt, die vorhandenen unterschiedlichen Wissensinhalte von Expert*innen (Mitarbeitende aller Bereiche sowie Leitungskräfte) und das alltagsgebundene Wissen von ‚Laien‘ (Bewohner*innenFootnote 1 der Einrichtungen und deren Angehörige) in den Blick zu nehmen (Schütz, 1972). Das Wissen (‚knowing that‘ nach Ryle (1945)) der Interviewpartner*innen wurde in Hinblick auf die Organisation und die Prozesse von selbstbestimmter Teilhabe in Altenpflegeeinrichtungen betrachtet. Die verschiedenen Befragungsgruppen bildeten daher multiperspektivisch die unterschiedlichen, in einer Altenpflegeeinrichtung agierenden Gruppen nach professioneller Perspektive oder Lebenswelten ab. Erhoben wurde das Betriebs- und Kontextwissen der Expert*innen (Meuser & Nagel, 2002, S. 446) sowie eine im Fokus stehende Problemstellung der subjektiven Wahrnehmung und Verarbeitungsweise von betroffenen ‚Laien‘ (Witzel, 1985).

Anschließend erfolgten teilnehmende Beobachtungen in den vier Einrichtungen sowie damit einhergehende nicht-strukturierte, informelle Gespräche. Annahme war, dass die soziale Praxis den Ort des impliziten Wissens zur selbstbestimmten Teilhabe darstellt (Reckwitz, 2010, S. 185 f.). Die Handlungspraxis der beforschten Personen innerhalb ‚normaler‘ Praxissituationen galt hier als Untersuchungsgegenstand (vgl. Bohnsack et al., 2007; Streblow, 2005). In der Praxis zeigte sich, welche nicht versprachlichten Aspekte von Teilhabe von Bedeutung sind, wie z. B. Aneignungsformen von Gemeinschaftsräumen innerhalb einer Einrichtung. Die offene teilnehmende Beobachtung gab die Möglichkeit, innerhalb der Handlungssituationen mit dem Umfeld durch Interaktion und Kommunikation in Verbindung zu treten (Döring & Bortz, 2016, S. 334 ff.). Daher erfolgten im Zuge der Beobachtungen spontane und offen geführte informelle Kurzgespräche, u. a. mit Bewohner*innen mit kognitiven Einschränkungen. Durch die Kürze der Gespräche und der gerade erlebten Situation konnten sich auch Bewohner*innen mit einem eingeschränkten Kurzzeitgedächtnis daran beteiligenFootnote 2. Der Feldzugang wurde gezielt vorbereitet, um verschiedene teilhaberelevante Situationen erfassen zu können. So wurden sowohl mögliche Beobachtungssituationen zur Fokussierung identifiziert als auch die Settings nach Beobachtungspfaden – ausgehend vom Sozialen Dienst – ausgewählt. Zu den Teilhabesettings gehörten: (a) Angebote innerhalb und außerhalb der Einrichtung, (b) regelmäßige informelle Treffen, (c) Orte informeller Begegnungen sowie (d) Alleinsein als Aktivität. Diese wurden mit den Einrichtungen kommuniziert und z. T. in Form eines Beobachtungsplans (Flick, 2016, S. 126) abgestimmt. Die Protokollierung erfolgte auf der Basis der Feldnotizen während und im Anschluss der Beobachtung (Girtler, 2009, S. 221) und orientierte sich in der Darstellungsform an „objektiven Beschreibungen“ (Thomas, 2019, S. 112) der Situation oder einer Handlung. Hierbei wurden vorab festgelegte Kriterien berücksichtigt, welche unterteilt waren in Kontexte, z. B. Uhrzeit und Ort, und Dimensionen, beispielsweise (Nicht-)Herstellung von Teilhabe in Interaktion oder (Nicht-)Zugang zu Situationen, Angeboten und Prozessen von Teilhabe. Mit der Verschriftlichung der Feldnotizen wurde im Rahmen der informellen Gespräche gleichermaßen umgegangen.

