Das Ziel dieses Grundlagenkapitels ist es, bereits verfügbare Informationen über Kosten, Innovationen und Gestaltungsansätze in Luftrettungssystemen zusammen zu führen. Somit soll ein grundlegendes Verständnis geschaffen werden, aus dem sich die Methodik zur Modellierung von Kosten und Handlungsempfehlungen entwickeln lassen. Dafür wird das System der deutschen Luftrettung anhand von medizinischen, sozio-politischen und betriebswirtschaftlichen Dimensionen beschrieben und erfasst. Mit dieser Herangehensweise geschieht auch der Vergleich internationaler Luftrettungssysteme. Zudem wird mit Bezug auf Deutschland auf Innovationen und Veränderungen in der Luftrettung eingegangen, sowie auf bekannte Kritik am Status Quo. Die Recherche zu nationalen und internationalen Beiträgen, in denen unterschiedliche Kosten der Luftrettung adressiert werden, schließt zusammen mit grundlegenden ökonomischen Bewertungsansätzen dieses Kapitel.

2.1 System der deutschen Luftrettung

2.1.1 Medizinische Dimensionen

2.1.1.1 Notfallversorgung

2.1.1.1.1 Historische Entwicklung

Die Entwicklung notfallmedizinischer Maßnahmen steht beispielhaft für den Fortschritt des medizinischen Forschungs- und Kenntnisstandes.Footnote 1 Notfallmedizinischen Therapien ist gemein, dass ihre Erbringung zeitkritisch ist, die Versorgung des Patienten also möglichst schnell geschehen muss. Sie werden quantifiziert durch Zeitspannen, innerhalb derer eine medizinische Versorgung des Notfallpatienten erfolgen soll, um ein günstiges Outcome zu erreichen.Footnote 2

Aus der Erkenntnis zeitkritischer Behandlungsintervalle folgt heute der Anspruch, Organisa-tionsstrukturen für die systematische Gewährleistung notfallmedizinischer Versorgung zu etablieren. Zunächst fragmentierte Bemühungen, eine großflächigere Notfallversorgung aufzubauen, wurden mit der Wende zum 20. Jahrhundert in Deutschland zunehmend zusammengeführt. Der 1. Internationale Rettungskongress resümierte 1908 Ansprüche an die Notfallversorgung, die den heutigen bereits nahe kommen: Die Bedeutung der Hilfsfrist wurde mit der Forderung beschrieben, dass für jeden überall schnelle, qualifizierte Hilfe verfügbar sein müsse. Qualifizierte Hilfe wurde mit dem Behandlungsauftrag des Arztes und dessen medizinischen Kenntnissen beschrieben, in dessen Verantwortung die Erstbehandlung vor Ort, der Einsatz von Fahrzeugen und des Personals fallen muss. Zudem wurde der Rettungsdienst als öffentliche und staatliche Aufgabe definiert, nach der Rettungswachen vorzuhalten und Krankenhäuser als Notaufnahmestellen auszurüsten seien.Footnote 3 Die 1908 genannten Forderungen wurden in den Folgejahren nur langsam und nicht systematisch umgesetzt. In Deutschland beispielsweise entwickelte sich das zivile Rettungswesen zunächst weiterhin überwiegend aus karitativen Organisationen und freiwilligen Helfern, ohne staatliche Unterstützung zu erfahren.Footnote 4

Das 1938 von Prof. Kirschner aufgestellte Postulat, dass nicht der Notfallpatient zum Arzt, sondern der Arzt zum Patienten kommen solle, richtete die bereits bekannten Anforderungen an das Rettungswesen weiter aus und gilt heute als Geburtsstunde der modernen Rettungsmedizin. An dem Vorbehalt, dass die präklinische Versorgung eine in erster Linie ärztliche Aufgabe ist, orientiert sich das deutsche Rettungswesen. Das Postulat von Kirschner diktiert deshalb bis heute das in Deutschland vorherrschende Einsatzkonzept. Da der Arzt zum Patienten kommt, wird einsatztaktisch grundsätzlich nach dem „stay and play“-Konzept vorgegangen, also der bestmöglichen Stabilisation und Erstversorgung durch medizinisches Personal am Unfallort. Erst nach der Sicherstellung der Transportfähigkeit des Patienten erfolgt die Überführung in die klinische Versorgung. Andere Vorgehensweisen wie das „scoop and run“ sind aus paramedizinischen Rettungsdienstsystemen bekannt, das Sanitätern weitreichendere Befugnisse einräumt und insbesondere im englischsprachigen Raum häufig umgesetzt wird.Footnote 5 Da Notärzte in diesem Einsatzkonzept in der präklinischen Versorgung nicht grundsätzlich eingesetzt werden, wird hier der Schwerpunkt auf den möglichst zeitigen Transport des Patienten zur stationären ärztlichen Versorgung gelegt.

Für die Versorgung am Boden werden heute verschiedene Rettungsmittel im Rahmen unterschiedlicher Einsatzarten eingesetzt. Primäreinsätze umfassen die rettungsdienstliche Akutversorgung am Notfallort und den Transport in das nächstgelegene geeignete Krankenhaus bzw. Versorgungseinrichtung. Sekundäreinsätze bezeichnen den Transport von bereits betreuten Patienten innerhalb dieser, sie können als dringlich oder nicht-dringlich eingestuft werden. Eine Unterform des Sekundärtransportes sind Intensivtransporte, also die Verlegung von intensivmedizinisch betreuten Patienten zwischen Versorgungseinrichtungen unter Aufrechterhaltung der bereits begonnenen Therapie.Footnote 6

Trotz zunehmender rettungsdienstlicher Infrastruktur und medizinischer Ansprüche blieb das lange und somit im Vordergrund stehende problematische therapiefreie Intervall des Patienten bis zur Konzeption der Rettungskette 1961 ungelöst. Die Rettungskette, dargestellt in Abbildung 2.1, strukturiert die Behandlung von Notfallpatienten vor der klinischen Behandlung. Sie umfasst die Sofortmaßnahmen am Unfallort durch anwesende Ersthelfer, ein Meldesystem, das weitere Erste Hilfe Maßnahmen anleitet und Rettungsmittel disponiert. Die Rettungskette endet mit der Übergabe des Patienten an eine Versorgungseinrichtung und dem Beginn der definitiven klinischen Behandlung. Dabei ist die ausreichende Erfüllung jedes Gliedes kritisch für die Gewährleistung der Versorgungsqualität durch die Rettungskette.Footnote 7

Die systematische Gliederung der präklinischen Notfallversorgung in einzelne Schritte bildet heute den Ansatzpunkt für verschiedene Forschungen an den unterschiedlichen Prozessschritten der Rettungskette. Im Fokus stehen dabei insbesondere von Jedermann durchführbare Therapien, die bei den Tracerdiagnosen angewandt werden können.Footnote 8 Studien und Maßnahmen setzen unter anderem an den ersten Gliedern der Kette an (Vgl. Abbildung 2.1), etwa bei der Schulung von Laienhelfern in lebensrettenden Sofortmaßnehmen, der Integration von geschulten Ersthelfern (Community-First-Respondern) in die Dispositionsverfahren oder der Flächendeckenden Vorhaltung von automatischen externen Defibrillatoren.Footnote 9 Weitere medizinische Forschung findet unter anderem im Rahmen der erweiterten lebensrettenden Maßnahmen statt.

Durch die abschnittsweise Ordnung der Schritte der Rettungskette und der Definition korrespondierender Zeitintervalle, ergibt sich für die Medizin die Möglichkeit des Benchmarkings, indem anhand allgemeiner Kennzahlen eine Vergleichbarkeit bei Einsätzen geschaffen wird. Da sich aus diesen Intervallen die aktuellen Anforderungen an den Rettungsdienst ergeben, wird im folgenden KapitelFootnote 10 in größerer Tiefe auf sie eingegangen.

Abbildung 2.1
figure 1

Die RettungsketteFootnote

Quelle: Ziegenfuß (2016), S. 7.

Wie die Entwicklung von Therapien und Strukturen im Rettungsdienst, ging auch die Luftrettung aus zunächst militärischen Einsätzen hervor. Erstmals im Koreakrieg (1950–1953) und danach im Vietnamkrieg (1960–1975) wurden Hubschrauber für den systematischen Transport Verwundeter eingesetzt. In Deutschland wurde am 1.11.1970 die luftgestützte Notfallversorgung als Ergänzung zu den Notarztstrukturen am Boden in die zivile Rettungskette eingegliedert. Ziel war es, das therapiefreie Intervall strukturell weiter zu verkürzen und indes die Notfallversorgung zu verbessern.Footnote 12 Dafür wurde ein vom ADAC betriebener und in München stationierter Hubschrauber gemäß des Postulats nach Kirschner für Primäreinsätze eingesetzt.

Seit 1970 hat sich die Luftrettung in Deutschland zu einem Netz entwickelt, das eine flächendeckende Notfallversorgung mit 86 regulären Hubschraubern der öffentlichen Daseinsvorsorge gewährleistet, von denen im Juli 2020 für Primäreinsätze 57 als Rettungstransporthubschrauber, 17 Intensivtransporthubschrauber für Sekundärtransporte (für die Versorgung der Pandemielage in 2020/21 um 2 Maschinen aufgestockt) und 12 als Dual-Use-Hubschrauber vorgehalten werden.Footnote 13

Diese stehen für primäre und sekundäre Einsätze überwiegend am fliegerischen Tag (30 Minuten vor Sonnenaufgang bis 30 Minuten nach Sonnenuntergang), teilweise aber auch zusätzlich in der fliegerischen Nacht (vice versa), zur Verfügung.Footnote 14 Die deutsche Luftrettung leistet heute etwa 5 % des Gesamteinsatzaufkommens des Rettungsdienstes. Abbildung 2.2 zeigt die steigende Tendenz der jährlichen Einsatzzahlen seit Beginn einer umfassenden Aufzeichnung in 2002. Der wesentliche Treiber der Einsatzzahlen sind demnach Primäreinsätze. Im Betrachtungszeitraum von 2002 bis 2017 betrug der Anstieg der Luftrettungseinsätze 37,9 %.Footnote 15

Abbildung 2.2
figure 2

Entwicklung des Einsatzaufkommens der LuftrettungFootnote

Quelle: Eigene Darstellung, angelehnt an RUN-Statistik (2018), S. 55.

2.1.1.1.2 Ansprüche

Die moderne prähospitale Notfallmedizin, oder auch Rettungsmedizin,Footnote 17 umfasst fachübergreifende diagnostische und therapeutische Maßnahmen, die aufgrund pathophysiologischer Erkenntnisse in den verschiedenen medizinischen Fächern entwickelt wurden und vor allem außerhalb der Klinik Anwendung finden.Footnote 18 Präklinische Notfallversorgung wird vom Rettungsdienst erbracht, der eine Säule des deutschen Gesundheitssystems darstellt und die präklinische medizinische Versorgung von verletzten oder akut erkrankten Personen umfasst. Krankentransport und Notfallrettung bilden dabei eine funktionale Einheit und erfüllen die meist öffentliche Aufgabe der staatlichen Daseinsvorsorge und der allgemeinen Gefahrenabwehr. Die Notfallrettung als Bestandteil des Rettungsdienstes umfasst die organisierte und professionelle medizinische Hilfe am Unfallort, sodass zwischen Boden-, See- und Bergrettungseinsatzformen unterschieden werden kann.Footnote 19

Neben der Durchführung lebensrettender Maßnahmen ist die Aufgabe der modernen Notfallrettung, die Transportfähigkeit von Patienten herzustellen, aufrechtzuerhalten und diese unter Vermeidung weiterer Schäden in die nächstgelegene, geeignete Gesundheitseinrichtung zu befördern. Der Krankentransport als Bestandteil des Rettungsdienstes beinhaltet somit die Beförderung von kranken, verletzten oder hilfsbedürftigen Personen unter sachgerechter Betreuung. Transporte können dringlich oder disponibel, also planbar sein. Die gesetzliche Grundlage des Rettungsdienstes bilden die Rettungsdienstgesetze der Länder.Footnote 20 Die Anforderungen und Ansprüche an die Rettungsdienstliche Versorgung ergeben sich aus den internen und externen Relationen zu seinen Umsystemen, die von einer kontinuierlichen Weiterentwicklung gekennzeichnet sind.Footnote 21

Medizinische Ansprüche an die Notfallversorgung entwickeln sich entlang des Forschungs- und Kenntnisstandes.Footnote 22 Aus ihnen leitet sich die Ausgestaltung von Rettungsdienststrukturen ab, in dem die Ansprüche der Medizin in die Versorgung überführt werden. Die Rahmenbedingungen der organisierten Notfallversorgung wurden zuletzt durch das „Eckpunktepapier 2016 zur notfallmedizinischen Versorgung der Bevölkerung in der Prähospitalphase und in der Klinik“ definiert. Basierend auf der Rettungskette wurden Zeitintervalle für die Bestimmung von Kennzahlen, Empfehlungen zur Strukturplanung, dem notfallmedizinischen leitlinienorientierten Vorgehen und Anforderungen an die geeignete Zielklinik definiert. Insbesondere die Zeitintervalle können als Qualitätsindikatoren des Rettungsdienstes und der medizinischen Behandlung gesehen werden. Die wesentlichen zeitlichen Abschnitte (Abbildung 2.3) der Rettungskette sindFootnote 23

  • Das therapiefreie Intervall: Es umfasst die Zeit vom Eintreten des Notfalls bis zur ersten therapeutischen Maßnahme. Ersthelfer können diese Phase bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes verkürzen und durch lebensrettende Maßnahmen das Outcome von Notfallsituationen erheblich verkürzen. Dies gilt insbesondere bei der Tracerdiagnose „plötzlicher Kreislaufstillstand“, bei der eine Herz-Lungen-Wiederbelebung möglichst sofort beginnen sollte.

  • Das Prähospitationsintervall: Es bezeichnet die Zeitspanne vom Eingang des Notrufs bis zur Ankunft des Patienten in einer Klinik. Der Anspruch der Medizin an die Notfallversorgung ist es, das Prähospitationsintervall nicht länger als 60 Minuten dauern zu lassen, um zeitkritischen Behandlungserfolg zu gewährleisten. Die endgültige Versorgung soll spätestens 90 Minuten nach Notrufeingang beginnen.

  • Die Hilfsfrist: Eine planerische Vorgabe der Zeitspanne vom Eingang des Notrufes bis zum Eintreffen professioneller Rettungsmittel am Einsatzort. Damit umschließt sie das Dispositions-, Ausrück- und Anfahr- oder Anflugintervall. Die Hilfsfrist wird festgelegt in den Landesrettungsdienstgesetzen und variiert erheblich von Bundesland zu Bundesland (Abbildung 2.3).

Abbildung 2.3
figure 3

Zeitintervalle in der präklinischen NotfallversorgungFootnote

Quelle: Eigene Darstellung, angelehnt an Fischer et al. (2016), S. 388.

Es gibt sehr viele Ansätze und Projekte, mit dem Ziel, die einzelnen Prozessschritte der außerklinischen Notfallversorgung zu kürzen und die Versorgungsqualität zu verbessern.Footnote 25 Sie auszuführen würde den Rahmen und Fokus dieser Arbeit zu weit verschieben, deshalb beschränken sich die folgenden Ausführungen auf diejenigen Intervalle, die für die Organisationen von Rettungsdiensten von hervorgehobener Bedeutung sind. Während die Prähospitalzeit für Patienten und ihre definitive Behandlung in einer Zielklinik wesentlich ist, betrifft die Hilfsfrist den Rettungsdienst als Erfolgs- und Qualitätsindikator, wie auch als Planungsgröße.

Aus der Entfernung, die Rettungsmittel innerhalb der vorgegebenen Hilfsfrist zurücklegen können, ergeben sich Einsatzradien und somit Gebiete, die von verschiedenen Rettungsmitteln eines Standortes versorgt werden können. Durch die aneinandergrenzenden Versorgungsbereiche ergibt sich ein flächendeckendes Netzwerk der Notfallversorgung, das einer Leitstelle zugeordnet ist. Diese übernimmt die Disposition der passenden Rettungsmittel in ihrem Rettungsbezirk, also beispielsweise von Rettungswagen (RTW), Krankentransportwagen (KTW), Notarztwagen oder Notarzteinsatzfahrzeugen (NEF) am Boden oder Hubschraubern auf dem Luftweg.Footnote 26

Die Dispositionsentscheidung, wie etwa für den Notarzteinsatz, erfolgt anhand standardisierter Indikationskriterien, die als medizinische Ansprüche in die Rettungsdienstorganisation eingehen.Footnote 27 Somit kommt den Leitstellen die wesentliche Aufgabe zu, Rettungskräfte einerseits bedarfs- und anspruchsgerecht einzusetzen. Andererseits gilt es aber auch, Ressourcen nicht unnötig zu binden, um Einsatzüberschneidungen, sogenannte Duplizitäten, zu vermeiden, in denen Rettungskräfte im Einsatz an anderer Stelle dringender benötigt würden.

Rettungstransporthubschrauber (RTH) als primäre Einsatzmittel können, wie Abbildung 2.4 darstellt, nach unterschiedlichen Strategien disponiert werden. Die Dispositionsstrategien spiegeln somit medizinische Ansprüche an die Notfallversorgung wider. RTH können als schnellstes Rettungsmittel Notärzte zubringen und von RTW unterstützt werden. Auf diese Weise stehen zwei unterschiedliche Rettungsmittel zur Verfügung, um den Patienten in die nächstgeeignete Versorgungseinrichtung zu befördern. Im Paralleleinsatz von RTW, NEF und RTH wird die Luftrettung gleichzeitig mit der Bodenrettung alarmiert, um von vornherein eine fristgerechte Zentrumszustellung über den Luftweg zu gewährleisten. Dabei ist der Bedarf nach dem Luftrettungsmittel von vornherein der Leitstelle bekannt. Dies ist bei Nachforderungen nicht der Fall.Footnote 28

Abbildung 2.4
figure 4

Einsatz- und Dispositionsstrategien für RettungstransporthubschrauberFootnote

Quelle: Gäßler et al. (2013), S. 78.

Die Disposition betrifft neben Rettungsmitteln auch das Personal. Die Qualifikationen von Helfern der Notfallversorgung innerhalb der Rettungskette reichen vom Laienhelfer über nicht-ärztliches Rettungsdienstpersonal mit unterschiedlichen, ausbildungsbedingten Kompetenzen bis zum Notarzt.Footnote 30 Da die medizinische Versorgung im deutschen Rettungsdienstsystem auf notärztlichem Personal basiert, kommt dessen Fähigkeiten und der bedarfsgerechten Disposition die größte Bedeutung zu.Footnote 31 Nicht-ärztliches Rettungsdienstpersonal hat eine unterstützende Funktion und deshalb weniger Befugnisse als der Notarzt oder Paramedics in anderen Rettungsdienstsystemen.Footnote 32

2.1.1.1.3 Herausforderungen

Die systematische Ausgestaltung von Rettungsdienststrukturen nach den zuvor beschriebenen medizinischen Ansprüchen erfordert die Reaktionsfähigkeit auf externe Anforderungen, die sich aus dem Umsystem des Rettungsdienstes ergeben. Aus dem geo-demographischen Wandel und der epidemiologischen Transition mit sich konsekutiv änderndem Krankheitspanorama entsteht ein Spannungsfeld, das die medizinische Ausgestaltung von Rettungssystemen direkt beeinflusst. Weitere wichtige, jedoch weniger medizinische Faktoren, die wirtschaftlicher oder sozio-politischer Art sind, werden inhaltlich vom medizinischen Teil dieses Abschnittes getrennt und in eigenen Kapiteln dargestellt.

Insbesondere der demographische Wandel, die damit verbundene epidemiologische Transition und die Landflucht stellen die öffentliche Notfallversorgung in Deutschland vor große Herausforderungen. Für ländliche Regionen, wie etwa den Landkreis Vorpommern-Greifswald im Nord-Osten Deutschlands, impliziert diese Entwicklung eine abnehmende Bevölkerungsdichte auf dem Land, während die Einwohnerzahlen der städtischen Zentren ansteigen.Footnote 33 Dies führt zu einer Verschiebung regionaler Erkrankungsprofile aufgrund der Abwanderung junger Menschen in die Städte. Mit zunehmender Überalterung der Gesellschaft treten chronisch-degenerative Krankheiten des Alters in den Vordergrund, unter anderem mit konsekutiv steigendem Versorgungsbedarf für kardiovaskuläre Notfallsituationen.Footnote 34 Das sich ändernde Krankheitspanorama stellt externe Anforderungen an den Rettungsdienst dar, auf die Versorgungsstrukturen auszurichten sind.

Darüber hinaus kann schlechte Infrastruktur in dünn besiedelten Gebieten weiter zur Erschwerung von Rettungsdiensteinsätzen beitragen und die Versorgungsqualität bedrohen. Einerseits verkleinert eine schlechte Zugänglichkeit von Einsatzorten den effektiven Versorgungbereich von Notarztstandorten und Rettungswachen, die nach der gesetzlichen Hilfsfrist definiert ist. Für die formale Vorgabe, flächendeckend gleiche Versorgungsqualität zu gewährleisten, muss demnach das Versorgungsnetz verdichtet werden, obwohl die zu versorgende Bevölkerung schrumpft. Wird diese Vorgabe nicht eingehalten, kommt es regelmäßig zu längeren Anfahrtswegen sowie der Verfehlung der Hilfsfrist und anderen medizinischen Zeitvorgaben. Neben schlechter Infrastruktur können auch externe, geographische Gegebenheiten, wie etwa Flüsse, Seen, Boddengewässer, Buchten, Fjorde, Täler oder Berge Versorgungsbereiche einschränken. Andererseits bedeutet eine geringe Bevölkerungsdichte in Rettungsdienstbezirken oftmals eine geringere Standortauslastung im Vergleich zu städtischen Gebieten. Dies kann zu einer sinkenden Routine und fehlender Erfahrung des Personals führen, was wiederum eine Verschlechterung der Versorgungsqualität bedeuten kann.Footnote 35

Im stationären Sektor des deutschen Gesundheitssystems wird auf den geo-demographischen Wandel mit strukturellen Änderungen reagiert. Schwerpunktzentren für möglichst spezialisierte Versorgung werden gebildet, während Krankenhäuser mit wenigen Betten und geringer Versorgungsstufe geschlossen werden. Insbesondere die Konzentration von Intensivpflegekapazitäten führt deshalb zu einer Zunahme interhospitaler Transporte von intensivmedizinischen Patienten, für die häufig auf die Luftrettung zurückgegriffen wird.Footnote 36

Es gibt viele verschiedene internationale Studien und Publikationen, in denen versucht wird, den Einfluss der Luftrettung auf die Verbesserung von Outcomes von Notfallpatienten zu bewerten. Ein länderübergreifender Vergleich von Luft- und Bodenrettung ist aufgrund verschiedener Gesundheitssysteme jedoch schwierig. Somit kann keine eindeutige Aussage getroffen werden, ob die Luftrettung nicht nur den an sie gestellten Anforderungen und Ansprüchen genügt, sondern dem Rettungswesen grundsätzlich auch medizinischen Nutzen über die Bodenrettung hinaus stiftet. Einigkeit besteht hingegen darüber, dass Luftrettung die Verfügbarkeit von Fähigkeiten des medizinischen Personals sowie von Schwerpunktzentren der Versorgung für Patienten erhöht.Footnote 37

2.1.1.2 Einsatzprofile

2.1.1.2.1 Aufgabenbereich

Die Luftrettung stellt ein Rettungsmittel dar, mit dem die vorgestellten notfallmedizinischen Ansprüche erfüllt und externen Anforderungen begegnet werden. Luftgestützte Versorgung findet ihre gesellschaftliche wie auch medizinische Legitimation, da der kritische Faktor Zeit, die von der Notfallmedizin geforderte Kürze des therapiefreien Intervalls, unter bestimmten Voraussetzungen nur über den Luftweg gewährleistet werden kann.Footnote 38 Dies gilt insbesondere, wenn die länderspezifische Hilfsfrist von bodengebundenen Rettungsmitteln bei der Erreichung bestimmter Einsatzorte regelmäßig überschritten wird, wie es beispielsweise in Mecklenburg-Vorpommern der Fall ist.Footnote 39

Zudem sind Hubschrauber mitunter die einzige Möglichkeit, um zeitkritische medizinische Transporte aus unwegsamen Gebieten durchzuführen. Dies gilt in deutschen Küstenregionen, zum Beispiel für die Nord- und Ostfriesischen Inseln, Hiddensee, Usedom, Darß-Zingst oder Fehmarn, aber auch für Offshore-Einsätze auf Bohrplattformen oder Windenergieanlagen. Auch die Bergrettung stützt sich massiv auf den Einsatz von Hubschraubern, etwa in Wintersport- oder Wanderregionen, um Patienten aus Gelände abzutransportieren, die vom Bodenrettungsdienst nicht in angemessener Zeit erreicht werden können.

