Die vorhergehenden Recherchen zeigen, dass es keine umfassenden Ansätze der ökonomischen Forschung gibt, in denen die dynamischen und komplexen Kostenvariablen des Luftrettungsbetriebes in ihren funktionalen Zusammenhängen modelliert werden. Damit ergibt sich die Notwendigkeit eines Beitrags zur systematischen Bewertung sowie ökonomischen Analyse der luftgestützten Notfallversorgung. Die Modellierung der Kosten des Luftrettungsbetriebes geschieht anhand der Entwicklung einer Gesamtkostenfunktion und der Berechnung von durchschnittlichen Einsatzkosten. Zudem erfolgt eine Break-Even-Analyse. Anschließend werden Szenarien und Szenariovariationen erarbeitet. Sie basieren auf den vorgestellten Rechercheergebnissen und definieren zusammen mit den ebenfalls vorgestellten Inputdaten die jeweilige Modellierung.

3.1 Ökonomische Modellierung

3.1.1 Gesamtkostenfunktion

Grundsätzlich kann anhand der bisherigen Rechercheergebnisse festgestellt werden, dass die Zusammensetzung der Gesamtkosten K eines Luftrettungsbetriebes durch ausbringungsmengen-unabhängige Personalkosten und andere Fixkosten, sowie durch ausbringungsmengen-abhängige sprungfixe Wartungskosten und variable Kosten beschrieben werden können.Footnote 1 Die funktionalen Zusammenhänge der Leistungserstellung der Luftrettung können als Gesamtkosten in folgender Form formalisiert werden:

$$K_{Ges} = K_{Fix} + K_{War} + K_{Var}$$
(3.1)

Mit

$$K_{Fix} = {\text{a}} + {\text{p}} + o + v$$
(3.2)

als einsatzunabhängigen Kosten für Infrastruktur, Personal und Sonderausstattung zur Leistungsbereitschaft, mit

$$K_{War}^{I} = \mathop \sum \limits_{d = 1}^{n} trunc{ }\left( {\frac{{{\text{r}} + \left( {1 - {\upalpha }} \right)\,*\,{\text{t}}\,{*}\,{\text{x}} + {\upalpha }\,{*}\,x\,{*}\,\,{\text{t}}\,{*}\,{\text{m}} + {\text{t}}\,{*}\,\left( {{\text{y}} + {\text{z}} + {\text{w}}} \right)}}{{u_{d} }}} \right)\,{*}c_{d}$$
(3.3)

als startabhängige Wartungskosten, mit

$$K_{War}^{II} = \mathop \sum \limits_{d = 1}^{n} trunc\left( {\frac{{{\text{r*s}} + \left( {1 - {\upalpha }} \right){\text{*x*}}b_{x} + {\alpha *}b_{x} {\text{*x*n}} + {\text{y*}}b_{y} + {\text{z*}}b_{z} + {\text{w*}}b_{w} }}{{e_{d} }}} \right){*}f_{d}$$
(3.4)

für Triebwerkslaufzeit-abhängige Wartungskosten, mit

$$K_{War}^{III} = trunc\left( {\frac{{\alpha {*}x + r}}{g}} \right){*}h$$
(3.5)

für Wartungskosten der Sondereinsatzausstattung, mit

$$K_{Var}^{I} = i{*}\left( {x + y} \right) + j{*}\left( {z + w} \right)$$
(3.6)

für variable Kosten medizinischer Verbrauchsgüter und

$$K_{Var}^{II} = { }l{*}\left[ {\left( {1 - \alpha } \right){*}x{*}b_{x} + {\text{y*}}b_{y} + {\text{z*}}b_{z} + {\text{w*}}b_{w} + \alpha {*}x{*}b_{x} {*}n} \right]$$
(3.7)

als variable Kosten für Treibstoff, mit den Variablen.

A

Fixe Kosten für Grundausstattung €

o

Zusätzliche Personalkosten für Sondereinsatzfähigkeit in €

\(b_{x}\)

Durchschnittlich abrechenbare Dauer von Primäreinsätzen bei Tag

p

Personalkosten bei Grundausstattung in €

\(b_{y}\)

Durchschnittlich abrechenbare Dauer von Primäreinsätzen bei Nacht

q

Anteil der Personalkosten für Einsätze bei Tag

\(b_{z}\)

Durchschnittlich abrechenbare Dauer von Sekundäreinsätzen bei Tag

r

Fixe Anzahl an Starts im Jahr für Training von Sondereinsätzen

\(b_{w}\)

Durchschnittlich abrechenbare Dauer von Sekundäreinsätzen bei Nacht

s

Durchschnittliche Dauer für Training von Sondereinsätzen

\(c_{d}\)

Kosten für das startabhängige Wartungsintervall in €

t

Anzahl an Starts je Einsatz

d

Wartungsintervall

u

Startabhängiges Wartungsintervall

\(e_{d}\)

Flug- (Triebwerkslauf-) zeitabhängiges Wartungsintervall

v

Zusätzliche Fixkosten für Sondereinsätze in €

\(f_{d}\)

Kosten für triebwerkslaufzeitabhängiges Wartungsintervall in €

w

Anzahl an Sekundäreinsätzen bei Nacht

G

Nutzungsabhängiges Wartungsintervall für Rettungswinde

x

Anzahl Primäreinsätze bei Tag

H

Kosten für nutzungsabhängiges Wartungsintervall für Rettungswinde in €

y

Anzahl Primäreinsätze bei Nacht

I

Bewerteter Verbrauch von medizinischem Material in € bei Primäreinsätzen

z

Anzahl Sekundäreinsätze bei Nacht

J

Bewerteter Verbrauch von medizinischem Material in € bei Sekundäreinsätzen

\(\propto\)

Anteil der Sondereinsätze an den Primäreinsätzen

K

Durchschnittliche Kosten von x in €

\({\upbeta }\)

Versorgungsgebiet für Primäreinsätze in km2

K

Gesamtkosten in €

\({\upgamma }\)

Versorgungsgebiet für Sekundäreinsätze in km2

L

Bewerteter durchschnittlicher Treibstoffverbrauch je Minute in €

P

Leistungsvergütung je abrechenbare Minute in €

M

Korrekturvariable für Starts je Einsatz

\(\delta\)

Nicht entscheidungsrelevante Kosten (für Infrastruktur, getragen von den Ländern) in €

N

Korrekturvariable für durchschnittlich abrechenbare Einsatzdauer

  

\(\varepsilon\)

Sonstige betriebliche Erlöse in €

 

Diese beinhalten die Vollkosten für den Betrieb eines Luftrettungsmittels für eine Betrachtungsperiode.

Der unmittelbare Output der Luftrettung sind ihre Einsätze, sie stellen die existenzielle Daseinsberechtigung der Luftrettung dar. Unterscheiden lassen sich dabei primäre und sekundäre Einsätze, die bei Tag oder in der fliegerischen Nacht durchgeführt werden können.Footnote 2 Diese werden beschrieben durch die Variablen w, x, y und z. Zusammen mit der jeweiligen Einsatzzeit ergeben sie die kostentreibenden Einflussgrößen der Luftrettung. Der nachfolgende methodische Ansatz folgt der originären Aufgabe des zugrunde liegenden Erfahrungsobjektes, dem Rettungstransporthubschrauber Christoph 47. Somit liegt der Fokus dieser Modellierung auf der kostentreibenden Einflussgröße der Primäreinsätze bei Tag. In diesem Beitrag aufgeführte Sondereinsätze, zum Beispiel Seilbergungen, stellen Unterformen der primären Einsätze dar und gehen anteilig durch den Parameter \(\propto\) in die Betrachtung ein.

Die einsatzabhängigen und zeitbezogenen Variablen werden hier im Sinne der Triebwerkslaufzeit aufgefasst und den jeweiligen Einsatzarten als \(b_{x} ,{ }b_{y}\), \(b_{z}\) und \(b_{w}\) zugeordnet. Die Triebwerkslaufzeit leitet die Startsequenz ein, sie beginnt vor dem eigentlichen Abheben des Hubschraubers. Kosten durch Verschleiß und Treibstoffverbrauch fallen somit bereits vor der Luftfahrt an. Zwar wird die Dauer eines Luftrettungseinsatzes von der jeweiligen Einsatzart, vom Umfang der medizinischen Versorgung am Patienten sowie der zurückzulegenden Strecke beeinflusst. Die Vergütung von Luftrettungsleistungen wird jedoch meist an der Triebwerkslaufzeit bemessen, synonym werden auch Flugminuten genannt. Die Triebwerkslaufzeit stellt somit in der Kostenmodellierung nicht nur einen wesentlichen Kostentreiber dar, sondern ermöglicht letztlich auch eine Gegenüberstellung der Erlösstruktur im Rahmen der in Kapitel 0 folgenden Erfolgsanalyse.

Die verschiedenen Möglichkeiten der Erweiterung der Ausrüstung, bspw. bei Windeneinsätzen, oder zusätzliches Personal bei Nachtflügen und deren Auswirkungen auf die Kostensystematik werden im Detail in den folgenden Kapiteln ausgeführt.