Darüber hinaus wurden zwei leitfadengestützte Fokusgruppen (Kühn & Koschel, 2011) durchgeführt. Das Sample war explizit heterogen mit Teilnehmenden unterschiedlicher Träger (freigemeinnützig, öffentlich sowie privatgewerblich) und ausgewählter Einrichtungsbereiche (Einrichtungsleitung und Pflegedienstleitung sowie Sozialer Dienst). Die Diskussion wurde primär genutzt, um einen Vergleich zu den Ergebnissen der Einzelinterviews und Beobachtungen in den Projekteinrichtungen zu erzielen sowie bis dahin gering berücksichtigte Aspekte zu fokussieren.

2.3.2 Quantitative Erhebung

Daran anschließend wurde die quantitative Analyse über eine standardisierte Online-Befragung von Einrichtungsleitungen stationärer Altenpflegeeinrichtungen in NRW durchgeführt. Als Befragungspersonen wurden Einrichtungsleitungen ausgewählt, da die Vorannahmen waren, dass einerseits Teilhabeförderung in allen Einrichtungsbereichen und zentralen Prozessen von Belang ist und andererseits Einrichtungsleitungen zu allen Bereichen der Einrichtungen eine – zumindest übergeordnete – Aussage treffen können sowie Einsichten in die relevanten Strukturen, Prozesse und Leistungen der Einrichtungen besitzen. Inhaltlich wurden in der standardisierten Befragung ausgewählte, als relevant markierte Ergebnisse der qualitativen Analyse integriert. Die Auswahl fiel auf Ergebnisse, die in den qualitativen Erhebungen als besonders teilhabeförderlich eingeschätzt wurden, die Veränderungspotenzial beinhalteten oder auf Ergebnisse, die auf eine Lücke im Forschungsstand hinwiesen bzw. konträr zum Forschungsstand standen. Innerhalb dieses nun trägerübergreifenden Untersuchungsschrittes folgte sowohl der Fragebogen als auch die Analyse der Fragestellungen, die das Vorliegen und die Relevanz (1) der identifizierten Rahmenbedingungen sowie (2) der fördernden und hemmenden Faktoren durch die Leitungskräfte anderer Einrichtungen anzielten. Erhoben und analysiert wurde (3), inwiefern Kontextfaktoren der Einrichtungen diese beiden Fragebereiche beeinflussten.

2.4 Auswertungsmethoden

2.4.1 Auswertung der qualitativen Erhebungen

Innerhalb der qualitativen Analyse lagen verschiedene Datenquellen zu unterschiedlichen Zeitpunkten vor, deren Verhältnis zueinander in der Auswertung zu klären war. Um Multiperspektivität zu gewährleisten, lag der Schwerpunkt der qualitativen Analyse auf der Auswertung der Interviews mit den verschiedenen Akteur*innengruppen, sodass die teilnehmende Beobachtung eine ergänzende Stellung in der Analyse einnahm (Farrokhzad & Mäder, 2014, S. 50).

Innerhalb der qualitativen Erhebungsphase wurden die Methoden der Interviews, der Beobachtung und der Fokusgruppen informierend zur gegenseitigen Ergänzung genutzt. Dabei sollte die Varianz der Methoden und Datensorten der Erhebung dazu führen, dass die gewonnenen Ergebnisse miteinander konvergieren und sich anreichernd ergänzen.

Mit Blick auf das anwendungsorientierte Erkenntnisinteresse einen möglichst breiten Überblick über Merkmale der Teilhabepraxis und der Organisation von Teilhabe zu gewinnen, fiel die Wahl auf die inhaltlich strukturierende Analyse nach Kuckartz (2016). Ziel der Interviewanalyse war es, das Material systematisch im Hinblick auf ausgewählte Themen mit Bezug zu dem anvisierten teilhabeförderlichen Musterrahmenkonzept kategorisierend zu ordnen. Die Themen wurden deduktiv festgelegt und im Verlauf der Analyse induktiv ausdifferenziert und bildeten in der Summe das Kategoriensystem (z. B. Mayring, 2015; Schreier, 2013).