In der deutschen Notfallversorgung werden Rettungstransporthubschrauber (RTH) eingesetzt, um den Arzt möglichst schnell zum Patienten, und diesen nach Sicherstellung der Transportfähigkeit in die nächstgeeignete, meist überregionale Klinik zu bringen.Footnote 40 Neben diesen Primäreinsätzen fliegen Intensivtransporthubschrauber (ITH) dringende Verlegungen als Sekundärtransporte zwischen Krankenhäusern. Viele deutsche Hubschrauber werden grundsätzlich nur zur Abdeckung einer Einsatzart vorgehalten. Steht ein Luftrettungsmittel für beide gleichermaßen zur Verfügung, wird vom Dual-Use-System gesprochen.Footnote 41

Der vorgesehene Einsatzbereich des vorgehaltenen Hubschraubers ist Gegenstand der Ausschreibung des Luftrettungsbetriebes und wird in den Betriebsvereinbarungen zwischen Träger und Betreiber der Luftrettung festgehalten. Dennoch werden, je nach Bedarf, von Intensivhubschraubern Primäreinsätze geflogen und Rettungshubschrauber für dringende Verlegungen eingesetzt, sodass die bisherige Trennung der Einsatzbereiche zunehmend aufgehoben wird.Footnote 42

Während Rettungstransporthubschrauber für einen hilfsfristbedingten Einsatzradius von 50–70 Kilometern vorgesehen sind, fliegen die umfangreicher ausgestatteten Intensivtransporthubschrauber mitunter mehrere hundert Kilometer durch die Republik oder in angrenzende Länder.Footnote 43 Für Rettungstransporthubschrauber ergibt sich aus dem Einsatzradius ein Einsatzgebiet von bis zu 15.400 km2. Für alle 86 regulären Hubschrauber der öffentlichen Daseinsvorsorge, die im Bundesgebiet von 357.582 km2 eingesetzt werden, liegt das durchschnittliche Versorgungsgebiet hingegen bei ca. 4157 km2.

Luftrettungsmittel werden über verschiedene Bereitschaftszeiten vorgehalten. Die meisten Luftrettungsstationen in Deutschland sind am fliegerischen Tag, eine halbe Stunde vor Sonnenaufgang bis eine halbe Stunde nach Sonnenuntergang einsatzbereit. Daraus ergibt sich bei jährlicher Betrachtung, unter Berücksichtigung der sich ändernden Tageslichtzeiten, ein Einsatzzeitraum von 7:00 Uhr bis Sonnenuntergang über 12 Stunden.Footnote 44 Eine Neuerung in der deutschen Luftrettung ist die Ausweitung der Einsatzzeiten in die Dämmerung, bzw. die frühen Nachtstunden, bis 22.00 Uhr.Footnote 45

Der 24-Stunden Betrieb ergänzt den Tagesbetrieb um die Nachtstunden. Überwiegend Intensivtransporthubschrauber werden auch nachts vorgehalten, jedoch ist die ständige Einsatzbereitschaft rund um die Uhr in Deutschland nicht weit verbreitet.Footnote 46 Von den 86 Hubschraubern der öffentlichen Luftrettung in Deutschland sind 16 nachts einsatzbereit. Von diesen werden zwei als Rettungstransporthubschrauber und vier als Dual-Use Hubschrauber vorgehalten.Footnote 47

2.1.1.2.2 Einsatzarten

Die grundlegende Unterscheidung zwischen Primär- und Sekundäreinsätzen wird in der Luftrettung weiter differenziert in Einsätze bei Tageslicht oder bei fliegerischer Nacht, sodass sich vier Einsatzarten ergeben, in die alle denkbaren Einsatzszenarien eingefügt werden können. Innerhalb der Einsatzarten können weiterhin Sondereinsätze, etwa des Fixtaus oder der Rettungswinde unterschieden werden. Jede Einsatzart beinhaltet unterschiedliche Voraussetzungen an die technische Ausstattung des Hubschraubers und das eingesetzte Personal, die zur Einsatzbereitschaft benötigt werden.

Für die Leistungserbringung bei Einsätzen primärer und sekundärer Art am Tag besteht die Besatzung eines Rettungshubschraubers grundsätzlich aus einem Piloten, einem zum HEMS-TC (helicopter emergency service technical crewmember) ausgebildeten Notfallsanitäter sowie einem Notarzt. Nach Maßgabe des Kirschner´schen Postulats sind die an Primäreinsätzen teilnehmenden Notärzte in der Regel Fachärzte. Notfallsanitäter, die in der Luftrettung eingesetzt werden, sind durch ihre Ausbildung dazu befähigt, den Piloten in fliegerischen Angelegenheiten zu unterstützen.Footnote 48 Art und Umfang der medizinischen Leistungserstellung werden einerseits grundsätzlich durch Primär- und Sekundäreinsätze differenziert. Andererseits erfordert jeder einzelne Einsatz unterschiedliche medizinische Leistungen. Um die unterschiedlichen Einsatzanforderungen zu erfüllen, sind grundlegende Anforderungen an personentransportfähige Luftrettungsmittel in den Normen DIN EN 13718-1, 13718-2 und 13230-10 geregelt. Sie betreffen etwa die Zugänglichkeit des Patienten, die Innenraumgröße und allgemeine medizintechnische Ausstattungen.

Nachteinsätze jeglicher Form erfordern gemäß der JAR-OPS 3 einen zweiten Piloten für die Besatzung.Footnote 49 Die kürzlich in Deutschland eingeführte Erweiterung des Rettungsbetriebes auf 16 Stunden in die Nachtstunden hinein erfordert die Weiterbildung des HEMS-TC zum HEMS-TC-NVIS, um den Piloten beim Fliegen bei Dunkelheit zu unterstützen, so dass trotz Dunkelheit kein zweiter Pilot benötigt wird.Footnote 50

Die medizinische Ausrüstung von Intensivtransporthubschraubern geht meist über die von Primäreinsatzmitteln heraus. So können zusätzlich zur Standardausstattung der Notfallversorgung ein größerer Sauerstoffvorrat, zusätzliche Spritzenpumpen, Herz-Lungen-Maschinen oder intraaortale Gegenpulsationspumpen mitgeführt werden.Footnote 51 Während der Corona Pandemie wurden zudem viele Rettungsmittel umgerüstet, um mit Isoliertragen hochinfektiöse Patienten verlegen zu können. Für Intensivtransporte eingesetzte Maschinen sind meist von größeren Ausmaßen als Primärhubschrauber.

Weitere Ausstattungsmerkmale der Sondereinsatzbereitschaft hängen maßgeblich vom Einsatzgebiet und den in ihnen zu leistenden Einsatzarten ab. So führt neben saisonal schwankenden Einsatzzeiten auch Wind, Geographie oder zu überwindende Höhen zu unterschiedlichen Anforderungsprofilen, die an die Leistung der Maschinen gestellt werden. In der Bergrettung werden deshalb Rettungswinden oder Fixtaue für Seilbergungen eingesetzt, während für Einsätze über Wasser Auftriebskörper an den Kufen montiert werden.Footnote 52 Die Einsatzschwerpunkte erfordern zudem eine entsprechende Besetzung der Hubschrauber Crew.

Windeneinsätze stellen Sonderformen der Primäreinsätze dar. Winden werden besonders bei schlecht zugänglichen Oberflächenstrukturen, in der Berg- oder Wasserrettung verwendet, um Unfallopfer in den Hubschrauber und in ärztliche Obhut zu bringen, ohne dass die Maschine am Einsatzort landen muss. Der Hubschrauber positioniert sich dafür im Schwebeflug über der Unfallstelle, während der Arzt vom Sanitäter an Bord herabgelassen wird. Dieser benötigt die Ausbildung zum Helicopter Hoist Operator und führt diese in seiner Berufsbezeichnung (HEMS-TC-HHO).Footnote 53 In Deutschland werden Windeneinsätze mitunter mit der typischen Besatzung aus drei Personen geflogen,Footnote 54 in Österreich muss grundsätzlich ein viertes Besatzungsmitglied für die Handhabung der Winde an Bord sein.Footnote 55 Der Bedarf an Übungseinsätzen durch die Vorhaltung einer Rettungswinde ist gegenüber der klassischen Rettung mit Landung am Patienten erheblich höher.Footnote 56

Bei der Taubergung wird an einem dafür benötigten Lasthaken am Rumpf des Hubschraubers ein Seilsystem befestigt welches, anders als die Rettungswinde, nicht in ihrer Länge verstellbar ist. Wie die Rettungswinde wird das Fixtau zur Bergung aus unwegsamem Gelände verwendet, wenn der Hubschrauber nicht in der näheren Umgebung landen kann. Somit sind Fixtaueinsätze, wie Windeneinsätze, Formen des Primäreinsatzes. Zum Anbringen des Taus ist, abhängig von der Anflugstrecke, nach einem Erkundungsflug meist eine Zwischenlandung nötig, um das Bergetau einzuhängen. Am unteren Ende des Taus hängend können Notarzt und HEMS-TC mit ihrer medizinischen Ausrüstung zum Patienten geflogen werden. Nach der Bergung wird der Patient ebenfalls im Seil eingehängt befördert und bei einer erneuten Zwischenlandung behandelt, um den weiteren Transport entweder im Hubschrauber oder einem Bodenrettungsmittel vorzubereiten und das Fixtau wieder einzuholen.Footnote 57

2.1.1.2.3 Einsatzzahlen

Das Profil der Einsätze von Rettungstransport-, Intensiv- oder Dual-Use-Hubschraubern ist insbesondere abhängig von den unter 2.1.1.2.2 Einsatzarten dargestellten externen Anforderungen und Relationen, also etwa der Bevölkerungsdichte, der Altersstruktur und dem damit verbundenen Krankheitspanorama oder der Geographie des Einsatzgebiets. Zudem beeinflusst auch die Dispositionsstrategie die Gesamteinsatzzahlen sowie die durchschnittliche Einsatzschwere der Luftrettungsmittel. Die Einsatzzahlen deutscher Primärhubschrauber variieren innerhalb verschiedener Standorte erheblich.

Um einen Überblick über die verschiedenen Einsatzprofile deutscher Luftrettungsmittel hinsichtlich ihrer Einsatzdaten zu gewinnen, werden im Folgenden Informationen zu ausgewählten Rettungsmitteln aufgeführt. Dargestellt werden Primär-, Sekundär- und Fehleinsätze am Tag und bei Nacht, die Entfernung vom Stations- zum Einsatzort sowie die Zeit der Bindung der Rettungsmittel zwischen Einsatzannahme und Wiederherstellung der Einsatzbereitschaft. Die Informationen entstammen dem aktuellen bundeseinheitlichen Datensatz für das Jahr 2017, in dem in sehr hohem Detailgrad Einsatzdaten der Luftrettung dokumentiert werden. Der bundeseinheitliche Datensatz erfasst alle Daten der deutschen Luftrettung. Detailauswertungen von Einsatzdaten erfolgen jedoch nur für teilnehmende Bundesländer.Footnote 58 Demnach wurden 2017 von den 83 in Deutschland stationierten Luftrettungsmitteln 107.189 Einsätze geleistet.Footnote 59

Rettungstransporthubschrauber

Tabelle 2.1 zeigt eine Auswahl der insgesamt 55 in Deutschland eingesetzten Rettungstransporthubschrauber, die als primäre Rettungsmittel in verschiedenen Regionen vorgehalten werden. Die Einsatzregionen unterscheiden sich entsprechend den vorgestellten externen HerausforderungenFootnote 60 in geographischen Gegebenheiten als Binnen-, Küsten-, oder Mittelgebirgsregionen, sowie auch in der jeweiligen Bevölkerungsdichte. Gut erkennbar ist in der Tabelle die unterschiedliche Einsatzhäufigkeit der Hubschrauber. Christoph 11 und 26 sind die einzigen beiden deutschen Primärrettungsmittel von insgesamt 55, die für nächtliche Einsätze vorgesehen sind.

Zudem zeigt sich im bundeseinheitlichen Datensatz ein starkes Gefälle der jährlichen Einsatzzahlen. Der im ländlichen Gebiet von Güstrow stationierte RTH Christoph 43 ist seit Jahren das am seltenste disponierte Rettungsmittel in Deutschland, mit im Jahr 2017 insgesamt 935 Einsätzen. Christoph 10 in Wittlich hingegen ist der am zweithäufigsten eingesetzte deutsche RTH mit 2204 Einsätzen. Häufiger fliegt nur der Berliner RTH Christoph 31, dessen Einsatzdaten im bundeseinheitlichen Datensatz jedoch nicht erfasst werden, mit 3331 Einsätzen in 2017. 2015 waren es gar 3838 Einsätze.Footnote 61 Die Einsatzzahlen der übrigen im bundeseinheitlichen Datensatz dargestellten RTH liegen überwiegend zwischen 1000 und 2000 Einsätzen im Jahr, sie werden durch die hier dargestellten Christoph 47, 11, 12 und 26 repräsentiert. Das Verhältnis von Primär- zu Sekundäreinsätzen verdeutlicht die Einsatzschwerpunkte und Aufgabenbereiche der jeweiligen Primärhubschrauber. Dies erklärt auch die verhältnismäßig hohen Sekundäreinsätze des Christoph 26, der Ostfriesland versorgt und dabei auch Patientenverlegungen zwischen Festland und Inseln übernimmt.Footnote 62

Die Bindungsdauer der dargestellten Rettungsmittel unterscheidet sich stark und scheint nicht im Zusammenhang mit der durchschnittlichen Anflugstrecke vom Stationsort zur Einsatzstelle zu stehen. So legt der Güstrower Hubschrauber in einem Einsatz durchschnittlich 16 Kilometer zurück und ist dabei über fast 75 Minuten gebunden. Die Hubschrauber Christoph 10 und 26 beispielsweise fliegen hingegen durchschnittlich über 50 Kilometer zum Einsatzort und sind dabei 49 bzw. 69 Minuten gebunden. Ursächlich sind hier vermutlich Umfang und Dauer der medizinischen Leistungserstellung vor Ort sein, öffentliche Angaben liegen dazu jedoch nicht vor.

Tabelle 2.1 Einsatzdaten ausgewählter Rettungstransporthubschrauber 2017Footnote

Quelle: Eigene Darstellung, angelehnt an RUN-Statistik (2018), S. 117–130.

Der bundeseinheitliche Datensatz Luftrettung enthält keine Informationen zu Sondereinsatzformen im Rahmen der Primärversorgung. Ältere Informationen zu im Alpenvorland betriebenen Rettungsmitteln können für eine Übersicht herangezogen werden.Footnote 64 Im Betrachtungszeitraum 2007 bis 2013 war von den drei dargestellten Hubschraubern nur Christoph 1 in München mit einer Winde ausgestattet, die beiden anderen setzten das Fixtau ein. Christoph Murnau und Christoph 17 weisen gemäß der Studie sehr unterschiedliche Fixtau-Einsatzzahlen und -Quoten auf.Footnote 65 In Murnau betrugen 2013 die Fixtaueinsätze 14,6 % des Gesamtaufkommens von 1315 Einsätzen, während es in Kempten bei 3,8 % von 1767 Einsätzen lag.Footnote 66 Im Abschluss des Betrachtungszeitraums sind diese Rettungsmittel sukzessive auf Rettungswinden umgerüstet worden. Die Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern gibt demgegenüber unbelegt in der Antwort auf eine Kleine Anfrage im Landtag den Anteil von Windeneinsätzen am Gesamteinsatzaufkommen mit 0,2 % an.Footnote 67

Neuere Einsatzdaten können den Jahresberichten der ADAC Luftrettung entnommen werden. So wurde an fünf Windenstationen in 2017 und 2018 insgesamt 240 und 298 Windeneinsätze, im Jahr 2020 an vier Stationen 304 Einsätze durchgeführt.Footnote 68 Eine genaue Verteilung der Einsätze, auch über das deutsche Luftrettungssystem hinweg, ist nicht bekannt.

Abbildung 2.5
figure 5

Christoph 1 mit Rettungswinde, Christoph Murnau und Christoph 17 mit Fixtau

Gebirgseinsätze mit SeilsystemenFootnote

Quelle: Eigene Darstellung, angelehnt an Zobel & Bühren (2015), S. 298.

Dual-Use-Hubschrauber

Nach der Vorstellung der Einsatzprofile ausgewählter primärer Luftrettungsmittel folgen in Tabelle 2.2 die Dual-Use Standorte. In Deutschland sind vier der insgesamt 12 Dual-Use Hubschrauber für nächtliche Einsätze ausgelegt, darunter die Stationen in Gießen und Rendsburg. Christoph 54 in Freiburg steht exemplarisch als einer von drei mit Rettungswinde ausgestatteten Hubschrauber. Die durchschnittlichen Anflugstrecken und Bindungszeiten der Dual-Use Hubschrauber liegen auf ähnlich hohem Niveau oder über denen der Primärrettungsmittel. Sekundäreinsätze machen bei den vorgestellten Stationen einen deutlich höheren Anteil der Gesamteinsatzzahlen aus als bei Primärhubschraubern. Insbesondere in Gießen werden darüber hinaus verhältnismäßig viele nächtliche Primäreinsätze durchgeführt. Auch bei den Dual-Use Rettungsmitteln ist ein Gefälle bei den Einsatzzahlen zu erkennen, das allerdings nicht so stark ausgeprägt ist, wie bei Primärhubschraubern.Footnote 70

Der Vergleich der Tabellen 2.1 und 2.2 zeigt auf, dass die Abgrenzung von Dual-Use- und Rettungstransporthubschraubern nach den Einsatzzahlen nicht klar nachzuvollziehen ist. So wird Christoph 26 in Sande formal nicht als Dual-Use Hubschrauber vorgehalten, weist aber eine vergleichbare Einsatzverteilung zu den hier aufgeführten Luftrettungsmitteln auf. Demgegenüber steht der Dual-Use-Hubschrauber Christoph Europa 5 im nordfriesischen Niebüll, dessen Aufgabe die Versorgung der nordfriesischen Inseln und der Küstenregion ist. Beiden Rettungsstandorten ist gemein, dass sie in ländlichen Regionen stationiert sind, dessen Bevölkerungsdichte tourismusbedingt saisonal stark schwankt. Einsatzorte sind zudem teilweise schlecht zugängliche Insellagen. Dennoch ist Christoph 26 mit Rettungswinde und Nachtflugtauglichkeit besser ausgestattet und verfügbar als sein schleswig-holsteinischer Gegenpart.Footnote 71

Tabelle 2.2 Einsatzdaten ausgewählter Dual-Use Hubschrauber 2017Footnote

Quelle: Eigene Darstellung, angelehnt an RUN-Statistik (2018), S. 117–130.

Intensivtransporthubschrauber

Die dritte Gruppe vorgehaltener Luftrettungsmittel in Deutschland sind Intensivtransporthubschrauber. Die 17 (zur Coronakrise 19) Rettungsmittel sind gleichmäßig über die Bundesrepublik verteilt und wiesen im Jahr 2017 zwischen 1430 und 285 Einsätze auf. Somit sind auch die Einsatzzahlen der sekundären Luftrettungsmittel von einem starken Gefälle gekennzeichnet. Detaillierte Informationen gehen aus dem bundeseinheitlichen Datensatz zu den ITH in Greven, Dortmund und Rostock hervor. Der hier aufgeführte Christoph Dortmund steht exemplarisch für die nicht im Nachtflugbetrieb eingesetzten ITH, von denen es in Deutschland sieben gibt.

Die in Dortmund und Rostock stationierten Hubschrauber gehören zu den zehn regulär im Nachtflug betriebenen Stationen. Diese wurden während der Corona-Krise ergänzt um zwei ITH, die überwiegend für Transporte von COVID-19-Patienten in Rheinmünster und Ludwigshafen vorgehalten werden. Es zeigt sich im Vergleich von Tabelle 2.1 und Tabelle 2.3, dass Intensivverlegungen offenbar zeitintensiver als Primäreinsätze sind.Footnote 73 Deutlich weitere Strecken werden überflogen. Zudem ist zu beobachten, dass Fehleinsätze insbesondere mit Primäreinsätzen assoziiert sind: Christoph Rostock wurde im Betrachtungszeitraum nicht zu Primäreinsätzen disponiert und weist 4 Fehleinsätze auf, während die Hubschrauber in Greven und Dortmund für Erstversorgungen herangezogen werden und eine deutlich höhere Zahl an Fehleinsätzen aufweisen.Footnote 74

Tabelle 2.3 Einsatzdaten ausgewählter Intensivtransporthubschrauber 2017Footnote

Quelle: Eigene Darstellung, angelehnt an RUN-Statistik (2018), S. 117 f.

2.1.1.2.4 Krankheitsbilder

Der geo-demographische Wandel und die Veränderung regionaler Erkrankungsprofile führten in den vergangenen Jahren zu einer Verschiebung der Fallbilder und -aufkommen, die vom Rettungsdienst versorgt wurden. Dies gilt im Besonderen für den deutschen Rettungsdienst, aber auch international für Versorgungssysteme mit ähnlichen geo-demographischen Entwicklungen. Nachdem die Luftrettung ursprünglich zur Versorgung der Opfer von Verkehrsunfällen etabliert wurde, überwiegen heute internistische und neurologische Erkrankungen die Einsatzzahlen an den meisten Luftrettungsstandorten, wie in der nachfolgenden Abbildung 2.6 dargestellt wird.Footnote 76

Abbildung 2.6
figure 6

Anforderungsgründe 2018Footnote

Quelle: Eigene Darstellung, angelehnt an ADAC Luftrettung gGmbH (2019).

Auffällig am Einsatzprofil der Primäreinsätze ist, dass männliche Patienten deutlich häufiger versorgt werden müssen als weibliche. Zudem konzentrieren sich die Einsatzzahlen erkennbar auf die Bevölkerungsgruppe ab 50 Jahren aufwärts.Footnote 78 Der erhöhte Versorgungsbedarf bleibt auch bei Betrachtung von Sekundäreinsätzen bestehen, wobei Frauen deutlich häufiger als Männer verlegt werden. Patienten unter 45 Jahren hingegen werden deutlich weniger transportiert.Footnote 79

Die Erkrankungs- und Verletzungsschwere von versorgten Notfallverletzten wird im Rettungsdienst mit dem NACA- (National Advisory Comitee for Aeronautics) Score in verschiedenen Stufen bewertet. Die Klassifikation reicht dabei vom Fehleinsatz (Stufe 0) bis zum Tod (Stufe 7) (Tabelle 2.4).

Tabelle 2.4 NACA-ScoreFootnote

Quelle: Eigene Darstellung, angelehnt an Ziegenfuß (2016), S. 20.

Die Verteilung der Fallschweren in der deutschen Luftrettung aus dem Jahr 2017 nach dem NACA Score sind folgend dargestellt. Gemäß Tabelle 2.5 sind deutschlandweit mehr als zwei Drittel aller Einsätze mit einem Score von 3 oder 4 bewertet. Dies sind Fälle, die eine stationäre Behandlung erfordern und bei denen eine Lebensgefahr nicht auszuschließen ist, beispielsweise schwere Verletzungen oder schwere Störungen der Vitalfunktionen.Footnote 81 Sehr stark schwankend sind die Anteile der zweiten NACA-Stufe im Vergleich der Bundesländer, unter die mäßig schwere Funktionsstörungen fallen. So disponieren Schleswig-Holstein und Hessen nur in unter 4 % der Fälle Primär- und Sekundärhubschrauber für Stufe 2-Patienten. Die Rettungsmittel sind dementsprechend weniger stark gebunden als beispielsweise Hubschrauber in Sachsen und Bremen, die in über 7 % der Fälle zu Patienten mit NACA-Score von 2 disponiert werden. Dies könnte auf verschiedene Ansätze und Strategien bei der Disposition von Luftrettungsmitteln zurückzuführen sein, jedoch ergaben die Recherchen dieser Arbeit hierzu keine Erkenntnis über ausführliche wissenschaftliche Beiträge.

Tabelle 2.5 NACA-Scores deutscher Luftrettungs-Einsätze, 2017Footnote

Quelle: Eigene Darstellung, angelehnt an RUN-Statistik (2018), S. 138.

