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1 Einwilligungsprozesse – ein Bewährungsfeld für Selbstbestimmung und Teilhabe

Das Thema der Einwilligung von Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen ist in der Vergangenheit vornehmlich als juristisches Thema verhandelt worden. In Situationen, in denen zunächst keine eindeutige Einwilligung oder Ablehnung einer bestimmten Maßnahme oder Entscheidung eingeholt werden kann, versuchen auch Forschende, (ver)sorgende Angehörige, Fachpersonal und rechtliche Betreuer*innen, sich oft zunächst rechtlich abzusichern. Die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) ist hier eindeutig: Sie betont in Artikel 12 nicht nur die uneingeschränkte Anerkennung von Menschen mit Behinderung als handlungs- und entscheidungsfähige Rechtssubjekte („legal capacity“), sondern gibt in Absatz 3 auch vor, dass die Vertragsstaaten geeignete Maßnahmen treffen müssen, damit Menschen mit Behinderung diese Rechts- und Handlungsfähigkeit auch wirksam ausüben können. Die Praxis sieht indes anders aus. Der UN-Fachausschuss forderte im Jahre 2014 mit Verweis auf die bestehende Praxis in seinen Allgemeinen Bemerkungen Nr. 1 zum Artikel 12 der UN-BRK, dass die Akteure in Deutschland anstelle der verbreiteten Formen ersetzender Entscheidungsfindung durch rechtliche Vertreter*innen endlich konsequent Formen der unterstützenden Entscheidungsfindung entwickeln und umsetzen (UN-Fachausschuss, 2014). Daraus ergibt sich einerseits eine notwendige rechtliche Reform, wie sie durch die Reform des Betreuungsrechts inzwischen angestoßen ist. Zum anderen resultiert daraus die fachliche Aufgabe für (heil-)pädagogische Fachkräfte, die Entscheidungs- und Einwilligungsfähigkeit von Menschen zu unterstützen. Im internationalen Diskurs ist die Entwicklung von Konzepten für die Unterstützung in Entscheidungsprozessen („support for decision-making“, Bigby & Douglas, 2016) bereits deutlich weiter vorangeschritten und in Weiterbildungsmodule für Unterstützer*innen übersetzt.

Der Referentenentwurf zum neuen Betreuungsrecht sieht zwar vor, dass ersetzende Entscheidungen nunmehr begründungspflichtig sind, hält jedoch das Instrument des Einwilligungsvorbehaltes durch die*den rechtliche*n Betreuer*in aufrecht. Die Stellungnahme des Instituts für Menschenrechte betont, dass damit ein zentrales Instrument der Fremdbestimmung – ggfs. auch gegen den Willen der Person – erhalten bleibt: Der in § 1825 BGB-E weiterhin vorgesehene Einwilligungsvorbehalt rechtlicher Betreuer*innen schränkt die rechtliche Handlungsfähigkeit von Menschen mit Beeinträchtigungen deutlich ein. Nach Einschätzung der Monitoringstelle zur Umsetzung der UN-BRK beim Deutschen Institut für Menschenrechte wären hier deutlich eingriffsärmere Regelungen denkbar gewesen, etwa ein Anfechtungsrecht für rechtliche Betreuer*innen. Mindestens müsste sichergestellt sein, dass „ein Einwilligungsvorbehalt nicht gegen den Willen der betreuten Person angeordnet werden darf und im Übrigen auch nur entsprechend deren Willen und Präferenzen ausgeübt werden darf“ (Deutsches Institut für Menschenrechte, 2020, S. 7).

In der Praxis der Bildungs- und Unterstützungssysteme für Menschen mit Behinderungen sowie der Forschung im Feld Behinderung steht die Entwicklung neuer Formen einer unterstützenden anstelle der noch weit verbreiteten ersetzenden Entscheidungsfindung noch aus. Bestehende Teilhabechancen und -barrieren im Kontext von Einwilligungsprozessen müssen kritisch analysiert werden – unter Einbezug der subjektiven Perspektive der Menschen selbst. Zunächst soll in einem kurzen historischen Abriss die Herkunft des Prinzips der Einwilligung nachgezeichnet werden.

2 Das Prinzip der Einwilligung – Vorkehrung gegen den Missbrauch von Menschen zu Forschungszwecken

2.1 Historische Spuren

In Forschungszusammenhängen stellt die freiwillige und informierte Einwilligung heute ein grundlegendes und unverzichtbares ethisches Prinzip dar, welches sich als Konsequenz aus der historischen Erfahrung von Missbrauch und Gewalt gegenüber Menschen mit Behinderungen seit dem 19. Jahrhundert etablierte. Die Missachtung der individuellen menschlichen Würde und der Persönlichkeitsrechte fand ihren Höhepunkt während der NS-Diktatur (Graumann, 2007, S. 291 f.). Der nationalsozialistische Herrschaftsapparat verknüpfte die akademische (medizinische) Forschung mit den ideologischen Überzeugungen von Sozialdarwinismus, Eugenik und Rassenpolitik (Jantzen, 1982, S. 63) und der damit zusammenhängenden „Eroberungs- und Vernichtungspolitik“ (DFG, 2016, o.S.). Menschenverachtende Experimente sowie Forschung zur wissenschaftlichen Legitimation der „rassepolitischen Maßnahmen des NS-Regimes“ (ebd.) erhielten politisch hohe Plausibilität. Zugleich ging von einem erstarkenden naturwissenschaftlichen Denken ein hohes Maß an Faszination aus, sodass auch soziale Fragen der „Mathematisierung“ unterworfen wurden (Kessl & Otto, 2012, S. 1307). Davon zeugen die ersten landesweiten „Krüppelzählungen“ im Jahr 1900 und die „faszinierende Simplizität quantifizierender Testologie“ (Kobi, 2000, S. 69) im Zusammenhang mit den ersten Verfahren zur Intelligenztestung Anfang des 20. Jahrhunderts. Auch das „Deutsche Institut für Normung“ (gegründet 1917) als Instanz der technisch-industriellen Normung ist ein Kind dieser Zeit und stellt eine subtile Verlötung von „Kapitalismus und Normalismus“ (Link, 1999, S. 235) dar. Die Zuspitzung dieser Vorstellungen im Nationalsozialismus wurde befördert durch ökonomische Faktoren, die in der Wirtschaftskrise zu Beginn der 1930er Jahre jede öffentliche Unterstützung von Menschen mit Beeinträchtigung unter Legitimationsdruck brachte. Diese Gemengelage unterschiedlicher Motive und politischer Machtstrategien führte auch in anderen Ländern zu Zwangssterilisation und zum Missbrauch von Menschen zu Forschungszwecken (Broberg & Roll-Hansen, 1996). Der Nationalsozialismus setzte diese Machtstrategien mit der Infragestellung des Lebensrechts und der systematischen massenhaften Tötung von Menschen mit Behinderung am perfidesten und am konsequentesten um.