Auch die Daten der Beobachtungen wurden inhaltsanalytisch ausgewertet, da folgendes Methodenverständnis vorlag: Beobachtungsinhalte sind intersubjektiv und dadurch für Beobachtende nachvollziehbare Kommunikationsinhalte, bei denen der*die „mitweltliche Beobachter[*in]“ (Merkens, 1992, S. 221) prinzipiell den Sinn der beobachteten Praktiken nachvollziehen kann, ohne eine soziale Rolle in der Interaktion einzunehmen.

Die Auswertung der Fokusgruppen erfolgte wiederum orientiert an der inhaltlich-strukturierenden Inhaltsanalyse, mit der Zielsetzung einer Validierung der ersten empirischen Befunde (Flick, 2019, S. 411 ff.).

Die Analyse variierte zwischen den drei qualitativen Erhebungsformen, wobei insgesamt – angesichts des anwendungsorientierten Charakters der Studie – eine deskriptive, aussagenorientierte Analyse erfolgte. Das Kategoriensystem der Interviews orientierte sich deduktiv sowohl an den Untersuchungsfragen als auch an Dimensionen der Aufbau- und Ablauforganisation von Altenpflegeeinrichtungen. Zuzüglich erfolgte im zweiten Schritt die Bildung induktiver Kategorien aus dem Material. Nach der ersten Sichtung des Materials konnten nur wenige Spezifika gefunden werden, die auf grundlegende Intergruppendifferenzen hinwiesen, sodass die Interpretation nicht akteur*innengruppen- oder einrichtungsbezogen, sondern fallübergreifend über den gesamten Textkorpus erfolgte.

Ziel der Auswertung der teilnehmenden Beobachtung war, entsprechend der Beobachtungsdimensionen kontextualisierende Informationen über die Aspekte der Herstellung von Teilhabe zu gewinnen. Diese konnten in der Beobachtung insbesondere in Bezug auf Gesprächs- und Handlungssituationen gewonnen werden, die den Alltag der Bewohner*innen strukturierten. Zu diesen zählten alle morgendlichen und abendlichen Routinen, Mahlzeiten und Zeiten ohne Bestimmungszweck.

Innerhalb der Analyse der Fokusgruppen fokussierte sich die Auswertung des verschriftlichten Materials primär auf Aussagen, welche in besonderer Weise die bisherigen Ergebnisse ergänzten.

Abschließend wurden in den jeweiligen methodischen Zugängen die Aussagen pro Thema, möglichst eng am Material, hinsichtlich förderlicher und hemmender Faktoren unterschieden. Diese Unterscheidung erfolgte regelgeleitet, indem hier definitorisch auf Grundlage des Normalitätsprinzips zwischen (1) Orientierung an der Normalität (förderlich) und (2) einer Nichtorientierung an der Normalität (hemmend) sowie (3) keinem oder geringem für die Teilhabeförderung entstehenden Effekt unterschieden wurde.

2.4.2 Auswertung der quantitativen Erhebung

Die Ergebnisse der Online-Befragung wurden mit dem Statistikprogramm R aufbereitet und ausgewertet. Neben der deskriptiven Auswertung der Ergebnisse wurden Signifikanztests zur Analyse von Gruppenunterschieden durchgeführt. Entsprechend des Skalenniveaus und der Annahmevoraussetzungen wurden für kleine Stichproben geeignete nonparametrische Testverfahren eingesetzt, u. a. der U-Test (Eid et al., 2017, S. 343–349) und der Kruskal–Wallis-Test (ebd., S. 454–456). Bei der Beurteilung der Ergebnisse wurden Verzerrungen berücksichtigt, die sich beispielsweise bei der Erhebung von fördernden und hemmenden Faktoren bei vornehmlich für die Teilhabe verantwortlichen Leitungskräften ergeben (Antworten nach sozialer Erwünschtheit, Monoperspektive einer Statusgruppe).

3 Überführung der Ergebnisse in ein Musterrahmenkonzept zur Teilhabeförderung in Altenpflegeeinrichtungen

Über die hier beschriebenen empirischen Zugänge und Methoden konnten schließlich Kernprozesse sowie fördernde und hemmende Faktoren zur Teilhabeförderung in Altenpflegeeinrichtungen auf zentralen Ebenen empirisch identifiziert werden.