2.1.2 Sozio-politische Dimensionen

2.1.2.1 Ökonomisches Umsystem

Die Luftrettung ist ein Element des rettungsdienstlichen Versorgungssystems, das eine wichtige Säule des deutschen Gesundheitssystems darstellt. In Deutschland trug die Gesundheitswirtschaft in 2018 über 11,7 % zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 40.339 € pro Kopf (ges. 3,344 Mrd. €) mit Gesundheitsausgaben in Höhe von 4712 € pro Kopf (ges. 390,628 Mrd. €) bei. Auf den Rettungsdienst entfielen von den Gesundheitsausgaben insgesamt 5,355 Mrd. €.Footnote 83

Der Bedarf an rettungsdienstlicher Hilfe, etwa durch die Luftrettung, ist für Patienten ein seltenes, häufig dramatisches Ereignis, das unter Umständen mit sehr hohen Kosten verbunden sein kann. Die Kombination aus sehr geringer Eintrittswahrscheinlichkeit mit hoher Auszahlung, also einem insgesamt relativ geringem Erwartungswert, kann beim Eintritt trotz Zahlungswilligkeit zu einer Zahlungsunfähigkeit führen. Dieses Risiko wird durch die Krankenversicherung abgewendet. Deshalb ist das System der Krankenversicherung für das deutsche Gesundheitssystem, und mithin für die Luftrettung, von herausragender Bedeutung.Footnote 84

In Deutschland ist mit 73 Mio. Mitgliedern der überwiegende Teil der Bevölkerung gesetzlich, der Rest privat krankenversichert.Footnote 85 Der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) liegen verschiedene Strukturprinzipien zugrunde. Nach dem kollektiven Äquivalenzprinzip werden die Einnahmen der GKV aller Versicherten verwendet, um die Ausgaben für alle Versicherten zu decken. Gemäß dem Solidaprinzip zahlen Junge für Alte, Gesunde unterstützen Kranke und Versicherungsbeiträge werden anhand des Einkommens bemessen. Leistungserbringer werden von der GKV vergütet, während versicherte ausschließlich Sachleistungen empfangen. Gesetzliche Krankenkassen sind juristische Personen als Körperschaften des öfftl. Rechts und handeln nach dem Selbstverwaltungsprinzip. Zudem sind die gesetzlichen Krankenkassen dem Wirtschaftlichkeitsgebot verpflichtet mit dem Ziel der Beitragssatzstabilität. Wichtige Krankenkassen sind die Ortskrankenkassen (AOK) sowie Betriebskrankenkassen, unter diesen die Barmer GEK, Techniker Krankenkasse, DAK-Gesundheit und weitere mehr.Footnote 86

Die in Abschnitt 2.1.1.1.3 beschriebenen Herausforderungen des geo-demographischen Wandels und der epidemiologischen Transition betreffen auch die Krankenkassen. Entsprechend dem kollektiven Äquivalenzprinzip werden im Gegensatz zur privaten Krankenversicherung keine Rücklagen gebildet, die verfügbaren Mittel hängen unmittelbar vom Arbeitseinkommen der GKV ab. Die Alterung der Bevölkerungsstrukturen impliziert somit höhere Ausgaben für Versicherte, die von weniger erwerbstätigen Versicherten geleistet werden müssen. Drei grundsätzliche Lösungen kommen in Frage, um eine mögliche Finanzierungslücke der steigenden Ausgaben der GKV zu schließen: Der Staat könnte mit steuerlichen Subventionen die Krankenversicherung stützen. Versicherungsbeiträge könnten erhöht werden, oder bisher von der GKV abgedeckte Leistungen von der Erstattung ausgeschlossen werden.Footnote 87

Die Knappheit der Mittel auch auf volkswirtschaftlicher Ebene hat unmittelbare Auswirkungen auf die Finanzierung des deutschen Luftrettungssystems und somit auf die Vergütung einzelwirtschaftlicher Luftrettungsleistungen. Weitere Ausführungen zu Finanzierung und insbesondere Vergütung der Luftrettung wurden in den betriebswirtschaftlichen Dimensionen im nachfolgenden Abschnitt 2.1.3.5 Finanzierung und Vergütung eingeordnet.

2.1.2.2 Systemkonzeption

Die Standortplanung von Rettungsdienststrukturen folgt dem Anspruch, alle Patienten an jedem Ort in Deutschland innerhalb der länderspezifischen und gesetzlichen Hilfsfrist erreichen zu können. Sie folgt damit den medizinischen Anforderungen, aus denen sich die Rahmenbedingungen für die flächendeckenden Versorgungsstrukturen ergeben.Footnote 88 Die Planung und Organisation der Luftrettungsstrukturen liegt dabei in der Kompetenz der Länder. Hintergrund ist das Verständnis, dass die Rettungsdienste in erster Linie der Daseinsvorsorge und Gefahrenabwehr gemäß Artikel 30 und 70 Grundgesetz dienen und somit in die Zuständigkeit der Länder fallen.Footnote 89

Zur optimalen Standortverteilung und -Planung gibt es verschiedene Ansätze, zum Beispiel die Christaller-Wabe. Diese beruht auf dem Minimaldistanzprinzip und stellt anhand von Hexagonen die Einzugsgebiete von Gesundheitsdienstleistern vereinfacht dar, sodass Flächen im Raum eine festgelegte Distanz zum Zentrum nicht überschreiten. Dies führt zu einer hohen Gleichheit der Anreisedistanzen, die im Falle der Rettungsdienstorganisation an medizinischen und gesetzlichen Hilfsfristen ausgerichtet werden kann.Footnote 90

Im Juli 2020 werden in der Bundesrepublik Deutschland 86 Hubschrauber der öffentlichen Daseinsvorsorge vorgehalten, von denen 69 regelmäßig zu Primäreinsätzen disponiert werden. Ihre Standortverteilung wird in Abbildung A.1 dargestellt. Die Primärhubschrauber versorgen ein Gebiet von 357.582 km2 mit rund 83 Mio. Einwohnern und einer durchschnittlichen Bevölkerungsdichte von 232 Bewohnern je km2, wobei die Bevölkerungsdichte zwischen urbanen und ländlichen Regionen stark schwankt. Damit steht ein Rettungstransporthubschrauber durchschnittlich für rund 1,2 Mio. Einwohner zur Verfügung und versorgt ein Gebiet von 5182 km2.

Während die medizinischen Anforderungen für die Versorgung von Notfallpatienten deutschlandweit einheitlich sind,Footnote 91 unterscheidet sich ihre organisationale Umsetzung durch bundeslandspezifische Hilfsfristen erheblich. In Nordrhein-WestfalenFootnote 92 umfasst die Hilfsfrist den Zeitraum zwischen dem Eingang einer Meldung bis zur Ankunft an einem an der Straße gelegenen Unfallort und beträgt 5 bis 8 Minuten im urbanen sowie 12 Minuten im ländlichen Raum. In ganz Mecklenburg-VorpommernFootnote 93 soll die Hilfsfrist im Jahresdurchschnitt 10 Minuten betragen, NiedersachsenFootnote 94 und Baden-WürttembergFootnote 95 geben als Ziel eine Erreichung von 95 % der Einsatzorte innerhalb von 15 Minuten an. Das Land BerlinFootnote 96 schließlich definiert weder das Wesen, noch den Zeitraum einer Hilfsfrist.Footnote 97

Die Definition rechtlicher Hilfsfristen führt jedoch nicht notwendigerweise zur Einhaltung der selbstauferlegten Ansprüche der Länder. Beispielsweise in Mecklenburg-Vorpommern wird die gesetzliche Hilfsfrist vom Rettungsdienst oftmals nicht eingehalten, wie in Tabelle 2.6 dargestellt. Im Spannungsfeld des geo-demographischen Wandels und der epidemiologischen Transition kommt deshalb insbesondere in strukturschwachen ländlichen Regionen der Luftrettung eine besondere Bedeutung zu, wenn durch Sie Versorgungslücken verhindert oder geschlossen werden können.Footnote 98

Tabelle 2.6 Hilfsfristerfüllung nach Rettungsdienstbereichen in Mecklenburg-Vorpommern 2018Footnote

Quelle: Eigene Darstellung, angelehnt an Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern (2019).

2.1.2.3 Betreibermodelle

Erfolgt der landespolitische Beschluss,Footnote 100 eine Luftrettungsstation zu führen, wird in der Folge verschiedener Vergabeverfahren der Betrieb an einen Leistungserbringer vergeben. Kriterien, nach denen die Vergabe von Luftrettungsstationen entschieden wird, richten sich mit unterschiedlicher Gewichtung meist nach Preis und Qualität der angebotenen Leistung.Footnote 101 Abgerechnet werden die Leistungen der Luftrettungsbetreiber schließlich direkt oder indirekt über die Krankenkassen als Kostenträger der Luftrettung.Footnote 102 Während die Kompetenz zur Planung und Organisation von Luftrettungsstationen auf landespolitischer Ebene liegt, haben die kostentragenden Krankenkassen außerhalb von Beratungsfunktionen keinen unmittelbar gestaltenden Einfluss und halten primär die Funktion der Kostenübernahme inne.Footnote 103

Im Rahmen der Vergabe kommen als Betreibermodelle vor allem Konzessions- und Submissionsmodelle als Formen der Public-Private-Partnership zur Anwendung. Im Submissionsmodell bleibt die öffentliche Hand Träger der Luftrettung und ist mithin verantwortlich für die Kontrolle und Vergütung der Luftrettungsleistungen. Der Träger rechnet die vergüteten Leistungen schließlich mit den Versicherungsträgern ab. Der Betrieb der Luftrettung muss dabei nach europäischen Vergaberichtlinien ausgeschrieben werden.Footnote 104

Beim Konzessionsmodell wird von der Kommune ein Durchführungsrecht an den Betreiber gewährt, der seine Leistungen direkt mit den Krankenversicherungen abrechnet. Damit unterliegt der Betreiber der Luftrettung einem Vertragsrisiko hinsichtlich der Vergütung der ihm entstandenen Kosten, sodass nach Urteil des EUGH das Konzessionsmodell nicht unter die europäischen Richtlinien für die Vergabe öffentlicher Ausschreibungen fällt.Footnote 105 Dies hat direkte Auswirkungen auf die Markt- und Anbieterstrukturen in der deutschen Luftrettung, in der ausschließlich deutsche Betreiber tätig sind.

2.1.3 Betriebswirtschaftliche Dimensionen

2.1.3.1 Betriebskonzeptionen

Der Betrieb der meisten Luftrettungsstationen in Deutschland wird überwiegend von gemeinnützigen Organisationen durchgeführt. Die größten Betreiber sind die ADAC Luftrettung gGmbH mit 37 Stationen, die DRF Stiftung Luftrettung gAG mit 30 Stationen und das Bundesamt für Bevölkerungs- und Katastrophenschutz (BBK) mit 12 Hubschraubern des Zivilschutzes, die der rettungsdienstlichen Versorgung zur Verfügung gestellt werden. Zudem betreibt die Johanniter Unfall-Hilfe e. V. in wechselnder Zahl bis zu sechs Hubschrauber, mitunter in unüblichen privatrechtlichen Rahmenbedingungen außerhalb öffentlich-rechtlicher Mandate.Footnote 106

Der juristische Tatbestand der Gemeinnützigkeit der Organisationen kann als ein hinreichendes, aber nicht notwendiges Kriterium unter mehreren angesehen werden, das Non-Profit-Organisationen (NPO) konstituiert.Footnote 107 Es trifft auf die großen deutschen Luftrettungsorganisationen zu. Zielsysteme von NPO unterscheiden sich gegenüber kommerziellen Unternehmen durch eine stärkere Gewichtung von Sachzielen gegenüber betriebswirtschaftlichen Formalzielen und beeinflussen entsprechend das Geschäftsmodell.Footnote 108 Anders als durch die Bezeichnung Non-Profit impliziert, bedeutet diese nicht notwendigerweise, dass der Betrieb einem Gewinnentstehungsverbot unterliegt. Vielmehr liegt in der Regel eine Verwendungsbeschränkung entstandener Gewinne vor, wobei unerheblich ist, ob Beschränkungen gesetzlicher Art sind, oder sie durch die Organisation selbst auferlegt sind.Footnote 109

Somit ergeben sich auch für NPO der Luftrettung sachzieldominierte und multikriterielle Zielsysteme, wodurch das wirtschaftliche Effizienzprinzip und die Gewinnorientierung an Dominanz verlieren.Footnote 110 Dennoch müssen Luftrettungsorganisationen grundlegende betriebswirtschaftliche Bedingungen erfüllen, darunter die der Kostendeckung, um ihren Fortbestand zu gewährleisten. Wirtschaftliches Handeln ist zwar nicht notwendigerweise das dominierende Entscheidungskriterium in NPO, die Einhaltung des Effizienzprinzips aus betrieblicher Sicht jedoch trotzdem kritisch, um das interne Zielsystem und damit nicht-wirtschaftliche Sachziele zu erfüllen.

2.1.3.2 Angebot und Nachfrage

Angebot und Nachfrage von Dienstleistungen durch die Luftrettung werden im Rahmen des Dispositionsprozesses der Leitstelle überein gebracht. Die medizinische Indikation, die den Einsatz eines Hubschraubers für primäre oder sekundäre Einsätze rechtfertigt, impliziert dabei lebensbedrohende Erkrankungen.Footnote 111 Muss der Bedarf eines Patienten nach einer Luftrettungsleistung gedeckt werden, wird diese von ihm mit sehr hoher Priorität eingestuft. Es zählt nur die Behandlung, sodass alternative Mittelverwendungen zurückstehen.Footnote 112 Diese maximale Zahlungsbereitschaft der Patienten kann in Deutschland vom Leistungsanbieter nicht abgeschöpft werden, es findet keine freie Preisbildung zwischen Leistungserbringer und Nachfrager statt. Stattdessen erfolgt die Vergütung von Leistungen grundsätzlich anhand von ausgehandelten Pauschalen durch die Krankenversicherungen.Footnote 113 In diesen wird das individuelle Risiko der hohen Versorgungskosten eines Patienten auf Mitversicherte umgelegt. Die Versicherungen sind damit ein wesentliches ökonomisches Umsystem für Anbieter von Luftrettungsleistungen in der Gesundheitsversorgung.

Die oben aufgeführten Anbieter und die Zahl ihrer Luftrettungsstandorte in Deutschland weisen auf eine oligopolistische Organisationsstruktur hin. Die Bündelung der Interessen der Nachfrager in den Krankenkassen und deren Vergütungszuständigkeit führt jedoch dazu, dass die Anbieter ihre oligopolistische Macht gegenüber den tatsächlichen Nachfragern, den Patienten, nicht durchsetzen können. Darüber hinaus können sie aufgrund der Dispositionsabhängigkeit der Leitstelle ihre Absatzmenge im Sinne von Einsatzzahlen auch nur sehr eingeschränkt selbst beeinflussen. Entsprechend dem Marktformenschema ergibt sich aus den sich gegenüberstehenden Leistungserbringern und den vergütenden Krankenkassen ein bilaterales Oligopol.Footnote 114

2.1.3.3 Wettbewerb

Wettbewerber im Markt der Luftrettung konkurrieren nur mittelbar um ihre Nachfrager. Durch den Betrieb eines Rettungsstandortes erlangen sie in ihrem Versorgungsgebiet eine Quasi-Monopolstellung und damit Zugang zu einem Absatzmarkt, in dem allein Umfang der Leistungsvergütungen durch die Krankenkassen in Deutschland zwischen 2009 und 2019 von ca. 120 Mrd. € auf 240 Mrd. € gestiegen ist.Footnote 115

Deshalb stehen insbesondere die privatwirtschaftlich organisierten Betreiber in einer lebhaften Konkurrenz um Luftrettungsstandorte und die mit ihnen einhergehenden Einsatzzahlen. Die Zusammenführung mehrerer Luftrettungsstandorte und Hubschrauber zu einem Leistungsportfolio unterliegt dabei einem plausiblen betriebswirtschaftlichen Kalkül. Einerseits lassen sich Skalen- und Synergieeffekte durch den Betrieb mehrerer Rettungsmittel erreichen, etwa durch eine höhere Auslastung der Werften oder bei der Ausbildung und dem Einsatz vom Personal. Führen diese zu Kostensenkungen, kann im Rahmen von Ausschreibungen ein kompetitives Benutzungsentgelt verhandelt werden und mithin ein Wettbewerbsvorteil durchgesetzt werden. Andererseits ermöglichen verschiedene Erlösträger das Ausgleichen von Störeffekten auf Erlöse oder die Quersubventionierung von Stationen, die verhältnismäßig gering ausgelastet sind.Footnote 116

Der Wettbewerb um den Betrieb von Luftrettungsstationen in Deutschland unterliegt somit neben sozio-politischen insbesondere aus wirtschaftlichen Gründen einer großen Dynamik. Dies wird deutlich in bereits durchgeführten oder anstehenden Betreiberwechseln, die auch bei Stationen stattfinden, die schon seit vielen Jahren von der gleichen Luftrettungsorganisation betrieben wurden. Beispielhaft dafür steht die Berliner Luftrettung, deren Betrieb zum 1. Januar 2020 über 10 Jahre neu ausgeschrieben wurde. Der Wert der Ausschreibung wird mit 150.160.000 € angegeben. Von der Neuvergabe des Betriebes ist unter anderem auch der RTH Christoph 31 betroffen, der am häufigsten eingesetzte Hubschrauber Deutschlands, der seit seiner Stationierung 1987 von der ADAC Luftrettung betrieben wird. Zudem soll ein drittes Luftrettungsmittel mit Rufnamen Christoph 31 Bravo als RTH in die Berliner Luftrettung aufgenommen werden.Footnote 117 Auch in Sachsen wurden die Luftrettungskonzessionen für den Zeitraum von 2019 bis 2026 für vier Standorte über einen Wert von 133.290.220 € neu ausgeschrieben. Dabei kam es zu Betreiberwechseln verschiedener Stationen zwischen der DRF und ADAC Luftrettung.Footnote 118

Neben den Ausschreibungen regulär bestehender Luftrettungsstandorte sind die sich wandelnden Anbieterstrukturen von einer Wechselhaftigkeit innerhalb des sozio-politischer und ökonomischer Spannungsfeldes geprägt, die für ein System der öffentlichen Daseinsvorsorge erstaunlich erscheint. Im Westpfälzischen Sembach wurde von Oktober 2018 bis September 2019 außerhalb der öffentlich-rechtlichen Luftrettung ein ITH stationiert. Im privatrechtlichen Rahmen von der Johanniter Luftrettung betrieben, sollten Transporte innerhalb der Westpfalz-Kliniken sowie Primäreinsätze durchgeführt werden.

Der privatrechtlichen Stationierung vorweg gingen hitzige öffentliche Diskussionen und unter anderem die Forderung einer Bürgerinitiative, die Westpfalz mit der Luftrettung besser zu versorgen. Während das rheinland-pfälzische Ministerium des Inneren und für Sport die unplanmäßige Stationierung duldete, lobten die lokalen Kreisverwaltungen das Vorgehen.Footnote 119 Die kostentragenden Krankenkassen hingegen erklärten, keine Zahlungen für subsidiäre Primäreinsätze zu übernehmen, da keine Verträge über entsprechend notwendige Vergütungen geschlossen wurden. In diesem politischen Spannungsfeld wurden über die Presse verschiedene Verdächtigungen geäußert. Einerseits wurde der Johanniter Luftrettung als Betreiber vorgeworfen, an der öffentlichen Luftrettung vorbei subsidiäre Primäreinsätze leisten zu wollen und die Vorhaltung eines sekundären Luftrettungsmittels nur als Vorwand zur Stationierung genutzt würde. Dass die Verlegungen in der Westpfalz so zahlreich wären, dass die Vorhaltung eines ITH gerechtfertigt wäre, wurde bezweifelt. Zudem warf die AOK dem Westpfalz-Klinikum vor, den „eigenen“ Hubschrauber zu nutzen, um Patienten schwerpunktmäßig zu versorgen und so die eigene Position gegenüber konkurrierenden Versorgungseinrichtungen zu stärken.Footnote 120

Zumindest die Einsatzzahlen bestätigten die Bedeutung dieses Hubschraubers, der bereits in den ersten Monaten durchschnittlich 4 Primäreinsätze am Tag leistete. Dies erhöhte den Druck auf das Innenministerium von Land Rheinland-Pfalz, woraufhin eine Bedarfsanalyse mit anschließender Ausschreibung eines Dual-Use-Luftrettungsbetriebes mit Rufnamen „Christoph 66“ für die Westpfalz beschlossen wurde.Footnote 121

Der Wettbewerb um Luftrettungsstandorte wird an diesem Beispiel einerseits durch die ad-hoc Stationierung der Johanniter Luftrettung deutlich. Andererseits kam es im Laufe der rheinland-pfälzischen Ausschreibung zu Verfügungen gegen die Ausschreibung durch die DRF Luftrettung, die zudem das Verfahren als nicht EU-rechtskonform bemängelte. Letztlich wurde der einjährige Probebetrieb an die ADAC Luftrettung vergeben, die Johanniter Luftrettung zog ihren Hubschrauber wieder ab. Durch die Neuschaffung des Dual-Use-Hubschraubers Christoph 66 entsteht in der Westpfalz eine Überschneidung der Einsatzgebiet mit dem Saarbrücker RTH Christoph 16, sodass beide vom ADAC betriebenen Hubschrauber nun um Teile der Gesamteinsatzzahlen ihrer Versorgungsgebiete konkurrieren.Footnote 122

2.1.3.4 Marktentwicklung

In den vergangenen Jahren konnte eine Konsolidierung der Anbieterstrukturen beobachtet werden, in der es zu Zusammenschlüssen kleinerer Betreiber mit den beiden großen Luftrettungsorganisationen ADAC und DRF kam. Zum 1. Januar 2019 übernahm die DRF mit der Northern HeliCopter GmbH (NHC) ein norddeutsches Luftrettungsunternehmen, das entlang der Deutschen Küste in Emden, Sankt-Peter-Ording und in Güttin Hubschrauber für Ambulanzflüge, subsidiäre und Off-Shore-Einsätze vorhält. Damit wurde insbesondere Expertise in der Off-Shore- und Windenrettung von der DRF Luftrettung übernommen.

Zudem wurden mit der NHC-Übernahme Luftrettungsstandorte in schwer zugänglichen Regionen gesichert, für die bereits Forderungen nach weiteren Hubschraubern der öffentliche Daseinsvorsorge geäußert wurden. Darunter fällt unter anderem Mecklenburg-Vorpommern, wo regelmäßig Forderungen nach einem vierten Rettungstransporthubschrauber der öffentlichen Daseinsvorsorge geäußert werden. In einer dieser Regionen liegt zum Beispiel der NHC-Hubschrauber in Güttin auf Rügen.Footnote 123 So ergibt sich für die DRF Luftrettung über die Off-Shore Rettung von NHC die Möglichkeit, industrielle Nachfrager etwa auf Windenergieanlagen zu versorgen, die nicht von der öffentlichen Versorgung erreicht werden. Gleichzeitig kann der Standort in Güttin auch für subsidiäre Einsätze dem öffentlichen Sektor zur Verfügung gestellt werden. Neben diesen Synergien führt die Übernahme mehrerer neuer Hubschrauber zu Skaleneffekten bei den wartungsintensiven Maschinen, wenn Werftkapazitäten effizienter genutzt werden können. Gleiches gilt für Ausbildungszentren und das Personalmanagement.Footnote 124

Weitere Synergie- und Skaleneffekte können durch den Aufbau von Trainingszentren gehoben werden, wie etwa im Falle der ADAC HEMS Academy. Das Trainingszentrum des ADAC für Hubschrauberpiloten und -Crew ist international ausgerichtet und ermöglicht die kostenintensive Ausbildung für Piloten des Militärs, des Off-Shore Betriebs oder der Polizei. Durch die Unterhaltung der eigenen Trainingskapazitäten müssen diese im Sinne der make-or-buy Entscheidung nicht eingekauft werden, wenn nach wirtschaftlichen Kriterien die interne Leistungserstellung dem Einkauf vorzuziehen ist. Zu den 27 Partnern der HEMS Academy zählen unter anderem der ÖAMTC, das auch in der Luftrettung engagierte Unternehmen Babcock International sowie die Polizeihubschrauberstaffel Thüringen. Es ist von einer hohen Auslastung der Ausbildungskapazitäten auszugehen, die durch konsolidierendes Auftreten der ADAC Luftrettung gegenüber anderen Anbietern und der Steigerung der betriebenen Stationen noch erhöht werden kann. Dem betriebswirtschaftlichen Kalkül entsprechend kann dies die eigenen Ausbildungskosten senken. Darüber hinaus können durch die Möglichkeit der direkten Einflussnahme auf die Ausbildung von Luftrettungs-Crews Qualitätsstandards gesetzt werden, an denen sich die Konkurrenz messen muss. Diese Qualitätsstandards sind Wettbewerbsvorteile, die bei Bewerbungen um Luftrettungsstationen genutzt werden können.Footnote 125

Im alpinen Dreiländer-Eck von Deutschland, Österreich und Schweiz wird von den Betreibern DRF Luftrettung, ARA Luftrettung und Alpine Air Ambulance die Luftrettung durchgeführt, die im Dezember 2017 eine gemeinsame Gesellschaft mit Sitz in Filderstadt, in der Zentrale der DRF Luftrettung, gründeten. Ziel der neuen AP3 Luftrettung ist nach eigenen Angaben die Zusammenführung von Ressourcen und der partnerschaftliche Betrieb von Standorten. Durch die Zusammenarbeit in der alpinen Rettung sollen im Flugbetrieb und der Medizin gemeinsame Standards und Verfahren geschaffen werden. Zudem werden gemeinsame Fortbildungen und Schulungen für das Personal geplant sowie die Anpassung der Ausstattung der eingesetzten Hubschrauber. Wie bereits für den ADAC gezeigt können auch in diesem Fall Synergie- und Skaleneffekte gehoben werden, indem durch die Vergrößerung und die Standardisierung der betreuten Hubschrauberflotte die Werft- und Schulungskapazitäten besser genutzt werden.Footnote 126

2.1.3.5 Finanzierung und Vergütung

Charakteristisch für die Erbringung von Gesundheitsdienstleistungen und mithin Luftrettungsleistungen ist es, dass aus Sicht der Patienten eine Leistung bestenfalls nicht in Anspruch genommen werden muss. Daraus folgt jedoch, dass ein Anbieter im Idealfall für den Patienten keine Leistungen erbringen würde und dementsprechend kein Leistungserstellungsprozess stattfinden könnte. Somit bedarf es einer Vergütungssystematik, die den Betrieb von Luftrettungssystemen auch bei Nichtinanspruchnahme erlaubt.