Die Verbrechen des Nationalsozialismus wurden nach dem 2. Weltkrieg als Verbrechen gegenüber der unveräußerlichen Menschenwürde jedes einzelnen Menschen gebrandmarkt. In Folge der Nürnberger Prozesse (1946) wurde mit dem Nürnberger Kodex eine erste Grundlage für eine ethische Legitimation der Forschung am Menschen geschaffen, die die heute allgemein gültigen Prinzipien von informierter Einwilligung, die Abwesenheit von Zwang und die Wahrung der Rechte der beteiligten Personen grundlegte und Ärzt*innen für ihr Handeln juristisch verantwortlich machte. Die Durchführung von medizinischer Forschung und Experimenten ohne Einwilligung wird erst seitdem deutlich als Menschenrechtsverletzung gewertet. Dennoch waren in den 1950er Jahren Experimente an Menschen, insbesondere auch an Insass*innen von Anstalten und Gefängnissen, in verschiedenen Ländern noch weit verbreitet, so etwa in Vipeholm in Südschweden (Petersson, 1993) oder in der Kinderpsychiatrie (Hähner-Rombach & Hartig, 2019). Es hat noch weitere zehn Jahre gedauert, bis sich die Prinzipien aus dem Nürnberger Kodex international etabliert hatten (Graumann, 2007, S. 293). Durch die Deklaration von Helsinki (World Medical Association, 1964) wurde die informierte Einwilligung als unabdingbarer ethischer Grundsatz festgeschrieben, mit welchem die individuellen Selbstbestimmungsrechte gesichert und damit zusammenhängend auch die Integrität und das Wohlergehen potenziell Teilnehmender geschützt werden soll (von Freier, 2014, S. 177; Graumann, 2007, S. 292 ff.; Bryen, 2016, S. 54–57).

In Bezug auf ärztliche Eingriffe plädierte bereits in den 1950er Jahren Michael Balint für eine Veränderung der Beziehung zwischen Arzt*Ärztin und Patient*in (Balint, 1957) gegen die weit verbreitete Vorstellung der passiven und inkompetenten Patient*innen einerseits und gegen die Fokussierung auf evidenzbasierte Medizin andererseits, die jede Art von subjektiver Einschätzung abwertete. Das paternalistische Modell wurde durch Dynamiken der (Selbst-)Entmachtung von Patient*innen in Situationen großer Abhängigkeit und Angst unterstützt. Mit dem Aufkommen der Medizinethik seit den 1950er Jahren setzte sich die Idee der Selbstbestimmung der Patient*innen immer mehr durch. In den folgenden Jahrzehnten bildete sich ein breiter Konsens heraus, dass die Beziehung zwischen Patient*in und Arzt*Ärztin durch Verfahren der gemeinsamen oder partizipativen Entscheidungsfindung optimiert werden sollte. Patient*in und Arzt*Ärztin sollen als Partner*innen auf Augenhöhe gemeinsam zu adäquaten Entscheidungen kommen (Charles et al., 1999, S. 653).

Loh et al. (2007, S. 1487) haben sich mit der Komplexität der partizipativen Entscheidungsfindung auseinandergesetzt und definieren die Handlungsschritte der partizipativen Entscheidungsfindung wie folgt:

  1. 1.

    Mitteilen, dass eine Entscheidung ansteht,

  2. 2.

    die Gleichberechtigung der Partner*innen explizit formulieren,

  3. 3.

    über Wahlmöglichkeiten informieren,

  4. 4.

    über die jeweiligen Vor- und Nachteile der Optionen informieren,

  5. 5.

    Verständnis, Gedanken und Erwartungen der Person erfragen,

  6. 6.

    die Präferenzen der Person gemeinsam ermitteln,

  7. 7.

    eine Entscheidung aushandeln,

  8. 8.

    eine gemeinsam getragene Entscheidung herbeiführen,

  9. 9.

    Vereinbarungen zur Umsetzung der Entscheidung treffen.

Dieses detaillierte Prozessmodell zeigt die Komplexität von Entscheidungsprozessen und damit eine Anfälligkeit für Abweichungen von einem konsequent partizipativen Ansatz in jedem der Teilschritte. Insbesondere der zweite Schritt zeigt, dass diese Art der Entscheidungsfindung von einer Konzeption der Gleichberechtigung und eines Machtgleichgewichts zwischen Patient*in und Arzt*Ärztin abhängt, während das paternalistische Modell auf einem Verhältnis der Ungleichheit und des Machtungleichgewichts basiert. So besteht auch die Gefahr einer Scheinbeteiligung auf allen benannten Stufen (Wirtz et al., 2006): Wer entscheidet über die Optionen, die in der aktuellen Situation als verfügbar deklariert werden (Schritt 3)? Wer ist in der Lage, Vor- und Nachteile vollständig und aus einer neutralen Perspektive zu bewerten (Schritt 4)? Außerdem fehlen einige wichtige Schritte: Wie sieht es mit dem Recht auf Nichtwissen über Details des eigenen Gesundheitszustandes und der Perspektive aus? Dieser Schritt kann an sich schon recht komplex sein. So betonen u. a. Tuffrey-Wijne et al. (2013) in ihrem Leitfaden zur Entscheidungsfindung mit Menschen mit geistiger Behinderung am Lebensende das Recht auf (Nicht-) Offenlegung von schlechten Nachrichten rund um lebensbegrenzende Erkrankungen.

Trotz der Komplexität und der bisher unzureichenden Umsetzung eines konsequenten partizipativen Ansatzes in medizinischen Entscheidungen besteht seit vielen Jahren ein breiter Konsens über deren Notwendigkeit, zumal medizinische Studien zeigten, dass partizipative Entscheidungsmodelle positive Effekte wie eine deutliche Reduktion von Konflikten, eine höhere Zufriedenheit mit der Behandlung oder eine bessere Compliance haben (Loh et al., 2007, S. 1487).

2.2 Zum Verhältnis von Autonomie und Einwilligung

Der allgemeine Konsens in Bezug auf partizipative Entscheidungsfindung täuscht schnell darüber hinweg, dass in Bezug auf bestimmte Personengruppen ebenso breiter Konsens über die Unmöglichkeit einer informierten Zustimmung herrscht. Meißner bezeichnet die „Prämisse einer auf Unverletzbarkeit beruhenden Autonomie als Bedingung selbstbestimmter Handlungsfähigkeit als historischen Skandal“ (Meißner, 2015, o.S.). Selbstbestimmte Handlungsfähigkeit wird hierbei mit dem Idealbild eines autonomen Subjektes zusammen gedacht.

Die Unterscheidung zwischen Rechtsfähigkeit und Einwilligungsfähigkeit konzipiert Rechtsfähigkeit einerseits als ein inhärentes und unveräußerliches Recht (legal capacity), fügt dem aber das Konstrukt einer an kognitive Kompetenz gebundenen Einwilligungsfähigkeit (mental capacity) hinzu. Damit werden individuelle Voraussetzungen aufseiten der betroffenen Person konstruiert, deren verlässliche Überprüfung aufgrund der Komplexität von Entscheidungssituationen letztlich nicht möglich ist. Und es wird ein fundamentaler ontologischer Unterschied zwischen „uns“ und „den anderen“ postuliert im Sinne des „othering“. Im Prozess der „VerAnderung“ (Reuter, 2002, S. 20) werden die Kategorien „ableness“ (Einwilligungsfähigkeit als positive Ontologie) und Behinderung (Einwilligungsunfähigkeit als negative Ontologie) in einer Weise gegenübergestellt, die die Differenz und damit die soziale Distanz zwischen Menschen potenziert (Campbell, 2005, S. 126). Mithilfe des aus den kritischen Kulturwissenschaften stammenden Konzeptes des „othering“ lässt sich die Kritik an subtilen Konstruktionen einer „mental (in-)capacity“ untermauern, die eine Hierarchie zwischen „uns“ und „den anderen“ bestätigen und „die Anderen“ oder „sie“ als unterlegen identifizieren. Hinzu kommt eine dialog-verhindernde Wirkung des „othering“, auf die Reuter mit Blick auf die Ethnologie hingewiesen hat, insofern „sie den Fremden im ‚Woanders‘ verortet und damit die Bedingungen für einen Dialog mit dem Anderen zugunsten eines ungestörten Diskurses über den Anderen in Abrede stellt“ (Reuter, 2002, S. 143). Das bedeutet, indem eine Person für „einwilligungsunfähig“ erklärt wird, wird jeder weitere Versuch der dialogischen Verständigung über ihre Präferenzen und Interessen für obsolet erklärt. Die empirische Evidenz und das theoretische Konzept der Einwilligungsfähigkeit sind indes schwach, und wissenschaftliche Bemühungen zur Entwicklung von Standards zur Beurteilung von Einwilligungsfähigkeit konstruieren ein Anforderungsniveau, an dem auch Personen ohne kognitive Beeinträchtigung in der Regel scheitern (Klie et al., 2014, S. 7; De Bhailís & Flynn, 2017, S. 11).