3.1.2 Personalkosten

In der periodenbezogenen Betrachtung dieses methodischen Ansatzes kann der Einsatz des Personals und die mithin entstehenden Kosten als ausbringungsmengenunabhängig angesehen werden. Als eigene Kostenkategorie geführt, stellen die Personalkosten p in diesem Modell deshalb sunk costs dar, die durch den Betrieb einer Luftrettungseinrichtung entstehen. Sie werden somit wie Fixkosten behandelt. In ihrer Höhe können sie, abhängig von der Crew-Größe, Kostenanteile des Tagflugbetriebes beinhalten, aber auch die Besonderheiten der Randzeitenausweitung oder des Nachtflugbetriebes umfassen.

Die überwiegende Zahl der deutschen Luftrettungsmittel wird nur bei Tageslicht eingesetzt. Eine Ausweitung der Bereitschaftszeiten führt somit zu einer erhöhten Verfügbarkeit der Versorgungsleistung. Während moderne Hubschrauber grundsätzlich für Nachtflüge geeignet sind, führt die Ausweitung der Bereitschaftszeiten zu einem erhöhten Bedarf an Luftrettungspersonal. Der Einfluss der Bereitschaftszeiten auf die Personalkosten kann über den Parameter p abgebildet werden. Allgemeine Personalkosten werden ergänzt durch die Kosten für die Bereitschaft für Sondereinsätze, dargestellt durch den Parameter o. Dieser nimmt etwa die höhere Vergütung von besser ausgebildetem Personal auf, das für Seilbergungen oder Nachtflüge eingesetzt wird.

3.1.3 Sonstige Fixkosten

Die weiteren fixen Kosten a des Luftrettungsbetriebes fallen im Rahmen der Vorkombination aller Produktionsfaktoren für die Infrastruktur am Boden, wie auch für den Hubschrauber an. Bei periodenbezogener Betrachtung fallen unter die Infrastrukturkosten bspw. Reparaturen, Abschreibungen oder Miete der Gebäude, Versicherungen, Heizung, Reinigung der Räumlichkeiten und der Arbeitskleidung auch die Abschreibung auf die Geschäftsausstattung. Das Luftrettungsmittel selbst geht in die jährlichen Fixkosten mit der Abschreibung ein, zudem sind jährlich anfallende Forderungen auf Einsätze zu berücksichtigen, die in Form von sunk costs in die Fixkostenbetrachtung eingehen. In diesem Modell werden diese Kosten bei periodenbezogener Betrachtung als ausbringungsmengenunabhängig und somit fix angesehen. Eine Überschreitung ihrer angenommenen Kapazität würde jedoch eine Kapazitätserweiterung durch ein weiteres Rettungsmittel erfordern.

Kosten für Sonderausstattungen werden im Modell über den Parameter v berücksichtigt. Diese könnten durch den Umbau des Rettungsmittels für die Aufnahme von Fixtauen oder einer Rettungswinde sein, Schwimmkörper, Kufenverbreiterungen für Landungen auf Schnee oder diverse andere Ausstattungsgegenstände, wie sie unter anderem in Abschnitt 2.2.2 hinsichtlich internationaler Luftrettungssysteme ausgeführt sind.

Ein wesentlicher Anteil der jährlichen Gesamtkosten der Luftrettung entfällt nach Meinung der Literatur auf die Vorhaltung der Infrastruktur am Boden sowie auf das Rettungsmittel.Footnote 3 Grundsätzlich können insbesondere die Anschaffungskosten des Rettungsmittels und der Bau der Luftrettungsstationen von vornherein als Fixkostentreiber identifiziert werden. Die methodische Betrachtung der fixen Kosten, und im Zuge dessen deren Verhältnis zur Ausbringungsmenge, erfährt hinsichtlich der Kritik des Bundesrechnungshof einer hervorgehobene Bedeutung und soll durch die vorgestellten Kostenparameter quantifiziert werden.

Für große Luftrettungsorganisationen müssten für den zunehmenden Planungs- und Organisationsaufwand auch erhöhte Gemeinkosten für die Betriebsführung berücksichtigt werden. Diese sind jedoch nicht bekannt und auch nicht abschätzbar – so hat die ADAC Luftrettung ihren Sitz in der ADAC Zentrale in München und kann bereits bestehende Infrastruktur nutzen. Die Luftrettungsorganisationen der DRF und Johanniter hingegen haben eigene Gebäude, die im Falle der Johanniter jedoch in Luftrettungsstandorte integriert sind. Aufgrund der dieser unbekannten Gemeinkosten und den sehr unterschiedlichen Ausprägungen werden sie nicht explizit modelliert.

3.1.4 Wartungskosten

In diesem Modell werden die nutzungsabhängigen Wartungskosten für die Aufrechterhaltung der Betriebssicherheit des Rettungsmittels einerseits von der Triebwerkslaufzeit \(b_{i}\), andererseits von der Anzahl der Startvorgänge t beeinflusst. Diese spiegeln sich in jeweils vier Wartungszyklen unterschiedlichen Umfangs wider. Die Anzahl der Wartungsintervalle und mithin die Zahl der Starts und die Flugdauer, bewertet mit den Wartungskosten, stellen somit den kostentreibenden Einflussfaktor dar.

Eine wesentliche Frage bei der Betrachtung der Wartungskosten unter den gegebenen Annahmen ist somit, wie viele Starts ein Hubschrauber in einem durchschnittlichen Einsatz durchführt. Während Intensivhubschrauber möglicherweise Verlegungen von einer entfernten Klinik zu einer anderen fliegen und dabei ein Dreiecksmuster mit drei Starts zurücklegen, fliegt ein RTH von seinem Standort an einem maximalversorgenden Krankenhaus bei einem Einsatz nur zwei Starts. Jedoch sind auch andere Routen denkbar. Der gleiche methodische Ansatz gilt für die Flugdauer, wenn bei Sekundäreinsätzen lange Transportstrecken, bei Primäreinsätzen hingegen kürzere zurückgelegt werden.

Die Anzahl ausgelöster Wartungsintervalle wird durch die trunc-Funktion berechnet, welche durch die Kapazitäten des startabhängigen Intervalls u und des flugzeitabhängigen Intervalls e definiert sind. Wartungskosten entstehen schließlich durch die Bewertung der Wartungsmaßnahmen anhand intervallabhängiger Kosten, beschrieben durch c und f.

Die Durchführung von Sondereinsätzen, darunter insbesondere Fixtau- und Windenbergungen, führen zu einer Verschiebung der Routenprofile.Footnote 4 Sie stellen eine Unterform der Primäreinsätze dar. Der Anteil der Sondereinsätze an den Primäreinsätzen geht als \({\upalpha }\) in die Wartungskostenbetrachtung des Hubschraubers ein. Etwaige Abweichungen der Routenprofile vom normalen Primäreinsatz gehen über die Korrekturvariablen m und n für Startvorgänge und Triebwerkslaufzeiten in die Betrachtung der Wartungskosten ein. Ihr Einfluss auf die Überschreitung von Intervallgrenzen wird somit berücksichtigt. Über den Wartungsbedarf des Hubschraubers hinaus gilt es, auch jenen der Sonderausstattungen zu berücksichtigen. Dies gilt insbesondere für die Technik der Rettungswinde, die annahmegemäß in einem regelmäßigen einsatzabhängigen Intervall g gewartet wird.

Neben dem operativen Einsatzgeschehen führen die erforderlichen Ausbildungseinheiten zu zusätzlichem Verschleiß. Dabei entstehende Triebwerkslaufzeiten und Startvorgänge werden durch die Parameter r und s berücksichtigt. Bei jährlicher Betrachtung kann der ausbildungsbedingte Wartungsbedarf als fixe Größe in die Wartungskosten eingehen.

In den Rechercheergebnissen zum Markt der deutschen Luftrettung konnte eine ausgeprägte Marktdynamik und hoher Wettbewerbsdruck dargestellt werden. Insbesondere die Konsolidierung der Betreiberstrukturen kann dabei auf Synergieeffekte hinsichtlich der Wartungskosten der Rettungsmittel hindeuten. Der Einfluss der Wartungskosten auf die Gesamtkosten bei steigender Outputmenge kann anhand dieses Modells abgebildet werden. Schließlich ermöglicht die Kostenbetrachtung der Aufrechterhaltung der Einsatzfähigkeit auch eine Aussage zu der Bedeutung von Kosten, die abhängig von der Ausbringungsmenge sind.

3.1.5 Variable Kosten

Die einsatzabhängigen Kosten setzen sich aus dem bewerteten Treibstoffverbrauch, sowie dem Verbrauch medizinischer Güter zusammen. Medizinisches Verbrauchsmaterial wird als Durchschnittswert berücksichtigt. Da davon auszugehen ist, dass bei Primäreinsätzen anderes Material verwendet wird als bei Sekundäreinsätzen, werden mit den Parametern i und j für jede Einsatzart ein Verbrauchswert festgelegt. Von einem Unterschied der Verbräuche zwischen Einsätzen am fliegerischen Tag oder bei fliegerischer Nacht ist nicht auszugehen.