In Deutschland liegt die Zuständigkeit für die Finanzierung des Rettungsdienstes grundsätzlich bei den Ländern,Footnote 127 die zur sparsamen und wirtschaftlichen Betriebsführung verpflichtet sind. Den gesetzlichen Krankenkassen kommt dabei die Aufgabe zu, Kosten des laufenden Betriebs in Form von Transport- und Fahrtkosten für Rettungsdienstleistungen zu übernehmen und die Betreiber zu vergüten. Die so entstehenden Benutzungsentgelte werden von den Krankenkassen für die Bewertung von Rettungsdienstleistungen genutzt. Sie umfassen neben den Betriebskosten der Infrastruktur auch Fahrtkosten, darunter die des Personals, Reinigung der Rettungsmittel, teilweise Investitionen sowie die Kosten der Leitstelle.Footnote 128

Kosten, die über die Betriebskosten des Rettungsdienstes hinausgehen, werden grundsätzlich von den Ländern übernommen. Unter diese fallen insbesondere die Investitionen in benötigte Infrastruktur. Tatsächlich werden jedoch auch Investitionen in unterschiedlichem Ausmaß von den Ländern zusätzlich auf die Krankenkassen umgelegt. Mit der zunehmenden Übertragung der Finanzierungstätigkeit an die Krankenkassen haben sich die Länder aus der Finanzierung des Rettungsdienstes in den vergangenen Jahren stark zurückgezogen. Sie beteiligen sich jedoch weiterhin partiell und landesabhängig etwa an Investitionen oder Infrastrukturkosten, die nicht von Benutzungsentgelten abgedeckt werden.Footnote 129 Ein aktueller Wert über die Finanzierungsanteile des Luftrettungssystems ist nicht bekannt.

Die Benutzungsentgelte stellen die wesentlichen Erlöse für Luftrettungsbetreiber dar. Privatwirtschaftlich organisierten Betreiber, also etwa die Johanniter, DRF oder ADAC Luftrettung erhalten zudem auch zusätzliche Einnahmen aus Sponsorings oder Spenden. Für die privatwirtschaftlich organisierten Unternehmen gilt das wirtschaftliche Effizienzprinzip in besonderer Schärfe, jedoch auch die staatlichen Zivilschutzhubschrauber des BBK unterliegen dem Gebot des wirtschaftlichen Handelns. Deshalb müssen Erlöse, die überwiegend aus den Leistungsvergütungen stammen, mindestens die durch den Luftrettungsbetrieb anfallenden Kosten decken. Diese können stationsabhängig unterschiedlich hoch ausgeprägt sein, wenn etwa die Infrastruktur am Boden durch die Luftrettungsorganisation gebaut und gehalten wird, oder beispielsweise durch das Land als Träger.Footnote 130

Die Erlöse in Form der Benutzungsentgelte in der deutschen Luftrettung bilden die Bewertungsgrundlage, anhand derer die Rettungsdienstbetreiber ihre Leistungen mit den Kostenträgern verhandeln und abrechnen. Die Bewertungseinheit ist dabei in der Regel die Einsatzdauer, im Falle der Luftrettung wird neben der einsatzpauschalierten Vergütung zudem flugminutenabhängig abgerechnet. Die benutzungsentgelt-basierte Vergütung wird sowohl im Konzessions-, wie auch im Submissionsmodell der Trägerschaft angewandt und ist die maßgebliche Quelle zur Finanzierung für die Betreiber der Luftrettung.Footnote 131 Die Gesamtvergütung eines Luftrettungsmittels ergibt sich somit aus dem mit dem Benutzungsentgelt bewerteten Einsatzaufkommen. Da die Disposition der Luftrettungsmittel über die Leitstelle geschieht, haben Betreiber jedoch keine Möglichkeit der direkten Einflussnahme auf ihre Leistungsmenge.

Wie Abbildung 2.8 zeigt, sind die Ausgaben der Krankenkassen für Rettungsfahrten und Lufteinsätze in den vergangenen Jahren erheblich gestiegen. Lagen sie 1993 noch bei 51 Mio. €, stiegen sie erheblich auf 121 Mio. € in 2012 und verdoppelten sich bis 2019 erneut auf rund 240 Mio. €. Dabei ist der Kostenanteil der Luftrettung an den Gesamtausgaben der Krankenkassen für den Rettungsdienst mit deutlich unter 10 % weiterhin gering. Obwohl die Kassen durch ihre maßgebliche Finanzierung der Luftrettung zunehmend belastet sind, gibt es für sie nur wenig Möglichkeit, Einfluss auf kostenrelevante Entscheidungen zu nehmen.Footnote 132

Während die Zunahme des Finanzierungsbedarfes des Rettungsdienstes eine länderübergreifende Entwicklung ist, unterscheidet sich die Ausgestaltung und Höhe der Benutzungsentgelte spezifischer Rettungsmittel erheblich. Dies gilt für bodengebundene Rettungsleistungen, wie auch für die Luftrettung. Außerhalb der Definition von Benutzungsentgelten ist die Ermittlung der Fahrkosten nicht näher geregelt.Footnote 133 Deshalb wird die Vergütung der Luftrettung verschieden ausgelegt, sodass hinsichtlich der Flugminuten das An- und Ablaufen der Triebwerke, die tatsächliche Flugzeit oder die Zeit der Bindung der Rettungsmittel für die Vergütung erfasst wird.Footnote 134

Abbildung 2.7
figure 7

Entwicklung der GKV-Ausgaben für Fahrtkosten des RettungsdienstesFootnote

Quelle: Eigene Darstellung, angelehnt an Bundesrechnungshof (2018), S. 5.

Abbildung 2.8
figure 8

Rechnungsergebnisse der Gesetzlichen Krankenversicherung für FlugrettungFootnote

Quelle: Eigene Darstellung. Angelehnt an Bundesministerium für Gesundheit (2009–2011, 2012–2017, 2019 & 2020).

Eine allgemeine Höhe der Flugminutenpreise der deutschen Luftrettung lässt sich somit nicht angeben. Trotz Ähnlichkeit des Einsatzaufkommens, der Ausstattung der Hubschrauber sowie des Flugmusters variiert die Vergütung der Luftrettungsmittel erheblich. So wird etwa die Flugminute eines Zivilschutzhubschraubers des BBK mit 43,93 €Footnote 137 vergütet, unabhängig von der Einsatzzahl einer Abrechnungsperiode. Dies gilt beispielsweise für den mit etwa 917 Einsätzen in 2017 im Jahr vergleichsweise wenig fliegenden Zivilschutzhubschrauber in Güstrow, Christoph 34, wie auch für die mit über 1600 Einsätzen deutlich häufiger fliegenden Zivilschutzhubschrauber Christoph 17 und 29 in Hamburg und Kempten.Footnote 138

Das Land Brandenburg legt seit 2018 stationsspezifisch Flugminutenpreise fest. Zuvor, etwa für das Jahr 2017, wurden nach dem Verband der Ersatzkassen Pauschalen für Primäreinsätze von 2455,32 € und für Sekundäreinsätze 4801,89 € gezahlt.Footnote 139 Im Jahr 2020 hingegen wurde für den in Perleberg stationierten und zwischen 1000 und 1100 Einsätzen im Jahr fliegenden Primärhubschrauber Christoph 39 vom ADAC 71,90 € je Flugminute festgelegt. Der ebenfalls vom ADAC betriebene, vom brandenburgischen Senftenberg aus über 1600 Einsätze im Jahr fliegende Primärhubschrauber Christoph 33 wird demgegenüber mit 77,97 € je Flugminute vergütet.Footnote 140 Wird mit Zusatzausrüstungen wie einer Rettungswinde operiert, oder bei Nacht, ist von nochmals gesteigerten Flugminutenpreisen auszugehen.Footnote 141

Als eine weitere Grundlage der Vergütung von Luftrettungseinsätzen dient in einigen Fällen die Einsatzpauschale oder eine Kombination von pauschaler und flugminutenbasierter Vergütung. Diese wurde beispielsweise in der Stadt Köln angewendet, die in der 2013 beschlossenen Luftgebührensatzung für einen Primäreinsatz pauschal 1429 € zahlte, während Sekundäreinsätze differenziert behandelt und mit 78,53 € je Flugminute vergütet wurden.Footnote 142

Die Einsatzvergütung der Luftrettung übersteigt die des bodengebundenen Rettungsdienstes erheblich. In Brandenburg etwa kostet der Einsatz eines Notarztfahrzeuges 540,14 €, der eines Rettungstransportwagens 529,24 €. Ist es mit einem Notarzt besetzt, fallen 809,69 € an. Ein regulärer Krankentransport ist mit 231,24 € bewertet.Footnote 143

Abbildung 2.9
figure 9

Flugminutenpreise und jährliche Einsatzzahlen ausgewählter deutscher Luftrettungsmittel im Jahr 2019Footnote

Quelle: Eigene Darstellung, nach Land Brandenburg (2020), Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (2019).

Die sich erheblich unterscheidenden Flugminutenpreise und Einsatzzahlen einiger oben aufgeführter Luftrettungsmittel werden in Abbildung 2.9 beispielhaft dargestellt. Die Grafik verdeutlicht die sich stellende Frage, ab wie vielen Einsätzen und bei welcher Vergütung ein Luftrettungsbetrieb kostendeckend oder profitabel durchführbar ist. Einfluss auf die Leistungsmenge, also die geflogenen Einsätze, nach denen die Benutzungsentgelte berechnet werden, haben Luftrettungsbetreiber als Dienstleister in der öffentlichen Notfallversorgung nicht, da die Rettungsmitteldisposition bedarfsabhängig von einer Leitstelle vorgenommen wird, auf die der Luftrettungsbetreiber keinen Einfluss hat.Footnote 145 Um die EffizienzFootnote 146 des Luftrettungsbetriebs zu steigern, muss der Kostenreduktion als Stellgröße offensichtlich besondere Bedeutung zukommen.

Laut eigener Aussage finanzieren sich Luftrettungsorganisationen neben den Benutzungsentgelten auch durch Spenden und Sponsorings, deren Einfluss auf die Kostendeckung im Luftrettungsbetrieb sich nur schwer abschätzen lässt.Footnote 147 Beispielhaft werden dafür folgend Erlöse, die nicht durch den Luftrettungsbetrieb als Benutzungsentgelt erwirtschaftet werden, von der DRF Luftrettung aufgeführt. Im Jahr 2018 nahm der DRF Luftrettung e. V. Fördergeld und Spenden über 32,679 Mio. € ein,Footnote 148 von denen gemäß des Konzernabschlusses rund 13 Mio. € satzungsgemäß an die operativ tätige DRF Stiftung Luftrettung gAG übertragen wurde. Zudem empfing die gAG von der DRF Stiftung Luftrettung weitere 5 Mio. €, vor allem für die Finanzierung von Luftfahrzeugen.Footnote 149 Aus den verfügbaren Jahresabschlüssen der DRF Stiftung Luftrettung gAG lässt sich nicht entnehmen, wie groß der Beitrag von Spenden- und Förderbeiträgen für die Luftrettungsleistungen der öffentlichen Notfallversorgung ist. Von der DRF Luftrettung gAG werden neben dem Betrieb der hubschraubergestützten Luftrettung auch internationale Rückholflüge durchgeführt, die Mittelverwendung wird nicht ausgewiesen. Die Spenden- und Fördermittel stellen Erlöse dar, die nicht direkt von der Leistungsmenge der Luftrettung beeinflusst werden und stehen als quasi-fixer Bestandteil somit der variablen Einsatzvergütung gegenüber.

2.1.4 Innovationen

2.1.4.1 Hintergrund

Mit der Entwicklung der Notfallversorgung in Abhängigkeit des medizinischen Forschungsstandes ändern sich Ansprüche und Herausforderungen an die Gestaltung der prähospitalen Versorgung. Dabei kommt es regelmäßig zu verschiedenen Innovationen. Eine Innovation ist die Umsetzung einer vorhergehenden Invention, also der Erfindung oder Neuerung von Leistungen und Ergebnissen. Trotz der nicht einheitlich geregelten Definition von Innovationen können sie allgemein als qualitativ neuartiges Produkt oder Verfahren beschrieben werden, das sich vom Ausgangs- bzw. Vergleichszustand merklich unterscheidet. Somit können Innovationen unter anderem verschiedene Produkte und Prozesse betreffen, die der Dienstleistungs- oder Sachgüterproduktion zugeordnet werden können.Footnote 150

Der Grad, in dem Innovationen ihre Umwelt, bzw. Systeme, beeinflussen, wird anhand von Mikro-, Meso- und Makroinnovationen unterschieden. Mikroinnovationen betreffen nur das eigene System und erfordern keine Anpassung der Angrenzenden. Mesoinnovationen erfordern hingegen die Anpassung betroffener Umsysteme, während Makroinnovationen über die globalen Umsysteme hinaus auch Wertegerüste zur Anpassung zwingen.Footnote 151 Mikroinnovationen geschehen gegenüber Makroinnovationen somit auf niedrigerer Ebene.

Die Ausprägung der Veränderungen, die von Innovationen angestoßen werden, wird anhand verschiedenster Begriffe beschrieben. So kann die Erweiterung oder Verdrängung bestehender Lösungen als fundamentale und sprunghafte Innovation geschehen, oder als Basisinnovation, die nachfolgend zu weiteren Innovationen oder Änderungen führt. Neben dieser werden auch radikale und inkrementelle, disruptive und erhaltende oder revolutionäre und evolutionäre Einstufungen der Innovationsintensität verwendet.Footnote 152

2.1.4.2 Unbemannte Flugsysteme

Das System der Deutschen Luftrettung wurde zuvor anhand von drei Dimensionen beschrieben, die medizinischer, sozio-politischer und betriebswirtschaftlicher Art sind. An allen drei Teilsystemen setzen Innovationen verschiedener Intensität an. Im Zentrum dieser stehen medizinische Dimensionen, hier setzen Innovationen grundsätzlich an der Verbesserung der Versorgungsqualität an. Somit wird einerseits die Qualität der medizinischen Versorgungsleistung als Output bzw. Produkt verbessert, was meist anhand neuer Prozesse erreicht wird. Neben der Verbesserung rettungsmedizinischer Therapien entlang des medizinischen Forschungsstandes finden andererseits auch Innovationen eher struktureller Art statt, die etwa an Gliedern der Rettungskette ansetzen, um die Versorgung bestimmter Krankheitsbilder zu verbessern.

Als „kleine“ Form der Luftrettung gibt es weltweit verschiedene Forschungsprojekte, in denen der Einsatz von Unmanned-Aerial-Systems (UAS) erprobt wird. Die Zustellung von automatischen externen Defibrillatoren (AED) mit Hilfe von Drohnen verfolgt das Ziel, außerklinische Herzkreislauf-Stillstände besser zu versorgen, indem das therapiefreie Intervall verkürzt wird. Neben der Entwicklung zuverlässiger Technik ist somit auch die Bereitstellung fortgeschrittener lebenserhaltender Maßnahmen innerhalb der Rettungskette Gegenstand der Innovation. Verschiedene Studien konnten die Machbarkeit des Drohneneinsatzes bereits belegen und befinden sich nun in verschiedenen Stufen der Umsetzung.Footnote 153

Über den AED-Transport hinaus werden UAS in alpinen Regionen oder im Küstenbereich von Rettungseinheiten eingesetzt, um Vermisste zu orten. Zudem nutzen Hilfskräfte der öffentlichen Daseinsvorsorge Drohnen, um sich in Großschadenslagen Übersicht zu schaffen.Footnote 154 Während kleine Drohnen mit geringer Nutzlast zum Transport leichter medizinischer Güter verwendet werden, gibt es auch Versuche und Entwicklungsansätze, um personentransportfähige Drohnen in der Notfallversorgung einzusetzen. Dies geschieht in Deutschland durch die ADAC Luftrettung in Kooperation mit der Firma Volocopter.Footnote 155

Die Studien zum Einsatz von Drohnen befinden sich meist noch auf dem Stand der Machbarkeitsforschung. Ihr Einfluss beschränkt sich auf angrenzende Umsysteme, ohne Wertegerüste zu verändern. Sie sind somit auf höherer Ebene als Mesoinnovation einzuordnen, jedoch nicht als Makroinnovation, welche das Leistungsspektrum der medizinischen Luftrettungsversorgung erweitert.

2.1.4.3 Technischer Fortschritt

Neben den Entwicklungen neuer Transportmittel für die Luftrettung werden auch weniger konzeptionelle Innovationen mit deutlich höherem Reifegrad umgesetzt. Technische Innovationen betreffen die Weiterentwicklung der Hubschrauber in ihrer Ausrichtung auf notfallmedizinische Bedarfe und deren Adaption durch Luftrettungsbetriebe im Rahmen Flottenmodernisierungen.Footnote 156 In den vergangenen Jahren setzte sich der Hubschrauber-Hersteller Airbus zunehmend als Lieferant für Luftrettungsmittel durch. Tabelle 2.7 zeigt in der Luftrettung eingesetzte Hubschrauber und ihre Leistungsdaten.

Tabelle 2.7 Eingesetzte Hubschraubermuster in der deutschen LuftrettungFootnote

Quelle: Eigene Darstellung, nach Hecker & Schramm (2016), S. 61.

Die am häufigsten eingesetzten Primärhubschrauber in der deutschen Luftrettung sind Airbus-Maschinen vom Typ EC 135, während für Sekundärhubschrauber in der Regel das etwas größere Modell H bzw. EC 145, Nachfolger der BK 117, zum Einsatz kommt.Footnote 158 Damit zeigt sich, dass weder die Reisegeschwindigkeit noch die Nutzlast alleinige Entscheidungskriterien bei der Modellwahl darstellen. Beide Hubschraubertypen, die in Deutschland überwiegend anzutreffen sind, werden beständig weiterentwickelt. Die neueste technische Innovation ist die Umrüstung des Antriebs des Helikopters H 145 von vier auf fünf Rotoren, um bei gleichzeitiger Reduktion der Lärmemissionen die Flugleistung zu erhöhen.Footnote 159 Im Zuge von Flottenerneuerungen, die sowohl von der ADAC und der DRF Luftrettung durchgeführt werden, kommt es zur Einführung moderner Hubschraubermodelle in die Luftrettung und zur Vereinfachung sowie Standardisierung von Wartungsprozessen bei der Instandhaltung. Diese Innovationen sind somit insbesondere dem hier unterschiedenen ökonomischer Subsystem zuzuordnen und erweiternder sowie inkrementeller Art.Footnote 160

2.1.4.4 Erweiterung der Einsatzprofile

Weitere Innovationen betreffen unter anderem die technische Erweiterung medizinischer Ausstattung für verschiedene Einsatzarten. Eine Implementierung neuer Lösungen erfolgt dabei häufig jedoch nicht das Luftrettungssystem übergreifend und zeitnah. Der Greifswalder Rettungshubschrauber Christoph 47 führt seit Juli 2019 als einzigerFootnote 161 deutscher Hubschrauber Blut- und Frischplasmakonserven mit, um Notfallpatienten bereits am Unfallort mit Transfusionen versorgen zu können.Footnote 162 Im Rahmen der COVID-19 Pandemie wurden Rettungsmittel mit sogenannten „EpiShuttles“ ausgerüstet, Isoliertragen für den Transport hoch infektiöser Patienten.Footnote 163

Eine Innovation hinsichtlich der Luftrettungsprozesse in Deutschland ist die Ausweitung Bereitschaft der Rettungsmittel bei fliegerischer Nacht, der jedoch verschiedene Innovationsbarrieren gegenüberstehen. Dunkelheit erschwert Einsätze und erfordert einen zweiten Piloten sowie einen höheren Ausbildungsstand der Crew. Darüber hinaus sind nächtliche Einsätze auch mit Innovationsbarrieren verbunden, wobei neben Beschwerden über Fluglärm insbesondere unsichere Landeplätze ein großes Problem darstellen.

Zudem führt geringer nächtlicher Verkehr zu einer Verkürzung von Anfahrtszeiten des bodengebundenen Rettungsdienstes, sodass der zeitliche Vorteil der Luftrettung nicht immer besteht. Im Juni 2020 werden 16 von 86 Hubschraubern mit öffentlichem Versorgungsauftrag nachts eingesetzt.Footnote 164 Es ist nicht erkennbar, dass trotz regelmäßiger Forderungen verschiedener Institutionen nach verlängerten Einsatzzeiten die Ausweitung der Betriebszeiten in die Nachtstunden verbreitet Anwendung findet.

Der Nachtflugbetrieb stellt damit Innovationspotential dar, das aufgrund der komplexen und mitunter auch dynamischen Zusammenhänge mit seinen Umsystemen eine Mesoinnovation darstellen würde. Ein Ansatz zur Überwindung der Innovationsbarrieren von nächtlichen Flügen ist die partielle Ausweitung der Einsatzbereitschaft in die fliegerische Nacht bis 22 Uhr, zu einem 16-Stündigen Betrieb, jedoch nicht die ganze Nacht hindurch. Bei der sogenannten Randzeitenausweitung wird kein zweiter Pilot benötigt, sondern vom speziell ausgebildeten HEMS-TC-NVIS unterstützt.Footnote 165 Sie stellt somit eine Abstufung der Novität gegenüber der durchgehenden Nachtflugbereitschaft dar.