Als Ausgangspunkt und Kernprozess der Teilhabeförderung in Altenpflegeeinrichtungen wurde die Äußerung und Erfassung von Wünschen der Bewohner*innen zur Teilhabe festgehalten (vgl. Abb. 2). So ist hierbei etwa relevant, dass entsprechend der Voraussetzungen der Bewohner*innen verschiedene Einbeziehungsformen individuell genutzt sowie Teilhabewünsche in vorhandenen Planungsinstrumenten regulär berücksichtigt sowie im gesamten Team kommuniziert werden. Darauf aufbauend sollten die Teilhabewünsche der Bewohner*innen in der Alltags- und Angebotsgestaltung der Einrichtungen grundlegend berücksichtigt sowie mitunter flexibel und mit besonderen Ressourcen verwirklicht werden.

Abb. 2
figure 2

© Bleck et al., 2020, S. 248

Kernprozess sowie Faktoren zur Förderung selbstbestimmter Teilhabe in Altenpflegeeinrichtungen.

Die für diesen Kernprozess relevanten Faktoren wurden auf der Ebene der Bewohner*innen, der Mitarbeitenden sowie der Einrichtungsstrukturen und -prozesse unterschieden (vgl. Abb. 2). Insgesamt kann als bedeutsam hervorgehoben werden, dass bereichsübergreifend ein Bewusstsein für die Förderung und Verwirklichung des Rechts auf selbstbestimmte Teilhabe bei den Mitarbeitenden existiert und dies sowohl konzeptionell verankert ist als auch stets im Arbeitsalltag durch die Leitungskräfte gefördert wird. Festzuhalten ist zugleich, dass eine bedarfsgerechte Personalausstattung in Altenpflegeeinrichtungen auch für die Verwirklichung selbstbestimmter Teilhabe von hoher Bedeutung ist (Bleck et al., 2020, S. 248 ff.).

Auf Grundlage der empirischen ErgebnisseFootnote 3 wurde ein Entwurf für das Musterrahmenkonzept entwickelt, das die identifizierten Anforderungen an die Umsetzung von selbstbestimmter Teilhabe aufführt und um Erläuterungen sowie Beispiele ergänzt. Das in dieser Form aufbereitete Musterrahmenkonzept ermöglicht, den Ist-Zustand für die eigene Einrichtung einzuschätzen und mögliche Handlungsbedarfe sowie Verbesserungsmaßnahmen festzuhalten.Footnote 4 Dieses wurde im Rahmen einer Implementationsanalyse überprüft, indem dessen Bewährung innerhalb des konkreten institutionellen Bedingungsgefüges und der Arbeitsabläufe einer ausgewählten Erprobungseinrichtung analysiert wurde. Inhaltlich lehnte sich die Analyse an die von Petermann (2014, S. 124) vorgeschlagene Taxonomie an und richtete sich – entsprechend der Ressourcen und Zielsetzungen des Projektes – an folgenden Kategorien aus: (1) Akzeptanz, (2) Angemessenheit und (3) Machbarkeit des Musterrahmenkonzeptes sowie der daraus abgeleiteten Maßnahmen. Mit dieser anschließenden Analysephase wurde intendiert, Barrieren der Konzeptnutzung und -umsetzung aus Sicht der professionellen Akteur*innen zu identifizieren und ggf. zu bearbeiten.

Die Analyse umfasste zwei Akteur*innenebenen, zu denen die Leitungsebene der Einrichtung und die der Mitarbeitenden zählten. Während auf der Leitungsebene die Diagnose von teilhabesensiblen Strukturen und Prozessen anhand des Musterrahmenkonzeptes erfolgte, so fokussierte die Mitarbeitenden-Ebene auf die daraus abgeleiteten Maßnahmen. Darunter fiel beispielsweise ein bewohner*innenspezifischer Wochenplan zu Angeboten des Sozialen Dienstes.

Die Implementationsebene der Ist-Stand-Analyse anhand des Musterrahmenkonzeptes wurde durch ein Fokusgruppeninterview, in das alle beteiligten Personen der Leitungsebene einbezogen waren, rekonstruiert und wiederum inhaltsanalytisch ausgewertet. Währenddessen wurde die Sicht der Mitarbeitenden nach der Erprobungsphase hinsichtlich der implementierten Maßnahmen durch qualitative Leitfadeninterviews und einen quantitativen Kurzfragebogen erhoben.