Der Treibstoffverbrauch ist insbesondere von der Triebwerkslaufzeit und deren Leistungsabgabe abhängig. Dabei ist einerseits im Flug von einer Reisegeschwindigkeit des Hubschraubers auszugehen, innerhalb derer der leistungsabhängige Treibstoffverbrauch annähernd konstant ist. In den Start- und Landesequenzen hingegen ist verändert sich der Verbrauch, ebenso wie in der Blockzeit zwischen Maschinenstart und Abheben, oder Landung und Stopp der Maschinen. Wie aus Abschnitt 2.1.1.2.3 hervorgeht, bewegen sich insbesondere Rettungstransporthubschrauber innerhalb eines durchschnittlichen Einsatzbereiches. Deshalb bietet sich die Zusammenführung leistungsabhängiger Treibstoffverbräuche in einen Durchschnittswert an. Dieser geht in den Parameter l ein, der den bewerteten Treibstoffverbrauch je Minute der Triebwerkslaufzeit angibt. Somit ist eine Bewertungsgrundlage für den Einsatzzeitraum des Hubschraubers gegeben, der sich vom Starten bis zum Abstellen der Turbinen erstreckt. Dieser Zeitraum steht komplementär der gängigen Vergütung von Luftrettungsleistungen nach Minute der Triebwerkslaufzeit gegenüber, lässt jedoch auch eine Vergleichbarkeit zum Modell der Einsatzpauschale zu. Die Ausrichtung auf die gemeinsame Einheit der Triebwerkslaufzeit dient der grundlegenden Vorbereitung der im Folgenden angestrebten Break-Even-Analyse.

In der Gesamtkostenbetrachtung finden die durchschnittlichen Treibstoffkosten Anwendung auf die geleistete Zahl einer jeweiligen Einsatzart sowie deren durchschnittliche Einsatzdauer. Primäre Sondereinsätze, also etwa Suchmissionen oder Seilbergungen der Wasser- oder Bergrettung, gehen als \({\upalpha }\) in die Durchschnittskosten ein. Etwaige Veränderungen der durchschnittlichen Einsatzdauern von Primäreinsätzen werden durch die Korrekturvariable n berücksichtigt. Da die hier berücksichtigten Sondereinsätze ausschließlich Ausprägungen primärer Versorgungen sind und nur bei ausreichenden Lichterverhältnissen möglich, werden sie den Primäreinsätzen bei Tag zugeordnet.

3.2 Durchschnittskostenanalyse

Neben den Gesamtkosten ist insbesondere die Bewertung eines einzelnen Einsatzes der Luftrettung von hervorgehobener Relevanz. Nur so lässt sich schließlich bewerten, welche Auswirkungen eine Verschiebung von Einsatzschwerpunkten, -Häufigkeiten, und -Zusammensetzungen auf die Kosten der Versorgung eines Patienten hat. Auch für die Schaffung einer Kenntnis, ab welcher Leistungsmenge der Einsatz von Hubschraubern kostendeckend möglich ist, bedarf es bekannter Durchschnittskostenverläufe.

Ausgehend von der in 1.1.1 vorgestellten Gesamtkostenfunktion ergeben sich die Kosten eines durchschnittlichen Primäreinsatzes aus

$$k_{\left( x \right)} = k_{Fix} + k_{War} + k_{Var}$$
(3.8)

Mit

$$k_{{Fix}}^{x} = \frac{{\frac{{\text{a}}}{{{\upbeta } + {\upgamma }}}*{\upbeta }}}{{{\text{x}}*b_{x} + {\text{y}}*b_{y} }}*b_{x} + \frac{{\frac{{\text{p}}}{{{\upbeta } + {{\upgamma }}}}*{\upbeta }*q}}{{{\text{x}}*b_{x} }}*b_{x} + \frac{{o + v}}{{CEIL\left( {\alpha *x} \right)}}*\alpha$$
(3.9)

anteiligen Fixkosten, bezogen auf das berücksichtigte Einsatzgebiet,

$$\begin{aligned} k_{{War}}^{x} = & \frac{{K_{{War}}^{I} + K_{{War}}^{{II}} }}{{{\text{r*s}} + \left( {1 - \upalpha } \right){\text{*x*}}b_{x} + \upalpha *b_{x} {\text{*x*n}} + {\text{y*}}b_{y} + {\text{z*}}b_{z} + {\text{w*}}b_{w} }} \\ & *\frac{{{\text{r*s}} + \left( {1 - \upalpha } \right){\text{*x*}}b_{x} + \upalpha *b_{x} {\text{*x*n}}}}{{\text{x}}} \\ & + \frac{{K_{{War}}^{{III}} }}{{CEIL\left( {\upalpha *x} \right)}}*\upalpha \\ \end{aligned}$$
(3.10)

anteiligen start- und Triebwerkslaufzeit-abhängigen Wartungskosten, sowie Wartungsintervallen für Sonderausstattung,

$$k_{Var}^{x} = i + l*\left( {\left( {1 - \alpha } \right)*b_{x} + \alpha *b_{x} *n} \right)$$
(3.11)

Sowie variablen Kosten medizinischer Verbrauchsgüter und bewertetem Treibstoffverbrauch.

Auch bei der Durchschnittskostenanalyse liegt der Fokus der Betrachtungen auf den Primäreinsätzen und folgt damit dem Aufgabenbereich des exemplarischen Erfahrungsobjektes Christoph 47. Die Beschreibung der Parameter ist in Tabelle 2.11 aufgeführt. Da der Gegenstand dieser Analyse die exemplarische Modellierung eines Hubschraubers der prähospitalen Notfallversorgung ist, werden hier bereits ausschließlich die durchschnittlichen Primäreinsatzkosten aufgeführt.

Die Komponenten der Durchschnittskosten ergeben sich ausgehend von der Gesamtkostenfunktion. Bei ihrer Ermittlung stellt sich die Frage, mit welchem Schlüssel Personal- und sonstige Fixkostenanteile der Rettungsmittelvorhaltung den Primär- und Sekundäreinsatzkategorien zugeordnet werden können. Dies wurde über die Fläche des Einsatzgebietes, für das die Hubschrauber vorgehalten werden, gelöst. Rettungstransporthubschrauber haben in der Regel einen hilfsfristbedingten Einsatzradius von bis zu 70 km, in dem Primäreinsätze geflogen werden.Footnote 5 Intensivtransporthubschrauber sind oft größeren Regionen, etwa einem Bundesland, zugeordnet, um diese versorgen, wenngleich Einsätze über noch größere Distanzen vorkommen.Footnote 6

Zudem bedienen beide Formen der Rettungsmittel zumeist nicht ausschließlich eine einzige Einsatzkategorie, sondern werden mitunter auch für weitere, nicht originär im Rahmen ihrer Vorhaltung vorgesehene Einsätze disponiert.Footnote 7 Eine flächenbasierte Aufteilung der fixen und Personalkosten ist deshalb zielführend und wird somit als Kostenschlüssel für die Zuteilung auf Primär- und Sekundäreinsätze angewendet. Sie werden durch die Parameter \({\upbeta }\) und \({\upgamma }\) beschrieben, welche das im Einsatzradius liegende Versorgungsgebiet beschreiben. Für die Durchschnittskostenberechnung primärer Einsätze bei Tageslicht werden die gesamten Personalkosten mit dem Parameter q auf Tages- und Nachteinsätze differenziert.

Für die Bereitschaft zur Leistung von Sondereinsätzen fallen personelle und andere Fixkosten an. Als Unterform der Primäreinsätze haben Sondereinsätze einen geringeren Anteil am Gesamteinsatzaufkommen, wobei das Sondereinsatzaufkommen erwartungswertabhängig auf Primäreinsätze bei Tag bezogen werden. Die Durchschnittskosten der fixen Sondereinsatzkosten ergeben sich deshalb aus der ceiling-Funktion mit dem Produkt aus \(\alpha *x\), welche die nächsthöhere ganze Einsatzzahl ausgibt. Die gleiche Methode findet bei den einsatzabhängigen Wartungskosten der Sonderausrüstung Anwendung.

Die Berechnung der durchschnittlichen Wartungskosten eines Primäreinsatzes erfolgt anteilig durch den Bezug aller Wartungskosten auf Primäreinsätze bei Tag und Nacht. Sie berücksichtigt dabei auch die Einflüsse von Trainingseinsätzen.

3.3 Break-Even-Analyse

Das Erreichen der Gewinnschwelle eines prototypischen Luftrettungsbetriebes wird durch die Gegenüberstellung der Gesamtkosten K und der mit Preisen bewerteten abrechenbaren Minuten der Triebwerkslaufzeit bestimmt. Damit nimmt diese Break-Even-Analyse eine einzelwirtschaftliche Perspektive ein. Die modellierten Preise entsprechen den in Abschnitt 2.1.3.5 vorgestellten Benutzungsentgelten und gehen als P in die Break-Even-Analyse ein. Die Gewinnschwelle wird errechnet aus

$$0 = P*\left( {\left( {1 - {\upalpha }} \right){\text{*x*}}b_{x} + {\alpha *}b_{x} {\text{*x*n}} + {\text{y*}}b_{y} + {\text{z*}}b_{z} + {\text{w*}}b_{w} } \right) + \varepsilon - \left( {K_{Ges} - \delta } \right)$$
(3.12)

Um den Einfluss einer Einsatzart auf das Erreichen der betrieblichen Gewinnschwelle bei gleichzeitiger Leistung verschiedener anderer Einsatzarten herauszustellen, bietet sich eine Betrachtung unter sonst gleichen Bedingungen an. Das Einsatzprofil stellt dabei den Output bzw. die Leistungsmenge eines Rettungsmittels dar. Sonst gleiche Bedingungen, also konstante andere Einsatzzahlen, und mithin Kosten sowie Erlöse, ermöglichen die spezifische Modellierung und Hervorhebung einzelner Einflussgrößen auf das Erreichen der Gewinnschwelle, ohne die übrigen Einflussgrößen zu vernachlässigen.