Der Diskurs um stellvertretende Entscheidungen wird immer dann bedeutsam, wenn Personen zugeschrieben wird, dass sie für sich selbst keine bzw. nur eingeschränkt Entscheidungen treffen können. Als ethische Kernfrage der Stellvertretung wird grundlegend diskutiert, ob und unter welchen Umständen Stellvertretung als Eingriff in die Autonomie überhaupt legitimierbar ist (Ackermann, 2011, S. 143 f.). Der Versuch des Fremdverstehens bewegt sich immer im „ethisch höchst anfälligen Bereich der Mutmaßungen, in dem Repräsentation leicht in Repression umschlägt“ (Dederich & Schnell, 2011, o.S.). Grundsätzlich wohnt Beziehungen zwischen zu Vertretenden und Stellvertreter*innen immer eine Machtasymmetrie inne, insbesondere dann, wenn die zu vertretende Person ihre*n Stellvertreter*in nicht selbst mit dieser Aufgabe betraut hat (Dederich, 2015, o.S.).

Im Sinne einer relationalen Autonomie wird die Grundannahme des autonomen Subjektes grundlegend kritisch hinterfragt und die Sichtweise, dass letztendlich alle Menschen aufeinander angewiesen sind, bestärkt, u. a. durch Meißner (2015). Sie hält mit Bezug auf Butler fest, dass „Verletzbarkeit […] als conditio humana zu begreifen und damit Prekärsein als ein generelles Charakteristikum des Lebens zu verstehen“ (Meißner, 2015, o.S.) ist. Menschen brauchen sich gegenseitig und sind aufeinander angewiesen. Zugleich sind Menschen stets in äußere Umstände eingebunden und bleiben mit ihren Handlungen in gewisser Hinsicht „Produkte“ dieser Umstände (Dederich, 2011, S. 190 f.).

2.3 Pädagogisches Handeln und sorgende Beziehungen

Pädagogisches Handeln ist immer mit der Spannung zwischen einer nicht bzw. nur selten explizit erteilten Mandatierung und dem Selbstvertretungsanspruch von Adressat*innen einerseits und dem zwischen notwendigen „Hilfen zu einem selbstbestimmten Leben, auch wenn dafür zunächst alle Voraussetzungen zu fehlen scheinen“, und der „Bereitschaft, sich ungeachtet jeder erdenklichen basalen Förderung autonomer Entwicklungsschritte auf eine dauerhafte Anwaltschaft einzustellen“ (Antor & Bleidick, 2001, S. 159), andererseits konfrontiert. Dieses Dilemma spiegelt sich auch in politischen Diskursen um Mandate der Behindertenhilfe und in fachlichen Auseinandersetzungen um den Begriff der Fürsorge wider.

Eine Care-Ethik beschreibend, die Fürsorge im Kontext von Behinderung mitdenkt, kritisiert Kittay ebenfalls das Konzept einer „Norm der Unabhängigkeit“ (Kittay, 2004, S. 70). Sie befürchtet: „Wenn Unabhängigkeit normativ ist, werden Menschen mit einer Beeinträchtigung durch das Stigma, das mit Abhängigkeit und dem Bedarf an Fürsorge verbunden ist, isoliert“ (ebd.). Sie versteht ihren Ansatz der Care-Ethik dabei als öffentliche Ethik, die in ihrer praktischen Anwendung auch politisches Handeln im Sinne einer Strukturierung der sozialen Ordnung an Grundwerten der Care-Ethik bedeutet (Kittay, 2004, S. 78). Die Anerkennung von Ungleichheiten ist für sie ein Schlüsselmoment, um als Ethik genau diese Momente sozialer Beziehungen zu reflektieren und paternalistische Beziehungsgestaltung oder Missbrauch von Macht zu verhindern. Abhängigkeit sollte sich nicht über den Gegensatz zur Unabhängigkeit konstruieren, sondern als ein Gegensatz von Isolation verstanden werden. Sie definiert Fürsorge im Kontext der Care-Ethik als Arbeit (die fürsorgende Tätigkeit), als Tugend (als in Tätigkeit und Haltung verankerte Bereitschaft) und als Haltung (im Sinne einer positiven Verbindung) (Kittay, 2004, S. 71 f.).

Tronto (1993) setzt sich in ihrem Konzept engagierter Sorge und den daraus abgeleiteten Elementen der Praxis Care ebenfalls mit dem Wesen von (Für-)Sorgehandlungen auseinander. Tronto benennt in ihrer Ethics of Care vier „analytisch unterscheidbare, aber in der Praxis miteinander verknüpfte“ (Conradi, 2001, S. 40) Phasen von (Für-)Sorge: „caring about, noticing the need to care in the first place; taking care of, assuming responsibility for care; care-giving, the actual work of care that needs to be done; and care-receiving, the response of that which is cared for to the care“ (Tronto, 1993, S. 127). Diesen Prozessschritten ordnet sie die ethischen Dimensionen Aufmerksamkeit, Verantwortlichkeit, Kompetenz und Resonanz zu (Falkenstörfer, 2020, S. 272; Conradi, 2001, S. 225). In ihrer Ethics of Care betont sie, dass Care als Praxis zwar individuell, aber auch universell ist: „Yet despite the fact that the meaning of care varies from one society to another and from one group to another, care is nonetheless a universal aspect of human life. All humans need to be cared for, though the degree of care that others must provide depends not only upon culturally constructed differences, but also on the biological differences that human infants are not capable of caring for themselves, and that sick, infirm, and dead humans need to be taken care of“ (Tronto, 1993, S. 110).