Die Umrüstung der deutschen Luftrettungsmittel von starren Fixtauen auf Winden stellt eine weitere inkrementelle sowie erweiternde Innovation dar. Einerseits werden durch die Umstellung auf Seilsysteme mit variabler Länge Abläufe in Bergungseinsätzen leicht verändert. Andererseits ergibt sich durch die variablere Winde eine größere Flexibilität in verschiedenen Einsatzlagen, die eine breiteres Einsatzspektrum impliziert.Footnote 166

Um den geo-demographischen Herausforderungen insbesondere im ländlichen Raum zu begegnen, wurde im Forschungsprojekt PrimAirFootnote 167 ein Modell entwickelt, in dem die Notfallversorgung auf einer 24 Stunden am Tag verfügbaren Luftrettung basiert, welche die bodengebundene Rettung substituiert. Wenngleich es sich bei diesem Forschungsprojekt weniger um die Implementierung einer Innovation denn um das gedankliche Durchspielen einer Invention handelt, zeigt die Forschungstätigkeit auch im politisch geprägten Bereich der Systemgestaltung den Innovationsbedarf und unterstützende Tätigkeit.Footnote 168

2.1.5 Kritik

2.1.5.1 Planung der Luftrettungsstrukturen

Die föderalistischen Organisationsstrukturen und die sozio-politischen Dimensionen des deutschen Luftrettungssystems können eine übergreifende sowie bundesweite Planung der luftgestützten Notfallversorgung beeinträchtigen. Besonders die Fragmentierung der verschiedenen Planungsansätze impliziert dabei latent ineffiziente Ressourcenallokationen von Rettungsdienstkapazitäten, da wirtschaftliche Dimensionen als Entscheidungskriterium in der Systemgestaltung nicht ausreichend berücksichtigt werden.Footnote 169

Kritisiert wird oftmals insbesondere die Standortplanung. Aufgrund des politischen Föderalismus kommt es dazu, dass einerseits regelmäßig Forderungen nach weiteren Hubschrauberstandorten mit Versorgungslücken begründet werden.Footnote 170Andererseits gibt es an einigen Luftrettungsstationen Meldungen über zu geringe Einsatzzahlen, die auf Überlappungen der Einsatzgebiete zurück zu führen sind.Dese Fehlplanungen wurden auch in einem Bericht des Bunderechnungshofs an den Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestags kritisiert.Footnote 171

Dieser stellt fest, dass Infrastruktur, die am Boden für die Luftrettungsmittel benötigt wird, sich häufig angegliedert an Krankenhäuser befindet. Dies könne zwar für Arbeitsabläufe sinnvoll sein, jedoch einer optimalen Standortverteilung im Wege stehen. Exemplarisch für diese Kritik steht der Betrieb und Stationsneubau des Rettungstransporthubschraubers Christoph 40 auf dem Dach des Augsburger Universitätsklinikums. Dieser wurde entgegen gutachterlicher Empfehlungen 50 Kilometer entfernt vom eigentlich benötigten Standort von der bayerischen Landesregierung durchgeführt. Durch den Augsburger Standort von Christoph 40 musste für eine weiterhin unterversorgte Fläche im Jahr 2015 mit Christoph 65 ein weiterer RTH in das Luftrettungssystem aufgenommen werden. Bayern verfügt seither über 15 Luftrettungsmittel,Footnote 172 demgegenüber stehen in Mecklenburg-Vorpommern 4 Hubschrauber für die Regelversorgung zur Verfügung.

In Verbindung dazu wurde die Notwendigkeit der Baumaßnahmen für die Angliederung von Stationen an Krankenhäuser aufgrund ihrer auffällig hohen Kosten in Frage gestellt. Für den mit 6 Millionen Euro geplanten Dachlandeplatz mit Station am Augsburger Uniklinikum fielen beispielsweise zusätzliche Kosten in Höhe von 3 Millionen Euro an, um Brandschutzbestimmungen zu erfüllen. Durchschnittlich kostet eine Luftrettungswache am Boden hingegen 2,6 Millionen Euro.Footnote 173

Aus der Kritik des Bundesrechnungshofes kann die Forderung formuliert werden, dass im Zuge von Standort-Optimierungen insbesondere Primärhubschrauber auch auf Flugplätzen abseits und unabhängig von medizinischen Versorgungseinrichtungen stationiert werden sollten. Beispielhaft kann dafür die Standortverlegung in 2007 des Rettungstransporthubschraubers Christoph 12 von Eutin nach Siblin genannt werden.Footnote 174

Neben erhöhten Baukosten bemängelte der Rechnungshof zudem die Neigung der Länder, bundeslandübergreifende Luftrettungsstationen zu vermeiden, stattdessen eigene Hubschrauberstandorte zu planen und damit Überschneidungen von Einsatzgebieten in Kauf zu nehmen. Als Beispiel dafür wird die Stationierung des Rettungstransporthubschraubers Christoph 64 in Angermünde in Brandenburg aufgeführt. Sie geschah trotz Einwänden der kostentragenden Krankenkassen, dass das Einsatzgebiet auch von Hubschraubern aus Berlin und Mecklenburg-Vorpommern versorgt werden könne.Footnote 175 Neben politischen Friktionen könnten auch länderspezifische Rahmenbedingungen wie unterschiedliche Hilfsfristen eine flächendeckende Planung verhindern. Der Einsatzbereich von Luftrettungsmitteln beim Überschreiten von Ländergrenzen kann sich unter Umständen verringern, sodass ein weiterer Rettungsmittelstandort aufgrund verschiedener gesetzlicher Formalitäten nötig wird.

Der Bundesrechnungshof sieht einen wesentlichen Grund für die von ihm aufgeführten strukturellen Mängel in den verschiedenen Institutionen, von denen die Trägerschaft der Luftrettung und die Kosten übernommen werden. Die Länder können als Träger über Anzahl und Standorte von Luftrettungsstandorten entscheiden und legen gemäß der eigenen Rettungsdienstgesetze in erheblichem Maße Kosten anhand von Nutzungsentgelten und Gebühren auf die Kostenträger um. Somit besteht für die Bundesländer kein zwingender Anreiz, Entscheidungen auch nach wirtschaftlichen Kriterien zu treffen.Footnote 176

Grundsätzlich stellt sich bei der Ausrichtung und Planung von Luftrettungsstrukturen auch die Frage, wie auf dringender werdende Herausforderungen des demographischen Wandels reagiert werden kann. Eine Möglichkeit ist die Reorganisationen der bestehenden Rettungsdienststrukturen, bei der sich ein Konflikt in der Gewichtung der Luftrettung gegenüber der Bodenrettung ergibt. Die Versorgung der gleichen Fläche durch bodengebundene Rettungsmittel erfordert eine deutlich höhere Standortdichte als die Luftrettung, jedoch ist die konventionelle deutsche Bodenrettung gemessen an der einzelnen Station weniger kostenintensiv. Dem Anspruch an eine möglichst hohe, flächendeckende Stationsdichte steht im Sinne einer nutzenmaximalen Ressourcenallokation und bestmöglichen medizinischen Versorgung somit die Notwendigkeit gegenüber, die Zahl der Standorte zu minimieren. Gleichzeitig weist eine hohe, jedoch gering ausgelastete Stationsdichte auf einen geringen Erfahrungsstand des medizinischen Personals hin. Dies wiederum könnte durch die Luftrettungsmittel mit deutlich größerem Einsatzbereich vermieden werden.Footnote 177

2.1.5.2 Finanzierung der Luftrettung

Wie aus den Ausführungen zur Kritik an den sozio-politischen Dimensionen des deutschen Luftrettungssystems hervorgeht, werden in der Systemgestaltung ökonomische Kriterien nicht prioritär berücksichtigt. Vielmehr steht im Sinne der Mission der Luftrettung die Umsetzung medizinischer Anforderungen und Ansprüche im Vordergrund, deren Umsetzung durch föderale politische Institutionen erfolgt. Die fehlende Berücksichtigung ökonomischer Kriterien legt, ebenso wie die vom Bundesrechnungshof kritisierten Standortplanungen, den Verdacht ineffizienter Ressourcenallokationen nahe. Dabei führt konsequenterweise die ineffiziente Verwendung knapper Mittel zu einer schlechteren Versorgungsqualität durch Luftrettungsleistungen, als bei effizienter Mittelverwendung.

Ohne wissenschaftliche ökonomische Ansätze bei der Gestaltung des Luftrettungssystems ist weder eine systematische Erhebung von einzelwirtschaftlichen Betriebskosten, noch eine Bewertung des Nutzens der Luftrettung in Deutschland möglich, durch welche zu einer effizienten Ressourcenallokation beigetragen werden könnte. Kosten-Nutzen-Analysen sind jedoch in Anbetracht bevorstehender gesellschaftlicher Entwicklungen von großer Bedeutung. Sie werden benötigt für eine effiziente Ausrichtung der Luftrettung auf neue Anforderungen sowie für die Bewertung und Implementierung von Innovationen, die an der Verbesserung der notfallmedizinischen Versorgung ansetzen. Insbesondere gilt dies für die Entscheidung, welche Organisationsstruktur des Rettungsdienstes für die Einhaltung medizinischer Vorgaben vorgehalten werden soll.

Neben der nicht bekannten Systematik der Betriebskosten eines Luftrettungsstandortes und der fehlenden Übertragung auf das Luftrettungssystem ist somit auch die Betrachtung der Einsatzvergütungen im Status Quo nicht geeignet, um Kenntnis über gesamtwirtschaftliche Kosten für das Luftrettungssystem zu gewinnen. Zum einen können unterschiedliche Benutzungsentgelte für Luftrettungsleistungen auf länderspezifische Definitionen zurückgeführt werden. Von besonderer Bedeutung ist dabei, ob und in welcher Höhe Investitionen für Infrastruktur der Luftrettung vom Träger übernommen werden.Footnote 178 Die Benutzungsentgelte für Luftrettungsleistungen stellen somit nicht alle Kosten dar, die durch den Betrieb der Luftrettung anfallen. Ihre Kenntnis ist deshalb nur eine notwendige, aber nicht hinreichende Information für die Kenntnis und ökonomische Analyse der gesellschaftlichen Vollkosten.

Zum anderen stellt sich die Frage nach dem Preismechanismus der unterschiedlichen Leistungsvergütungen, anhand dessen die gesamtwirtschaftlichen Ausgaben für die Luftrettung gesteuert werden könnten. Diese lassen, wie in Abschnitt 2.1.3.5 dargestellt, keinen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Einsatzhäufigkeit und Höhe der Vergütung verschiedener Rettungsmittel erkennen. Auch die Auswirkungen verschiedener Konstellationen von Einsatzzahlen einer Periode und unterschiedlich hohen Einsatzvergütungen auf das Geschäft des Luftrettungsbetreibers bleibt ungeklärt. Da auch für die privatwirtschaftlich organisierten, gemeinnützigen deutschen Luftrettungsorganisationen neben dem Kostendeckungsprinzip oftmals eine Gewinnerzielungsabsicht mit Verwendungsbeschränkung besteht,Footnote 179 gibt es einen Forschungsbedarf hinsichtlich der Kostenstrukturen, die den profitablen Betrieb von Luftrettungsstandorten determinieren. Es liegt dabei die Vermutung nahe, dass die Unterhaltskosten von Luftrettungseinheiten mit ähnlichem Einsatzprofil sich nicht signifikant unterscheiden, sofern das ökonomische Prinzip bei Wettbewerb eingehalten werden muss.

2.1.5.3 Verfügbarkeit der Luftrettungsmittel

Mit 70 von insgesamt 86 Hubschraubern wird der überwiegende Teil der deutschen Luftrettungsmittel nur bei Tageslicht eingesetzt. Wird davon ausgegangen, dass sich bei Betrachtung eines Jahres daraus eine mittlere Einsatzbereitschaft von etwa 12 Stunden am Tag ergibt, könnte die Verfügbarkeit von Luftrettungsleistungen also durch eine Verlängerung der Einsatzbereitschaft in die Nachtstunden verdoppelt werden. Insbesondere für schwer zugängliche Regionen, darunter etwa den Inseln in Nord- und Ostsee, erscheint die nächtliche Einsatzfähigkeit sinnvoll. Dennoch gab es etwa an der ostdeutschen Ostseeküste bis September 2020 keinen Primärhubschrauber der öffentlichen Versorgung und nur den Rostocker Intensivtransporthubschrauber, der auch nachts eingesetzt wird. Seitdem wird der RTH Christoph 47 auch für nächtliche Einsätze disponiert.

Nachtflüge erfordern mehr Personal als Einsätze bei Tageslicht, zudem müssen die technischen Voraussetzungen für Nachtflüge geschaffen werden, etwa durch die Anschaffung von Nachtsichtgeräten oder durch den nachtflugtauglichen Ausbau des Cockpits des Hubschraubers.Footnote 180 Somit führt nächtliche Einsatzbereitschaft zu zusätzlichen Kosten und mithin höheren Benutzungsentgelten,Footnote 181 die von den Kostenträgern zu finanzieren sind. Das Ausmaß der Kostenzunahme durch Ausweitung der Betriebszeiten geht aus der Literaturrecherche nicht hervor. Somit könnten die kurzen Vorhaltungszeiträume von Luftrettungsmitteln, die nur Einsätze am Tag beinhalten, eine weitere Ausprägung ineffizienter Ressourcenallokationen darstellen, sofern der erhöhten Bereitschaft ein Versorgungsbedarf gegenüber steht.

2.2 Vergleich internationaler Luftrettungssysteme

2.2.1 Vorgehen

2.2.1.1 Vergleichsparameter

Diese Literaturrecherche stellt verschiedene etablierte Luftrettungssysteme europäischer Staaten gegenüber mit dem Ziel, Unterschiede zur deutschen Luftrettung herauszuarbeiten und gegebenenfalls Innovationspotentiale abzuleiten. Die methodische Struktur der Vergleichsanalyse orientiert sich dabei am bereits in Abschnitt 2.1 gewählten Ansatz und unterscheidet zwischen medizinischen, sozio-politischen sowie wirtschaftlichen Dimensionen, um Luftrettungssysteme zu beschreiben. Die Analyseergebnisse werden in Tabelle A.1 (s. elektronisches Zusatzmaterial) zusammengeführt, während Tabelle 2.8 einen Überblick über die Vergleichsparameter gibt.

Unter den medizinischen Dimensionen wird die Struktur des Luftrettungssystems hinsichtlich ihres Aufbaus und ihrer Abläufe geschildert. Deshalb werden hier grundlegende Kennzahlen wie die Zahl der Luftrettungsmittel, bzw. ihrer Stützpunkte, die vom Luftrettungssystem zu versorgende Fläche sowie die Zahl der in ihr versorgten Menschen untersucht. Zudem wird auf die Hubschrauberbesatzung, die verwendeten Hubschraubertypen, sowie besondere Ausstattungsmerkmale eingegangen, die für Luftrettungseinsätze verwendet werden. Auch die zeitlichen Kriterien, an denen Luftrettungssysteme ausgerichtet sind, werden unter den medizinischen Dimensionen zusammengefasst. Darunter fallen medizinisch relevante Zeitintervalle, Einsatzzeiten und mit diesen Verbunden das Einsatzprofil.

Sozio-politische Dimensionen beschreiben die betrachteten Luftrettungssysteme aus konzeptioneller Sicht. Dabei wird insbesondere auf die Verteilung der Organisations- und Planungskompetenzen eingegangen, welche den Aufbau von Luftrettungssystemen prägen und bedingen. Als grundlegende Kennzahlen werden dafür die volkswirtschaftliche Leistungskraft sowie öffentliche Ausgaben für Gesundheit aufgezeigt. Zudem wird auf die Betreiberstrukturen der Luftrettung und mögliche Kooperationen für Grenzüberschreitende Notfalleinsätze eingegangen. Insbesondere die Ausgestaltung der Betreiberstrukturen soll hier in Bezug zum Stand der Organisations- und Planungskompetenzen betrachtet werden.

Unter den wirtschaftlichen Dimensionen werden ökonomische Daten ausgeführt, die in direktem Zusammenhang zur Luftrettung stehen. Deshalb wird einerseits der Mechanismus zur Vergütung von Luftrettungsleistungen betrachtet, der in den unterschiedlichen Systemen zur Anwendung kommt. Andererseits werden Informationen über die insgesamt durch die Luftrettung anfallenden Kosten recherchiert. Informationen zu wirtschaftlichen Dimensionen waren in dieser Recherche nur schwer und uneinheitlich zu erlangen.

Eingang in die Analyse fanden die nordeuropäischen Länder Dänemark und Schweden in der Erwartung, dass das geringe Tageslicht im Winterhalbjahr zu einer stärkeren Nutzung der Luftrettung in der fliegerischen Nacht führt, als es in Deutschland der Fall ist. Zudem steht das raue Klima im subpolaren Norden Schwedens in einem Gegensatz zu Deutschlands, sodass sich Implikationen für die Luftrettung ergeben könnten. Die dänische Luftrettung wurde erst im Jahr 2014 etabliert und steht als neu aufgestelltes Luftrettungssystem dem über Jahre gewachsenen deutschen gegenüber.

Polen und Tschechien als osteuropäische Länder wurden insbesondere aufgrund ihrer geringeren volkswirtschaftlichen Leistungskraft Deutschland ausgewählt. Geringere verfügbare Ressourcen könnten in diesem Falle zu anderen Lösungen bei der Gestaltung der Luftrettung führen, als im wirtschaftlich stärkeren Deutschland. Als fünftes Land, dessen Luftrettung der deutschen vergleichend gegenübergestellt wird, wurde Großbritannien ausgewählt. Das britische Luftrettungssystem ist gegenüber den nord- und osteuropäischen deutlich größer, jedoch nicht von deutschen Ausmaßen. Die Auswirkungen einer dezentralen Organisation mit rein spendenbasierter Finanzierung in einem paramedizinischen Rettungsdienstsystem könnten das britische vom deutschen Luftrettungssystem maßgeblich unterscheiden.

Tabelle 2.8 Parameter der Vergleichsanalyse internationaler LuftrettungssystemeFootnote

Quelle: Eigene Darstellung.

2.2.1.2 Recherchevorgang

Der Recherchevorgang wurde auf die systematische Erhebung der hier aufgeführten und in Tabelle A.1 dargestellten Vergleichskriterien ausgerichtet. Einschlägige Forschungsdatenbanken wie GoogleScholar, PubMed, Biomedcentral oder SpringerLink konnten insbesondere für medizinische Fachbeiträge zur Luftrettung genutzt werden. Grundlegende Informationen zu den verschiedenen Rettungsdiensten konnten zudem aus Grundlagenliteratur gewonnen werden. Informationen zu den drei Vergleichsclustern aus medizinischen, sozio-politischen und wirtschaftlichen Inhalten, die nicht aus wissenschaftlichen Beiträgen hervorgingen, wurden aus weiteren Quellen ergänzt. Hier wurde insbesondere auf öffentliche Plattformen, vornehmlich Onlinepräsenzen, sowie offizielle Veröffentlichungen der Luftrettungsbetreiber, -Träger und -Interessensgemeinschaften zurückgegriffen, die oftmals sehr transparent Informationen über die nationalen Luftrettungssysteme lieferten. Wirtschaftliche Daten zu den verschiedenen Ländern beruhen auf offiziellen Bekanntmachungen, etwa von der OECD. Detaillierte Informationen über das Luftrettungsgeschehen konnte mitunter nicht-wissenschaftlichen, aber themen-nahen Zeitschriften entnommen werden. Quellen, die nicht in deutscher oder englischer Sprache verfügbar waren, wurden mit mindestens zwei frei verfügbaren Onlineprogrammen übersetzt. Dies sollte die Richtigkeit der Übersetzung sicherstellen und vermeiden, dass fehlerhafte Informationen durch Übersetzungsfehler schließlich in diesen Vergleich übernommen würden.

Die Ergebnisse der Literaturrecherche werden in Tabelle A.1 zusammengeführt.

2.2.2 Erkenntnisse

2.2.2.1 Medizinische Dimensionen

2.2.2.1.1 Dänemark

Die dänische Luftrettung wurde im Oktober 2014 als Ergänzung des bodengebundenen Rettungsdienstes systematisch mit drei Standorten geschaffen, ein vierter befindet sich seit 2019 im Probebetrieb. Die Standortverteilung basiert auf einer schnellen Erreichbarkeit möglicher Einsatzorte und ist deshalb dezentral und unabhängig von Versorgungseinrichtungen gestaltet (Abbildung 2.10).Footnote 183 Damit ist die Fläche des Kernlandes von 43.094 km2 und eine Bevölkerung von 5,8 Mio. Dänen versorgt.Footnote 184 Durchschnittlich beträgt das Versorgungsgebiet einer Luftrettungsstation bezogen auf die Fläche Dänemarks, Grönland und Färöer ausgenommen, somit ca. 10.733 km2. Jeder Hubschrauber wird entsprechend für durchschnittlich 1,45 Mio. Dänen vorgehalten.

Im 24-Stunden Betrieb werden lebensbedrohliche Notfälle von allen Luftrettungsmitteln versorgt sowie Patienten in schlecht erreichbaren Regionen, besonders den Inseln. Das Ziel liegt dabei auf der schnellen präklinischen Notfallversorgung durch ärztliches Personal. Neben diesen werden auch sekundäre Patiententransporte durchgeführt, um eine Überführung in die nächstgelegene geeignete Versorgungseinrichtung zu ermöglichen. Diese spielen insbesondere in schlecht zugänglichen Gebieten, etwa den dänischen Inseln, eine wichtige Rolle.Footnote 185 Damit operieren die Hubschrauber im faktischen Dual-Use-Betrieb, wenngleich dieser Begriff in dänischer Literatur nicht verwendet wird.

Die Besatzung besteht gemäß der Danish Air Ambulance aus einem Piloten, einem HEMS-TC und einem Notarzt. Hinweise auf einen zweiten Piloten bei Nachtflügen konnten nicht gefunden werden, von einer Doppelbesetzung ist aufgrund der europäischen JAR-OPS Regelung jedoch auszugehen. Das für die dänische Luftrettung vorgegebene Zeitintervall ist ein Ausrückintervall von 4,5 Minuten bei Tageslicht. Insgesamt können alle Landesbereiche jedoch innerhalb von 30 Minuten erreicht werden.Footnote 186

Eingesetzt wird als einziges Hubschraubermodell in Dänemark die EC 135. Neben der medizinischen Ausstattung werden für die Einsätze Nachtsichtgeräte mitgeführt, zudem sind die dänischen Luftrettungsmittel für den Instrumentenflug ausgerüstet. Sonderausstattung in Form von Winden oder Fixtauen führen die zivilen dänischen Luftrettungsmittel nach dem Stand der Recherche nicht mit. Ihr Einsatzaufkommen betrug 2017 insgesamt 4199 Einsätze.Footnote 187 Überwiegende Einsatzursache warten Patienten mit Herzerkrankungen mit einem Anteil von etwa 40 %. Neurologische Erkrankungen und Traumata verursachten jeweils etwa 20 % der Einsätze.Footnote 188 Die Verteilung des Einsatzprofils auf Primär- und Sekundäreinsätze ist nicht bekannt.

Abbildung 2.10
figure 10

Einsatzgebiete der dänischen LuftrettungFootnote

Quelle: Danish Air Ambulance (b).

2.2.2.1.2 Schweden

Schweden ist anders als Dänemark ein Land mit starkem Höhenrelief und einer Fläche von 450.000 km2, ein großer Teil davon ist stark bewaldet und von Mittelgebirgen durchzogen. Die Zugänglichkeit wird zusätzlich erschwert, da nördliche Landesteile im Winterhalbjahr in Dunkelheit und subpolarer Kälte liegen.Footnote 190 Schweden hat 10 Mio. Einwohner, somit ergibt sich eine Bevölkerungsdichte von etwa 25,4 Personen je km2. Offiziellen Internetauftritten zufolge gibt es 9 Luftrettungsstandorte in Schweden,Footnote 191 Jones et al. Geben 10 Basen ohne Beleg an.Footnote 192 Im Folgenden wird von 9 Luftrettungsstationen ausgegangen, von denen einige in Abbildung 2.11 dargestellt sind.

Somit steht ein schwedischer Rettungshubschrauber durchschnittlich rund 1,1 Mio. schwedische Einwohner zur Verfügung, wobei die Konzentration der Bevölkerung auf urbane Regionen diesen Wert stark verzerrt. Die Spezialisierung von Krankenhäusern auf unterschiedliche Fachgebiete führt zu einem erhöhten Bedarf an Verlegungen von Patienten zwischen Versorgungseinrichtungen. Der Verlegungsbedarf ist laut dem Luftrettungsunternehmen Babcock ein Treiber für den Ausbau der schwedischen Luftrettung.Footnote 193 Die Anteile der jeweiligen Einstzarten am Einsatzprofil sind nicht bekannt.