Für viele Primärhubschrauber, insbesondere jener, die für den Betrieb am Tag vorgehalten werden, stellen Primäreinsätze die wesentliche Einsatzart und somit die kosten-, wie auch erlöstreibende Determinante dar. Ihre Hervorhebung in der Break-Even-Analyse setzt somit den Schwerpunkt der Untersuchung auf die ökonomischen Implikationen von Einsatzprofilen, die in der Deutschen Luftrettung üblich sind. So ermöglicht die Analyse der Gewinnschwelle einerseits Aussagen über die mögliche Profitabilität im Luftrettungsbetrieb, andererseits lassen sich auch Erkenntnisse über die bestehende Vergütungssystematik aus volkswirtschaftlicher Perspektive erzielen. Zu diesen zählen bspw. der mögliche Umfang der Bindung von Ressourcen der Gesundheitsversorgung in betrieblichen Gewinnen, oder die Steuerung der Gewinnerzielung unter Berücksichtigung der Intervalle der Wartungskosten.

Kosten der Infrastruktur, die im Rahmen der Finanzierung der Luftrettung von den Ländern getragen werden und nicht als Betriebskosten beim Luftrettungsbetreiber anfallen, sind für die Break-Even-Analyse nicht entscheidungsrelevant und werden als \(\delta\) von den Gesamtkosten abgezogen. Erlöse aus Spenden- und Fördermitteln, die nicht durch die Leistungsmenge des Luftrettungsmittels induziert sind, werden zwar in der Modellierung als \(\varepsilon\) berücksichtigt, ihr Beitrag zur Kostendeckung lässt sich aufgrund fehlender Informationen jedoch nicht ermitteln. In den Ergebnissen sind sie deshalb nicht abgebildet.

Zudem sind die Benutzungsentgelte für Luftrettungsmittel so ausgelegt, dass der laufende Betrieb durch sie gedeckt werden soll. Sie sind somit die entscheidungsrelevante Einflussgröße der Break-Even-Analyse. Andererseits decken die Benutzungsentgelte möglicherweise nicht die Gemeinkosten der Verwaltungssysteme deutschlandweiter Luftrettungsorganisationen, sodass angenommen werden könnte, dass die beschriebenen fixen Erlöse zu deren Deckung verwendet werden. Auch hierzu fehlen genaue Informationen.

3.4 Innovationsbasierte Szenarioentwicklung

3.4.1 Erfahrungsobjekt „Christoph 47“

Am Standort des Rettungshubschraubers Christoph 47 ist das Land Mecklenburg-Vorpommern Träger der von der DRF durchgeführten öffentlichen Luftrettung. Das Entgelt des Rettungsbetriebes wird im Rahmen eines Konzessionsmodells vom Betreiber direkt mit den Kostenträgern, den Krankenkassen, verhandelt. Diese Entgelte sind nach dem Rettungsdienstgesetz Mecklenburg-Vorpommerns so anzusetzen, dass sämtliche Kosten des Rettungsbetriebes, darunter Abschreibungen, Betriebskosten der Wache und der Rettungsmittel, Personalkosten, Ausbildungskosten, Wartungskosten und Verwaltungskosten gedeckt sind.Footnote 8 Als exemplarisches Erfahrungsobjekt steht der Rettungstransporthubschrauber „Christoph 47“ in Greifswald im Zentrum dieser Vollkostenanalyse.

Der Hubschrauber wird seit August 2020 im 24-h Betrieb betrieben, wurde zuvor jedoch nur von 7 Uhr morgens bis Sonnenuntergang eingesetzt.Footnote 9 Die Maschine vom Typ H 145 fliegt seit 2014 regelmäßig zwischen 1300 und 1500 jährliche Einsätze, von denen rund 90 % primärer Art sind. Bis April 2020 wurde das Muster EC 145 (BK 117 C2) eingesetzt. Die durchschnittliche Anflugdistanz in 2017 lag für Primäreinsätze bei 29,11 km, bei Verlegungsflügen 47,23 km. Die Flugstrecken können mit einer Einsatzgeschwindigkeit von bis zu 262 km/h zurückgelegt werden.Footnote 10

Das Einsatzgebiet des Primärtransporthubschraubers Christoph 47 befindet sich im Nordosten Deutschlands und erstreckt sich an den Küstengewässern von Darß und Zingst über Hiddensee und Rügen bis nach Usedom und ins polnische Swinemünde. Zudem liegt auch das Binnenland Mecklenburgs und Vorpommerns im Einsatzgebiet. Insgesamt ist der Hubschrauber für einen Einsatzradius von 70 km mit Erreichbarkeit von bis zu 20 min Flugzeit vorgesehen. Der Hubschrauber ist auf dem Gelände der Universitätsmedizin Greifswald stationiert.

Die Geographie des Einsatzgebietes ist somit im Küstenbereich von Boddengewässern und der Ostsee, Stränden, Steilküsten und Wäldern geprägt. Das Binnenland ist im Süden von vielen Seen der Mecklenburgischen Seenplatte, Agrarflächen und Wäldern gezeichnet. Als Urlaubsregion mit über 34 Mio. Gästeübernachtungen im gesamten Bundesland und über 18 Mio. im Versorgungsgebiet unterliegt die Größe der zu versorgenden Bevölkerung einer saisonal starken Schwankung. Während der Nordosten Deutschlands eine sehr geringe Bevölkerungsdichte hat und Einwohnerzahlen sich zudem auf die städtischen Zentren konzentrieren, streben große Besucherströme in den Ferienzeiten auf die Inseln, die Küste des Festlandes und an die Seen des Binnenlandes.Footnote 11 Insbesondere auf den Inseln kommt es dabei regelmäßig zu einer Überlastung der Verkehrsinfrastruktur, sodass die Luftrettung einen wichtigen Beitrag dazu leistet, Patienten schnell in die nächstgeeignete Klinik zu transportieren.Footnote 12

Abb. 3.1
figure 1

Primäreinsatzgebiet des RTH Christoph 47 in GreifswaldFootnote

Quelle: Skizze, Eigene Darstellung, angelehnt an DRF Luftrettung (o. J.)

Die Hubschrauberbesatzung besteht bei Flügen am fliegerischen Tag regelmäßig aus je einem Piloten, Notarzt und HEMS-TC. Christoph 47 fliegt ohne Zusatzausrüstungen für Seilbergungen, jedoch seit Juli 2019 als erster deutscher Hubschrauber mit Blut- und Plasmakonserven an Bord. Seit August 2020 wird Christoph 47 nach längerer Planungszeit zudem im 24-h Betrieb eingesetzt.Footnote 14 Bei nächtlichen Einsätzen ist ein zweiter Pilot im Einsatz. Die vom ADAC Luftrettung genutzte HEMS-TC-NVIS Lösung ist von der DRF Luftrettung in Greifswald nicht bekannt.Footnote 15

Der in Greifswald stationierte RTH nimmt in seiner Funktion als Rettungsmittel am Projekt "Integrierter grenzüberschreitender Rettungsdienst Pomerania/Brandenburg (InGRiP)" teil.Footnote 16 Die Zahl der länderübergreifenden Einsätze ist jedoch nicht bekannt.

3.4.2 Szenario 1: 12-h Tagesbetrieb

 

Beschreibung

Spielart

Szenario 1

12 h Betrieb ab 7:00 Uhr

Ausgangsszenario

Annahme hoher Kosten

Dual-Use Betrieb

Zusatzausrüstung Fixtau

Zusatzausrüstung Winde

Szenario 2

16 h Betrieb ab 7:00 Uhr

Szenario 3

24 h Betrieb

Die Bereitschaftszeiten, innerhalb derer Einsätze durch Luftrettungsmittel durchgeführt werden können, lassen sich grundsätzlich nach dem Betrieb über 12 h am Tag, die Randzeitenausweitung auf 16 h sowie den Betrieb über 24 h am Tag unterscheiden. Wenngleich die Bereitschaftszeiten in Abhängigkeit des Tageslichts und der Jahreszeit schwanken, kann bei Betrachtung eines Jahreszeitraums vereinfachend von diesen Zeitintervallen ausgegangen werden.

Diese drei unterschiedlichen Bereitschaftszeiträume bilden im folgenden drei Basisszenarien und somit den Ordnungsrahmen der szenariobasierten Kostenanalyse. Innerhalb dieser Szenarien können alle in Abschnitt 2.1.1.2.2 beschriebenen Einsatzarten erbracht werden. Diese können sekundärer oder primärer Art sein und je bei fliegerischem Tag oder fliegerischer Nacht auch als Sondereinsatz mit Spezialausrüstung durchgeführt werden.

Bezogen auf den Primärhubschrauber Christoph 47, der als exemplarisches Erfahrungsobjekt dieser Analyse zugrunde liegt, gilt es, die maßgebliche kostentreibende Determinante in die Szenarioanalyse zu integrieren. Deshalb liegt der Schwerpunkt der Analyse auf der Variation der Primäreinsätze am Tag. Die Modellierung des exemplarischen Einsatzprofils wird vervollständigt, indem historische sowie angenommene Daten den übrigen Einsatzarten hinzugefügt werden. Der Betrachtungshorizont umfasst dabei jeweils ein Jahr.