Falkenstörfer (2020) setzt sich in ihrer historischen Einordnung der Relevanz von Fürsorge gezielt mit einem Fürsorge-Konzept im Kontext komplexer Behinderung auseinander. Sie hält fest, dass sich Heil- und Behindertenpädagogik sowie Behindertenhilfe mit gewissen Paradoxien auseinandersetzen müssen, und befasst sich dezidiert mit der Frage, inwiefern die Forderung nach Autonomie und einer synonym verstandenen Selbstbestimmung Menschen mit komplexen Behinderungen aus dem Blick verliert und Gefahren von Ausschluss mit sich bringt (Falkenstörfer, 2020, S. 221 f.). Die Annäherung an eine Antwort auf diese Frage erfolgt u. a. über den historischen Diskurs des Fürsorgebegriffs, sowie die begründete Herleitung, dass „es Menschen gibt, die ein Leben in fürsorglicher Angewiesenheit leben (müssen bzw. auch dürfen)“ (Falkenstörfer, 2020, S. 224). Falkenstörfer verweist zudem darauf, dass Teilhabe im Sinne einer Aktivierung des Subjekts und des Abbaus äußerer Barrieren, die die Suggestion einer sich abbauenden Beeinträchtigung mit sich bringen, eben nicht ausreichen, um komplexe Behinderungen aufzuheben. Sie stellt dagegen die Spannung „zwischen den vermeintlichen Polen der sich aus der Abhängigkeit ergebenden Fremdbestimmung auf der einen und der Selbstbestimmung und Autonomie auf der anderen Seite“ heraus, die zunächst unauflösbar erscheint“ (ebd., S. 235). Verankert in diesem Spannungsfeld entwickelt sie eine Theorie der reflektierten Fürsorge und unterscheidet drei Arten von Abhängigkeit: „[…] Abhängigkeit als conditio humana (1), […] gesellschaftlich bzw. sozial hergestellte Abhängigkeit (2) und […] verfassungs-, beschaffenheits- und entwicklungsbedingte Abhängigkeit (3)“ (Falkenstörfer, 2020, S. 279). Sie beschreibt die beschaffenheitsbedingte Abhängigkeit als bei Menschen mit komplexen Behinderungen zum Leben dazugehörig, hält allerdings fest, dass durchaus und oftmals alle drei Abhängigkeitsformen zum Tragen kommen. Als theoretische Fundierung für den Begriff der Fürsorge im Kontext komplexer Behinderung leitet sie aus ihrer umfangreichen Analyse folgende Dimensionen ab:

  • Sinndimension: „Sinnstiftende Beziehung, die Selbstsein (Individuation) erst ermöglicht“,

  • Reflexionsdimension: „Wahres Interesse, Verstehen (wollen), Anteilnahme und Verantwortungsübernahme“,

  • Fachdimensionen: „Kompetenz“,

  • Zieldimensionen: „Wohlergehen und Freiheit“,

  • Dimension der Achtung: „Achtung vor der Würde des Fürsorge-Erhaltenden“,

  • Beziehungsethische Dimension: „Asymmetrische Beziehung, die vor dem Hintergrund der Machtmissbrauchsgefahr ethisch fundiert werden muss“.

    (Falkenstörfer, 2020, S. 294)

Die Fürsorgebegriffe von Kittay, Tronto und Falkenstörfer eint in unterschiedlicher Ausprägung die Dimension des Politischen: Kittay versteht Care-Ethik als öffentliche Ethik, die als Grundlage einer sozialen Ordnung fungieren soll und in deren Verständnis es „Verpflichtung und Verantwortung der Mehrheitsgesellschaft [ist], Abhängigkeitsbeziehungen und Abhängigkeitsarbeit zu ermöglichen und zu unterstützen“ (Kittay, 2004, S. 78). Tronto entwickelt ihre ethischen Elemente der Praxis Care 2013 weiter und ergänzt eine weitere fünfte Phase im Prozess engagierter Sorge um „das Sorgen mit (caring with). Diese ist mit den moralischen Dimensionen der Solidarität und Vertrauen verbunden“ (Falkenstörfer, 2020, S. 272). Falkenstörfer legt neben den theoretischen Fundierungen einer Fürsorge im Kontext der beschaffenheitsbedingten Abhängigkeit auch theoretische Figuren einer Fürsorge im Kontext der gesellschaftlich und sozial hergestellten Abhängigkeit vor. Hier finden sich die Dimensionen des Politischen, der Macht, der Freiheit, der Anerkennung und der Gerechtigkeit. Fürsorge sollte vor diesem Hintergrund als notwendig und ermöglichend verstanden werden. Falkenstörfer bezeichnet Fürsorge abschließend als „ausgehend von der Verletzbarkeit des Lebens – (über-) lebensnotwendig, lebensermöglichend, lebenserhaltend, lebensgestaltend“ sowie „unterstützend, helfend, pflegend, ver- und umsorgend“ (Falkenstörfer, 2020, S. 306) und plädiert daher dafür, dass die Fürsorge „rehabilitiert und reformuliert, (wieder) Eingang in den gegenwärtigen Diskursraum […] finden kann“ (ebd., S. 307).

Einwilligung ist vor diesem Hintergrund kein einseitiger Akt des Zustimmens oder Ablehnens, sondern ein dialogisches Geschehen, ein gemeinsamer, relational eingebetteter Akt der Suche nach der Entscheidung für eine Option, die den Zieldimensionen Wohlergehen und Freiheit am ehesten entspricht. Das Bewusstsein für die Machtasymmetrie bleibt Teil dieses dialogischen Aushandlungsprozesses, die Spannung wird gehalten und gerade nicht nach einer Seite hin aufgelöst.

3 Zur Praxis der Ermöglichung von Einwilligung – Herausforderungen in zwei exemplarischen Feldern

Oft wird Menschen mit zugeschriebener geistiger Behinderung nicht zugetraut, mitunter weitreichende und existenzielle Entscheidungen zu treffen und ihre Bedürfnisse und Interessen in Prozessen der Entscheidungsfindung selbst zu vertreten. Basierend auf der Kritik am Idealbild eines autonomen Subjektes und der Tatsache, dass Sorgebeziehungen eine lebenslange Konstante im Leben des Personenkreises darstellen, soll nachfolgend betrachtet werden, welche Herausforderungen und Spannungsfelder sich mit Blick auf konkrete Prozesse der Einwilligung ergeben. Exemplarisch wird die Lebensphase der Kindheit und Jugend mit besonderem Fokus auf die Situation lebensverkürzender Erkrankung sowie die Teilhabe von Menschen mit zugeschriebener geistiger Behinderung an Forschungsvorhaben genauer betrachtet.

3.1 Handlungs- und entscheidungsfähig sein als junger Mensch mit lebensverkürzender Erkrankung

Im „Guide to the Development of Children’s Palliative Care Services“ der Association for Children with Lifethreatening or Terminal Conditions and their Families (ACT) (1998) werden vier Gruppen von lebensverkürzenden Krankheiten unterschieden: (1) lebensbedrohliche Erkrankungen (Beispiel: onkologische Erkrankungen mit möglicher kurativer Therapie); (2) Krankheiten mit unvermeidlich frühem Tod (Beispiel: Mukoviszidose); (3) progrediente Erkrankungen (Beispiel Muskeldystrophien, Mukopolysaccharidosen) (4) irreversible, nicht progrediente Erkrankungen mit Komplikationen (Beispiel schwere Zerebralparesen) (Craig et al., 2008). Besonders in den Gruppen 3 und 4 finden sich Erkrankungen, die oft sog. kognitive Entwicklungsstörungen begünstigen (Zernikow, 2013, S. 397–399). Das Leben mit einer lebensverkürzenden Erkrankung und einer zusätzlichen, zugeschriebenen geistigen Behinderung (unabhängig davon, ob diese mit der Grunderkrankung zusammenhängt) kann zu Isolation sowohl im Sinne einer sozialen Störung von Aneignungsprozessen (Prosetzky, 2009; Hunt & Burne, 1995; Bernasconi & Böing, 2015, S. 31), die sich grundlegend auf die individuelle Entwicklung auswirken kann (Prosetzky, 2009, S. 87 f.), als auch einer Isolation aufgrund einer fehlenden Anerkennung der beschaffenheitsbedingten Abhängigkeit führen (Kittay, 2004, S. 77; Falkenstörfer, 2020, S. 279).