Schwedische Hubschrauber stehen im 24-Stunden Betrieb für alle Einsatzarten zur Verfügung, wobei die Angaben zu den jeweiligen Anteilen variieren. So leistet das Luftrettungsmittel in Dalarna zu 84,7 % Primäreinsätze,Footnote 194 während für andere Hubschrauber nur 40 % genannt werden. Gemäß den Recherchen gibt es in Schweden keine einheitlichen Hilfsfristen für die Luftrettung. Der bodengebundene Rettungsdienst hat erkrankungsabhängige Vorgaben zwischen 10 und 30 Minuten.Footnote 195 Eine übergreifende Statistik der durchschnittlich versorgten Fallschwere gibt es für Schweden nicht. Der Hubschrauber in Dalarna kann exemplarisch herangezogen werden, er versorgt überwiegend Einsätze mit einem NACA-Score von 3. Trauma ist mit 40 % dabei die häufigste Einsatzursache, gefolgt von kardiologischen Fällen und Indikationen mit je ca. 10 %.Footnote 196

Besonders anspruchsvoll sind die Einsatzbedingungen im Norden Schwedens. Im Sommer herrscht im Gebirge eher wechselhaftes Wetter, im Winter erschweren vor allem Dunkelheit und subarktisches Klima mit bis zu -40 °C die Luftrettung. Luftrettungsmittel müssen neben den allgemeinen technischen Standards, wie eine ständige Internetverbindung für engmaschiges Wetterbriefing zusätzlich zum Wetterradar auch anderen Anforderungen gerecht werden. Zu diesen gehören mückendichte Einsatzkleidung, Mückenschutzmittel, ein schlafsackartiger gefütterter Überzug für den Patienten zur Wärmeisolation, Stirnlampen und Schneeschuhe. Zudem werden Nachtsichtbrillen mitgeführt, da vor allem in den Wintermonaten das Tageslicht allein die Flugsicherheit nicht gewährleistet. Um die nicht ausreichende Isolierung der Hubschrauber auszugleichen, die etwa beim eingesetzten Modell AS 365 N3 Dauphin auf Temperaturen bis -10 °C Außentemperatur ausgelegt ist, werden elektrische Heizlüfter in der Kabine aufgestellt.Footnote 197 In der schwedischen Luftrettung kommen neben der AS 365 N3 weitere verschiedene Luftrettungsmittel zum Einsatz wie etwa die H145 oder die AW 169, es scheint sich kein Hubschraubermodell für die Besonderheiten des Versorgungsgebiet durchgesetzt zu haben.

Die Zahl der Piloten im 24-Stunden Betrieb und bei Nachtflügen im schwedischen Luftrettungssystem lässt sich nicht eindeutig belegen. Ulmer berichtet von zwei Piloten, während Kornhall et al. Für den Hubschrauber in Dalarna nur einen angeben.Footnote 198 Obwohl in Schweden, wie in ganz Skandinavien, ein paramedizinisches Rettungsdienstsystem genutzt wird, sind die Luftrettungsmittel mit Notärzten besetzt, die aus dem intensivmedizinischen und anaesthesiologischen Fachbereich kommen.Footnote 199 Darüber hinaus sind HEMS-TC bei Einsätzen an Bord. Im Hintergrunddienst stehen Techniker rund um die Uhr zur Verfügung.Footnote 200

Abbildung 2.11
figure 11

Standorte der skandinavischen Luftrettung, insb. SchwedensFootnote

Quelle: Babcock (b). RW: Abkürzung für Rotor Wing. FW: Abkürzung für Fixed Wing.

2.2.2.1.3 Polen

In Polen werden Luftrettungsmittel an 21 Standorten vorgehalten, von denen vier im 24-Stunden Betrieb operieren. Zudem wird ein Hubschrauber in den Sommermonaten an der Ostseeküste bei Koszalin vorgehalten.Footnote 202 Die polnische Luftrettung versorgt rund 39 Mio. Menschen auf einem Gebiet von 306.230 km2. Bei einer durchschnittlichen Einwohnerzahl von 121,4 je km2 müssen dabei sowohl Küstenregionen der Ostsee, als auch Mittel- und Hochgebirge versorgt werden.Footnote 203 Die 21 regulären Hubschrauber versorgen somit im Durchschnitt 1,85 Mio. Einwohner und ein Gebiet von je 14.500 km2.

Abbildung 2.12
figure 12

Standorte und Versorgungsgebiete der polnischen LuftrettungFootnote

Quelle: Rzonca et al. (2017), S. 66.

Im Jahr 2019 leisteten die polnischen Luftrettungsmittel 11.821 Einsätze im faktischen Dual-Use-Betrieb, von diesen 10.366 primärer und 1.455 sekundärer Art.Footnote 205 Von diesen waren Verkehrsunfälle der häufigste Einsatzgrund mit insgesamt 2080 Flügen und einem Anteil von 17,5 % an allen Einsätzen. Diese werden gefolgt von Schlaganfällen mit 1601 Einsätzen (13,5 %) und 971 Alarmierungen zu Herzinfarkten (8,2 %). Die Ausstattung der Luftrettungsmittel variiert je nach Einsatzort, mitunter werden Rettungswinden im unwegsamen Gelände eingesetzt.Footnote 206 Alle eingesetzten Hubschrauber der öffentlichen Notfallversorgung sind vom Typ EC 135, die jedoch nicht alle nachtflugtauglich sind.Footnote 207 Wesentliche Fristen für die Luftrettung sind durch Ausrückintervalle für die Hubschrauber definiert. Je nach Einsatzradius und abhängig von Einsätzen bei Tageslicht oder Nacht liegt die vorgeschriebene Zeit bei zwischen 3 und 30 Minuten. Die Besatzung besteht aus mindestens drei Mitgliedern, Pilot, Arzt und HEMS-TC.Footnote 208

2.2.2.1.4 Tschechien

In Tschechien werden im Jahr 2020 insgesamt 11 Hubschrauber für die Unterstützung des bodengebundenen Rettungsdienstes durch die Luftrettung vorgehalten, von denen 6 im Betrieb rund um die Uhr eingesetzt werden, die anderen zwischen 7 und 20 Uhr. Die Luftrettungsmittel versorgen ein Gebiet von insgesamt 78.870 km2, also durchschnittlich 7170 km2 und eine Bevölkerung von rund 10,6 Mio. Einwohnern.Footnote 209 Damit steht ein Hubschrauber ca. 960.000 Einwohnern zur Verfügung. Die im 24/7-Betrieb eingesetzten Hubschrauber sind überwiegend in urbanen Regionen stationiert (Abbildung 2.13). Der Planung der tschechischen Luftrettungsstrukturen liegt ein systematischer Ansatz zugrunde, mit dem eine gleichmäßige Abdeckung aller Flächen erreicht werden soll. Das wesentliche Zeitintervall für die Planung ist dabei die tschechische Hilfsfrist von 20 Minuten.Footnote 210

Durchschnittlich leisten Hubschrauber der tschechischen Luftrettung 500 bis 600 Einsätze im Jahr. In 2018 wurden insgesamt 6275 Einsätze von 10 Hubschraubern geflogen, von denen 87 % primärer Art waren. Somit operiert die tschechische Luftrettung im faktischen Dual-Use-Betrieb. Die Hubschrauber sind mit mindestens drei Crewmitgliedern im Regelbetrieb besetzt. Zwei der tschechischen Luftrettungsstationen, die von Polizei und Armee betrieben werden, setzen grundsätzlich zwei Piloten in einer Crew von vier ein. Ebenfalls zwei Hubschrauber sind mit Seilsystemen für die Bergung von Patienten aus unwegsamem Gelände ausgerüstet, ihre Crew kann im Bedarfsfall durch Experten beispielsweise aus der Bergrettung ergänzt werden. Während von den privaten Luftrettungsbetrieben verschiedene Modifikationen der EC 135 eingesetzt werden, nutzen Polizei und Armee das Muster W3A Sokol.Footnote 211

Obwohl das tschechische System der rettungsdienstlichen Notfallversorgung an der deutschen Struktur orientiert und gemäß des Kirscher´schen Postulats notarztbasiert ist, nimmt die Disposition von Notärzten in Tschechien ab. In rund zwei Dritteln aller Einsätze werden Sanitäter mit akademischer Ausbildung entsandt, sodass das tschechische Rettungsdienstsystem zunehmend paramedizinisch geprägt ist. Diese Sanitäter werden auch in der Luftrettung eingesetzt ).Footnote 212

Abbildung 2.13
figure 13

Standorte, Versorgungsgebiete und Erreichbarkeiten der tschechischen LuftrettungFootnote

Quelle: Franěk (o. J.) (a).

2.2.2.1.5 Großbritannien

In Großbritannien werden 39 Hubschrauber von 21 karitativen Betreibern in sehr dezentraler Organisationsstruktur für die öffentliche Notfallversorgung vorgehalten, mit denen eine Bevölkerung von etwa 66 Mio. Einwohnern und ein Gebiet von 243.610 km2 versorgt wird. Ein Hubschrauber versorgt somit durchschnittlich ca. 1,7 Mio. Menschen und eine Fläche von 6246 km2.Footnote 214 Vorgegebene Zeitintervalle für die Luftrettung sind nicht bekannt, durchschnittliche Hilfsfristen liegen zwischen 13 und 20 Minuten.Footnote 215

Eine übergreifende Statistik, in der Informationen über Luftrettungsleistungen zusammengeführt werden, konnte in dieser Recherche nicht gefunden werden. Die Statistik einzelner Luftrettungsmittel zeigt jedoch Einsatzschwerpunkte bei Verkehrsunfällen mit 39 % Anteil, 9 % bei Stürzen, je 5 % bei Sport- oder industriellen Unfällen und 25 % Anteil von anderen Indikationen.Footnote 216 Die britischen Luftrettungseinheiten leisten nach Aussage einer gemeinsamen Wohltätigkeitsorganisation über 25.000 Einsätze im Jahr, bzw. durchschnittlich 70 am Tag. Dies entspricht einem bis zwei Einsätzen je Hubschrauber am Tag. Einsätze werden überwiegend bei Tageslicht und in die späten Abendstunden hinein durchgeführt, zudem gibt es mitunter zeitliche Beschränkungen der Einsatzbereitschaft am Wochenende gegenüber Werktagen. Der Betrieb rund um die Uhr ist wenig verbreitet.Footnote 217

Die Hubschrauber werden überwiegend für Primäreinsätze disponiert, um insbesondere Traumapatienten zu versorgen. Für Verlegungsflüge werden mitunter eigene Hubschrauber vorgehalten.Footnote 218 Eingesetzt werden dabei verschiedenste Hubschraubertypen wie EC 135 und 145, AS 355 oder AW 169.

Das britische Rettungsdienstsystem basiert auf Paramedics.Footnote 219 So sind auch die Rettungshubschrauber nicht grundsätzlich mit ärztlichem Personal besetzt.Footnote 220 Bei Nachtflügen werden zwei Piloten eingesetzt. An einigen Standorten, insbesondere in Küstenregionen, gibt es Pläne, die Hubschrauber mit Rettungswinden auszustatten.Footnote 221

2.2.2.2 Sozio-politische Dimensionen

2.2.2.2.1 Dänemark

Die dänische Luftrettung ist als Bestandteil der öffentlichen Gesundheitsversorgung staatlich organisiert und wurde 2014 als Ergänzung des bodengebundenen Rettungsdienstes eingerichtet. Sie steht allen Bürgern mit stationären, ambulanten und rettungsdienstlichen Leistungen zur Verfügung und ist teilweise durch Steuern sowie durch die staatliche Krankenversicherung, die einzige Krankenversicherung in Dänemark, finanziert.Footnote 222 Die staatlichen Gesundheitsausgaben liegen bei ca. 8,8 % des dänischen Bruttoinlandsproduktes (BIP) von 355 Mrd. USD. Das BIP pro Kopf beträgt kaufkraftparitätisch (KKP) 49.192 USD.Footnote 223

Die Organisation- und Planungskompetenz der dänischen Luftrettungsstrukturen liegt in staatlicher Hand.Footnote 224 Die vier Luftrettungsstandorte sind über Dänemark gleichmäßig verteilt. Darüber hinaus gibt es mit der DRF Luftrettung eine Kooperationsvereinbarung, nach der das dänische Grenzgebiet zu Deutschland vom Dual-Use Hubschrauber Christoph Europa 5 in Niebüll grenzübergreifend versorgt wird. Die Einführung einer eigenen Luftrettung in Dänemark führte zu einer Konkurrenz der Rettungsmittel und weniger Einsätzen des DRF-Hubschraubers, der seither deutlich weniger nach Dänemark disponiert wird.Footnote 225

2.2.2.2.2 Schweden

Die schwedische Notfallversorgung ist dezentral organisiert. Die Planung von Standorten und die Organisation der Versorgung wird auf Ebene der 15 Provinzen durchgeführt. Für die Etablierung von Luftrettungsstandorten schließen sich diese zusammen.Footnote 226 Die klinische Versorgung ist von Schwerpunkteinrichtungen und einer zunehmenden Zentralisierung geprägt, in den letzten Jahren den Bedarf an Luftrettungsleistungen erhöhte.Footnote 227

Das schwedische BIP betrug 556,1 Mrd. USD im Jahr 2019 und somit 55.580 USD pro Kopf (KKP). Die staatlichen Ausgaben für die Gesundheitsversorgung lagen 2018 bei ca. 9,3 % des schwedischen BIP.Footnote 228 Die Finanzierung ist überwiegend durch Steuern finanziert, die einerseits von den schwedischen Landtagen erhoben werden. Diese verwenden bis zu 90 % ihrer Steuereinnahmen und leisten damit ca. 70 % der öffentlichen Gesundheitsversorgung. Versicherte leisten bei Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen Eigenanteile. Offene Ausgaben deckt der Staat über eigene Transfers.Footnote 229

Der Betrieb wird an 6 der 9 schwedischen Hubschrauberstandorten vom privatwirtschaftlichen Unternehmen Babcock durchgeführt, das in Norwegen, Finnland und Schweden 15 Rettungshubschrauber sowie 4 Flugzeuge für Verlegungen unterhält. Bei Bedarf führt Babcock grenzübergreifende Rettungseinsätze durch.Footnote 230 Darüber hinaus gibt es drei weitere staatliche Rettungshubschrauber für die Notfallversorgung.Footnote 231

2.2.2.2.3 Polen

In Polen wird seit 1958 medizinische Hilfe über den Luftweg geleistet. Im Jahr 2000 wurde begonnen, die bis dahin marode Infrastruktur zu erneuern und das Luftrettungssystem neu aufzusetzen. Im Zuge dessen wurde auch die Hubschrauberflotte erneuert und sowjetische Maschinen und seit 2007 sukzessive durch moderne ersetzt.Footnote 232 Die polnische Luftrettung wird zentral vom Gesundheitsministerium organisiert und finanziert, sie ist ein Bestandteil der Organisationsstruktur des öffentlichen Rettungsdienstes.Footnote 233

Die Struktur der 21 Standorte des Luftrettungssystems ist systematisch organisiert. Einerseits wurde die Planung auf eine flächendeckende Abdeckung der Standorte ausgerichtet, jedoch unter gewichteter Berücksichtigung von Notfallschwerpunkten.Footnote 234 Die staatlichen Gesundheitsausgaben in Polen betragen 4,5 % des BIP von rund 585 Mrd. USD. Das BIP pro Kopf beträgt 31.393 USD (KKP).Footnote 235 Polen strebt grenzüberschreitende Luftrettungseinsätze an. Zusammen mit Deutschland wird im Rahmen des Forschungsprojektes InGRiP an grenzüberschreitender Notfallrettung gearbeitet.Footnote 236

2.2.2.2.4 Tschechien

Der tschechische bodengebundene Rettungsdienst ist dezentral in 14 Rettungsdienstbereichen organisiert. Die Luftrettung mit 10 Standorten hingegen ist direkt dem Gesundheitsministerium angegliedert und wird von diesem zentral gestaltet, ebenso die Vergabe der Luftrettungsstationen. Von den 10 Stationen werden zwei öffentlich durch die Armee und die Polizei betrieben, die restlichen von drei privaten Anbietern. Mit einer Neuvergabe der Luftrettungsstrukturen ab 2021 für acht Jahre und der Erweiterung des Stationsnetzes auf 11 Standorte, wurde der Anteil privater Betriebe in der tschechischen Luftrettung gestärkt. Neben der tschechischen Firma Delta Systems Air gewann auch die slowakische Luftrettungsorganisation Air Transport Europe Stationen hinzu. Informationen über Kooperationen der tschechischen Luftrettung für grenzüberschreitende Einsätze liegen nicht vor. Durch den Betrieb von Luftrettungseinheiten in der Tschechischen Republik und in der Slowakei durch Air Transport Europe liegt die Vermutung jedoch nahe, dass zumindest Synergieeffekte durch den Betreiber auch grenzüberschreitend gehoben werden.Footnote 237

Der Anteil der tschechischen öffentlichen Gesundheitsausgaben beträgt rund 6,2 % des BIP von 245,2 Mrd. USD. Pro Kopf beträgt das BIP nach Kaufkraftparität ca. 40.403 USD.Footnote 238 Die tschechische Luftrettung wird grundsätzlich unabhängig vom bodengebundenen Rettungsdienst finanziert, wobei das Gesundheitsministerium die Bereitstellung des Luftrettungsmittels übernimmt. Medizinisches Personal, medizinische Verbrauchsgüter und Geräte werden von den Krankenversicherungen gezahlt und durch die Rettungsdienste bereitgestellt. Die Gesamtausgaben für die tschechische Luftrettung werden auf ca. 750 Mio. Kronen geschätzt, also ca. 32,176 Mio. USD oder 28,256 Mio. €.Footnote 239 Die Luftrettung steht allen Patienten, unabhängig vom Versichertenstatus, ohne eigene Zuzahlung zur Verfügung.Footnote 240

Der Betrieb der Luftrettungsstationen in Tschechien durch überwiegend private Betreiber hat eine öffentliche Diskussion über die Angemessenheit der Gewinnerzielung durch Luftrettungsgesellschaften ausgelöst. Gegenstand dieser sind die Höhe von Kosten und die angemessene Vergütung der Luftrettungsleistungen in einem Umfeld von knappen Ressourcen. Ein auch in der offiziellen Berichterstattung aufgeführter Lösungsvorschlag ist dabei die Überführung des Luftrettungsbetriebes in eine gemeinnützige Organisation mit öffentlich zugänglicher und transparenter Rechnungslegung und Berichtserstattung.Footnote 241

2.2.2.2.5 Großbritannien

In Großbritannien ist die Luftrettung zur Unterstützung des bodengebundenen Rettungsdienstes eingesetzt und dezentral organisiert. Insgesamt gibt es 39 Hubschrauber für die Notfallversorgung, die von 21 verschiedenen Anbietern betrieben werden. Von diesen sind die meisten Wohltätigkeitsorganisationen.Footnote 242

Die öffentlichen britischen Gesundheitsausgaben liegen bei etwa 7,5 % des BIP von 2,855 Bio. USD. Kaufkraftparitätisch liegt das BIP pro Kopf bei 46.885 USD. Öffentliche Ausgaben zur Gesundheitsversorgung betreffen die luftgestützte Notfallversorgung kaum. Die britische Luftrettung ist vollständig über Spenden finanziert, die einerseits von den Betreibern selbständig eingeworben werden. Andererseits gibt es mit Air Ambulances UK eine gemeinsame Interessenvertretung, die unter anderem der Sicherstellung der Finanzierung dient.Footnote 243 Staatliche Institutionen treten in der Luftrettungsorganisation sehr zurückhaltend auf. Meistens stellt das nationale Gesundheitssystem (NHS) paramedizinisches Personal der Bodenrettung für die Luftrettung bereit.Footnote 244 Grenzüberschreitende Flüge sind nicht bekannt, aufgrund der Insellage Großbritanniens jedoch auch unwahrscheinlich.

2.2.2.3 Wirtschaftliche Dimensionen

2.2.2.3.1 Dänemark

Das dänische Gesundheitssystem und mithin die Luftrettung sind maßgeblich durch Steuern finanziert.Footnote 245 Inbegriffen ist dabei die Luftrettung, deren Kosten je Station im Rahmen einer Erhebung im Jahr 2012 mit rund 22 Mio. dänische Kronen (2,95 Mio. €) angegeben wurden. Diesen stehen 826 Einsätze gegenüber, sodass die durchschnittlichen Einsatzkosten bei ca. 35.000 dänischen Kronen (4700 €) lagen. Als Referenzwert für die eigene Luftrettung wird in dem dänischen Bericht auf die norwegische Luftrettung hingewiesen, in der im Jahr 2009 durchschnittliche Einsatzkosten von 32.360 dän. Kronen (4344 €) ermittelt wurden.Footnote 246

Die Rechercheergebnisse zeigen einen deutlichen Anstieg der Kosten der Luftrettung in Dänemark. So betrugen in 2017 die Gesamtkosten für drei Luftrettungsstandorte 13,4 Mio. €, also durchschnittlich 4,47 Mio. € je Station. Im folgenden Jahr 2018 stiegen sie bei gleichbleibender Standortzahl auf 18,1 Mio. €.Footnote 247 Eine Ursache für die Kostenentwicklung ist nicht bekannt.

2.2.2.3.2 Schweden

Informationen zu Kosten der schwedischen Luftrettung liegen anhand der Betriebsvereinbarungen mit der Firma Babcock zu den Standorten Göteborg, Uppsala und Stockholm vor. Bei einer Annahme von 800 Flugstunden betragen die Fixkosten je Station jährlich zwischen 36 und 43,3 Mio. SEK, bzw. 3,44 Mio. und 4,13 Mio. €. Variable Kosten werden für 800 Flugstunden mit zwischen 7,9 und 14,7 Mio. SEK, bzw. 0,8 Mio. und 1,4 Mio. € vergütet. Beinhaltet sind dabei keine Kosten für das medizinische Personal des Luftrettungsmittels.Footnote 248

2.2.2.3.3 Polen

Informationen zu staatlichen Ausgaben, Vergütungs- oder Kostenstrukturen konnten für die polnische Luftrettung im Rahmen dieser Recherche nicht gefunden werden. Die Modernisierung der Hubschrauberflotte seit 2007 umfasste ein Investitionsvolumen von ca. 19 Mio. €, die zu 85 % aus EU-Fördermitteln gezahlt wurden.Footnote 249

2.2.2.3.4 Tschechien

Die durchschnittlichen Kosten für einen Luftrettungseinsatz in Tschechien liegen bei etwa 4500 €. Ihnen gegenüber stehen Einsatzkosten von 300 € des bodengebundenen Rettungsdienstes. Die Vergütung der Luftrettungsmittel erfolgt in Tschechien anhand einer Kombination von tagesgleichen Pauschalen sowie abhängig von der Flugzeit. Die Höhe der Vergütung im Jahr 2018 variierte erheblich zwischen den privaten und öffentlichen Betreibern der Luftrettungsmittel. So erhalten die privatwirtschaftlichen Luftrettungsbetreiber Air Transport Europe 77.590 Kronen Tagespauschale (ca. 2900 €) sowie 22.941 Kronen je Flugstunde (ca. 861 €), Delta Systems Air 115.000 Kronen am Tag (ca. 4320 €) und 17.000 Kronen je Flugstunde (ca. 638 €).

Von den öffentlichen Betreibern erhält die Polizei 136.000 Kronen am Tag (ca. 5109 €) und 37.644 je Flugstunde (ca. 1414 €) im 24/7-Betrieb, die Armee 348.000 Kronen am Tag (ca. 13.073 €) sowie zusätzlich pauschal 50 Mio. Kronen (ca. 1,88 Mio. €) für 1000 Einsatzstunden (ca. 1878 €/Stunde) für 24/7 Betrieb.Footnote 250

Die tschechische Luftrettung schätzt die pauschalen Gesamtkosten eines Luftrettungsmittels auf täglich 1,58 Mio. Kronen (ca. 59.358 €) sowie zusätzlich 29.500 Kronen (ca. 1108 €) je Flugstunde. Die durchschnittlichen Einsatzkosten wurden für 2018 in Höhe von 120.000 Kronen (ca. 4508 €) bewertet. Für die gesamte Luftrettung ergeben sich somit Kosten von ca. 750 Mio. Kronen (ca. 28,176 Mio. €) im Jahr.Footnote 251

Im Rahmen der Neuvergabe des Luftrettungsbetriebes ab 2021 und der Übernahme der Stationen durch neue Anbieter wurden insbesondere die Leistungsanforderungen erhöht, indem die Betriebszeiten einiger Stationen auf die Nacht ausgeweitet wurden. Den privaten Anbietern werden nach Vertragsschluss dabei durchschnittliche Kosten in Höhe von 43 Mio. Kronen (ca. 1,615 Mio. €) für den jährlichen Betrieb eines Luftrettungsmittels erstattet.Footnote 252

2.2.2.3.5 Großbritannien

Die Rechercheergebnisse zu den Kosten der britischen Luftrettung sind sehr unterschiedlich. Gemäß der gemeinsamen Interessensvertretung der Betreiber liegen die durchschnittlichen Kosten für einen Luftrettungseinsatz bei 2500 £ (ca. 2747 €) und jährlich über 60 Mio. £ (ca. 65,95 Mio. €).Footnote 253 Aus diesen ergeben sich Kosten von etwa 1,538 Mio. £ (ca. 1,69 Mio. €) je Station und Jahr.Footnote 254

Lyon et al. gaben im Jahr 2015 durchschnittliche Kosten von 2900 £ (ca. 3187 €) für den Tagflugbetrieb an. Bei Ausweitung der Einsatzzeiten in die Nacht gehen sie von zusätzlichen Kosten in Höhe von 1 Mio. £ (1,099 Mio. €) aus. Bei Annahme eines Fluges je Nacht berechnen sie daraus 2700 £ (2967 €) an zusätzlichen täglichen Kosten.Footnote 255

Andere Betreiber liegen mit ihren Einsatzkosten deutlich unter dem o.g. Durchschnitt. So gibt The Air Ambulance für das laufende Jahr durchschnittliche Einsatzkosten von 1700 £ (1868 €) für Primäreinsätze an. Spezielle Sekundärtransporte von Kindern hingegen werden mit 3500 £ (3847 €) bewertet.Footnote 256

2.2.3 Schlussfolgerungen

2.2.3.1 Medizinische Dimensionen

Innerhalb der betrachteten nationalen Luftrettungsdienste ist die Bundesrepublik Deutschland mit 83 Mio. Einwohnern das Land mit den meisten Einwohnern. Die 86 regulären Luftrettungsmittel implizieren das mit Abstand größte System zur luftgestützten Notfallversorgung innerhalb der Vergleichsgruppe. Daraus folgt eine hohe Versorgungsdichte von durchschnittlich 4157 km2 je Luftrettungsmittel bzw. 6273 km2 je Primärhubschrauber. Innerhalb der Vergleichsgruppe erreichen nur England und Tschechien eine ähnliche Standortdichte (Abbildung 2.14).