Der überwiegende Teil der deutschen RTH wird über 12 h am fliegerischen Tag eingesetzt.Footnote 17 Basisszenario 1 bildet somit das aktuelle Einsatzprofil vieler deutscher Primärhubschrauber ab und greift auch die Bereitschaftszeiten des Christoph 47 vor Einführung des Nachtflugbetriebes auf. Dementsprechend werden in Szenario 1 ausschließlich primäre Einsätze bei Tageslicht sowie eine kleinere Zahl von Verlegungen berücksichtigt. Die verwendete Anzahl der interhospitalen Verlegungen ergibt sich repräsentativ aus den historischen Einsatzdaten für das Jahr 2017 aus dem bundeseinheitlichen Datensatz.Footnote 18

Im Vergleich zu internationalen europäischen Luftrettungssystemen zeigt sich, dass der reine Tagflugbetrieb in anderen Ländern unüblich ist. So werden dänische und schwedische Luftrettungsmittel grundsätzlich auch für nächtliche Einsätze vorgehalten. Die zeitliche Verfügbarkeit dieser Rettungsmittel ist also doppelt so hoch wie von vielen deutschen Primärhubschraubern. Somit stellt das Szenario 1 ein Ausgangsszenario für die Bewertung verschiedener Innovationen dar, die insbesondere erweiternder Art sind.

3.4.3 Szenario 2: 16-h Betrieb mit Randzeitenausweitung

Szenario 2 erweitert das Basiszenario des Tagflugbetriebes um die Randzeitenausweitung. Im angenommenen 16-stündigen Zeitraum werden mitunter in England, aber in Einzelfällen auch in Deutschland von der ADAC Luftrettung, primäre Luftrettungsmittel vorgehalten. Grundsätzlich stellt die erhöhte Verfügbarkeit der Luftrettungskapazitäten eine Verbesserung der rettungsdienstlichen Versorgung dar. Die Abbildung der Randzeitenausweitung greift die Erkenntnisse der Analyse internationaler Luftrettungssysteme auf und untersucht Lösungen zur Verbesserung der Notfallversorgung. Eine Innovation ist der Luftrettungsbetrieb über 16 h am Tag für das deutsche Luftrettungssystem nicht, da sie in Einzelfällen bereits durchgeführt wird. Der Grad der Innovationsadoption ist wie bereits dargelegt bisher jedoch gering.Footnote 19 Die Ausweitung der Betriebszeiten von primären Luftrettungsmitteln, die bisher nur bei Tageslicht eingesetzt werden, hinein in die Randzeiten, würde somit für das jeweilige Rettungsmittel eine erweiternde Innovation darstellen.

Dies galt bis zur Einführung des Nachtflugbetriebes im Sommer 2020 auch für das Erfahrungsobjekt Christoph 47. Dessen mögliche Erhöhung der Verfügbarkeit in den Randzeiten wird in diesem Szenario aufgegriffen, auch um eine vollständige Gegenüberstellung der drei Vorhaltezeiträume am Erfahrungsobjekt zu ermöglichen. Die Bedeutung der erhöhten Verfügbarkeit ergibt sich aus der verbesserten Versorgung insbesondere der im Einsatzgebiet liegenden Inseln, die im Winterhalbjahr nur während des relativ kurzen fliegerischen Tages aus der Luft versorgt werden können. Mithin können abgelegene und ländliche Regionen durch die verbesserte Erreichbarkeit der Luftrettung eine erhöhte Versorgungsqualität erfahren.

Die Modellierung eines verlängerten Vorhaltezeitraumes um 33 % gegenüber dem Basisszenario und mit ihr einhergehenden veränderten Kostenstrukturen bietet somit die Möglichkeit, eine Aussage über die zusätzlichen Kosten zu treffen, die durch eine Erhöhung der Rettungsmittelverfügbarkeit entstehen. Einsätze in den Randzeiten werden nicht als eigene Einsatzart aufgeführt. Szenario 2 unterscheidet deshalb lediglich zwischen primären und sekundären Einsätzen.

Die benötigte Infrastruktur zur Vor- und Endkombination in der notfallmedizinischen Leistungserstellung im 16-h Betrieb unterscheidet sich gegenüber dem Basisszenario. Dies betrifft insbesondere Personalkosten sowie sonstige Fixkosten. So bedarf es etwa der Weiterbildung des HEMS-TC zum HEMS-TC-NVIS mit der Befugnis, dem Piloten bei fliegerischen Aufgaben zu assistieren. Die verlängerten Bereitschaftszeiten führen zudem zu einem erhöhten Personalbedarf als im Ausgangsszenario. Darüber hinaus ist eine nachtflugtaugliche Ausstattung des Hubschraubers vorauszusetzen, bspw. mit Nachtsichtgeräten oder einem reflexionsarmen Glascockpit.

3.4.4 Szenario 3: 24-h Betrieb

Der Tag- und Nachtbetrieb steht dem über 12 h gegenüber. Dieses dritte Szenario spiegelt die größtmögliche Vorhaltung der Rettungsmittel wider, wie sie etwa standardmäßig in Schweden oder Dänemark vorzufinden ist. In der deutschen Luftrettung hingegen werden Rettungshubschrauber nicht grundsätzlich für nächtliche Einsätze vorgehalten.

Die Verdopplung der Vorhaltezeiten der Einsatzmittel über die Nachtstunden impliziert eine deutliche Verbesserung der notfallmedizinischen Versorgung. Bezüglich der im Einsatzgebiet von Christoph 47 liegenden Inseln ermöglicht erst die nächtliche Luftrettung einen schnellen Transport von Patienten zu den umliegenden Krankenhäusern. Insbesondere auf Hiddensee kann alternativ nur die Schifffahrt den nächtlichen Patiententransport übernehmen. Ein vergleichbarer exemplarischer Sachverhalt betrifft ebenfalls den in Sanderbusch stationierten Rettungshubschrauber Christoph 27. Dieser versorgt neben dem ostfriesischen Festland auch die ostfriesischen Inseln und gewährt somit deren nächtliche notfallmedizinische Versorgung.

Die Ausweitung der Verfügbarkeiten der primären Luftrettungsmittel in Deutschland für nächtliche Einsätze würde für das deutsche Luftrettungssystem einem Paradigmenwechsel gleichkommen, da bisher die Einsatzbereitschaft in der Regel auf den fliegerischen Tag beschränkt ist. Gleichwohl werden viele Intensivtransporthubschrauber für nächtliche Verlegungen vorgehalten, sodass der nächtlichen Leistungserstellung grundsätzlich keine disruptive Novität innewohnt. Nächtliche Primäreinsätze würden vielmehr die Einsatzmöglichkeiten der Rettungsmittel erweitern und zu einem veränderten Einsatzprofil führen.

So lässt sich bei nächtlichen Einsätzen zwischen primären und sekundären Einsätzen bei Tag und Nacht unterscheiden. Bei nächtlicher Vorhaltung ist dabei von zusätzlichen Verlegungen gegenüber dem 12-h Betrieb auszugehen. Auf sekundäre sowie primäre Einsätze entfallen dabei zudem die Sondereinsätze als jeweilige Unterform. Neben dieser Differenzierung des Outputs ergeben sich im Rahmen der Kostenmodellierung für den 24-h Betrieb verschiedene zu berücksichtigende Voraussetzungen für alle Kostenarten.

Für die nächtlichen Flüge muss die Hubschrauberbesatzung um einen zweiten Piloten ergänzt werden. Piloten mit Nachtflugerlaubnis haben einen hohen Ausbildungsstand, der sich in einem erhöhten Lohn widerspiegelt. Es muss von Lohnzuschlägen für nächtliche Einsätze ausgegangen werden, die im reinen Tagflugbetrieb nicht anfallen. Der Schichtbetrieb in den Tages- und Nachtstunden führt zu einem stark erhöhten Personalbedarf gegenüber den beiden anderen Vorhalteszenarien. Zudem bedarf es nicht nur der Nachtflugtauglichkeit des Hubschraubers mit Glascockpit und Nachtsichtgeräten, sondern auch ausgeleuchteter Landeplätze am Stützpunkt. Der Ausbau von zentralen Landeplätzen, bspw. auf Inseln, die vom Rettungsmittel angeflogen werden, spielt ebenfalls eine wichtige Rolle, dieser Aspekt wird in der Kostenanalyse des Betriebsmittels jedoch nicht berücksichtigt. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass nächtliche Sekundäreinsätze einen höheren Anteil am gesamten nächtlichen Einsatzaufkommen haben, als es im Tagflugbetrieb der Fall ist.Footnote 20

3.4.5 Szenario-Variation I: Ausgangssituation

Die drei oben vorgestellten Ausgangsszenarien, mit denen verschiedene Zeiten der Rettungsmittelvorhaltung unterschieden werden, können jeweils anhand der fünf nachfolgenden Szenariovariationen gemäß weiter definiert werden. Sie modellieren verschiedene Ausprägungen der Rettungsmittelvorhaltung und durch sie entstehende Kosten. Alle Szenariovariationen ergeben sich aus der grundsätzlichen Gegenüberstellung unterschiedlich hoher Betriebskosten sowie möglichen Innovationen, die von internationalen Luftrettungssystemen abgeleitet werden oder Gegenstand von Diskussionen über Luftrettungsmitteln in Deutschland sind.