Kinder und Jugendliche mit lebensverkürzenden Erkrankungen bewegen sich in dem steten Spannungsverhältnis zwischen gesundheitlichen Krisen und einer erforderlichen, oft umfassenden pflegerischen Versorgung, während gleichzeitig Entwicklungsaufgaben des Jugendalters an Wichtigkeit gewinnen (Jennessen, 2014; Schlichting, 2014; Schuppener, 2005, S. 41 f.). Die Notwendigkeit von Assistenz- und Pflegeleistungen durchdringt dabei nicht nur Orte, an denen die Jugendlichen institutionell eingebunden sind (z. B. Schule), sondern wirkt bis tief in das private Leben der gesamten Familie (Wingenfeldt & Mikula, 2002; Jennessen, 2014). Die Jugendlichen sind in allen Bereichen ihres Lebens in enge (Für-) Sorgebeziehungen und (Für-) Sorgehandlungen eingebunden und zwingend von diesen abhängig. Bürokratische, institutionelle und pflegerische Vorgaben und Standards, die sie in professionellen Netzwerken erleben, erhalten Einzug in den privaten Raum der Familien und diktieren oftmals neben den Strukturen auch die Möglichkeiten zur Beziehungsgestaltung (Trescher, 2020; Tronto, 1993).

Aus dieser Situation resultieren nicht nur Fragen von Professionalität und Vernetzung in der Versorgung und Unterstützung von jungen Menschen mit lebensverkürzender Erkrankung. Es stellt sich auch die Frage, wie junge Menschen in ihr Recht auf persönliche Entscheidungsfindung, auch im Hinblick auf ihr eigenes Sterben, eingebunden sein können.

Brown stellt bereits 2007 heraus, dass Kinder und Jugendliche mit einer lebensverkürzenden Erkrankung und einer zugeschriebenen geistigen Behinderung in der Auseinandersetzung um die Themen Tod und Sterben oft außen vorgelassen werden. Sie betont, dass „the combination of a ‚double taboo‘ of learning disabilities and ‚death‘ has challenged society to the extent that they have been swept under the carpet“ (Brown, 2007, S. 116). Mit Blick auf das Erleben von Trauer und den Umgang mit der eigenen Erkrankung stellt sie heraus, dass besonders bedeutsam ist, „how well their primary carers cope“ (Brown, 2007, S. 117). Kinder und Jugendliche in dieser Situation sind demnach auf einer weiteren existenziellen Ebene angewiesen auf verantwortlich und kompetent sorgende Personen. In ihrer Befragung von Jugendlichen mit progredienter Erkrankung im stationären Kinderhospiz haben Jennessen et al. (2011) festhalten können, dass nicht nur die Offenheit der Fachkräfte im Hospiz im Umgang mit thanatalen Themen als positiv gewertet wird, um einen Umgang mit der eigenen Erkrankung zu finden, sondern auch der Austausch mit der Peer Group der Jugendlichen eine hohe Relevanz hat (Jennessen et al., 2011, S. 143 f.).

Die Perspektive von Jugendlichen mit lebensverkürzender Erkrankung und zugeschriebener geistiger Behinderung auf ihre Situation ist bisher kaum erforscht. Vereinzelt gibt es Bemühungen, die Perspektive von Kindern und Jugendlichen in Forschungsvorhaben sichtbar zu machen. So haben Jennessen et al. (2011) auf teilnehmende Beobachtungen zurückgegriffen, um einzuschätzen, wie Kinder und Jugendliche mit komplexen Behinderungen die Angebote eines stationären Hospizes einschätzen. Ergänzt werden die Beobachtungen durch Interviews mit Jugendlichen, die lautsprachlich kommunizieren können. Für ihre „Theorieskizze zum Kindsein mit einer lebenslimitierenden Erkrankung“ befragten Oetting-Roß et al. (2018, S. 9) 23 Teilnehmende im Kindes- und Jugendalter. Dabei waren alle vier Gruppen lebensverkürzender Erkrankungen vertreten, und alle Teilnehmenden waren in der Lage, sich verbal zu äußern. Die befragten Kinder und Jugendlichen beschreiben einen deutlichen Unterschied zwischen guten und schlechten Tagen (ebd., S. 10). In der genaueren Betrachtung der Unterschiede zwischen guten und schlechten Tagen benennen die Befragten zum einen das Maß an Beteiligung: „Beteiligt am Geschehen zu sein – am Familienleben, am Schulunterricht, an Festen sowie an alltäglichen und besonderen Erlebnissen – ist ein zentrales Moment positiven Erlebens und Indiz für subjektives Wohlbefinden“ (ebd., S. 11). Schlechte Tage wiederum sind durch ein geringeres Maß an Beteiligung, rigide Strukturen und Schmerzen bestimmt. Besondere Relevanz erfahren auch Interaktionen, die die Kinder selbst als stigmatisierend erleben. Einen interessanten Einblick liefern die Ergebnisse im Hinblick auf Fragen des Erlebens von Fremdbestimmung: Hier werden nicht nur enge Tagesstrukturen als negativ bewertet, sondern auch ein defizitorientierter Blick auf die Kinder und Jugendlichen als für diese negativ wahrnehmbar herausgestellt. Im Rahmen Ihres Theoriekonzeptes leiten die Autor*innen verschiedene Strategien aus den Aussagen der befragten Kinder und Jugendlichen ab, wie diese eigene Handlungsmacht im Kontext ihrer Abhängigkeit und der erlebten Fremdbestimmung generieren: „1. Kognitiv handeln, 2. Soziale Bündnisse eingehen, 3. Gesundheitskompetenz entwickeln“ (ebd., S. 16). Als eine Folgerung aus ihrer Studie stellen die Autor*innen heraus: „Die Kinder in der Entwicklung geeigneter Strategien zum Erlangen von Handlungsmacht zu unterstützen, scheint eine zentrale zukünftige Aufgabe an der Versorgung Beteiligter zu sein“ (ebd., S. 21).

Auf die Pädagogik der Achtung nach Korczak rekurrierend arbeitet auch Maluga (2020) im Hinblick auf Kinderhospizarbeit heraus, dass nicht nur anerkannt werden muss, dass Kinder (und Jugendliche) ein Recht auf ihren eigenen Tod haben, sondern dieser auch als Bildungsthema für Erwachsene verstanden werden muss (Maluga, 2020, S. 261). Diese „Sterbekompetenz“ sieht sie als grundlegend, um Kindern (und Jugendlichen) Handlungsmöglichkeiten und größtmögliche Teilhabe, auch im Sinne eines Eingebunden-Seins in Entscheidungen, ermöglichen zu können. Die Ermöglichung von Teilhabe erfordert in diesem Verständnis, eigene Bildungsprozesse und Kompetenzen in den Blick zu nehmen und Kindern und Jugendlichen Handlungsräume zu öffnen, um sich selbst solche Bildungs- und Reflexionsprozesse zu erschließen.

Auf der Basis von Falkenstörfers Theorie einer reflektierten Ethik, Trontos Ethik der Praxis Care und den Ergebnissen aus dem Forschungsfeld der Kinder- und Jugendhospizarbeit lässt sich ein Auftrag an professionelles Handeln in (Für-)Sorgebeziehungen ableiten: Unabhängig vom Alter ist die Gestaltung von Beteiligungsprozessen eine pädagogische Aufgabe, die durchaus pflegerische und medizinische Versorgung kooperativ mitdenken kann und muss. Die Gestaltung von Handlungsräumen, die Bildungsprozesse und Reflexion ermöglichen, kann dabei aber nur pädagogisch angeleitet werden.

3.2 Handlungs- und entscheidungsfähig sein als Teilnehmende an Forschung

Mit Blick auf die Beteiligung von Menschen mit zugeschriebener geistiger Behinderung an Forschung lassen sich im Kontext von Einwilligung verschiedene Herausforderungen und Spannungsfelder identifizieren.