Die Erprobungsphase verdeutlichte insgesamt, dass es auf Basis des Konzeptes möglich ist, den Ist-Zustand zu den einzelnen Anforderungen für die eigene Einrichtung einzuschätzen und damit Problemfelder, in denen Teilhabe innerhalb der Einrichtung noch nicht hinreichend realisiert sind, zu identifizieren. Als hilfreich zeigte sich ein multiprofessionelles und partizipatives Vorgehen in der Musterrahmenkonzept-Bearbeitung – so war eine gemeinsame Reflexion möglich und Hindernisse konnten identifiziert und ausgeräumt werden. Ferner wurde eine Sensibilisierung für die Thematik und eine ausgeprägte Identifikation mit dem Thema Teilhabe erreicht.

4 Zusammenfassung und kritische Reflexion

Abschließend kann zunächst festgehalten werden, dass der aktuelle Stand der Teilhabeforschung speziell im Feld der stationären Altenhilfe und in Bezug auf eine anwendungsorientierte „Betrachtung von Einflussfaktoren, die Teilhabe befördern oder verhindern“ (Schäfers et al., 2015, S. 2) noch als gering zu bewerten ist. Angesichts dessen wurde in STAP ein sequentielles Mixed-Methods-Design nach dem Verallgemeinerungsmodell gewählt, das sich als hilfreich erwiesen hat, um über das explorative qualitative Vorgehen teilhabehemmende und -fördernde Faktoren zu eruieren und eine Auswahl dieser in einem zweiten Schritt mittels einer quantitativen Umfrage verallgemeinern zu können. Als einschränkend wurde aber auch die zwangsläufig erforderliche Komplexitätsreduktion in der Operationalisierung der qualitativen Ergebnisse für die quantitative Analyse erfahren, die insbesondere bei komplexen Forschungsgegenständen eine Ergebnisauswahl verlangt. Naheliegend, dennoch zu betonen ist, dass sich für eine differenzierte Betrachtung der Einflussfaktoren die Heterogenität des Samplings als zentral erwiesen hat. Hier konnte im Rahmen der Interviews das Wissen und die subjektiven Relevanzen aus Sicht der verschiedenen professionellen Akteur*innengruppen sowie der Bewohner*innen und ihrer Angehörigen erfasst werden. Auch war die Methode der teilnehmenden Beobachtung wesentlich für die Analyse der unmittelbaren Handlungspraxis und zur Ansprache von situativ beteiligten Personen, dabei auch Bewohner*innen mit einer Demenz.

In Bezug auf die in STAP gewählten Forschungszugänge und -methoden lassen sich abschließend für die Frage danach, wie Teilhabeforschung im Feld der Altenhilfe weiterentwickelt werden könnte, insbesondere folgende Anregungen festhalten.