Szenariovariation I. stellt die Ausgangssituation der ökonomischen Modellierung der Vollkosten eines exemplarischen Luftrettungsmittels dar. Auf dieser Szenariovariation basieren alle weiteren Variationen II. bis V. Das exemplarische Erfahrungsobjekt der I. Variation ist der in Greifswald stationierte RTH Christoph 47. Es wird davon ausgegangen, dass die Einsatzzahlen von den Primäreinsätzen getrieben werden und das Einsatzprofil wenige Verlegungen aufweist. In der Ausgangssituation wird ein möglichst günstig betriebener Primärhubschrauber einer größeren Hubschrauberflotte beschrieben und eine Vergleichbarkeit mit anderen deutschen RTH gleicher Voraussetzungen angestrebt. Somit steht I. einerseits beispielhaft für einen der 57 deutschen RTH, sowie verschiedene internationale Luftrettungsmittel, die in Abschnitt 2.2 zum Vergleich internationaler Luftrettungssysteme aufgeführt werden.

Die Personalkosten, die in I. aufgegriffen werden, gehen von der deutschen Standardbesatzung mit je einem Piloten, HEMS-TC und Notarzt aus, die bei Anwendung von I. auf Szenarien 1, 2 oder 3 um das jeweilig für verschiedene Betriebszeiten notwendige Personal ergänzt werden. Sonstige Fixkosten beinhalten eine unter- bis durchschnittliche Infrastruktur am Boden, wobei die Kosten für die Station etwas unter den vom BundesrechnungshofFootnote 21 angegebenen liegen sollen.

Als Hubschraubermodell wird im Ausgangsszenario von einem älteren Hubschraubermodell vom Typ BK 117 C2 (mit neuer Typenbezeichnung EC 145) ausgegangen, wie er bis April 2020 in Greifswald zum Einsatz kam.Footnote 22 Hinsichtlich der Wartungskosten wird in I. eine ausgelastete, wettbewerbsfähige Werftinfrastruktur mit einheitlicher Hubschrauberflotte modelliert, die zu einem relativ geringen Wartungskostenniveau führen soll.Footnote 23 Variable Kosten werden als bewerteter Verbrauch des Jet-A1 Kerosins mit Nettopreisen angesetzt, die über die Szenariovariationen hinweg nicht variieren. Kosten für medizinischer Verbrauchsgüter werden als Erwartungswert angegeben mit einer Unterscheidung zwischen Primär- und Sekundäreinsätzen.

3.4.6 Szenario-Variation II: Annahme erhöhter Kosten

Dem Ausgangsszenario steht II. mit der Annahme höherer Kosten für den Betrieb eines Luftrettungsmittels entgegen. Diese Szenariovariation beschreibt, ausgehend von I., eine obere Spanne möglicher Betriebskosten der 57 Rettungstransporthubschraubern in Deutschland und bildet die Komplexität von erhöhten Kostenausprägungen ab, die im Einzelnen nicht dargestellt werden können. Darunter fallen bspw. auch die nicht explizit berücksichtigten Gemeinkosten der Betriebsführung großer Luftrettungsorganisationen. So soll auch die Unsicherheit über die Qualität der Daten und des Kostenmodells weiter reduziert werden.

Zudem dient II. der Modellierung verschiedener, unter Abschnitt 2.1.5 Kritik ausgeführter, kritischer Aspekte der deutschen Luftrettung hinsichtlich der effizienten Allokation knapper Ressourcen. Mithin wird durch Gegenüberstellung von I. und II. angestrebt, unterschiedliche Kosten der Vorhaltung und ihr Verhalten bei steigenden Einsatzzahlen abschätzen zu können, die exemplarisch für das deutsche, aber auch für internationale Luftrettungssysteme stehen. Das modellierte Einsatzprofil basiert dabei auf I.

Personalkosten ergeben sich aus dem Ausgangsszenario, sollen jedoch in II. mit einer höheren Vergütung abgebildet werden, die beispielsweise von einem erhöhten Erfahrungsstand der Crew ausgehen. Sonstige Fixkosten bilden eine Infrastruktur am Boden ab, die hinsichtlich der Angaben des BundesrechnungshofesFootnote 24 überdurchschnittlich sind. Darüber hinaus wird von einem modernen und neuen Hubschrauber vom Typ H 145 ausgegangen, der seit April 2020 als Christoph 47, jedoch auch an deren RTH-Standorten des deutschen und internationaler Luftrettungssysteme eingesetzt wird. Hinsichtlich der Wartungskosten wird von einem erhöhten Niveau ausgegangen, die einerseits durch geringere Skaleneffekte der Werftinfrastruktur, kleinere oder uneinheitliche Hubschrauberflotten verursacht werden können. Die Darstellung von erhöhten Wartungskosten ist auch deshalb von Bedeutung, um den Wettbewerb um Werftauslastung und die Konsolidierung im Markt der Luftrettung abbilden zu können. Treibstoffpreise basieren weiterhin auf I.

3.4.7 Szenario-Variation III: Dual-Use Einsatzprofil

Variation III. verändert das Ausgangszenario mit einem reinen RTH hin zu einem Dual-Use-Hubschrauber, der neben Primäreinsätzen auch für dringende Verlegungen eingesetzt wird. Somit berücksichtigt III. ein Einsatzprofil, das neben einer höheren Zahl an Sekundäreinsätzen auch längere Einsatzdauern aufweist. Dieses Szenario ist hinsichtlich der Infrastruktur an I., also dem Greifswalder Ausgangsszenario, angelehnt. Weitere Annahmen zu Einsatzdauern und – Zahlen entstammen historischen Daten von deutschen Dual-Use Hubschraubern, die ebenfalls ein ländliches Einsatzgebiet versorgen und vor allem im nächtlichen Einsatz Verlegungsflüge durchführen.

Szenariovariation III. erhält seine Bedeutung aus der Modellierung einer höheren Verfügbarkeit für verschiedene Einsatzarten. In Deutschland überwiegt die Trennung der Aufgabenbereiche in paralleler Vorhaltung von Luftrettungsmitteln für primäre und sekundäre Einsätze. Insofern würde die Übernahme international gehandhabter Modelle des allgemeinem Dual-Use-Betriebes, wie etwa in Dänemark und Schweden, eine Innovation für die deutsche Luftrettung darstellen. Hinsichtlich des exemplarischen Erfahrungsobjektes in Greifswald könnte ein Dual-Use-Betrieb mit der Erweiterung des Einsatzprofiles um vermehrte Sekundärtransporte als Reaktion auf die beschriebene Versorgungsherausforderungen im ländlichen Raum durchgeführt werden. Somit könnte eine zeitnahe Versorgung auch bei fortschreitender Zentralisierung von Versorgungseinrichtungen, sowie die Unabhängigkeit des Rettungsdienstes von überlasteten Infrastrukturen gesichert werden.

Kostenannahmen für den in III. modellierten Dual-Use Betrieb beruhen auf dem Ausgangsszenario I., auch um eine Vergleichbarkeit der Variationen zu ermöglichen. Personalkosten verbleiben und sonstige Fixkosten verbleiben konstant. Weiterhin wird das große Hubschraubermuster vom Typ BK 177 C2 modelliert, wenngleich andere Standorte auch kleinere Muster im Dual-Use Betrieb einsetzen. Die Höhe anfallender Wartungskosten wird sich durch das gegenüber I. veränderte Einsatzprofil verschieben, während Treibstoffpreise wie zuvor beschrieben behandelt werden.

3.4.8 Szenario-Variation IV: Sonderausstattung Fixtau

Variation IV. stellt das erste von zwei Szenarien dar, die eine Möglichkeit der Seilbergung durch die Luftrettung modellieren. Fixtaueinsätze stellen die technisch einfache und günstige Möglichkeit der Seilbergung dar und stehen somit den Voraussetzungen der Rettungswinde gegenüber. Aus Deutschland sind keine Luftrettungsmittel bekannt, die regelmäßig mit Fixtauen ausgerüstet sind und Evakuierungen aus schwer zugänglichem Gelände durchführen. Starre Seile wurden in den vergangenen Jahren durch die Rettungswinden ersetzt, die Umrüstungen stellen somit eine Innovation dar, sodass IV. die Ausgangssituation repräsentiert. Der Vergleich beider Möglichkeiten der Seilbergung ist somit für den Vergleich der jeweiligen Vorhaltekosten nicht nur in der deutschen Luftrettung interessant. Auch für internationale Luftrettungssysteme, in denen Einsätze mit Winden oder Fixtauen geleistet werden, ist die Kenntnis der Kostenstrukturen von Belang.

Szenariovariation IV. geht von einer Hubschraubercrew mit drei Mitgliedern aus.Footnote 25 Personalkosten werden deutlich höher als im Ausgangsszenario angesetzt, da einerseits der Ausbildungsstand, jedoch auch der Ausbildungsbedarf für Einsätze mit dem Fixtau höher ist. Darüber hinaus sollen durch die höher angesetzte Personalvergütung erhöhte Ausbildungsstände oder Gefahrenzuschläge der Crew berücksichtigt werden. Sonstige Fixkosten basieren auf den Annahmen von I., erweitert um die Kosten des Fixtausystems. Innerhalb dieser müssen Trainingseinsätze berücksichtigt werden, die zur Erhaltung der Betriebsbereitschaft durchgeführt werden müssen und im Rahmen der in diesem Modell gewählten jährlichen Betrachtung als sunk costs eingehen.