Die informierte Einwilligung stellt generell einen komplexen Verstehensprozess dar (Biros, 2018, S. 73; Goldsmith & Skirton, 2015, S. 441 f.). Grundlegend für jede Studie ist, dass die potenziell Teilnehmenden auf der Basis umfassender Informationen über Inhalte und Zielsetzung(en) des Forschungsprojektes, das Vorgehen bei der Datengewinnung/-aufbereitung und letztendlich der Datennutzung sich freiwillig und selbstbestimmt für eine Teilnahme entscheiden. Gleichzeitig ist darauf zu achten, Teilnehmende durch die Art und das Maß der Information nicht zu überfordern (Goldsmith & Skirton, 2015, S. 441). Zudem muss mitgedacht werden, dass Menschen mit zugeschriebener geistiger Behinderung häufig von Bildungsbenachteiligung betroffen waren und sind. Hinzu kommt, dass „der Gedanke des lebenslangen Lernens in der Regel nicht auf Erwachsene mit geistiger Behinderung bezogen wird“ (Ackermann, 2012, S. 26 f.). Für Forschungsvorhaben bedeutet dies konkret, dass aufgrund dieser mitunter fehlenden Erfahrungen nicht per se davon ausgegangen werden kann, dass Menschen mit zugeschriebener geistiger Behinderung über ein grundlegendes Allgemeinwissen zum Thema Forschung verfügen. Im Rahmen von Einwilligungsprozessen muss potenziell Teilnehmenden durch die Aneignung von Wissen über Forschung Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit ermöglicht werden.

Zur Absicherung, dass die Informationen tatsächlich verstanden wurden, wird in verschiedenen Arbeiten zur Wiedergabe von Studieninformationen in eigenen Worten durch potenziell Forschungsteilnehmende oder der Beantwortung verschiedener Fragen zur Studie geraten (u. a. Nusbaum et al., 2017, S. 1). Situationen des Abfragens und die Bewertung von Antworten sind jedoch gerade im Erwachsenenalter möglicherweise eher untypische, vielleicht auch negativ besetzte Erfahrungen, die im ungünstigsten Fall negative Auswirkungen auf die Beziehung zwischen Forschenden und Teilnehmenden haben können (Bödecker, 2015, S. 156 f.). Hinzu kommt, dass ein solches Vorgehen das kognitive Verstehen in den Vordergrund stellt, das vorab fähigkeitsorientiert geprüft wird (Brosnan & Flynn, 2019, S. 9; DIFGB, 2020, S. 8; Schäper, 2018, S. 137). Ein solches Vorgehen blendet die Tatsache aus, dass letztendlich bei keiner*m der potenziell Teilnehmenden, egal ob ihm*ihr eine Behinderung zugeschrieben wird oder nicht, mit absoluter Sicherheit davon ausgegangen werden kann, dass alle Informationen verstanden werden. Eine grundsätzliche (Rest-) Unsicherheit stellt ein immerwährendes forschungsbegleitendes Risiko dar.

Auch in Forschungszusammenhängen werden Fähigkeiten, die für eine adäquate Einwilligung benötigt werden, meist am Ideal des autonomen Subjektes gemessen. Menschen mit zugeschriebener geistiger Behinderung wird häufig nicht zugetraut bzw. zugebilligt, eigene Entscheidungen zu treffen. Forschungsvorhaben greifen daher oft auf stellvertretende (Proxy-)Einwilligungen zurück. Dabei können Vorannahmen und Haltungen gegenüber der Personengruppe den Prozess der Entscheidungsfindung beeinflussen. Personen werden so unter Umständen ungewollt an Forschungsvorhaben beteiligt, etwa, wenn sich Stellvertreter*innen selbst einen Nutzen davon erhoffen oder damit einhergehende Gefährdungen falsch einschätzen. Andererseits können Stellvertreter*innen sich mit Verweis auf den Schutz der potenziell Teilnehmenden auch gegen eine Teilnahme an Forschung entscheiden (Bödecker, 2015, S. 152). Etwaige (über-)fürsorgliche Vorsichtsmaßnahmen und ein damit zusammenhängender Ausschluss können aber gerade konträr zum Interesse der potenziell Teilnehmenden stehen. Menschen mit zugeschriebener geistiger Behinderung erhalten oft nicht die Chance, ihre Sichtweise zu äußern. Somit wird die Unsichtbarkeit bestimmter Lebensrealitäten reproduziert (ebd., S. 151 f.; Graumann, 2013, S. 241 f.; Goldsmith & Skirton, 2015, S. 436). Themen, die ihre Lebensrealität betreffen, werden wiederum primär von Menschen ohne Behinderung verhandelt (Bernasconi & Keeley, 2016, S. 11).

In diesem Zuge kann auch die Praxis der stellvertretenden Befragungen in Studien, in denen die Perspektive von Menschen mit zugeschriebener geistiger Behinderung im Fokus steht, kritisch betrachtet werden. Cummins (2002) hat sich im Rahmen eines Reviews zum Thema „Proxy responding for subjective well-being“ mit der Frage beschäftigt, ob es verlässliche stellvertretende Antworten geben kann. Er schlussfolgert, dass Antworten zum subjektiven Wohlbefinden einer Person nicht durch Stellvertreter*innen erfolgen können. Auch der Einbezug mehrerer Stellvertreter*innen kann dabei die Validität nicht sicherstellen (Cummins, 2002, S. 202). Daraus resultiert die Notwendigkeit, Selbst- und Fremdaussagen sehr deutlich zu unterscheiden und in keinem Fall zu einer gemeinsamen Aussage über eine subjektive Sichtweise zu vermischen. Das Konzept der stellvertretenden Einwilligung ist auch juristisch zumindest zweifelhaft. Bödecker führt in Bezug auf Menschen mit Demenz aus, dass bei sozialwissenschaftlichen Studien die (Nicht-) Zustimmung zur Teilnahme nicht durch die gängigen Aufgabenkreise einer rechtlichen Betreuung abgedeckt ist (Bödecker, 2015, S. 158 f.).

In Bezug auf den Prozess der informierten Einwilligung müssen zudem die bestehenden Sozialisations- und Lebensbedingungen mitgedacht werden (u. a. Graumann, 2016, S. 69 f.; Ramcharan, et al. 2009, S. 53 f.; Niediek, 2016, S. 81). Vielfach haben Menschen mit zugeschriebener geistiger Behinderung im Lebensverlauf wenig Erfahrungen mit selbstbestimmten Entscheidungen machen können. Praktiken der Institutionalisierung stellen bis heute häufig eine überdauernde Konstante im Leben des Personenkreises dar. So lebt und arbeitet immer noch ein Großteil der Menschen mit zugeschriebener geistiger Behinderung in institutionalisierten Kontexten der sogenannten Behindertenhilfe (Trescher, 2018, S. 12 ff.; Römisch, 2019, S. 180). Goldsmith und Skirton (2015, S. 440) haben herausgearbeitet, dass das Wohnumfeld einen starken Einfluss auf die Selbstbestimmungsmöglichkeiten und die Entscheidungsfindung haben kann. Bedingt durch institutionell verankerte (starre) Regeln und Vorgaben und damit einhergehende Schutz- und Fürsorgeabsichten, welche u. a. ein „strukturell bedingtes Machtungleichgewicht“ (Römisch, 2019, S. 180) zwischen Bewohner*innen und Mitarbeiter*innen nach sich ziehen, können Selbstbestimmungsmöglichkeiten auch aus wohlmeinenden Motiven eingeschränkt werden.