  • Eine wesentliche Herausforderung in der Forschung in stationären Altenpflegeeinrichtungen ist die Beteiligung der Bewohner*innen im Sinne partizipativer Forschungsmethoden (z. B. Hartung et al., 2020; Unger, 2014). STAP konnte die Bewohner*innen berücksichtigen, gleichwohl die Leitfadeninterviews zu größeren Anteilen mit den professionellen Akteur*innen geführt wurden. Dies begründet sich dadurch, weil hier die Identifizierung von fördernden und hemmenden Faktoren der Teilhabeförderung aus Sicht der professionellen Praxis im Fokus stand. Gleichermaßen wurden angesichts der Bewohner*innenstruktur in Altenpflegeeinrichtungen sowohl Grenzen (z. B. Beteiligung an umfassenden Leitfadeninterviews) als auch Möglichkeiten (z. B. Gespräche über Kurzkontakte im Rahmen der teilnehmenden Beobachtung) erfahren. Hier besteht ein grundlegender Bedarf der Weiterentwicklung von Teilhabeforschung in Kontexten von Altenpflegeeinrichtungen, sich der Umsetzung von partizipativer Forschung mit vulnerablen Personengruppen zu widmen – vor allem auch mit Menschen mit Demenz. Auch wenn insbesondere aus forschungsethischen und -praktischen Erwägungen Grenzen, etwa in der Interviewforschung mit Menschen mit Demenz bestehen, so gilt es hier im Rahmen der Teilhabeforschung in der Altenhilfe an den konzeptionellen Grundlagen einer beginnenden „akteurszentrierten Demenzforschung“ (Grebe, 2019, S. 154) anzuschließen. So können auch Menschen mit Demenz in Pflegeeinrichtungen nicht nur als Forschungsobjekte, sondern als aktiv handelnde Subjekte in ihren Lebenswelten betrachtet und einbezogen werden (Meier & Bleck, 2020, S. 291 f.). Ferner waren Bewohner*innenbeiräte in STAP vor und in der Feldphase beteiligt, indem sie den Feldzugang und die Auswahl von Settings mit beeinflussten. Gerade mit Blick auf diese Gremien sollte für die Teilhabeforschung Optionen zur systematischen Zusammenarbeit weiterentwickelt werden. Generell stellt sich also die besondere Herausforderung, wie „soziale Mechanismen des Ein- und Ausschließens“ (Schäfers et al., 2015, S. 3) aus Sicht von Bewohner*innen einerseits partizipativ und andererseits inhaltsvalide sowie forschungsethisch sensibel erfasst werden können.

  • Selbstbestimmte Teilhabe leitet sich normativ aus der Menschenwürde und den Menschenrechten ab, also dem „Recht, Rechte zu haben“ (Arendt, 1991, S. 674). Dazu müssen Mitarbeitende in ihrer Arbeitsorganisation und Bewohner*innen an ihrem Wohn- und Lebensort eine entsprechende Haltung entwickeln, die innerhalb der Einrichtungskultur gelebt wird. Dahingehend sind mögliche Kausalitäten und handlungsrelevante soziale Mechanismen für die Teilhabeförderung, bezogen auf Organisationskultur und Quartiersöffnung, in der Altenhilfe weitestgehend unerforscht (z. B. Brandenburg et al., 2020).

  • Das Erkenntnisinteresse steht auch in der Teilhabeforschung im Zusammenhang mit hierfür vorangestellten Problemdefinitionen, die sich im Falle der selbstbestimmten Teilhabe in Altenpflegeeinrichtungen, neben dem in STAP untersuchten Erbringungskontext, zwingend auch auf den politischen und gesellschaftlichen Kontext beziehen müssen. Wenn Teilhabeforschung typischerweise die „Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Umweltbedingungen und Beeinträchtigungen“ (Schäfers et al., 2015, S. 3) in den Blick nimmt, dann sollten auch zur selbstbestimmten Teilhabe der Bewohner*innen von Altenpflegeeinrichtungen verschiedene Ebenen in den Fokus genommen werden: Dazu gehören, neben individuellen Ursachen auf Ebene der Mitarbeitenden, Angehörigen und institutionellen Einflüssen, auch die Ebene der Organisation, die strukturellen Ursachen mangelnder Teilhabe und ihrer Förderung auf politischer und gesellschaftlicher Ebene. Potenziale für eine entsprechende Analyse könnten qualitative Mehrebenanalysen bieten (z. B. Hummrich & Kramer, 2018).

  • Abschließend sei auf den in Deutschland – im Vergleich mit dem angloamerikanischen und skandinavischen Raum – in vielen sozialwissenschaftlichen Forschungsfeldern vorhandenen Nachholbedarf zur Verankerung von systematischer Implementationsforschung hingewiesen, der auch die Teilhabeforschung in Kontexten der Altenhilfe betrifft. Dieser Bedarf ist vor allem an die Forschungsförderung gerichtet, die nicht nur singuläre Forschungsprojekte, sondern auch in der Teilhabeforschung aufeinander aufbauende Studien und Studientypen – wie Beobachtungs-, Interventions- und Implementationsstudien – fördern sollte. Zukünftig wünschenswert sind also Förderlinien, die langfristig eine konsekutiv gestaltete Teilhabeforschung ermöglichen.