Die Systematik der Wartungskosten folgt dem Ausgangsszenario, wenngleich das zu erwartende Einsatzprofil mit Fixtaueinsätzen diese hinsichtlich der Zahl an Starts und Flugminuten anders als in I. treiben wird: Bei Primärtransporten kommt es je Einsatz zu zwei Starts. Bei Fixtaueinsätzen als Unterform der Primäreinsätze hingegen muss nach einem Sichtungsflug zwischengelandet werden, um das Fixtau zu montieren. Nach Aufnahme des Patienten bedarf es einer weiteren Landung, um ihn an Bord zu nehmen und das Fixtau wieder auszuhängen, bevor der Transport in die stationäre Versorgung erfolgt. Die Einsatzdauer erhöht sich im Rahmen der zusätzlichen Start- und Landevorgänge sowie der Zeiten im Schwebeflug. Der zu berücksichtigende Wartungsbedarf für das Fixtau hingegen ist aufgrund der technisch einfachen Handhabung nicht als Kostentreiber anzusehen. Durch die längere Einsatzdauer bei Fixtaueinsätzen ist von erhöhtem Treibstoffverbrauch auszugehen. Variable Kosten in IV. orientieren sich im Übrigen am Ausgangsszenario I.

3.4.9 Szenario-Variation V: Sonderausstattung Winde

Die Ausstattung von Primärhubschraubern in Mecklenburg-Vorpommern mit Rettungswinden wurde in der Vergangenheit wiederholt auch auf politischer Ebene diskutiert und die Kosten einer Umrüstung sogar bewertet.Footnote 26 Der Nutzen der Seilbergungskapazitäten am exemplarischen Rettungsmittel in Greifswald ergibt sich aus Anwendungsmöglichkeiten der Wasserrettung, von schwer zugänglichem Gelände auf den Halbinseln und Inseln Nordostdeutschlands, oder auch der Offshore Rettung von Havaristen oder an Windparks der Ostsee. Rettungswinden sind in Deutschland, wie auch in den oben beschriebenen internationalen Luftrettungssystemen nicht grundsätzlich an den Luftrettungsmitteln vorzufinden.Footnote 27 In Deutschland werden sie überwiegend in Gebirgsregionen eingesetzt, jedoch auch der in Sanderbusch stationierte Dual-Use Hubschrauber zur Versorgung der Ostfriesischen Inseln führt eine Rettungswinde mit. Die Vergleichbarkeit der Geographie dessen Einsatzgebietes zu Nordostdeutschland zeigt die grundsätzliche Übertragbarkeit des Windenpotenzials und findet deshalb Eingang in die exemplarische Modellierung. Erkenntnisse aus dieser sind grundsätzlich auch auf andere Luftrettungsmittel übertragbar.

Szenariovariation V. geht von einer Hubschraubercrew mit drei Mitgliedern aus.Footnote 28 Personalkosten werden deutlich höher als im Ausgangsszenario angesetzt, da einerseits der Ausbildungsstand, jedoch auch der -Bedarf für Windeneinsätze höher ist. Dies gilt beispielsweise für den HEMS-TC, der zum Helicopter Hoist Operator fortgebildet sein muss. Darüber hinaus sollen durch die höher angesetzte Personalvergütung Ausbildungsstände oder Gefahrenzuschläge berücksichtigt werden. Sonstige Fixkosten basieren auf den Annahmen von I., erweitert um die Kosten des Windensystems. Innerhalb dieser Annahmen müssen Trainingseinsätze berücksichtigt werden, die zur Erhaltung der Betriebsbereitschaft durchgeführt werden müssen und im Rahmen der in diesem Modell gewählten jährlichen Betrachtung als sunk costs eingehen.

Die Systematik der Wartungskosten folgt dem Ausgangsszenario, wenngleich das zu erwartende Einsatzprofil mit Windeneinsätzen diese hinsichtlich der Zahl an Starts und Flugminuten anders als in I. treiben wird: Bei Primärtransporten kommt es je Einsatz zu zwei Starts. Windeneinsätze als Unterform des Primäreinsatzes hingegen müssen zur Aufnahme des Patienten nicht zwischenlanden, im Rahmen des Winchvorgangs kommt es jedoch zum Schwebeflug und deshalb längeren Flugdauern. Darüber hinaus bedarf es der Wartung der Rettungswinde. Dieses Einsatzschema unterscheidet sich von dem des Fixtaueinsatzes. Variable Kosten orientieren sich an I, allerdings ist von erhöhtem Treibstoffverbrauch bei Windeneinsätzen auszugehen, da die Flugzeiten länger sind als im normalen Primäreinsatz.

3.5 Datengrundlage

Die folgende Tab. 3.1 Inputdaten. zeigt die modellierten Inputdaten des Kostenmodells, die an den unter Abschn. 1.1.1 eingeführten Modellvariablen ausgerichtet sind. Zum Verständnis dieser werden zunächst die zugrunde liegenden Informationen und Annahmen der genutzten Kostendaten ausgeführt.

a – Fixe Kosten der Szenariovariation.Basiert auf Angaben der Johanniter Luftrettung sowie weiteren Recherchen zur Ausstattung von Primärhubschraubern.Footnote 29 Zugrunde werden steuerrechtliche Nutzungsdauern gemäß AfA-Tabellen gelegt. Variiert annahmegemäß in Szenariovariationen. Kosten für den Hubschrauber beruhen auf den Modellen EC/H 145 mit nachtflugtauglichem Glascockipt.Footnote 30

\({\varvec{b}}_{{\varvec{x}}}\) – Durchschnittlich abrechenbare Flugdauer eines Primäreinsatzes am Tag.

Modellierung in Anlehnung an den üblichen Abrechnungsmechanismus, abgeleitet von der durchschnittlichen Flugdistanz des RTH „Christoph 47“ aus historischen Einsatzdaten.Footnote 31 Berücksichtigt werden in der Flugdauer auch Blockzeiten von 2,5 min je Flug sowie Start- und Landesequenzen, in denen Triebwerke laufen und Treibstoff verbraucht wird.

\({\varvec{b}}_{{\varvec{y}}}\) – Durchschnittlich abrechenbare Flugdauer eines Primäreinsatzes in fliegerischer Nacht.

Modellierung gemäß \(b_{x}\) unter der Annahme, dass Einsatzgebiete und Flugzeiten sich bei nächtlichen Einsätzen nicht ändern.

\({\varvec{b}}_{{\varvec{z}}}\) – Durchschnittlich abrechenbare Flugdauer eines Sekundäreinsatzes am Tag.

Modellierung in Anlehnung an den üblichen Abrechnungsmechanismus, abgeleitet von der durchschnittlichen Flugdistanz des „Christoph Rostock“, der als repräsentativer ITH für die Versorgung des Flächenlandes Mecklenburg-Vorpommerns ausgewählt wurde. Berücksichtigt werden in der Flugdauer auch Blockzeiten von 2,5 min je Flug sowie Start- und Landesequenzen, in denen Triebwerke laufen und Treibstoff verbraucht wird.

\({\varvec{b}}_{{\varvec{w}}}\) – Durchschnittlich abrechenbare Flugdauer eines Sekundäreinsatzes in fliegerischer Nacht.

Modellierung gemäß \(b_{y}\) unter der Annahme, dass Einsatzgebiete und Flugzeiten sich bei nächtlichen Einsätzen nicht ändern.

\({\varvec{c}}_{{\varvec{d}}}\) – Kosten des startabhängigen Wartungsintervalls.

Wartungskosten in Anlehnung an Informationen der Johanniter Luftrettung. Erhöhung der Kosten des Wartungsintervalls in Szenariovariationen.

d – Startabhängiges Wartungsintervall.

Wartungsintervalle in Anlehnung an Informationen der Johanniter Luftrettung. Intervalle sind unabhängig von Szenariovariationen.

\({\varvec{e}}_{{\varvec{d}}}\) – Flugzeitabhängiges Wartungsintervall.

Wartungsintervalle in Anlehnung an Informationen der Johanniter Luftrettung. Intervalle sind unabhängig von Szenariovariationen.

\({\varvec{f}}_{{\varvec{d}}}\) – Kosten des flugzeitabhängigen Wartungsintervalls.

Wartungskosten in Anlehnung an Informationen der Johanniter Luftrettung. Erhöhung der Kosten des Wartungsintervalls in Szenariovariationen.

g – Nutzungsabhängiges Wartungsintervall für Rettungswinde.

Wartungsintervalle der Rettungswinde annahmegemäß auf Grundlage der Recherchen.

h – Kosten des nutzungsabhängigen Wartungsintervalls der Rettungswinde.

Wartungskosten der Rettungswinde annahmegemäß auf Grundlage der Recherchen.

i – Bewerteter durchschnittlicher Verbrauch von medizinischem Verbrauchsmaterial bei Primäreinsätzen.

Durchschnittswerte auf Grundlage von Informationen der Johanniter Luftrettung.

j – Bewerteter durchschnittlicher Verbrauch von medizinischem Verbrauchsmaterial bei Sekundäreinsätzen.

Durchschnittswerte auf Grundlage von Informationen der Johanniter Luftrettung.

l – Bewerteter durchschnittlicher Treibstoffverbrauch je Minute Triebwerkslaufzeit.

Nettopreise des Kerosin Jet-A1. Wert ergibt sich aus durchschnittlichen Verbrauchswerten, abgeleitet aus dem Typenblatt einer BK 117 C2.Footnote 32

m – Korrekturvariable für Starts je Einsatz.

Abhängig von der Anzahl an Starts je Sondereinsatz. Rettungswinde mit nur einem Startvorgang je Einsatz, Fixtau mit drei.Footnote 33

n – Korrekturvariable für die abrechenbare Einsatzdauer.