4 Perspektiven

Für die beiden ausgewählten Felder, in denen Entscheidungen und die selbstbestimmte und wirksame Einwilligung in Entscheidungen eine zentrale Rolle spielen, sollen in diesem letzten Kapitel konzeptionelle Hinweise und Empfehlungen vorgestellt werden. Zunächst wird auf konzeptionelle Konkretisierungen der Forderung nach unterstützender Entscheidungsfindung hingewiesen, anschließend werden einige Empfehlungen für Einwilligungsprozesse im Forschungskontext vorgestellt.

4.1 Von der ersetzenden zur unterstützenden Entscheidungsfindung

Was unterstützende Entscheidungsfindung bedeutet, lässt sich zunächst den Allgemeinen Bemerkungen zu Art. 12 des Fachausschusses zur UN-BRK entnehmen: Unterstützende Entscheidungsfindung muss für alle verfügbar sein, auf dem individuellen Willen und den tatsächlichen Präferenzen (anstelle eines vermuteten „besten Interesses“) basieren und so zugänglich sein, dass sie von der betroffenen Person unter Verwendung verschiedener Kommunikationsmodi realisiert werden kann. Ein weiterer wichtiger Grundsatz ist, dass die Person das Recht haben muss, die Unterstützung oder die Unterstützungsperson jederzeit abzulehnen. Darüber hinaus betont der Ausschuss, dass „wahrgenommene oder tatsächliche Defizite der geistigen Leistungsfähigkeit nicht als Rechtfertigung für die Verweigerung der Geschäftsfähigkeit herangezogen werden dürfen“ (UN-Fachausschuss, 2014, Abs. 13).

Dies führt zu einem Konzept unterstützender Entscheidungsfindung, das die Angewiesenheit jedes Menschen betont, wenn es darum geht, in kritischen Lebensabschnitten Entscheidungen zu treffen. Statt das vermeintliche substanzielle Anderssein von Menschen mit Beeinträchtigung im Sinne des „othering“ zu betonen, teilen wir alle mit jedem Menschen das Bedürfnis nach Unterstützung und Resonanz. In seiner Theorie der Resonanz beschreibt Rosa (2017) resonante Beziehungen als einen Prozess, der als Modell eines relationalen Verständnisses von Entscheidungsfindung dienen könnte: Eine Person wird von jemandem (oder etwas) angerufen, gefragt, betroffen, findet darauf eine Antwort, die mehr ist als ein Echo, sondern die authentische Antwort der Person mit ihrer eigenen Stimme. In der Resonanzbeziehung verändern sich beide und mit ihnen die „begegnende Welt“ (Rosa, 2019, S. 19). Resonanz ist ein Prozess der Transformation, aus dem beide Seiten als andere hervorgehen. Da Resonanz schwer fassbar bleibt, ist es schließlich unmöglich zu kontrollieren oder vorherzusehen, was in einer als resonant erlebten sozialen Situation entsteht und was das Ergebnis der Resonanzerfahrung sein wird. Diese Vorstellung von Resonanz, die nach Rosa essenziell für Mensch und Gesellschaft ist, legt auch ein relationales Verständnis von Entscheidungsprozessen nahe: Entscheidungsprozesse sind nicht vorhersagbar, sondern offen für das, was sich in der Begegnung ereignet, mit und zwischen den konkreten Personen.

Bislang gibt es nur wenige empirische Befunde zur tatsächlichen Wirkung von Unterstützung in Entscheidungsverfahren. Kohn, Blumenthal und Campbell (2013, S. 1114) weisen darauf hin, dass unterstützte Entscheidungsfindung nicht zwangsläufig befähigend ist, sondern auch dis-empowering sein kann, weil sie auch manipulativ missbraucht werden kann. Sogenannte weiche Faktoren wie professionelle Einstellungen und Haltungen sowie Aspekte der Organisationskultur, in die die Verfahren eingebettet sind, beeinflussen offensichtlich die Art und Weise, wie einer Person Unterstützung angeboten wird und wie sie diese annimmt. In Anlehnung an die Resonanztheorie von Rosa (2017) ist die Qualität der Kommunikation und Begegnung innerhalb einer reziproken Beziehung wesentlich für eine nicht-paternalistische Unterstützung in der Entscheidungsfindung. Unterstützung ist hier keine Technik oder funktionale Routine auf individueller Ebene, sondern ereignet sich zwischen Personen, die sich in einer Kultur der Offenheit für Resonanz und Partizipation bewegen.

Im Blick auf die rechtliche Betreuung werden erste Konzepte zur unterstützten Entscheidungsfindung in Deutschland entwickelt (Tolle & Stoy, 2020; Prchal & Ortmann, 2020). Sie rekurrieren u. a. auf Erkenntnisse einer Studie zur Qualität der rechtlichen Betreuung in Deutschland, wonach „mehr als die Hälfte der Berufsbetreuer*innen (59 %) einschätzten, dass weniger als die Hälfte ihrer Betreuten überhaupt in ihrer Autonomie gestärkt werden können“, und nahezu ein Viertel bei ihren Betreuten „sehr wenige (oder keine)“ Stärkung der Autonomie und Selbstbestimmung für möglich hielt (BMJV, 2018, S. 285). Das Konzept von Prchal und Ortmann (2020) sieht daher notwendigen Qualifizierungsbedarf bei rechtlichen Betreuer*innen auf den Ebenen der Haltung, des Wissens (z. B. in Bezug auf komplexe Lebensbedingungen) und des Könnens (z. B. in Bezug auf eine professionelle Beziehungsgestaltung).

Das Konzept „support for decision-making" (Bigby & Douglas, 2020) lädt dazu ein, jenseits juristischer Absicherung in der bestehenden Praxis anzusetzen, um Klient*innen, Organisationen und sich selbst zu befähigen, individuelle Entscheidungen in allen Lebensbereichen – nicht nur in rechtlich relevanten Fragen – umfassend zu respektieren. Die Art der Unterstützung und die Rolle der Unterstützenden können innerhalb des Konzepts der Unterstützung bei der Entscheidungsfindung unterschiedlich sein: Die Unterstützung kann in der Information und Erläuterung von Optionen bestehen, bei der Äußerung eigener Interessen und Präferenzen behilflich sein, die Einbeziehung anderer Personen anbahnen oder ermöglichen, die die Person gut kennen oder eine wichtige Rolle im Entscheidungsprozess spielen können. Die Wirksamkeit im Sinne einer erfolgreichen Berücksichtigung der Entscheidungen der Menschen hängt davon ab, dass die unterstützende Person der anderen zutraut, Entscheidungen fällen zu können und über ein methodisches Repertoire verfügt, die andere Person in der Äußerung von Interessen und Präferenzen wirksam zu unterstützen (Bigby & Douglas, 2016, S. 3). Auch dieser Ansatz zur Entscheidungsfindung geht davon aus, dass Entscheidungsfindung für jeden Menschen ein relationaler Vorgang ist – wenn wir vor bedeutsamen Entscheidungen stehen, sind wir alle auf Beziehungen angewiesen, die durch Vertrauen, echte positive Wertschätzung und ehrliche zwischenmenschliche Interaktionen gekennzeichnet sind (Bigby & Douglas, 2016, S. 15).