Abbildung 2.14
figure 14

Einwohner und versorgte Fläche je RettungshubschrauberFootnote

Quelle: Eigene Darstellung.

. (a Auf Basis der 57 RTH berechnet, b Auf Basis aller 86 Luftrettungsmittel berechnet)

Die strukturelle Trennung der Aufgabenbereiche, aus der sich in Deutschland die Vorhaltung von Hubschraubern speziell für primäre und sekundäre Einsätze ergibt, scheint einzigartig innerhalb der verglichenen Luftrettungssysteme zu sein. In Großbritannien gibt es Luftrettungsmittel, die speziell für Verlegungen vorgehalten werden. Die schwer zugänglichen Informationen lassen ein ganzheitliches Bild im Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht zu. Die anderen verglichenen Luftrettungssysteme setzen gemäß der Rechercheergebnisse ihre Luftrettungsmittel offenbar in einem faktischen Dual-Use-Betrieb ein.

Auch hinsichtlich der durchschnittlichen Einsatzzahlen, die jährlich von einer Luftrettungsstation geleistet werden, unterscheiden sich die betrachteten Luftrettungssysteme deutlich. So werden in Dänemark und Deutschland durchschnittlich etwa 1300 jährliche Einsätze geleistet. Für deutsche Luftrettungsmittel ist bekannt, dass die Einsatzzahlen mitunter deutlich von diesem Durchschnittswert abweichen.Footnote 258 Die Luftrettungsmittel in Polen, Tschechien und England werden deutlich weniger eingesetzt, die Ergebnisse zeigen durchschnittlich zwischen 562 und 639 jährlichen Einsätzen. Dies weist auf eine deutlich restriktivere Disposition der Luftrettung hin.

Der vorliegende Vergleich liefert nicht für alle Länder eindeutige Bilder von relevanten Zeitintervallen, an denen die Planung der Luftrettungsstrukturen der verschiedenen Länder ausgerichtet sind. Die Übersichtskarten der Luftrettungsdienste zur Standortverteilung vermitteln zwar den Eindruck, dass die Reisezeiten der Luftrettungsmittel berücksichtigt werden und mitunter auch in die Planung eingehen.Footnote 259 Zeitliche Kriterien, wie etwa zu erreichende Hilfsfristen, unterscheiden sich jedoch nicht nur innerhalb der verglichenen Länder, sondern wie in Deutschland auch auf föderaler Ebene. So definiert Polen erheblich variierende und einsatzabhängige Ausrückintervalle von bis zu 30 Minuten, auch Dänemark arbeitet mit Ausrückintervallen. Aus Schweden sind keine Zeitintervalle bekannt. Nur von Tschechien ist eine allgemeine Hilfsfrist von 20 Minuten bekannt, an der die Luftrettungsstrukturen systematisch ausgerichtet sind.

Sowohl Dänemark und Schweden setzen ihre Luftrettungsmittel grundsätzlich im Betrieb rund um die Uhr ein und erhöhen so deren Verfügbarkeit für Patienten erheblich. Trotz der Größe der Luftrettungsflotten überwiegt in Großbritannien und Deutschland hingegen der Betrieb bei Tageslicht. So sind in Deutschland nur 18 der 86 regulären Luftrettungsmittel bei Nacht einsatzbereit. Gründe für diese Unterschiede der Einsatzbereitschaft sind aus den Rechercheergebnissen nicht klar ersichtlich. Ebenso lassen sich Aussagen über die Effizienz der jeweils gewählten Ressourcenallokationen, die durch verschiedene Betriebszeiten entstehen, nicht treffen.

Die technischen Voraussetzungen der Hubschrauber für nächtliche Einsätze scheinen vergleichbar zu sein, sodass etwa Glascockpits mit nicht-reflektierenden Instrumenten und Nachtsichtgeräte den Standard darstellen. Auch die Hubschrauberbesatzungen sind in den verglichenen Ländern grundsätzlich gleich aufgebaut, mit je einem Piloten, Arzt und Sanitäter. Nur in Großbritannien werden statt Notärzten mitunter Paramedics eingesetzt. Ob in Dänemark und Schweden bei Nachtflügen ein zweiter Pilot für die Steuerung des Hubschraubers eingesetzt wird, konnte nicht abschließend geklärt werden. In Deutschland ist dies der Fall, bei Randstundenausweitungen hingegen unterstützt der HEMS-TC-NVISFootnote 260 den Piloten, ohne dass ein viertes Besatzungsmitglied benötigt wird.

Die Rechercheergebnisse weisen darauf hin, dass die Hubschrauber von Airbus vom Typ EC 135 und 145 sehr häufig in den betrachteten Luftrettungssystemen Verwendung finden. So kommen in Dänemark und Polen ausschließlich EC 135 zum Einsatz, und werden ebenso in Tschechien durch nicht-öffentliche Betreiber eingesetzt. Auch in Großbritannien und Deutschland wird diese Maschine insbesondere für Primäreinsätze verwendet. Nur die schwedische Luftrettung scheint grundsätzlich größere Maschinen wie H 145 oder AS 365 einzusetzen.

Dies könnte im vorherrschenden Einsatzprofil mit häufigen Sekundärtransporten begründet sein, für die häufig größere Hubschrauber eingesetzt werden. Für Schweden ist das Einsatzprofil des gesamten Luftrettungssystems nicht bekannt. Besonders die recherchierten Ergebnisse zu den übrigen Ländern zeigen jedoch, dass die Luftrettung zumeist für Primäreinsätze und unter diesen für Unfälle, insbesondere im Straßenverkehr, disponiert wird. Neben diesen sind die häufigsten Einsatzgründe Herz-Kreislauferkrankungen, Atemwegsstörungen oder neurologisch bedingt und spiegeln das Krankheitspanorama von entwickelten Industrieländern. Dieses entwickelt sich im Rahmen der epidemiologischen Transition weg von Infektionserkrankungen hin zu chronisch-degenerativen Krankheiten, die im Rahmen des demographischen Wandels weiter an Bedeutung gewinnen.Footnote 261

2.2.3.2 Sozio-politische Dimensionen

Die betrachteten Länder weisen sehr unterschiedliche Organisationsstrukturen ihrer Luftrettungssysteme auf. Während in Deutschland und Schweden die Luftrettung dezentral, also nicht auf staatlicher Ebene, sondern von Provinzen bzw. Bundesländern geplant und organisiert wird, liegt in Dänemark, Tschechien und Polen die Planungs- und Organisationskompetenz auf staatlicher Ebene und zumeist bei den Gesundheitsministerien. In Großbritannien hingegen wird die Luftrettung dezentral und ohne in diesen Ergebnissen ersichtlichen Planungsansatz von mindestens 21 karitativen Organisationen durchgeführt. Die zentrale Planung führt zum expliziten Hinweis der Luftrettungsbetriebe, dass die Standortstrukturen der jeweiligen Länder strategisch verteilt sind und so bspw. eine bestimmte Fläche innerhalb vorgegebener Kriterien erreichen können, oder Einsatzschwerpunkte besonders berücksichtigt wurden.Footnote 262

Die Form der Planung der Luftrettung beeinflusst auch die Betreiberstrukturen der nationalen Luftrettungsstandorte. Es zeigt sich, dass insbesondere in Ländern mit dezentralen Organisationsstrukturen eine Vielzahl von Betreibern Luftrettungsleistungen anbieten. So wird in Großbritannien die dezentral organisierte Luftrettung mit 39 Hubschraubern von 21 karitativen Organisationen durchgeführt. In Deutschland gibt es neben dem BKK als öffentlichem Betreiber die gemeinnützigen Luftrettungsorganisationen von ADAC und DRF, sowie einige kleinere, unter diesen die Johanniter Luftrettung. Der Eindruck, dass eine dezentrale Organisation eine Betreiberstruktur mit verschiedenen Anbietern begünstigt, bestätigt sich ebenfalls für die schwedische Luftrettung. Auch die tschechische Luftrettung hat neben Polizei und Armee als öffentliche überwiegend private Betreiber für die 10 (ab 2021 Erweiterung auf 11) Stationen eingesetzt. In Polen und Dänemark hingegen, wo die strikte staatliche Organisation zu einem rein öffentlichen Betrieb der Luftrettung führt, wird die Luftrettung öffentlich betrieben.

2.2.3.3 Wirtschaftliche Dimensionen

Die Finanzierung der Luftrettung scheint insbesondere durch die Form der Vergabe des Betriebes beeinflusst zu werden. In den zentral organisierten Luftrettungssystemen von Dänemark und Polen mit einem staatlichen Luftrettungsbetrieb ist die Finanzierung grundsätzlich über die Gesundheitsministerien gestaltet. Die anderen fünf Länder dieses Vergleiches zeigen ein differenzierteres Bild. Deutschland und Tschechien nutzen für die Finanzierung von Luftrettungsleistungen ein duales System, in dem die Krankenversicherungen laufende Kosten übernehmen. Investitionen werden in Deutschland auf föderaler, in Tschechien auf staatlicher Ebene in Form von Rahmenverträgen getätigt. Schweden finanziert die Luftrettung über die kommunalen Träger und staatliche Transfers, zudem müssen Eigenanteile bei Inanspruchnahme von Luftrettungsleistungen gezahlt werden. Die britische Luftrettung hingegen wird ausschließlich über Spenden finanziert.

Obwohl anzunehmen ist, dass die Kosten, die für die Vorhaltung und Durchführung von Luftrettungsleistungen in den hier aufgeführten Ländern vergleichbar sind, zeigen die Rechercheergebnisse sehr unterschiedliche jährliche Kosten. So sind jährliche Kosten für eine britische Luftrettungsstation mit etwa 1,538 Mio. € angegeben, während jährlich 66 Mio. € für 39 Stützpunkte anfallen. Die tschechische Luftrettung liegt mit ca. 2,826 Mio. € je Stützpunkt darüber. In Deutschland entfallen allein an Einsatzvergütungen durch die Krankenkassen durchschnittlich 2,79 Mio. € auf ein Luftrettungsmittel, ohne Investitionen der Bundesländer in diese Betrachtung mit einzubeziehen. Schweden überschreitet die offiziellen Angaben dieser Länder zu den Kosten der Luftrettung erheblich und geht von 3,44 bis 4,13 Mio. € für einen Stützpunkt aus.

Die angewandten Vergütungsmechanismen für Luftrettungsleistungen erscheinen Vergleichbar, die Ergebnisse dieser Recherche sind jedoch nicht vollständig aufgrund fehlender Informationen. So finden sich in Schweden, Tschechien und Deutschland variable, einsatzabhängige Vergütungen, die insbesondere auf Flugzeiten basieren. Ihre Höhe unterscheidet sich bei Betrachtung des Landes, aber auch im Vergleich der Länder erheblich. So sind aus Deutschland Flugminutenpreise bei Primäreinsätzen zwischen 43,93 € und 77,97 € je Minute, bzw. 2636 € und 4678 € je Stunde bekannt. Diesen stehen je Einsatz 900 € bis 1800 € in Schweden und 638 € bis 1878 € in Tschechien gegenüber. Aussagen über die Effizienz der Luftrettungssysteme lassen sich weder anhand der nationalen Finanzierungsmechanismen und im Zuge dessen der bekannten Gesamtkosten noch über die Vergütungsansätze der Luftrettung treffen. Bedingt wird dies insbesondere durch die uneinheitlichen und schlecht verfügbaren Daten, sowie den geringen wissenschaftlichen Forschungsstand.

2.3 Kostenkenntnis zur Luftrettung

2.3.1 Ökonomische Forschungsbeiträge

Als betriebswirtschaftliche Forschungsbeiträge werden im Folgenden Veröffentlichungen aufgeführt, in denen ein umfassender und ökonomischer Ansatz im Rahmen einer Vollkostenbetrachtung von Luftrettungsleistungen gewählt wird. Die Veröffentlichung muss dabei in wissenschaftlichem Rahmen in einschlägiger Fachliteratur geschehen sein.

Nach Wissen des Autors gibt es nur einen grundlegenden Beitrag von Fleßa et al. aus 2016, in dem die Kosten einer Luftrettungsleistung mit einem formalen ökonomischen und systematischen Ansatz betrachtet werden.Footnote 263 Andere Beiträge sind schätzungsbasiert und arbeiten ohne ökonomische Modellierung. Fleßa et al. erarbeiteten eine ökonomische Analyse für die Bewertung von drei Alternativen, die für eine Verbesserung der rettungsdienstlichen Versorgung um ländlichen Raum gewählt werden können: Einführung eines Telenotarztes, Ausbau von Notarztstandorten und Ausbau der Luftrettung. Der methodische Schwerpunkt lag dabei auf der Auslastung von Rettungsmitteln und ihren Kapazitätsgrenzen. Der Hintergrund für das Luftrettungsmittel ist dabei die Fragestellung, ab welcher Auslastung bei einem Betrieb über 18 Stunden dessen Kapazität ausgeschöpft ist und ein weiterer Ausbau zur Sicherstellung der Versorgung nötig ist. Die angestellte Kostenbetrachtung berücksichtigte fixe und variable Kosten in folgender Form:

Tabelle 2.9 Exemplarische Kostenparameter der LuftrettungFootnote

Quelle: Fleßa et al. (2016), S. 257.

Hieraus ergeben sich jährliche Fixkosten in Höhe von 1,48 Mio. €, in die auch Personalkosten eingerechnet werden, und variable Kosten von 1180 € je Einsatz. Berücksichtigt wird jedoch weder der Einfluss von Einsatzzahlen noch von verschiedenen Einsatzarten wie Primär- und Sekundäreinsätze oder Nacht-, Winden- und Fixtaueinsätze auf die Kostenentstehung. Ebenfalls werden keine einsatzabhängigen Wartungsintervalle oder unterschiedliche Vorhaltezeiträume bis in den 24-Stunden Betrieb und davon abhängige Kosten betrachtet. Eine vollkostenbasierte leistungsbezogene Kostenanalyse findet somit nicht statt. Die Kosten je durchschnittlichen Einsatz ergeben sich in diesem Beitrag als Nebenergebnis, der ökonomischen Betrachtung liegt nicht die leistungsmengenabhängige Kostenbetrachtung zugrunde.

Neben dem Beitrag von Fleßa et al. (2016) gibt es eine weitere Aufstellung von Kosten der Luftrettung, die vom PrimAir-Konsortium veröffentlicht wurde. In dieser erfolgt allerdings keine Beschreibung einer zugrundeliegenden ökonomischen und einsatzbezogenen Systematik. Die Kostenangabe der PrimAIR-Studie basiert auf einem Betrieb von 24 Stunden am Tag, sieben Tagen in der Woche. Für durchschnittliche Einsatzdauern von 30 Minuten bei 1000 Einsatzflügen im Jahr mit einer Maschine vom Typ H145, die von zwei Piloten geflogen wird, fallen gemäß des PrimAIR-Konsortiums jährliche Gesamtkosten von 4.834.157 € an. Dabei wird angenommen, dass die Luftrettung den Bodenrettungsdienst im ländlichen Raum Mecklenburg-Vorpommerns ersetzt. Unterschieden wurde in der PrimAIR-Studie zwischen einsatzunabhängigen Kosten, darunter denen des Standortes, des Rettungsmittels sowie der Vorhaltung und einsatzabhängigen Kosten. Der Anteil der einsatzabhängigen Kosten liegt nach den getroffenen Annahmen bei 25 %, wodurch die Feststellung, dass der Betrieb von Luftrettungsstandorten von einer Fixkostenintensität geprägt ist, unterstrichen wird.Footnote 265

Taylor et al.Footnote 266 führten in 2011 Informationen über Kosten der australischen Luftrettung der Region New South Wales mit dem Ziel zusammen, eine Übersicht über die durch Luftrettung entstehende Ressourcenbindung zu schaffen. Dafür wurden für den Zeitraum eines Jahres ab Juli 2008 Kostendaten von zwei staatlichen und sieben NPO-Luftrettungsmitteln erhoben, von denen rund 4280 Primär- und Sekundäreinsätze im Betrachtungszeitrum geleistet wurden. Sieben der Stationen operierten im 24-Stunden Betrieb. Die Kostenbetrachtung enthielt Kosten der Verwaltung, während Hubschrauberkosten über ein Leasing-Modell abgebildet wurden. Darüber hinaus wurden Personalkosten anhand öffentlich zugänglicher Gehälter ermittelt und auch Wartungskosten berücksichtigt. Eine Aufstellung der exakten Kostendaten wurde nicht publiziert. Das Versorgungsgebiet der neun Luftrettungsstandorte in New South Wales ist charakterisiert durch eine geringe Bevölkerungsdichte von 6,8 Mio. Einwohnern auf 800.000 km2, wobei sich die Population stark auf die Stadt Sydney und an der Küste gelegene urbane Orte konzentriert.

Jährliche Kosten der verschiedenen Stationen variierten um das Siebenfache zwischen 2,7 Mio. und 19,1 Mio. AUS$ (1,9 Mio. € und 13,64 Mio. €). Je Stunde der Triebwerkslaufzeit fielen Kosten zwischen 5343 und 15.743 AUS$ (3816 € und 11245 €) an. Zudem wurde zwischen Primäreinsätzen mit Einsatzkosten von 7204 und 15.752 AUS$ (5145 € und 11251 €) und Sekundäreinsatzkosten von 10.905 bis 24.345 AUS$ (7789 € und 17389 €) unterschieden.Footnote 267 Nach Taylor et al. Betrugen die Kosten für medizinisches Personal weniger als 2 % der Gesamtkosten. Verschiedene Gründe werden für die starken Kostenschwankungen angegeben. Einerseits werden moderne und ältere Hubschraubermodelle an den verschiedenen Stationen eingesetzt, was nach Vermutung der Autoren die Kosten beeinflusst. Andererseits wird die Infrastruktur für drei Luftrettungsmittel an einem einzigen Standort vorgehalten, sodass die Zusammenführung zu einer Kostenreduktion führt. Auf einen Kostenunterschied durch unterschiedlich lange Bereitschaftszeiten der Rettungsmittel wurde nicht eingegangen. Auch dieser Beitrag führte nur erhobene Kostendaten zusammen, ohne eine systematische ökonomische Analyse der Kostenstrukturen durchzuführen.Footnote 268

Forschungsbeiträge mit eher gesamt- als betriebswirtschaftlichem Ansatz wurden von Taylor et al. In 2010 mit einer Literaturrecherche zusammengeführt. Die wesentliche Aussage für diese Arbeit ist dabei, dass eine vollständige ökonomische Betrachtung und Bewertung der Kosten und Nutzen von Luftrettungsleistungen aussteht, aber dringend nötig ist. In der Veröffentlichung wurden 15 Studien aufgenommen, die zwischen 1990 und 2007 veröffentlicht wurden und sowohl eine Bewertung von Kosten als auch von Outcomes beinhalteten. Die zusammengeführten Studien wurden in die Kategorien „cost analysis, -minimization, -effectiveness and -benefit“ unterteilt. Die in diesen Beiträgen angegebenen jährlichen Kosten des Betriebes einer Luftrettungsstation unterscheiden sich in ihrer Höhe erheblich zwischen 115.777 US$ und 5.571.578 US$ (82.679 € und 3.979.698 €)Footnote 269. Die jährlichen Kosten der Luftrettung wurden in den recherchierten Publikationen denen eines alternativen Rettungsmittels gegenübergestellt oder für die Bewertung von Quality Adjusted Life Years (QALY) genutzt. Fünf der Studien bewerteten Luftrettung als teureres Transportmittel, das gegenüber anderen Transportformen keine Vorteile bietet. Unter Kosten-Nutzen Verhältnissen von Luftrettungseinsätzen wurden u. a. aus den verschiedenen Studien für Trauma mit 3292 $ und 2227 $ je gespartem Lebensjahr, 7138 $ und 12.022 $ je QALY für nicht-traumatologische Indikationen angegeben.Footnote 270

2.3.2 Offizielle Veröffentlichungen

Anders als die zuvor aufgeführten Forschungsbeiträge werden folgend Publikationen vorgestellt, die nicht im wissenschaftlichen Rahmen veröffentlicht wurden, in ihrer methodisch jedoch systematisch und mitunter auch mit wissenschaftlichem Hintergrund vorgehen. Als Einschlusskriterium müssen die dargelegten Informationen dabei von offiziellen Stellen kommen, gesicherte Daten beinhalten und somit wissenschaftlich nutzbar sein. Herausgeber dieser Veröffentlichungen sind meist öffentliche Stellen, wie etwa Ausschüsse von Bundesministerien und Landesministerien, oder liegen durch diese in Form von Ausschreibungen vor.

Eine Gesamtkostenaufstellung zur Luftrettung in Deutschland wurde 2004 vom Ausschuss Rettungswesen des Brandenburger Landesministeriums für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen in einem Abschlussbericht der Konsensgruppe „Luftrettung“ herausgegeben. Die Kostenschätzung basiert auf einer Hochrechnung von Kostendaten, die von ADAC und DRF Luftrettung für das Jahr 2002 erhoben wurden. Die Höhe der Gesamtausgaben für die Luftrettung liegt demnach bei 126,3 Mio. €, von denen 28,2 Mio. €, also ca. 22,3 %, nicht von Krankenkassen finanziert wurden. Die verbleibenden Ausgaben von 98,1 Mio. € für die Luftrettung haben einen Anteil von 4,1 % an den Gesamtausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung für Fahrtkosten.Footnote 271

Die Differenzierung der Luftrettungskosten erfolgte nach Kosten für den Hubschrauber sowie baulichen Anlagen am Luftrettungsstützpunkt und nach Gemein- und Personalkosten (Abbildung 2.15). Den größten Anteil der Kosten nehmen mit 52 % dabei die Kosten für den Hubschrauber ein, die neben Abschreibungen, Reparaturen und Wartungskosten auch Steuern, Treibstoffverbräuche und Gebühren umfassen. Kosten für die baulichen Anlagen beinhalten einen Anteil von 6,2 % an den Gesamtkosten und umfassen Mieten, Abschreibungen, Steuern, Versicherungen, Instandhaltungskosten und Versorgungskosten bspw. für Reinigung und Energieversorgung. Personalkosten sind nach dem Bericht der Konsensgruppe „Luftrettung“ mit 30,1 % der zweitgrößte Kostenblock. Er beinhaltet Gehälter, Sozialleistungen und Ausbildungskosten für das ärztliche und fliegerische Personal. Detailliertere Informationen als diese Übersicht über die volkswirtschaftlichen Ausgaben für den deutschen Luftrettungsbetrieb lassen sich gemäß der Konsensgruppe „Luftrettung“ nicht erheben. Ursache dafür ist zufolge der Veröffentlichung die uneinheitliche und nicht systematische Kostenerfassung der Leistungserbringer (Abbildung 2.15).Footnote 272

Abbildung 2.15
figure 15

Kostenstrukturen der LuftrettungFootnote

Quelle: Eigene Darstellung, nach RUN-Statistik (2004), S. 249.