Abhängig von der durchschnittlichen Einsatzdauer je (Unter-) Einsatzart.

o – zusätzliche Personalkosten für Sondereinsatzfähigkeit.

Basiert auf Annahmen, ausgehend von Recherchen.

p – Personalkosten der Szenariovariation.

Basiert auf Angaben der Johanniter Luftrettung sowie Rechercheergebnisse zu Tarifverträgen.Footnote 34 Variiert annahmegemäß in Szenariovariationen. Es wird davon ausgegangen, dass das gesamte Luftrettungspersonal einer Station die gleichen Fortbildungen und Flugtauglichkeitsuntersuchungen erhält, und dass eine höhere Spezialisierung mit einem höheren Entgelt bewertet wird.

q – Anteil der Personalkosten für Einsätze am fliegerischen Tag.

Variiert je nach Szenariovariation. Annahmegemäß finden in der fliegerischen Nacht keine Sondereinsätze statt.

r – Fixe jährliche Starts zur Übung von Sondereinsätzen.

Variiert annahmegemäß nach Szenariovariation für Fixtau- und Windeneinsätze.

s – durchschnittliche Flugdauer für Übungen von Sondereinsätzen.

Variiert annahmegemäß nach Szenariovariation für Fixtau- und Windeneinsätze.

t – durchschnittliche Anzahl an Starts je Einsatz.

Annahmegemäß werden sowohl bei Primär- und Sekundäreinsätzen zwei Starts durchgeführt. Konstant über Szenariovariationen, wird für Sonderfälle korrigiert durch m.

u – Intervallgrenzen für startabhängiges Wartungsintervall.

Anzahl an Starts bis Auslösen eines Wartungsintervalls. Unabhängig von Szenariovariationen. Intervallgrenzen basieren auf Informationen der Johanniter Luftrettung.

v – zusätzliche Fixkosten für Sondereinsatzausstattung.

Technische Ausstattung gemäß Recherchen zusammengeführt in Error! Reference source not found. Variable Kosten, die im Zuge von Trainingseinsätzen entstehen, werden als sunk costs behandelt.

w – Anzahl sekundärer Einsätze bei fliegerischer Nacht.

Relevant nur in Szenario 3. Annahmebasiert für das exemplarische Erfahrungsobjekt „Christoph 47“, wird in der Kostenanalyse konstant gehalten.

x – Anzahl primärer Einsätze bei fliegerischem Tag.

Wesentliche Determinante dieser Modellierung. Kostentreibende Einflussgröße und damit unabhängige Variable.

y – Anzahl primärer Einsätze bei fliegerischer Nacht.

Relevant nur in Szenario 3. Annahmebasiert für das exemplarische Erfahrungsobjekt „Christoph 47“, wird über die Szenariovariationen in 3. konstant gehalten.

z – Anzahl sekundärer Einsätze bei fliegerischem Tag.

Basierend auf historischen Einsatzdaten vom exemplarischen Erfahrungsobjekt „Christoph 47“, konstant über alle Szenariovariationen, außer III. In dieser Anlehnung sekundärer Einsätze an Dual-Use Hubschrauber „Christoph Gießen“.Footnote 35

\(\propto\) – Anteil der Sondereinsätze an allen Primäreinsätzen.

Annahmebasiert, ausgehend von historischen Einsatzdaten, wie in Error! Reference source not found. dargestellt. Variiert zwischen Szenariovariationen IV und V, wobei Fixtaueinsätze seltener als Windeneinsätze geleistet werden, da sich annahmegemäß die Breite ihrer Anwendbarkeit unterscheidet.

\({\varvec{\beta}}\) Einsatzgebiet für Primäreinsätze.

Ergibt sich für das exemplarische Erfahrungsobjekt aus dem üblichen Einsatzradius für RTH von 70 km2, wobei „Christoph 47“ aufgrund der Boddengewässer im Nordosten Deutschlands ca. 30 % weniger Fläche zu versorgen hat.

\({\varvec{\gamma}}\) Einsatzgebiet für Sekundäreinsätze.

Ergibt sich in Anlehnung an den ITH „Christoph Rostock“, der für Mecklenburg-Vorpommern zuständig ist und somit ein Einsatzgebiet von ca. 23.000 km2 versorgt.

P – Erlös je abrechenbare Flugminute.

Angenommener üblicher Wert auf mittlerem Niveau in der deutschen Luftrettung für RTH, die nicht vom BBK unterhalten werden.Footnote 36

\({\varvec{\varepsilon}}\) . – Sonstige betriebliche Erlöse.

Bspw. durch Fördergelder, Spenden oder Mitgliedbeiträge.

\({\varvec{\delta}}\) – Nicht entscheidungsrelevante Kosten in €

Bspw. für Infraruktur, getragen von den Ländern.

Tabelle 3.1 InputdatenFootnote

Quelle: Eigene Darstellung.

3.6 Sensitivitätsanalyse

Alle ökonomischen Modellierungen müssen die strukturelle Unsicherheit ihrer Methodik sowie jene der Daten berücksichtigen, die untersucht werden. Einen systematischen Ansatz zur Integration von Unsicherheiten bieten Sensitivitätsanalysen, die prüfen, wie abhängige Modellgrößen auf eine Veränderung unabhängiger Parameter reagieren. Dies ermöglicht eine Verbesserung der allgemeinen Anwendbarkeit, des Verständnisses von Zusammenhängen sowie die Einschätzung der Robustheit von Modellen.

Grundsätzlich kann unterschieden werden zwischen einfachen und probabilistischen Sensitivitätsanalysen, Schwellenanalysen und Analysen von Extremen. Bezogen auf Kostenmodelle betrachten einfache Sensitivitätsanalysen die Auswirkungen der Variation einer (uni), zwei (bi) oder mehrerer (multi) Inputgrößen, bei Konstanz aller anderen auf die gewählte Outputgröße. Multivariate Sensitivitätsanalysen werden dabei oftmals in Form von Szenarioanalysen vorgenommen, in denen verschiedene Umweltzustände dargestellt werden, wie es auch in der methodischen Konzeption dieser Arbeit geschieht.Footnote 38

Die Variation der Inputparameter kann helfen, die Robustheit der jeweiligen Szenarioannahmen zu überprüfen. Mit der Parametervariation wird die Unsicherheit der Inputparameter durch deren starke Änderung simuliert. Zur Prüfung der nachfolgenden dargestellten Ergebnisse wird ausgehend vom Basiswert ein optimistischer und ein pessimistischer Wert, bzw. ein Worst- und ein Best-Case Szenario angenommen. Bei unsicheren Informationen ist es nicht immer möglich, die best- oder schlechtmöglichste Ausprägung zu bestimmen. Optimistische und pessimistische Annahmen, beispielsweise in prozentualen Anteilen lassen mehr Freiraum bei der Variation der Basiswerte und erleichtern wiederum den Umgang mit Unsicherheit.Footnote 39

Eine Sensitivitätsanalyse wird in dieser szenariobasierten Kostenanalyse exemplarisch auf die Durchschnittskosten sowie die Untersuchung der Gewinnschwelle von Szenariovariation 1.I. angewandt, um die dem Modell zugrunde liegende Kostensystematik sowie den Einfluss kostentreibender Einflussgrößen besser abschätzen zu können. Die jeweiligen Inputdaten werden dabei vom Basiswert aus in optimistischen und pessimistischen Annahmen um 50 % erhöht oder verringert. Einschränkend ist dabei zu erwähnen, dass diese Annahmen die Eintrittswahrscheinlichkeit der jeweiligen Parametervariation nicht bewerten.

Der Einfluss dieser Änderung der unabhängigen Variable auf die abhängige Ergebnisgröße wird graphisch in einem Tornadodiagramm dargestellt, um die Sensitivität der Ergebnisse zu illustrieren. Der Ausgangswert der Durchschnittskosten soll bei 1200 Primäreinsätzen sowie dem übrigen Einsatzprofil der Szenariovariation festgelegt werden, um durch das oftmals erreichte Einsatzprofil eine Übertragbarkeit auf andere Luftrettungsmittel ermöglichen.

Zusätzlich zur univariaten Sensitivitätsanalyse, welche den Einfluss eines Inputparameters auf die Outputgröße untersucht, wird auch eine multivariate Sensitivitätsanalyse aller Einflussfaktoren, welche die Durchschnittskosten treiben, durchgeführt. Auch hier wird eine kostenerhöhende Veränderung der kostentreibende Inputparameter um 50 % vorgenommen, um eine obere, pessimistische Ergebnisausprägung für die exemplarische Szenariovariation zu erhalten.

Neben den Durchschnittskosten werden auch die Einflussgrößen der Gewinnschwelle einer exemplarischen Sensitivitätsanalyse für Szenariovariation 1.I. unterzogen. Im ersten Schritt werden dabei die relevanten Einflussgrößen und ein un-/ vorteilhaftes Maß variiert und die nötige Zahl an Primäreinsätzen zum Erreichen der Gewinnschwelle errechnet. Ein zweiter Analyseschritt untersucht die Verschiebung der Gewinnschwelle bei einer Veränderung der Vergütung in Schritten von 10 €, beginnend bei 30 € je Flugminute. Im Vordergrund steht dabei weiterhin die Veränderung der Primäreinsätze, das weitere Einsatzprofil wird als Datum betrachtet.