Das Konzept der unterstützenden Entscheidungsfindung kann in vielen Lebensbereichen nutzbar gemacht werden, etwa auch bei Entscheidungen für die „richtige“ Schule, zu Übergängen von der Schule in den Beruf, bei Entscheidungen zur Wahl einer Wohnform und eines Wohnortes, bei Entscheidungen zu medizinischen Behandlungsoptionen und bei Entscheidungen zur Teilnahme an Forschung.

4.2 Voraussetzungen und Aufgaben zur Ermöglichung selbstbestimmter Entscheidungen von Forschungsteilnehmer*innen in der Teilhabeforschung

Im Blick auf die Teilhabeforschung lassen sich wichtige Voraussetzungen und konkrete Arbeitsschritte zur Ermöglichung selbstbestimmter Entscheidungen im Forschungsprozess beschreiben, die pädagogische Fachkompetenz benötigen.

Personzentrierte Grundhaltung und individuell angepasste Bildungschancen

Eine personzentrierte Haltung achtet die individuellen (Kommunikations-) Bedarfe und passt die Gestaltung des Einwilligungsprozesses daran an. Sie bietet und nutzt vielfältige Bildungs- und Erfahrungsgelegenheiten auch im Alltag, um die individuelle Kompetenz der Wahrnehmung, des Ausdrucks und der Durchsetzung eines „Eigensinns“ zu unterstützen. Zu einem strikt partizipativen Vorgehen gehört es unter Umständen auch, gerade nicht den Weg über „Gatekeeper“ zu wählen, die Zugänge ermöglichen, aber auch verschließen können, sondern mögliche Proband*innen direkt zu kontaktieren, etwa über offene Informationsveranstaltungen.

Vielfalt der Verstehenszugänge und Informationsangebote

Ein vielfältiges Angebot von Verstehenszugängen und Informationsangeboten nutzt verschiedene Wahrnehmungsmöglichkeiten, die nicht nur kognitiv und sprachlich ausgerichtet sind (Arbeiten mit Fotos, Symbolen oder Bildern). Interaktive Verständnis- und Verständigungsmöglichkeiten (z. B. durch Rollenspiele oder szenisches Verstehen) und Fallbeispiele können die jeweilige Fragestellung auf alternative Weise zugänglich machen (Dee-Price, 2020, S. 10; Taua et al., 2014, S. 5 f.). Die Erstellung eigenen Materials in Form von Filmen, Audiodateien, Informationsbroschüren in leichter Sprache, die Nutzung von Piktogrammen und technischen Hilfsmitteln der Unterstützen Kommunikation ermöglichen barrierearme Zugänge.

Angepasste Kommunikationsstile und sprachliche Ausgestaltung

Die Kommunikation einschließlich Sprechtempo und Ausdruck werden verständlich gestaltet und an die individuellen Voraussetzungen (Lesefähigkeit, Vorwissen über das Thema, Wissen über Forschung) angepasst (Taua et al., 2014, S. 5 f.). Bewusst muss auch über die sprachliche Ausgestaltung des Einwilligungsprozesses nachgedacht werden. Aus eigenen Erfahrungen und auf der Grundlage anderer Studien konnte herausgearbeitet werden, dass Zustimmung bzw. Ablehnung beispielsweise anhand von Antwortoptionen eruiert werden kann (Dee-Price, 2020, S. 4).

Die Balance von Datenschutz und persönlichem Zugang halten

Angepasste Verstehenszugänge und Informationen erfordern oft persönliche Gespräche, in denen Zielsetzung und Vorgehen im Projekt ausführlich erläutert werden. Das im Zuge des persönlichen Kontaktes oft auch beiläufig erlangte Wissen um individuelle Lebensbedingungen und Lebensthemen kann hilfreich sein, um Informationen individuell angepasst bereitzustellen, stellt aber im Blick auf Prinzipien und Vorgaben des Datenschutzes unter Umständen ein Problem dar. Hier gilt es die Balance zu halten zwischen notwendigem Wissen und unnötigem Eindringen in die Lebenswelt. Hinzu kommt, dass gerade der Datenschutz ein äußerst abstrakter Gegenstand ist, zu dem es unter Umständen nur wenig Vorwissen gibt. Die Unsicherheit nicht nur dem Gegenüber „anzulasten“, sondern als dialogisches Problem wahr- und anzunehmen, kann wichtig sein, um ableistische Haltungen nicht zu reproduzieren.

Angepasste Rahmenbedingungen

Komplexe Entscheidungs- und Einwilligungsprozesse brauchen Zeit und Raum. Schon in der Planung von Forschungsprozessen müssen ausreichend Ressourcen für die Einwilligung als Voraussetzung für die Teilnahme an Forschung eingeplant und im Budget berücksichtigt werden (Dee-Price, 2020, S. 8). Räumliche und situative Rahmenbedingungen sollten eine ruhige Atmosphäre ermöglichen (Taua et al., 2014, S. 5).

Maximale und permanente Reflexivität im Forschungsprozess

Die gründliche Reflexion und Analyse des Forschungsfeldes ist ein wichtiger Schritt in der Konkretisierung eines angemessenen forschungsmethodischen Vorgehens. Dazu gehört eine Sensibilität für die im Feld vorfindlichen Macht- und Asymmetrieverhältnisse, die Entscheidungsprozesse beeinflussen, aber ebenso die Sensibilität und Reflexionskompetenz im Blick auf eigene Zuschreibungsprozesse, Präkonzepte und Tendenzen des „othering“ im eigenen Denken und Handeln der Forschenden.

Einwilligung prozessual gestalten

Das Prinzip des „ongoing consent“ (Schnell & Heinritz, 2006, S. 113) verweist auf die Notwendigkeit, sich im Forschungsprozess immer wieder der Zustimmung und Einwilligung der Teilnehmenden zu vergewissern und aufkommenden Zweifeln ernsthaft nachzugehen, auch wenn dies unter Umständen zusätzliche Ressourcen erfordert. Es gilt, im Erhebungsprozess Möglichkeiten des Ausstiegs bzw. Abbruchs bereit zu halten, die Teilnehmende nutzen können, ohne Nachteile befürchten zu müssen. Der Faktor der sozialen Erwünschtheit muss dabei mitgedacht werden, daher ist sensibel auf Signale der Abwehr oder nonverbale Beendigungsgesten des Gegenübers zu achten. Sich der Zustimmung im weiteren Prozess erneut zu vergewissern kann bedeuten, Wege einer kommunikativen Validierung von (Zwischen-)Ergebnissen zu entwickeln oder die Teilnehmenden auch im Auswertungsprozess umfassend zu beteiligen.

Politische Implikationen von Forschung mitdenken – Politik der Teilhabe mitgestalten

Mit Blick auf partizipative und inklusive Forschungsansätze geht es „nicht nur um den reinen Erkenntnisgewinn […], sondern vornehmlich auch um nachhaltige soziale, politische, rechtliche und individuelle […] Veränderungsprozesse, die durch gewonnene Erkenntnisse angeregt werden sollen und die das Menschenrecht Inklusion in den Fokus rücken“ (Hauser, 2020, S. 83). Diese politischen Implikationen für partizipative und inklusive Forschungsansätze lassen sich auch für Vorhaben der Teilhabeforschung denken, die sich nicht als dezidiert partizipativ verstehen. (Teilhabe-)Forschung kann selbst einen Beitrag zur Ermöglichung von Teilhabe an Entscheidungsprozessen im individuellen Lebenskontext leisten, indem in allen Phasen eines Vorhabens die Ermöglichung selbstbestimmter Entscheidungen der Forschungsteilnehmer*innen kritisch durch alle beteiligten Forschenden reflektiert wird.