Auch die Gesamtwerte von Ausschreibungen für Luftrettungsstationen können indikativ für die Kosten der Vorhaltung der Rettungsmittel sowie benötigter Infrastruktur angesehen werden. Ausschreibungsvolumen umfassen dabei jedoch nicht die vollständigen Betriebskosten, da von den Krankenkassen erstattete Fahrtkosten für Einsätze nicht berücksichtigt werden. Für den Zeitraum von 2019 bis 2026 wurden im Bundesland Sachsen die Luftrettungskonzessionen in zwei Losen mit je zwei Standorten neu vergeben. Der Wert der Konzession für den im 24-Stunden Betrieb eingesetzten Dual-Use Hubschrauber in Bautzen und den im Tagbetrieb fliegenden RTH in Dresden wurde mit 56.718.663 € angegeben. Der Betrieb von drei RTH in Zwickau und an der Doppelstation in Leipzig wurde im Wert von 76.571.557 € angegeben.Footnote 274

Neben dem bereits geschilderten Prüfbericht des deutschen Bundesrechnungshofes, in dem insbesondere Kosten für Baumaßnahmen genannt werden, gibt es einen Beitrag des österreichischen Rechnungshofes aus 2012 mit ähnlichem Prüfgegenstand.Footnote 275 In diesem wird ebenfalls das zu dichte Standortnetz und die daraus folgende zu geringe Auslastung kritisiert. Aus dieser ergibt sich nach Sicht des österreichischen Rechnungshofes die Gefahr, dass auch medizinisch nicht indizierte Einsätze geleistet und Nutzungsgebühren erhoben werden, um mindestens fixkostendeckend zu arbeiten.

Der österreichische Rechnungshof geht von 1000 erforderlichen Flügen aus, die benötigt werden, um jährliche Kosten von 1,72 Mio. € decken zu können. Diese setzen sich aus 855.000 € für den Hubschrauber zusammen, der mit 4 Mio. € und einer Nutzungsdauer von 30 Jahren angesetzt wurde, sowie Wartungs-, Versicherungs- und Treibstoffkosten. Darüber hinaus wird von Kosten für fliegerisches Personal in Höhe von 350.000 € und 180.000 € für ärztliches Personal ausgegangen. Bei 1000 jährlichen Einsätzen wird ein Fixkostenanteil von 70 % angenommen.

Neben den periodenbezogenen und umfassenden Kostenbetrachtungen liefern Recherchen Einblicke in Kosten einzelner Elemente des Luftrettungsbetriebes. Für die Umrüstung eines Hubschraubers vom Typ EC 135 und 145 für Windeneinsatzfähigkeit fallen nach Auskunft der Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern rund 445.000 € an. Diese setzen sich zusammen aus

  • 250.000 Anschaffungskosten für die Winde

  • 100.000 € Anbau von Beschlägen, sofern nicht vorhanden

  • 95.000 € für die Erstausbildung.

Darüber hinaus fallen im laufenden Betrieb nicht näher spezifizierte Kosten für Fortbildungen, Training und Wartungen an.Footnote 276 Winden, die an Rettungshubschraubern ergänzt werden sollen, werden mit einem Gesamtwert von 4 Mio. € über 5 Jahre ausgeschrieben. Der Ausschreibungswert umfasst dabei neben der Investition die Durchführung von Einsätzen, sowie die Auswahl, Ausbildung und Fortbildung von Personal.Footnote 277

2.3.3 Weitere Informationen

Insbesondere Betrachtungen von Einzelkosten und Hinweise auf Kostenzusammenhänge- und Einflussfaktoren finden sich kaum in offiziellen Veröffentlichungen oder Forschungsbeiträgen, Anhaltspunkte ergeben sich jedoch mitunter in nicht-wissenschaftlicher Literatur. So ist festzustellen, dass die jährlichen Kosten für den Hubschrauber durch den Anschaffungspreis auf der einen, und erheblich durch Wartungskosten auf der anderen Seite getrieben werden. Anschaffungspreise für Hubschrauber liegen für neue Maschinen vom Typ H 135 bei ca. 8 Mio. € und H 145 9 Mio. €.Footnote 278 Gebrauchte Maschinen vom Typ BK 117 C2, Vorläufer der H 145, werden für etwa 3 Mio. € gehandelt.Footnote 279

Die Bedeutung von Wartungskosten, die im Luftrettungsbetrieb anfallen, wird ebenfalls in den Flottenerneuerungen der beiden größten Flottenbetreiber ADAC und DRF Luftrettung deutlich. Beide Betreiber haben in den letzten Jahren die eingesetzten Hubschraubermodelle vereinheitlicht und erneuert, sodass die Werften und Schulungen auf Maschinen des gleichen Herstellers ausgerichtet werden können.Footnote 280 Deshalb unterscheiden sich die jährlichen Kosten für den Betrieb der Hubschrauber, abhängig vom eingesetzten Modell, dessen Alter und der verbleibenden Nutzungsdauer möglicherweise erheblich.

Treibstoffkosten können exemplarisch anhand von Typenblättern verschiedener Hubschraubermodell berechnet werden, hier wird exemplarisch das Muster EC 145 aufgeführt. Auf Grundlage einer durchschnittlichen Einsatzgeschwindigkeit von 254 km/h und einem Treibstoffverbrauch von 318 l/h ergeben sich mit Bewertung des Kerosinpreises Jet-A1 in Höhe von 1,10 €/l Kosten in Abhängigkeit der Triebwerkslaufzeit von etwa 5,83 €/min.Footnote 281 Das kleinere Modell vom Typ EC 135 liegt bei gleicher Herangehensweise bei etwa 4,84 €/min.Footnote 282

Aus einer Antwort der Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern geht hervor, dass die Kosten für eine Winde bei rund 250.000 € liegen. Unter Umständen anfallende Rüstkosten am Hubschrauber betragen modellabhängig 100.000 €. Darüber hinaus wird eine kostenintensive Ausbildung impliziert, wobei allein die Kosten der Erstausbildung von Personal 95.000 € betragen. Die Johanniter Luftrettung bestätigte ein Investitionsvolumen von 300.000 € in die Windentechnik mit einer Nutzungsdauer von 6 Jahren.Footnote 283

Tabelle 2.10 führt die oben ausgeführten Informationen und Rechercheergebnisse zusammen. Über diese hinaus wurde in Zusammenarbeit mit der Johanniter Luftrettung (in der Tabelle JUH) eine Kostenübersicht erstellt. Die Ergebnisse dieser Kooperation gehen auch nachfolgend als Datengrundlage in das entwickelte Kostenmodell ein. Sie zählen zu den Rechercheergebnissen und werden somit nachfolgend jenen der Literaturrecherche ergänzend beigefügt.

Tabelle 2.10 Kostenkenntnis des LuftrettungsbetriebesFootnote

Quelle: Eigene Darstellung.

2.4 Ökonomische Bewertungsansätze

2.4.1 Modellierung

Modelle sind systematische, abstrakte Abbildungen der Realität, die in einem anderen Medium dargestellt werden. Im Rahmen von Modellierungen werden Dimensionen der beschriebenen Systeme ergänzt, überzeichnet oder vernachlässigt. Dabei wird das Ziel verfolgt, die Dynamik und Komplexität von Zusammenhängen verständlich zu machen und eine fundierte Entscheidungen zu ermöglichen. Die Form und Ausgestaltung eines Modells hängen somit von dessen Aufgabe als Hilfsmittel ab, das der Modellierende erschafft. Dies führt dazu, dass ein Modell keine wahrheitsgemäße Wiedergabe der Realität sein kann, sondern von seiner Zweckmäßigkeit geprägt ist.Footnote 285 Modelle können nach verschiedenen Merkmalen unterschieden werden, wie Tabelle 2.11 darstellt.

Tabelle 2.11 ModelltypologieFootnote

Quelle: Eigene Darstellung, nach Fleßa (2010), S. 34.

Als Abbildung von ökonomischen Systemen werden Modelle unter anderem zur Entscheidungshilfe eingesetzt, oder etwa um funktionale Zusammenhänge von Produktionsfaktoren, Ausbringungsmengen und entstehenden Kosten darzustellen. So können Produktions- oder Kostenfunktionen als Erklärungs- oder Kausalmodelle die Abbildung von Ursache-Wirkungszusammenhängen von endogenen und exogenen Variablen sein. In Form von Simulationsmodellen spielen ökonomische Funktionen hingegen Alternativen durch, mit denen das Verhalten von Systemen bei verschiedenen Parameterkonstellationen abgeschätzt werden kann.Footnote 287

Hinsichtlich ihrer Darstellungsform werden ökonomische Modelle meist mathematisch formal sowie graphisch dargestellt. Obwohl die ihnen zugrundeliegende Realität grundsätzlich unsicher ist, sind ökonomische Modelle zumeist deterministischer Art, sodass es tendenziell zu einer strukturellen Informationsvernichtung kommt, wenn Unsicherheiten bewusst ignoriert werden. Um Unsicherheiten zu berücksichtigen, können diese explizit in stochastischen Modellen modelliert werden. Deterministische Modelle beziehen Unsicherheit mit ein, indem sie in Szenarien aufgenommen wird.Footnote 288

Hinsichtlich ihres Zeitbezuges können dynamische Modelle den Zeitverlauf auf stetige oder kontinuierliche Weise berücksichtigen, während statische beispielsweise anhand von Einperiodenmodellen von diesem abstrahieren. Totalmodelle berücksichtigen die Gesamtheit des ihnen zugrunde liegenden Systems und müssen somit die hohe Dynamik und Komplexität aller Dimensionen wiedergeben, was die Modellierung bei steigendem Detailgrad zunehmend erschwert. Partialmodelle hingegen sind beschränkt auf einen kürzeren Zeitraum oder nur Teile des abgebildeten Systems.Footnote 289

2.4.2 Allgemeine Produktionstheorie

Gegenstand der Produktionstheorie sind die funktionalen Zusammenhänge von Prozessen, in denen Inputmengen zu Outputs kombiniert werden.Footnote 290 Sie bildet das Mengengerüst, das einer anschließenden Bewertung vorausgeht. Der Produktionsbegriff ist traditionell sachgütergeprägt und untersucht gemäß dem ökonomischen Prinzip, als eine Ausprägung des Rationalprinzips, die effiziente Kombination von Produktionsfaktoren. Dieses kann gemäß des Minimumprinzips inputorientiert sein, sodass eine gegebene Outputmenge mit möglichst geringem Faktoreinsatz erreicht wird. Das Maximumprinzip hingegen beschreibt das Erreichen einer möglichst großen Outputmenge mit gegebenem Faktoreinsatz.Footnote 291

Die Beziehung von eingesetzten Produktionsfaktoren sowie der produzierten Outputmenge wird allgemein in Form von Produktionsfunktionen ausgedrückt und steht meist im Mittelpunkt der Produktionstheorie. Gutenberg prägte die Gliederung der im betrieblichen Transformationsprozess eingesetzten Produktionsfaktoren. Elementarfaktoren sind demnach Werkstoffe, Betriebsmittel und Arbeit. Zu Werkstoffen gehören Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe, die im Produktionsprozess verbraucht werden. Betriebsmittel, also bspw. Anlagen wie Maschinen, Geschäftsausstattung oder der Fuhrpark, sind hingegen Inputs, die in die Produktion eingehen, jedoch nicht sofort verbraucht werden. Arbeit als elementarer Produktionsfaktor entspricht der ausführenden Tätigkeit. Ihr gegenüber steht Arbeit als dispositiver, also führender und leitender Produktionsfaktor, der insbesondere bei steigender Hierarchieebene vorzufinden ist.Footnote 292

In Abhängigkeit vom produzierten Gut können Produktionsfaktoren gegenseitig ersetzt werden, sodass verschiedene effiziente Faktorkombinationen möglich sind. Ist dies der Fall, wird von substitutionalen Faktoreinsatzverhältnissen gesprochen. Ermöglicht der Einsatz des einen Produktionsfaktors den vollständigen Verzicht des anderen, wird von alternativer Substitution gesprochen, erfordert der Einsatzprozess hingegen eine Mindestmenge jeden Inputs, handelt es sich um periphere oder begrenzte Substitution. Limitationale Substitution hingegen geht davon aus, dass im Produktionsprozess aufgrund von festen Faktoreinsatzverhältnissen nur eine einzige Faktorkombination effizient ist.Footnote 293

Die betriebswirtschaftliche Forschung unterscheidet verschiedene Produktionsfunktionen wie die ertragsgesetzliche Produktionsfunktion vom Typ A, oder die von Gutenberg geprägte vom Typ B, in der von limitationalen Faktoreinsatzverhältnissen ausgegangen wird. Zudem gibt es einige Weiterentwicklungen und Verfeinerungen wie von Heinen (Typ C), die meist ebenfalls industrielle Ansätze wählen. Auf Dienstleistungsprozesse insbesondere medizinischer Art lassen sich diese Ansätze der Industriegüterproduktion jedoch nicht ohne weiteres übertragen.Footnote 294

2.4.3 Dienstleistungserstellung der Luftrettung

Die notfallmedizinische Dienstleistungserstellung kann als die existentielle Berechtigung für die Vorhaltung und die Erbringung von Luftrettungsleistungen angesehen werden. Die Dienstleistungserstellung ist durch das Uno-Acto-Prinzip charakterisiert, also ihrer Erstellung in Einheit von Raum, Ort und Zeit.Footnote 295 Für die Erstellung von Dienstleistungen nach dem Uno-Acto-Prinzip wird die klassische Faktorkombination von Industriegütern abgewandelt und in verschiedene Schritte eines mehrstufigen Produktionsprozesses unterteilt. Für diesen bedarf es zunächst der Leistungsbereitschaft aller internen produktionsrelevanten Inputfaktoren elementarer und dispositiver Art. Durch die Vorkombination wird eine zeitnahe Endkombination ermöglicht. Elementare Produktionsfaktoren können als Arbeit, Werkstoffe und Betriebsmittel klassifiziert werden.Footnote 296 Die unmittelbare Erstellung der medizinischen Dienstleistung am Patienten erfolgt schließlich durch die Endkombination von internen, sowie dem Patienten als externen Produktionsfaktoren.Footnote 297

Da notfallmedizinische Leistungen der Luftrettung weder lagerfähig noch transportierbar oder übertragbar und immateriell sind, gilt auch für ihre Erstellung das Raum-Zeit-Prinzip. Mithin stellen Primäreinsätze einen Teilprozess der Rettungskette dar.Footnote 298 Sekundärtransporte, wenngleich nicht Teil der Rettungskette, sind ebenfalls durch das Dienstleistungsprinzip gekennzeichnet. Die Bereitstellung und Leistung medizinischer Hilfe liegt somit dem Geschäftsmodell der Luftrettung im Rahmen der öffentlichen Daseinsvorsorge als wesentlicher Output zugrunde. Dessen Bewertung erfolgt anhand der in Abschnitt 2.1.3.5 beschrieben Vergütungsmodelle. Unterschieden wird dabei zwischen Primär- und Sekundäreinsätzen als abstrakte Form des Outputs. Demgegenüber steht die tatsächlich erbrachte medizinische Leistung, die je nach Behandlungsbedarf bei beiden Einsatzarten sehr unterschiedlich ausgeprägt sein kann.

Der Verbrauch von Produktionsfaktoren in der Luftrettung, die in der Vor- und Endkombination untergehen, ist somit einsatz-, krankheitsbild- und -patientenabhängig. Durch Arbeitseinsatz unmittelbar an der medizinischen Leistung beteiligt ist das medizinische Personal aus Sanitätern und Ärzten, während Piloten die Raum-Zeit-Bedingung erfüllen und die Leistungsbereitschaft am Patienten gewährleisten. Die Leistungsbereitschaft wird darüber hinaus indirekt durch Bodenpersonal gewährleistet, die etwa Aufgaben zur Wartung oder Verwaltung der Infrastruktur übernehmen.

Werkstoffe im Sinne von Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffen, die im Zuge der Vor- und Endkombination aller Produktionsfaktoren untergehen,Footnote 299 sind einerseits flugzeitabhängige Treibstoffverbräuche durch Transportleistungen. Andererseits werden verschiedene medizinische Verbrauchsgüter für die Therapie und die Herstellung der Transportfähigkeit des Patienten eingesetzt. Für die Wahrung der Leistungsbereitschaft werden weitere Werkstoffe verbraucht, etwa im Zuge von Wartungsarbeiten des Rettungsmittels, der Stations-Infrastruktur, der technischen Ausstattung oder der allgemeinen Verwaltung.

Ein wesentliches Betriebsmittel,Footnote 300 dessen Leistungspotential in die Faktorkombination eingeht, ist der Hubschrauber und die mitgeführte medizinische Ausstattung, die maßgeblich für die Leistungsbereitschaft sind. Darüber stellt auch die Infrastruktur am Boden, darunter Aufenthaltsräume, Sanitäranlagen, Büroeinrichtungen, Flugplatz, Hangar, technische Einrichtungen oder betriebliche Fahrzeuge Betriebsmittel dar, die für Luftrettungsleistungen vorgehalten werden müssen.

2.4.4 Kostentheorie

Die Kostentheorie bewertet die in der Produktion eingesetzten Produktionsfaktoren, indem das Mengengerüst der Produktionstheorie um ein Wertegerüst der Kostentheorie ergänzt wird. Kosten stellen dabei den bewerteten Verzehr von Produktionsfaktoren im Rahmen der betrieblichen Leistungserstellung dar.Footnote 301 Für die Bewertung der Kosten wird insbesondere zwischen dem wertmäßigen und pagatorischen Kostenbegriff unterschieden. Hinsichtlich des sachlichen Umfangs von Kosten wird zwischen Vollkosten- und Teilkostenrechnungen unterschieden, während die Ist-, Normal- oder Sollkostenrechnungen zeitlich differenzierte Ansätze wählen. In diesen systematischen Kostenrechnungsansätzen kann die Bewertung des Faktorverbrauchs auf zwei Arten stattfinden.Footnote 302

Die Kostenrechnung klassifiziert Kosten hinsichtlich ihrer Zurechenbarkeit auf Verrechnungseinheiten, wie etwa Produkte, Kostenstellen oder Zeiteinheiten, in Einzel- und Gemeinkosten. Einzelkosten lassen sich diesen unmittelbar und verursachungsgerecht zuordnen. Gemeinkosten hingegen fallen für verschiedene betriebliche Leistungen an und lassen sich nicht nach dem Verursachungsprinzip verrechnen. Deshalb wird für sie eine indirekte Verrechnung über Durchschnittskosten vorgenommen.Footnote 303

Produktionskosten setzen sich aus verschiedenen Bestandteilen zusammen, deren Zusammenhänge mit Hilfe von Kostenfunktionen abgebildet werden können. Fixe Kosten \(K_{f}\) fallen im Rahmen der Betriebsbereitschaft an und werden in ihrer Höhe von der vorgehaltenen Produktionskapazität beeinflusst. Sie sind somit zeit- oder bereitschaftsabhängig und werden von der Outputmenge \(x\) nicht unmittelbar beeinflusst. Das Verhalten von fixen und variablen Kosten bei Variation ihrer Einflussgröße wird in Abbildung 2.16 dargestellt.

Fixe Kosten sind innerhalb gegebener Prämissen unabhängig von der Ausbringungsmenge. Sie können konstant verlaufen, oder als sprungfixe das Kostenniveau wechseln. Kostensprünge werden ausgelöst durch das Überschreiten von Beschäftigungsintervallgrenzen, innerhalb dieser verlaufen die Kosten wiederum konstant. Variable Kosten \(K_{v} \left( x \right)\) hingegen sind abhängig von der Ausbringungsmenge. In Abhängigkeit ihrer treibenden Einflussgröße können sie allgemein als degressiv, progressiv, proportional oder regressiv in ihrem Verhalten zur Outputmenge beschrieben werden.Footnote 304 Die praktische Unterscheidung von Kosten als fix oder variabel ist dabei abhängig von verschiedenen Faktoren und Perspektiven wie dem Betrachtungszeitraum, der Hierarchieebene oder dem Verrechnungsumfang.Footnote 305

Abbildung 2.16
figure 16

(Quelle: Eigene Darstellung, nach Coenenberg et al. (2016), 79 f.)

Fixe und variable Kostenverläufe in Abhängigkeit der Ausbringungsmenge.

Die Zusammenführung der Kostenbestandteile zu Gesamtkosten kann als abstrakte Kostenfunktion allgemein dargestellt werden als

$$K = K_{f} + K_{v} \left( x \right)\,.$$

Die durchschnittlichen Kosten je Outputmenge, also Stückkosten, ergeben sich als

$$k = \frac{{K_{f} }}{x} + \frac{{K_{v} \left( x \right)}}{x} = k_{f} + k_{v} \,.$$

Für die Durchschnittskostenverläufe ergibt sich daraus, dass variable Stückkosten bei gleicher Ausbringungsmenge konstant bleiben, während die durchschnittlichen Fixkosten einer Degression unterliegen. Sprungfixe Kosten unterliegen innerhalb ihres Intervalls ebenfalls einer Degression, die jedoch beim Überschreiten von Intervallgrenzen den sprunghaften Verlauf der Stückkosten widerspiegelt.

Die mathematische Formalisierung von funktionalen Kostenzusammenhängen eines bestimmten Betrachtungszeitraumes kann anhand von Kostenschätzungen erfolgen. Schätzverfahren umfassen qualitative und quantitative Ansätze sowie deren rechnergestützte Kombination. Qualitative Verfahren beruhen meist auf bereits verfügbaren Daten und umfassen heuristische Regeln, Kostenstrukturanalysen sowie Abschätzungen auf Grundlage bekannter Grenzstückzahlen.Footnote 306

Quantitative Verfahren sind hingegen weniger deskriptiv, zu ihnen gehören extrapolierende Verfahren, Schätzungen im engeren Sinne auf Grundlage von subjektiven Urteilen sowie kausale Prognosen. Synthetische und analytische Verfahren im Rahmen der kausalen Prognosen geben logische Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge der Kosten eines Produktes an. Kostenfunktionen sind kenngrößenbasiert und werden methodisch den synthetischen Verfahren zugeordnet. Lineare Kostenfunktionen können bspw. mit Hilfe von Regressionsanalysen mit der Methode der kleinsten Quadrate ermittelt werden, auf Grundlage von in der Vergangenheit erhobenen Informationen. Andererseits können durch Optimierungsrechnungen multiplikative Zusammenhänge abgebildet werden, welche eine höhere Komplexität als die Regressionsrechnung zulassen.Footnote 307

2.4.5 Break-Even-Analyse

Im Rahmen der Erfolgsanalyse wird der betriebliche Erlös den Kostenzusammenhängen, die in der Kostenfunktion abgebildet sind, gegenübergestellt. Aus ihrer Differenz ergibt sich entsprechend ein Gewinn oder Verlust.Footnote 308 Die Break-Even-Analyse nach dem Umsatz-Gesamtkosten Modell befasst sich in diesem Zusammenhang mit der Ermittlung des Umsatzes \(p*x\), der zum Decken der Gesamtkosten ausreicht und somit zu einer profitablen Ausbringungsmenge x führt. Der Gewinn für ein Produkt ergibt sich grundsätzlich aus der positiven Differenz von Umsatz und Kosten, also

$$G = p*x - (K_{f} + K_{v} *x)\,,$$

Somit wird weder ein Gewinn, noch ein Verlust erwirtschaftet, wenn

$$p*x = K_{f} + K_{v} *x\,,$$

sodass bei

$$x = \frac{{K_{f} }}{{p - K_{v} }}$$

der Break-Even-Punkt erreicht ist. Abbildung 2.17 stellt das Erreichen des Break-Even beispielhaft dar.

Abbildung 2.17
figure 17

Graphische Darstellung des Break-Even-PunktesFootnote

Quelle: Eigene Darstellung, nach Fandel et al. (2009), S. 252 f.

Die Betrachtung mehrerer Produkte führt zu einer Vielzahl an möglichen Absatzmengen, mit denen die Gewinnschwelle erreicht werden kann. Die Ermittlung des betrieblichen Erfolgs ist deshalb nur möglich, wenn Umsatzzusammensetzungen als konstant voraus gesetzt werden.

Neben den leistungsabhängigen Erlösen, die sich aus \(P*x\) ergeben, ist auch der Sonderfall von quasi-fixen Erlösbestandteilen aus Förder- und Spendenbeiträgen zu berücksichtigen. Dieser steht in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit der Leistungsmenge und ist unter anderem bei den als NPO organisierten Luftrettungsorganisationen zu finden. Ein fixer Erlössockel ermöglicht das frühere Erreichen der Gewinnschwelle und somit eine geringere benötigte Outputmenge zur Profitabilität. Soll die Gewinnschwelle der Ausgangssituation hingegen gehalten werden, ist eine vom Erlössockel ausgehende geringere Leistungsvergütung ausreichend.